Nachmittagssitzung.

[382] GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Ich möchte bekanntgeben, daß die Angeklagten Kaltenbrunner und Seyß-Inquart wegen Krankheit bei der heutigen Nachmittagssitzung nicht anwesend sein werden.

VORSITZENDER: Ich habe eine Mitteilung zu machen:

Als der Angeklagte Heß den Gerichtshof auf die Abwesenheit seines Verteidigers hinwies, entschied der Gerichtshof, daß der Vortrag der Spezialanklage gegen Heß aufgeschoben werden sollte, so daß sein Verteidiger zugegen sein könnte, wenn sie behandelt würde. Was die Kreuzverhöre von Zeugen anbelangt, deren Aussagen allgemeine Themen des Prozesses betrafen und nicht den besonderen Fall von Heß, ist der Gerichtshof der Ansicht, daß die Kreuzverhöre, die von den Verteidigern jener Angeklagten durchgeführt wurden, die in gleicher Weise wie Heß an diesem Teil des Tatbestandes interessiert sind, für den Schutz seiner Interessen genügten. Die Zeugen werden daher nicht nochmals geladen werden.

Der Gerichtshof hat von dem Angeklagten Heß einen Brief mit Datum vom 30. Januar 1946 erhalten, in welchem Heß erklärt, daß er mit der Tätigkeit des Verteidigers, der für ihn erschienen ist, nicht zufrieden sei und nicht wünsche, von diesem Verteidiger weiter vertreten zu werden, vielmehr den Wunsch habe, seine Verteidigung selbst zu führen.

Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß es dem Angeklagten Heß, nachdem er gemäß Artikel 16 des Statuts einen Verteidiger gewählt hat, in diesem Stadium des Prozesses nicht gestattet sein sollte, auf die Dienste eines Verteidigers zu verzichten und seine Verteidigung selbst zu führen. Die Angelegenheit ist sowohl für den Gerichtshof als auch für den Angeklagten von Bedeutung, und der Gerichtshof ist der Ansicht, daß es nicht im Interesse des Angeklagten liegt, keinen Verteidiger zu haben.

Der Gerichtshof hat daher Dr. Stahmer an Stelle von Dr. von Rohrscheidt zum Verteidiger des Angeklagten Heß bestellt.

Ja, Herr Dubost?


M. DUBOST: Ich werde dem Gerichtshof in wenigen Augenblicken, sobald ich die Darstellung der Frage der Kriegsgefangenen beendet habe, den restlichen Teil des französischen Vortrags über die Konzentrationslager vorbringen. Dies wird nur kurze Zeit in Anspruch nehmen, denn wir werden nur wenige Dokumente zu zitieren haben. Vorbehaltlich eventueller Gegenbeweise durch die Verteidigung erscheint die systematische Wiederholung der gleichen Vorgänge, soweit der gegenwärtige Zeitpunkt in Frage kommt, hinreichend bewiesen.

[382] Wir sind bei der Verlesung eines Dokuments der Niederländischen Regierung stehengeblieben, das als RF-324 dem Gerichtshof bereits vorgelegt worden war, und das beweist, daß gegen die Hinrichtung und die geheime Verurteilung von drei Offizieren zum Tode Protest erhoben wurde, nämlich des Leutnants J. J. D. Ten Bosch, Braat und Thibo.

Ich glaube, daß das Dokument, auf das ich mich heute Morgen bezog, nämlich der amtliche Bericht der Französischen Regierung über die Gefangenen, dem Gerichtshof nunmehr vorliegt. Es ist das von Herrn Herzog als Beweisstück RF-46 vorgelegte Dokument. Aus diesem Dokument geht hervor, daß die Nazis in ihrer systematischen Einschüchterungspolitik bestrebt waren, eine möglichst große Anzahl von Kriegsgefangenen zu behalten, um gegebenenfalls einen wirksamen Druck auf die Länder auszuüben, aus denen die Gefangenen stammten. Diese Politik bestand in der unrechtmäßigen und mißbräuchlichen Gefangennahme von Soldaten oder in der systematischen Weigerung, die Gefangenen, deren Gesundheitszustand zum Beispiel eine derartige Maßnahme gerechtfertigt hätte, nach Hause zu schicken. Bezüglich der unrechtmäßigen oder mißbräuchlichen Gefangennahme von Soldaten können wir das anführen, was sich in Frankreich nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands abgespielt hat. Der Bericht des Ministeriums für Kriegsgefangene und Deportierte, auf den wir Bezug nehmen, führt auf Seite 440 folgendes aus:

»Gewisse französische militärische Verbände haben im Augenblick des Waffenstillstands die Waffen niedergelegt, auf die von der Deutschen Wehrmacht gegebene Versicherung hin, daß die so außer Gefecht gesetzten Truppen nicht gefangengenommen würden. Trotzdem wurden diese Truppen gefangengenommen. Die Alpenarmee hatte daraufhin zwecks Demobilisierung die Rhône überschritten und befand sich westlich des Gebiets von Vienne. Sie wurde gefangengenommen und bis Ende Juli 1940 nach Deutschland transportiert. Außerdem wurden nichtkämpfende Verbände und uk- Gestellte in die Gefangenschaft überführt, und zwar in Ausführung eines Befehls von Himmler, nach welchem alle Franzosen im waffenfähigen Alter ohne Unterschied festgenommen werden sollten. Übrigens wurden nur auf Grund von Ausnahmen und aus persönlicher Initiative der Einheitsführer nicht alle Franzosen nach Deutschland gebracht. Angesichts der ungeheueren Zahl der Kriegsgefangenen und der Schwierigkeiten, die der Transport aller dieser Menschen nach Deutschland für die Wehrmacht bedeutete, beschloß die Deutsche Wehrmacht 1940 die Errichtung von ›Front-Stalags‹.«

[383] Der Vichy-Regierung wurde nach dem Waffenstillstand das Versprechen gegeben, die in den »Front-Stalags« befindlichen Soldaten in Frankreich zu belassen. Trotzdem begann man im Oktober 1940, die Insassen dieser Lager nach Deutschland zu überführen.

In einem zusätzlichen Bericht, der dem vorliegenden Dokumentenbuch angefügt ist, weist das Ministerium für Kriegsgefangene und Deportierte auf die regelwidrige Gefangennahme der Truppen des befestigten Abschnitts von Haguenau hin, und zwar des 22. Festungsinfanterie-Regiments und des 81. Jägerbataillons, sowie des 51. und 58. Infanterieregiments und einer nordafrikanischen Division. Es handelt sich um Dokument F-668, RF-361. Ich zitiere:

»Truppen des befestigten Abschnitts von Haguenau, das 22. Festungsinfanterie-Regiment und das 81. Jägerbataillon, haben bis zum 25. Juni 1.30 Uhr gekämpft und das Feuer erst nach einer Vereinbarung zwischen dem Obersten, der den befestigten Sektor von Haguenau befehligte, und den deutschen Generalen eingestellt. Auf Grund dieser Vereinbarung wurden den Truppen die militärischen Ehren zugesichert und ihnen vor allem garantiert, daß sie nicht gefangengenommen würden. Das 51. und das 58. Infanterieregiment, sowie eine nordafrikanische Division zogen sich auf Toul zurück, erst nachdem am 22. Juni 1940 zwischen dem französischen General Dubuisson und dem deutschen General Andreas in Thuille aux Groseilles, Meurthe et Moselle, ein Abkommen unterzeichnet worden war, das ihnen die militärischen Ehren zusicherte und bestätigte, daß die Truppen nicht in die Gefangenschaft geraten würden.«

Der Gerichtshof möge mir gestatten...

VORSITZENDER: Von welcher offiziellen Stelle kommt dieses Dokument?

M. DUBOST: Vom Ministerium für Kriegsgefangene und Deportierte. Es ist der zusätzliche Bericht der Französischen Regierung.


VORSITZENDER: Haben Sie den Bericht über die Gefangenschaft?


M. DUBOST: Der Bericht wird Ihnen überreicht werden, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Dies scheint Anhang Nummer 2 über die Gefangenschaft zu sein: Zu Händen der Französischen Delegation, Gerichtshof in Nürnberg.


M. DUBOST: Das ist richtig.


VORSITZENDER: Wie beweisen Sie, daß dieser Anhang Nummer 2 über die Gefangenschaft ebenso wie dieses Stück hier ein offizielles Dokument darstellt?


[384] M. DUBOST: Dieser Zusatz Nummer 2 wurde im Namen der Regierung der Französischen Republik von der Delegation vorgelegt, die ich die Ehre habe, hier zu vertreten.


VORSITZENDER: Dieses Stück hier trägt die Aufschrift: Informationsdienst für Kriegsverbrechen, französische Ausgabe. Das Dokument hier ist anders geartet, es ist mit der Schreibmaschine geschrieben, Anhang 2, Bericht über die Gefangenschaft, und wir wissen nicht, von wem dieser Bericht stammt.


M. DUBOST: Vor Ihnen liegt das offizielle Begleitschreiben unserer Regierung. Der Gerichtssekretär hat es Ihnen soeben überreicht.


VORSITZENDER: Dieses Dokument scheint ein offizielles Dokument zu sein, aber der andere Anhang weist kein Siegel auf.


M. DUBOST: Das Begleitschreiben trägt ein Siegel, und die Tatsache, daß das Begleitschreiben auf das Dokument hinweist, scheint mir dafür zu genügen, das übersandte Dokument zu beglaubigen.

Ich möchte jetzt dem Gerichtshof Auszüge aus zwei Schreiben vorlesen, die von dem ex-Botschafter Scapini an die Deutsche Waffenstillstandskommission in Wiesbaden gerichtet worden sind, und die beide das Datum vom 4. April 1941 tragen:

»4. April 1941, auf der Seite, oben, Seite 16.

Der Französische Botschafter Scapini an Seine Excellenz Herrn Abetz, Deutscher Botschafter in Paris.

Betrifft: Männer, die nach Inkrafttreten des Waffenstillstandsabkommens gefangengenommen und als Kriegsgefangene behandelt worden sind....

Das Genfer Abkommen ist, was die Gefangennahme betrifft, nur auf den Kriegszustand anwendbar. Nun stellt aber der Waffenstillstand die Kriegshandlungen ein. Demnach wird jeder Mann, der nach Inkrafttreten des Waffenstillstandsabkommens gefangengenommen und als Kriegsgefangener behandelt wird, zu Unrecht in Gefangenschaft gehalten....

Das Waffenstillstandsabkommen sagt in seinem zweiten Absatz nur, daß die französischen Streitkräfte in den von Deutschland zu besetzenden Gebieten rasch in das nicht besetzte Gebiet zu führen seien und demobilisiert werden sollen. Es sagt aber nicht, daß sie, was auch dem Genfer Abkommen zuwiderlaufen würde, in Gefangenschaft überführt werden sollen.

Wenn zugegeben ist, daß Zivilpersonen durch Gefangennahme vor dem Waffenstillstand – Gegenstand meines vorausgehenden Schreibens – nicht als Kriegsgefangene [385] behandelt werden können, kann dies um so weniger für die Gefangennahme nach dem Waffenstillstand der Fall sein. Ich stelle diesbezüglich fest, daß Gefangennahmen, einige von ihnen kollektiver Natur, mehrere Monate nach der Beendigung der Feindseligkeiten durchgeführt worden sind.

Zu den in meinem ersten Schreiben genannten Kategorien von Zivilpersonen kommt eine weitere hinzu: die Kategorie der demobilisierten Soldaten, die nach dem Waffenstillstand in ihre Heimat in der besetzten Zone zurückkehrten, und meist auf dem Wege dorthin gefangengenommen und auf Veranlassung örtlicher Militärbehörden in Gefangenschaft überführt wurden.

Soldaten. Ich bezeichne mit diesem Wort gemäß dem Abkommen die Leute, die, obwohl nach dem Waffenstillstand befreit, infolge der damaligen schwierigen Lage aus irgendeinem Grund nicht mit einem regelmäßigen Entlassungsschein versehen werden konnten. Viele von ihnen wurden unter den soeben erwähnten Umständen ergriffen und in Gefangenschaft geführt....

Nicht militärdienstpflichtige Zivilpersonen. Es versteht sich von selbst, daß diese Leute nach französischem Gesetz nicht als Soldaten betrachtet werden können. Nach ihrem Alter sind sie in drei Gruppen einzuteilen.

a) Männer unter 21 Jahren, noch nicht einberufen. Beispiel: Alexandre Flanquart, 18 Jahre alt, beim Einmarsch der deutschen Truppen in Courrieres (Pas de Calais) gefangengenommen. Gefangenschaftsanschrift: 65/381 Stalag 2 B.

b) Männer von 21 bis 48 Jahren, nicht einberufen, entlassen oder ausgemustert....

c) Uk-Gestellte. Die uk-gestellten Soldaten zerfallen in zwei Gruppen:

1. Uk-Gestellte, die besonderen Einheiten zugeteilt wurden, d.h. militärischen Einheiten, die bei der Mobilmachung von verschiedenen ministeriellen Departements gemäß folgender Aufstellung gebildet wurden....

2. Die Uk-Gestellten, die bei der Mobilmachung an den Stellen, die sie im Frieden bekleideten, in militärischen Anlagen oder Dienststellen, verblieben. Beispiel: Arbeiter in den Artillerieparks.

Uk-gestellte Zivilisten. Im Gegensatz zu den Vorhergehenden gehörten die zivilen Uk-Gestellten nicht militärischen Einheiten an und waren nicht den Militärbehörden unterstellt. Trotzdem wurden sie gefangengenommen....

[386] Beispiel: Henri Mouisset, uk-gestellt für die Fabrik Marret-Bonnin... Gefangenenanschrift: 102. Stalag II A.«

Diese Leute wurden durchaus nicht alle freigelassen. Manche von ihnen blieben bis Kriegsende gefangen.

Wir zitieren nunmehr Dokument RF-324. Es ist die Geschichte der niederländischen Offiziere, die nach der Kapitulation der niederländischen Armee freigegeben und einige Zeit später festgenommen und nach Deutschland in Gefangenschaft überführt wurden:

»Am 9. Mai 1942 wurde in den niederländischen Zeitungen ein Aufruf an alle Berufsoffiziere der früheren niederländischen Armee veröffentlicht, die am 10. Mai 1940 im Dienst gewesen waren. Sie sollten sich am Freitag, den 15. Mai 1942, in der Kaserne Chassée in Breda einfinden....

Über 1000 Berufsoffiziere fanden sich in der Kaserne Chassée am 15. Mai 1942 ein. Die Tore wurden hinter ihnen geschlossen.

Ein hoher deutscher Offizier kam in die Kaserne und erklärte, daß die Offiziere ihr Wort gebrochen hätten, nichts gegen den Führer zu unternehmen, und daß sie sich daher von diesem Augenblick an in Gefangenschaft befänden....

Von Breda wurden sie unter Bewachung nach Nürnberg in Deutschland gebracht.«

Zahlreiche Hindernisse wurden der Freilassung derjenigen französischen Kriegsgefangenen in den Weg gestellt, die aus Gesundheitsgründen hätten nach Hause geschickt werden sollen. Wir zitieren F-417, RF-297, Seite 23 des Dokumentenbuches, Absatz 1:

»Die Frage der Entlassung der in deutscher Kriegsgefangenschaft befindlichen französischen Generale, sei es aus gesundheitlichen Gründen oder aus Altersrücksichten, ist von französischen Dienststellen wiederholt angeschnitten worden.

Der Führer hat sich dieser Frage gegenüber stets ablehnend verhalten, und zwar sowohl hinsichtlich einer Entlassung als auch einer Hospitalisierung im neutralen Ausland.

Eine Entlassung oder Hospitalisierung kommt heute weniger denn je in Frage....«

Und handschriftlich wurde auf dieser Note hinzugefügt:

»Eine Beantwortung der französischen Note unterbleibt.«

Diese Note ist in der Tat vom Oberkommando der Wehrmacht an die Deutsche Waffenstillstandskommission als Folge einer Anfrage um Auskunft darüber gerichtet worden, ob man das Ansuchen auf Freilassung der erkrankten französischen Generale, das von der Regierung in Vichy gestellt worden war, beantworten solle oder nicht.

[387] Weit strengere Maßnahmen wurden von den deutschen Behörden gegen unsere Kriegsgefangenen getroffen, als einige unserer gefangenen Landsleute aus patriotischen Gründen den Deutschen zu verstehen gaben, daß sie nicht bereit seien, mit Deutschland zusammenzuarbeiten. Die deutschen Behörden behandelten diejenigen unserer Landsleute, die eine solche Haltung einnahmen, als nicht assimilierbar und gefährlich; ihr Mut und ihre Standhaftigkeit beunruhigten Deutschland, und wahre Morde wurden zu ihrer Bekämpfung vorgeschrieben. Wir kennen zahlreiche Fälle von Morden an Kriegsgefangenen. Die Opfer waren im wesentlichen erstens: Angehörige der Kommandos, zweitens: Flieger und drittens: geflüchtete Gefangene.

Diese Ermordungen wurden durch Deportation und Internierung der Gefangenen in Konzentrationslagern durchgeführt.

Einmal in den Lagern interniert, unterwarf man sie dem Ihnen bekannten Regime, welches unweigerlich zum Tode führen mußte, oder aber man tötete sie einfach durch eine Kugel in das Genick, nach dem KA-Verfahren, das Ihnen von meinem amerikanischen Kollegen bereits geschildert worden ist.

In anderen Fällen wurden sie auf der Stelle gelyncht, entweder auf Grund der gegebenen Befehle, oder infolge der Duldsamkeit, die die Deutsche Regierung der Bevölkerung gegenüber zeigte.

In anderen Fällen endlich übergab man sie der Gestapo und dem SD, die, wie Sie am Schluß meiner Darlegung sehen werden, während der letzten Besatzungsjahre auch das Recht hatten, sie hinzurichten.

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs werden wir uns mit zwei Fällen von Vernichtung von Kombattanten befassen, die nach militärischen Aktionen gefangengenommen worden waren. Es handelt sich in einem Falle um Kommandos, im anderen Falle um Flieger.

Wie der Gerichtshof weiß, sind die Angehörigen der Kommandos fast immer Freiwillige; jedenfalls werden sie unter den tapfersten Kämpfern und unter jenen ausgesucht, die die größten körperlichen Fähigkeiten für den Kampf aufweisen. Man kann sie daher als Elitetruppen ansehen, und der Vernichtungsbefehl, der sich auf sie bezog, zielte somit auf die Vernichtung dieser Elite hin und sollte in den Reihen der alliierten Armeen Schrecken verbreiten. Vom juristischen Standpunkte aus ist die Liquidierung von Kommandos nicht zu rechtfertigen. Übrigens haben die Deutschen selbst in großem Umfang Kommandos eingesetzt. Wenn jedoch ihre eigenen Leute dabei in Gefangenschaft gerieten, haben sie immer verlangt, daß man sie als Kombattanten anerkenne. Unseren eigenen Soldaten jedoch und denen der alliierten Armeen haben sie diese Qualifikation nicht zugebilligt.

[388] Der in dieser Sache grundsätzliche Befehl wurde von Hitler am 18. Oktober 1942 unterzeichnet. Er ist weitgehend zur Ausführung gekommen. Diesem Befehl gingen übrigens andere Befehle des OKW voraus, die beweisen, daß diese Frage vom Generalstab gründlich untersucht worden ist, bevor sie der Gegenstand eines endgültigen Befehls des deutschen Regierungschefs wurde.

In Dokument 553-PS findet der Gerichtshof einen von Keitel unterzeichneten Befehl, den wir als Beweisstück RF-363 vorlegen. Dieser Befehl schreibt vor, alle einzelnen Fallschirmspringer oder kleine Truppe von Fallschirmspringern, die Aufträge ausführten, zu töten. Er stammt vom 4. August 1942.

VORSITZENDER: Lesen Sie das nicht!

M. DUBOST: Ich danke dem Gerichtshof dafür, daß ich dies nicht vorzulesen brauche. Am 7. Oktober 1942 verkündete eine Mitteilung des OKW in Presse und Rundfunk den Entschluß des Oberkommandos, die Saboteure zu exekutieren. Hier der diesbezügliche Auszug aus dem »Völkischen Beobachter« vom 8. Oktober 1942:

»In Zukunft werden sämtliche Terror- und Sabotagetrupps der Briten und ihrer Helfershelfer, die sich nicht wie Soldaten, sondern wie Banditen benehmen, von den deutschen Truppen auch als solche behandelt und wo sie auch auftreten, rücksichtslos im Kampf niedergemacht werden.«

Unter der Nummer 1263-PS, RF-365, legen wir Vortragsnotizen des Wehrmachtführungsstabs vom 14. und 15. Oktober 1942 vor:

»Die Sabotage ist ein wesentlicher Bestandteil der Kriegsführung in der Zeit des totalen Krieges geworden. Es braucht in diesem Zusammenhang nur auf unser eigenes Verhalten hingewiesen werden. Belege können vom Feind aus den Berichten unserer eigenen Propagandakompanien entnommen werden....

Die Sabotage sei ein wesentlicher Bestandteil..., wir selbst hätten dieses Kampfmittel stark entwickelt....

Die Absicht, in Zukunft sämtliche Terror- und Sabotagetrupps, die sich wie Banditen benehmen, zu erledigen, ist bereits im Rundfunk bekanntgegeben worden.

Die Aufgabe von WFSt ist deswegen nur darin zu sehen, Durchführungsbestimmungen zu geben, wie die Truppe gegenüber Terror- und Sabotagetrupps zu verfahren hat.«

Das sind die Befehle, die für die Behandlung jener Leute gegeben wurden, die vom deutschen Generalstab als britische Terror- und Sabotagetrupps bezeichnet wurden. Es steht fest, daß der deutsche Generalstab seine eigenen Kommandos niemals als Terror-und Sabotagetrupps bezeichnet hat.

[389] Absatz 1 bezieht sich auf Gruppen in Zivil oder in deutscher Uniform. Ich zitiere:

»Im Kampf oder auf der Flucht sind sie schonungslos zu vernichten....

Angehörige von Terror- und Sabotagegruppen der britischen Wehrmacht, die sich in Uniform nach Ansicht der Truppe einer unehrenhaften oder völkerrechtswidrigen Handlungsweise schuldig machen, sind nach ihrer Gefangennahme gesondert festzusetzen....

Weisung über ihre Behandlung ergeht von WFSt im Einvernehmen mit WR und Amt Ausl./Abw.

Ein kriegswidriges Verhalten von Terror- und Sabotagetrupps, ist künftig immer dann anzunehmen, wenn einzelne Angreifer als Saboteure oder Agenten, gleichgültig ob Soldat und gleich, in welcher Uniformierung, Überfälle oder Greueltaten durchführen, die nach dem Urteil der Truppe von den Grundregeln der Kriegführung abweichen, und sich damit außerhalb der Gesetze des Krieges stellen.

Die Angreifer sind in diesen Fällen im Kampf oder auf der Flucht schonungslos bis auf den letzten Mann zu vernichten.

Eine Verwahrung in Kriegsgefangenenlagern ist auch vorübergehend verboten.«

In Ausführung dieser Befehle überließ man es also dem Urteil der Truppe, darüber zu entscheiden, ob britische Soldaten, selbst wenn sie in Uniform im Verlauf eines Kommandounternehmens gefangengenommen wurden, sich gemäß den Regeln der soldatischen Ehre verhalten hatten oder nicht, und Untergeordnete konnten sie, selbst außerhalb des Kampfes, ohne Berufungsmöglichkeit bis zum letzten Mann vernichten.

Diese Befehle fanden auf britische Kommandos Anwendung. Wir zitieren nun Dokument 498-PS, welches von meinem amerikanischen Kollegen als Beweisstück US-501 vorgelegt worden ist. Es bestätigt die Angaben, die wir dem Gerichtshof durch Verlesung der vorhergehenden Dokumente erbracht haben. Es scheint uns nötig, dieses Dokument zu verlesen.

VORSITZENDER: Herr Dubost! Es sind zwei Punkte, auf die ich Sie aufmerksam machen möchte. Zunächst sagen Sie, daß Sie diese Dokumente nicht zum Beweis anbieten, sondern sie nur vorlesen. Sie müssen jedoch zum Beweis angeboten werden, damit das Dokument selbst als Beweismaterial gilt. Sie haben keines dieser Dokumente zum Beweis vorgelegt, sondern nur aus ihnen verlesen oder sie mit Nummern versehen.

[390] M. DUBOST: Herr Vorsitzender! Ich habe alle diese Dokumente, absolut alle, eingereicht, mit Ausnahme derjenigen, die bereits von meinem Kollegen vorgelegt worden waren; sie sind alle mit einer Nummer versehen eingereicht worden und können Ihnen sofort vorgelegt werden.

Ich bitte den französischen Sekretär, sie Ihnen mit der Vorlagenummer zu überreichen, die ich verlesen habe.


VORSITZENDER: Sie sind bereits vorgelegt worden?


M. DUBOST: Herr Vorsitzender! Da einige Stücke eingereicht worden sind, zitiere ich sie mit der Vorlagenummer; jene, die noch nicht eingereicht worden sind, versehe ich mit einer Nummer, wenn ich sie vorlege.


VORSITZENDER: Warum legen Sie nicht die Dokumente vor, die schon von anderen Anklagevertretungen eingeführt worden sind?


M. DUBOST: Herr Präsident! Wenn ich sie zitiere, gebe ich die Vorlagenummer meiner amerikanischen Kollegen an.


VORSITZENDER: 498-PS ist bereits von der Amerikanischen Anklagevertretung eingereicht worden, nicht wahr?


M. DUBOST: 498-PS, Herr Präsident, wurde schon von meinem amerikanischen Kollegen als US-501 eingereicht, wie ich schon gesagt habe, und auch von ihm zitiert. Ich möchte dieses Dokument nicht verlesen, sondern nur kurz kommentieren.


VORSITZENDER: Gut, aber erwähnen Sie auch die vorausgehenden Stücke.


M. DUBOST: Ich bitte den französischen Sekretär, Ihnen diese Dokumente mit den Vorlagenummern zu überreichen.


VORSITZENDER: Sind sie auch von dem Amerikanischen Anklagevertreter eingereicht worden?


M. DUBOST: Nicht alle, Herr Präsident, einige wurden von der Amerikanischen Anklagevertretung vorgelegt, andere von mir selbst.


VORSITZENDER: Das, was der Gerichtshof von Ihnen wünscht, ist, daß Sie bei der Vorlage eines Dokuments, das noch nicht eingereicht worden ist, das Dokument mit einer Beweisstücknummer versehen, und ferner, daß Sie diese Nummer bekanntgeben, damit die Akten vollständig sind. Ist das klar?


M. DUBOST: Das ist klar, Herr Präsident. Ich glaube jedoch, dies von Anfang an getan zu haben, da der französische Sekretär Ihnen soeben die Akten überreicht hat.


VORSITZENDER: Sie haben die Dokumente vielleicht numeriert, aber Sie haben in einigen Fällen diese Nummern nicht bekanntgegeben.

[391] Da ist noch eine andere Frage, auf die ich hinweisen möchte; ich bat Sie vorhin, sich auf neue Punkte zu beschränken. Sie legen uns jedoch jetzt Beweismaterial über Kommandos und britische Kommandos vor, die in einem früheren Stadium des Prozesses bereits eingehend behandelt worden sind. Dies erscheint uns unnötig.


M. DUBOST: Ich bitte den Gerichtshof um Entschuldigung. Ich habe keines der bereits zitierten Dokumente verlesen. Die Dokumente, welche vorgelesen wurden, sind sämtlich noch nicht zitiert worden. Ich war gerade bei einem bereits zitierten Dokument angekommen, und hatte den Gerichtshof sogar gebeten, mir die Erläuterung dieses Papiers zu ersparen, da ich annahm, daß es dem Gerichtshof bekannt sein würde.


VORSITZENDER: Wir haben bereits reichlich viel Beweismaterial über die Behandlung von Kommandos und Sabotagetruppen kennengelernt, Beweise, die, wenn ich mich recht erinnere, unterschieden zwischen Truppen, die in der Nähe des Kampfraumes aus der Luft abgesetzt wurden, und Truppen, die hinter den Linien absprangen. Wir haben schon viele Beweise zu diesem Gegenstand gehört. Wenn etwas Besonderes für den Fall Frankreichs zu sagen ist, werden wir es gern hören; wir wollen jedoch keine kumulativen Beweise über bereits behandelte Fragen hören.


M. DUBOST: Ich glaubte nicht, dem Gerichtshof kumulative Beweise geliefert zu haben, als ich Dokumente zur Verlesung brachte, die dem Gerichtshof noch nicht verlesen worden waren. Da es sich aber so verhält, werde ich darüber hinweggehen, allerdings nicht ohne darauf hinzuweisen, daß in unseren Augen Keitel für die gegebenen Befehle und ihre Ausführung auf das stärkste verantwortlich zu machen ist.

Dokument 510-PS ist nicht verlesen worden. Wir legen es unter der Nummer RF-367 vor. Es behandelt die Ausführung der betreffenden Befehle im Zusammenhang mit der Landung englischer Einheiten auf Patmos.

Ein Schreiben des WFSt an verschiedene hohe Kommandostellen, Dokument 532-PS, wiederholt und präzisiert diese Vorschriften, die der Gerichtshof bereits kennt, und bringt nichts Neues. Wir überreichen das Dokument als Beweisstück RF-368.

Wir kommen nunmehr zu den Exekutionen von gefangenen alliierten Fliegern. Aus der bereits erfolgten Darstellung dieser Frage hat der Gerichtshof ersehen, daß gewisse Luftoperationen von der Deutschen Regierung als verbrecherisch angesehen worden sind. Sie hat indirekt das Lynchen von Fliegern durch die Aktion »Sonderbehandlung« begünstigt. Darauf brauche ich nicht nochmals zurückzukommen. Sie war Gegenstand des vorgelegten Dokuments US-333, das bereits verlesen worden ist, ebenso wie Dokument US-334.

[392] Im Rahmen dieser Vorschriften wurde der Reichsjustizminister mit Schreiben vom 4. Juni 1944 angewiesen, die gegen deutsche Zivilpersonen wegen Ermordung alliierter Flieger laufenden Prozesse niederzuschlagen. Das ist Gegenstand des Dokuments 635-PS, RF-370:

»Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, 4. Juni 1944. An den Reichsminister der Justiz, Herrn Dr. Thierack. Betrifft: Volksjustiz gegen anglo-amerikanische Mörder.

Sehr verehrter Herr Dr. Thierack!

Der Leiter der Parteikanzlei hat mir von seinem in Abschrift anliegenden Geheim-Rundschreiben Kenntnis gegeben und mich gebeten, auch Sie zu verständigen. Ich darf dem hiermit nachkommen und Sie bitten, zu erwägen, wie weit Sie die Ge richte und Staatsanwaltschaften unterrichten wollen.«

Am 6. Juni vereinigten zwei wichtige Besprechungen Kaltenbrunner, Ribbentrop und Göring, die alle drei hier angeklagt sind, Himmler, von Brauchitsch und Offiziere der Luftwaffe und der SS. Es wurde beschlossen, eine endgültige Liste jener Luftoperationen anzulegen, die Terrorakte darstellen.

Der Originalbericht, der von Warlimont stammt, trägt handschriftliche Notizen von Jodl und Keitel. Es ist das Dokument 735-PS, RF-371. Im Laufe dieser Besprechung wurde beschlossen, daß das Lynchen die wirksamste Strafe darstelle, um gewissen gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Luftangriffen Einhalt zu gebieten.

Kaltenbrunner versprach, was ihn betraf, die aktive Mitarbeit des SD.

PROFESSOR DR. FRANZ EXNER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN JODL: Ich widerspreche der Vorlage des Dokuments 532-PS vom 24. Juni 1944. Das ist ein Befehlsentwurf, der Jodl vorgelegt wurde, er ist von ihm durchgestrichen worden und damit erledigt.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch gleichzeitig aufmerksam machen, daß wir Verteidiger nicht ein Dokumentenbuch vorgelegt bekommen haben, wie das Gericht, und daß es uns daher erschwert ist, zu kontrollieren und dem Vortrag der Anklage zu folgen. Wir bekommen jeden Morgen einen Haufen Dokumente, welche sich teilweise auf Künftiges, teilweise auf Vergangenes beziehen. Aber ein geordnetes Dokumentenbuch habe ich seit Wochen nicht gesehen. Ferner wäre es doch sehr wünschenswert, daß wir am Tage vorher schon die Dokumente bekämen; wir könnten dann bei der Beweisaufnahme nach beiden Richtungen behilflich sein.


[393] VORSITZENDER: Dr. Exner, sagten Sie, daß Sie das Dokumentenbuch nicht erhalten haben, oder das Aktenstück?


PROF. DR. EXNER: Ich habe das Aktenstück nicht erhalten. Ich möchte noch etwas hinzufügen: Einige der Urkunden, die jetzt vorgelesen worden sind, wurden ohne Unterschrift und ohne Datum zitiert, und es ist fraglich, ob diese Dokumente überhaupt als solche zu betrachten sind.


VORSITZENDER: Ich nehme an, Sie haben soeben gehört, daß ich Herrn Dubost bat, die Nummern der Beweisstücke bekanntzugeben, die die Französische Anklagebehörde allen von ihr vorgelegten Dokumenten gibt. So wie ich die Sache verstehe, hat er die Dokumente wohl numeriert, aber in einzelnen Fällen die Nummern dem Gerichtshof nicht bekanntgegeben. Das Dokument ist, wie Sie sehen, vorgelegt worden und hat, wie ich es verstehe, auch eine Nummer; er hat jedoch die Nummern nicht immer angegeben. Der Gerichtshof hat Herrn Dubost gesagt, daß nach Wunsch und Anordnung des Gerichtshofs jedes von der Französischen Anklagebehörde eingereichte Dokument mit einer Nummer zu versehen sei, die vor dem Gerichtshof angegeben werden muß. Das zu dem einen der von Ihnen aufgeworfenen Punkte.

Was die Tatsache betrifft, daß Sie kein Dokumentenbuch zur Verfügung haben, so ist dies natürlich ein Verstoß gegen die Anordnung des Gerichtshofs, daß eine bestimmte Anzahl von Abschriften der Dokumente im Informationsraum der Verteidigung hinterlegt oder den Verteidigern auf einem anderen Wege übermittelt werden sollen.

Was Dokument 532-PS betrifft, Dr. Exner, haben Sie dazu noch etwas zu bemerken? Wir sind gerade dabei, die Sitzung für einige Minuten zu unterbrechen. Wir möchten gern noch vor dieser Pause hören, was Sie zu sagen haben.


PROF. DR. EXNER: Nein, dazu habe ich nichts zu sagen. Wenn ich aber noch eine weitere Bemerkung machen darf: Es wurde uns als Wunsch des Herrn Präsidenten mitgeteilt, daß wir an jedem Tage hören sollen, was der Gegenstand der Verhandlung des nächsten Tages sein wird. Dies würde uns die Vorbereitung außerordentlich erleichtern. Das ist bis jetzt noch nicht ein einziges Mal geschehen. Ich selber habe noch nie gehört, was man am nächsten Tag verhandeln wird.


VORSITZENDER: Danke! Herr Dubost, der Gerichtshof möchte hören, was Sie zu den von Dr. Exner aufgeworfenen Fragen zu sagen haben. Zunächst zu dem Dokument 532-PS, zweitens, warum er kein Dokumentenbuch, und schließlich, warum er kein Programm für den Verhandlungsgegenstand des kommenden Tages erhalten hat.


[394] M. DUBOST: Herr Präsident! Was die Bemerkung Dr. Exners über die Tagesordnung betrifft, so ist es durchaus nicht die Aufgabe der Anklagebehörde, diese bekanntzugeben.

Was das Dokumentenbuch anbelangt, ist es möglich, daß es in der Form, in der es dem Gerichtshof vorliegt, das heißt in einer bestimmten Reihenfolge paginiert, der Verteidigung nicht zugestellt wurde. Jedenfalls bin ich sicher, gestern den deutschen Text und mehrere französische Texte von allen heute benutzten Dokumenten in den Verteidigerraum geschickt zu haben. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob diese Dokumente in derselben Reihenfolge übergeben worden sind, in der sie dem Gerichtshof vorliegen, ich bin jedoch sicher, daß sie übergeben wurden.


VORSITZENDER: Und was Dokument 532 betrifft?

M. DUBOST: Ich habe nicht begonnen, das Dokument 532, RF-368, zu verlesen, Herr Präsident; ich konnte jedoch nicht unterdrücken, daß es eine handschriftliche Randbemerkung trägt.


VORSITZENDER: Ist es ein Dokument, das bereits eingereicht worden ist?


M. DUBOST: Ich glaube nicht, Herr Präsident. Ich habe in meinen Akten eine gewisse Anzahl von Dokumenten, die ich nicht verlesen habe, da mir der Wunsch des Gerichtshofs, meine Ausführungen kurz zu halten, bekannt war. Dokument 532-PS, RF-368, gehört dazu.


VORSITZENDER: Das Dokument ist nach Dr. Exner der Entwurf eines Erlasses, der Jodl vorgelegt, von ihm jedoch nicht gebilligt worden ist. Er glaubt daher, daß man es nicht in Betracht ziehen sollte, da es sich nur um einen Entwurf handelt. Ist es in diesem Fall nicht klar, daß man es nicht vorlegen und als Beweisstück gebrauchen sollte?


M. DUBOST: Diese Frage wird der Gerichtshof nach Anhörung der Erklärungen des Herrn Dr. Exner entscheiden. Übrigens erschien mir dieses Dokument nicht sehr wichtig, da ich es nicht verlesen habe. Jedenfalls konnte ich dem Gerichtshof nicht verbergen, da ich es ja nicht vorgelesen habe, daß es eine handschriftliche Randnotiz trägt. Diese handschriftliche Notiz wird einen der Punkte für die Bewertung darstellen, auf den sich der Gerichtshof bei der Entscheidung über die Annahme oder Verwerfung des Dokuments RF-368 nach Anhörung der Verteidigung stützen wird.


[Das Gericht setzt die Verhandlung

für 10 Minuten aus.]


DR. NELTE: Herr Präsident! Ich hatte Gelegenheit, mich während der Pause mit meinem Klienten Keitel zu unterhalten. Der [395] Französische Anklagevertreter hat vor der Pause als Beweisstück Dokument F-668, RF-36, einen Auszug aus einer Note des Admirals Darlan an den Französischen Botschafter Scapini, überreicht. Der Französische Anklagevertreter glaubt, wie ich aus seinen Worten entnehme, damit bewiesen zu haben, daß Vereinbarungen deutscher Generale mit französischen Truppen, die die Waffen niedergelegt hatten, nicht eingehalten worden seien. Mit Rücksicht auf die Schwere dieser Vorwürfe wäre ich der Französischen Anklagebehörde dankbar, wenn sie zu diesem Dokument erklären könnte, ob diese schweren Vorwürfe der Französischen Regierung auch der Deutschen Regierung zur Kenntnis gebracht worden sind.

Der Anklagevertreter hatte aus dieser Urkunde schon die Schlußfolgerung gezogen, daß die in der Urkunde enthaltenen Mitteilungen auch bewiesen seien. Ich darf darauf hinweisen, daß es sich um den Auszug aus einer Note des Admirals Darlan an den Französischen Botschafter Scapini handelt, daß es also aus dieser Urkunde nicht ersichtlich ist, ob der Botschafter Scapini bei der Deutschen Regierung die entsprechenden Vorstellungen erhoben hat, ferner, was die Deutsche Regierung hierauf geantwortet hat.

Aus diesem Grunde bat ich den Herrn Französischen Anklagevertreter zu erklären, ob er aus seinen Akten feststellen könne, ob diese schweren Vorwürfe der Deutschen Regierung auch zur Kenntnis gebracht seien, und zweitens, was die Deutsche Regierung darauf geantwortet hat. Es ist den Angeklagten und auch der Verteidigung mit Rücksicht darauf, daß sich diese Urkunden der Waffenstillstandskommission im Besitz der Siegermächte befinden, nicht möglich, selbst Entlastungsdokumente vorzulegen.


VORSITZENDER: Wenn Sie zu den Einwänden, die Dr. Nelte soeben gemacht hat, etwas zu sagen wünschen, wäre es vielleicht am besten, dies sofort zu tun. Wenn ich recht verstehe, wird der Einwand erhoben, daß dieses Dokument, F-668, eine Note Admiral Darlans darstellt, in der darüber Klage geführt wird, daß sich bestimmte französische Truppen auf Grund der Zusicherung nicht gefangengenommen zu werden, er geben hatten und dann doch als Kriegsgefangene nach Deutschland transportiert worden sind. Dr. Nelte fragt, ob diese Angelegenheit mit der Deutschen Regierung besprochen worden ist, und wenn ja, welche Antwort die Deutsche Regierung erteilt hat. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß diese Anfrage Dr. Neltes begründet ist.


M. DUBOST: Herr Präsident! Die Antwort ist bereits gegeben worden. Ich habe das Schreiben des Botschafters Scapini an Botschafter Abetz in dieser Sache schon verlesen.


VORSITZENDER: Ich werde darauf aufmerksam gemacht, daß die zwei Dokumente, auf die Sie sich beziehen, vom 4. April datiert [396] sind. Das Dokument, auf das Dr. Nelte Bezug nimmt, ist späteren Datums, es stammt vom 22. April. Deshalb geht aus Dokumenten, die aus der Zeit vor dem Dokument vom 22. April herrühren, nicht hervor, was später geschehen ist.


M. DUBOST: Herr Präsident! Diese Dokumente kommen aus Archiven, die zum Teil infolge von Kriegseinwirkungen verstreut sind. Ich weiß nicht, ob der Anfrage der Verteidigung entsprochen werden kann.


VORSITZENDER: Vielleicht könnte die Frage untersucht werden, um festzustellen, ob diese Angelegenheit mit der Deutschen Regierung besprochen worden ist, und welche Antwort die Deutsche Regierung erteilt hat.


M. DUBOST: Ich werde dies tun, Herr Präsident!


VORSITZENDER: Nicht im Augenblick, aber im Laufe der Zeit.


M. DUBOST: Ich muß mich an die Französische Regierung wenden, um zu erfahren, ob sich in unseren Archiven eine Spur von einer Mitteilung der Französischen Regierung an die Deutsche Regierung aus der Zeit nach dem 26. April findet.


VORSITZENDER: Falls Sie nicht in der Lage sein sollten, eine zufriedenstellende Erklärung zu erhalten, wird der Gerichtshof von Dr. Neltes Einwand, oder besser gesagt, von seiner Kritik an dem Dokument Kenntnis nehmen.

Ich werde außerdem darauf hingewiesen, daß die zwei früheren Dokumente, auf die Sie sich beziehen, von dem Französischen Botschafter an den Deutschen Botschafter Abetz gerichtet sind; es ist daher möglich, daß ein ähnlicher Schriftwechsel bezüglich des Dokuments F-668 besteht, das sich in dem gleichen Aktenstoß befindet, von dem die Französische Regierung wahrscheinlich Kopien besitzt.

M. DUBOST: Das ist möglich, aber es ist nur eine Vermutung, die ich vor Gericht nicht aufstellen möchte. Ich ziehe es vor, die Dokumente vorzulegen.


VORSITZENDER: Ich verstehe; Sie können sich nicht im Augenblick damit befassen.

Was die andere Frage betrifft, die von Dr. Exner aufgeworfen wurde, so ist der Gerichtshof der Ansicht, daß das Dokument 532-PS aus den Prozeßakten gestrichen werden sollte, soweit es in ihnen enthalten ist. Wenn die Amerikanische und Französische Anklagebehörde das Dokument zu einem späteren Zeitpunkt wieder zum Beweis vorlegen wollen, so können sie den entsprechenden Antrag stellen. Ebenso steht es den Verteidigern, Dr. Exner zum Beispiel, frei, das Dokument zu benützen, wenn sie dies wünschen.

Was die anderen Fragen betrifft, die Dr. Exner angeschnitten hat, so ist es der Wunsch des Gerichtshofs, die Verteidiger in ihrer [397] Arbeit in jeder Weise zu unterstützen. Der Gerichtshof ist daher sehr darauf bedacht, daß die Vorschriften, die hinsichtlich der Dokumente festgelegt worden sind, eingehalten werden. Er ist auch der Ansicht, daß Abschriften von Originaldokumenten jedenfalls alle Angaben enthalten müssen, die in den Originaldokumenten selbst enthalten waren.

Dieses Dokument 532-PS nun weist als Abschrift nicht die handschriftliche Randbemerkung auf, die das Originaldokument zeigt. Auf jeden Fall ist es wichtig, daß die Abschriften alle Angaben des Originals enthalten.

Dann möchte ich noch auf eine andere Sache zu sprechen kommen. Ich bemerkte bereits, daß es sehr wichtig ist, daß Dokumente, wenn sie zum Beweis vorgelegt werden, nicht nur als Beweisstücke Nummern erhalten sollen, sondern daß diese Beweisstücknummern bei der Vorlage auch genannt werden und noch wichtiger, oder mindestens ebenso wichtig ist es, daß die Bescheinigung über die Herkunft des Dokuments dem Gerichtshof ebenfalls vorgewiesen wird. Alle Dokumente, die von den Vereinigten Staaten vorgelegt worden sind, waren mit einer Bescheinigung über Fundort oder Herkunft versehen. Es ist wichtig, daß dieses Verfahren in jedem Fall angewandt wird.

Als letztes möchte ich darauf hinweisen, daß es sehr angenehm wäre, sowohl für die Verteidiger wie für die Richter, wenn sie über das beabsichtigte Programm der Ankläger für den nächsten Tag zumindest am Vorabend unterrichtet würden. Es ist wahr, wie gesagt wurde, daß dies von der Anklagevertretung vielleicht nicht in allen Fällen regelmäßig durchgeführt worden ist; es wurde jedoch, soweit ich mich erinnere, in vielen Fällen getan. Es ist sicherlich das passendste Verfahren, und der Gerichtshof wünscht, daß es durchgeführt wird. Der Gerichtshof würde gern wissen, welche Fragen Sie, Herr Dubost, morgen behandeln wollen, und wäre sehr dankbar, wenn die Französische Anklagebehörde mitteilen würde, wieviel Zeit ihre Anklage voraussichtlich noch in Anspruch nehmen wird. Der Gerichtshof möchte, daß Sie ihm und den Verteidigern vor Schluß oder am Schluß Ihres Vortrags von heute Nachmittag das Programm für morgen bekanntgeben.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Darf ich einige Worte zu der Frage der Dokumente sagen? Ich hatte während der Verhandlungspause Gelegenheit, mich mit meinem Freund, Herrn Dodd, und meinem Freund, Herrn Dubost, darüber zu beraten; alle PS-Dokumente gehören zu einer Reihe von erbeuteten Dokumenten, deren Herkunft und weitere Behandlung am 22. November von Major Coogan beglaubigt wurde, wie dies von meinem Freund, Oberst Storey, dargelegt worden ist.

[398] Es ist die Ansicht der Anklagebehörde, daß alle solche Dokumente, die auf diese Weise erbeutet und beglaubigt wurden, zulässig sind, und sie ist natürlich gern bereit, dies dem Gerichtshof zu jeder gewünschten Zeit näher darzulegen. Ich betone »zulässig«; der Wert, den der Gerichtshof irgendeinem dieser Dokumente beimißt, geht selbstverständlich aus dem Inhalt des Dokuments und aus den Umständen hervor, unter denen es zustandegekommen ist. Das ist der alleinige Grund, aus dem ich es wagte, jetzt zu unterbrechen, daß nämlich eine Verwechslung entstehen könnte zwischen der allgemeinen Beglaubigung eines Dokuments als Beutedokument, was durch Major Coogans' eidesstattliche Erklärung geschehen ist, und der Einzelbeglaubigung der Übersetzung, das heißt der Richtigkeit der Übersetzung der verschiedenen Dokumente, die am Ende jedes einzelnen amerikanischen Dokuments erscheint. Mein Freund, Herr Dodd, und ich legten großen Wert darauf, diesen Punkt dem Gerichtshof vorzutragen, und wir sind gern bereit, dem Gerichtshof jede weitere Auskunft zu geben, die gewünscht wird.


VORSITZENDER: Bezieht sich die eidesstattliche Erklärung Major Coogans auf alle anderen Dokumentenserien, die von den Vereinigten Staaten vorgelegt werden?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie bezieht sich auf PS und, ich glaube, auf die Buchstaben D, C, L, R und EC.


VORSITZENDER: Hat diese Beglaubigung auch Gültigkeit für dieses Stück Papier, das mit 532-PS bezeichnet ist und keine weitere Kennzeichnung aufweist?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Die eidesstattliche Erklärung beweist, daß dieses Dokument ein deutsches Beutedokument ist, sie beweist auch den ganzen Vorgang, nämlich das, was danach geschehen ist. Ich habe den Gerichtshof mit der Verlesung nicht belästigt, weil wir die Vorlage des Papiers als solche für zulässig ansehen; die Frage der Bedeutung kann selbstverständlich verschieden sein.


VORSITZENDER: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte nicht, daß der Gerichtshof der irrigen Auffassung ist, jedes Dokument sei einzeln beglaubigt worden. Beglaubigt werden jene Stücke, die nicht Beutedokumente sind. Wenn ein Dokument aus einer in Artikel 21 erwähnten Quelle stammt, dann beglaubigt eine dazu befugte Stelle der zuständigen Regierung seine Herkunft, und das geschieht im einzelnen. Beutedokumente jedoch werden von uns nicht einzeln beglaubigt; wir berufen uns da auf das Affidavit von Major Coogan.


VORSITZENDER: Ja. Einen Augenblick! Sir David, es ist vielleicht richtig, mit Bezug auf dieses Dokument 532-PS oder auf denjenigen Teil des Dokuments, der vorgelegt wurde, festzustellen, daß [399] erstens die Abschrift, die uns vorgelegt wurde, nicht die Randbemerkung enthielt, und daß es daher falsch ist. Wir stimmen Ihrer Ansicht zu, daß es durch Major Coogans Affidavit, wie Sie sagen, beglaubigt ist. Das ist zulässig. Das hat aber natürlich nichts mit seinem Wert zu tun. Darüber sprach Dr. Exner.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: So habe ich es verstanden, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Es ist ein Dokument privater Natur und nicht ein Stück, von dem wir offiziell Kenntnis nehmen können, es ist von der Amerikanischen oder einer anderen Anklagebehörde nicht vor dem Gerichtshof verlesen worden und stellt auch jetzt kein Beweismaterial dar, da es von Herrn Dubost nicht verlesen wurde.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Präsident! Dazu möchte ich natürlich nichts weiter sagen; das ist eine Entscheidung des Gerichtshofs. Das, was ich betonen wollte, ist, daß die PS-Dokumente als solche beglaubigt sind und – selbstverständlich vorbehaltlich ihrer Verlesung vor dem Gerichtshof – vorgelegt werden können.


VORSITZENDER: Ich danke Ihnen, wir verstehen das vollkommen. Ich möchte im Namen des Gerichtshofs die Französische Anklagebehörde und ihren Stab um Entschuldigung bitten; ich erfahre soeben, daß die Randbemerkung auch auf der Übersetzung erscheint. Ich bitte Sie daher um Entschuldigung, Herr Dubost.

M. DUBOST: Vielen Dank, Herr Präsident! Der Gerichtshof erinnert sich sicherlich daran, daß er heute Morgen das Dokument 1553-PS abgelehnt hat. Der Gerichtshof erinnert sich daran, daß es Rechnungen enthielt über Gase, die für Oranienburg und Auschwitz bestimmt waren. Ich glaube, daß das Dokument 1553-PS, da es schon beglaubigt ist, nach den Erklärungen von Sir David vom Gerichtshof zugelassen werden wird.


VORSITZENDER: Ist es verlesen worden, Herr Dubost?


M. DUBOST: Ja, Herr Präsident! Ich war heute Morgen dabei, es zu verlesen. Es ist das siebenundzwanzigste Dokument im zweiten Buch von heute Morgen. Das Dokument wurde vom Gerichtshof nicht zugelassen, da der Gerichtshof von mir die Vorlage eines Affidavits verlangte. Die Intervention von Sir David ersetzt dieses Affidavit. Ich bitte den Gerichtshof um Entschuldigung wegen dieses Ansuchens, ich wäre jedoch dankbar, wenn er das Dokument, das er heute Morgen zurückgewiesen hat, annehmen würde.


VORSITZENDER: Gut.


M. DUBOST: Ich danke Ihnen, Herr Präsident!


VORSITZENDER: Herr Dubost, es handelt sich um Gas, nicht wahr?

[400] M. DUBOST: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Es handelt sich um eine Rechnung, sowie um mehrere andere Rechnungen, auf die Sie hinwiesen.


M. DUBOST: Das ist richtig. Das Ganze stellte Dokument 1553-PS, RF-350, dar. Dieses Dokument gehört zu der Serie von Urkunden, die durch das Affidavit, von dem Sir David soeben sprach, gedeckt sind.


VORSITZENDER: Herr Dubost, wenn Sie diesem Punkt Wert beimessen, wäre es Ihnen möglich, die in diesen anderen Rechnungen enthaltenen Zahlen anzugeben? Ich meine die Gasmengen.


M. DUBOST: Sehr gern, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Nur, damit sie in unserem stenographischen Protokoll enthalten sind.


M. DUBOST: 14. Februar 1944: brutto: 832 Kilogramm, Netto: 555 Kilogramm, Bestimmungsort Auschwitz, 16. Februar 1944: brutto: 832 Kilogramm, Netto: 555 Kilogramm, Bestimmungsort Oranienburg, 13. März 1944: brutto: 896 Kilogramm, Netto: 598 Kilogramm, Bestimmungsort Auschwitz, 13. März 1944: brutto: 896 Kilogramm, Netto: 598 Kilogramm, Bestimmungsort Oranienburg, 30. April 1944: brutto 832 Kilogramm, Netto: 555 Kilogramm, Bestimmungsort Auschwitz, 30. April 1944: brutto: 832 Kilogramm, Netto: 555 Kilogramm, Bestimmungsort Auschwitz, 18. Mai 1944: brutto: 832 Kilogramm, Netto: 555 Kilogramm, Bestimmungsort Oranienburg, 31. Mai 1944: brutto: 832 Kilogramm, Netto: 555 Kilogramm, Bestimmungsort Auschwitz.

Das scheint mir alles zu sein.

Dem Dokument 1553-PS sind die Aussage Gersteins sowie die Erklärungen des Chefs der amerikanischen Dienststelle, die diese Dokumente gefunden hat, beigefügt.

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich mit meinem Vortrag über die Verbrechen gegen die in Deutschland internierten alliierten Kriegsgefangenen, wie wir sie den Angeklagten vorwerfen, fortfahren. Dokument 735-PS, das der Gerichtshof auf Seite 68 des Dokumentenbuches findet, und das wir vorhin als RF-371 vorgelegt haben, berichtet von wichtigen Besprechungen zwischen Kaltenbrunner, Ribbentrop und Göring, in deren Verlauf die Liste der Luftkriegshandlungen festgehalten wurden, die Terrorakte darstellen.

Es wurde entschieden, daß das Lynchen die beste Züchtigung für alle Handlungen gegen die Zivilbevölkerung sei, die die Deutsche Regierung als Terrorakte betrachtete.

[401] Auf Seite 68 wird von Ribbentrop gesprochen. In einer der drei Exemplare der Vortragsnotizen, die an jenem Tage niedergeschrieben wurden, lesen wir im ersten Absatz, Zeile 11:

»... im Gegensatz zu dem ursprünglichen Vorschlag des Reichsaußenministers, der jede Art von Terrorangriff gegen die heimische Zivilbevölkerung, also auch die Bombenangriffe gegen Städte, einbeziehen wollte,...«

Die Vorschläge Ribbentrops gingen also über das, was im Verlauf jener Besprechung beschlossen wurde, weit hinaus. Die folgenden drei Zeilen verdienen die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs:

»Die Lynchjustiz würde als die Regel zu gelten haben. Von standgerichtlicher Aburteilung und Übergabe an die Polizei sei dagegen nicht die Rede gewesen.«

Am Ende der Seite:

»... daß... auch das Verfahren einer Absonderung solcher feindlicher Flieger, die im Verdacht von verbrecherischen Handlungen dieser Art stehen, bei ihrer Aufnahme in das Fliegeraufnahmelager Oberursel und, bei Bestätigung des Verdachts, ihre Übergabe an den SD zur Sonderbehandlung vorbereitet werden müsse.«

Der Gerichtshof wird sich sicher an die Beschreibung erinnern, die die Amerikanische Anklagebehörde über diese »Sonderbehandlung« gegeben hat. Es handelte sich einfach um die Vernichtung der alliierten Flieger, die in die Hände der Deutschen Wehrmacht gefallen waren.

Auf Seite 69 kann der Gerichtshof unter Punkt 3 die Beschreibung und Aufzählung der Handlungen lesen, die als Terrorakte betrachtet wurden und eine Lynchjustiz rechtfertigten:

»a) Bordwaffenangriffe auf die Zivilbevölkerung, und zwar sowohl auf Einzelpersonen wie auf Ansammlungen;

b) Beschuß von am Fallschirm hängenden abgeschossenen eigenen (deutschen) Fliegern.

c) Bordwaffenangriffe auf Personenzüge des öffentlichen Verkehrs;

d) Bordwaffenangriffe auf Lazarette, Krankenhäuser und Lazarettzüge, die mit dem Roten Kreuz deutlich gekennzeichnet sind;«

Drei Zeilen tiefer:

»Wenn sich das Vorliegen einzelner solcher Tatbestände durch Vernehmungen ergibt, sind die Gefangenen dem SD zu überstellen.«

Dieses Dokument stammt aus dem Führerhauptquartier. Es ist vom 6. Juni 1944 datiert und trägt am Kopf die Bezeichnung des Stellvertretenden Chefs des Wehrmachtsführungstabs.

[402] VORSITZENDER: Ich glaube, das ist schon alles verlesen worden, Herr Dubost. Dieses Dokument ist bereits ganz verlesen worden.

M. DUBOST: Herr Präsident, man sagte mir, daß es noch nicht vorgelesen worden sei.


VORSITZENDER: Ich habe das nicht überprüft.


M. DUBOST: Wir legen Dokument 729-PS als RF-372 vor. Dieses Dokument bestätigt das vorausgehende Stück. Es kommt aus dem Führerhauptquartier und trägt das Datum des 15. Juni 1944. Es wiederholt die Befehle, die ich Ihnen soeben verlesen habe. Es ist jedoch von General Keitel unterzeichnet, während die vorausgehende Urkunde mit »J« gezeichnet war. Wir haben nicht feststellen können, von wem dieser Buchstabe herrührt.

Das Dokument 730-PS, das wir als RF-373 vorlegen, stammt ebenfalls aus dem Führerhauptquartier und trägt auch das Datum vom 15. Juni 1944. Es ist an das Auswärtige Amt gerichtet, zu Händen von Botschafter Ritter.

Der Gerichtshof findet es auf Seite 71 seines Dokumentenbuches. Das Dokument enthält die vorhergehenden von Keitel unterzeichneten Befehle und ist ebenfalls von Keitel unterzeichnet.

Wir legen Dokument 733-PS als RF-374 vor, das die Behandlung der in die Hände der Deutschen Wehrmacht gefallenen Flieger betrifft. Es handelt sich hier um eine telephonische Nachricht seitens des Adjutanten des Reichsmarschalls, Hauptmann Breuer.


DR. NELTE: Ich nehme an, Herr Anklagevertreter, daß Sie die Besprechung der Frage der Lynchjustiz beendet haben. Es sind bei diesem Vortrag verschiedentlich die Worte »Befehl Keitels« gebraucht worden. Der Herr Anklagevertreter hat allerdings diese Dokumente nicht verlesen. Ich wäre dem Herrn Anklagevertreter dankbar, wenn er ein Dokument vorlegen könnte, das einen Befehl enthält, oder das die Lynchjustiz, wie dies von der Anklagebehörde behauptet wird, zum Befehl erhebt. Der Angeklagte Keitel und der Angeklagte Jodl behaupten, daß ein solcher Befehl niemals gegeben worden ist, und daß diese Verhandlungen, über welche Dokumente vorgelegt wurden, daß diese Dokumente nicht zum Befehl geworden sind, weil die kompetenten Stellen es verhindert haben.


VORSITZENDER: Die Dokumente sprechen für sich selbst.


M. DUBOST: Wünscht der Gerichtshof die vollständige Verlesung eines dieser von Keitel unterzeichneten Dokumente?

Ich verlese:

»Betr. Behandlung feindlicher Terrorflieger.

I. Anliegend wird der Entwurf eines Antwortschreibens des Reichsaußenministers an Chef OKW, der über Botschafter Ritter dem WFSt zugeleitet wurde, vorgelegt.«

[403] Ich überspringe einen Absatz:

»II. Reichsmarschall ist mit der vom OKW mitgeteilten Formulierung über den Begriff der Terrorflieger und mit dem vorgeschlagenen Verfahren einverstanden.«

Dieses Dokument wird als RF-375 vorgelegt. Ich habe dem Gerichtshof keinen formellen Befehl vorgelegt, sondern drei Dokumente, die meiner Ansicht nach einem Befehl gleichkommen, denn neben dem von Keitel gegengezeichneten Stück haben wir die von Warlimont unterzeichnete Notiz, in der erklärt wird, daß der Reichsmarschall die vom OKW gegebene Definition des Terrorfliegers sowie das vorgeschlagene Verfahren billige. Dieses Dokument trägt die Gegenzeichnung von Keitel.

Wir legen nunmehr Dokument L-154 vor, das von meinen amerikanischen Kollegen bereits als US-335 eingereicht worden ist. Mein Kollege hat es vollständig verlesen. Ich will nur drei Zeilen daraus zitieren, um den Gerichtshof nicht aufzuhalten:

»Sämtliche Jabo-Piloten, die abgeschossen werden, sind grundsätzlich der Volksempörung nicht zu entziehen.«

Dieser Text stammt aus der Dienststelle des Gauleiters und Reichsverteidigungskommissars für den Gau Westfalen-Süd, Albert Hoffmann.

Als RF-376 legen wir Dokument F-686 vor, das der Gerichtshof auf Seite 82 des Dokumentenbuches findet. Es handelt sich um das Protokoll über die Vernehmung Hugo Grüners vom 29. Dezember 1945. Grüner unterstand Robert Wagner, dem Gauleiter von Baden, Elsaß. Grüner erklärt:

»Wagner hat den formellen Befehl gegeben, alle alliierten Flieger, die in Gefangenschaft geraten, niederzumachen. Bei dieser Gelegenheit hat Gauleiter Wagner uns erklärt, daß die alliierten Flieger auf deutschem Gebiet großen Schaden anrichteten, und daß es sich hier um einen unmenschlichen Krieg handle. Unter diesen Bedingungen müßten die gefangenen Flieger nicht als Kriegsgefangene betrachtet werden und verdienten keinerlei Gnade.

Er betonte, daß die Kreisleiter, wenn sich die Gelegenheit böte, nicht verfehlen sollten, die festgenommenen feindlichen Flieger selbst zu erschießen.

Wie ich Ihnen schon sagte, hat Röhm Wagner assistiert, jedoch nicht selbst das Wort ergriffen. Ich kann behaupten, daß der SS-General Hoffmann, Chef der SS für den Südwesten, zugegen war, als uns von Wagner der Befehl erteilt wurde, die feindlichen Flieger niederzumachen.«

[404] Herr Vorsitzender! Dieser Zeuge Hugo Grüner gibt zu, daß er an der Liquidierung alliierter Flieger teilgenommen hat. Während er Rheinweiler passierte, heißt es im sechsten Absatz, das war im Oktober oder November 1944, bemerkte Grüner, daß englische oder amerikanische Flieger von Soldaten aus dem Rhein gezogen worden waren. Die vier Flieger trugen Kha kiuniform, sie hatten keine Kopfbedeckung und waren mittelgroß. Er hat sie nicht angesprochen, da er nicht englisch kann. Die Wehrmacht lehnte es ab, die Flieger zu übernehmen.

Im dritten Absatz erklärte der Zeuge folgendes, ich lese:

»Ich erkläre den Polizisten, daß ich von Wagner den Befehl erhalten habe, alle gefangenen alliierten Flieger niederzumachen. Die Polizisten antworteten, das sei das einzige, das man mit ihnen machen müsse.

Ich entschloß mich daher, die vier alliierten Gefangenen niederzumachen, und einer der anwesenden Polizisten schlug mir als Hinrichtungsplatz das Rheinufer vor.«

Grüner beschreibt dann die von ihm zur Ermordung der Flieger getroffenen Maßnahmen. Er gesteht, daß er sie durch Schüsse mit einer Maschinenpistole in den Rücken getötet habe. Er nennt den Namen eines seiner Komplicen, Erich Meißner, Gestapobeamter aus Lörrach, und sagt, daß Meißner selbst Flieger umgebracht habe, gerade als sie aus dem Wagen stiegen und sich auf den Rhein zu bewegten.

»Er tötete sie, indem er jedem eine Maschinenpistolengarbe in den Rücken schoß, dann wurde jeder Gefangene an den Füßen bis zum Rhein geschleift und hineingeworfen.«

Diese Erklärung wurde vom Untersuchungsrichter in Straßburg aufgenommen. Das Dokument, das wir vorlegen, ist vom Gerichtsschreiber des Untersuchungsrichters zur Beglaubigung der Abschrift unterzeichnet.

So wurden die Befehle, die die Chefs der Deutschen Regierung gegeben hatten, vom deutschen Volk ausgeführt.

VORSITZENDER: Herr Dubost! Ich sehe, daß es 5.00 Uhr ist. Vielleicht können Sie uns Ihr Programm für morgen mitteilen.

M. DUBOST: Morgen werden wir die Ausführungen über die Kriegsgefangenenfragen zum Abschluß bringen. Wir werden Ihnen in gedrängter Form die Dokumente vorlegen, die uns trotz der Zeugenaussagen über die Konzentrationslager als unerläßlich erscheinen. Es handelt sich nur um einige Dokumente, die alle den einen oder anderen der Angeklagten unmittelbar betreffen. Dann werden wir darlegen, wie die von den Chefs der Deutschen Wehrmacht erlassenen Befehle die Täter zu Terrorakten und Banditenstreichen verleiteten, die sich gegen die unschuldige französische [405] Zivilbevölkerung und gegen französische Patrioten richteten, die nicht als Freischärler, sondern als gewöhnliche Banditen behandelt wurden.

Wir glauben, morgen Vormittag damit fertig zu werden. Im Laufe des Nachmittags wird mein Kollege, Herr Faure, mit dem Vortrag des letzten Teiles der französischen Anklage zum Thema: Verbrechen gegen die Menschlichkeit beginnen.


VORSITZENDER: Können Sie uns nicht ungefähr angeben, wie viel Zeit die gesamte französische Anklage beanspruchen wird?


M. DUBOST: Ich glaube, daß drei Tage für Herrn Faure genügen werden. Die Einzelanklagen, vorgetragen von unserem Kollegen, Herrn Mounier, werden einen halben Tag beanspruchen. Das ist alles.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr.


[Das Gericht vertagt sich bis

31. Januar 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 6, S. 382-407.
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