Vormittagssitzung.

[377] VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat einen Brief des Herrn Dr. Dix, Verteidiger für den Angeklagten Schacht, erhalten. In Beantwortung desselben wünscht der Gerichtshof die Verteidiger zu informieren, daß laut Artikel 24 (h) des Statuts ihnen nur eine Rede zusteht, und daß diese Rede nach Beendigung der gesamten Beweisaufnahme zu erfolgen hat.

Nach Beendigung der Beweisführung durch die Anklagevertreter wird den Verteidigern die Möglichkeit gegeben werden, dem Gerichtshof ihr Beweismaterial vorzulegen, das sich aber lediglich auf die Namensnennung von Zeugen und Tatsachen, die in ihrem Beweismaterial vorhanden sind, beschränken muß. Diese Beweisanbietung soll nicht in Form einer Rede vorgebracht werden. Ist das klar? Um irgendwelchen Mißverständnissen vorzubeugen, wird das soeben Gesagte im Informationszentrum der Verteidigung auf der Mitteilungstafel zur eingehenden Kenntnisnahme angeschlagen werden.


MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Bei Vertagung der Verhandlung letzten Freitag bin ich in mei nen Ausführungen über den Angriff gegen die USSR bis zu dem Zeitpunkt gekommen, da die Nazi-Verschwörer nach Ende der Kampfhandlungen im Westen die Entwicklung ihrer Pläne für den Angriff gegen die Sowjetunion begannen. Die vorläufigen Planungen und Aktionen befanden sich in einem fortgeschrittenen Stadium. Hitler hatte Anfang November bemerkt, daß detailliertere und bestimmte Instruktionen herausgegeben würden. Diese Instruktionen würden erscheinen, sobald die Operationspläne der Wehrmacht ihm im allgemeinen vorgelegt und von ihm genehmigt worden seien. Damit haben wir den Punkt im Ablauf der Ereignisse erreicht, den wir in der am letzten Freitag vorgelegten Skizze als Teil 3 des Planes »Barbarossa« bezeichnet haben. Nachdem am 18. Dezember 1940 der allgemeine Grundriß des Operationsplanes der Wehrmacht Hitler vorgelegt worden war, erging die grundlegende strategische Weisung an das Oberkommando des Heeres, der Kriegsmarine und der Luftwaffe für »Barbarossa« als Weisung Nummer 21.

Auf diese Weisung, die zum erstenmal den Plan einer Invasion gegen die Sowjetunion zeigt, wurde in einem Befehl besonders Bezug genommen, obwohl er als Geheime Kommandosache bezeichnet war. Er benützt auch zum erstenmal den Decknamen »Barbarossa«, um diese Operation zu kennzeichnen.

[377] Diese Weisung ist 446-PS und wurde im Laufe meiner Eröffnungsdarlegungen als Beweisstück US-31 unterbreitet. Da sie seinerzeit eingehend besprochen wurde, glaube ich, ist es ausreichend, den Gerichtshof jetzt lediglich an zwei oder drei der wichtigsten Sätze dieser Urkunde zu erinnern. Die meisten derselben befinden sich auf der ersten Seite der englischen Übersetzung. Ich glaube, einer der bezeichnendsten Sätze ist der Satz, mit dem der Befehl beginnt:

»Die deutsche Wehrmacht muß darauf vorbereitet sein, auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrußland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen.«

Auf der gleichen Seite heißt es:

»Vorbereitungen, die eine längere Anlaufzeit benötigen, sind – soweit nicht geschehen – schon jetzt in Angriff zu nehmen und bis zum 15. Mai 1941 abzuschließen. Entscheidender Wert ist darauf zu legen, daß die Absicht eines Angriffs nicht erkennbar wird.«

Die Weisung legt dann die Strategie in großen Zügen nieder, mit welcher der beabsichtigte Angriff vorschreiten solle, und den Anteil, welchen die verschiedenen Wehrmachtteile, Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe, daran hätten und sah mündliche Berichte der Oberbefehlshaber an Hitler vor.

Die Weisung schloß wie folgt:

»V.« – das ist auf Seite 2 – »Vorträgen der Herren Oberbefehlshaber über ihre weiteren Absichten auf Grund dieser Weisung sehe ich entgegen.

Die beabsichtigten Vorbereitungen aller Wehrmachtteile sind mir, auch in ihrem zeitlichen Ablauf, über das Oberkommando der Wehrmacht zu melden.«

Unterzeichnet von Hitler, und mit ihren Anfangsbuchstaben gezeichnet von Jodl, Keitel, Warlimont; ein Name ist unleserlich.

Es ist vollkommen klar, sowohl aus dem Inhalt des Befehls als solchen, wie auch aus seinem Ursprung, den ich bereits skizziert habe, daß diese Weisung nicht lediglich eine Übung in Generalstabsplanung darstellte. Es war ein Befehl für die Vorbereitung einer Angriffshandlung, die geplant war, und die sich tatsächlich ereignete. Die verschiedenen Wehrmachtteile, die den Befehl erhielten, faßten ihn zweifelsohne als einen Befehl zur Vorbereitung für einen Kampf auf und nicht als ein hypothetisches Stabsproblem. Das ergibt sich klar aus der in Einzelheiten gehenden Planung und Vorbereitung, die sie sofort in die Wege leiteten, um den in der grundlegenden Weisung enthaltenen allgemeinen Plan in die Tat umzusetzen.

So kommen wir jetzt zur militärischen Planung und Vorbereitung für die Durchführung des Planes »Barbarossa«.

[378] Das Seekriegstagebuch zeigt unter dem 13. Januar 1941, daß das OKM sehr bald den Teil der Weisung Nummer 21 erfüllte, der anordnete, daß Fortschritte in den Vorbereitungen über das Oberkommando der Wehrmacht an Hitler zu melden seien. Diese Eintragung in dem Kriegstagebuch ist Dokument C-35 in unserer Serie, und ich unterbreite es als US-132.

Dieses Dokument enthält einen wesentlichen Teil technischer Informationen bezüglich der Rolle, welche die Kriegsmarine in dem bevorstehenden Feldzug spielen sollte, und der Weise, wie sie sich für diese Rolle vorbereitete. Ich glaube jedoch, daß für die Klarstellung unseres Beweispunktes, nämlich daß die Marine aktive Vorbereitung für einen Angriff zu diesem frühen Zeitpunkt traf, es ausreichend ist, nur einen kleinen Abschnitt dieser Tagebucheintragung in das Protokoll zu verlesen. Auf Seite 1 der englischen Übersetzung, die der Seite 401 des Tagebuchs entspricht, heißt es wie folgt:

»30. Januar 1941: Vortrag Ia über die dem Oberkommando der Wehrmacht einzureichenden Absichten und Anträge für den Fall ›Barbarossa‹.«

Ich darf vielleicht bemerken, daß »Ia« in diesem Falle die Abkürzung für: »Stellvertretender Chef der Seekriegsleitung« ist. Dann folgt eine Liste von den Absichten der Kriegsmarine im Kriege gegen Rußland. Unter letzteren sind viele Aufgaben für die Kriegsmarine vorgesehen, aber ich glaube, daß es genügt, dem Gerichtshof ein Beispiel zu geben, das typisch ist. Ich lese von Beginn der Seite 2 der englischen Übersetzung:

»II. Absichten der Kriegsführung gegenüber Rußland...

d) Beunruhigung russischer Flotte durch Überraschungsschläge wie: 1. Schlagartiger Einsatz von Luftkampf verbänden bei Kriegsbeginn gegen Stützpunkte und Seestreitkräfte in der Ostsee, Schwarzem Meer und Eismeer.«

Es ist lediglich das Ziel der Vorlage dieses Dokuments, die ins einzelne gehende Überlegung und Planung zur Durchführung des Planes »Barbarossa« zu zeigen, die beinahe sechs Monate, bevor das Unternehmen tatsächlich seinen Anfang nahm, im Gange war. Es ist nur ein weiteres Stück in dem Mosaik des Beweismaterials, das über alle Zweifel hinaus zeigt, daß die Invasion der Sowjetunion einen der kaltblütigsten und mit Vorbedacht ausgeführten Angriffe auf einen Nachbarstaat in der Weltgeschichte darstellt. In ähnlicher Weise enthält das Seekriegstagebuch für den Monat Februar zumindest einige Hinweise auf die Planung und die Vorbereitung des kommenden Feldzuges. Auszüge dieser Hinweise sind in Dokument C-33 enthalten, das ich als Beweisstück US-133 vorlege. Ich glaube, daß es genügt, als typisch die Eintragung für den [379] 19. Februar 1941 zu Protokoll zu geben, die auf Seite 3 der englischen Übersetzung und auf Seite 248 des Tagebuches selbst zu finden ist:

»Mit Rücksicht auf die bevorstehende Unternehmung ›Barbarossa‹, zu der alle ›S‹-Boote in der Ostsee gebraucht werden, kommt eine Überführung erst nach Ablauf der Unternehmung ›Barbarossa‹ in Frage.«

Am 3. Februar 1941 hielt der Führer eine Besprechung ab, um die Fortschritte, die bis jetzt im Plane »Barbarossa« gemacht worden waren, zu bewerten. Die Teilnehmer besprachen auch die Pläne für »Sonnenblume«, welches der Deckname für die nordafrikanischen Operationen war. Außer Hitler nahmen an dieser Konferenz teil der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, der Angeklagte Keitel; der Chef des Wehrmachtführungsstabes, der Angeklagte Jodl; der Oberbefehlshaber des Heeres, Brauchitsch; der Generalstabschef des Heeres, Halder, sowie mehrere andere, einschließlich Oberst Schmundt, der Adjutant Hitlers. Ein Bericht über diese Besprechung ist in unserem Dokument 872-PS enthalten, das ich als Beweisstück US-134 unterbreite. Im Verlauf dieser Konferenz erstattete der Generalstabschef des Heeres einen langen Bericht über die Stärke des Feindes im Vergleich zu den eigenen Kräften und die allgemeinen Gesamtpläne für das Invasionsunternehmen. Dieser Bericht wurde mehrfach durch Zwischenbemerkungen des Führers unterbrochen. Auf Seite 4 der englischen Übersetzung des Protokolls der Besprechung, Seite 5 des deutschen Originals, ist ein interessanter Auszug, der, obwohl nur in Stichworten, es jedoch zur Genüge klarstellt, daß sorgfältig ausgearbeitete Pläne für den Zeitablauf bereits bestanden, und zwar sowohl für den Aufmarsch von Truppen als auch für industrielle Operationen. Ich lese:

»Beabsichtigter Zeitablauf wird kartenmäßig vorgetragen.

1. Aufmarschstaffel z. Zt. Austausch Front-Heimat-Osten.

2. Aufmarschstaffel ab Mitte März gibt 3 Div. Verstärkung im Westen, es verschwinden im Westen aber Heeresgruppen und AOKs im Osten bereits wesentliche Verstärkungen, aber noch im rückwärtigen Gebiet. Von dieser Zeit ab ist Attila nur noch schwierig durchzuführen.«

Ich möchte einfügen, daß »Attila« der Deckname für die Operation der Besetzung des unbesetzten Frankreich war.

»Wirtschaftsverkehr wird durch Transportbewegungen gedrosselt. Ab Anfang April Ungarn wegen Durchmarsch angehen.

3. Aufmarschstaffel ab Mitte April. Jetzt Felix nicht mehr möglich, da Masse der Heeresartillerie verladen.«

»Felix« war der Deckname für die geplante Operation gegen Gibraltar.

[380] »Wirtschaftlich Höchstleistungsfahrplan in Kraft. Keine Tarnung mehr.

4. Staffel ab 25. IV. – 15. V. zieht wesentliche Kräfte aus dem Westen ab (Seelöwe nicht mehr durchführbar).«

»Seelöwe« war der Deckname für die geplante Aktion gegen England und »Marita« war der Deckname für die Aktion gegen Griechenland, von dem wir später hören werden.

»Aufmarsch im Osten klar erkennbar. Höchstleistungsfahrplan bleibt. 8 Maritadivisionen zeigt Schlußbild der Kräfteverteilung auf Karte. Ob.d.H. (Oberkommandierender des Heeres) bittet 5 Überwachungsdivisionen nicht mehr hierfür einsetzen zu müssen, sondern diese Kräfte als Befehlshaberreserven im Westen bereitzustellen.

Führer: Wenn Barbarossa steigt, hält die Welt den Atem an und verhält sich still.«

Dieses gemeinsam mit den Beschlüssen der Besprechung, die ich sogleich verlesen werde, genügt als Beweis, daß die Armee und die Kriegsmarine »Barbarossa« als eine direkte Angriffsweisung betrachteten und mit ihren Kriegsvorbereitungen schon im Februar 1941, fast 5 Monate vor dem 22. Juni, dem Tage des Beginns des Angriffs, in einem fortgeschrittenen Stadium waren. Der Sitzungsbericht faßt die getroffenen Beschlüsse, soweit sie den Plan »Barbarossa« betreffen, wie folgt zusammen; ich lese nun auf Seite 6 der englischen Übersetzung, Seite 7 des deutschen Textes:

» Zusammenfassung.

1. Barbarossa:

a) Führer mit Operationsanlage im Großen einverstanden. Bei Durcharbeitung Hauptziel, Baltikum und Leningrad in die Hand zu bekommen, vor Augen haben.

b) Führer wünscht Operationskarte und Kräfteverteilungskarte von Aufmarschabschnitten baldmöglichst zu erhalten.

c) Absprachen mitbeteiligten Anliegerstaaten dürfen erst eingeleitet werden, wenn Tarnung nicht mehr möglich. Ausnahme Rumänien bzgl. Verstärkung Moldau.

d) Attila muß in jedem Fall durchführbar sein (Behelfsmittel).

e) Aufmarsch Barbarossa wird als Täuschung für Seelöwe und Nebenmaßnahme Marita getarnt.«

Am 13. März 1941 unterzeichnete der Angeklagte Keitel Operationsrichtlinien zur Führerweisung Nummer 21, die in der Form von »Richtlinien auf Sondergebieten« herausgegeben wurden. Dieser ins einzelne gehende Operationsbefehl ist Dokument 447-PS, und ich unterbreite es jetzt als US-135.

[381] Dieser Befehl, der mehr als drei Monate vor dem Angriff erteilt wurde, zeigt die Vollständigkeit des Planes in allen Phasen des Unternehmens.

Abschnitt 1 der Richtlinien trägt die Überschrift: »Operationsgebiet und vollziehende Gewalt« und besagt, wer die Kontrolle haben sollte, über welche Teile und in welchem Abschnitt. Darin wird ausgeführt, daß während der Dauer des Feldzuges in den Vormarschgebieten der Oberbefehlshaber des Heeres die vollziehende Gewalt habe. Während dieser Zeit ist jedoch der Reichsführer SS mit Sonderaufgaben betraut. Diese Beauftragung wird im Absatz 2b erwähnt, auf Seite 1 der englischen Übersetzung.

Er lautet:

»b) Im Operationsgebiet des Heeres erhält der Reichsführer SS zur Vorbereitung der politischen Verwaltung Sonderaufgaben im Auftrage des Führers, die sich aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegengesetzter politischer Systeme ergeben. Im Rahmen dieser Aufgaben handelt der Reichsführer SS selbständig und in eigener Verantwortung. Im übrigen wird die dem Ob.d.H. und den von ihm beauftragten Dienststellen übertragene vollziehende Gewalt hierdurch nicht berührt. Der Reichsführer SS sorgt dafür, daß bei Durchführung seiner Aufgaben die Operationen nicht gestört werden. Näheres regelt das OKH mit dem Reichsführer SS unmittelbar.«

Der Befehl führt dann weiter aus, daß einige Zeit später eine politische Verwaltung von Reichskommissaren aufgestellt würde und bespricht das Verhältnis dieser Funktionäre zum Heer. Dies finden wir in Absatz 2c und Absatz 3, von denen ich Teile verlesen möchte.

»c) Sobald das Operationsgebiet eine ausreichende Tiefe erreicht hat, wird es rückwärts begrenzt. Das neubesetzte Gebiet rückwärts des Operationsgebietes erhält eine eigene politische Verwaltung. Es wird entsprechend den volkstumsmäßigen Grundlagen und in Anlehnung an die Grenzen der Heeresgruppen zunächst in Nord (Baltikum), Mitte (Weißrußland) und Süd (Ukraine) unterteilt. In diesen Gebieten geht die politische Verwaltung auf Reichskommissare über, die ihre Richtlinien vom Führer empfangen.

3. Zur Durchführung aller militärischen Aufgaben in den politischen Verwaltungsgebieten rückwärts des Operationsgebietes werden Wehrmachtsbefehlshaber eingesetzt, die dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht unterstehen. Der Wehrmachtsbefehlshaber ist der oberste Vertreter der Wehrmacht in dem betreffenden Gebiet und übt die militärischen [382] Hoheitsrechte aus. Er hat die Aufgaben eines Territorial-Befehlshabers und die Befugnisse eines Armee-Oberbefehlshabers bzw. Kommandierenden Generals. In dieser Eigenschaft obliegen ihm vor allem folgende Aufgaben:

a) Enge Zusammenarbeit mit dem Reichskommissar, um ihn in seiner politischen Aufgabe zu unterstützen,

b) Ausnutzung des Landes und Sicherung seiner wirtschaftlichen Werte für die Zwecke der deutschen Wirtschaft.«

Die Weisung legt auch die Verantwortung für die Wirtschaftsverwaltung in den besetzten Gebieten fest, einen Gegenstand, auf den ich noch später ausführlich zurückkommen werde. Diese Bestimmung ist auch im Abschnitt I, Absatz 4, enthalten, den ich verlesen möchte:

»4. Mit der einheitlichen Leitung der Wirtschaftsverwaltung im Operationsgebiet und in den politischen Verwaltungsgebieten hat der Führer den Reichsmarschall beauftragt, der diese Aufgaben dem Chef des Wi Rü Amtes übertragen hat. Besondere Richtlinien hierzu ergehen vom OKW/Wi Rü Amt.«

Der zweite Abschnitt behandelt Personen-, Warenverkehr und...

VORSITZENDER: Herr Alderman, können Sie uns nicht die Namen dieser Leute nennen? Wer ist der Reichsmarschall?

MR. ALDERMAN: Der Reichsmarschall ist der Angeklagte Göring.


VORSITZENDER: Und wer war Reichsführer der SS zu der Zeit?


MR. ALDERMAN: Himmler.


VORSITZENDER: Himmler?


MR. ALDERMAN: Ja.

Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit Personen-, Waren- und Nachrichtenverkehr. Ich werde ihn jetzt nicht verlesen.

Abschnitt III der Weisung betrifft die Beziehungen zu gewissen anderen Ländern und besagt zum Teil das Folgende. Ich werde jetzt von Seite 3 der englischen Übersetzung vorlesen:

»III. Richtlinien für Rumänien, Slowakei, Ungarn und Finnland.

9. Die erforderlichen Vereinbarungen mit diesen Staaten werden entsprechend den Anträgen der Oberkommandos vom OKW in Verbindung mit dem Auswärtigen Amt getroffen. Soweit darüber hinaus im weiteren Verlauf der Operationen besondere Rechte sich als notwendig erweisen sollten, sind sie beim OKW zu beantragen.«

Das Dokument schließt mit dem Abschnitt, der sich auf Schweden bezieht und der sich auch auf Seite 3 der englischen Übersetzung befindet:

[383] »IV. Richtlinien für Schweden.

12. Da Schweden lediglich ein Durchmarschgebiet werden kann, sind für den Befehlshaber der deutschen Truppen keine besonderen Befugnisse vorgesehen. Er ist jedoch berechtigt und verpflichtet, den unmittelbaren Schutz der Eisenbahntransporte gegen Sabotageakte und Angriffe sicher zu stellen. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht:«

Unterschrift: »Keitel«.

Wie in dem ursprünglichen Befehl »Barbarossa«, Weisung Nummer 21, den ich vorher besprochen habe, hatte der Plan zunächst beabsichtigt, daß der Angriff ungefähr am 15. Mai 1941 stattfinden sollte. In der Zwischenzeit fanden sich die Nazi-Verschwörer jedoch in einen Feldzug im Balkan verwickelt und waren gezwungen, »Barbarossa« auf einige Wochen zu verschieben. Beweis für diese Verschiebung ist in einem Dokument zu finden, das unsere Nummer C-170 trägt. Dieses Dokument wurde von dem Angeklagten Raeder als eine Zusammenstellung offizieller Auszüge aus dem Kriegstagebuch der Seekriegsleitung identifiziert. Es wurde von Marinearchivaren verfaßt, die zu den Akten des Admiralstabs Zugang hatten, und es enthält Aktenverweise auf Urkunden, die die Grundlage für jede Eintragung bilden. Ich unterbreite diese Urkunde als US-136.

Obwohl ich später auf dieses Dokument zurückkommen werde, mochte ich zunächst nur einen Punkt vorlesen, der im zweiten Abschnitt des Artikels 142 auf Seite 19 der englischen Übersetzung erscheint und der sich im Wortlaut und in einer Fußnote auf Seite 26 des deutschen Originals befindet. Dieser Artikel trägt das Datum des 3. April 1941 und lautet folgendermaßen:

»Balkanoperation verzögert ›Barbarossa‹ zunächst um rund 5 Wochen. Alle Maßnahmen, die auf offensives Vorgehen schließen lassen, sind auf Führerbefehl zurückzustellen.«

Ende April war die Lage genügend geklärt, um dem Führer zu gestatten, endgültig den X-Tag auf den 22. Juni 1941 festzulegen, also für mehr als 7 Wochen später.

Dokument 873-PS ist ein Bericht, »Geheime Kommandosache«, und bezieht sich auf eine Konferenz mit dem Chef der Abteilung »Landesverteidigung des Wehrmachtführungsstabes« vom 30. April 1941. Ich lege dieses Dokument als Beweisstück US-137 vor.

Ich glaube, daß es genügen wird, die ersten zwei Absätze des Berichts zu verlesen:

»1. Zeitplan Barbarossa. Der Führer hat entschieden:

Beginn Barbarossa 22. Juni.

Ab 23. Mai Höchstleistungsfahrplan.

[384] Zu Beginn der Operationen sind OKH-Reserven in den vorgesehenen Räumen noch nicht eingetroffen.

2. Stärke-Verhältnis im Fall Barbarossa:

Abschnitt Nord: Deutsche und russische Kräfte etwa gleich;

Abschnitt Mitte: Starke deutsche Überlegenheit;

Abschnitt Süd: Russische Überlegenheit.«

Anfangs Juni, fast 3 Wochen vor dem X-Tag, waren die Vorbereitungen für den Angriff soweit vervollständigt, daß es für das OKH möglich war, einen wohlausgearbeiteten Zeitplan herauszugeben, der in großen Einzelheiten die Aufstellung und Aufgaben des Heeres, der Marine und Luftwaffe zeigte. Dieser Zeitplan ist C-39, und ich lege ihn als US-138 vor.

Dieses Dokument ist in 21 Ausfertigungen erschienen und die Ausfertigung, die ich hier vorlege, war die dritte, die dem Oberkommando der Kriegsmarine übergeben wurde. Seite 1 ist in Form eines Sendeschreibens und lautet wie folgt:

»Geheime Kommandosache

Oberkommando der Wehrmacht

Führerhauptquartier

Nr. 44842/41

g.k. Chefs. WFSt/Abt. L (I Op.)

Chef Sache

21 Ausfertigungen

Nur durch Offizier

3. Ausfertigung

(Eingangsstempel:) Ob. d.M.

I op 00845/41

Eing: 6. 6.

Anlagen: –

Der Führer hat anliegende Zeittafel als Grundlage der weiteren Vorbereitungen für den Fall ›Barbarossa‹ genehmigt. Sollten beim Ablauf Änderungen erforderlich werden, ist dies dem Oberkommando der Wehrmacht zu melden.

Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht gez.: Keitel«

Ich werde mir nicht die Mühe nehmen, den Verteilungsplan vorzulesen, der anzeigt, an wen die 21 Ausfertigungen gingen.

VORSITZENDER: Herr Alderman, der Gerichtshof glaubt nicht, daß es notwendig ist, alle diese vorhergehenden Zeichen am Kopfe dieser Dokumente zu verlesen, wie »Geheime Kommandosache«, »Nur durch Offizier« und die verschiedenen Refereznummern und Aktenvermerke, wenn Sie die Benennung eines Dokuments vornehmen.

MR. ALDERMAN: Ja, Herr Vorsitzender.

Die nächsten zwei Seiten des Dokuments sind in Textform und geben den Stand der Vorbereitungen am 1. Juni 1941 an. Der [385] Umriß zerfällt in sechs Abschnitte, der den Stand an diesem Datum unter sechs Überschriften angibt: Allgemeines, Besprechungen mit befreundeten Staaten, Heer, Kriegsmarine, Luftwaffe und Tarnung.

Ich glaube, es ist unnötig, etwas aus diesem Textmaterial für das Protokoll zu verlesen. Der Rest des Dokuments ist in Form einer Tabelle angelegt mit sieben Kolonnen, die von links nach rechts gehend oben auf jeder Seite folgende Bezeichnungen tragen: Zeitpunkt, Laufende Nummer, Heer, Luftwaffe, Kriegsmarine, OKW und Bemerkungen.

Am interessantesten von den Eintragungen auf dieser Tabelle ist...


VORSITZENDER: Herr Alderman, wollen Sie bitte den ersten Abschnitt verlesen, der uns wichtig er scheint. Es sind zwei Zeilen.


MR. ALDERMAN: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Die Überschrift »Allgemeines« auf Seite 2.


MR. ALDERMAN: Ja, Herr Vorsitzender.

»1. ›Allgemeines‹: Am 22. Mai ist der Höchstleistungsfahrplan für den Ostaufmarsch angelaufen.«


VORSITZENDER: Ja.

MR. ALDERMAN: Die interessanteste Eintragung, die auf dieser Tabelle erscheint, ist die der Seiten 9 und 10. Diese befinden sich auf Seite 8 des deutschen Textes. Am Ende der Seite 9 heißt es in den Kolonnen für Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe – ich zitiere:

»Bis 13.00 Uhr spätester Anhaltetermin.«

In der Kolonne mit der Überschrift OKW befindet sich eine Notiz, und ich zitiere weiter:

»Anhalten durch Stichwort ›Altona‹ oder nochmalige Bestätigung des Angriffsbeginns durch Stichwort ›Dortmund‹.«

In der Kolonne »Bemerkung« steht:

»Völlige Enttarnung der Treffpunktbildung beim Heer (Panzer- und Artillerieaufmarsch) muß in Kauf genommen werden.«

Die zweite Eintragung auf Seite 10 dieser Tabelle für den 22. Juni unter der laufenden Nummer 31 ist ein Vermerk, der quer über die Kolonnen für Heer, Luftwaffe, Kriegsmarine und OKW läuft und unter der Überschrift »Angriffstag« vorsieht:

»Uhrzeit für Angriffsbeginn des Heeres und Grenzüberflug der Luftwaffe: 3.30 Uhr.«

In der Kolonne »Bemerkungen« heißt es:

»Antreten des Heeres unabhängig von etwa durch Witterung verzögertem Start der Luftwaffe.«

Die anderen Teile der Tabelle sind in ähnlicher Weise, wie ich sie schon zitiert habe, gehalten und behandeln, wie ich bereits gesagt [386] habe, in allen Einzelheiten Verteilung und Aufgaben der verschiedenen Wehrmachtteile. Am 9. Juni 1941 kam der Befehl des Führers heraus, daß endgültige Berichte über den Fall »Barbarossa« in Berlin am 14. Juni 1941, gerade 8 Tage vor »X-Tag«, erstattet werden sollten. Dieser Befehl war von Hitlers Adjutant Schmundt unterschrieben und trägt die Nummer C-78 in unserer numerierten Dokumentenserie. Ich unterbreite ihn als US-139.

Ich verlese jetzt von Seite 1 die Stelle unter der Überschrift »Besprechung Barbarossa«:

1. Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht hat Vortrag für ›Barbarossa‹ durch die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen, Armeen und gleichgestellte Befehlshaber der Kriegsmarine und Luftwaffe befohlen.

2. Die Vorträge finden am Sonnabend, dem 14. Juni 1941, in der Reichskanzlei Berlin statt.

3. Zeiteinteilung:

a) 11.00 Uhr ›Silberfuchs‹

b) 12.00 bis 14.00 Uhr ›Heeresgruppe Süd‹

c) 14.00 bis 15.30 Uhr Gemeinsamer Mittagtisch für alle Besprechungsteilnehmer

d) ab 15.30 Uhr ›Ostsee‹, ›Heeresgruppe Nord‹ und ›Heeresgruppe Mitte‹ in dieser Reihenfolge.«

Der Befehl war von Schmundt unterschrieben. Eine Liste der Teilnehmer war beigefügt, und sie enthielt auch die Reihenfolge, in der sie ihre Berichte erstatten sollten; letzteres werde ich nicht verlesen. Die Liste enthält jedoch eine große Anzahl von Mitgliedern der angeklagten Oberkommando- und Generalstabsgruppe zu diesem Zeitpunkt. Natürlich befanden sich unter denen, die teilnehmen sollten, die Angeklagten Göring, Keitel, Jodl und Raeder. Ich glaube, daß die Urkunden, die ich angeführt und aus denen ich verlesen habe, mehr als ausreichen, um die Vorsätzlichkeit und die kaltblütige Berechnung schlüssig zu beweisen, die die militärischen Vorbereitungen für die Invasion der Sowjetunion kennzeichnen. Die Nazi-Verschwörer begannen beinahe ein Jahr vor der Begehung des Verbrechens mit der Planung und Vorbereitung aller militärischen Einzelheiten ihres Angriffs auf die Sowjetunion, und zwar mit jener Gründlichkeit und Sorgfalt, die für uns ein Synonym für den deutschen Charakter ist. Obgleich verschiedene dieser Angeklagten besondere Rollen in dieser militärischen Phase der Planung und Vorbereitung für den Angriff spielten, ist es nur natürlich, daß, wie wir gesehen haben, die Militärs, nämlich die Angeklagten Göring, Keitel, Jodl und Raeder, die Hauptrollen innehatten.

[387] Als nächstes die Vorbereitung für Plünderung, die Pläne für die wirtschaftliche Ausnutzung und Ausraubung der Sowjetunion.

Die Nazi-Verschwörer trafen die einzelnen Vorbereitungen für den Überfall nicht nur von einem rein militärischen Standpunkt, sondern, um sich zu versichern, daß ihr Angriff auch von wirtschaftlichem Nützen sei, wurde er von den Nazi-Verschwörern in dieser Hinsicht ebenso ausführlich und im einzelnen geplant und vorbereitet. Etwas später in meiner Beweisführung werde ich gegenüber dem Gerichtshof die Motive besprechen, welche diese Verschwörer veranlaßten, ohne Herausforderung einen Nachbarstaat anzugreifen. Ich werde zu gegebener Zeit beweisen, daß das Verbrechen sowohl aus politischen als auch wirtschaftlichen Erwägungen begangen wurde. Die wirtschaftliche Basis kann an diesem Punkt jedoch einfach zusammengefaßt werden als die Sucht der Nazi-Verschwörer nach Erlangung der Rohmaterialien, Nahrungsmittel und anderer Vorräte, die ihr Nachbar besaß, und die sie als notwendig erachteten, um ihre Kriegsmaschine in Gang zu halten. Für diese Angeklagten bedeutete jedoch ein solches Bedürfnis ein unbestreitbares Recht, und sie begannen frühzeitig die Planung und Vorbereitung mit dem typischen Augenmerk für Einzelheiten, um sicher zu sein, daß jedes Stück Beute, das sie im Laufe des Angriffs erfassen könnten, auch zu ihrem äußersten Vorteil ausgenutzt würde.

Ich habe bereits den Beweis vorgebracht, daß schon im August 1940 General Thomas, der Chef der Heeresgruppe B, vom Angeklagten Göring einen Hinweis auf einen möglichen Angriff auf die Sowjetunion erhielt, welcher ihn veranlaßte, die Wehrwirtschaft der Sowjetunion zum Gegenstand seiner Erwägungen zu machen. Ich sagte seinerzeit auch, daß ich zu einem späteren Zeitpunkt den Beweis erbringen würde, daß im November 1940, acht Monate vor dem Angriff, Thomas kategorisch von Göring über die geplante Operation im Osten unterrichtet wurde, und vorläufige Vorbereitungen für die wirtschaftliche Ausplünderung der im Verlauf der Operationen zu besetzenden Gebiete getroffen wurden. Göring hat natürlich hierbei, dank seiner Stellung als Beauftragter für den Vierjahresplan, die allerwichtigste Rolle gespielt.

Thomas beschreibt den Empfang dieser Kenntnis und dieser frühen Planung auf Seite 369 seines Buch entwurfs, 2353-PS, bereits vorgelegt als US-35. Ich verlese von Seite 10 und 11 der englischen Übersetzung:

»Im November 1940 wurde der Chef Wi Rü Amt zusammen mit Staatssekretär Körner, Neumann, Backe und General von Hannecken vom Reichsmarschall über die geplante Ostoperation unterrichtet.

[388] Auf Grund dieser Weisungen wurde Ende 1940 im Wi Rü Amt mit den Vorarbeiten für den Ostfeldzug begonnen. Die Vorarbeiten für den Ostfeldzug umfaßten zunächst folgende Aufgaben:

1. Schaffung eines eingehenden Bildes über die russische Rüstungsindustrie, ihre Lageorte, ihre Leistungsfähigkeit und ihre Zusammenhänge,

2. Untersuchung der Leistungsfähigkeit der einzelnen großen Rüstungszentren und ihrer Abhängigkeit voneinander,

3. Feststellung des Energie- und Verkehrsnetzes für die Wirtschaft der Sowjetunion,

4. Untersuchung der Rohstoff- und Erdölvorkommen,

5. Schaffung eines Überblicks über die Nichtrüstungswirtschaft der Sowjetunion.

Diese Punkte wurden in einer großen Bearbeitung ›Wehrwirtschaft der Sowjetunion‹ zusammengefaßt und mit eingehendem Kartenmaterial versehen.«

Ich fahre fort in der Zitierung:

»Außerdem wurde eine Kartothek geschaffen, die alle wichtigen Betriebe Sowjetrußlands enthalten sollte, und ein Wirtschaftslexikon in deutsch-russischer Sprache für den Einsatz der deutschen Wehrwirtschaftsorganisation.

Für die Bearbeitung dieser Aufgaben wurde Anfang Januar 1941 ein Arbeitsstab Rußland eingesetzt, der zunächst dem Oberstleutnant Luther, später dem Generalmajor Schubert unterstellt wurde. Die Bearbeitung erfolgte nach den Weisungen des Amtschefs beziehungsweise der Amtsgruppe Ausland des Wi Rü Amtes unter Heranziehung aller Dienststellen, Wirtschaftsstellen und sonstiger Persönlichkeiten, die Kenntnisse über Rußland besaßen. Durch diese intensive Vorbereitungstätigkeit wurde ein hervorragendes Sachmaterial zusammengebracht, das für die Verwaltung des Landes von größtem Wert sein sollte.«

Soweit geht die Zitierung.

Gegen Ende Februar 1941 hatten die vorläufigen Planungen einen Punkt erreicht, an dem ein breiterer Organisationsplan gebraucht wurde, und General Thomas hielt deshalb am 28. Februar 1941 eine Besprechung mit seinem Stabe, um einen solchen Plan zu fordern. Ein Memorandum über diese Besprechung, »Geheime Kommandosache«, und datiert vom 1. März 1941, wurde erbeutet; es ist unser Dokument 1317-PS. Ich lege es jetzt vor als US-140. Der Text des Memorandums lautet wie folgt:

»Der General befahl, einen erweiterten Organisa tionsentwurf für den Reichsmarschall aufzustellen.

[389] Wesentlicher Inhalt:

1. Unterstellung der gesamten Organisation unter den Reichsmarschall. Zweck: Stützung und Erweiterung der Maßnahmen des Vierjahresplanes.

2. Organisation muß alles umfassen, was Wehrwirtschaft betrifft, ausgenommen nur Ernährung, auf deren Gebiet bereits Sonderauftrag an Staatssekretär Backe erteilt sein soll.

3. Eindeutige Feststellung, daß die Organisation unabhängig zu sein hat von der Militär- beziehungsweise Zivilverwaltung. Wohl enge Zusammenarbeit, aber Weisungen direkt von der Zentralstelle in Berlin.

4. Teilung der Arbeitsgebiete in zwei Sektoren:

a) Begleitung des Vormarsches, unmittelbar hinter der vordersten Front, um die Zerstörung von Vorräten zu vermeiden und den Abtransport wichtiger Güter sicherzustellen.

b) Verwaltung der besetzten Industriebezirke und Auswertung in sich zusammengehöriger Wirtschaftsbezirke.«

Und dann, am Ende der Seite 1:

»5. Angesichts des erweiterten Aufgabenkreises Bezeichnung ›Wehrwirtschafts-Inspektion‹ – statt ›Rüstungsinspektion‹ – vorzuziehen.

6. Angesichts des großen Aufgabenkreises großzügige Ausgestaltung der Organisation mit entsprechend zahlreichen Kräften erforderlich. Hauptaufgabe der Organisation werde in der Erfassung von Rohstoffen und in der Übernahme aller wichtigen Betriebe bestehen. Für die letztere Aufgabe würden zweckmäßigerweise von Antang an zuverlässige Persönlichkeiten deutscher Konzerne eingeschaltet werden, da nur mit Hilfe ihrer Erfahrungen von Beginn an erfolgreiche Arbeit geleistet werden könne (z.B.: Braunkohle, Erz, Chemie, Erdöl).

Nach Erörterung weiterer Einzelfragen wurde Oberstleutnant Luther beauftragt, innerhalb von 8 Tagen einen ersten derartigen Organisationsentwurf aufzustellen.

Enge Zusammenarbeit mit den einzelnen Abteilungen des Hauses erforderlich. Für Wi und Rü muß noch ein Offizier bestimmt werden, mit dem der Arbeitsstab in ständiger Verbindung bleiben kann. Wi soll jedem Abteilungschef und Oberstleutnant Luther ein Exemplar der neuen Ausarbeitung ›Rußland‹ zur Verfügung stellen.

Generalleutnant Schubert soll gebeten werden, sich in der zweiten Hälfte der nächsten Woche in Berlin einzufinden. Ebenso sollen sich die bei den einzelnen Rüstungsinspektionen [390] mit der Aufstellung beauftragten 4 Offiziere Ende nächster Woche beim Herrn Amtschef melden.« Unterschrift: »Hamann.«

Hamann, der den Bericht unterschrieb, war einer der Anwesenden mit dem Range eines »Hauptmann« und anscheinend der rangniedrigste Offizier, und so war es nur natürlich, daß es ihm zufiel, die Aufzeichnungen über diese Besprechung vorzunehmen.

Die Befugnisse und Aufgaben dieser Organisation, die Thomas auf Görings Befehl errichtete, wurden von Keitel klar in seinem Operationsbefehl vom 13. März 1941 anerkannt. Dieses ist Befehl 447-PS, den ich bereits früher als Beweis vorgelegt habe, und zwar als US-135.

Ich zitierte seinerzeit den Absatz des Befehls, der besagte, daß der Führer die einheitliche Leitung der Wirtschaftsverwaltung im Operationsgebiet sowie die politische Verwaltung des Gebietes dem Reichsmarschall übertragen habe, der seinerseits diese Befehlsgewalt auf den Chef des Wi Rü Amtes übertrug.

Die Organisationsarbeit, die von General Thomas in der Besprechung vom 28. Februar verlangt wurde, machte anscheinend gute Fortschritte, und am 29. April 1941 fand eine Besprechung mit den verschiedenen Wehrmachtszweigen zwecks Erklärung des organisatorischen Aufbaus des Wirtschaftsstabes »Oldenburg« statt. »Oldenburg« war der Deckname für das wirtschaftliche Gegenstück des Planes »Barbarossa«. Ein Bericht über diese Konferenz wurde erbeutet: Dokument 1157-PS, das ich jetzt als US-141 vorlege. Der erste Abschnitt dieses Memorandums behandelt die allgemeine Organisation des Wirtschaftsstabes »Oldenburg«, soweit sie damals entwickelt war, und ich möchte den größten Teil des Abschnittes für das Protokoll verlesen. Der Bericht beginnt:

»Besprechung mit den Wehrmachtteilen am Dienstag, dem 29. April 194, 10.00 Uhr.

I. Begrüßung. Zweck der Zusammenkunft: Einführung in den organisatorischen Aufbau des wirtschaftlichen Sektors des Unternehmens Barbarossa-Oldenburg.

Wie bereits bekannt, hat Führer im Gegensatz zu bisherigem Vorgehen für dieses Unternehmen einheitliche Zusammenfassung aller wirtschaftlichen Vorgänge befohlen und mit der Gesamtleitung der Wirtschaftsverwaltung im Operationsgebiet und in den politischen Verwaltungsgebieten den Reichsmarschall beauftragt. Dieser hat die Aufgabe einem wirtschaftlichen Führungsstab unter dem Chef Wi Rü Amt delegiert.

Unter dem Reichsmarschall und dem wirtschaftlichen Führungsstab steht als oberste Zentralstelle im Gebiet des Unternehmens selbst der« – und dann der Titel – »Wirtschaftsstab z. b. V. Oldenburg unter Generalleutnant Schubert.

[391] Ihm sind in örtlicher Aufgliederung unterstellt: 5 Wirtschaftsinspektionen, 23 Wirtschaftskommandos und 12 Außenstellen, die auf wichtige Plätze im Bereich der Wi Kdos verteilt sind. Die Verwendung dieser Dienststellen erfolgt im rückwärtigen Heeresgebiet; und zwar soll im Bereich jeder Heeresgruppe beim Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebietes eine Wirtschaftsinspekti on eingesetzt werden, der die Leitung der wirtschaftlichen Ausnutzung des Gebietes obliegt.

Von dem rückwärtigen Heeresgebiet zu unterscheiden ist das eigentliche Gefechtsgebiet und das rückwärtige Armeegebiet. In ihnen erfolgt die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Belange durch den IV Wi der AOKs, d.h. den VO des OKW/Wi Rü Amt bei den Armeeoberkommandos. Für das Gefechtsgebiet sind ihm beigegeben: Technische Bataillone sowie Erkundungs- und Bergungstrupps für Rohstoffe, Mineralöl, landwirtschaftliche Maschinen, insbesondere Traktoren und Produktionsmittel.

In dem zwischen dem Gefechts- und dem rückwärtigen Heeresgebiet liegenden rückwärtigen Armeegebiet sind dem VO des Wi Rü Amtes für die Unterstützung der Sachbearbeiter des AOK bei der Versorgung der Truppe aus dem Lande sowie zur Vorbereitung der späteren allgemeinen wirtschaftlichen Ausnutzung Gruppen IV Wi bei den einzelnen Feldkommandanturen zur Verfügung gestellt.

Während diese Einheiten mit der Truppe mitgehen, sind die Wirtschaftsinspektionen, Wi Kdos und Außenstellen bodenständig. Das Neue für die dem Wi Stab Oldenburg unterstellte Organisation ist, daß sie nicht nur die Wehrwirtschaft betreut, sondern das Gebiet der gesamten Wirtschaft umfaßt. Demzufolge sind alle Dienststellen nicht mehr als Wehrwirtschafts- oder Rü-Dienststellen bezeichnet, sondern ganz allgemein als Wirt schaftsinspektionen, Wirtschaftskommandos etc. Dem entspricht auch der innere Aufbau der einzelnen Dienststellen, die sich vom Wi Stab Oldenburg selbst bis zu den Wi Kdos hinunter gleichmäßig in drei große Gruppen gliedern, nämlich die Gruppe M, deren Arbeitsgebiet Truppenbedarf, Rüstung, wirtschaftliches Transportwesen umfaßt, die Gruppe L, die alle Fragen der Ernährung und Landwirtschaft bearbeitet, und die Gruppe W, der die Bearbeitung der gesamten gewerblichen Wirtschaft einschließlich Rohstoffe und Versorgungsbetriebe obliegt, ferner die Fragen der Forstwirtschaft, des Finanz- und Bankwesens, des Feindvermögens, des Handels- und Warenverkehrs und des Arbeitseinsatzes.

Als Beauftragter für Ernährung und Landwirtschaft ist beim Führungsstab Staatssekretär Backe eingesetzt, während die [392] Bearbeitung der Fragen des Bereichs der Gruppe W von General von Hannecken geleitet wird.«

Der Rest des Dokuments befaßt sich mit örtlichen Unterabteilungen, Personal und Planungsproblemen, sowie ähnlichen Einzelheiten, von denen ich nicht glaube, daß sie für das Protokoll von Bedeutung sind. Diese Urkunden geben ein aufschlußreiches Bild der kalt berechnenden Methode, mit der die Nazi-Verschwörer monatelang vorher die Beraubung und Ausplünderung ihres in Aussicht genommenen Opfers vorbereiteten. Sie zeigen, daß die Verschwörer nicht nur einen willkürlichen Angriff gegen einen Nachbarn planten, dessen Sicherheit sie garantiert hatten, sondern daß sie darüber hinaus beabsichtigten, ihn seiner Nahrungsmittel, seiner Fabriken und seiner Lebensmöglichkeiten zu berauben.

Wie ich später im großen Rahmen ausführen werde, wenn ich auf die Frage der Beweggründe eingehe, waren diese Männer sich voll bewußt, als sie ihre Ausplünderungspläne entwarfen, daß deren Ausführung notwendigerweise Ruin und Hunger von Millionen Einwohnern der Sowjetunion mit sich bringen würde.

VORSITZENDER: Der gegenwärtige Zeitpunkt erscheint mir für eine Pause geeignet.


[Pause von 10 Minuten.]


MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Es wurde mir von den Dolmetschern gesagt, daß ich heute Morgen zu schnell sprach. Ich werde versuchen, langsamer zu sprechen.

Als nächstes Kapitel möchte ich die Politik der Zerstörung, die Vorbereitung des politischen Teiles des Angriffs, vorbringen. Wie ich bereits angedeutet habe, und wie ich später ausführlicher darlegen werde, waren sowohl wirtschaftliche als auch politische Gründe der Verschwörer für den Einfall in Rußland ausschlaggebend. Ich habe bereits das Ausmaß der wirtschaftlichen Pläne und Vorbereitungen des Angriffs erörtert. Ebenso ausführlich planten und bereiteten die Verschwörer die Verwirklichung der politischen Ziele ihres Angriffs vor. Augenblicklich genügt es meiner Ansicht nach, festzustellen, daß ihr politisches Ziel die Beseitigung der Sowjetunion als eines mächtigen politischen Faktors in Europa und der Erwerb von Lebensraum war. Um dieses Ziel zu erreichen, wählten die Nazi-Verschwörer den Angeklagten Rosenberg als ihren Beauftragten. Schon am 2. April 1941 bereitete Rosenberg oder ein Mitglied seines Stabes ein Memorandum über die USSR vor. Dieses Memorandum spielt mit dem Gedanken einer möglichen Auseinandersetzung mit der USSR, die eine schnelle Besetzung eines bedeutenden Teiles dieses Landes nach sich ziehen würde. Dieses Memorandum erörtert dann, was das politische Ziel [393] einer solchen Besetzung sein sollte, und schlägt die Wege zur Erreichung dieses Zieles vor. Das Memorandum ist 1017-PS und ich lege es dem Gerichtshof als Beweisstück US-142 vor. Der zweite Abschnitt, unter der Überschrift »USSR« lautet wie folgt:

»Eine militärische Auseinandersetzung mit der USSR wird zu einer außerordentlich schnellen Okkupation eines wichtigen großen Teiles der USSR führen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß auf ein mi litärisches Vorgehen unsererseits sehr bald der militärische Zusammenbruch der USSR folgt. Die Besetzung der Gebiete würde dann weniger militärische als verwaltungsmäßige und wirtschaftliche Schwierigkeiten aufwerfen. Hier entsteht die erste Frage:

Soll die Besetzung von rein militärischen beziehungsweise wirtschaftlichen Notwendigkeiten bestimmt werden, oder sind für die Ausdehnung der Besetzung auch schon politische Gründe für eine künftige Gestaltung der Gebiete mitbestimmend? In diesem Falle ist die Festlegung des zu erreichenden politischen Zweckes vordringlich, da er unzweifelhaft auch auf das militärische Vorgehen zurückwirken wird.

Wird als Ziel des militärischen Vorgehens eine politische Zertrümmerung des östlichen Großreiches in seinem derzeitigen Schwächezustand festgelegt, dann ergeben sich folgende Schlußfolgerungen:

1. Die Besetzung muß ungeheuer große Gebiete umfassen.

2. Die Behandlung der einzelnen Gebietsteile sollte von vornherein auf die angestrebten politischen Ziele ausgerichtet werden, sowohl in verwaltungsmäßiger als auch wirtschaftlicher und ideologischer Hinsicht.

3. Die Behandlung der für diese ungeheuren Gebiete übergeordneten Fragen, wie insbesondere die Sicherstellung der kriegswichtigen Lieferungen zur Fortführung des Krieges gegen England, die Aufrechterhaltung der deswegen notwendigen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und die für die einzelnen Gebiete von einander völlig abweichenden großen Direktiven, sollten wiederum am besten in einer Stelle konzentriert werden.

Es soll hier nochmals betont werden, daß auch alle nachfolgenden Ausführungen natürlich nur nach Sicherstellung der zur Fortführung des Krieges für das Großdeutsche Reich eben notwendigen kriegswichtigen Lieferungen aus dem zu besetzenden Gebiet Geltung haben. Aus der Bevölkerungskarte Rußlands ergeben sich für den Kenner des Ostens folgende nationale oder geographische Einheiten:

[394] a) Großrußland mit Moskau als Zentrum,

b) Weißrußland mit Minsk bzw. Smolensk als Hauptstadt,

c) Estland, Lettland und Litauen,

d) Ukraine und die Krim mit Kiew als Zentrum,

e) das Dongebiet mit Rostow als Hauptstadt,

f) das Kaukasusgebiet,

g) Russisch-Mittel-Asien oder Russisch-Turkestan.«

Dieses Memorandum behandelt dann weiter jede Fläche oder geographische Einheit im einzelnen, und ich brauche diese Seiten nicht zu verlesen. Am Ende des Schriftstücks macht der Autor jedoch eine Zusammenfassung und legt seinen Plan dar. Ich möchte diesen Abschnitt für das Protokoll verlesen. Es ist unten auf Seite 4 der englischen Übersetzung, unter der Überschrift »Zusammenfassung«.

»Aus den hier flüchtig skizzierten Erwägungen ergibt sich folgender planmäßiger Aufbau:

1. Die Schaffung einer mehr oder minder nur auf die Kriegszeit beschränkten Zentralstelle für die besetzten Gebiete der USSR.

Ihr obläge im Einklang mit den obersten und oberen Reichsbehörden:

a) verbindliche politische Anweisungen unter Berücksichtigung der vorgefundenen Lage und des zu erreichenden Zieles an die einzelnen Verwaltungsgebiete herauszugeben.

b) Die kriegswichtigen Lieferungen aus allen besetzten Gebieten für das Reich zu sichern.

c) Die prinzipielle Durchführung der für alle Gebiete übergeordneten Fragen, wie z.B. der Finanz- und Geldmittel, des Transports, der Öl-, Kohlen- und Nahrungsmittelproduktion vorzubereiten und zu überwachen.

2. Die Durchführung einer scharf abgegrenzten Dezentralisation in den einzelnen national oder wirtschaftspolitisch zusammengefaßten Verwaltungsgebieten zur Durchführung der ihnen gestellten völlig verschiedenen Aufgaben.

Dagegen dürfte eine aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu errichtende schematische Verwaltungsstelle, wie sie zur Zeit ins Auge gefaßt wird, sehr bald ihre Unzulänglichkeit erweisen und ihren Zweck verfehlen. Eine solche Zentrale wäre gezwungen, eine gleichartige, nur von wirtschaftlichen Erwägungen diktierte Behandlung in allen Gebieten durchzuführen, was die Erfüllung der politischen Aufgabe behindern und bei der rein bürokratischen Zusammenfassung vielleicht sogar verhindern dürfte.

[395] Es erhebt sich daher die Frage, ob nicht aus rein zweckmäßigen Gründen von vornherein beim Aufbau der militärisch-wirtschaftlichen Verwaltung die dargelegten Gesichtspunkte berücksichtigt werden sollten. In Anbetracht der ungeheuren Räume und der allein daraus erwachsenden Schwierigkeiten der Verwaltung, sowie in Anbetracht der von den westeuropäischen völlig abweichenden Lebensverhältnisse, wie sie durch den Bolschewismus hervorgerufen worden sind, bedürfte die Gesamtfrage der USSR einer anderen Behandlung als sie bei den einzelnen Ländern Westeuropas zur Anwendung gebracht worden ist.«


MR. BIDDLE: Ist es unterschrieben?

MR. ALDERMAN: Nein, Herr Richter, es ist nicht unterschrieben.


MR. BIDDLE: Ist es in der Handschrift des Angeklagten Rosenberg?


MR. ALDERMAN: Es war in Rosenbergs Akten.


MR. BIDDLE: Ist irgendwie ersichtlich, daß er es geschrieben hat?

MR. ALDERMAN: Nein. Wie ich bereits sagte, wurde es augenscheinlich von Rosenberg oder seinem Stab vorbereitet. Wir erbeuteten alle Akten Rosenbergs, die tatsächlich eine große Bibliothek darstellen. Es ist augenscheinlich, daß die »aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu errichtende schematische Verwaltungsstelle«, auf die sich das Memorandum bezieht, der wirtschaftliche Stab »Oldenburg« war, welcher, wie bereits beschrieben, von Göring und General Thomas errichtet wurde.

Die Ausführungen Rosenbergs, vorausgesetzt, daß dies seine Ausführungen sind, über das politische Ziel der Invasion und seine Analyse der Durchführung stießen anscheinend nicht auf taube Ohren. Mit Erlaß des Führers vom 20. April 1941 wurde Rosenberg zum »Beauftragten für die zentrale Bearbeitung der Fragen des osteuropäischen Raumes« ernannt. Dieser Erlaß ist ein Teil der Korrespondenz über die Ernennung Rosenbergs, die mit der Nummer 865-PS versehen worden ist. Ich bitte, dieses Aktenstück, das durchwegs die gleiche Sache betrifft und aus vier Briefen besteht, die ich sämtlich verlesen oder anführen werde, als Beweisstück US-143 zuzulassen. Der Erlaß selbst lautet wie folgt, es ist der erste Teil der englischen Übersetzung von 865-PS:

»Ich ernenne den Reichsleiter Alfred Rosenberg zu meinem Beauftragten für die zentrale Bearbeitung der Fragen des osteuropäischen Raumes. Reichsleiter Rosenberg steht zur [396] Erfüllung der ihm damit übertragenen Aufgaben eine Dienststelle für die zentrale Bearbeitung der Fragen des osteuropäischen Raumes zur Verfügung, die nach seinen Anordnungen einzurichten ist.

Die für diese Dienststelle erforderlichen Mittel sind im Haushalt der Reichskanzlei in einer Pauschalsumme auszubringen. Führerhauptquartier, den 20. April 1941.

Der Führer, gez.: Adolf Hitler. Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei,

gez.: Dr. Lammers.«

Diese Kopie des Befehls des Führers war einem Brief beigelegt, den Dr. Lammers an den Angeklagten Keitel schrieb und in welchem er ihn um seine Mitarbeit mit Rosenberg ersuchte und ihn weiterhin bat, Keitel möge einen Stellvertreter ernennen, der mit Rosenberg arbeiten würde. Dieser Brief lautet wie folgt. Er ist auf dem Briefpapier des »Reichsminister und Chef der Reichskanzlei« geschrieben:

»Berlin, 21. April 1941.«

} Ich will die Anrede weglassen:

»Anbei übersende ich Ihnen Abschrift eines Führererlasses vom 20. ds. Mts., mit dem der Führer den Reichsleiter Alfred Rosenberg zu seinem Beauftragten für die zentrale Bearbeitung der Fragen des osteuropäischen Raumes bestellt hat. Reichsleiter Rosenberg soll in dieser Eigenschaft für eine möglicherweise sich ergebende Zwangslage mit größter Beschleunigung alle erforderlichen Vorbereitungen treffen. Der Führer wünscht, daß Rosenberg berechtigt sein soll, sich zu diesem Zwecke der engsten Mitarbeit der obersten Reichsbehörden zu bedienen, von ihnen Auskünfte zu erhalten und die Vertreter der obersten Reichsbehörden auch zu Beratungen heranzuziehen. Um die nötige Geheimhaltung des Auftrages und der zu treffenden vorbereitenden Maßnahmen zu gewährleisten, sollen zunächst nur diejenigen obersten Reichsbehörden unterrichtet werden, auf deren Mitarbeit Reichsleiter Rosenberg in erster Linie angewiesen ist. Das sind der Beauftragte für den Vierjahresplan« – Göring – »der Reichswirtschaftsminister und Sie« – Keitel –.

»Demgemäß darf ich Sie bitten, dem Wunsche des Führers entsprechend, Reichsleiter Rosenberg bei Durchführung der ihm gestellten Aufgaben Ihre Mitarbeit zur Verfügung zu stellen.

Im Interesse der Geheimhaltung der Angelegenheit wird es sich empfehlen, Reichsleiter Rosenberg einen Vertreter Ihres Amtes zu benennen, mit dem allein seitens der Dienststelle [397] des Reichsleiters zu verkehren wäre und der neben Ihrem ständigen Vertreter wohl auch als einziger über dieses Schreiben zu unterrichten sein dürfte.

Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mir den Empfang dieses Schreibens bestätigen würden. Heil Hitler! Ihr sehr ergebener« Unterschrift: »Dr. Lammers.«

In dem nächsten Brief schreibt Keitel an Lammers. Er bestätigt darin den Erhalt seines Briefes und teilt mit, daß er seiner Bitte stattgegeben habe. Keitel schreibt ebenfalls an Rosenberg und informiert ihn über die getroffenen Maßnahmen. Ich verlese nun den Text des Briefes an Dr. Lammers:

»Sehr verehrter Herr Reichsminister! Ich bestätige Ihnen den Empfang der Abschrift des Führererlasses, in dem der Führer den Reichsleiter Alfred Rosenberg zu seinem Beauftragten für die zentrale Bearbeitung der Fragen des osteuropäischen Raumes bestellt hat. Zu meinem ständigen Vertreter habe ich den Chef Wehrmachtführungsstab, General der Artillerie Jodl, sowie als dessen Vertreter den Generalmajor Warlimont dem Reichsleiter Rosenberg namhaft gemacht.«

Das Schreiben an den Reichsleiter Rosenberg vom gleichen Datum lautet:

»Der Chef der Reichskanzlei hat mir Abschrift des Führererlasses, mit dem der Führer Sie zu seinem Beauftragten für die zentrale Bearbeitung der Fragen des osteuropäischen Raumes bestimmt hat, zugeleitet. Mit der Bearbeitung dieser Fragen von Seiten des Oberkommandos der Wehrmacht habe ich den Chef des Wehrmachtführungsstabes, General der Artillerie Jodl, sowie als dessen Vertreter Generalmajor Warlimont beauftragt. Ich darf bitten, mit diesen allein seitens Ihrer Dienststelle verkehren zu wollen.«

Sofort nach Erhalt des Erlasses von Hitler begann Rosenberg seine Organisation aufzubauen, Besprechungen mit den verschiedenen Ministerien abzuhalten, Anweisungen zu erlassen und im allgemeinen detaillierte Pläne auszuarbeiten und Vorbereitungen zu treffen, die notwendig waren, um die ihm übertragene Aufgabe zu erfüllen. Obwohl die erbeuteten Akten Rosenbergs, die uns unversehrt in die Hände fielen, übervoll waren von Dokumenten, die sowohl das Ausmaß der Vorbereitungen wie ihr Ziel beweisen, glaube ich, daß die Zitierung einer kleinen Anzahl typischer Dokumente für den Gerichtshof sowie das Protokoll genügen dürften. Alle Dokumente, die ich besprechen werde, wurden in den Akten Rosenbergs gefunden.

Unser Dokument 1030-PS ist das Memorandum mit dem Datum vom 8. Mai 1941 und betitelt: »Allgemeine Instruktionen für alle [398] Reichskommissare in den besetzten Ostgebieten«. Ich lege dieses Dokument als Beweisstück US-144 vor.

In diesen Anweisungen an seine Hauptgefolgsleute skizziert Rosenberg die politischen Ziele und Absichten des Angriffs. Im zweiten und dritten Absatz der englischen Übersetzung, Seite 2 des deutschen Textes, finden sich die folgenden Bemerkungen:

»Politisches Ziel einer kriegerischen Auseinandersetzung kann nur sein, das Deutsche Reich für Jahrhunderte von dem großrussischen Druck zu befreien. Dies entspricht nicht nur deutschem Interesse, sondern auch einer historischen Gerechtigkeit, denn der russische Imperialismus konnte seine Eroberungs- und Unterdrückungspolitik nahezu ungehindert durchführen, während er selbst Deutschland immer wieder bedrohte. Deshalb muß das Deutsche Reich sich davor hüten, einen Feldzug gegen Rußland mit einer historischen Ungerechtigkeit zu beginnen, das heißt, ein russisches Großreich, gleich welcher Art, wieder zu errichten. Im Gegenteil, es sind alle geschichtlichen Kämpfe der verschiedenen Völker gegen Moskau und Petersburg auf ihre heutige Tragbarkeit zu prüfen. Dies ist seitens der nationalsozialistischen Bewegung geschehen. Es entspricht dem im Werk des Führers niedergelegten politischen Testament, daß nunmehr die militärische und politische Bedrohung im Osten für immer abgewälzt wird.

Deshalb muß dieser Riesenraum seinen geschichtlichen und volklichen Gegebenheiten entsprechend in Reichskommissariate aufgegliedert werden, deren jedes für sich eine andere politische Zielsetzung in sich trägt. Das Reichskommissariat Ostland, einschließlich Weißruthenien, wird die Aufgabe haben, in Form einer Hinentwicklung zu einem eingedeutschten Protektorat einen immer engeren Anschluß an Deutschland vorzubereiten. Die Ukraine soll ein selbständiger Staat im Bündnis mit Deutschland werden und Kaukasien mit den anschließenden Nordgebieten ein Föderativ staat mit einem deutschen Bevollmächtigten. Das eigentliche Rußland muß sich selbständig für die Zukunft einrichten. Diese allgemeinen Gesichtspunkte sind in nachstehenden Instruktionen für jeden Reichskommissar ausgeführt worden. Darüber hinaus gelten noch einige generelle Betrachtungen, die für alle Reichskommissare Gültigkeit haben.«

Der fünfte Abschnitt der englischen Übersetzung, Seite 7 im deutschen Text, stellt eine bestechende Begründung für einen beabsichtigten Raub dar. Es heißt dort:

»Das deutsche Volk hat in vielen Jahrhunderten im osteuropäischen Gebiet ungeheure Leistungen vollbracht. Nahezu [399] sein ganzes Eigentum an Boden und Häusern ist entschädigungslos enteignet worden, Hunderttausende sind (im Süden, an der Wolga) verschleppt oder verhungert, in den baltischen Gebieten um die Früchte einer 700jährigen kulturellen Arbeit gebracht worden. Das Deutsche Reich muß hier grundsätzlich verkünden, daß nach der Besetzung der Ostgebiete die früheren deutschen Werte Eigentum des großdeutschen Volkes sind, unabhängig von früheren individuellen Besitzern, mit denen das Deutsche Reich sich vorbehalten kann, (falls es nicht schon bei der Umsiedlung geschehen sein sollte) eine gerechte Regelung zu treffen. In welcher Form die Kompensation und Rückerstattung dieses Volkseigentums zu erfolgen hat, wird für jedes Reichskommissariat einer verschiedenen Behandlung bedürfen.«

Das Dokument 1029-PS in unserer Serie stellt eine »Instruktion für einen Reichskommissar Ostland« dar. Es ist typisch für diese Art der Anweisungen, die an jeden der ernannten Kommissare ergingen, und sie sind erstaunlich offen bei der Schilderung der Absichten der Nazi-Verschwörer dem Lande gegenüber, das sie im Verlauf ihrer Aggression besetzen wollten. Ich lege dieses Dokument als US-145 vor.

Ich möchte für das Protokoll die ersten drei Abschnitte dieses Dokuments verlesen. Es beginnt:

»Die ganzen Gebiete zwischen Narwa und Tilsit haben ständig eine enge Beziehung zum deutschen Volk gehabt. Eine 700-jährige Geschichte hat die dort lebenden Völker zum größten Teil innerlich nach Europa ausgerichtet und trotz aller russischen Bedrohungen dieses Gebietes dem großgermanischen Lebensraum eingefügt.

Ziel eines Reichskommissars für Estland, Lettland, Litauen und Weißruthenien« – letzte Worte mit Bleistift hinzugefügt – »muß es sein, die Form eines deutschen Protektorats zu erstreben und dann durch Eindeutschung rassisch möglicher Elemente, durch Kolonisierung germanischer Völker und durch Aussiedlung nicht erwünschter Elemente dieses Gebiet zu einem Teil des Großdeutschen Reiches umzuwandeln. Das Baltische Meer muß ein germanischer Binnensee werden unter großdeutscher Obhut.

Das Baltenland war für bestimmte Produkte der Viehzucht ein gewisses Überschußland und der Reichskommissar muß sich bestreben, diesen Überschuß wieder dem deutschen Volke nutzbar zu machen und, wenn möglich, noch zu vergrößern. Was die Aktion einer Eindeutschung beziehungsweise Umsiedlung anbetrifft, so ist das Esten-Volk zu 50 Prozent durch dänisches, deutsches und schwedisches Blut stark germanisiert[400] und kann als ein verwandtes Volk angesehen werden. Der assimilierbare Teil in Lettland ist bedeutend geringer als in Estland. Hier wird mit einer stärkeren Gegenwirkung zu rechnen sein und man wird eine größere Aussiedlung in Aussicht nehmen müssen. In Litauen dürfte mit einer ähnlichen Entwicklung zu rechnen sein, weil auch hier eine Zuwanderung etwa von Volksdeutschen, die Germanisierung (an der Grenze Ostpreußens) am stärksten zu fördern berufen ist.«

Ich lasse einen Absatz aus. Der nächste Absatz ist ebenfalls von Interesse und lautet:

»Die Aufgabe eines Reichskommissars mit dem Sitz in Riga wird also zum großen Teil eine außerordentlich positive sein. Ein Land, das vor 700 Jahren einmal von deutschen Rittern erobert und von der Hanse aufgebaut und durch ständigen deutschen Blutzufluß, verbunden mit schwedischen Elementen, ein überwiegend germanisiertes Land war, ist zu einem mächtigen deutschen Grenzland auszubauen. Die kulturellen Vorausset zungen sind überall gegeben und das Recht auf eine spätere Ansiedlung wird das Deutsche Reich jenen zusprechen können, die sich in diesem Krieg ausgezeichnet haben, den Nachkommen der Gefallenen des Krieges, ferner jenen Baltikumkämpfern, die einstmals den Mut nicht verloren, in der Verzweiflungsstunde weiterkämpften und das Baltikum damals vor dem Bolschewismus retteten. Im übrigen ist die Lösung der Besiedlungsfrage nicht eine baltische, sondern eine großdeutsche Angelegenheit und muß in diesem Sinne gelöst werden.«

Diese zwei Instruktionen, glaube ich, sind typisch genug, um dem Gerichtshof sowohl das Ausmaß der Planung und Vorbereitung für diese Phase des Angriffs als auch für das politische Ziel zu zeigen, welches man damit zu erlangen hoffte.

Jedoch am 28. Juni 1941, weniger als eine Woche nach der Invasion, bereitete Rosenberg selbst einen vollen Bericht über seine Tätigkeit seit seiner Ernennung am 20. April. Man könnte beinahe annehmen, daß er seine Tätigkeit so genau niedergelegt habe, um der Anklage behilflich zu sein.

Dieser Bericht hat die Nummer 1039-PS, und ich lege ihn als Beweisstück US-146 vor.

Das Interessanteste für mich in diesem Bericht sind seine Aufschlüsse über die Anzahl dieser Angeklagten, die entweder mit ihm arbeiteten oder Rosenberg in der Planung und Vorbereitung für diese Phase des Angriffs unterstützten und das Ausmaß, in dem nahezu alle Ministerien und Dienststellen des Staates und der Partei in dieses Unternehmen verwickelt waren.

[401] Der Bericht wurde in den Akten des Angeklagten Rosenberg gefunden und, obwohl er ziemlich lang ist, erscheint er mir von genügender Bedeutung für die Belastung von Gruppen und Organisationen, daß er meiner Meinung nach vollständig verlesen werden muß, um ihn zu einem Teil des Protokolls zu machen. Die Überschrift lautet:

»Bericht über die vorbereitende Arbeit in Fragen des osteuropäischen Raumes.

Gleich nach Benachrichtigung einzelner Oberster Reichsbehörden über den Erlaß des Führers vom 20. April 1941 fand eine Aussprache mit dem Chef des OKW statt.« Das ist der Angeklagte Keitel. »Nach Darstellung der verschiedenen politischen Zielsetzungen in den in Aussicht genommenen Reichskommissariaten und Darstellung personeller Bedürfnisse für den Osten, erklärt der Chef des OKW, daß eine UK-Stellung in diesem Falle zu kompliziert sei und daß diese Angelegenheit am besten durch unmittelbare Abkommandierung auf Befehl des Chefs des OKW durchgeführt werde. Generalfeldmarschall Keitel hat dann einen entsprechenden Befehl erlassen, der die Grundlage für die kommende Anforderung abgegeben hat. Als Vertreter und Verbindungsführer benannte er General Jodl und Generalmajor Warlimont. Die dann einsetzenden Unterhandlungen in allen Fragen des Ostraumes und der Personalbedürfnisse sind dann von den Herren des OKW gemeinsam mit den Herren meiner Dienststelle durchgeführt worden. Mit Admiral Canaris fand eine Besprechung dahingehend statt, daß meine Dienststelle unter den gegebenen vertraulichen Umständen in keiner Weise mit irgend welchen Vertretern der Völker des osteuropäischen Raumes verhandeln könne. Ich bat ihn, dies – soweit die Abwehr es benötige – zu tun und mir dann Menschen zu benennen, die über die Abwehr hinaus als politische Persönlichkeiten gelten können, um über ihren eventuellen späteren Einsatz zu bestimmen. Admiral Canaris sagte, daß selbstverständlich auch mein Wunsch, keinerlei politische Gruppen unter den Emigranten anzuerkennen, von ihm berücksichtigt würde und er im Sinne meiner Ausführungen vorzugehen gedenke.

Im Laufe der späteren Zeit unterrichtete ich Generalfeldmarschall von Brauchitsch und Großadmiral Raeder über die historischen und politischen Auffassungen des Ostproblems. In weiteren Unterhandlungen haben wir ausgemacht, daß ein Vertreter meiner Dienststelle für die Wünsche bezüglich der politischen Gestaltung und Anfragen des OKW benannt [402] würde beim Oberbefehlshaber des Heeres beziehungsweise dem Generalquartiermeister und bei den Heeresgruppen. Dies ist mittlerweile geschehen.

Gleich zu Anfang fand eine Unterredung mit Reichswirtschaftsminister Funk statt,« – dem Angeklagten Funk – »der als seinen ständigen Vertreter Ministerialdirektor Dr. Schlotterer benannte. Mit Dr. Schlotterer sind dann nahezu täglich Besprechungen durchgeführt worden im Sinne der wehrwirtschaftlichen Absichten vom Wirtschaftsführungsstab Ost. Hier hatte ich Unterredungen mit General Thomas, Staatssekretär Körner, Staatssekretär Backe, Ministerialdirektor Riecke, General Schubert und anderen. In den Ostfragen wurde, was die unmittelbare fachliche Arbeit jetzt und für die Zukunft anbetrifft, weitgehendste Übereinstimmung erzielt.

Einige Probleme über das generelle Verhältnis des beabsichtigten Reichsministeriums gegenüber dem Vierjahresplan sind noch offen und unterliegen nach Vortrag einer Entscheidung des Führers. Im Prinzip habe ich erklärt, daß ich in keiner Weise beabsichtige, in meiner Dienststelle eine Wirtschaftsabteilung zu gründen, vielmehr würde die Wirtschaft substantiell und praktisch vom Reichsmarschall« – dem Angeklagten Göring – »und den von ihm eingesetzten Persönlichkeiten bearbeitet, die beiden fachlich Verantwortlichen jedoch, und zwar Ministerialdirektor Dr. Schlotterer für die gewerbliche Wirtschaft und Ministerialdirektor Riecke für die Ernährungswirtschaft, würden als ständige Verbindungsmänner in meine Dienststelle gesetzt, um hier die politischen Zielsetzungen mit den wirtschaftlichen Notwendigkei ten zu koordinieren in einer Abteilung, die zwecks dieser Koordinationsarbeit noch andere Persönlichkeiten, je nach späterer Arbeitsnotwendigkeit (politische Führung von Gewerkschaften, Bauwirtschaft usw.), vereinigen müsse.

Nach Benachrichtigung des Reichsaußenministers benannte dieser Geheimrat Großkopf als ständigen Verbindungsmann zu meiner Dienststelle. Für die erbetene Vertretung in der politischen Abteilung meiner Dienststelle (geleitet von Reichsamtsleiter Dr. Leibbrandt) gab das Auswärtige Amt den Generalkonsul Dr. Bräutigam frei, der mir seit Jahren bekannt ist russisch spricht und jahrelang in Rußland gearbeitet hat. Über die Wünsche des Auswärtigen Amtes für eventuelle Abstellung von Vertretern des Auswärtigen Amtes bei den kommenden Reichskommissaren werden Unterhandlungen gepflogen, die nötigenfalls dem Führer unterbreitet werden.

[403] Das Propagandaministerium – das ist Goebbels – benannte Staatssekretär Gutterer zum ständigen Verbindungsmann, und es wurde eine vollkommene Übereinkunft dahingehend erzielt, daß die Abstimmung aller politischen und sonstigen Aufsätze, Reden, Aufrufe und dergleichen in meiner Dienststelle vorgenommen würde; es würden eine große Anzahl substantieller Arbeiten für die Propaganda übergeben und die beim Propagandaministerium ausgearbeiteten Unterlagen würden hier, wenn nötig, entsprechend abgestimmt wer den. Der gesamte praktische Einsatz der Propaganda unterliegt unbestritten dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Zwecks näherer Zusammenarbeit stellt das Propagandaministerium noch eine Persönlichkeit unmittelbar in meine Abteilung Aufklärung und Presse ab und benennt außerdem noch einen ständigen Presseverbindungsmann. Die gesamten Arbeiten sind seit längerer Zeit angelaufen, und ohne daß meine Dienststelle irgendwie in Erscheinung tritt, erfolgt diese inhaltliche und terminologische Abstimmung fortlaufend jeden Tag.

Eingehende Unterhandlungen fanden statt mit Reichsminister Ohnesorge über die kommende Nachrichtenübermittlung und Errichtung aller technischen Notwendigkeiten in den kommenden besetzten Gebieten; mit Reichsminister Seldte über Abstellung von Arbeitskräften, mit Reichsminister Frick – das ist der Angeklagte Frick – (Staatssekretär Stuckart) in eingehender Form über die Abstellung zahlreicher notwendiger Beamten für die Kommissariate. Nach dem bisherigen Überschlag wird es vier Reichskommissariate, wie vom Führer genehmigt, geben. Aus politischen und sonstigen Gründen werde ich dem Führer vorschlagen, eine entsprechende Anzahl von Generalkommissariaten (24), von Hauptkommissariaten (etwa 80) und Gebietskommissariaten (über 900) einzurichten. Ein Generalkommissariat würde etwa einem ehemaligen Generalgouvernement, ein Hauptkommissariat einem Hauptgouvernement entsprechen. Ein Gebietskommissariat umfaßt drei oder vier Kreise. Das ist angesichts der großen Raume das Mindestmaß, was für eine kommende Zivilregierung beziehungsweise Verwaltung notwendig erscheint. Ein Teil der Beamten ist bereits auf Grund des obengenannten Befehls vom Chef OKW angefordert worden.«


VORSITZENDER: Herr Alderman, ich für meinen Teil verstehe nicht, warum es notwendig ist, dieses Dokument vollständig vorzulesen. Wir wissen bereits, daß ein Plan vorhanden war, Rußland in eine Anzahl von Kommissariaten aufzuteilen.

[404] MR. ALDERMAN: Ganz richtig. Ich möchte nur auf zwei oder drei der Angeklagten hinweisen, auf die in diesem Dokument Bezug genommen wird, das ihre direkte Anteilnahme an der Verschwörung zeigt. Der erste dieser Angeklagten – ungefähr drei Abschnitte weiter unten – ist der Reichsjugendführer, der Angeklagte Baldur von Schirach. Dann natürlich SS-Gruppenführer Heydrich im nächsten Absatz...


VORSITZENDER: Er ist nicht angeklagt.


MR. ALDERMAN: Nein, aber seine Organisation ist als eine verbrecherische Organisation angeklagt. Im nächsten Absatz der Angeklagte Ministerialdirektor Fritzsche, der unter Goebbels arbeitete.

Ohne auf weiteres Beweismaterial des längeren einzugehen, kann ich die Mitschuld der einzelnen wie folgt zusammenfassen: Diejenigen der einzelnen Angeklagten, die dieser Bericht als persönlich in der Verschwörung beteiligt zeigt, sind: Keitel, Jodl, Raeder, Funk, Göring, Ribbentrop, Frick, Schirach und Fritzsche. Die Organisationen, die in diesem Bericht als mitschuldig genannt sind, sind: OKW, OKH, OKM, Innenministerium, Wirtschaftsministerium, Reichsaußenministerium, Propagandaministerium, Arbeitsministerium, Verkehrsministerium, Reichsärztebund, Munitions- und Rüstungsministerium, Reichsjugendführung, Reichsorganisationsleitung, Deutsche Arbeitsfront, die SS, die SA und Reichspressechef. Im späteren Verlauf des Prozesses möchte ich den Gerichtshof in anderem Zusammenhang ersuchen, dieses Dokument, mit dem ich mich soeben befaßte, als einen Teil des Protokolls zu betrachten, soweit es die einzelnen Angeklagten belastet.


VORSITZENDER: Ich glaube, Sie können es so behandeln, daß das ganze Dokument als Beweismaterial gelten kann.


MR. ALDERMAN: Zu einem späteren Zeitpunkt des Prozesses und in anderem Zusammenhang wird Beweismaterial über die Methode vorgelegt werden, nach welcher diese Planungen und Vorbereitungen zur Ausschaltung der USSR als politischer Faktor tatsächlich ausgeführt wurden. Die geplanten Hinrichtungen der Intelligenz und anderer russischer Führer war z.B. nur ein Teil der tatsächlichen Durchführung des Programms, die USSR politisch zu zerstören und ihre baldige Auferstehung als europäische Macht zu vereiteln.

Nachdem sie sorgfältig den Einfall in die USSR vorbereitet hatten, machten sich die Nazi-Verschwörer daran, ihre Pläne zu verwirklichen. Am 22. Juni 1941 ergossen sich ihre Armeen über die Grenzen der USSR, und um diese Tat des Treubruchs der Welt kundzutun, erließ Hitler am Tag des Angriffs eine Proklamation. Meine britischen Kollegen haben bereits die Aufmerksamkeit des [405] Gerichtshofs auf diesen Text gelenkt, und ich möchte jetzt hier nur am Rande einen Satz daraus zitieren:

»Ich habe mich daher heute entschlossen, das Schicksal Europas nochmals in die Hände unserer Soldaten zu legen.«

Diese Ankündigung teilte der Welt mit, daß die Würfel gefallen waren. Die fast ein Jahr vorher im Dunkeln ersonnenen Pläne, die seither geheim und fortlaufend weiterentwickelt worden waren, trugen nun ihre Früchte. Nachdem die Verschwörer sorgfältig und vollständig diesen Angriffskrieg vorbereitet hatten, gingen sie jetzt daran, ihn zu beginnen und zu führen.

Das führt uns zur Betrachtung der Motive für den Angriff. Bevor wir auf die positiven Beweggründe eingehen, möchte ich zunächst darauf hinweisen, daß Deutschland sich nicht nur durch feierlichen Pakt verpflichtet hatte, Rußland nicht anzugreifen, sondern daß die Sowjetunion sich auch während der ganzen Zeit vom August 1939 bis zur Invasion 1941 treu an ihre mit Deutschland geschlossene Vereinbarung gehalten hatte und keinerlei Angriffsabsichten gegen das Reichsgebiet zur Schau trug.

General Thomas, zum Beispiel, weist in seinem Entwurf »Grundlagen für die Geschichte der deutschen Kriegs- und Rüstungswirtschaft«, welcher unser Dokument 2353-PS ist, und welches ich bereits als Beweisstück US-35 vorlegte, darauf hin, daß, bezüglich des deutsch-russischen Handelsvertrags vom 11. August 1939 die Sowjetunion ihren Lieferungsverpflichtungen bis zum Schluß nachgekommen war.

Thomas weist darauf hin, daß die Lieferungen der Sowjets gewöhnlich schnell und gut ausgeführt wurden, und da die gelieferten Nahrungsmittel und die Rohmaterialien als wichtig für die deutsche Wirtschaft betrachtet wurden, bemühte man sich, auch die eigenen Vertragspflichten zu erfüllen. Jedoch, als die Vorbereitungen für den Feldzug fortschritten, legten die Nazis weniger Wert auf die Erfüllung ihrer Vertragsverpflichtungen. Thomas sagt auf Seite 315 sei nes Buches, und ich lese von Seite 9 der englischen Übersetzung:

»Später trat die Dringlichkeit der russischen Belieferungen in den Hintergrund, weil bereits die Vorbereitungen für den Ostfeldzug im Gange waren.«

Somit spricht er offensichtlich über deutsche Lieferungen an Rußland, nicht aber davon, was die Bussen lieferten.

»Die Russen haben ihre Lieferungen bis zum Angriffsbeginn planmäßig durchgeführt, ja sogar in den letzten Tagen noch Kautschuktransporte aus dem Fernen Osten mit Eil-Transitzügen zur Durchführung gebracht.«

[406] Derselbe Verfasser betont diesen Punkt ebenfalls auf Seite 404, und zwar noch stärker, wenn er feststellt, und ich verlese den ersten Absatz auf Seite 14 der englischen Übersetzung:

»Neben den italienischen Verhandlungen nahmen bis zum Juni 1941 noch die Verhandlungen mit Rußland einen größeren Raum ein. Von Seiten des Führers war die Weisung gegeben worden, daß zur Tarnung des deutschen Aufmarsches die Russenaufträge in Deutschland pünktlichst erfüllt werden müssen. Da die Russen ihre Getreidelieferungen von den deutschen Lieferungen abhängig machten, diese aber bei einzelnen Firmen stark die Aufträge der deutschen Wehrmacht störten, bedurfte es zahlreicher Einzelverhandlungen des Wi Rü Amtes mit deutschen Firmen, um die russischen Aufträge in die deutsche Dringlichkeit einzuordnen. Die deutsche Industrie wurde auf Wunsch des Auswärtigen Amtes angewiesen, alle russischen Aufträge anzunehmen, auch wenn ihre fristgerechte Auslieferung nicht möglich war. Da besonders im Mai größere Auslieferungen auf dem Kriegsmarinegebiet stattfinden mußten, wurden die Firmen angewiesen, das Gerät durch die russische Abnahmekommission ordnungsmäßig abnehmen zu lassen, dann aber das Gerät transportmäßig so umzuleiten, daß eine Auslieferung über die Grenze vor Beginn des deutschen Angriffs nicht mehr stattfinden konnte.«

Nicht nur war die Sowjetunion gewissenhaft in der Vertragserfüllung gegenüber Deutschland, sondern der Beweis zeigt, daß sie keine Angriffsabsichten in Bezug auf deutsche Gebiete hatte. Unser Dokument C-170, Beweisstück US-136, ist, wie ich bereits vorher erwähnte, ein Aktenstück, betreffend die russisch-deutschen Beziehungen, das in den Akten des Oberkommandos der Marine gefunden wurde, und das den ganzen Zeitraum, vom Tag des Vertragsabschlusses bis zum Angriff behandelt. Die Eintragungen in diesen Akten beweisen den Punkt unwiderlegbar, auf den ich eben hingewiesen habe. Ich glaube, es wird genügen, dem Gerichtshof einige Eintragungen vorzulesen, die Berichte des Deutschen Botschafters in Moskau bis zum Juni 1941 enthalten. Ich werde die erste Eintragung Nummer 165 auf Seite 21 der englischen Übersetzung vorlesen. Das Datum ist der 4. Juni.

»Im Verhältnis Deutschland-Rußland äußerlich keine Änderung. Russische Lieferungen lauten voll zufriedenstellend. Russische Regierung bestrebt, alles zu tun, um Konflikt mit Deutschland zu vermeiden.«

Es heißt in der Eintragung 167 auf Seite 22 der englischen Übersetzung: [407] »6. Juni. Botschafter Moskau berichtet:... Rußland wird nur kämpfen, wenn von Deutschland angegriffen. Lage in Moskau sehr viel ernster angesehen als bisher. Alle militärischen Vorbereitungen im stillen getroffen, soweit erkennbar ausschließlich defensiv. Russische Politik nach wie vor bestrebt, möglichst gutes Verhältnis zu Deutschland herzustellen.«

Die nächste Eintragung ist Nummer 169 auf Seite 22 mit dem Datum 7. Juni.

»Aus Bericht Botschafter Moskau:... Alle Beobachtungen zeigen, daß Stalin und Molotow, die für die russische Außenpolitik allein maßgebend sind, alles tun, um Konflikt mit Deutschland zu vermeiden. Darauf deutet Gesamthaltung der Regierung, ebenso wie die Stellungnahme der Presse, die alle Deutschland betreffenden Ereignisse in einwandfreier, sachlicher Weise behandelt. Die loyale Erfüllung der mit Deutschland geschlossenen Wirtschaftsabkommen beweist das gleiche.«

So spricht der Deutsche Botschafter.

Daher können die Beweggründe, die zu dem Angriff auf die Sowjetunion führten, weder Notwehr noch Vertragsbrüche gewesen sein. In Wahrheit lag ohne Zweifel, wie aus dem zur Planung und Vorbereitung vorgelegten Material hervorgeht, mehr als ein Motiv für die Entscheidung der Nazi-Verschwörer vor, den Angriff auf die USSR zu beginnen. Alle Beweggründe passen jedoch wie ein Mosaik in das eine große Motiv der Nazi-Politik. Der Rahmen, in den die verschiedenartigen Gründe für die Entscheidung zum Angriff sich einordnen, ist der traditionelle Ehrgeiz der Nazis nach Ausdehnung in östlicher Richtung auf Kosten der USSR. Diese Nazi-Version der früheren imperialen Forderung, dem »Drang nach dem Osten«, war ein Kardinalprinzip der Nazi-Partei beinahe seit ihrem Entstehen und beruhte auf der Zwillingsgrundlage der politischen Strategie und der wirtschaftlichen Ausdehnung. In politischer Hinsicht bedeutete eine derartige Aktion die Ausschaltung des machtvollen Staates im Osten, der eine Bedrohung deutschen Ehrgeizes darstellen könnte, Sowie Erwerb von Lebensraum; während auf der wirtschaftlichen Seite großartige Möglichkeiten für den Raub ungeheurer Mengen von Nahrungsmitteln, Rohmaterialien und anderen Vorräten bestanden, die weit über eine rechtmäßige Ausbeutung nach den Grundsätzen der Genfer Konvention für militärische Zwecke hinausgingen. Zweifellos diente der Bedarf der deutschen Kriegswirtschaft nach Nahrungsmitteln und Rohmaterialien dazu, die Anziehungskraft der wirtschaftlichen Seite dieser Theorie wiederzubeleben, während die Schwierigkeiten, auf die Deutschland bei dem Versuch, England zu besiegen, stieß, den Nazi-Verschwörern erneut das zeitweilig vergessene politische [408] Nazi-Prinzip, nämlich die Beseitigung ihres einzigen Gegners von Format auf dem Festlande als politischen Faktor, bekräftigte.

Bereits im Jahre 1923 führte Hitler diese Theorie bis zu gewissen Einzelheiten in »Mein Kampf« aus, wo er sagte, ich zitiere auf Seite 641, Houghton Mifflin, der englischen Ausgabe:

»Es gibt zwei Gründe, die mich veranlassen, das Verhältnis Deutschlands zu Rußland einer besonderen Prüfung zu unterziehen:

1. handelt es sich in diesem Falle um die vielleicht entscheidendste Angelegenheit der deutschen Außenpolitik überhaupt, und

2. ist diese Frage auch der Prüfstein für die politische Fähigkeit der jungen nationalsozialistischen Bewegung, klar zu denken und richtig zu handeln.«

Weiter sagt er auf Seite 654 derselben Ausgabe:

»Damit ziehen wir Nationalsozialisten bewußt einen Strich unter die außenpolitische Richtung unserer Vorkriegszeit. Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit ab und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft.

Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm Untertanen Randstaaten denken.«

Der politische Teil dieser Wirtschaft oder Absicht wird in den erklärten Zielen der Organisation klar widergespiegelt, die der Angeklagte Rosenberg zur Verwaltung der besetzten Ostgebiete aufstellte. Ich habe dieses Material bereits besprochen, und brauche das jetzt nicht zu wiederholen. In einer Rede jedoch, die er erst zwei Tage vor dem Angriff an die am Ostproblem besonders interessierten Leute hielt, brachte Rosenberg in seiner wie gewöhnlich etwas mystischen Art die politische Grundlage für den Feldzug und ihren Zusammenhang mit dem Wirtschaftsziel zum Ausdruck. Ich darf einen kurzen Auszug aus dieser Rede verlesen, welche die Nummer 1058-PS trägt, und die ich jetzt als Beweisstück US-147 vorlege. Der Teil, den ich zu verlesen wünsche, steht auf Seite 9 des deutschen Textes:

»Die deutsche Volksernährung steht in diesen Jahren zweifellos an der Spitze der deutschen Forderungen im Osten, und hier werden die Südgebiete und Nordkaukasien einen Ausgleich für die deutsche Volksernährung zu schaffen haben. [409] Wir sehen durchaus nicht die Verpflichtung ein, aus diesen Überschußgebieten das russische Volk mit zu ernähren. Wir wissen, daß das eine harte Notwendigkeit ist, die außerhalb jeden Gefühls steht. Zweifellos wird eine sehr umfangreiche Evakuierung notwendig sein und dem Russentum werden sicher sehr schwere Jahre bevorstehen. Inwieweit dort Industrien noch erhalten bleiben sollen (Waggon-Fabriken usw.) ist einer späteren Entscheidung vorzubehalten. Für das Deutsche Reich und seine Zukunft ist aber die Behandlung und die Durchführung dieser Politik im eigentlichen russischen Raum eine ungeheuere politische und durchaus nicht negative Aufgabe, wie sie vielleicht scheinen mag, wenn man nur die harten Notwendigkeiten der Evakuierung betrachtet. Die Umkehrung der russischen Dynamie nach dem Osten ist eine Aufgabe, die stärkste Charaktere erfordert. Aber vielleicht wird einmal ein kommendes Rußland diese Entscheidung gut heißen, und zwar nicht in den nächsten 30, aber nach 100 Jahren.«

Wie ich angedeutet habe, hatten ihre Fehlschläge im Hinblick auf die Vernichtung Englands dazu gedient, die Nazi-Verschwörer in ihrem Glauben an die politische Notwendigkeit der Beseitigung der Sowjetunion als einer europäischen Macht weiter zu bestärken, ehe Deutschland seine Rolle als dominierende Macht Europas vollständig erringen könne. Die wirtschaftlichen Gründe für den Angriff sollten klar in unserer Erörterung der Organisation herausgebracht werden, die unter dem Befehl Görings und des Generals Thomas die Wirtschaftsausbeutung des von ihnen besetzten Gebietes durchführte. Die rein materialistische Grundlage für den Angriff war nicht zu verkennen, und falls noch ein Zweifel darüber bestehen sollte, daß wenigstens eine der Hauptursachen für die Invasion der geplante Diebstahl von Nahrungsmitteln und Rohmaterialien war, die für die Nazi-Kriegsmaschine, ungeachtet der furchtbaren Folgen, die ein derartiger Raub bedeuten würde, unerläßlich waren, so würde dieser Zweifel durch ein Memorandum, das unsere Nummer 2718-PS trägt, und das ich vorher während meiner Einführungsrede als Beweisstück US-32 vorgelegt habe, völlig behoben. Es bestätigt, daß die Nazis klar und bewußt erkannten, daß die Ausführung dieser Pläne zweifellos den Hungertod von Millionen von Menschen durch den Raub ihrer Nahrungsmittel zur Folgt haben würde. General Thomas stellte in einem Memorandum ähnlichen Inhalts vom 20. Juni 1941 fest, daß General Keitel ihn gegenüber Hitlers derzeitige Auffassung der deutschen Wirtschaftspolitik mit Bezug auf Rohmaterial bestätigt habe.

[410] Diese Politik brachte die nahezu unglaublich herzlose Theorie zum Ausdruck, daß weniger Arbeitskräfte bei der Eroberung von Rohmaterialquellen gebraucht würden, als zur Herstellung von synthetischen Materialien. Dies ist unser Dokument Nummer 1456-PS, und ich biete es als Beweisstück US-148 an. Ich darf die zwei ersten Absätze verlesen.

VORSITZENDER: Wir werden das lieber nach der Vertagung tun.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 3, S. 377-412.
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