Nachmittagssitzung.

[262] GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Wir bitten, davon Kenntnis zu nehmen, daß der Angeklagte Kaltenbrunner wegen Krankheit bei der heutigen Nachmittagssitzung nicht anwesend sein wird.

VORSITZENDER: Sie können fortfahren, Herr Dubost.


M. DUBOST: Wir werden den Zeugen Veith zu Ende vernehmen, an den ich nur noch einige wenige Fragen zu richten habe.


VORSITZENDER: Bringen Sie den Zeugen herein.


M. DUBOST: Sie werden jetzt Ihre weiteren Aussagen machen unter dem Eid, den Sie heute vormittag geleistet haben.

Wollen Sie einige zusätzliche Angaben machen über die von Ihnen beobachteten Hinrichtungen der 45 alliierten Offiziere im Lager Mauthausen, die 48 Stunden nach deren Einlieferung stattfand?


VEITH: Diese Fallschirmoffiziere wurden nach dem üblichen System getötet, das angewandt wurde, wenn man Häftlinge beseitigen wollte. Sie mußten Arbeit verrichten, die über ihre Kräfte ging: man ließ sie Steine tragen, schlug sie, bis sie einen schwereren Stein aufnahmen und so fort, bis sie zum äußersten getrieben, sich dem Stacheldraht näherten. Wenn sie nicht freiwillig gingen, wurden sie getrieben; man schlug sie, bis sie hingingen, und in dem Augenblick, in dem sie sich dem Stacheldraht näherten und vielleicht noch einen Meter davon entfernt waren, wurden sie von den SS-Posten aus den Wachtürmen durch Maschinengewehrgarben niedergestreckt. Das war das übliche System für das, was man in der Folge mit »auf der Flucht erschießen« bezeichnete.

Diese 47 Männer wurden am Nachmittag des 6. September und am Morgen des 7. September umgebracht.


M. DUBOST: Wie haben Sie ihre Namen erfahren?


VEITH: Ich habe ihre Namen aus der amtlichen Liste erfahren, da sie in Lagerlisten eingetragen worden waren. Da ich alle Änderungen im Personalbestand an die Hollerithabteilung nach Berlin weitergab, hatte ich in alle Totenlisten und Listen der Neuankömmlinge Einblick.


M. DUBOST: Haben Sie diese Listen an irgend eine amtliche Stelle weitergeleitet?


VEITH: Diese Listen haben die amerikanischen Stellen an sich genommen, zu einer Zeit, als ich noch in Mauthausen war. Nach meiner Befreiung bin ich so fort nach Mauthausen zurückgekehrt, da ich ja über die Dokumente Bescheid wußte; die amerikanischen[262] Stellen waren damals im Besitz sämtlicher Listen, die wir auffinden konnten.


M. DUBOST: Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen zu stellen.


VORSITZENDER: Wünscht die britische Anklagevertretung irgendwelche Fragen zu stellen?


BRITISCHER ANKLAGEVERTRETER: Nein.


VORSITZENDER: Wünscht die amerikanische Anklagevertretung irgendwelche Fragen zu stellen?


AMERIKANISCHER ANKLAGEVERTRETER: Nein.


VORSITZENDER: Wünscht irgend jemand von den Verteidigern irgendwelche Fragen zu stellen?


RA. BABEL: Herr Vorsitzender! Ich war am Samstag im Lager Dachau und gestern im Lager Augsburg-Göggingen. Ich habe da verschiedene Erfahrungen gemacht, die mich jetzt in die Lage versetzen, Fragen an einzelne Zeugen zu richten, wozu ich vorher nicht in der Lage war, nachdem ich die örtlichen Verhältnisse nicht gekannt habe.

Ich möchte eines fragen:

Ich war heute vormittag durch eine Besprechung, um die mich Herr General Mitchell gebeten hatte, verhindert, anwesend zu sein und konnte infolgedessen der Vernehmung des Zeugen heute vormittag nicht beiwohnen. Ich gestatte mir nun anzufragen – ich möchte nur eine Frage jetzt an den Zeugen richten – ob mir dann gestattet wird, später den Zeugen weiterhin ins Kreuzverhör zu nehmen, oder ob es zweckmäßig wäre, diese Frage jetzt zurückzustellen.


VORSITZENDER: Sie können das Kreuzverhör jetzt vornehmen. Der Gerichtshof weiß, daß Sie General Mitchell um 10.15 Uhr verlassen haben.


RA. BABEL: Auf Grund der Besprechung mußte ich ein Telegramm aufgeben und andere dringende Sachen im Anschluß daran erledigen, so daß es mir also nicht möglich war, noch zur Sitzung zu erscheinen.


VORSITZENDER: Sie können selbstverständlich das Kreuzverhör jetzt vornehmen.


RA. BABEL: Ich hätte nur eine Frage zunächst, und zwar die: der Zeuge hat gesagt, daß die betreffenden Offiziere an den Stacheldraht getrieben wurden. Von wem wurden sie an den Drahtzaun getrieben?


VEITH: Sie wurden durch die SS-Begleitmannschaft an den Stacheldraht getrieben, und der gesamte Stab von Mauthausen war [263] zugegen. Sie wurden sowohl von der SS als auch von einem oder zwei dabeistehenden grünen Gefangenen, also von den Kapos, geschlagen. Diese grünen Häftlinge waren in den Lagern oft schlimmer als die SS selbst.


RA. BABEL: Also innerhalb des Lagers in Dachau, des eigentlichen Lagers, innerhalb des Drahtzaunes, waren fast überhaupt keine SS-Wachen; und es wird in Mauthausen wohl auch der Fall gewesen sein; jedenfalls...


VEITH: Im Innern des Lagers Mauthausen gab es nur eine gewisse Anzahl von SS-Leuten; sie wechselten jedoch ab und alle, die zu den Wachmannschaften gehörten, mußten über die Vorgänge im Lager unterrichtet sein; denn, wenn sie auch nicht bis ins Lagerinnere kamen, so versahen sie doch ihren Wachdienst auf den Türmen und um das Lager und beobachteten alles genau.


RA. BABEL: Die Wachen, die dann auf die Gefangenen schossen, waren die innerhalb des Drahtzaunes oder außerhalb des Drahtzaunes?


VEITH: Sie waren auf den Wachtürmen postiert, die auf der gleichen Linie wie die Drahtzäune lagen.


RA. BABEL: Konnten Sie beobachten, daß diese Offiziere von irgend jemandem mit Schlägen dorthin getrieben wurden?


VEITH: Die Wachtposten konnten es so gut beobachten, daß sie es ein- oder zweimal ablehnten zu schießen, weil es ihrer Meinung nach kein Fluchtversuch war. Diese Leute wurden sofort von ihrem Posten entfernt und verschwanden.


RA. BABEL: Haben Sie das selbst beobachtet?


VEITH: Ich habe es nicht selbst gesehen, aber es ist mir unter anderem von meinem Kommandoführer erzählt worden, der sagte: »Da, ein Posten, der sich geweigert hat, zu schießen.«


RA. BABEL: Wer war dieser Kommandoführer? Der Chef der Gruppe?


VEITH: Dieser Kommandoführer war Wielemann. Ich erinnere mich nicht mehr an seinen Rang. Er war nicht Unterscharführer; er war eine Stufe unter dem Unterscharführer und mit der Hollerithabteilung in Mauthausen betraut.


RA. BABEL: Ich habe zunächst keine Frage mehr. Ich werde dann allenfalls den Antrag stellen, den Zeugen von hier aus nochmals zu benennen und dann Gelegenheit nehmen, das Weitere, die weiteren Fragen an ihn zu stellen, die ich für notwendig erachte. Ich bitte, den Zeugen für diesen Zweck hier zu behalten, in Nürnberg. Ich bin heute nachmittag, jetzt, nicht in der Lage, nachdem ich die vormittägige Aussage nicht gehört habe, den Zeugen [264] weiterhin ins Kreuzverhör zu nehmen, weil ich seine Aussage nicht kenne.


VORSITZENDER: Sie hätten doch hier sein sollen. Wenn Sie bei General Mitchell um 10.15 Uhr weggegangen sind, so sieht der Gerichtshof, auf alle Fälle ich, keinen Grund, warum Sie nicht während der Vernehmung dieses Zeugen anwesend sein konnten.


RA. BABEL: Herr Präsident, ich habe heute vormittag mit General Mitchell über einige Fragen gesprochen, die mich seit langer Zeit beschäftigt haben, und Herr General Mitchell hat auch bei unserer Unterredung eingesehen, daß meine Aufgabe und meine Tätigkeit so umfangreich ist, daß es jetzt notwendig wird, für die SS einen zweiten Verteidiger aufzustellen; gerade die Anwesenheit in den Sitzungen ist für meine Arbeitszeit so anstrengend und belastend, daß ich manchmal genötigt bin, der Sitzung nicht beizuwohnen. Es tut mir das selbst leid, aber es läßt sich unter den obliegenden Verhältnissen leider nicht anders machen. Ich möchte noch das sagen: Es haben sich bis jetzt über 40000 Antragsteller der SS mit Anträgen an den Gerichtshof gewandt, darunter allerdings zahlreiche Sammelanträge, also nicht lauter Einzelanträge. Sie können daraus ungefähr ermessen, wie groß das Gebiet ist.


VORSITZENDER: Ohne Zweifel ist Ihre Arbeit sehr umfangreich. Heute morgen jedoch hat, wie ich Ihnen bereits sagte, General Mitchell dem Gerichtshof mitgeteilt, daß seine Unterredung mit Ihnen um 10.15 Uhr beendet war. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie gewußt haben müssen, daß die Zeugen, die heute vormittag verhört wurden, über Konzentrationslager sprechen würden.

Außerdem haben Sie, glaube ich, die Unterstützung eines weiteren Verteidigers, des Herrn Dr. Marx, erhalten, der an Ihrer Stelle erscheinen kann und auch erschienen ist. Er kann den Zeugen jetzt ins Kreuzverhör nehmen, wenn er wünscht. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie das Kreuzverhör dieses Zeugen jetzt zu Ende führen müssen. Ich will damit sagen, daß Sie den Zeugen weiterhin befragen können.


RA. BABEL: Es wird sich nur darum handeln, ob ich eine Frage stellen kann, und das kann ich jetzt im Augenblick nicht und muß dann infolgedessen im Augenblick darauf verzichten, den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen.


VORSITZENDER: Herr Dubost, vielleicht wünscht noch irgend ein anderer deutscher Verteidiger den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen? Herr Dubost, wollen Sie dem Gerichtshof etwas sagen?


M. DUBOST: Ich möchte dem Gerichtshof erklären, Herr Präsident, daß wir keinerlei Grund haben, ein Kreuzverhör unseres Zeugen oder des Zeugen von heute morgen zu fürchten, zu keiner Zeit. Wir [265] sind bereit, unsere Zeugen zu bitten, solange in Nürnberg zu bleiben, wie für die Beantwortung der Fragen der Verteidigung notwendig ist.


VORSITZENDER: Sehr gut. Herr Dr. Babel, angesichts des Angebots der französischen Anklagebehörde, den Zeugen in Nürnberg zu behalten, wird der Gerichtshof erlauben, daß Sie im Laufe der nächsten zwei Tage alle Fragen an ihn stellen, die Sie zu stellen wünschen. Haben Sie verstanden?


RA. BABEL: Ja.


DR. KURT KAUFFMANN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KALTENBRUNNER: Bevor ich die Fragen an den Herrn Zeugen stelle, erlaube ich mir, etwas anzuregen, und ich glaube, es wird für den guten Fortgang der Sache von Wichtigkeit sein. Meine Anregung ist folgende, und ich spreche gleichzeitig im Namen meiner Kollegen, wäre es nicht gut, wenn eine Vereinbarung unsererseits dahin zustande käme, daß sowohl die Anklagebehörde als auch die Verteidiger jeweils einen Tag vor der Vernehmung von Zeugen angeben, welcher Zeuge vernommen werden soll. Das Material ist inzwischen so groß geworden, daß unter Umständen die Unmöglichkeit besteht, sachdienliche Fragen zu stellen, die im Interesse aller dringend erforderlich sind. Was die Verteidigung anlangt, so sind wir bereit, die von uns zu benennenden und zu vernehmenden Zeugen spätestens einen Tag vor der Vernehmung der Anklagebehörde und auch dem Gerichtshof mitzuteilen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat bereits dem Wunsche Ausdruck gegeben, vorher von den zu verhörenden Zeugen und von dem Gegenstand des Verhörs in Kenntnis gesetzt zu werden. Der Gerichtshof gibt der Hoffnung Ausdruck, daß die Anklagebehörde diesem Wunsche stattgibt.


DR. KAUFFMANN: Ja, ich danke. Bei der Aussage der Zeugin, die wir heute morgen gehabt haben, und auch bei der Aussage dieses Zeugen, ist ein Punkt von besonderer Wichtigkeit, und dieser Punkt betrifft ein Thema, das von der vielleicht entscheidendsten Bedeutung des gesamten Prozesses ist. Die Anklagevertretung.....


VORSITZENDER: Sie sollen im Augenblick keine Rede halten, sondern an den Zeugen Fragen stellen.


DR. KAUFFMANN: Es betrifft die Frage der Verantwortlichkeit des deutschen Volkes. Der Zeuge hat uns bestätigt, hat gesagt, die Zivilbevölkerung hätte die Dinge wissen können; nun werde ich versuchen, die Wahrheit zu ermitteln, durch eine Reihe von Fragen.

Haben Zivilisten zugesehen, wie Hinrichtungen vorgenommen wurden? Würden Sie mir das beantworten?


VEITH: Sie konnten die längs der Straßen verstreut liegenden Leichen sehen, wenn Gefangene, die unter Bedeckung zurückkehrten, [266] erschossen wurden. Es wurden sogar Leichen aus den Zügen geworfen. Sie konnten sich stets von dem Zustand der Auszehrung der auf Außenkommando arbeitenden Verschleppten überzeugen, sie sahen sie ja.


DR. KAUFFMANN: Ist Ihnen bekannt, daß es bei Androhung der Todesstrafe untersagt war, irgendetwas der Außenwelt mitzuteilen, was in Bezug auf Grausamkeiten, Marterungen und so weiter innerhalb des Lagers vorging?


VEITH: Da ich zwei Jahre in dem Lager verbracht habe, habe ich sie gesehen; einen Teil habe ich selbst gesehen, über andere habe ich von Augenzeugen gehört.


DR. KAUFFMANN: Wollen Sie mir das bitte noch einmal wiederholen? Den Geheimhaltungsbefehl oder, was haben Sie gesehen?


VEITH: Nicht den Befehl – ich habe die Hinrichtungen gesehen, das ist schlimmer.


DR. KAUFFMANN: Meine Frage war die: Ist Ihnen bekannt, daß strengste Anweisungen an das Personal der SS, an die Exekutionsmannschaften usw. ergangen war, wonach nichts gesprochen werden durfte, das heißt innerhalb des Lagers, erst recht nicht außerhalb des Lagers, was in dem Lager an Grausamkeiten usw. vorging, und daß Strafen strengster Art angedroht waren, sogar die Todesstrafe, wenn solche Leute über die Dinge gesprochen haben die sie selbst gesehen hatten? Ist Ihnen über derartige Dinge, über eine solche Praxis etwas bekannt? Vielleicht sagen Sie noch, ob Sie selbst über derartige Beobachtungen sprechen durften?


VEITH: Ich weiß, daß ehemalige Gefangene, die in Freiheit gesetzt wurden, eine Erklärung unterschreiben mußten, daß sie niemals über die Vorgänge sprechen würden und daß sie das, was sich im Lager zugetragen hatte, vergessen müßten. Aber diejenigen, die wieder mit der Bevölkerung in Berührung kamen, und es gab deren viele, haben selbstverständlich darüber gesprochen. Außerdem lag Mauthausen auf einer Anhöhe. Da war das Krematorium, aus dem eine ein Meter hohe Flamme emporschlug. Wenn man jede Nacht eine ein Meter hohe Flamme aus einem Schornstein aufsteigen sieht, ist man natürlich neugierig, zu erfahren, was dahinter steckt, und jedermann mußte wissen, daß das die Flamme des Krematoriums war.

DR. KAUFFMANN: Ich habe keine Frage mehr. Ich danke.


VORSITZENDER: Wünscht noch jemand von der Verteidigung eine Frage zu stellen?

Haben Sie uns gesagt, wer die grünen Gefangenen waren? Sie sprachen von grünen Gefangenen.


[267] VEITH: Ja, die grünen Gefangenen waren gewöhnliche Verbrecher, deren sich die SS als interne Lagerpolizei bediente. Sie waren oft, wie ich bereits sagte, bestialischer als die SS-Leute selbst, deren ausführende Organe sie waren. Sie waren es, welche die Arbeit verrichteten, wenn die SS-Leute sich nicht die Hände dreckig machen wollten; sie verrichteten alle Schmutzarbeit, jedoch stets unter dem Befehl des Kommandoführers. Der Kontakt mit den deutschen Grünen war für alle Lagerinsassen furchtbar, besonders für die politischen Häftlinge, die sie nicht riechen konnten; denn wir waren nicht wie sie; sie verfolgten uns schon allein aus diesem Grunde. In allen Lagern war es dasselbe; in allen Lagern wurden wir von den deutschen Verbrechern, die im Dienste der SS standen, schikaniert.


VORSITZENDER: Wünschen Sie noch irgendeine Frage zu stellen?


M. DUBOST: Ich habe keine weiteren Fragen zu stellen, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


M. DUBOST: Wir bitten jetzt den Gerichtshof, den französischen Zeugen, Doktor Dupont, zu hören.

VORSITZENDER: Jawohl, gut.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Heißen Sie Doktor Dupont?

ZEUGE VICTOR DUPONT: Ja, Dupont, Victor.


VORSITZENDER: Wollen Sie diesen Eid nachsprechen! Sie schwören, daß Sie ohne Haß und Furcht sprechen werden, die Wahrheit sagen werden, die ganze Wahrheit, nichts als die Wahrheit.


[Der Zeuge spricht die Eidesformel in französischer Sprache nach.]


M. DUBOST: Sie heißen Victor Dupont.

DUPONT: Ja, Victor Dupont.


M. DUBOST: Sie sind am 12. Dezember 1909 geboren?


DUPONT: Ja, richtig.


M. DUBOST: In Charmes in den Vogesen?


DUPONT: Ja, das stimmt.


M. DUBOST: Sie sind französischer Staatsangehörigkeit, von französischen Eltern geboren?


DUPONT: Das ist richtig.


[268] M. DUBOST: Sie haben Auszeichnungen erworben; welche?


DUPONT: Ich habe das Kreuz der Ehrenlegion; ich bin »Ritter der Ehrenlegion«; ich wurde zweimal im Tagesbefehl der Armee erwähnt und besitze den Orden der Widerstandsbewegung.


M. DUBOST: Sie sind nach Buchenwald deportiert worden?


DUPONT: Ich bin am 24. Januar 1944 nach Buchenwald deportiert worden.


M. DUBOST: Verblieben Sie dort?


DUPONT: Ich bin dort 15 Monate geblieben.

M. DUBOST: Bis zum 20. Mai 1945?


DUPONT: Bis 20. April 1945.


M. DUBOST: Wollen Sie bitte über die Lebensweise in dem Lager, in dem Sie interniert waren, berichten, sowie über das Ziel, das die Urheber dieser Vorschriften verfolgt haben.


DUPONT: Ich war mir bald nach meiner Ankunft in Buchenwald über die schwierigen Lebensbedingungen im klaren. Die den Häftlingen auferlegte Lebensweise war nicht auf den Grundsätzen der Gerechtigkeit aufgebaut. Es herrschte der Grundsatz der Aussäuberung. Ich will das erklären. Wir, ich spreche von den Franzosen, befanden uns fast alle in Buchenwald, ohne von Gerichten verurteilt worden zu sein.

In den Jahren 1942, 1943, 1944 und 1945 waren Urteile eine Seltenheit. Viele von uns waren vernommen und dann deportiert worden. Andere waren bei der Vernehmung für unschuldig erklärt und deportiert worden; andere waren nicht verhört worden. Ich werde drei Beispiele anführen:

Am 11. November 1943 waren in Grenoble mehrere hundert Personen im Verlauf einer Kundgebung zum Gedächtnis des Waffenstillstands festgenommen worden. Sie kamen nach Buchenwald, wo ein großer Teil von ihnen starb. Dasselbe ereignete sich in dem Dorf Verchenie im Departement La Drôme im Oktober 1943. Ich sah sie ebenfalls in Buchenwald. Dasselbe ereignete sich schließlich in St. Claude im April 1944. Ich sah diese Kameraden im August 1944 ankommen.

Es waren also in Buchenwald Leute zusammen, die unter das Kriegsgesetz fielen. Es gab jedoch auch eine ganze Reihe anderer Fälle, sogar bis zur unleugbaren Unschuld, Leute, die, wie bereits erwähnt, im Verhör für unschuldig befunden oder überhaupt nicht vernommen worden waren. Schließlich gab es dort auch politische Gefangene. Sie waren deportiert worden, weil sie Parteien angehörten, die in ihrer Gesamtheit bekämpft wurden. Das bedeutet nicht, daß die Verhöre keine ernsten Sachen waren. Die Verhöre, [269] denen ich unterworfen wurde, und bei denen ich Zeuge war, waren, Sie wissen das, besonders unmenschlich.

Ich werde einige Verfahren aufzählen: Jede Art von Schlägen, Untertauchen in Badewannen, Zusammendrücken der Hoden, Aufhängen, schließlich das Zusammendrücken des Kopfes und die Folterungen der Familien. Ich habe z.B. gesehen, wie eine Frau in Gegenwart ihres Mannes gefoltert wurde; andererseits wurden Kinder vor ihren Müttern gefoltert. Um der Genauigkeit willen werde ich einen Namen nennen: François Goret, wohnhaft in Paris, Rue de Bourgogne, wurde in Gegenwart seiner Mutter gefoltert.

War man einmal im Lager, dann waren die Bedingungen für jedermann die gleichen.


M. DUBOST: Sie sprachen von der rassenmäßigen, politischen und sozialen Aussäuberung. In Verbindung mit welchen Merkmalen?


DUPONT: In Buchenwald lebten alle unter den gleichen Bedingungen: sogenannte politische und völkische Elemente, vor allem Juden und Zigeuner, sowie asoziale Elemente, besonders Verbrecher. Es gab Verbrecher aller Nationen: Deutsche, Tschechen, Franzosen und so weiter, die alle zusammenlebten und demselben Regime unterworfen waren.

Die Aussäuberung schließt nicht den Begriff der Vernichtung ein; die Aussäuberung war jedoch tatsächlich durch eine Ausrottung gewährleistet, von der ich sprechen werde. Sie begann für uns mit Einzelfällen und wurde ganz plötzlich beschlossen. Ich werde ein Beispiel anführen: Im Laufe des Jahres 1944 kam ein Transport von Zigeunerkindern in Buchenwald an; es waren mehrere hundert. Was für geheime behördliche Gründe dahinterstanden, haben wir nie erfahren. Im Laufe des Winters 1944 wurden diese Kinder zusammengetrieben, um zur Vergasung nach Auschwitz geschickt zu werden.

Das ist eine der grausigsten Erinnerungen meiner Verschlepptenzeit. Diese Kinder wußten genau, was sie erwartete. Sie weinten und schrien, als man sie in die Wagen hineinstieß. Sie wurden noch am gleichen Tage nach Auschwitz auf den Weg gebracht.

In anderen Fällen war die Vernichtung eine allmähliche: Sie begann bei der Ankunft des Transportes. In einem von Compiegne am 24. Januar 1944 abgegangenen und am 26. Januar eingetroffenen französischen Transport zum Beispiel waren in einem Wagen, den ich gesehen habe, unter 100 Personen zwölf Tote und acht Wahnsinnige.

Während der Zeit meiner Verschleppung habe ich zahlreiche Transporte ankommen sehen. Es war jedesmal das gleiche Bild, nur die Zahlen wechselten. Sobald der Transport angekommen war, begann die erste Aussonderung, die auf folgende Weise durchgeführt wurde: Zunächst ging es in die Quarantänestation, wo die Häftlinge [270] während des Appells mehrere Stunden lang der Kälte ausgesetzt wurden. Die Schwächsten starben dabei. Dann kam die Vernichtung durch Arbeit. Bestimmte Häftlinge wurden ausgesucht und zu Arbeitskommandos abgeteilt, wie Dora, S III und Laura.

Ich habe gesehen, wie nach solchen Abfahrten, die allmonatlich stattfanden, wenn die Kommandos abgelöst wurden, Lastwagen mit Toten nach Buchenwald zurückkehrten. Ich hatte sogar Gelegenheit, bei Leichenöffnungen dabei zu sein. Ich kann über ihre Ergebnisse folgendes angeben: Die körperlichen Schädigungen bestanden in einem weit fortgeschrittenen Kräfteverfall. Und bei Häftlingen, die ein, zwei und drei Monate durchgehalten hatten, beobachtete man sehr häufig Fälle von akuter Tuberkulose, vor allem des granulierten Typs.

In Buchenwald selbst mußte gearbeitet werden, und, wie übrigens überall, war das die einzige Möglichkeit, am Leben zu bleiben. Die Vernichtung in Buchenwald wurde durch eine Auslese gewährleistet, die durch den Chefarzt Schiedlauski vorgenommen wurde. Diese Auslese...


M. DUBOST: Verzeihen Sie, wenn ich unterbreche: Welcher Staatsangehörigkeit war dieser Chefarzt.


DUPONT: Es war ein deutscher SS-Arzt.


M. DUBOST: Sind Sie ganz sicher?


DUPONT: Ich bin ganz sicher.


M. DUBOST: Können Sie das persönlich bezeugen?


DUPONT: Ja, ich kann es persönlich bezeugen.


M. DUBOST: Fahren Sie bitte fort.


DUPONT: Diese Auswahl wurde von Schiedlauski getroffen, der die Invaliden und Kranken heraussuchte. Sie wurden vor Januar 1945 nach Auschwitz transportiert und später nach Bergen-Belsen. Keiner ist davon zurückgekommen.

Ein anderer Fall, den ich erlebt habe, betrifft ein Arbeitskommando von Juden, das nach Auschwitz geschickt worden war, wo es einige Monate blieb. Bei ihrer Rückkehr wurden die Juden, die nicht einmal mehr die leichteste Arbeit verrichten konnten, wieder untersucht und nochmals nach Auschwitz befördert.

Dies ist ein Augenzeugenbericht. Ich war bei diesen Auslesen zugegen und war Zeuge der Abbeförderungen.

Später nahm man die Hinrichtungen im Lager Buchenwald selbst vor. Sie begannen, soviel ich weiß, im September 1944, im Raum 7, einem kleinen Raum im Revier. Die Männer wurden durch Herzspritzen getötet. Die Leistung war ziemlich niedrig, höchstens einige Dutzend täglich.

[271] Bei den späteren, immer zahlreicher werdenden Transporten nahm die Zahl der durch Kräfteverfall Geschädigten zu. Man mußte die Tötung beschleunigen. Sie wurde zunächst gleich bei der Ankunft des Transportes durchgeführt. Von Januar 1945 an wurde sie dann in einem besonderen Block, Block 61, vorgenommen. Zu jener Zeit befanden sich in diesem Block alle Männer, die wir wegen ihres Aussehens Muselmänner nannten. Man sah sie immer nur mit ihren Decken über den Schultern; sie waren unfähig, auch nur die leichteste Arbeit zu verrichten. Alle mußten Block 61 passieren. Die Zahl der Toten in Block 61 betrug täglich ungefähr mindestens 10 bis 200. Die Tötungen wurden durch Einspritzungen von Phenol in das Herz vorgenommen, und zwar auf die brutalste Weise. Die Leichen wurden dann vornehmlich während der Appellzeiten und in der Nacht auf kleinen Wagen in das Krematorium geschafft. Schließlich wurde die Ausrottung in der letzten Zeit auf den Transporten vorgenommen; die Transporte, die während des Vormarsches der Alliierten Buchenwald verließen, hatten den Auftrag, für die Vernichtung zu sorgen.

Ich führe ein Beispiel an:

In den letzten Märztagen des Jahres 1945 kamen in Buchenwald Häftlinge an, die vom Kommando S III zurückgeschickt worden waren. Sie kamen vollständig erschöpft an, unfähig zu irgend einer Anstrengung. Zwei Tage nach ihrer Ankunft wurde bestimmt, daß diese als erste zurücktransportiert werden sollten. Zwischen ihrem Abfahrtsplatz, der im kleinen Lager war, das heißt, im unteren Teil des Lagers Buchenwald, und dem Appellplatz, wo sie sich versammeln sollten, war eine Entfernung von 500 Metern. Um einen Begriff von der Schwäche dieser Leute zu vermitteln, will ich lediglich erwähnen, daß wir zwischen ihrem Abfahrtsplatz und jenem Sammelplatz, d.h. auf einer Strecke von 500 m, ungefähr 60 Tote gesehen haben, die umgefallen waren. Sie waren nicht imstande gewesen, weiterzugehen. Viele starben sehr schnell in den darauffolgenden Stunden oder Tagen.

Dies sind die Verfahren der methodischen Ausrottung, die ich in Buchenwald beobachtet habe. Hauptsächlich....


M. DUBOST: Und diejenigen, die am Leben blieben?


DUPONT: Diejenigen, die bei den letzten Transporten noch lebten? Das ist eine ziemlich komplizierte Geschichte. Wir waren in großer Angst, fürwahr.

Am 1. April, ich kann für das genaue Datum nicht garantieren, versammelte der Lagerkommandant Pfister eine große Anzahl von Häftlingen um sich und erklärte ihnen folgendes: »Die Spitze der alliierten Truppen hat die nähere Umgebung von Buchenwald erreicht. Es ist mein Wunsch und mein Wille, den Alliierten das [272] Lager zu übergeben. Ich will keine Grausamkeiten, ich will, daß das gesamte Lager ihnen übergeben wird.«

In der Tat begannen 3 Tage später – der alliierte Vormarsch hatte sich verzögert – die Evakuierungen. Eine Abordnung von Häftlingen begab sich zum Kommandanten und erinnerte ihn an sein Versprechen. Er hatte sein Wort gegeben, genauer sein »Wort als Soldat«. Er schien sehr verlegen, und es kam folgende Erklärung heraus: Der Statthalter von Thüringen, Sauckel, hätte den Befehl erteilt, daß kein Häftling in Buchenwald bleiben solle, denn das bedeute für die Provinz eine starke Gefahr.

Dazu kam: Wir wußten, daß alle diejenigen, die Mitwisser der Verwaltungsgeheimnisse des Lagers gewesen waren, verschwinden sollten. Einige Tage vor der Befreiung durch die Alliierten wurden 43 unserer Kameraden verschiedener Nationalität aufgerufen; sie sollten liquidiert werden. In diesem Augenblick trat etwas Außergewöhnliches ein: Das Lager revoltierte. Die 43 Männer wurden versteckt und niemals ausgeliefert. Wir wußten übrigens, daß alle diejenigen, die entweder im Versuchsblock oder im Krankenrevier beschäftigt gewesen waren, um keinen Preis das Lager verlassen sollten.

Das ist es, was ich über die letzten Tage zu sagen habe.


M. DUBOST: War der Offizier, der das Lager befehligte, und von dem Sie uns sagen, daß er sein Ehrenwort gegeben hatte, Soldat?


DUPONT: Den Häftlingen gegenüber war er unerbittlich. Im übrigen erhielt er seine Befehle. Ehrlich gesagt, es war ein Soldat besonderer Art. Die Behandlung, die den Häftlingen zuteil wurde, ist jedoch nicht auf seine Initiative zurückzuführen.


M. DUBOST: Welcher Waffengattung gehörte er an?

DUPONT: Er gehörte zur SS-Division »Totenkopf«.


M. DUBOST: War er SS.


DUPONT: Er war SS.


M. DUBOST: Sie sagten, daß er die Befehle ausführte?


DUPONT: Ja, natürlich, er führte Befehle aus.


M. DUBOST: Wozu wurden die Häftlinge verwendet?


DUPONT: Bei der Verwendung der Häftlinge wurde niemals darauf Rücksicht genommen, daß sie menschliche Wesen waren. Sie wurden zu Versuchszwecken benutzt. In Buchenwald fanden diese Versuche in Block 46 statt. Die Männer, die dazu benutzt werden sollten, wurden stets auf Grund einer ärztlichen Untersuchung ausgewählt, die – jedenfalls soweit ich bei dieser Auswahl zugegen war – von dem bereits erwähnten Arzt, Dr. Schiedlauski, vorgenommen wurde.


[273] M. DUBOST: War das ein Arzt?


DUPONT: Ja, er war Arzt. Die Häftlinge wurden zu den schwersten Arbeiten herangezogen; zum Bohren von Stollen im Bergwerk Laura, sie wurden in den Salzbergwerken, zum Beispiel beim Kommando Wansleben am See beschäftigt; sie wurden bei Aufräumungsarbeiten nach Luftangriffen eingesetzt. Dazu muß übrigens bemerkt werden: je härter ein Kommando war, desto härter waren die Bedingungen für die Häftlinge, wobei die Bedingungen von ihren Wachtposten abhingen.

Sie wurden in Buchenwald zu allen möglichen Arbeiten verwandt, zum Beispiel Erdarbeiten, Arbeiten in Steinbrüchen und in Fabriken.

Hier ein besonderer Fall. Es waren an Buchenwald zwei Rüstungsfabriken angegliedert: das Gustloffwerk und das Mühlbachwerk, Rüstungsfabriken, die unter der Leitung von nicht militärischem, technischem Personal standen. Es bestand in diesem Fall eine Art von Rivalität zwischen der SS und der technischen Leitung der Werke. Die technische Leitung der Betriebe, der es um die Leistung zu tun war, trat für die Häftlinge ein, indem sie ihnen manchmal zusätzliche Lebensmittel beschaffte. Die Arbeitskraft der Häftlinge bot gewisse Vorteile. Sie kostete praktisch nichts und garantierte andererseits vollkommene Geheimhaltung, da die Häftlinge keinerlei Verbindung mit der Außenwelt hatten, und deshalb nichts durchsickern konnte.


M. DUBOST: Sie meinen das Durchsickern von militärischen Informationen?


DUPONT: Ja, ich spreche von dem Durchsickern militärischer Informationen.


M. DUBOST: Man sah aber von außen, daß die Gefangenen mißhandelt wurden und übel dran waren?


DUPONT: Das ist eine andere Frage, bestimmt.


M. DUBOST: Sie werden diese Frage Später beantworten?


DUPONT: Jawohl, ich werde später darauf antworten. Ich habe eine Einzelheit vergessen. Die Häftlinge wurden zu einem gewissen Grade nach ihrem Tod verwendet: Die Asche aus dem Krematorium kam in die Abortgrube und diente zur Düngung der Felder in der Umgebung von Buchenwald. Ich führe diese Einzelheit an, weil sie mir während der Zeit meiner Haft besonders auffiel.

Wie bereits erwähnt, war also die Arbeit, ganz gleich welcher Art, für die Häftlinge die einzige Möglichkeit, zu überleben. Sobald sie zu nichts mehr verwendet werden konnten, waren sie verloren.


M. DUBOST: Hat man die Häftlinge nicht auch als Blutspender benützt, natürlich als unfreiwillige?


[274] DUPONT: Ich habe diesen Punkt übersehen. Die Häftlinge, die leichtere Arbeit verrichteten und deren Arbeitsleistung äußerst gering war, wurden als »Blut spender« benutzt. Wiederholt kamen Wehrmachtsangehörige – zweimal habe ich in Buchenwald gesehen, wie sie diesen Männern Blut abzapften. Diese Blutentnahmen fanden in Raum CP-2 statt, das heißt im Operationssaal Nummer 2. Schließlich...


M. DUBOST: Das geschah sicherlich auf höheren Befehl?


DUPONT: Ich wüßte nicht, wie das hätte anders sein können.


M. DUBOST: Auf eigene Initiative?


DUPONT: Das ging nicht vom Lager aus; diese Leute hatten mit der Lagerverwaltung und der Lagerwache überhaupt nichts zu tun. Ich betone, daß die, die ich gesehen habe, von der Wehrmacht kamen; wir wurden jedoch von SS-Leuten bewacht, die alle der Division Totenkopf angehörten.

Schließlich machte man mit ihnen in letzter Zeit etwas ganz Besonderes. In den ersten Monaten des Jahres 1945 kamen Gestapo-Leute nach Buchenwald. Sie nahmen den Toten alle Papiere ab, um deren Identität festzustellen und um gefälschte Ausweispapiere auszustellen. Ein Jude wurde insbesondere damit beschäftigt, Photographien zu retuschieren und die Ausweispapiere der Toten für Personen zurechtzumachen, die wir natürlich nicht kannten. Der Jude verschwand wieder. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist, wir haben ihn nie wieder gesehen.

Diese Identitätsverschleierung beschränkte sich jedoch nicht nur auf die Toten. Man beorderte eine Anzahl französischer Häftlinge – mehrere Hundert – an einen Ort namens »Fliegerverwaltung«; dort wurden sie einem sehr genauen Verhör über ihre Identität, ihre Verwandtschaft, die Kreise, in denen sie sich bewegt hatten, unterzogen. Dann wurde ihnen mitgeteilt, daß sie auf keinen Fall Briefe erhalten dürften, auch keine Pakete, soweit sie solche bekamen. Sie waren verwaltungsmäßig ausgelöscht, und jegliche Verbindung mit der Außenwelt wurde, noch mehr als ohnehin schon, unmöglich. Wir machten uns große Sorgen um diese Kameraden. Die Befreiung kam sehr schnell; ich kann nur über die Verwendung des Häftlings sprechen, dessen Identität man benutzte, um gefälschte Ausweispapiere herzustellen.


M. DUBOST: Welches waren die Folgen dieses Lebens?


DUPONT: Die Folgen dieses Lebens von der menschlichen Seite aus gesehen?


M. DUBOST: Von der menschlichen Seite aus.


DUPONT: Von der menschlichen Seite aus betrachtet war das Ergebnis die Erniedrigung des Menschen. Diese Erniedrigung ergab [275] sich bereits aus den Lebensverhältnissen, die ich gerade beschrieben habe. Das Ganze wurde systematisch betrieben. Es scheint, als ob ein unerbittlicher Wille am Werk war, diese Männer zu erniedrigen, sie auf ein- und dieselbe Stufe zu bringen, und zwar durch Angleichung an das jeweils niedrigste Niveau.

Der erste degradierende Faktor war die Vermischung. Es mag angehen, daß alle Nationalitäten vermischt werden; es geht jedoch nicht an, alle Gruppen zusammenzustecken, das heißt politische Häftlinge, dann solche, die ich mit militärisch bezeichnen möchte, denn die Angehörigen der französischen Widerstandsbewegung waren Soldaten, dann Häftlinge aus rassischen Gründen, und schließlich gewöhnliche Verbrecher.

Verbrecher aller Nationen wurden mit ihren Landsleuten zusammengesteckt, und alle Nationen unter sich waren vermischt. Schon allein das war äußerst unangenehm.

Dann das Zusammengepferchtsein, die sanitären Zustände und die Zwangsarbeit. Ich möchte hier einige Beispiele anführen, die diese unterschiedslose Vermischung beleuchten.

Im März 1944 sah ich den französischen General Duval sterben. Er war mit mir zusammen den ganzen Tag mit Erdarbeiten beschäftigt gewesen. Am Abend kam er, vollkommen erschöpft, mit Schmutz bedeckt zurück; einige Stunden nach seiner Rückkehr starb er.

Der französische General Vernaud verschied in Raum Nummer 6, wohin man die Sterbenden legte, auf einem mit Kot beschmutzten Strohsack, umgeben von Sterbenden.

Ich habe Herrn de Tessan sterben sehen...


M. DUBOST: Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, wer Herr de Tessan war?


DUPONT: Herr de Tessan war ein ehemaliger französischer Minister, der mit einer Amerikanerin verheiratet war. Auch er starb auf einem Strohsack, in Eiter schwimmend, an einer Krankheit, die Septicopyohaemie heißt.

Ich war auch Zeuge des Todes des Grafen Lipkowski, der in diesem Krieg ein vorzüglicher Soldat gewesen war. Die Deutsche Wehrmacht hatte ihn mit militärischen Ehren behandelt und, um eine Einzelheit anzuführen, er war von General Rommel nach Paris eingeladen worden, da Rommel ihm die Hochachtung, die er für ihn als Soldaten hegte, bezeigen wollte. Er ist im Laufe des Winters 1944 unter jämmerlichen Umständen gestorben.

Noch ein Name; der belgische Minister Janson war im Lager, unter den bereits geschilderten Verhältnissen, von denen Sie sicherlich schon oft gehört haben. Er starb in einem bejammernswerten geistigen und körperlichen Zustand. Er hatte sein Denkvermögen und zum Teil auch seinen Verstand verloren.

[276] Ich habe nur besonders charakteristische Fälle angeführt, bei denen man erklärt hatte, besonders was die Generale betrifft, daß man ihnen Sonderbedingungen zugestanden habe. Davon habe ich jedoch nichts bemerkt.

Abschließend komme ich zum letzten Mittel, durch das die menschliche Erniedrigung erreicht wurde. Die Häftlinge wurden gegeneinander aufgehetzt.


M. DUBOST: Bevor Sie dazu übergehen, wollen Sie bitte die Verhältnisse schildern, unter welchen Sie Ihren Lehrer, den Professor der Medizin, Léon Kindberg, wiedertrafen?


DUPONT: Ich war Schüler Léon Kindbergs im Beaujon-Spital gewesen.


M. DUBOST: In Paris?


DUPONT: In Paris.

Ein Mann von sehr großer Bildung und glänzender Begabung. Im Januar 1945 hörte ich, daß er gerade aus Monowitz eingetroffen war. Ich fand ihn in Block 58 wieder, einem Block, in dem normalerweise 300 Mann untergebracht werden sollten und in dem jetzt 1200 hausten: Ungarn, Polen, Russen, Tschechen und ein großer Prozentsatz Juden. Sie waren in einem außerordentlich elenden Zustand. Ich erkannte Léon Kindberg nicht wieder, so ähnelte er dem üblichen Typ, der in diesem Block untergebracht war. Von seiner Intelligenz war nichts mehr vorhanden, und es war sogar schwierig, in ihm irgend etwas von dem Menschen wiederzufinden, den ich gekannt hatte. Es gelang uns, ihn aus diesem Block herauszubekommen. Leider war seine Gesundheit zu sehr angegriffen; er starb kurze Zeit nach seiner Befreiung.


M. DUBOST: Können Sie dem Gerichtshof die Verbrechen nennen, die dieser Mann begangen hat, soweit Sie davon wissen?


DUPONT: Léon Kindberg lebte nach dem Waffenstillstand in Toulouse, wo er als Lungenspezialist praktizierte. Ich weiß aus vollkommen verläßlicher Quelle, daß er niemals an irgend welchen Aktionen gegen die deutschen Besatzungstruppen in Frankreich beteiligt gewesen ist. Eines Tages wurde festgestellt, daß er Jude war, und als solcher wurde er verhaftet und deportiert. Er kam nach Buchenwald, nachdem er durch Auschwitz und Monowitz gegangen war.


M. DUBOST: General Duval, der zwischen Zuhältern, Pederasten und Mördern leben mußte? Was für ein Verbrechen hatte er begangen? Und General Vernaud?

DUPONT: Ich weiß nichts über das Leben von General Duval und General Vernaud während der Besatzungszeit. Ich weiß jedoch, [277] daß die Tätigkeit dieser beiden Männer mit einer asozialen Betätigung nichts gemein hatte.


M. DUBOST: Und Graf Lipkowski und Herr de Tessan?


DUPONT: Graf Lipkowski und Herr de Tessan hatten ebensowenig mit Vergehen zu tun, die man asozialen Elementen und gewöhnlichen Verbrechern vorzuwerfen pflegt.


M. DUBOST: Sie können fortfahren.


DUPONT: Das letzte Mittel, um bei der Gesamtheit der Häftlinge eine menschliche Erniedrigung zu erzielen, bestand darin, wie ich bereits erwähnt habe, Häftlinge durch andere Häftlinge foltern zu lassen. Ich möchte mit einem grausamen Beispiel beginnen.

In Wansleben am See, 70 Kilometer von Buchenwald, Kommando A. S. 6, waren Häftlinge aller Nationalitäten, unter ihnen ein besonders hoher Prozentsatz Franzosen. Ich hatte zwei Freunde dort, Antoine d'Aimery, Sohn des Generals d'Aimery, und Thibaut, ein Missionsstudent.


M. DUBOST: Katholisch?


DUPONT: Katholisch.

In Wansleben am See wurden die Häftlinge öffentlich in einer Werkshalle, die neben dem Salzbergwerk lag, gehängt. Die SS-Leute wohnten diesen Hinrichtungen in Paradeuniform, mit allen Auszeichnungen geschmückt, bei.

Die Häftlinge wurden unter Androhung schwerster Schläge gezwungen, bei diesen Hinrichtungen zugegen zu sein. In dem Augenblick, in dem man den Unglücklichen hängte, mußten die Häftlinge den Hitler-Gruß erweisen. Es gab noch Schlimmeres. Ein Häftling war dazu ausersehen, das Brett, auf dem der Verurteilte stand, wegzuziehen. Er konnte sich diesem Befehl nicht entziehen, denn die Gefahr war für ihn zu groß.

Als die Erhängung endlich vorüber war, mußten die Häftlinge, zwischen zwei SS-Männern, vor dem Gehängten vorbeipassieren, ihn berühren und – das war eine besondere Einzelheit – ihm in die Augen sehen.

Ich glaube, daß die Leute, die man zu dieser Zeremonie gezwungen hatte, dabei in hohem Maße in ihrer Würde getroffen werden mußten.

In Buchenwald selbst war die gesamte praktische innere Verwaltung den Häftlingen anvertraut. Die Hinrichtungen, das heißt die Erhängungen, wurden von einem deutschen Häftling durchgeführt, der dabei von anderen Häftlingen unterstützt wurde. Die Lagerpolizei wurde ebenfalls von Häftlingen gestellt. Wenn jemand verurteilt war, dann mußten diese Häftlinge ihn abholen und zur Richtstätte führen.

[278] Die Auswahl für die Kommandos, die wir gut kannten – ich wiederhole, also für Dora, Laura, S. 3, Vernichtungskommandos –, wurde von Häftlingen getroffen.

So würdigte man die Häftlinge auf den allerniedrigsten Grad herab, indem man sie zwang, die Henker ihrer eigenen Brüder zu sein. Ich habe Ihnen von Block 61 berichtet, wo die Vernichtung der Untauglichen, der Arbeitsunfähigen, durchgeführt wurde. Die Hinrichtungen wurden ebenfalls von Häftlingen unter der Aufsicht und Kontrolle der SS durchgeführt. Dort liegt vielleicht, vom menschlichen Standpunkt aus gesehen, das Hauptverbrechen; denn die Männer, die dazu gezwungen wurden, ihre Kameraden zu foltern, sind jetzt dem Leben zurückgegeben; aber sie sind völlig andere Menschen geworden. Was soll aus ihnen werden? Was werden sie tun?


M. DUBOST: Wer sind die Schuldigen, die für diese Verbrechen verantwortlich sind, soweit Sie über diese Verantwortung ein persönliches Zeugnis ablegen können?


DUPONT: Eines ist besonders auffällig: Die Methoden, die ich in Buchenwald beobachten konnte, habe ich später, von kleinen Abweichungen abgesehen, in allen anderen Lagern wieder angetroffen. Die Führung der Lager war von methodischer Einheitlichkeit, die zweifellos auf höheren Befehl schließen läßt. Im Falle Buchenwald führte das Personal, so roh es auch war, solche Handlungen nie aus eigener Initiative durch. Übrigens verschanzten sie sich – der Lagerführer und auch der SS-Arzt – stets hinter höheren Befehl, oft in vager Form. Der am meisten genannte Name war der Himmlers. Im Zusammenhang mit Nummer 61, dem Vernichtungsblock, wurden weitere Namen genannt: Der Name des Chefarztes aller Lager, Lolling, wurde sehr oft erwähnt, besonders von einem SS-Arzt des Lagers, der Bender hieß. Im Zusammenhang mit der Auswahl der Invaliden oder Juden, die zur Vergasung nach Auschwitz oder Bergen-Belsen geschickt wurden, hörte ich den Namen Pohl nennen.


M. DUBOST: Welche Funktion hatte Pohl?


DUPONT: Er war der Verwaltungschef der SS in Berlin, Abteilung D 2.


M. DUBOST: Konnten diese Greueltaten im allgemeinen vor dem deutschen Volk verborgen bleiben oder mußte es davon erfahren?


DUPONT: Nachdem diese Lager seit Jahren bestanden, war eine Unkenntnis unmöglich. Auf unserem Transport machten wir in Trier halt. In manchen Wagen waren vollkommen nackte Häftlinge, in anderen waren sie bekleidet. In der Umgebung des Bahnhofs waren sehr viele Leute aus der Bevölkerung, diese haben diesen Transport gesehen. Einige spornten die SS-Soldaten an, die auf dem Bahnsteig patrouillierten.

[279] Es gab jedoch noch andere Wege, auf denen die Bevölkerung Kenntnis erhielt. Zunächst einmal die Außenkommandos der Lager. In Buchenwald gab es Kommandos, die nach Weimar, andere die nach Erfurt und wieder andere, die nach Jena fuhren. Sie verließen das Lager am Morgen und kamen am Abend zurück. Während des Tages waren sie mitten unter der Zivilbevölkerung. Außerdem war in den Fabriken das Bewachungspersonal kein militärisches; der Meister war kein SS-Mann. Sie gingen abends nach Hause und während des Tages beaufsichtigten sie die Arbeit der Häftlinge. In einigen Fabriken gab es auch Zivilarbeiter, vor allem im Gustloffwerk in Weimar. Die Häftlinge waren mitten unter den Zivilisten.

Weiterhin erfolgte die Verpflegung des Lagers durch zivile Stellen, die Zutritt zum Lager hatten. Ich habe Zivilkraftwagen in das Lager fahren sehen.

Die Eisenbahnverwaltung mußte ebenfalls im Bilde sein. Zahlreiche Züge führten täglich den Transport der Gefangenen von einem Lager zum anderen oder von Frankreich nach Deutschland durch. Diese Züge wurden von deutschem Eisenbahnpersonal geführt. Außerdem hatte Buchenwald regelmäßigen Zugverkehr und war Endstation. Daher konnte also die Eisenbahnverwaltung Bescheid wissen.

Schließlich wurden ja auch den Fabriken Aufträge erteilt. In Industriekreisen mußte man über das Personal Bescheid wissen, das man beschäftigte.

Außerdem erhielten die deutschen Häftlinge manchmal Besuch. Ich kannte einige deutsche Häftlinge und weiß, daß sie sich während dieser Besuche mit ihrer Familie unterhielten, die wiederum, soweit möglich, ihrer Umgebung davon berichteten. Es kann wohl nicht geleugnet werden, daß die deutsche Bevölkerung von den in diesen Lagern begangenen Grausamkeiten Kenntnis hatte.


M. DUBOST: Und die Wehrmacht?


DUPONT: Auch die Wehrmacht wußte von den Lagern. Auf alle Fälle weiß ich folgendes: Mindestens jede Woche einmal kam eine sogenannte Kommission nach Buchenwald, das heißt eine Gruppe von Offizieren, die das Lager besichtigte. Unter diesen Offizieren befanden sich auch SS-Männer. Ich habe jedoch sehr oft auch Angehörige des Heeres und der Luftwaffe beobachtet, die bei diesen Besichtigungen dabei waren.

Manchmal konnten wir die Personen, die das Lager besichtigten, dem Namen nach feststellen; ich allerdings sehr selten. Am 22. März 1945 besichtigte General Mrugowsky das Lager und hielt sich insbesondere in Block 61 sehr lange auf. Er wurde dabei von einem SS-General und vom Chefarzt des Lagers, Schiedlauski, begleitet.

Noch etwas: In der letzten Zeit hat die Wache von Buchenwald, einschließlich der SS-Leute...


[280] M. DUBOST: Bitte entschuldigen Sie, wenn ich unterbreche. Wollen Sie uns nochmal sagen, was Block 61 war?


DUPONT: In Block 61 wurden die völlig Entkräfteten liquidiert, also die, die einen derartigen Zustand der Entkräftung erreicht hatten, daß sie keinerlei Arbeit mehr verrichten konnten.


M. DUBOST: Beruht Ihre Aussage über diese Besichtigung von Block 61 auf eigener unmittelbarer Kenntnis.


DUPONT: Ja, auf eigener, unmittelbarer Kenntnis.


M. DUBOST: Wen betrifft es?


DUPONT: Den General Mrugowsky.


M. DUBOST: Von der Wehrmacht?


DUPONT: SS-Arzt; und SS-General, was ich nicht genau feststellen kann.


M. DUBOST: Wußte man in Universitätskreisen von den Arbeiten, die im Lager durchgeführt wurden?


DUPONT: Im Pathologischen Institut von Buchenwald wurden pathologische Präparate angefertigt; es gab darunter natürlich äußerst seltene, denn es gab Fälle – ich spreche hier als Mediziner –, welche die Medizin heute nicht mehr beobachten kann. Es handelte sich um Fälle, die in Handbüchern der letzten Jahrhunderte beschrieben worden sind. Es wurden ausgezeichnete Präparate hergestellt, die vor allem an die Universität Jena gesandt wurden. Andererseits gab es auch Arbeiten, die nicht in das eigentliche Gebiet der Anatomie fielen, man sandte präparierte Tätowierte an die Universitäten.


M. DUBOST: Haben Sie das persönlich gesehen?


DUPONT: Ich habe gesehen, wie Tätowierungen präpariert wurden.


M. DUBOST: Wie beschaffte man sich die anatomischen Teile und Tätowierungen? Man wartete selbstverständlich auf den natürlichen Tod?


DUPONT: In den von mir beobachteten Fällen handelte es sich um natürlichen Tod oder Liquidierung. Vor unserer Ankunft – ich kann in diesem Zusammenhang Zeugen nennen – tötete man einen Mann, um seine Tätowierungen zu bekommen. Das geschah, als ich noch nicht in Buchenwald war, ich betone dies. Ich berichte, was mir bestimmte Zeugen erzählt haben, deren Namen ich nennen werde. Während ein gewisser Koch Lagerkommandant war, liquidierte man Leute, die besonders kunstvolle Tätowierungen hatten. Der Zeuge, den ich angeben kann, ist Luxemburger und heißt Nicolas Simon; er lebt in Luxemburg. Er hat sechs Jahre in [281] Buchenwald verbracht, und zwar unter außergewöhnlichen Bedingungen, die ihm einzigartige Beobachtungsposten zugänglich machten.


M. DUBOST: Man hat uns jedoch gesagt, daß Koch wegen seiner Ausschreitungen zum Tode verurteilt und hingerichtet worden ist.


DUPONT: Soviel ich weiß, war Koch in eine Betrugsaffäre verwickelt. Er hatte Meinungsverschiedenheiten mit der SS-Verwaltung. Er wurde zweifellos verhaftet und eingesperrt.


VORSITZENDER: Wir wollen nun eine Pause einschalten


[Pause von 10 Minuten.]


M. DUBOST: Wir sind beim Falle Koch stehengeblieben und der Zeuge hatte dem Gerichtshof berichtet, daß Koch nicht wegen der Verbrechen, die er an den ihm anvertrauten Häftlingen begangen hatte, hingerichtet worden ist, sondern wegen der zahlreichen Unterschleife, die er sich während seiner Dienstzeit hatte zuschulden kommen lassen. Habe ich die Ausführungen des Zeugen richtig verstanden?

DUPONT: Ich habe betont, daß man Koch wegen Unterschlagungen angeklagt hat; ich vermag keine Einzelheiten über die Gesamtheit der Beschuldigungen anzugeben. Ich kann nicht bestätigen, daß er ausschließlich wegen Unterschlagungen in der Verwaltung angeklagt wurde, ich weiß nur, daß er deswegen angeklagt war. Mehr weiß ich darüber nicht.


M. DUBOST: Haben Sie nichts mehr hinzuzufügen?


DUPONT: Ich kann sagen, daß wir diese Angaben von Dr. Owen haben, der gleichzeitig mit ihm verhaftet, dann aber freigelassen wurde, und in der letzten Zeit, das heißt in den ersten Monaten des Jahres 1945 wieder nach Buchenwald zurückkam.


M. DUBOST: Was für ein Staatsangehöriger war dieser Arzt?


DUPONT: Er war Deutscher und gehörte der SS an. Er war in Haft. Er und Koch waren zu gleicher Zeit verhaftet worden. Dr. Owen wurde wieder freigelassen und kehrte im gleichen Rang und mit den gleichen Funktionen Anfang 1945 nach Buchenwald zurück. Er hat gern mit den Häftlingen gesprochen, und die Angaben, die ich mache, stammen von ihm.


M. DUBOST: Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen zu stellen, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Wünschen die Verteidiger noch Fragen zu stellen?


DR. MERKEL: Herr Zeuge, Sie haben vorhin gesagt, daß die Behandlungsmethoden in Buchenwald deshalb nicht etwas dem [282] Lager Buchenwald Eigentümliches seien, sondern daß diese Methoden auf einen einheitlichen Befehl zurückgeführt werden müssen. Sie haben das damit begründet, daß Sie sagten, Sie hätten das in allen anderen Lagern auch gesehen. Wie soll ich diesen Ausdruck »in allen anderen Lagern auch gesehen« auffassen?


DUPONT: Ich spreche von Konzentrationslagern, genau gesagt, von einer gewissen Anzahl unter ihnen: Mauthausen, Dachau, Sachsenhausen; Kommandos wie Dora, Laura, S 3, Wansleben, Ebensee, um nur einige zu nennen.


DR. MERKEL: Waren Sie persönlich in diesen Lagern?


DUPONT: Ich persönlich war in Buchenwald. Die genauen Aussagen über die anderen Lager stammen von meinen Freunden, die in diesen Lagern gewesen sind. Außerdem ist die Zahl der Toten unter meinen Bekannten Beweis genug dafür, daß man die Liquidierungen in allen Lagern auf die gleiche Weise vornahm.


RA. BABEL: Ich hätte gern Auskunft darüber, welchem Block Sie angehört haben. Vielleicht geben Sie dem Gerichtshof Auskunft darüber wie – Sie haben das vorhin schon angedeutet – wie die Gefangenen eingeteilt waren. Sie waren, glaube ich, auch äußerlich gekennzeichnet, hatten einen roten Fleck, andere einen grünen Fleck usw. auf der Kleidung?


DUPONT: Es gab in der Tat eine Anzahl von Abzeichen, die von Häftlingen getragen wurden, die dem gleichen Kommando angehörten. Ich will das erklären. Im Kommando für Erdarbeiten, das »Entwässerung« genannt wurde, und in dem ich mich befand, habe ich Seite an Seite mit gewöhnlichen deutschen Verbrechern mit grünen Abzeichen gearbeitet. In diesem Kommando waren Russen, Tschechen, Belgier und Franzosen vertreten. Die Abzeichen waren verschieden. Die Behandlung war die gleiche, und in jenem besonderen Falle standen wir sogar unter dem Befehl gewöhnlicher Verbrecher.


RA. BABEL: Ich habe Ihre Antwort eingangs nicht richtig verstanden. Ich habe gefragt, ob die Häftlinge in bestimmte Kategorien eingeteilt waren, die auch äußerlich durch Sterne, oder irgendwelche Zeichen in grüner Farbe, blauer Farbe usw. gekennzeichnet waren.


DUPONT: Ich habe gesagt, daß in diesen Lagern verschiedene Abzeichen getragen wurden, dreieckige Abzeichen, die grundsätzlich verschiedene Kategorien kennzeichneten; aber alle diese Leute waren untereinander vermischt und erfuhren die gleiche Behandlung.


RA. BABEL: Ich habe doch – Ich habe nicht nach der Behandlung gefragt, sondern nach der Kennzeichnung.


DUPONT: Die Franzosen trugen das runde Abzeichen.


[283] RA. BABEL: Nicht nur die Franzosen, sondern für alle.


DUPONT: Die Franzosen, die ich am besten kannte, trugen das rote politische Abzeichen, unterschiedslos, einschließlich der von Fort Barraut kommenden Häftlinge, die alle gewöhnliche Verbrecher waren. Das gleiche habe ich bei den Tschechen und Russen beobachtet. Es stimmt schon, daß verschiedene Abzeichen vorgesehen waren; aber das wurde nicht richtig durchgeführt.

Ich komme auf meine Aussage von vorhin zurück. Wenn es auch verschiedene Abzeichen gab, so waren die Leute doch durcheinandergemischt, erfuhren dieselbe Behandlung und waren demselben Regime unterworfen.


RA. BABEL: Daß sie durcheinandergemischt waren, haben wir schon gehört; das ist ja nicht das, was ich gefragt habe...

Sie waren doch so lange im Lager, daß Sie meines Erachtens meine Frage beantworten können, wie diese Gefangenen eingeteilt waren? Soviel ich weiß, waren sie nach Gruppen eingeteilt, politische und kriminelle und dann auch andere Gruppen, und daß jede dieser einzelnen Gruppen durch ein bestimmtes Zeichen gekennzeichnet war, und zwar auf der Kleidung durch grüne Farbe, blaue Farbe, rote Farbe oder sonstwie.


DUPONT: Es gab verschiedene Abzeichen für die verschiedenen Kategorien. Diese Kategorien waren aber immer gemischt. Gewöhnliche Verbrecher waren mit politischen Häftlingen vermischt. Es gab allerdings Blocks, wo diese oder jene Kategorie vorherrschte. Aber sie waren nicht nach einzelnen Kategorien auf Grund ihrer Abzeichen eingeteilt.

RA. BABEL: Mir ist gesagt worden, die politischen Häftlinge hätten zum Beispiel ein blaues Abzeichen getragen, die kriminellen ein grünes. Wir haben ja auch schon einen Zeugen hier vernommen, der all das in einer gewissen Hinsicht schon bestätigt hat, daß die Kriminellen ein grünes Zeichen trugen, die Asozialen wieder ein anderes Zeichen; daß man ohne weiteres erkennen konnte, zu welcher Kategorie der einzelne Häftling gehörte.


DUPONT: Es ist richtig, daß es verschiedene Abzeichen gab. Es stimmt, daß diese Abzeichen für verschiedene Kategorien bestimmt waren. Um jedoch bei der Wahrheit zu bleiben, muß ich betonen, daß man diese Abzeichen nicht richtig verwandte. Besonders für die Franzosen gab es nur politische Abzeichen, was die Verwirrung noch vergrößerte; denn man hielt bekannte Verbrecher, die aus den gewöhnlichen Gefängnissen kamen, für politische Häftlinge. Es gab schon Abzeichen zur Unterscheidung der verschiedenen Kategorien, sie wurden aber nicht systematisch angewandt und bei den Franzosen überhaupt nicht.


[284] RA. BABEL: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, die französischen Gefangenen wurden alle als politische gekennzeichnet, oder waren gekennzeichnet.


DUPONT: Das stimmt.

RA. BABEL: Nun waren unter diesen französischen Gefangenen doch nicht nur, wie Sie doch selbst gesagt haben, nur politische, sondern zum größten Teil doch auch Verbrecher?


DUPONT: Es gab unter...


RA. BABEL: Wenigstens habe ich Ihre frühere Aussage so aufgefaßt. Das war auch ziemlich bestimmt gesagt von Ihnen.


DUPONT: Ich sagte, daß Verbrecher darunter waren, die aus ganz besonderen Gefängnissen kamen; sie trugen nicht das grüne Abzeichen mit einem »F«, das sie eigentlich hatten bekommen sollen, sondern das politische Abzeichen.


RA. BABEL: Was war Ihre Tätigkeit im Lager? Sie sind doch Arzt?


DUPONT: Ich bin im Januar angekommen, drei Monate lang war ich in den Steinbruch zu Erdarbeiten kommandiert. Dann wurde ich dem Revier zugeteilt, das heißt der Krankenstation des Lagers. Ich arbeitete in der Abteilung für innere Krankheiten.


RA. BABEL: Haben Sie da selbständig handeln können? Was waren für Anweisungen erteilt bezüglich der Behandlung der im Revier anwesenden Kranken?


DUPONT: Wir haben unter der Kontrolle des SS- Arztes gearbeitet. Wir hatten eine bestimmte Anzahl von Betten zur Unterbringung bestimmter Kranker, wobei auf ein Bett 20 Kranke kamen. Arzneimittel waren so gut wie nicht vorhanden. Ich habe bis zu meiner Befreiung auf der Krankenstation gearbeitet.


RA. BABEL: Hatten Sie Anweisungen bezüglich der Behandlung der Kranken. Ist Ihnen gesagt worden, Sie sollen sehen, sie zu behandeln und zu betreuen, oder hatten Sie Anweisungen, selbst dahin zu wirken, daß sie sterben sollten?


DUPONT: Was das betrifft, so hatte ich Befehl, die unheilbaren Kranken zur Liquidierung auszuwählen. Diesem Befehl bin ich aber niemals nachgekommef.


RA. BABEL: Ist Ihnen gesagt worden, daß Sie sie auswählen sollen, um sie zur Vernichtung zu schicken? Ich habe Ihre Antwort nicht verstanden, bitte wiederholen Sie sie.


DUPONT: Ich hatte den Befehl bekommen, die Schwerkranken auszuwählen und nach Block 61 zu schicken, wo sie liquidiert werden sollten. Das ist der einzige Befehl, den ich bezüglich der Kranken bekommen habe.


[285] RA. BABEL: »Wo sie vernichtet werden sollten«, ist Ihnen gesagt worden, so habe ich gefragt; daß sie ausgewählt werden sollten zur Vernichtung? Ist Ihnen – nachdem, was Sie gesagt haben –.... Ist Ihnen gesagt worden: »sie werden geschickt nach dem Block 61«; ist Ihnen auch gesagt worden, was in dem Block 61 mit ihnen geschehen soll?


DUPONT: Der Block 61 unterstand einem deutschen Unteroffizier, namens Wilhelm, der selbst die Liquidierungen leitete, und er hat auch den Befehl gegeben, die Kranken für diesen Block auszuwählen. Ich nehme an, daß die Lage vollkommen klar ist.


RA. BABEL: Entschuldigen Sie. Einen ausdrücklichen Hinweis haben Sie nicht erhalten?


DUPONT: Die Anweisung, die unheilbar Kranken dahin zu schicken....


RA. BABEL: Herr Zeuge, mir fällt auf, daß Sie mir meine Fragen nicht nur kurzer Hand mit Ja oder Nein beantworten, sondern immer Umschweife machen.


DUPONT: Es wurde gesagt, daß diese Kranken nach Block 61 geschickt werden sollen. Das war alles. Alle Kranken, die nach Block 61 geschickt wurden, wurden liquidiert.


RA. BABEL: Das haben Sie aber nicht selbst beobachtet, sondern das haben Sie erfahren oder gehört, daß die, die dort hingebracht wurden, nicht mehr zurückgekehrt sind.

DUPONT: Das ist nicht richtig. Ich konnte es selbst beobachten. Denn im Block 61, der von einem Häftling, namens Louis Cunish oder Remisch beaufsichtigt wurde, war ich der einzige Arzt, der Zutritt hatte. Ich konnte einige Kranke herausholen, die anderen sind gestorben.


RA. BABEL: Warum haben Sie nun, wenn Ihnen so was gesagt worden ist, nicht erklärt, das fällt mir gar nicht ein, das tue ich nicht?


DUPONT: Wenn ich Sie recht verstanden habe, fragen Sie mich, warum ich – als man mir befahl, die Schwerstkranken....


RA. BABEL: Wenn Sie den Auftrag bekommen haben, die Leute herauszusuchen für den Block 61, warum Sie da nicht erklärt haben: »ich weiß, was mit den Leuten geschieht, infolgedessen mach ich es nicht.«


DUPONT: Weil es für mich den Tod bedeutet hätte.


RA. BABEL: Und für Deutsche, die eine derartige Anordnung verweigert hätten, was hätte das für die bedeutet?


DUPONT: Von welchen Deutschen sprechen Sie? Von deutschen Häftlingen?


[286] RA. BABEL: Meinetwegen von einem deutschen Arzt oder im Lazarett irgendein Mann, der dort beschäftigt war, wenn der eine solche Anweisung bekommen hätte, wenn er eine derartige Weigerung ausgesprochen hätte, was wäre mit dem geschehen?


DUPONT: Wenn ein Gefangener sich einfach weigerte, einen solchen Befehl auszuführen, dann bedeutete das den Tod. Tatsächlich konnten wir auch manchmal diesen Befehl umgehen. Ich betone, daß ich nie jemand nach Block 61 geschickt habe.


RA. BABEL: Ich hätte dann eine allgemeine Frage noch, bezüglich der Zustände im Lager. Wenn man noch niemals ein Lager gesehen hat, kann man sich schwer eine Vorstellung machen von den tatsächlichen Verhältnissen. Vielleicht geben Sie dem Gerichtshof eine kurze Schilderung, wie so ein Lager eingeteilt war.


DUPONT: Ich glaube, mich schon genügend über die Organisation des Lagers ausgelassen zu haben. Ich werde den Präsidenten fragen, ob es nötig ist, das zu wiederholen.


VORSITZENDER: Ich glaube, das ist nicht nötig. [Zu Ra. Babel gewandt]: Wenn Sie ihn ins Kreuzverhör nehmen wollen, um ihn der Unwahrheit zu überführen, so können Sie das tun. Bitten Sie ihn jedoch nicht um eine allgemeine Beschreibung.

RA. BABEL: Das Lager besteht aus einem Innenlager, das mit Drahtzaun eingeschlossen und gesichert ist. Innerhalb dieses Lagers befinden sich die Baracken, in denen die Gefangenen untergebracht sind. Wie ist dieses Innenlager bewacht worden?


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte nur eine Frage auf einmal stellen. Die Frage, die Sie gerade gestellt haben, betrifft drei, vier Gegenstände.


RA. BABEL: Das eigentliche Lager, in welchem sich die Wohnbaracken befinden: wie ist dieses Lager von dem übrigen Teil des Lagers abgegrenzt? Welche Sicherungen sind da getroffen?


DUPONT: Das Lager der Häftlinge war vom übrigen Lager durch einen elektrisch geladenen Stacheldraht abgesondert.


RA. BABEL: Wo befanden sich die Wachmannschaften?


DUPONT: Die Lagerwache befand sich auf kleinen Türmen rings um das Lager. Sie bewachten das Tor und patrouillierten im Innern.


RA. BABEL: Innerhalb des Lagers? Innerhalb des Drahtzaunes?


DUPONT: Ja, natürlich innerhalb des Lagers und auch innerhalb der Baracken. Sie hatten das Recht, überall hinzugehen.


RA. BABEL: Ich bin dahin unterrichtet, daß jede einzelne Baracke lediglich einen Mann, einen deutschen SS-Mann oder einen Angehörigen einer sonstigen Organisation hatte, und daß im [287] übrigen innerhalb dieses umzäunten Lagers keine Wachen vorhanden waren, daß diese Leute nicht für die eigentliche Bewachung da waren, sondern zur Aufrechterhaltung der Ordnung und mehr verwaltungsmäßig tätig waren, und daß sie von einem Kapo, einem sogenannten Kapo, der aus den Reihen der Häftlinge stammte, unterstützt wurden, und daß der Kapo und der deutsche Mann gleichberechtigt da drin ihre Funktionen ausübten. Es kann ja sein, daß es in Buchenwald anders war. Ich bin von Dachau aus so unterrichtet.


DUPONT: Ich habe diese Fragen im Laufe meiner Aussagen schon beantwortet. Ich habe gesagt, daß die Lager in der bekannten Weise von der SS geführt wurden. Andererseits verwendete die SS die Häftlinge in vielen Fällen als ausführende Organe. In Buchenwald und wahrscheinlich auch in allen anderen Lagern war dies der Fall.


RA. BABEL: Die Beantwortung der Frage ist wieder sehr umschrieben gewesen. Ich verzichte aber darauf, auf dieses Thema weiter einzugehen, weil ich doch keine klaren Antworten erhalten werde. Aber noch eines mochte ich fragen:

Sie haben angegeben, in einem Block 58, im Zusammenhang mit der Tatsache, die Sie geschildert haben – wie ein Professor, dessen Namen ich aus dem Kopfhörer nicht feststellen konnte und der ein Lehrer, glaube ich, von Ihnen war, und der dort untergebracht war. Nun haben Sie da angegeben, daß das ein Block war, in dem – bei der Frage der Erniedrigung – früher 300 Leute, glaube ich, untergebracht waren und dann später 1200. Stimmt das?


DUPONT: Im Block 58 befanden sich 1200 Männer, als ich Dr. Kindberg dort traf.


RA. BABEL: Und da haben Sie, soviel ich richtig verstanden habe, gesagt, in diesem Block, den Sie vorher angegeben haben, da waren außer den Franzosen auch Russen, Polen, Tschechen, Juden anwesend gewesen und also nicht nur durch die Tatsache, daß da 1200 zusammengepfercht waren, sondern auch durch das Zusammensein mit diesen verschiedenen Völkerschaften sei diese Erniedrigung hervorgerufen worden?


DUPONT: Ich möchte feststellen, daß die Tatsache, daß man Menschen verschiedener Sprache, die sich nicht verständigen können, zusammenpferchte, an sich kein Verbrechen ist; sie stellt aber den ersten Schritt zu all den anderen Maßnahmen dar, die der menschlichen Erniedrigung der Häftlinge dienen sollten.


RA. BABEL: Kann nach Ihrer Ansicht das Zusammensein eines Franzosen mit Russen, Polen, Tschechen und Juden eine Erniedrigung sein?


[288] DUPONT: Ich sehe die Bedeutung dieser Frage nicht ein. Die Tatsache des Zusammenlebens...


RA. BABEL: Sie brauchen nicht wissen, was ich für ein Interesse habe; ich weiß, warum ich die Frage stelle.


DUPONT: Die Tatsache, daß man Personen verschiedener Sprache zusammensteckt, ist an sich nicht erniedrigend. Ich habe niemals etwas Derartiges gedacht oder gesagt. Jedoch allein durch das Zusammenpferchen von Menschen, die in jeder Hinsicht verschieden waren, vor allem bezüglich ihrer Sprache, wurden sehr schwierige Lebensbedingungen geschaffen; und darin lag der Ausgangspunkt für alle anderen Maßnahmen, über die ich gesprochen habe, und die die menschliche Erniedrigung zum Ziel hatten.


RA. BABEL: Ich verstehe nicht, warum das eine Erniedrigung sein soll, wenn man mit Angehörigen anderer Völker, die man sprachlich nicht versteht, Zusammensein muß?


VORSITZENDER: Dr. Babel, er hat Ihnen die Antwort doch schon gegeben. Er denkt, daß es eine Erniedrigung ist. Ob Sie es begreifen oder nicht, macht nichts aus.


RA. BABEL: Herr Vorsitzender! Die Übertragung durch den Kopfhörer ist teilweise so schwierig, daß ich, wenigstens verschiedentlich nicht genau verstehen kann, was der Zeuge gesagt hat, und das hat mich leider veranlaßt, das eine oder andere nochmals wiederholen zu müssen. Noch eine Frage:...


M. DUBOST: Ich bitte den Gerichtshof meine Zwischenbemerkung nicht als eine Unterbrechung des Kreuzverhörs aufzufassen; es scheint mir jedoch erforderlich zu sagen, daß der Verteidiger durch einen Übersetzungsfehler, der mir soeben mitgeteilt wurde, in die Irre geführt wurde.

Er hat meinem Zeugen eine verfängliche Frage gestellt. Er hat gesagt, ob die französischen Verschleppten zum größten Teil Verbrecher waren, und man hat nur übersetzt, ob die französischen Verschleppten Verbrecher waren. Der Zeuge hat die Frage beantwortet, die ins Französische übersetzt worden war. Ich möchte daher bitten, daß die Frage von dem Verteidiger noch einmal wiederholt und genau übersetzt wird.


VORSITZENDER: Haben Sie verstanden, was Herr Dubost gesagt hat, Herr Dr. Babel?

RA. BABEL: Ich glaube verstanden zu haben, daß die Übersetzung... einen Irrtum bei mir hervorgerufen hat. Inwieweit dies der Fall war, kann ich nicht beurteilen, denn ich bin nicht in der Lage gewesen, das zu verfolgen, nach dem französischen Text und nach dem deutschen Text.


[289] VORSITZENDER: Es ist wohl das beste, wenn Sie Ihr Kreuzverhör fortsetzen, wenn Sie noch weitere Fragen zu stellen haben. Herr Dubost kann diese Schwierigkeit in einem Rückkreuzverhör aufklären.


RA. BABEL: Herr Präsident! Der Verteidiger des Angeklagten Kaltenbrunner hat heute schon ausgeführt, daß es für die Verteidigung sehr schwer ist, einen Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen, wenn man nicht wenigstens am Tage vorher erfahren hat, über welchen Fragenkomplex der Zeuge vernommen wird. Die Vernehmung des Zeugen heute war so umfangreich, daß es uns unmöglich ist, dem ohne weiteres zu folgen und sich durch kurze Notizen zu einem umfassenden notwendigen Kreuzverhör vorzubereiten und in die Lage zu versetzen. Nun ist bezüglich der Verteidiger der Organisationen meines Wissens durch den Herrn Vorsitzenden bereits bekanntgegeben worden, daß uns später noch Gelegenheit gegeben wird, unser Kreuzverhör zu ergänzen oder gegebenenfalls den Betreffenden allenfalls noch selbst als Zeugen zu benennen.


VORSITZENDER: Ich habe das, was ich dazu im Namen des Gerichtshofs zu sagen habe, bereits gesagt. Da die Verteidigung voraussehen mußte, daß Zeugen über die Verhältnisse in den Konzentrationslagern vernommen werden würden, hatte sie meines Erachtens ihr Kreuzverhör während der mehr als 40 Tage, die der Prozeß nun schon dauert, vorbereiten können.


RA. BABEL: Herr Vorsitzender! Ich glaube, es ist jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt, über diese Frage mich mit dem Gerichtshof auseinanderzusetzen; aber vielleicht wird mir mal gelegentlich – wird mir eventuell Gelegenheit gegeben, das einmal in einer nichtöffentlichen Sitzung zu tun. Ich halte das im Interesse des ungehinderten Fortgangs und beschleunigten Fortgangs des Prozesses für notwendig.

Ich will absolut nicht das Verfahren irgendwie verzögern. Ich habe das größte Interesse daran, daß das Verfahren mit tunlichster Beschleunigung seinen Lauf nimmt, aber ich möchte das nicht auf,.... zu Lasten der Verteidigung der Organisationen tun.


VORSITZENDER: Herr Dr. Babel, ich habe schon darauf hingewiesen, daß Sie hätten voraussehen müssen, daß die Zeugen über die Verhältnisse in Konzentrationslagern vernommen würden. Sie müssen daher im Laute des Prozesses genügend Gelegenheit gehabt haben, zu entscheiden, worüber Sie das Kreuzverhör anstellen würden. Ich sehe daher keinen Grund, diese Angelegenheit mit Ihnen zu diskutieren.


RA. BABEL: Danke für diese Belehrung. Aber ich kann selbstverständlich auch – ich bin anderer Meinung – nicht im [290] vornherein wissen, was der Zeuge aussagen wird, denn erst dann bin ich in der Lage, ihn ins Kreuzverhör zu nehmen. Daß er über Konzentrationslager irgendetwas aussagen wird, das weiß ich selbstverständlich; aber welche Einzelheiten er vorbringen wird, das kann ich im voraus nicht ahnen.


M. DUBOST: Ich bitte den Gerichtshof, davon Kenntnis zu nehmen, daß der Verteidiger bei einer Frage an den französischen Zeugen einen Ausdruck gebraucht hat, der wörtlich übersetzt heißen würde: »zum größten Teil«. Das bezog sich auf die Art der französischen Verschleppten. Die Frage lautete: »waren sie zum größten Teil gewöhnliche Verbrecher?« Der Zeuge verstand, wie auch ich: »Sie haben gesagt, daß sie Verbrecher waren?« und nicht »daß die Transporte zum größten Teil aus Verbrechern bestanden«. Seine Antwort war, wie zu erwarten. Mit Genehmigung des Gerichtshofs möchte ich den Zeugen bitten, genau zu sagen, in welchem Zahlenverhältnis die gewöhnlichen Verbrecher zu den verschleppten Patrioten standen. War er selbst ein gewöhnlicher Verbrecher oder ein Patriot, oder, allgemein gesagt, waren die Generale und andere Persönlichkeiten, deren Namen er anführte, gewöhnliche Verbrecher oder Patrioten?


DUPONT: Der Prozentsatz an französischen gewöhnlichen Verbrechern war äußerst gering. Die gewöhnlichen Verbrecher kamen mit einem Transport von Fort Barreaux. Ich kann die genaue Zahl nicht angeben; es waren von allen Häftlingen einige Hundert. In anderen Transporten, die ankamen, waren allenfalls nur zwei oder drei gewöhnliche Verbrecher auf tausend.


M. DUBOST: Ich danke Ihnen.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann abtreten.

Herr Dubost, haben Sie die Absicht oder wünschen Sie weitere Zeugen über Konzentrationslager zu bringen? Wie ich bereits erwähnt habe, sind die Zeugen, mit Ausnahme des soeben stattgefundenen Kreuzverhörs durch Dr. Babel, praktisch nicht ins Kreuzverhör genommen worden. Weiterhin wird dies Beweismaterial durch Filme bekräftigt. Gemäß Artikel 18 des Statuts müssen wir den Prozeß so rasch wie möglich durchführen. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß Sie nach Artikel 24-E des Statuts Gelegenheit haben, nötigenfalls Gegenbeweise vorzubringen. Wenn daher das Beweismaterial über die Konzentrationslager, das so reichlich geliefert worden ist,... Verstehen Sie, was ich sage?


M. DUBOST: Der Zeuge, um dessen Einvernahme ich den Gerichtshof bitte, soll genauere Einzelheiten über einen besonderen Punkt liefern, der seit mehreren Wochen unentschieden ist. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß während der Beweisführung [291] meiner amerikanischen Kollegen die Frage auftauchte, ob Kaltenbrunner in Mauthausen gewesen ist. Ich bringe als Beweis dafür die Zeugenaussage von Herrn Boix, der dem Gerichtshof beweisen soll, daß Kaltenbrunner in Mauthausen war. Er besitzt photographische Aufnahmen von diesem Besuch, und der Gerichtshof wird diese sehen. Wir werden die Photographien zeigen, die der Zeuge mitgebracht hat.


VORSITZENDER: Sehr gut.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

[Zum Zeugen gewandt]:


Wie heißen Sie?

ZEUGE FRANÇOIS BOIX: François Boix.

VORSITZENDER: Sind Sie Franzose?


BOIX: Ich bin ein spanischer Flüchtling.


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte diesen Eid nachsprechen! »Ich schwöre, daß ich ohne Haß und ohne Furcht sprechen werde, die Wahrheit sagen werde, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel in französischer Sprache nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen. Herr Dubost, wollen Sie den Namen buchstabieren?

M. DUBOST: B-o-i-x.


M. DUBOST: Sie sind am 14. August 1920 in Barcelona geboren?


BOIX: Ja.


M. DUBOST: Sind Sie Bildberichterstatter? Seit wann waren Sie im Lager Mauthausen interniert?


BOIX: Seit 27. Januar 1941.


M. DUBOST: Sie haben der Untersuchungskommission eine Anzahl von Photographien übergeben?


BOIX: Ja.


M. DUBOST: Sie werden jetzt auf der Leinwand gezeigt werden, und Sie werden unter Eid aussagen, unter welchen Umständen und wo diese Bilder aufgenommen worden sind.


BOIX: Ja.


M. DUBOST: Wie sind Sie zu diesen Bildern gekommen?


BOIX: Auf Grund meines Berufes wurde ich in Mauthausen in der Abteilung »Identifizierung« eingesetzt. In dieser befand sich ein Bilderdienst, und es konnten Photographien von allem, was im [292] Lager passierte, aufgenommen werden. Die Photos wurden an die Oberste Führung nach Berlin geschickt.


[Die Photographien werden auf der Leinwand vorgeführt.]


Das ist eine allgemeine Ansicht des Steinbruchs.

M. DUBOST: Haben dort die Häftlinge gearbeitet?

BOIX: Ja, die meisten Häftlinge.


M. DUBOST: Wo befindet sich die Treppe?


BOIX: Im Hintergrunde.


M. DUBOST: Wieviele Stufen waren es?


BOIX: Zuerst waren es 160 Stufen, später 186 Stufen.


M. DUBOST: Wir können zu dem nächsten Bild übergehen.


BOIX: Dieses Bild wurde während einer Besichtigung durch Reichsführer Himmler, Kaltenbrunner, den Gauleiter von Linz und andere Persönlichkeiten, deren Namen mir nicht bekannt sind, aufgenommen. Was Sie unten sehen, ist der Leichnam eines Mannes, der den Steinbruch von oben heruntergestürzt war; das ereignete sich täglich mehrmals.


M. DUBOST: Wir können zu dem nächsten Bild übergehen.


BOIX: Diese Photographie ist im April 1941 aufgenommen worden. Meine spanischen Kameraden, die nach Frankreich geflüchtet waren, ziehen einen mit Erde beladenen Wagen. Das war die Arbeit, die wir verrichten mußten.


M. DUBOST: Wer hat dieses Bild aufgenommen?


BOIX: Es ist von Paul Ricken, einem Professor aus Essen, aufgenommen worden.


M. DUBOST: Nun das nächste Bild.


BOIX: Hier handelt es sich um ein Schauspiel, das um einen entflohenen Österreicher veranstaltet worden war. Er war Tischler und arbeitete in der Garage. Er hatte eine Kiste gezimmert, in der er sich verstecken und auf diese Weise das Lager verlassen konnte. Er wurde jedoch nach einiger Zeit wieder aufgegriffen. Man stellte ihn auf den Karren, auf dem jeden Tag die Toten ins Krematorium befördert wurden. Es waren Plakate in deutscher Sprache angebracht, auf denen es hieß: »Alle Vögel sind schon da«. Er wurde sodann verurteilt und vor den 10000 Insassen in Parade vorgeführt. Eine Zigeunerkapelle spielte dazu die ganze Zeit die Melodie: »J'attendrais«. Der Körper des Gehängten schwankte dann im Winde hin und her, und die Kapelle spielte eine sehr bekannte Weise, die »Bill Black-Polka«.


[293] M. DUBOST: Das nächste Bild.

Das ist das Schauspiel; rechts und links sieht man die Deportierten angetreten.


BOIX: Links sehen Sie Spanier; sie sind kleiner; Die Person im Vordergrund, namens Schultz, der zu Schauspielen solcher Art verwendet wurde. Im Hintergrund können Sie den Mann sehen, der gehängt werden soll.


M. DUBOST: Das nächste Bild. Wer hat diese Bilder aufgenommen?


BOIX: SS-Oberscharführer Fritz Kornatz. Er wurde im Jahre 1944 von amerikanischen Truppen in Holland getötet.

Der russische Kriegsgefangene auf dem Bild erhielt einen Schuß in den Kopf. Man hat ihn hinaufgehoben, um den Anschein zu erwecken, als ob er versucht hätte, sich in selbstmörderischer Absicht über den Stacheldraht zu werfen.

Das nächste Bild zeigt holländische Juden in der Quarantänebaracke. Gleich am Tage ihrer Ankunft hat man die Juden dazu getrieben, sich in den Stacheldraht zu werfen, weil sie sich darüber im klaren waren, daß keine Hoffnung auf ein Entkommen bestand.


M. DUBOST: Von wem wurden diese Bilder aufgenommen?


BOIX: Damals von SS-Oberscharführer Paul Ricken, Professor aus Essen.


M. DUBOST: Das nächste Bild.


BOIX: Dies sind 2 holländische Juden. Sie können den roten Stern sehen, den sie trugen. Es handelt sich hier um einen angeblichen Fluchtversuch.


M. DUBOST: Was war es in Wirklichkeit?


BOIX: Die SS hatte sie in der Nähe des Stacheldrahtes zum Steineholen geschickt. Die SS-Posten an der zweiten Stacheldrahtumzäunung schossen auf sie, weil sie für jeden, den sie umbrachten, eine Prämie er hielten.

Das nächste Bild zeigt einen Juden; es war im Jahre 1941, während des Baues des sogenannten Russenlagers, das später Revier wurde. Er hängt an dem Strick, den er zur Befestigung seiner Hosen benutzte.


M. DUBOST: Handelte es sich um Selbstmord?


BOIX: Angeblich. Dieser Mann hatte keine Hoffnung mehr auf ein Entkommen und ist durch Arbeit und Folterungen dazu getrieben worden.


M. DUBOST: Was stellt dieses Bild dar?


[294] BOIX: Das ist ein Jude; ich weiß nicht welcher Staatsangehörigkeit. Er wurde in ein mit Wasser gefülltes Faß gesteckt, bis er es nicht mehr aushielt. Man prügelte ihn fast zu Tode und ließ ihm dann 10 Minuten Zeit, sich selbst aufzuhängen. Er nahm dazu seinen eigenen Gürtel, denn er wußte, was ihm sonst bevorstand.


M. DUBOST: Wer hat dieses Bild aufgenommen?


BOIX: SS-Oberscharführer Paul Ricken.


M. DUBOST: Was stellt dieses Bild dar?


BOIX: Hier sehen Sie die Wiener Polizei, die den Steinbruch besichtigt. Dies war im Juni oder Juli 1941. Die zwei Häftlinge, die Sie hier sehen, sind zwei spanische Kameraden.


M. DUBOST: Was tun sie?


BOIX: Sie zeigen den Herren von der Polizei, wie man die Steine aufheben mußte, denn es gab keine Werkzeuge dazu.


M. DUBOST: Kannten Sie irgendeinen dieser Polizeibeamten, die an der Besichtigung teilnahmen?


BOIX: Nein, weil sie nur einmal kamen. Wir konnten nur einen Blick auf sie werfen.

Dies war 1943, am Geburtstag des SS-Obersturmbannführers Franz Ziereis. Er ist vom Stab des Lagers Mauthausen umgeben. Ich kann Ihnen die Namen aller Personen auf dem Bilde angeben.


M. DUBOST: Das nächste Bild.


BOIX: Dieses Bild wurde am gleichen Tage, am Geburtstag des SS-Obersturmbannführers Franz Ziereis aufgenommen. Der andere ist sein Adjutant, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere. Ich weise darauf hin, daß dieser Adjutant der Wehrmacht angehörte und nach seiner Ankunft im Lager die SS-Uniform angezogen hat.


M. DUBOST: Wer ist das?


BOIX: Das ist die gleiche Besichtigung durch die Polizeibeamten im Juni oder Juli 1941 in Mauthausen. Hier ist die Küchentür. Hier steht ein Häftling aus der Strafkompanie. Auf dem Rücken haben sie ein kleines Gestell, mit der sie Steine bis zu 80 kg bis zur Erschöpfung schleppten. Nur sehr wenige kehrten von der Strafkompanie zurück.

Dieses Bild zeigt eine Besichtigung des Führerheims im Lager Mauthausen durch Himmler im April 1941. Man sieht Himmler, im Hintergrund den Gauleiter von Linz, und links neben ihm Franz Ziereis, den Lagerkommandanten von Mauthausen.

Dieses Bild wurde im Steinbruch aufgenommen. Links im Hintergrunde sehen Sie eine Gruppe von Häftlingen bei der Arbeit. [295] Im Vordergrunde stehen Franz Ziereis, Himmler und Obergruppenführer Kaltenbrunner. Er trägt das goldene Parteiabzeichen.


M. DUBOST: Wer hat dieses Bild im Steinbruch aufgenommen?


BOIX: SS-Oberscharführer Paul Ricken. Das war im April oder Mai 1941. Zu jener Zeit besichtigte dieser Herr das Lager sehr oft, um nach seinem Muster ähnliche Lager in Deutschland und in den besetzten Ländern einrichten zu können.


M. DUBOST: Das ist das letzte Bild. Sind Sie ganz sicher, daß dies Kaltenbrunner ist?


BOIX: Ja, ganz sicher.


M. DUBOST: Und wurde das Bild im Lager aufgenommen?


BOIX: Ja, gewiß.


M. DUBOST: Wurden Sie als Kriegsgefangener oder als politischer Gefangener nach Mauthausen gebracht?


BOIX: Als Kriegsgefangener.


M. DUBOST: Sie haben als Freiwilliger in der französischen Armee gekämpft?


BOIX: Jawohl, in Marschbataillonen, in der Fremdenlegion und in Arbeitskompanien, die zu der Armee gehörten, in welcher ich diente. Ich war in den Vogesen bei der V. Armee, als wir gefangengenommen wurden. Wir waren bis auf Belfort zurückgegangen, wo ich in der Nacht vom 20. zum 21. Juni 1940 gefangengenommen wurde. Ich wurde mit einigen anderen spanischen Kameraden zusammen nach Mühlhausen transportiert. Da man wußte, daß wir alte republikanische Spanier und Antifaschisten waren, steckte man uns mit Juden zusammen als »Untermenschen«.

Wir waren sechs Monate lang Kriegsgefangene und erfuhren dann, daß der Außenminister mit Hitler eine Unterredung über das Problem der Ausländer und an dere Fragen gehabt hatte. Wir erfuhren, daß auch unsere Lage unter anderem besprochen worden war. Man sagte, daß die Deutschen gefragt hätten, was mit den spanischen Kriegsgefangenen aus der französischen Armee geschehen solle, mit jenen, die Republikaner waren, und die der republikanischen Armee angehört hatten. Die Antwort...


M. DUBOST: Das ist nicht von Bedeutung. Sie wurden, obwohl Sie Kriegsgefangener waren, in ein Lager gebracht, das nicht der Aufsicht der Wehrmacht unterstand?


BOIX: Ja, das ist es, wir waren Kriegsgefangene. Man erklärte uns, daß wir in ein selbständiges Kommando verlegt würden, wie alle Franzosen. Wir wurden jedoch nach Mauthausen transportiert, wo wir das erstemal sahen, daß dort keine Soldaten der Wehrmacht [296] waren und begriffen, daß wir uns in einem Vernichtungslager befanden.


M. DUBOST: Zu wievielen sind Sie dort angekommen?


BOIX: Am Schluß waren wir 1500; bei der Ankunft waren wir 8000 Spanier.


M. DUBOST: Wieviele waren Sie, als Sie befreit wurden?


BOIX: Ungefähr 1600.


M. DUBOST: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.


VORSITZENDER: Wünschen Sie irgendwelche Fragen zu stellen?


GENERAL RUDENKO: Ich habe einige Fragen. Mit Genehmigung des Herrn Vorsitzenden werde ich sie in der morgigen Vormittagssitzung stellen.


VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr.


[Das Gericht vertagt sich bis

29. Januar 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 6, S. 262-298.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Komtesse Mizzi oder Der Familientag. Komödie in einem Akt

Komtesse Mizzi oder Der Familientag. Komödie in einem Akt

Ein alternder Fürst besucht einen befreundeten Grafen und stellt ihm seinen bis dahin verheimlichten 17-jährigen Sohn vor. Die Mutter ist Komtesse Mizzi, die Tochter des Grafen. Ironisch distanziert beschreibt Schnitzlers Komödie die Geheimnisse, die in dieser Oberschichtengesellschaft jeder vor jedem hat.

34 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon