Kriegsverbrechen und Verbrechen

gegen die Menschlichkeit.

[383] Laut Verordnung vom 29. Mai 1941 übernahm Bormann die bisher von Heß bekleideten Ämter und Vollmachten; die Verordnung [383] vom 24. Januar 1942 erweiterte diese Vollmachten und gab ihm Kontrollgewalt aller von Hitler erlassenen Gesetze und Richtlinien. Damit war er also verantwortlich für die seither erlassenen Gesetze und Befehle. Am 1. Dezember 1942 wurden alle Gaue zu Reichsverteidigungsbezir ken, und die Bormann verantwortlichen Gauleiter der Partei wurden zu Reichsverteidigungskommissaren ernannt. Dies machte sie tatsächlich zu den Verwaltern der gesamten zivilen Kriegsanstrengungen. Das war nicht nur in Deutschland der Fall, sondern auch in jenen Gebieten, die dem Reich von den absorbierten und eroberten Gebieten einverleibt worden waren.

Mittels dieses Mechanismus beherrschte Bormann die rücksichtslose Ausbeutung der unterworfenen Bevölkerung. Sein Befehl vom 12. August 1942 stellte alle Parteistellen zur Verfügung des Programms Himmlers für die Zwangsumsiedlung und Entnationalisierung von Personen in den besetzten Gebieten. Drei Wochen nach dem Einmarsch in Rußland nahm er am 16. Juli 1941 mit Göring, Rosenberg und Keitel an einer Besprechung in Hitlers Feldhauptquartier teil; Bormanns Bericht zeigt, daß genau umrissene Pläne zur Versklavung und Ausrottung der Bevölkerung jener Gebiete besprochen und entwickelt wurden. Am 8. Mai 1942 beriet er mit Hitler und Rosenberg die zwangsweise Umsiedlung von Niederländern nach Lettland, das Ausrottungsprogramm in Rußland und die wirtschaftliche Ausbeutung der Ostgebiete. Er war an der Beschlagnahme von Kunstgegenständen und anderer Vermögenswerte im Osten interessiert. Sein Brief vom 11. Januar 1944 forderte die Gründung einer großangelegten Organisation, um Gebrauchsgegenstände aus den besetzten Gebieten der ausgebombten deutschen Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.

Bormann war besonders tätig bei der Judenverfolgung, nicht bloß in Deutschland, sondern auch in den einverleibten oder eroberten Ländern. Er nahm teil an den Besprechungen, welche zur Überführung von 60000 Juden aus Wien nach Polen in Zusammenarbeit mit der SS und der Gestapo führten. Er unterzeichnete die Verordnung vom 31. Mai 1941, welche die Wirkung der Nürnberger Gesetze auf die einverleibten Ostgebiete ausdehnte. In einem Befehl vom 9. Oktober 1942 erklärte er, daß die dauernde Ausschaltung der Juden aus dem Gebiete Großdeutschlands nicht mehr durch Auswanderung erfolgen könne, sondern nur durch Anwendung »rücksichtsloser Gewalt« in den besonderen Lagern im Osten. Am 1. Juli 1943 unterzeichnete er eine Verordnung, welche den Juden den Schutz der Gerichte entzog und sie der ausschließlichen Rechtsprechung der Gestapo Himmlers unterstellte.

Bormann nahm hervorragenden Anteil am Zwangsarbeitsprogramm. Die Parteiführer beaufsichtigten in ihren jeweiligen Gauen die Zwangsarbeitsangelegenheiten mit Einschluß von Beschäftigung, [384] Arbeitsbedingungen, Ernährung und Unterbringung. Durch Rundschreiben vom 5. Mai 1943 an das Korps der Politischen Leiter, welches bis herunter zu den Ortsgruppenleitern verteilt wurde, erließ er Bestimmungen zur Regelung der Behandlung der Fremdarbeiter, wobei er unterstrich, daß diese in Sicherheitsfragen der Überwachung durch die SS unterständen, und er ordnete an, daß die bis dahin verübten Mißhandlungen aufzuhören hätten. Ein Bericht vom 4. September 1942 über die Verschickung von 500000 weiblichen Dienstboten aus dem Osten nach Deutschland zeigt, daß Sauckel, Himmler und Bormann diese Aktion beaufsichtigen sollten. Mit der Verordnung vom 8. September wies Sauckel die Kreisleiter an, die Verteilung und die Einweisung dieser weiblichen Dienstboten zu beaufsichtigen.

Bormann erließ auch eine Reihe von Befehlen an die Parteileiter über die Behandlung von Kriegsgefangenen. Am 5. November 1941 untersagte er würdige Begräbnisse russischer Kriegsgefangener. Am 25. November 1943 befahl er den Gauleitern, Fälle von milder Behandlung Kriegsgefangener zu melden. Und am 13. September 1944 befahl er den Kreisleitern, in der Frage der Heranziehung von Kriegsgefangenen zu Zwangsarbeit sich mit den Lagerkommandanten in Verbindung zu setzen. Am 29. Januar 1943 übermittelte er seinen Leitern Erlasse des OKW, welche den Gebrauch von Feuerwaffen erlaubten, ebenso die Anwendung von Körperstrafen gegen widersetzliche Kriegsgefangene, im Widerspruch zu den Bestimmungen der Landkriegsordnung. Am 30. September 1944 unterzeichnete er eine Verordnung, welche dem OKW die Rechtsprechung über Kriegsgefangene entzog und sie Himmler und der SS überantwortete.

Bormann trägt die Verantwortung für das Lynchen alliierter Flieger. Am 30. Mai 1944 verbot er das Eingreifen der Polizei oder die Einleitung von Strafverfahren gegen Personen, die sich am Lynchen alliierter Flieger beteiligt hatten. Dies war von einem Goebbelsschen Propagandafeldzug begleitet, welcher das deutsche Volk zu derartigen Handlungen aufhetzte, auch die Besprechung vom 6. Juni 1944, wo Regeln über das Lynchen erörtert wurden, gehört hierher. Sein Verteidiger, der seine Tätigkeit unter schwierigen Umständen auszuüben hatte, war nicht imstande, dies Beweismaterial zu widerlegen. Angesichts der Dokumente, welche Bormanns Unterschrift tragen, ist schwer einzusehen, ob ihm dies gelungen wäre, selbst wenn der Angeklagte zugegen gewesen wäre. Sein Verteidiger brachte vor, daß Bormann tot sei, und daß der Gerichtshof nicht von Artikel 12 des Statuts, welcher ihm das Recht zu einem Strafverfahren in absentia gibt, Gebrauch machen möge. Aber es liegen keine überzeugenden Beweise für Bormanns Tod vor, und daher beschloß der Gerichtshof, wie schon früher bemerkt, ihn in absentia abzuurteilen. Sollte Bormann noch am Leben sein [385] und späterhin verhaftet werden, so bleibt es, laut Artikel 29 des Statuts, dem Kontrollrat für Deutschland überlassen, irgendwelche mildernde Umstände in Erwägung zu ziehen, und, falls es ihm angezeigt erscheint, das Urteil abzuändern oder zu mildern.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 1, S. 383-386.
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