Vormittagssitzung.

[415] OBERST AMEN: Ich möchte als Zeugen für die Anklagevertretung Walter Schellenberg aufrufen.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Heißen Sie Walter Schellenberg?

ZEUGE WALTER SCHELLENBERG: Ich heiße Walter Schellenberg.


VORSITZENDER: Wollen Sie den folgenden Eid schwören: Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


OBERST AMEN: Sprechen Sie langsam und machen Sie zwischen den Fragen und Antworten Pausen. Wo sind Sie geboren?

SCHELLENBERG: In Saarbrücken.

OBERST AMEN: Wie alt sind Sie?


SCHELLENBERG: 35 Jahre.


OBERST AMEN: Waren Sie Mitglied der NSDAP?


SCHELLENBERG: Jawohl.


OBERST AMEN: Und der SS?


SCHELLENBERG: Ja, auch der SS.


OBERST AMEN: Und der Waffen-SS?


SCHELLENBERG: Auch der Waffen-SS.


OBERST AMEN: Und des SD?


SCHELLENBERG: Und des SD.


OBERST AMEN: Welches war der höchste Rang, den Sie innehatten?


SCHELLENBERG: Der höchste Rang, den ich in der SS innehatte, war SS-Brigadeführer, und in der Waffen-SS Generalmajor der Waffen-SS.


OBERST AMEN: Waren Sie Chef des Amtes VI?


SCHELLENBERG: Ich war Chef des Amtes VI und Mil.


OBERST AMEN: Während welchen Zeitraums?


[415] SCHELLENBERG: Ich wurde stellvertretender Amtschef VI im Juli 1941 und im Juni 1942 endgültig als solcher bestätigt.


OBERST AMEN: Erklären Sie kurz die Funktionen des Amtes VI des RSHA.


SCHELLENBERG: Das Amt VI war der politische Geheimdienst des Reiches und arbeitete grundsätzlich im Ausland.


OBERST AMEN: Wissen Sie etwas über ein Übereinkommen zwischen dem OKW, OKH, und dem RSHA, betreffend den Einsatz von Einsatzgruppen und des Einsatzkommandos im russischen Feldzug?


SCHELLENBERG: Ende Mai 1941 fanden Verhandlungen statt zwischen dem damaligen Chef der Sicherheitspolizei und dem Generalquartiermeister Wagner, General Wagner.


OBERST AMEN: Und wem?


SCHELLENBERG: Dem Generalquartiermeister des Heeres, General Wagner.


OBERST AMEN: Waren Sie bei den Besprechungen persönlich zugegen?


SCHELLENBERG: Ich war bei der Abschlußbesprechung als Protokollführer persönlich zugegen.


OBERST AMEN: Haben Sie uns die Namen aller bei den Verhandlungen anwesenden Personen angegeben?


SCHELLENBERG: Diese Verhandlungen waren grundsätzlich zwischen dem Obergruppenführer Heydrich, dem damaligen Chef der Sicherheitspolizei und des SD, und dem Generalquartiermeister des Heeres.


OBERST AMEN: Waren irgendwelche andere Personen während irgendeiner dieser Verhandlungen zugegen?


SCHELLENBERG: Während der Verhandlung selbst nicht, später an einer Tagung waren andere Personen beteiligt.


OBERST AMEN: Hatten diese Verhandlungen das Ergebnis, daß ein Übereinkommen unterzeichnet wurde?


SCHELLENBERG: Es wurde eine Vereinbarung schriftlich abgeschlossen.


OBERST AMEN: Waren Sie bei der Unterschrift dieser schriftlichen Vereinbarung zugegen?


SCHELLENBERG: Ich war als Protokollführer zugegen und habe gesehen, wie beide Herren unterzeichnet haben.


OBERST AMEN: Von wem wurde diese Vereinbarung unterzeichnet?


[416] SCHELLENBERG: Sie wurde unterzeichnet von dem damaligen Chef der Sicherheitspolizei, SS-Gruppenführer Heydrich, und dem Generalquartiermeister des Heeres, General Wagner.


OBERST AMEN: Wissen Sie, wo das Originaldokument oder eine Abschrift desselben heute vorhanden ist?


SCHELLENBERG: Nein, das kann ich nicht sagen, ich weiß darüber nichts.


OBERST AMEN: Aber Sie sind doch mit dem Inhalt dieser schriftlichen Vereinbarung vertraut?


SCHELLENBERG: Ja, ich kann mich an den größten Teil erinnern.


OBERST AMEN: Erzählen Sie dem Gerichtshof nach bestem Wissen genau, was in dieser schriftlichen Vereinbarung enthalten war.


SCHELLENBERG: Der erste Teil dieser Vereinbarung begann mit der Anführung eines grundsätzlichen Führerbefehls. Er lautete ungefähr in der Erläuterung folgendermaßen:

Zur Sicherung der kämpfenden Truppen bei dem bevorstehenden Rußlandfeldzug soll mit allen Mitteln der Rücken freigehalten werden. Aus dieser Überlegung heraus sei jeder Widerstand mit jedem Mittel zu brechen. Zur Unterstützung des Kampfverbandes des Heeres sei zu dieser Aufgabe auch die Sicherheitspolizei und der SD heranzuziehen.

Wenn ich mich recht erinnere, wurde als ein besonderes Beispiel eines Sicherungsobjekts die Sicherung der sogenannten großen Nachschubstraßen, auch Rollbahnen genannt, erwähnt.


OBERST AMEN: Erinnern Sie sich an irgendwelche andere Dinge, die in dieser Vereinbarung enthalten waren?


SCHELLENBERG: Im zweiten Teil der Vereinbarung wurde die Organisation der Heeresgruppen angeführt...


OBERST AMEN: Was wurde darüber gesagt?


SCHELLENBERG:... und dementsprechend der Aufbau der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei und des SD. Es wurden vier verschiedene Raumabschnitte unterschieden. Ich erinnere mich folgender: Erstens das Frontgebiet, zweitens das Operationsgebiet. Es gliederte sich auf in ein Armeegebiet und ein rückwärtiges Armeegebiet. Drittens das rückwärtige Heeresgebiet, viertens die Gebiete der einzurichtenden Zivilverwaltungen, Reichskommissariate.

Für diese verschiedenen Räume wurden die Unterstellungs- und Befehlsverhältnisse genau festgelegt. In den Front- oder Gefechtsgebieten waren die Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei und [417] des SD taktisch und truppendienstlich, das heißt also völlig der Befehlsgewalt des Heeres unterstellt.

In den Operationsgebieten sollte nur die truppendienstliche Unterstellung gelten, desgleichen diese Regelung im rückwärtigen Heeresgebiet. In den vorgesehenen Gebieten der Zivilverwaltung, Reichskommissariate, sollten die gleichen Befehls- und Unterstellungsverhältnisse gelten wie im Reichsgebiet.

Im dritten Teil war dann erläutert, was unter taktisch und truppendienstlich zu verstehen sei, das heißt: es wurde im einzelnen nur der Begriff truppendienstlich erläutert.

Man verstand darunter die disziplinäre und versorgungsmäßige Unterstellung unter die Teile des Heeres. Besondere Erwähnung fand noch die Hervorhebung, daß die truppendienstliche Unterstellung auch die gesamte Versorgung, vor allem mit Benzin, Ernährung und die Zurverfügungstellung der technischen Nachrichtenübermittlungswege einbegreife.


OBERST AMEN: Haben Sie uns nunmehr alles gesagt, dessen Sie sich in Bezug auf diese Vereinbarung erinnern können?


SCHELLENBERG: Ja! Mehr kann ich mich nicht erinnern, daß diese Vereinbarung enthalten hat.


OBERST AMEN: Herr Vorsitzender, das ist alles.


VORSITZENDER: Hat die englische Anklagevertretung irgendwelche Fragen zu stellen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Nein.


VORSITZENDER: Hat der russische Anklagevertreter irgendwelche Fragen zu stellen?


OBERST POKROWSKY: Nein.


VORSITZENDER: Hat der französische Anklagevertreter irgendwelche Fragen zu stellen?


[Keine Antwort.]


VORSITZENDER: Wollen die Verteidiger irgendwelche Fragen stellen?

DR. KAUFFMANN: Ist es richtig, daß Dr. Kaltenbrunner Ihr Vorgesetzter war?


SCHELLENBERG: Dr. Kaltenbrunner war mein unmittelbarer Vorgesetzter.


DR. KAUFFMANN: Und bis zu welcher Zeit?


SCHELLENBERG: Vom 30. Januar 1943 bis zum Ende.


DR. KAUFFMANN: Kennen Sie seine Einstellung zu wichtigen Lebensfragen des Nationalsozialismus, also zum Beispiel zur Frage der Judenbehandlung oder zur Frage der Kirchenbehandlung?


[418] SCHELLENBERG: Ich habe nie Gelegenheit gehabt, mich über diese Fragen persönlich mit ihm unterhalten zu können. Das, was ich mir subjektiv von ihm als Bild erstellen kann, kann nur geschehen auf Grund einzelner persönlicher Wahrnehmungen.


DR. KAUFFMANN: Haben Sie Originalbefehle von Kaltenbrunner gesehen, die sich auf Hinrichtungen von Sabotagetrupps, auf Einweisung in Konzentrationslager und dergleichen bezogen?


SCHELLENBERG: Nein. Ich habe lediglich mündliche Anordnungen von ihm in dieser Hinsicht gehört, von Befehlen, die er an den Chef der Staatspolizei, den Amtschef IV des Reichssicherheitshauptamtes gegeben hat.


DR. KAUFFMANN: Hat Ihnen Kaltenbrunner irgendwann einmal eine Andeutung gemacht, er habe mit Himmler verabredet, alles, was sich auf Konzentrationslager beziehe, überhaupt die gesamte Exekutive, solle von ihm weggenommen werden; ihm solle lediglich der SD als Nachrichtendienst anvertraut werden, und er wolle diesen Nachrichtendienst ausbauen, um die sonst fehlende Kritik zu ersetzen?


SCHELLENBERG: Ich habe von einer solchen Vereinbarung nie etwas gehört, und das, was ich an Tatbeständen erfahren habe, spricht das Gegenteil aus.


DR. KAUFFMANN: Nun muß ich Sie fragen, damit das nun klar ist, nachdem Sie diese Frage im negativen Sinne beantwortet haben: Welche Tatbestände meinen Sie, Herr Zeuge?


SCHELLENBERG: Ich meine zum Beispiel einen Tatbestand, daß nach einer von mir mühselig abgerungenen Zustimmung des Reichsführers-SS, die Konzentrationslager nicht zu evakuieren, Kaltenbrunner in unmittelbarem Kontakt mit Hitler diesen Befehl Himmlers umging und international damit Wortbruch betrieb.


DR. KAUFFMANN: Waren denn internationale Bestimmungen darüber vorhanden, Bestimmungen, die sich auf vorliegende Gesetze beziehen, oder Bestimmungen, die sich auf internationale Vereinbarungen beziehen?


SCHELLENBERG: Ich möchte das so auslegen, daß, wenn über internationale Persönlichkeiten an offizielle alliierte Stellen die bindende Erklärung des damaligen Reichsführers-SS abgegeben wurde, die Konzentrationslager wegen der Notlage nicht zu evakuieren, es eben menschenrechtlich bindend war.


DR. KAUFFMANN: Was verstehen Sie unter Evakuieren?


SCHELLENBERG: Die Lager vor den herannahenden Feindtruppen willkürlich zu evakuieren und nach noch nicht besetzten Teilen Deutschlands zu verzetteln.


DR. KAUFFMANN: Und Ihre Meinung war welche?


[419] SCHELLENBERG: Daß keine Evakuierung mehr stattfinden dürfte, weil es einfach menschenrechtlich nicht erträglich war.


DR. KAUFFMANN: Daß also die Lager dem herankommenden Feind übergeben werden sollten?


SCHELLENBERG: Jawohl.


DR. KAUFFMANN: War Ihnen bekannt, daß auch Ihre Tätigkeit dazu beitragen konnte, sehr vielen Menschen Leid zuzufügen, die an sich ja schuldlos waren?


SCHELLENBERG: Ich darf bitten, mir diese Frage zu wiederholen, ich habe sie nicht verstanden.


DR. KAUFFMANN: Haben Sie einmal darüber nachgedacht, daß auch Ihre Tätigkeit und die Tätigkeit Ihrer Mitarbeiter irgendeine Ursache dafür war, daß vielen Menschen, sagen wir also Juden, sehr großes Leid zugefügt werden konnte, obwohl diese Menschen ja schuldlos waren.


SCHELLENBERG: Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Tätigkeit meines Amtes etwas Derartiges hervorrufen konnte. Ich war lediglich ein Informationsdienst.


DR. KAUFFMANN: Hatte also Ihr Informationsdienst gar keine Beziehungen zu derartigen Verbrechen?


SCHELLENBERG: Nein.


DR. KAUFFMANN: Dann würde in diesem Punkt auch Kaltenbrunner nicht belastet werden können.


SCHELLENBERG: Doch, denn er war gleichzeitig Vorgesetzter des Amtes IV der Staatspolizei.


DR. KAUFFMANN: Ja, ich habe gefragt »in diesem Punkt«, damit habe ich gemeint Ihren Sektor.


SCHELLENBERG: Ich vertrete nur den Sektor des Amtes VI und Amt Mil.

DR. KAUFFMANN: Aber Kaltenbrunner war doch auch gleichzeitig der Chef vom Amt VI.


SCHELLENBERG: Kaltenbrunner war der Chef des RSHA. Ihm unterstanden die Ihnen wahrscheinlich auch bekannten acht Ämter. Von einem oder zwei davon war ich Vorgesetzter, nämlich dem Amt VI und dem Amt Mil. Diese beiden Ämter hatten mit der Exekutive der Staatspolizei nichts zu tun.


DR. KAUFFMANN: Wenn also Ihr Amt...


VORSITZENDER: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, so führten Sie aus, daß Sie nur in einer Abteilung waren, die ein Informationsbüro war, ist das richtig?


SCHELLENBERG: Ja.


[420] VORSITZENDER: Ist es richtig, daß Kaltenbrunner Ihr direkter Vorgesetzter war?


SCHELLENBERG: Kaltenbrunner war der Chef des Reichssicherheitshauptamtes.


VORSITZENDER: Er war Vorgesetzter nicht allein Ihrer Abteilung, sondern der ganzen Organisation.


SCHELLENBERG: Jawohl, jawohl.


DR. KAUFFMANN: Ich darf mir vorbehalten, an diesen Zeugen zu einem anderen Zeitpunkt noch Fragen zu stellen, wenn ich mit Kaltenbrunner gesprochen habe.


DR. KUBUSCHOK: Waren Sie, Herr Zeuge, im Sommer 1943 in Ankara und haben Sie bei dieser Gelegenheit auch einen Besuch der Deutschen Botschaft abgestattet?


SCHELLENBERG: Jawohl.


DR. KUBUSCHOK: Haben Sie bei diesem Besuch die deutsche Außenpolitik in verschiedener Hinsicht kritisiert, und haben Sie dabei erwähnt, daß es unbedingt ratsam wäre, zum Heiligen Stuhl bessere Beziehungen anzuknüpfen? War dabei die Antwort des Herrn von Papen: »Dies ist nur dann überhaupt möglich, wenn entsprechend meiner immer wiederaufgestellten Forderung, die Kirchenpolitik einer absoluten Revision unterzogen und die Kirchenverfolgung eingestellt wird«?


SCHELLENBERG: Jawohl, dieser Sachverhalt trifft zu, und ich habe mich auch in diesem Sinn mit dem damaligen Botschafter von Papen ausgesprochen.


DR. ALFRED THOMA, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN ROSENBERG: Herr Zeuge, Sie sagten vorhin, im Gebiete der Zivilverwaltung seien die Unterstellungs- und Befehlsverhältnisse wie im Reich.

SCHELLENBERG: Ja, sie sollten gelten.


DR. THOMA: Ich bitte, meine Frage nochmals zu beantworten.


SCHELLENBERG: Ich darf wiederholen, ich habe die Vereinbarung wiedergegeben, die die Bestimmung enthielt, daß in den vorgesehenen Gebieten der Zivilverwaltung, Reichskommissariaten, die gleichen Unterstellungs- und Befehlsverhältnisse im Verhältnis des Heeres zur Sicherheitspolizei und zum SD genau so gelten sollten wie im Reich.


DR. THOMA: Wissen Sie, wie das praktisch gehandhabt wurde?


SCHELLENBERG: Nein, ich habe mich später mit diesen Fragen nicht mehr beschäftigt.


DR. THOMA: Danke schön.


[421] RA. BABEL: Herr Zeuge, Sie waren Mitglied der SS und des SD, und zwar in führenden Stellungen....


VORSITZENDER: Wollen Sie zur Aufnahme in das Protokoll angeben, für welche Organisationen Sie sprechen.


RA. BABEL:


[zum Zeugen gewandt]


Ich vertrete die Organisationen SS und SD. Im Reichssicherheitshauptamt war auch eine Abteilung der Sicherheitspolizei und des SD. Wie waren diese beiden Abteilungen miteinander verflochten und was war der Zweck des SD?


SCHELLENBERG: Das ist eine Frage, die ich mit einem Satz nicht beantworten kann.


RA. BABEL: Vielleicht kann ich die Frage zunächst zurückstellen und konkret fragen: Wurde der SD bei diesen Einsatzgruppen im Osten verwendet, in welchem Umfang und mit welchen Aufgaben?


SCHELLENBERG: Ich glaube, daß der Schwerpunkt der Verwendung des Personals im Einsatz im Osten bei der Sicherheitspolizei, das heißt bei der Staatspolizei und der Kriminalpolizei lag, und daß aus dem Personal des SD lediglich zusätzliche Kontingente gestellt wurden.


RA. BABEL: Wie groß waren diese Kontingente? Wie groß war der Bestand des SD überhaupt?


SCHELLENBERG: Ja, ich glaube, daß ein Verhältnis vielleicht von mir geschätzt werden kann; ohne weibliche Angestellte von der Staatspolizei vielleicht 40000 bis 45000; der Kriminalpolizei von 15000 bis 20000; des SD Inland, also des Amtes III, mit seinen organisatorischen Untergliederungen von 2000 bis zweieinhalbtausend; und des SD Ausland, also meines Amtes VI, von 400.


RA. BABEL: Ja, und wie ist nun der SD im Osten bei diesen Einsatzgruppen verwendet worden?


SCHELLENBERG: Ich kann das im einzelnen nicht sagen, weil das eine Angelegenheit der Personalverwaltung und der unmittelbaren Anweisung des damaligen Chefs der Sicherheitspolizei war.


RA. BABEL: Unter den Zahlen, die Sie jetzt genannt haben, waren das lediglich männliche Mitglieder des SD oder waren da auch weibliche Angestellte, Frauen, darunter inbegriffen?


SCHELLENBERG: Das waren nur männliche Mitglieder; ich habe die weiblichen herausgelassen aus den Zahlen, die ich genannt habe.


RA. BABEL: Uns hat gestern ein Zeuge eine ähnliche Zahl genannt, von ungefähr 3000, und gemeint, dabei wären auch die weiblichen Angestellten inbegriffen.


SCHELLENBERG: Ich habe ja eine Zahl von 2000 bis 2500 für den SD-Inland genannt.


[422] RA. BABEL: Ja. Wie war die Gliederung der Waffen-SS?


SCHELLENBERG: Die Gliederung der Waffen-SS kann ich verantwortlich hier im einzelnen nicht aussagen, weil ich mich mit der Frage nicht beschäftigt habe.


RA. BABEL: Nun, waren Sie Mitglied der Waffen-SS und des SD?


SCHELLENBERG: Ich bin lediglich der Waffen-SS im Januar 1945, sozusagen auf höheren Befehl, eingegliedert worden, weil man mir, da größere Teile von militärischen Verbänden mir unterstellt waren, durch das Amt Mil. einen militärischen Dienstgrad verleihen wollte.


RA. BABEL: Ist Ihnen bekannt, daß das in größerem Umfange auch sonst geschehen ist?


SCHELLENBERG: Da bin ich überfragt.


RA. BABEL: Danke.


OBERST AMEN: Wissen Sie von einem Spezialfall, in welchem Kaltenbrunner die Evakuierung eines Lagers entgegen den Wünschen Himmlers angeordnet hat?


SCHELLENBERG: Ja.


OBERST AMEN: Bitte, erzählen Sie dem Gerichtshof hierüber.

SCHELLENBERG: Ich kann das Datum nicht mehr genau angeben; ich glaube, es war aber im Anfang April 1945, als der Sohn des Altbundespräsidenten Musy der Schweiz, der seinen Herrn Vater in die Schweiz verbracht hatte, mit dem Wagen zurückgekehrt war nach dem Lager Buchenwald, um dort persönlich eine von mir befreite jüdische Familie abzuholen. Er traf das Lager in voller Evakuierung unter unwürdigsten Zuständen. Da er drei Tage vorher seinen Herrn Vater mit dem endgültigen Bescheid der Nichtevakuierung der Lager – diese Erklärung war auch für General Eisenhower bestimmt – in die Schweiz abgefahren hatte, war er über diese Nichteinhaltung des Versprechens doppelt enttäuscht. Musy junior kam zu mir persönlich in meine Amtsräume, war tief beleidigt und machte mir bittere Vorwürfe. Ich konnte den Sachverhalt nicht verstehen und setzte mich sofort mit dem Sekretär Himmlers in Verbindung und verwahrte mich gegen ein derartiges Vorgehen. Nach kurzer Zeit wurde mir der Tatbestand, wie er von Herrn Musy junior geschildert war, als richtig zugegeben, jedoch sei es völlig unerklärlich, da Himmler diese Befehle nicht gegeben hätte. Es wurde sofortige Abstellung mit allen Mitteln zugesichert. Dies bestätigte mir auch Himmler telefonisch persönlich einige Stunden später. Ich glaube, es war am gleichen Tage, als ich nach einer Amtschefsitzung Kaltenbrunner über diesen Sachverhalt unterrichtete und ihn von meiner großen Sorge über diesen erneuten Bruch [423] internationaler Versicherungen Mitteilung machte. Als ich bei diesem Gesprächsmoment eine Pause machte, schaltete sich der Chef der Staatspolizei; Gruppenführer Müller, ein und erklärte, er habe ja auf Weisung Kaltenbrunners schon vor drei Tagen mit der Evakuierung der wichtigsten Häftlinge der einzelnen Lager begonnen. Kaltenbrunner erwiderte wörtlich:

»Ja, das ist richtig, es handelt sich um einen Führerbefehl, der mir auch neuerlich von ihm, also dem Führer, bestätigt worden ist. Alle wichtigen Häftlinge sind nach seiner Weisung nach dem Süden des Reiches zu evakuieren.«

Er wandte sich dann spöttisch an mich und sagte auf Dialekt:

»Sagen Sie Ihrem alten Herrn, das war Herr Musy senior, in den Lagern werden's noch genug verbleiben. Damit können Sie sich auch abfinden.«

Ich glaube, das war am 10. April 1945.

OBERST AMEN: Das, Hoher Gerichtshof, ist alles.

GENERAL NIKITCHENKO: Können Sie uns gleich sagen, welches die Aufgaben des Reichssicherheitshauptamtes waren?


SCHELLENBERG: Das kann ich nicht in einem Satz beantworten. Ich glaube,...

GENERAL NIKITCHENKO: Fassen Sie sich kurz! Fassen Sie sich kurz! Was waren die Aufgaben?


SCHELLENBERG: Das Reichssicherheitshauptamt war eine Zusammenfassung einer sicherheitspolizeilichen, das heißt staatspolizeilichen...


GENERAL NIKITCHENKO: Die Organisation kennen wir schon aus dem Material, das dem Gerichtshof bereits vorgelegen hat; aber welches waren seine Funktionen?


SCHELLENBERG: Ja, ich wollte Ihnen die Funktionen erläutern. Die Funktionen bestanden in einer Sicherheits-, das heißt staatspolizeilichen Tätigkeit, in einer kriminalpolizeilichen Tätigkeit, in einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit im Inland und einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit im Ausland.


GENERAL NIKITCHENKO: Ist es zutreffend, wenn man es so formuliert, daß die Funktionen in der Unterdrückung derer bestanden haben, die die Regierung und die Nazi-Partei als Gegner ansahen?


SCHELLENBERG: Nein, ich glaube, diese Formulierung ist zu einseitig.


GENERAL NIKITCHENKO: Aber auch diese Funktionen gehörten dazu?


SCHELLENBERG: Sie waren vielleicht ein gewisser Bestandteil der Tätigkeit der Staatspolizei.


[424] GENERAL NIKITCHENKO: Hat sich dieser Teil der Funktionen nach der Amtsübernahme durch Kaltenbrunner geändert?


SCHELLENBERG: Nein, es hatte sich nichts geändert.


GENERAL NIKITCHENKO: Haben sich diese Funktionen, über die Sie eben gesprochen haben, seit Kaltenbrunners Amtsantritt als Chef des Reichssicherheitshauptamtes geändert?


SCHELLENBERG: Die Funktionen, so wie ich sie formuliert habe, haben sich nach dem Amtsantritt Kaltenbrunners nicht geändert.


GENERAL NIKITCHENKO: Ich habe noch eine Frage. Was waren die Aufgaben der Einsatzgruppen, die auf Grund der Abmachungen zwischen dem Sicherheitsdienst und dem Oberkommando geschaffen werden sollten?


SCHELLENBERG: Bei der damaligen Vereinbarung war in dem ersten Teil, den ich hier bereits beschrieben habe, die Aufgabe umschrieben, die Sicherung im Rücken der kämpfenden Truppe zu übernehmen und jeden Widerstand mit jedem Mittel niederzuhalten.


GENERAL NIKITCHENKO: Den Widerstand niederzuhalten oder den Widerstand zu brechen?


SCHELLENBERG: Es hieß wörtlich, jeden Widerstand mit jedem Mittel zu brechen.


GENERAL NIKITCHENKO: Mit welchen Mitteln sollte dieser Widerstand unterdrückt werden?


SCHELLENBERG: Das wurde in der damaligen Vereinbarung weder erwähnt noch besprochen.


GENERAL NIKITCHENKO: Aber es ist Ihnen bekannt, welche Mittel angewandt wurden, nicht wahr?


SCHELLENBERG: Ich habe später gehört, daß durch die Härte des Kampfes die Mittel auch sehr hart gewählt wurden. Ich weiß das aber nur vom Hörensagen.


GENERAL NIKITCHENKO: Und was heißt das genau formuliert?


SCHELLENBERG: Daß im Partisanenkampf und in der Begegnung der Zivilbevölkerung zahlreiche Erschießungen vorgenommen worden sind.


GENERAL NIKITCHENKO: Darunter auch von Kindern?


SCHELLENBERG: Das habe ich nicht gehört.


GENERAL NIKITCHENKO: Das haben Sie nicht gehört.


[Keine Antwort.]


Das ist alles.

[425] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nachdem Euere Lordschaft mich gütigerweise fragte, ob ich weitere Fragen zu stellen hätte; ich habe noch einige weitere Informationen erhalten; und ich würde dem Gerichtshof dankbar sein, wenn ich eine oder zwei Fragen stellen dürfte.


[Zum Zeugen gewandt]:


Können Sie sich an eine Besprechung zwischen Kaltenbrunner, Gruppenführer Nebe und Gruppenführer Müller erinnern, die im Frühjahr 1944 in Berlin, Wilhelmstraße 102 stattfand?


SCHELLENBERG: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Womit beschäftigte sich diese Besprechung?


SCHELLENBERG: Dieses Gespräch, das ich, ohne selbst Gesprächsteilnehmer zu sein, flüchtig erfassen konnte, beschäftigte sich mit der nachträglichen Abdeckung von ungefähr fünfzig erschossenen englischen oder amerikanischen Kriegsgefangenen. Des Gesprächs im einzelnen erinnere ich mich so, daß offenbar eine Anfrage des Internationalen Roten Kreuzes als Nachfrage über den Verbleib von fünfzig englischen und amerikanischen Kriegsgefangenen gehalten wurde. Diese Anfrage des Internationalen Roten Kreuzes war offenbar über das Auswärtige Amt dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD zugeleitet worden. Ich konnte aus dem Gespräch...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: War es bereits in Protestform gegen die Erschießung der Kriegsgefangenen gehalten?


SCHELLENBERG: Ich glaube, es war bereits eine Protestform, denn aus den Gesprächsfetzen konnte ich entnehmen, daß man sich darüber unterhielt, in welcher Form man die Erschießung dieser Kriegsgefangenen, die ja bereits stattgefunden habe, kaschieren und abdecken wollte.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Besprach Kaltenbrunner dies mit Müller und Nebe?


SCHELLENBERG: Kaltenbrunner besprach diese Angelegenheit mit Müller und Nebe, und da ich nur Gesprächsfetzen aufnehmen konnte, hörte ich nur ganz flüchtig, daß sie sich verabredeten, am Nachmittag die Dinge im einzelnen zu besprechen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie irgendeinen Vorschlag gehört, was für eine Erklärung zu geben sei, um die Erschießung dieser Gefangenen zu decken?


SCHELLENBERG: Ja! Kaltenbrunner selbst gab diese Vorschläge.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und was waren das für Vorschläge?


[426] SCHELLENBERG: Der größte Teil sollte in Einzelfällen behandelt werden; als »zu Grunde gegangen durch Bombenangriffe«, dann einige, glaube ich, wegen »Widerstandes«, also wegen »körperlichen Widerstandes« und andere wegen »Verfolgung auf der Flucht«.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie meinen also bei Fluchtversuch erschossen?


SCHELLENBERG: Ja, auf der Flucht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dies waren also die Entschuldigungen, die Kaltenbrunner vorschlug?


SCHELLENBERG: Ja, es waren die Entschuldigungen, die Kaltenbrunner vorschlug.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun möchte ich Sie bitten, sich so gut wie möglich an die Sache mit diesen Gefangenen zu erinnern. Können Sie sich noch an irgendeine bestimmte Zahl von Gefangenen erinnern, über die gesprochen wurde, oder wie man auf diese Erklärungen kam? Über wie viele?


SCHELLENBERG: Also, ich erinnere mich nur, daß immer wieder die Zahl von fünfzig erwähnt wurde, aber wie das im einzelnen sich aufteilte, kann ich nicht sagen. Das waren ja nur Gesprächsfetzen, die ich aufnehmen konnte. Ich konnte die ganze Unterredung gar nicht verfolgen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber die Zahl fünfzig haben Sie noch in Ihrem Gedächtnis?


SCHELLENBERG: Fünfzig habe ich gehört, ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Können Sie sich irgendwie an den Ort oder an das Lager erinnern, wo diese Leute, die angeblich erschossen worden waren, sich aufgehalten hatten?


SCHELLENBERG: Ich kann es nicht unter Eid sagen. Es besteht die Möglichkeit, daß ich Nachträgliches hinzukombiniere, noch etwas hinzufüge; ich glaube mich zu erinnern, ich glaube, daß es Breslau ist, aber ich darf es nicht sagen als feststehend.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Können Sie sich an irgendwelche Einzelheiten bezüglich der Waffengattung, zu denen diese Leute gehörten, erinnern, zum Beispiel: Luftwaffe oder Heer. Können Sie sich erinnern?


SCHELLENBERG: Ich glaube, es waren alles Offiziere sogar.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Offiziere?


SCHELLENBERG: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber Sie können sich nicht erinnern, welcher Waffengattung sie angehörten?


[427] SCHELLENBERG: Nein, das kann ich nicht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich danke dem Gerichtshof, daß ich diese Fragen stellen durfte.


OBERST AMEN: Das ist alles von diesem Zeugen.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge Schellenberg verläßt den Zeugenstand.]


OBERST AMEN: Ich möchte als nächsten Zeugen Alois Höllriegel aufrufen.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Bitte buchstabieren Sie den Nachnamen.

OBERST AMEN: H-o-e-l-l-r-i-e-g-e-l.


VORSITZENDER: Wie heißen Sie?


ZEUGE ALOIS HÖLLRIEGEL: Alois Höllriegel.


VORSITZENDER: Wollen Sie diesen Eid ablegen?

Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen, wenn Sie wollen.

OBERST AMEN: Was war Ihre Stellung am Ende des Krieges?


HÖLLRIEGEL: Ende des Krieges war ich Unterscharführer in Mauthausen.


OBERST AMEN: Waren Sie Angehöriger der Totenkopf-SS?


HÖLLRIEGEL: Jawohl, ich wurde im Jahre 1939 zur SS eingezogen.


OBERST AMEN: Was war Ihre Tätigkeit und Aufgabe im Konzentrationslager Mauthausen?


HÖLLRIEGEL: Bis zum Winter 1942 war ich bei der Wachkompanie, da mußte ich Posten stehen. Von 1942 bis Ende des Krieges war ich in den Innendienst des Lagers kommandiert.


OBERST AMEN: Und Sie hatten daher Gelegenheit, der Liquidierung von Insassen dieses Lagers durch Erschießen, Vergasen und so weiter beizuwohnen?


HÖLLRIEGEL: Jawohl, ich habe es gesehen.


OBERST AMEN: Haben Sie eine eidesstattliche Erklärung über die Tatsache abgegeben, daß Sie Kaltenbrunner in diesem Lager gesehen haben?


HÖLLRIEGEL: Jawohl.


[428] OBERST AMEN: Und daß Kaltenbrunner die Gaskammern gesehen hat und ihm deren Betrieb wohl bekannt war?


HÖLLRIEGEL: Jawohl.


OBERST AMEN: Hatten Sie auch Gelegenheit, zu beobachten, ob andere wichtige Persönlichkeiten dieses Lager besucht haben?


HÖLLRIEGEL: Ich kann mich erinnern an Pohl, Glücks, Kaltenbrunner, an Schirach und auch an den Gauleiter von der Steiermark, Uiberreither.


OBERST AMEN: Haben Sie persönlich Schirach im Konzentrationslager Mauthausen gesehen?


HÖLLRIEGEL: Jawohl.


OBERST AMEN: Erinnern Sie sich an sein Aussehen so, daß Sie ihn erkennen könnten?


HÖLLRIEGEL: Ich denke, er wird sich in der letzten Zeit wohl etwas verändert haben, aber ich werde ihn schon erkennen.


OBERST AMEN: Wie lange ist es her, daß Sie ihn dort gesehen haben?


HÖLLRIEGEL: Es war im Herbst 1942, seither habe ich ihn nicht mehr gesehen.


OBERST AMEN: Bitte, sehen Sie sich einmal im Gerichtssaal um und erklären Sie, ob Sie Schirach im Gerichtssaal sehen können?


HÖLLRIEGEL: Jawohl.


OBERST AMEN: Welche Person ist es?


HÖLLRIEGEL: Er ist in der zweiten Reihe von links die dritte Person.

OBERST AMEN: Die eidesstattliche Erklärung, auf die ich mich beziehe, war US-515.


VORSITZENDER: Was ist die PS-Nummer?


OBERST AMEN: 2753-PS.


[Zum Zeugen gewandt]:


Ich lege Ihnen nun einen Abzug des Beweisstücks 2641-PS vor, und ich bitte Sie, mir zu sagen, ob Sie den Ort erkennen können, an dem sich die abgebildeten Personen befinden?


HÖLLRIEGEL: Soviel man auf diesem Bild erkennen kann, ist das ein Steinbruch; ob es der Steinbruch anschließend dem Lager Mauthausen ist, das kann man hier nicht genau feststellen, da hier zu wenig Blickfeld ist.


OBERST AMEN: Bitte, wiederholen Sie diese Antwort.


[429] HÖLLRIEGEL: Jawohl. Soviel hier auf diesem Bilde erkenntlich ist, kann man nicht genau sagen, ob das der Steinbruch Wiener Graben ist, der sich an das Lager Mauthausen anschloß. Es kann genau so eine andere Steingrube sein. Man müßte mehr Blickfeld haben. Aber ich glaube, daß Besuche öfters stattfanden. Ich nehme an, daß dies der Steinbruch Wiener Graben ist.


OBERST AMEN: Sehr gut. Legen Sie das Bild zunächst einmal beiseite. Hatten Sie Gelegenheit, zu beobachten, wie Insassen des Konzentrationslagers dadurch umgebracht wurden, daß man sie von einem Felsen herunterstieß?


HÖLLRIEGEL: Jawohl.


OBERST AMEN: Bitte, erzählen Sie dem Gerichtshof ihre Wahrnehmungen hinsichtlich dieser Vorkommnisse.


HÖLLRIEGEL: Ich kann mich erinnern, es war im Jahre 1941. Ich war damals bei der Wachkompanie und auf dem Turm, der das Gebiet des Wiener Grabens abschloß, und konnte beobachten, vormittags kamen so zirka sechs bis acht Gefangene; ich sah zwei SS dabei, einer war Hauptscharführer Spatzenöcker, und der andere war Unterscharführer Edenhofer. Sie bewegten sich unter den merkwürdigen Gebärden...


VORSITZENDER: Bitte warten Sie. Sie sprechen zu schnell. Sie müssen etwas langsamer sprechen.


HÖLLRIEGEL: Ich sah, daß sie sich dem Steinbruch Wiener Graben, dem Felsabsprung näherten. Ich sah von meinem Wachturm aus, daß diese zwei SS auf die Gefangenen einschlugen, und ich konnte gleich bemerken, daß es den Zweck haben sollte, die Gefangenen zu zwingen, sich herunterzuwerfen oder sie herabzustoßen. Ich bemerkte, wie einer der Gefangenen am Boden lag und mit Füßen getreten wurde und die Gebärde zeigte, er sollte sich hier beim Steinbruch herunterstürzen. Der Gefangene tat das unter den ausgestandenen Hieben, wahrscheinlich in der Verzweiflung, sofort.


OBERST AMEN: Wie hoch war dieser Steinbruch?


HÖLLRIEGEL: Ich schätze dreißig bis vierzig Meter.


OBERST AMEN: Gab es unter Euch Wachmannschaften einen Ausdruck dafür, wenn Gefangene vom Felsen heruntergestürzt wurden?


HÖLLRIEGEL: Jawohl. Sie wurden im Lagermund bezeichnet als Fallschirmspringer.


OBERST AMEN: Der Zeuge steht den andern Vertretern zur Verfügung.


VORSITZENDER: Hat die russische oder französische Anklagevertretung oder die Verteidigung irgendwelche Fragen zu stellen?


[430] DR. SAUTER: Herr Zeuge, mich würde folgendes interessieren. Sie haben vorhin erzählt, Sie seien 1939 zur SS eingezogen worden.

HÖLLRIEGEL: Stimmt auch, am 6. 9.


DR. SAUTER: Moment 'mal. Bitte wiederholen Sie Ihre Antwort.


HÖLLRIEGEL: Das stimmt, ich bin am 6. September 1939 eingezogen worden nach Ebersberg bei Linz.


DR. SAUTER: Haben Sie vorher gar keine Beziehungen zur Partei gehabt?


HÖLLRIEGEL: Jawohl, im April 1938 habe ich mich zur Zivil-SS gemeldet, weil ich in der ganzen vorherigen Zeit von der Schuschnigg-Regierung an arbeitslos war und ohne jede Unterstützung, und daraufhin habe ich mir gesagt, jetzt gehe ich zur Zivil-SS und werde auch eine Arbeit bekommen, um meine Frau heiraten zu können.


DR. SAUTER: Also, wenn ich recht verstanden habe, dann sind Sie zur SS im Jahre 1939 eingezogen worden, weil Sie im Frühjahr 1938 sich bereits freiwillig zur Zivil-SS gemeldet hatten.


HÖLLRIEGEL: Das kann ich nicht genau feststellen; mancher wurde zur Wehrmacht eingezogen, zur Luftwaffe und auch zur Allgemeinen SS.


DR. SAUTER: Sind Sie Österreicher?


HÖLLRIEGEL: Jawohl.

DR. SAUTER: Sie haben also damals in Österreich gewohnt?


HÖLLRIEGEL: Jawohl, in Graz.


DR. SAUTER: Dann würde mich etwas interessieren hinsichtlich des Angeklagten von Schirach. Sie haben den Angeklagten Schirach in Mauthausen gesehen. Wie oft haben Sie ihn dort gesehen?


HÖLLRIEGEL: Ich kann mich ganz genau erinnern, einmal.


DR. SAUTER: Einmal?


HÖLLRIEGEL: Jawohl.


DR. SAUTER: War da der Herr von Schirach allein in Mauthausen oder mit anderen Leuten?


HÖLLRIEGEL: Nein, der Herr Schirach war in Begleitung von mehreren; es wird eine Gruppe gewesen sein von zirka zehn Personen, unter denen, erkannte ich von Schirach und den Gauleiter Uiberreither.


DR. SAUTER: Es sollen damals nicht nur zehn, sondern mindestens zwanzig Personen gewesen sein.


HÖLLRIEGEL: Ich wußte damals nicht, daß ich die Zahl 'mal brauchen könnte, ich habe sie nicht gezählt.


[431] DR. SAUTER: Ja, ich lege deswegen Wert darauf, weil der Angeklagte von Schirach mir berichtete, es sei das eine Besichtigung gewesen, eine offizielle Besichtigung des Lagers Mauthausen, und zwar aus Anlaß einer Tagung der Wirtschaftsberater aller sechs Ostmark-Gaue.


HÖLLRIEGEL: Ja, warum er ins Lager gekommen ist, war mir natürlich unbekannt, aber ich kann mich gut erinnern, diese Gruppe kam mit von Schirach und dem Schutzhaftlagerführer Bachmeyer ins Lager herein. Allerdings konnte ich beobachten, sie hatte den Charakter einer Besichtigung.


DR. SAUTER: Ist Ihnen etwas davon bekannt, daß diese Besichtigung schon einige Tage vorher im Lager bekanntgemacht worden war, und daß wegen dieser Besichtigung gewisse Vorbereitungen im Lager getroffen worden sind?


HÖLLRIEGEL: An das kann ich mich nicht erinnern, an gewisse Vorbereitungen; kann mich nur erinnern, es war in den Abendstunden, die Zeit weiß ich nicht genau; es war gerade Abendzählung, die Gefangenen waren angetreten, und wir diensthabenden Mannschaften mußten auch antreten. Dann sein diese Gruppe 'neinkommen.


DR. SAUTER: Haben Sie selbst nichts gewußt, am Tage vorher schon, oder haben Ihre Kameraden etwas davon gehört, daß am nächsten Tage eine Besichtigung sein wird?


HÖLLRIEGEL: Daran kann ich mich nicht erinnern.


DR. SAUTER: Und ist Ihnen nicht aufgefallen, daß gewisse Vorbereitungen in diesem Lager getroffen worden sind, ganz bestimmte Vorbereitungen?


HÖLLRIEGEL: Ich kann mich nicht erinnern an Vorbereitungen, etwas gemerkt oder gesehen zu haben.


DR. SAUTER: Ich habe an den Zeugen keine weiteren Fragen zu stellen.


DR. GUSTAV STEINBAUER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SEYSS-INQUART: Herr Zeuge, Sie haben uns einen Vorfall geschildert, der nach Auffassung zivilisierter Menschen nicht anders als wie Mord bezeichnet werden kann, nämlich das Herunterstürzen über eine Steinbruchmauer. Haben Sie diesen Vorfall Ihren Vorgesetzten gemeldet?


HÖLLRIEGEL: Diese Vorfälle sind öfter vorgekommen, und es ist ganz tausendprozentig anzunehmen, daß die Vorgesetzten davon gewußt haben.


[432] DR. STEINBAUER: Also, Sie haben eine Meldung nicht erstattet. Ist es richtig, daß es bei Todesstrafe nicht nur den Häftlingen, sondern auch von seiten der Wachmannschaften verboten war, Vorfälle dieser Art dritten Personen zu schildern?


HÖLLRIEGEL: Jawohl.


DR. STEINBAUER: Ich habe sonst keine Frage.


OBERST AMEN: Bitte betrachten Sie sich nochmals dies Bild.


HÖLLRIEGEL: Jawohl.


OBERST AMEN: Wollen Sie es genau anschauen, dann erzählen Sie mir bitte, ob das der Steinbruch unter dem Felsen ist, den Sie soeben beschrieben haben.


HÖLLRIEGEL: Ja. Soviel ich hier auf dem Bild sehe, nehme ich hundertprozentig an, daß es der Steinbruch Wiener Graben ist. Aber, ob er es ist, ob es dieser Steinbruch wirklich ist, da müßte ich mehr sehen, mehr Hintergrund, man sieht ja zu wenig; aber ich denke, er ist es ganz sicher.


OBERST AMEN: Erkennen Sie die Personen, deren Gesichter auf der Photographie zu sehen sind?


HÖLLRIEGEL: Jawohl.


OBERST AMEN: Bitte, nennen Sie dem Gerichtshof die Namen derer, die Sie erkennen.


HÖLLRIEGEL: Ich erkenne auf dem Bild selbstverständlich zuerst den Reichsführer-SS Himmler, neben ihm den Kommandanten Ziereis vom KZ Mauthausen, ganz rechts erkenne ich den Kaltenbrunner.


OBERST AMEN: Das, Hoher Gerichtshof, ist alles.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen, der Gerichtshof wird sich für 10 Minuten vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Die nächste und letzte Gruppe der verbrecherischen Organisationen ist der Generalstab und das Oberkommando. Oberst Taylor wird diesen Punkt vortragen.

OBERST TELEFORD TAYLOR, BEIGEORDNETER ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Eure Lordschaft! Hoher Gerichtshof! Die Anklageschrift stellt sechs Gruppen oder Organisationen wegen Verbrechen gemäß Artikel 9 bis 11 des Statuts unter Anklage; die letzte in der Anklageschrift aufgeführte Gruppe trägt die Bezeichnung: der Generalstab und Oberkommando der Deutschen Wehrmacht.

[433] Auf den ersten Blick scheinen diese sechs Gruppen und Organisationen untereinander in ihrer Zusammensetzung wie auch in ihren Funktionen ziemlich weitgehende Verschiedenheiten aufzuweisen. Aber alle stehen zueinander in Beziehung, und wir glauben, daß es folgerichtig ist, sie gleichzeitig anzuklagen, da sie die hauptsächlichen Handlanger und die Hauptwerkzeuge waren, durch die die Nazi-Verschwörer ihre Ziele zu erreichen trachteten. Alle sechs Gruppen wurden entweder von den Nazis geschaffen, kontrolliert oder verbündeten sich mit ihnen, und sie trugen wesentlich zu deren Erfolg bei. Sie waren gleichzeitig die hauptsächlichen und unentbehrlichen Werkzeuge: Die Partei, die Regierung, die Polizei und die Wehrmacht. Es ist meine Aufgabe, die Anklage insbesondere gegen den Generalstab und das Oberkommando vorzutragen.

In einer Beziehung muß man diese Gruppe und Organisation scharf unterscheiden von den anderen Gruppen und Organisationen, gegen die wir diese Anklage erhoben haben. Zum Beispiel ist das Korps der Politischen Leiter der NSDAP das Führerkorps der Partei selbst; jener Partei, die die Verkörperung des Nazismus darstellt. Sie war in erster Linie das Instrument, das das Hitlertum zur unumschränkten Macht brachte und es zum Tyrannen über Deutschland erhob. SA und SS waren Gliederungen – natürlich große Gliederungen – der Nazi-Partei. Die Deutsche Polizei wurzelte zwar zu einem gewissen Grade in einer Vergangenheit, die älter ist als der Hitlerismus; aber zu neunundneunzig Prozent wurde sie ein Werkzeug der Nazi-Partei und des Staates. Das Reichskabinett war im wesentlichen bloß ein Komitee oder eine Reihe von Komitees von Reichsministern, und, als die Nazis zur Macht kamen, wurden natürlich diese Ministerposten zum größten Teil mit Nazis besetzt. Alle diese Gruppen und Organisationen verdanken daher entweder ihre Entstehung und ihre Entwicklung dem Nazismus oder wurden automatisch nazifiziert, als Hitler zur Macht kam.

Dies ist nun aber nicht so hinsichtlich der Gruppe, die wir jetzt behandeln. Ich brauche den Gerichtshof nicht daran zu erinnern, daß die deutsche Wehrmacht und die deutsche militärische Tradition um viele Jahrzehnte älter sind als der Hitlerismus. Man braucht auch kein Greis zu sein, um sich sehr lebhaft an den Krieg von 1914 bis 1918 zu erinnern, an den Kaiser und an den Fetzen Papier. Aus diesem Grunde möchte ich, bevor ich mich dem Beweismaterial zuwende, ganz kurz die Natur unseres Falles gegen diese Gruppe skizzieren, die, wie ich bereits erwähnt habe, einzigartige Besonderheiten aufweist.

Als ein Ergebnis der deutschen Niederlage von 1918 und des Vertrags von Versailles war die Größe und das erlaubte Tätigkeitsgebiet der deutschen Wehrmacht stark eingeschränkt. Daß diese Beschränkung den deutschen Militarismus nicht vernichtet, ja nicht [434] einmal ernstlich untergraben hat, hat sich in den letzten Jahren überreichlich gezeigt. Zur vollen Blüte kam das deutsche militärische Potential durch die Zusammenarbeit zwischen den Nazis einerseits und den Berufsoffizieren der deutschen Wehrmacht, den Berufssoldaten des Heeres, der Marine und der Luftwaffe andererseits.

Als Hitler zur Macht kam, fand er auf militärischem Gebiet kein Vakuum vor. Er fand eine kleine Reichswehr und einen Bestand von Berufsoffizieren vor mit einer inneren Haltung und Zielsetzung, die in der deutschen Militärgeschichte wurzelten. Die Führer dieser Berufsoffiziere stellen die in der Anklageschrift genannte Gruppe dar, den Generalstab und das Oberkommando der deutschen Wehrmacht. Der vorliegende Teil des Verfahrens betrifft diese Gruppe von Männern.

Es erübrigt sich zu sagen, daß es nicht die Meinung der Anklagevertretung sein kann, daß es ein Verbrechen darstellt, Soldat oder Seemann zu sein, oder seinem Lande als Soldat oder Seemann in Kriegszeiten zu dienen. Der Soldatenberuf ist ein ehrenvoller Beruf und kann ehrenvoll ausgeübt werden; aber es ist unbestreitbar, daß ein Mann, der Verbrechen begeht, sich zur Verteidigung nicht darauf berufen kann, diese Verbrechen in Uniform begangen zu haben.

Es liegt nicht in der Natur der Dinge, und es ist auch nicht die Ansicht der Anklage Vertretung, daß jedes Mitglied dieser Gruppe ein Übeltäter war, oder daß sie alle in gleicher Weise schuldig waren; aber wir werden dartun, daß diese Gruppe nicht nur mit Hitler zusammengearbeitet und die wesentlichen Nazi-Ziele unterstützt hat, sondern wir werden auch darlegen, daß diese Gruppe den Beitrag geleistet hat, der für den Erfolg des Nazi-Programms für Deutschland absolut wesentlich und ausschlaggebend war, nämlich die Übung und Erfahrung in der Entwicklung und Anwendung bewaffneter Macht.

Warum hat diese Gruppe Hitler und die Nazis unterstützt? Ich glaube, meine Herren Richter, Sie werden bei der Vorlage der Beweise sehen, daß die Antwort sehr einfach ist. Die Antwort ist, daß diese Gruppe mit den wesentlichen Grundlagen und Zielen des Nazismus und Hitlers übereinstimmte, und daß Hitler den Generalen die Möglichkeit gab, eine Hauptrolle bei der Erreichung dieser Ziele zu spielen. Die Generale, ebenso wie Hitler, wollten Deutschland auf Kosten der Nachbarstaaten vergrößern und waren bereit, dazu Gewalt oder Drohung mit Gewalt anzuwenden. Macht, bewaffnete Macht, war der Grundstein dieses Gebäudes; ohne sie wäre nichts möglich gewesen.

Als die Nazis zur Macht kamen, und als sie die Macht erlangt hatten, hatten sie zwei Möglichkeiten, entweder mit der kleinen deutschen Armee, bekannt als Reichswehr, zusammenzuarbeiten und sie zu vergrößern, oder die Reichswehr zu übergehen und eine eigene [435] Armee aufzubauen. Die Generale fürchteten, daß die Nazis das letztere tun würden und waren daher um so mehr geneigt, mit den Nazis zusammenzuarbeiten. Überdies gaben die Nazis den Generalen die Möglichkeit, vieles zu erreichen, was sie durch den Ausbau der deutschen Wehrmacht und die Erweiterung der deutschen Grenzen zu erreichen wünschten. Und so haben sich die Generale, wie wir zeigen werden, einspannen lassen. Sie sahen, daß sich gegenwärtig alles nach ihrem Sinne entwickelte, und hofften zweifellos, die Führung später selbst zu übernehmen. Tatsächlich aber waren es, wie die Beweisaufnahme zeigen wird, die Generale, die schließlich von den Nazis an der Nase herumgeführt wurden.

Kurz und gut, Hitler zog die Generale durch den Glanz der Eroberungen an sich, und es gelang ihm, sie politisch unter seinen Einfluß zu bringen. Mit fortschreitendem Kriege wurden sie seine Werkzeuge; aber, wenn auch diese militärischen Führer die Werkzeuge der Nazis wurden, kann man doch nicht annehmen, daß sie nichtsahnend waren, oder daß sie nicht voll und ganz an vielen der Verbrechen teilgenommen haben, die wir zur Kenntnis des Gerichtshofs bringen werden. Die Bereitwilligkeit und in der Tat der Eifer des deutschen Berufsoffizierskorps, mit den Nazis zusammenzugehen, wird eingehend dargelegt werden.

Eure Lordschaft! Das Vorbringen wird aus drei Hauptteilen bestehen, erstens: aus einer Beschreibung der Zusammensetzung und der Arbeit des Generalstabs und des Oberkommandos, wie in der Anklageschrift definiert, zweitens: aus dem Beweismaterial zur Unterstützung der Anklage wegen Verbrechens gemäß Punkt 1 und 2 der Anklageschrift, schließlich aus dem Beweismaterial zur Unterstützung der Anklagepunkte 3 und 4.

Die Mitglieder des Gerichtshofs haben drei Dokumentenbücher vor sich, die die Bezeichnung »CC« tragen. Das erste Buch besteht aus einer Reihe von eidesstattlichen Erklärungen oder Affidavits, die dem Gerichtshof in englischer, russischer und französischer Sprache zur Verfügung stehen und den Angeklagten in deutscher Sprache gestanden haben. Das zweite und das dritte Buch sind die gewöhnliche Art von Dokumentenbüchern, nur zur leichteren Handhabung aufgeteilt.

Das zweite Buch enthält Dokumente der C- und L-Serie; das dritte Buch der PS- und R-Serie. Zur Bequemlichkeit des Gerichtshofs haben wir eine Liste dieser Dokumente in der Reihenfolge erstellt, in der darauf Bezug genommen werden wird.

Dem Gerichtshof liegt noch ein weiteres Dokument vor, betitelt: »Grundlegende Informationen über die Organisation der deutschen Wehrmacht«. Es ist gleichfalls in englischer, russischer und französischer Sprache abgefaßt und steht im Informationszimmer der Verteidigung in deutscher Sprache zur Verfügung.

[436] Ich wende mich nun zuerst der Beschreibung der Gruppe zu, wie sie in der Anklageschrift definiert ist:

Während des ersten Weltkriegs gab es eine Organisation in der deutschen Wehrmacht, die als Großer Generalstab bekannt war. Dieser Name, der Deutsche Generalstab oder der Große Generalstab, ist der Öffentlichkeit noch geläufig, aber tatsächlich besteht der Große Generalstab nicht mehr. Es hat keine solche Organisation, keinen solchen deutschen Generalstab seit 1918 mehr gegeben. Aber es gab natürlich eine Gruppe von Männern, die für die Politik und die Handlungen der deutschen Wehrmacht verantwortlich waren, und die Tatsache, daß diese Männer keinen Kollektivnamen haben, kann uns nicht daran hindern, sie zusammenzufassen. Sie können sich den Folgen ihrer Kollektivhandlungen nicht dadurch entziehen, indem sie sich informell statt formell verbanden. Das Wesen eines Generalstabes oder eines Oberkommandos liegt nicht in dem Namen, den man ihm gibt, sondern in den Funktionen, die er ausübt, und die Männer, die gemäß der Anklage in dieser Gruppe zusammengefaßt werden, stellen tatsächlich eine organische Gruppe dar, die durch gemeinsame Verantwortung zusammengeschweißt war. Es waren die Offiziere, die die Befehlsgewalt und die Hauptverantwortung unter Hitler für die Pläne und die Unternehmungen der deutschen Wehrmacht innehatten.

Wir wollen zunächst die allgemeine Struktur und Organisation der deutschen Wehrmacht untersuchen und dann die Zusammensetzung der Gruppe betrachten, wie sie in der Anklageschrift näher umschrieben ist. Wie schon erwähnt, haben wir einen ganz kurzen schriftlichen Abriß über die Organisation der deutschen Wehrmacht vorbereitet und dem Gerichtshof überreicht. Dieses Dokument enthält einen Überblick über die Hauptdaten der Geschichte und der Entwicklung des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht seit 1933, sowie dessen Aufbau nach der Reorganisation im Jahre 1938. Es enthält auch eine einfache schematische Darstellung, die in einigen Minuten hier vom im Gerichtssaal gezeigt werden wird. Ferner enthält es ein kurzes Verzeichnis militärischer Ausdrücke und eine vergleichsweise Liste der Dienstgrade im deutschen Heer und in der SS mit den entsprechenden Dienstgraden der Armee der Vereinigten Staaten und den entsprechenden Dienstgraden in der deutschen und in der britischen Flotte. Ich möchte sagen, daß die Heeres- und Flottendienstgrade sich unter den Hauptnationen nur wenig unterscheiden, vielmehr im allgemeinen demselben Schema und der gleichen Terminologie folgen.

Als die Nazis im Jahre 1933 zur Macht kamen, unterstand die deutsche Wehrmacht einem Reichsverteidigungsminister, der zu dieser Zeit Feldmarschall Werner von Blomberg war. Unter von Blomberg war von Fritsch der Chef der Heeresleitung und der [437] Angeklagte Raeder der Chef der Marineleitung. Wegen der Deutschland durch den Versailler Vertrag auferlegten Beschränkungen gab es zu dieser Zeit keinerlei offizielle deutsche Luftwaffe. Heeresleitung und Marineleitung wurden umbenannt in »Oberkommando« – Oberkommando des Heeres und Oberkommando der Kriegsmarine –, von denen die Anfangsbuchstaben OKH und OKM, unter denen sie allgemein bekannt sind, abgeleitet wurden.

Im Mai 1935, zu der Zeit, als die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland eingeführt wurde, trat eine Änderung in den Dienstbezeichnungen dieser Offiziere ein, aber die Struktur blieb im wesentlichen dieselbe. Feldmarschall von Blomberg behielt das Oberkommando der Wehrmacht mit dem Titel eines Reichskriegsministers und Oberbefehlshabers der Wehrmacht; von Fritsch erhielt den Titel: Oberbefehlshaber des Heeres und Raeder den Titel: Oberbefehlshaber der Kriegsmarine.

Die deutsche Luftwaffe trat ungefähr zu dieser Zeit offiziell und offen in Erscheinung; sie wurde jedoch nicht von Blomberg unterstellt. Sie war eine unabhängige Einrichtung unter dem persönlichen Oberbefehl des Angeklagten Göring, der den Doppeltitel: »Luftfahrtminister und Oberbefehlshaber der Luftwaffe« führte.

Ich möchte bitten, jetzt die erwähnte schematische Darstellung zeigen zu dürfen.

Dies Schema, Hoher Gerichtshof, wurde von drei führenden deutschen Generalen beglaubigt und beschworen; die diesbezüglichen eidesstattlichen Erklärungen werden Ihnen in wenigen Augenblicken vorgelegt werden. Das Schema zeigt die Organisation, die Spitzenorganisation der Wehrmacht, wie sie sich im Jahre 1938 nach der Reorganisation, die ich nun besprechen werde, herausbildete.

Im Februar 1938 wurden sowohl von Blomberg als auch von Fritsch ihrer Posten enthoben und das Ministerium Blombergs, das Kriegsministerium, aufgelöst. Das Kriegsministerium hatte eine Abteilung, genannt Wehrmachtamt, deren Funktionen darin bestanden, die Pläne und Unternehmungen des Heeres und der Kriegsmarine zu koordinieren. Aus diesem Wehrmachtamt wurde ein neues Amt mit Befehlsgewalt über die gesamte Wehrmacht gebildet, das als das Oberkommando der deutschen Wehrmacht bekannt war. Es ist das Kästchen, das Sie in der Mitte des Schemas unmittelbar unter Hitler finden, in Deutschland als Oberkommando der Wehrmacht, gewöhnlich unter der Abkürzung OKW, bekannt.

Da die Luftwaffe, ebenso wie das Heer, dem Oberkommando unterstellt war, war die Koordinierung aller Wehrmachtsangelegenheiten im OKW zentralisiert, das in Wirklichkeit der persönliche Stab Hitlers für diese Angelegenheiten war. Der Angeklagte Keitel wurde zum Chef des OKW ernannt, und die wichtigste Abteilung [438] des OKW, die Sie rechts auf dem Schema sehen, war der Wehrmachtführungsstab, dessen Chef der Angeklagte Jodl wurde.

Die Reorganisierung und die Errichtung des OKW war in einem Erlaß enthalten, den Hitler am 4. Februar 1938 herausgab. Dieser Erlaß ist im Reichsgesetzblatt erschienen, und ich bitte den Gerichtshof, hiervon amtlich Kenntnis zu nehmen (1915-PS). Abschriften stehen zur Verfügung, und ich möchte den kurzen Erlaß zur Niederschrift ins Protokoll verlesen. Ich zitiere:

»Die Befehlsgewalt über die gesamte Wehrmacht übe ich von jetzt an unmittelbar persönlich aus.«

VORSITZENDER: Wo steht das?

OBERST TAYLOR: Das ist nicht ein Dokument, Herr Vorsitzender, sondern ein Erlaß, der im Reichsgesetzblatt erschienen ist und deshalb der amtlichen Kenntnisnahme unterliegt. Abschriften stehen jedoch hier zur Verfügung, falls der Gerichtshof sie sehen möchte.

Ich fahre mit dem zweiten Absatz dieses Erlasses fort:

»Das bisherige Wehrmachtamt im Reichskriegsministerium tritt mit seinen Aufgaben als Oberkommando der Wehrmacht und als mein militärischer Stab unmittelbar unter meinen Befehl.

An der Spitze des Stabes des Oberkommandos der Wehrmacht steht der bisherige Chef des Wehrmachtamts als Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Er ist im Range den Reichsministern gleichgestellt.

Das Oberkommando der Wehrmacht nimmt zugleich die Geschäfte des Reichskriegsministeriums wahr, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht übt in meinem Auftrage die bisher dem Reichskriegsminister zustehenden Befugnisse aus.

Dem Oberkommando der Wehrmacht obliegt im Frieden nach meinen Weisungen die einheitliche Vorbereitung der Reichsverteidigung auf allen Gebieten.

Berlin, 4. Februar 1938«

Unterschrieben von Hitler, Lammers und Keitel.

Unter dem OKW kommen die drei Oberkommandos der drei Wehrmachtsteile des OKH, OKM und der Luftwaffe. Die Luftwaffe hat die offizielle Bezeichnung OKL erst 1944 erhalten. Der Angeklagte Raeder blieb nach 1938 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine; sowohl von Fritsch als auch von Blomberg verschwanden von der Bildfläche; von Fritsch wurde durch von Brauchitsch als Oberbefehlshaber des Heeres ersetzt. Göring blieb Oberbefehlshaber der Luftwaffe. Im Jahre 1941 wurde von Brauchitsch als Oberbefehlshaber des Heeres – das ist das erste Kästchen in der linken [439] Reihe – durch Hitler selbst ersetzt, und 1943 wurde Raeder, der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, durch den Angeklagten Dönitz abgelöst. Der Angeklagte Göring blieb Oberbefehlshaber der Luftwaffe bis zum letzten Monat des Krieges.

OKW, OKH, OKM und OKL hatten jedes ihren eigenen Stab. Diese vier Stäbe hatten keine einheitliche Bezeichnung. Die drei Stäbe des Heeres, der Kriegsmarine und der Luftwaffe sind die drei Quadrate in der waagerechten Linie ganz unten. Der Stab des OKW ist das kleine Quadrat rechts oben und trägt die Namen Jodi und Warlimont.

Im Falle des OKH, das heißt des Heeres, war er als Generalstab bekannt. Im Fall OKW war er bekannt als Wehrmachtführungsstab, aber in allen Fällen waren die Funktionen die eines Generalstabs im üblichen militärischen Sprachgebrauch.

Wir werden sehen, daß es in diesem Kriege nicht nur einen einzigen deutschen Generalstab gab; es waren vier Generalstäbe: einer für jeden Wehrmachts teil und einer für das OKW als das verbindende Oberkommando aller Wehrmachtsteile.

Wir kommen nun zur untersten Linie des Schemas. Wir haben uns zunächst mit der zentralen Führungsorganisation befaßt. Jetzt beschäftigen wir uns mit der Truppe. Unter dem OKH, OKM und OKL kommen die verschiedenen Kampfformationen des Heeres, der Luftwaffe und der Kriegsmarine.

Im Heer war die größte den Deutschen bekannte Truppenformation, wie im übrigen auch bei allen anderen Nationen, die Armeegruppe oder auf deutsch die Heeresgruppe. Diese sind in dem Quadrat unten in der linken Ecke eingezeichnet. Einer Heeresgruppe unterstehen zwei oder mehr Armeen. Unter den Armeen kommen die kleineren Truppeneinheiten, wie Korps, Divisionen und Regimenter, die hier nicht wiedergegeben sind.

Im Falle der deutschen Luftwaffe hieß die größte Formation Luftflotte; die kleineren Einheiten der Luftflotte wurden Korps, Fliegerkorps oder Jagdkorps oder Divisionen, Fliegerdivision oder Jagddivision genannt. Die Unterabteilungen haben wir auf diesem Schema ebenfalls nicht eingezeichnet.

Unter dem OKM bestanden die verschiedenen Marinegruppenkommandos, die alle Marine-Operationen in einem bestimmten Gebiete befehligten, mit Ausnahme der Flotte selbst und der Unterseeboote. Der Flottenchef und der Befehlshaber der Unterseeboote waren der deutschen Seekriegsleitung unmittelbar unterstellt.

Untersuchen wir nun die Gruppe, wie sie in der Anklageschrift beschrieben ist, und bezüglich derer die Anklagevertretung beantragt, sie als verbrecherisch zu erklären. Diese Gruppe ist im Anhang B der Anklageschrift definiert. Sie umfaßt erstens diejenigen deutschen Offiziere, die die Spitzenstellungen in den vier [440] eben beschriebenen Oberkommandos, und zweitens diejenigen Offiziere, die die Oberbefehlshaberstellen bei der Truppe innehatten.

Wenn ich mich zuerst den Offizieren zuwende, die die wichtigsten Stellungen in den Oberkommandos innehatten, so finden wir, daß die Inhaber von neun solchen Stellungen unter diese Gruppe fallen. Vier davon waren Stellungen der höchsten Befehlsstufe: Der Chef des OKW, Keitel; der Oberbefehlshaber des Heeres, von Brauchitsch, später Hitler; der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Raeder und später Dönitz; der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Göring und später von Greim.

Vier weitere Stellungen sind die der Chefs der Stäbe dieser vier Oberbefehlshaber: der Chef des Wehrmachtführungsstabes, Jodl; der Chef des Generalstabs des Heeres, Halder und später andere; der Chef des Generalstabs der Luftwaffe, Jeschonneck und später andere; und der Chef der Seekriegsleitung.

Die neunte Stellung ist die des Stellvertretenden Chefs des Wehrmachtführungsstabes. Während des größten Teiles des Krieges war es General Warlimont, dessen Name auf dem Schema unter dem Jodls zu sehen ist. Das besondere Aufgabengebiet des Stellvertreters Jodls war Planung, strategische Planung; aus diesem Grunde wurde sein Amt in die in der Anklageschrift umschriebene Gruppe mit aufgenommen.

Die in der Anklage genannte Gruppe umfaßt alte Einzelpersonen, die eine dieser neun Stellungen zwischen dem Februar 1938 und dem Ende des Krieges im Mai 1945 innehatten. Februar 1938 wurde als das Anfangsstadium gewählt; denn in diesem Monat wurde die oberste Führung der deutschen Wehrmacht reorganisiert und nahm im wesentlichen die Form an, die Sie hier sehen, und die bis zum Ende des Krieges weiterbestand.

Zweiundzwanzig verschiedene Personen haben diese neun Stellungen während dieser Zeit innegehabt und von diesen zweiundzwanzig leben noch achtzehn.

Wir wenden uns nun den Offizieren zu, die die obersten Truppenkommandos innehatten. Die Anklageschrift schließt als Angehörige dieser Gruppe alle Fronttruppen-Oberkommandierenden ein, die innerhalb des Heeres, der Kriegsmarine oder der Luftwaffe die Stellung eines Oberbefehlshabers innehatten. Der Ausdruck »Oberbefehlshaber« läßt sich wörtlich kaum ins Englische übersetzen. Wörtlich bedeuten die einzelnen Teile des Ausdrucks »over-command-holder«, und vielleicht wird er am besten mit »Commander-in-Chief« übersetzt.

Beim Heer hatten die Führer von Heeresgruppen und Armeen immer den Titel und die Stellung eines »Oberbefehlshabers«. In der Luftwaffe haben die Kommandeure von Luftflotten immer die Stellung eines »Oberbefehlshabers« innegehabt, wenngleich sie die [441] formale Bezeichnung erst 1944 erhielten. In der Kriegsmarine hatten Offiziere, die den Oberbefehl über einen bestimmten Bereich innehatten, und denen damit die Marine-Operationen in diesem Bereich unterstanden, die Stellung eines Oberbefehlshabers.

Ungefähr 110 Offiziere hatten während des fraglichen Zeitraums den Rang eines Oberbefehlshabers im Heer, in der Kriegsmarine oder in der Luftwaffe inne. Alle, mit Ausnahme von ungefähr einem Dutzend, sind noch am Leben. Die gesamte Gruppe Generalstab und Oberkommando, so wie sie in der Anklageschrift erläutert ist, umfaßt ungefähr 130 Offiziere, von denen vermutlich 114 noch am Leben sind. Diese Zahlen schließen natürlich alle Offiziere ein, die jemals während der sieben Jahre und drei Monate, von Februar 1938 bis Mai 1945, dieser Gruppe angehört haben.

Die Zahl der aktiven Mitglieder dieser Gruppe zu ein und derselben Zeit war natürlich viel kleiner. Es waren ungefähr zwanzig zu Beginn des Krieges, eine Zahl, die sich auf ungefähr fünfzig im Jahre 1944 und 1945 erhöhte. Das heißt, daß zu jeder Zeit des Jahres 1944 die aktive Gruppe aus neun Personen bestanden hat, die die neun Stabsstellungen innehatten, sowie aus ungefähr 41 Oberbefehlshabern innerhalb der Kriegsmarine, der Luftwaffe und des Heeres.

Aufbau und Arbeitsweise der Gruppe deutscher Generalstab und Oberkommando wurden in einer Reihe von eidesstattlichen Erklärungen von einigen der hervorragendsten deutschen Feldmarschälle und Generale beschrieben. Diese eidesstattlichen Erklärungen finden Sie im Band 1 des Dokumentenbuchs CC. Ich möchte nun kurz erläutern, wie diese eidesstattlichen Erklärungen zustande kamen.

Zuerst wurden zwei amerikanische Offiziere auf Grund ihrer Gewandtheit und ihrer Erfahrung bei der Vernehmung hochrangiger deutscher Kriegsgefangener ausgesucht. Sie wurden von einem Offizier des Nachrichtendienstes und einem Anklagevertreter über das besondere Problem unterrichtet, das dieser Teil des Verfahrens bot, nämlich die Organisation der deutschen Wehrmacht. Diese Offiziere besaßen im militärischen Nachrichtendienst bereits große Erfahrungen und sprachen fließend deutsch.

Es wurde Wert darauf gelegt, daß die Funktionen dieser Vernehmungsoffiziere bloß darin bestanden, die auf die Organisation der Wehrmacht bezüglichen Tatsachen in Erfahrung zu bringen und festzustellen, das heißt Tatsachen, über die die Anklagevertretung genau unterrichtet sein wollte.

Die zu verhörenden deutschen Generale wurden nach den Spezialkenntnissen ausgesucht, die sie vermutlich auf Grund ihrer in der Vergangenheit eingenommenen Stellungen besaßen. Nach jedem Verhör fertigte der vernehmende Offizier eine Aufzeichnung;[442] aus dieser Aufzeichnung wurden Tatsachen, die für die dem Gerichtshof vorliegenden Fälle sachdienlich schienen, herausgenommen und eine zusammenfassende Niederschrift vorbereitet. Diese Niederschrift wurde dann dem deutschen Offizier in einem späteren Verhör in Form eines Entwurfs vorgelegt, und er wurde gefragt, ob seine Aussage richtig wiedergegeben sei; er wurde aufgefordert, die Erklärung in jeder ihm richtig erscheinenden Weise zu ändern. Das Ziel war, möglichst genaue Zeugenaussagen über Organisationsfragen zu erhalten.

Ich werde nun diese eidesstattlichen Erklärungen einzeln vortragen. Ich glaube, daß der Hohe Gerichtshof sehen wird, daß sie voll und ganz die von der Anklagevertretung gegebene Beschreibung dieser Gruppe rechtfertigen und im Endergebnis zeigen, daß es tatsächlich diese Gruppe von Offizieren war, die die Hauptverantwortung für die operative Planung und Führung der deutschen Wehrmacht trug.

Die sowjetischen und französischen Richter haben russische und französische Abschriften, und die deutschen Verteidiger haben Abschriften in deutscher Sprache.

Die erste dieser eidesstattlichen Erklärungen ist die von Franz Halder, der den Rang eines Generalobersten, der einem General mit vier Sternen in der amerikanischen Armee entspricht, innehatte. Seine eidesstattliche Erklärung wird als Dokument 3702-PS, US-531, vorgelegt. Halder war Chef des Generalstabs des OKH. Das ist auf der linken Seite das zweite Quadrat von unten. Er war Chef des Generalstabs des OKH von September 1938 bis September 1942. Er gehört demnach dieser Gruppe an und ist auf Grund seiner Stellung sehr gut in der Lage, über diese Organisation auszusagen. Seine Aussage ist kurz, und ich werde sie ganz verlesen:

»Die endgültige Vollzugsgewalt und letzte Verantwortung in militärischen Angelegenheiten in Deutschland war dem Staatsoberhaupt anvertraut, welches vor dem 2. August 1934 Generalfeldmarschall von Hindenburg und späterhin bis 1945 Adolf Hitler war.

Militärische fachliche Angelegenheiten oblagen der Verantwortung der dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht (gleichzeitig Staatsoberhaupt) unterstehenden Wehrmachtteile, das heißt, Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe. Tatsächlich jedoch wurde die Leitung der Arbeiten innerhalb dieses Sachbereiches von einer relativ kleinen Gruppe höherer Offiziere ausgeübt. Diese Offiziere übten diese leitende Tätigkeit auf Grund ihrer Dienstanweisungen kraft ihrer Ausbildung, Stellung und ihrer gegenseitigen Beziehungen aus. Pläne für [443] militärische Unternehmungen der deutschen Wehrmacht wurden nach den Weisungen des OKW von diesem Bearbeiterkreis im Auftrag ihrer Befehlshaber vorbereitet und wurden dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht (zugleich Staatsoberhaupt) unterbreitet.

Den Angehörigen dieser Gruppe oblag es, militärische Unternehmungen innerhalb ihres Sachbereiches vorzubereiten, und tatsächlich haben sie solche Unternehmungen vorbereitet, die von der Truppe durchgeführt werden sollten.

Vor einer Unternehmung wurden gelegentlich die betreffenden Angehörigen dieser Gruppe von dem Staatsoberhaupte zusammengerufen und die angemessenen Richtlinien gegeben. Beispiele solcher Zusammenkünfte sind Hitlers Ansprache am 22. August 1939 an die Oberbefehlshaber vor dem polnischen Feldzug, und am 14. Juni 1941 die Besprechung in der Reichskanzlei vor dem ersten russischen Feldzug.

Die Gliederung dieser Gruppe und ihr gegensei tiges Verhältnis zueinander zeigt die beiliegende Skizze. Dies war der tatsächliche Generalstab und die Oberste Führung der deutschen Wehrmacht.

Halder.«

Die Skizze, auf die Bezug genommen wird, ist das Schema, das sich vorn im Gerichtssaal befindet; sie war der eidesstattlichen Erklärung beigefügt. Die beiden Zusammenkünfte, auf die im letzten Absatz der eidesstattlichen Erklärung verwiesen wird, sind in Dokumenten belegt, die später vorgelegt werden.

Ich lege als nächstes eine im wesentlichen gleichlautende Erklärung von Brauchitsch vor, Dokument 3703-PS, US-532. Von Brauchitsch hatte den Rang eines Feldmarschalls und war Oberbefehlshaber des Heeres von 1938 bis 1941, daher auch ein Angehöriger dieser Gruppe. Ich brauche seine Erklärung nicht vorzulesen, da sie praktisch die gleiche ist, wie die von Halder abgegebene. Aber ich möchte bitten, daß sie an dieser Stelle vollständig in das Protokoll aufgenommen wird. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Erklärungen liegt im letzten Satz. Halder erklärt, daß die Gruppe, die m der Anklageschrift beschrieben ist:

»der tatsächliche Generalstab und die Oberste Führung der deutschen Wehrmacht«

war, Während von Brauchitsch es ein wenig anders ausdrückt:

»In der Hand der in der Skizze aufgeführten Dienststellen lag die tatsächliche Führung der Wehrmacht.«

Im übrigen sind beide Erklärungen identisch.

Das Dokument, auf das vorher Bezug genommen wurde, lautet wie folgt:

[444] »Die endgültige Vollzugsgewalt und letzte Verantwortung in militärischen Angelegenheiten in Deutschland war dem Staatsoberhaupte anvertraut, welches vor dem 2. August 1934 Generalfeldmarschall von Hindenburg und späterhin bis 1945 Adolf Hitler war.

Militärische fachliche Angelegenheiten oblagen der Verantwortung der dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht (gleichzeitig Staatsoberhaupt) unterstehenden Wehrmachtteile, das heißt, Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe. Tatsächlich Jedoch wurde die Leitung der Arbeiten innerhalb dieser Sachbereiche von einer relativ kleinen Gruppe höherer Offiziere ausgeübt. Diese Offiziere übten diese leitende Tätigkeit auf Grund ihrer Dienstanweisungen kraft ihrer Ausbildung, Stellung und ihrer gegenseitigen Beziehungen aus. Pläne für militärische Unternehmungen der deutschen Wehrmacht wurden nach den Weisungen des OKW von diesem Bearbeiterkreis vorbereitet und wurden dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht (zugleich Staatsoberhaupt) unterbreitet.

Den Angehörigen dieser Gruppe war volle Autorität anvertraut, militärische Unternehmungen innerhalb ihres Sachbereiches vorzubereiten und tat sächlich haben sie solche Unternehmungen vorbereitet, die von der Truppe eventuell durchgeführt werden sollten.

Vor einer Unternehmung wurden gelegentlich Angehörige dieser Gruppe von dem Staatsoberhaupte zusammengerufen und die angemessenen Richtlinien gegeben. Beispiele solcher Zusammenkünfte sind Hitlers Ansprache am 22. August 1939 an die Oberbefehlshaber vor dem polnischen Feldzug, und am 14. Juni 1941 die Besprechung in der Reichskanzlei vor dem ersten russischen Feldzug.

Die Gliederung dieser Gruppe und ihr gegenseitiges Verhältnis zueinander zeigt beiliegende Skizze.

In der Hand der in der Skizze aufgeführten Dienststellen lag die tatsächliche Führung der Wehrmacht.

von Brauchitsch.«

Der Gerichtshof wird aus diesen eidesstattlichen Erklärungen ersehen, daß das Schema, das wir hier vorn im Gerichtssaal zeigen und das der kurzen erläuternden Erklärung beigefügt ist, von Brauchitsch und Halder vorgelegt worden ist, und daß diese beiden Offiziere unter Eid erklärt haben, daß sie ein genaues Bild der Spitzenorganisation der deutschen Wehrmacht gibt. Die Erklärungen von Brauchitsch und Halder bestätigen ferner voll und ganz die Behauptung der Anklagevertretung, daß die Inhaber der auf dem Schema angegebenen Stellungen die Gruppe bilden, [445] die die Hauptverantwortung für die Planung und Durchführung aller Wehrmachtsangelegenheiten trug.

Ich möchte nun eine weitere eidesstattliche Erklärung von Halder vorlegen, die einige Einzelheiten behandelt, auf die ich bei der Darstellung der Gruppe bereits aufmerksam gemacht habe; sie ist ziemlich kurz. Es ist die eidesstattliche Erklärung Nummer 6, Dokument 3707-PS, US-533; ich werde sie ganz ins Protokoll verlesen:

»Die wichtigste Abteilung im OKW war der Wehrmachtführungsstab etwa in derselben Weise wie der Generalstab bei Heer und Luftwaffe und die Seekriegsleitung bei der Marine. Eine Reihe von Amtschefs im gleichen Range mit Jodl unterstanden Keitel, aber sie und ihre Ämter waren weniger wichtig und weniger einflußreich in Planung und Durchführung militärischer Angelegenheiten als Jodl und Jodls Stab.

Der Wehrmachtführungsstab war in Abteilungen gegliedert; von diesen war die Abteilung, welcher Warlimont als Chef vorstand, die wichtigste. Sie wurde Abteilung Landesverteidigung genannt und befaßte sich in erster Linie mit der Ausarbeitung strategischer Fragen. Obwohl Warlimont die gleichen Dienstaufgaben anvertraut blieben, war er von 1941 an als Stellvertretender Chef des Wehrmachtführungsstabes bekannt.

Es bestand während des zweiten Weltkrieges kein vereinigter Generalstab ähnlich dem Großen Generalstab im ersten Weltkrieg.

Die Führungsfragen bei Feldheer und Luftwaffe bearbeitete die in meiner Erklärung vom 7. November beschriebene Gruppe höherer Offiziere. (Beim Feldheer: ›Generalstab des Heeres‹, bei der Luftwaffe: ›Generalstab der Luftwaffe‹.)

Führungsfragen der Kriegsmarine sind auch im ersten Weltkrieg nicht vom ›Großen Generalstab‹ bearbeitet worden, sondern von der Marineleitung.

Franz Halder.«

Der Gerichtshof wird bemerken, daß diese eidesstattliche Erklärung sich vor allem mit den Aufgaben des Generalstabs der vier Oberkommandos, nämlich des OKW, OKH, OKL und OKM befaßt, und daß sie die Einbeziehung sowohl der Stabschefs der vier Wehrmachtteile in diese Gruppe rechtfertigt als auch die von Warlimont als Stellvertretendem Chef des Wehrmachtführungsstabes, da diesem die Verantwortung für die strategische Planung oblag.

Ich habe noch eine kurze eidesstattliche Erklärung über eine Teilfrage. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß die höchste in der deutschen Luftwaffe bekannte Kampfformation die Luftflotte war, [446] und daß alle Oberbefehlshaber von Luftflotten in diese Gruppe miteinbezogen wurden. Es ist das Quadrat in der unteren rechten Ecke der Skizze. Die Befehlshaber von Luftflotten hatten immer die Stellung eines ›Oberbefehlshabers‹, aber bis zum Jahre 1944 wurden sie formell nicht so bezeichnet. Dies wird in einer eidesstattlichen Erklärung des Sohnes von Feldmarschall von Brauchitsch bestätigt. Sein Sohn hatte den Rang eines Obersten in der deutschen Luftflotte und war persönlicher Adjutant des Angeklagten Göring als Oberbefehlshaber der Luftwaffe.

Seine Erklärung trägt die Nummer 9, Dokument 3708-PS, US-534. Die Erklärung lautet wie folgt:

»Die Luftflottenchefs sind den Armeeoberbefehlshabern gleichzusetzen. Sie sind während des Krieges keine Territorialbefehlshaber gewesen und übten dementsprechend auch keine vollziehende Gewalt aus.

Sie waren die höchsten Truppenvorgesetzten der ihnen unterstellten Luftwaffenverbände und dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe unmittelbar unterstellt.

Bis zum Sommer 1944 führten sie die Dienststellenbezeichnung ›Befehlshaber‹. Ab diesem Zeitpunkt die Dienstbezeichnung ›Oberbefehlshaber‹. Hierdurch änderte sich gegenüber der Vorzeit in ihrem Aufgaben- und Verantwortungsbereich nichts.«

Hoher Gerichtshof! Damit endet die Beschreibung der Zusammensetzung dieser Gruppe und ihrer Mitglieder. Der Gerichtshof hat mir zwei Anfragen übermittelt, die vom Verteidiger dieser Gruppe an den Gerichtshof gerichtet waren. Ich halte es für richtig, wenn ich diese beiden Anfragen bezüglich der Zusammensetzung dieser Gruppe jetzt beantworte. Die Schreiben wurden mir vor zwei Tagen übergeben.

Das erste stammt von Hofrat Düllmann. Er fragt, ob die Gruppe, so wie sie in der Anklageschrift beschrieben ist, vom Dienstgrad abhängt, ob sie Offiziere eines bestimmten Dienstgrades, wie Feldmarschall oder Generaloberst mit einschließt.

Die Antwort darauf ist eindeutig: Nein. Wie bereits ausgeführt, besteht das Unterscheidungsmerkmal hinsichtlich der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe darin, ob der Betreffende eine der in diesem Schema angeführten Stellungen innehatte. Er gehört zu dieser Gruppe, wenn er eine dieser Stellungen innehatte, unabhängig von seinem Dienstgrad. Der Dienstgrad ist kein Unterscheidungsmerkmal. Tatsächlich, so nehme ich an, hatte jeder in dieser Gruppe zumindest den Rang eines Generals im deutschen Heere, was einem »Lieutenant General« im amerikanischen Heer entspricht.

Herr Düllmann fragte auch, ob die Gruppe Offiziere des sogenannten »Generalstabskorps« enthielte. Die Antwort darauf ist: [447] Nein. Im deutschen Heer gab es eine Kriegsakademie, und die Absolventen der Kriegsakademie gehörten dem als Generalstab bezeichneten Dienstzweig an. Sie zeichneten zum Beispiel als »Oberst im Generalstab«. Sie arbeiteten zum größten Teil als Adjutanten und Hilfsoffiziere der Stabsoffiziere. Ich nehme an, daß es von ihnen mehrere tausend gab, zwei- bis dreitausend, sie sind aber in dieser Gruppe nicht mitinbegriffen. Viele von ihnen gehörten den unteren Dienstgraden an. Sie sind in dieser Anklageschrift nicht genannt, und es besteht kein Grund und kein Anlaß, sie in die beschriebene Gruppe einzubeziehen.

Die zweite Anfrage stammt von Dr. Exner, der erklärt, daß er über die Bedeutung des Ausdrucks »Oberbefehlshaber« im Zweifel sei. Er führt weiter aus, er glaube, daß zu den »Oberbefehlshabern« auch Oberbefehlshaber auf den Kriegsschauplätzen, Oberbefehlshaber von Heeresgruppen und Oberbefehlshaber von Armeen gehörten. Das ist völlig richtig. Es sind dies die Dienststellungen, so wie sie in dem Schema eingezeichnet sind.

Wir wollen nun für einige Minuten die Arbeitsweise dieser Gruppe untersuchen. In vielen Beziehungen arbeiteten die deutschen militärischen Führer mit der gleichen Grundmethode wie die militärischen Stäbe anderer großer Nationen. Allgemeine Pläne wurden von den höchsten Stabsoffizieren und ihren Hilfsoffizieren ausgearbeitet unter Mitarbeit der Truppengenerale oder Frontadmirale, denen die Ausführung der Pläne anvertraut war. Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß die Entscheidung über einen bestimmten Feldzug von den obersten Stellen getroffen wurde. Eine derartige Entscheidung umfaßte sowohl politische und diplomatische Fragen als auch rein militärische Überlegungen. Als zum Beispiel die Entscheidung getroffen wurde, Polen anzugreifen, war der Gang ungefähr folgender: die höchsten Stabsoffiziere in Berlin arbeiteten mit ihren Hilfsoffizieren allgemeine militärische Pläne für den Feldzug aus; diese allgemeinen Pläne wurden den Befehlshabern der Heeresgruppen und Armeen übermittelt, die den Feldzug tatsächlich durchführen sollten. Anschließend folgte eine Beratung zwischen den höchsten Truppenbefehlshabern des Feldheeres und den höchsten Stabsoffizieren im OKW und OKH, mit dem Ziel, die Pläne nachzuprüfen, zu vervollkommnen und bis ins letzte auszuarbeiten.

Die Art und Weise, in der diese Gruppe arbeitete, die also den Austausch von Ideen und Vorschlägen zwischen den höchsten Stabsoffizieren im OKW und OKH einerseits und den obersten Truppenbefehlshabern des Feldheeres andererseits miteinschlossen, ist in zwei eidesstattlichen Erklärungen des Feldmarschalls von Brauchitsch schriftlich niedergelegt. Es handelt sich um die eidesstattliche Erklärung Nummer 4, Dokument 3705-PS, US-535. Ich darf die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs darauf lenken und werde sie ins Protokoll verlesen. Die Erklärung vom 7. November 1945 lautet:

[448] »Im April 1939 wurde ich von Hitler beauftragt, militärische Vorbereitungen für einen etwaigen Feldzug gegen Polen zu treffen. Sofort begannen die Arbeiten für die Aufstellung des Operations- und Aufmarschplanes. Dieser wurde dann Hitler vorgetragen und unter Berücksichtigung einer von ihm gewünschten Änderung genehmigt.

Nachdem die Operations- und Aufmarschanweisungen an die in Frage kommenden zwei Führer der Heeresgruppen und die 5 Armeeführer ausgegeben waren, fanden Besprechungen mit diesen über Einzelheiten statt, um deren Wünsche und Vorschläge zu hören.

Nach Ausbruch des Krieges verfolgte ich weiterhin die Gepflogenheit enger und dauernder Fühlungnahme mit den Oberbefehlshabern der Heeresgruppen und Armeen, sowohl durch persönliche Besuche ihrer Hauptquartiere als auch durch Telefon, Fernschreiber oder Radio. Auf diesem Wege war ich in der Lage, ihren Rat und ihre Vorschläge während der Kampfhandlungen einzuholen. Es war in der Tat bestehende Üblichkeit und allgemeine Gepflogenheit der jeweiligen Oberbefehlshaber des Heeres, mit ihren unterstellten Oberbefehlshabern in einem ständigen Meinungsaustausch zu bleiben.

Der Oberbefehlshaber des Heeres und sein Chef des Generalstabs standen in Verbindung mit den Heeresgruppen und durch diese oder auch unmittelbar mit den Armeen: durch Heeresgruppen bezüglich strategischer und taktischer Angelegenheiten; unmittelbar hinsichtlich der Versorgung und Verwaltungsfragen in dem von diesen Armeen eroberten Gebiete. Eine Heeresgruppe hatte keine territoriale vollziehende Gewalt. Sie bestand aus einem verhältnismäßig kleinen Stab, der sich nur mit militärischen Operationen befaßte. In allen territorialen Angelegenheiten war es der Oberbefehlshaber der Armee und nicht der Heeresgruppe, der die vollziehende Gewalt ausübte.

von Brauchitsch.«

Es folgt:

»Ergänzung zu meiner Erklärung vom 7. November 1945:

Wenn Hitler sich entschlossen hatte, die Erreichung seiner politischen Ziele durch einen militärischen Druck oder durch Einsatz der militärischen Machtmittel zu unterstützen, erhielt der Ob.d.H., wenn er daran beteiligt war, zunächst in der Regel mündlich eine entsprechende Orientierung oder einen entsprechenden Befehl.

Hierauf wurden im OKH die Operations- und Aufmarschpläne bearbeitet. Nachdem sie in der Regel mündlich Hitler [449] vorgetragen und von ihm genehmigt waren, erfolgte ein schriftlicher Befehl des OKW an die Wehrmachtsteile.

Inzwischen war vom OKH mit der Ausgabe der Operations- und Aufmarschpläne an die in Frage kommenden Heeresgruppen und Armeen begonnen worden.

Einzelheiten der Operations- und Aufmarschpläne wurden vom OKH mit den Heeresgruppen- und Armeeführern und ihren Chefs der Generalstäbe besprochen.

Während der Operationen stand das OKH in einem dauernden Meinungsaustausch durch Fernsprecher, Funk und Kurier mit den Heeresgruppen. Der Ob.d.H. benutzte jede zeitliche Möglichkeit, um durch Aufsuchen der Heeresgruppen, Armeen und Truppenführer mit diesen in einem persönlichen Meinungsaustausch zu bleiben.

Im Kriege gegen Rußland wurden Heeresgruppen- und Armeeführer wiederholt von Hitler einzeln zum Vortrag befohlen.

Die Befehle in allen operativen Angelegenheiten gingen vom OKH an die Heeresgruppen, in allen Angelegenheiten des Nachschubs und der vollziehenden Gewalt vom OKH unmittelbar an die Armeen.

von Brauchitsch.«

Die Truppenbefehlshaber, das heißt also beim Heer die Oberbefehlshaber von Heeresgruppen und Armeen, nahmen demnach, wie diese eidesstattlichen Erklärungen beweisen, an der Planung und an der Ausführung der Pläne teil. Die Oberbefehlshaber waren auch die Träger der allgemeinen vollziehenden Gewalt in den Gebieten, in denen ihre Heeresgruppen und Armeen operierten. In diesem Zusammenhang lenke ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf das Dokument 447-PS, das bereits als US-135 vorliegt. Das Dokument stellt von Keitel unterzeichnete und vom Oberkommando der Wehrmacht am 13. März 1941 ausgegebene Richtlinien dar.

Diese Richtlinien enthalten verschiedene Bestimmungen für die Operationen gegen die Sowjetunion, die tatsächlich einige Monate später, am 22. Juni, begonnen wurden. Die Dokumente, Herr Vorsitzender, sind in den Dokumentenbüchern II und III in numerischer Reihenfolge angeführt. Dokumentenbuch II enthält C- und L-Nummern, Dokumentenbuch III hingegen PS-Nummern. Da dies 447-PS ist, ist es im Dokumentenbuch III in numerischer Ordnung innerhalb der PS-Dokumente. Im Dokument selbst, unter Absatz I, überschrieben »Operationsgebiet und vollziehende Gewalt« findet der Gerichtshof den Unterabsatz 1 mit folgendem Wortlaut; in der Übersetzung ist es Seite 1, Absatz 2:

»Eine Erklärung Ostpreußens und des Generalgouvernements zum Operationsgebiet des Heeres ist nicht beabsichtigt. [450] Dagegen ist der Ob.d.H. auf Grund der nichtveröffentlichten Führererlasse vom 19. und 21. 10. 1939 berechtigt, diejenigen Maßnahmen anzuordnen, die zur Durchführung seines militärischen Auftrages und zur Sicherung der Truppe notwendig sind. Diese Ermächtigung kann er auf die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und Armeen weiter übertragen. Derartige Anordnungen gehen allen anderen Obliegenheiten und den Weisungen ziviler Stellen vor.«

Der Gerichtshof ersieht daraus, daß die vollziehende Gewalt mit Vorrang gegenüber Zivilbehörden in die Hände der Oberbefehlshaber des Heeres gelegt wurde, und zwar mit der Ermächtigung, diese auf die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und Armeen weiter zu übertragen, also auf die Mitglieder der Gruppe, die in der Anklageschrift beschrieben ist.

Weiterhin stellt das Dokument in dem Unterabsatz 2a, es ist der vierte Absatz auf Seite 1 des Dokuments, fest:

»Das mit dem Vorgehen des Heeres über die Grenzen des Reiches und der Nachbarstaaten gebildete Operationsgebiet des Heeres ist der Tiefe nach soweit als möglich zu beschränken. Der Ob.d.H. hat die Befugnis, in diesem Gebiet die vollziehende Gewalt auszuüben mit der Ermächtigung, sie auf die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und Armeen zu übertragen.«

VORSITZENDER: Das ist ein günstiger Zeitpunkt für eine Unterbrechung.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 4, S. 415-452.
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