Vormittagssitzung.

[7] OBERST CHARLES W. MAYS, GERICHTSMARSCHALL: Meine Herren Richter! Ich gebe bekannt, daß der Angeklagte Kaltenbrunner wegen Krankheit dieser Sitzung nicht beiwohnen wird.

M. EDGAR FAURE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Einer der Anwälte möchte sich gern an den Gerichtshof wenden.


DR. HANS LATERNSER, VERTEIDIGER FÜR GENERALSTAB UND OBERKOMMANDO: Namens der von mir vertretenen Organisationen beantrage ich, die Aussage des gestern vernommenen Zeugen van der Essen zu streichen, und zwar insoweit, als der Zeuge Angaben machte:

  • 1. Über die angeblich mutwillige Zerstörung der Universitätsbibliothek in Loewen und

  • 2. über die Behandlung der Landeseinwohner während der Rundstedt-Offensive, die ihn zur Annahme führt, daß ein entsprechender höherer Befehl vorgelegen habe.

Zur Begründung dieses Antrages auf teilweise Streichung der Zeugenaussage wird folgendes ausgeführt:

  • 1. Es handelt sich bei der gestrigen Aussage um keine Zeugenaussage. Ein Zeuge hat sein eigenes Wissen zu bekunden, das sich auf eigene Wahrnehmungen gründen kann. Diese Voraussetzungen liegen in den beanstandeten Punkten nicht vor. Der Zeuge hat im wesentlichen Angaben dritter Personen wiedergegeben, zum Teil sogar von solchen Personen, die er selbst nicht einmal kennt. Die Kenntnis dieses Zeugen kann sich sonach zum Teil nur auf Aktenstudien zurückführen lassen.

  • 2. Jede dritte Person ist in der Lage, diese gleiche Zeugenaussage zu machen, sobald ihr die Akten zur Verfügung gestellt werden, die diesem Zeugen wirklich zugänglich waren und sie ferner die Personen sprechen kann, mit denen der Zeuge gesprochen hat und die ihm seine Kenntnis vermittelt haben. Hierdurch ist bewiesen, daß es sich bei dem Zeugen van der Essen um keinen wirklichen Zeugen handelt, denn ein solcher kann nicht durch jeden Dritten beliebig ersetzbar sein.

  • 3. Obwohl das Hohe Gericht gemäß Artikel 19 des Statuts an Beweisregeln nicht gebunden ist, muß das Beweismittel schon deshalb zurückgewiesen werden, weil es keinen durch das Gericht [7] bestimmbaren Beweiswert besitzt. Dies ergibt sich zwingend daraus, daß die Quellen für die Aussagen des Zeugen ihrem Werte nach nicht beurteilt werden können. Ich halte es für meine Pflicht, darauf hinzuweisen, daß die Erhebung solcher indirekter Beweise zu einer Wahrheitsfindung in den beanstandeten Punkten nicht führen kann.

DER VORSITZENDE, LORD JUSTICE SIR GEOFFREY LAWRENCE: Der Gerichtshof würde gern wissen, Herr Faure, was Sie auf diesen Antrag, der gerade gestellt wurde, zu erwidern haben.

M. FAURE: Meine Herren, ich möchte zuerst bemerken, daß, wie der Herr Anwalt, der soeben gesprochen hat, angab, das Statut des Gerichtshofs vorsieht, daß er bezüglich der Beweisführung keinen formellen Bestimmungen unterworfen ist.

Aber über diese Erwägung hinaus bin ich der Ansicht, daß dem Einspruch des Anwalts nicht stattgegeben werden sollte. Dieser Einspruch gründet sich auf drei Punkte, die er aufgezählt hat, die sich jedoch meines Erachtens auf einen einzigen zurückführen lassen, nämlich, daß dieser Zeuge ein indirekter Zeuge ist.

Nun möchte ich darauf hinweisen, daß ich Herrn van der Essen in erster Linie in seiner Eigenschaft als Mitglied der amtlichen Belgischen Regierungsuntersuchungskommission zur Erforschung von Kriegsver brechen als Zeuge vorgeladen habe. Nach sämtlichen Verfahrensvorschriften, die ich kenne, kann eine Person, die Untersuchungen hinsichtlich verbrecherischer Handlungen geführt hat, vor den Gerichtshof geladen werden, um die Umstände vorzutragen, unter denen diese Untersuchung durchgeführt worden ist und die Ergebnisse, zu denen sie geführt hat. Es ist daher nicht notwendig, daß der Zeuge, der über eine Untersuchung aussagt, selbst Augenzeuge der Verbrechen gewesen ist, die diese Untersuchung aufklären soll.

Herr van der Essen hat daher meiner Ansicht nach eine Aussage über Tatsachen gemacht, die er selbst kennt, nämlich: Was die Vorgänge von Stavelot betrifft, hat er gesagt, daß er selbst Zeugen vernommen hat, und daß er sich davon überzeugt hat, daß diese Zeugenaussagen absolut zuverlässig sind.

Was die Vorgänge der Bibliothek von Loewen betrifft, so hat er sich auf die Protokolle der Kommission berufen, deren ordentliches Mitglied er ist.

Ich möchte hinzufügen, daß mir dieses Verfahren den Vorteil zu haben scheint, zu vermeiden, daß hier vor den Gerichtshof eine große Anzahl einzelner Zeugen geladen wird. Damit aber alle Garantien bezüglich des Sachvortrages, der dem Gerichtshof gehalten wird, gegeben sind, habe ich mich entschlossen, die Akten mit [8] den Zeugenaussagen hierher kommen zu lassen, die der Zeuge angeführt hat. Ich werde daher der Verteidigung die Affidavits der Zeugen zur Verfügung stellen, von denen gestern gesprochen wurde, und ich glaube, daß dies der Verteidigung eine Garantie geben wird.

Ich schlage daher dem Gerichtshof vor, den Einspruch zu verwerfen, was die Zulässigkeit der Zeugenaussage betrifft; selbstverständlich soll sich die Verteidigung nach ihrem Belieben über Wert und Beweiskraft dieser Zeugenaussage später aussprechen können.


VORSITZENDER: Herr Faure, Sie haben etwas über die Affidavits der Zeugen gesagt, die Sie den Verteidigern zur Verfügung stellen würden. Ich nehme an, daß Sie die Absicht haben, die Regierungs- oder Ausschußberichte zu unterbreiten, die der Zeuge anführte, als er gestern seine Aussage machte. Ist das richtig?


M. FAURE: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Sie wollen die Affidavits, die diesem Ausschuß vorgelegen haben, auch den Verteidigern zur Verfügung stellen. Ist das richtig?


M. FAURE: Ja, wenn der Gerichtshof damit einverstanden ist.


VORSITZENDER: Der Regierungsbericht schließt wohl die Affidavits ein, oder?


M. FAURE: In der Tat, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Ja? Die Affidavits sind ein Teil des Berichts?


M. FAURE: Der Bericht, der vorgelegt worden ist, enthält nicht die einzelnen Elemente, über die der Zeuge gestern gesprochen hat, weil nämlich die Untersuchung über Stavelot sehr ausgedehnt und gründlich war und nicht rechtzeitig zusammengefaßt wurde.

Ich hatte also vor, wie ich gesagt habe, diese zusätzlichen Materialien als Beweise vorzulegen und der Verteidigung mitzuteilen.


VORSITZENDER: So hatte ich Sie verstanden. Das heißt also, daß der Bericht nicht alle Einzelheiten enthält, die in den Affidavits oder Zeugenaussagen zu finden waren.


M. FAURE: Nein, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Aus diesem Grunde hielten Sie es also für richtig, aus Entgegenkommenden Verteidigern Einblick in die Einzelheiten zu gewähren, auf denen der Bericht aufgebaut war. Der Gerichtshof versteht das.

Der Gerichtshof wird sich mit dem vorgelegten Antrag etwas später befassen. Sie können jetzt Ihre Beweisführung fortsetzen.


[9] M. FAURE: Meine Herren! Ich möchte zuerst dem Gerichtshof erklären, daß, da schon viel Zeit zu Zeugenvernehmungen und Verhandlungen verwendet worden ist, und da ich den vorgesehenen Stundenplan nicht überschreiten möchte, ich meine jetzigen Ausführungen über Propaganda beträchtlich verkürzen muß.

Ich bitte daher den Gerichtshof, zu entschuldigen, wenn bei diesem Vortrag gewisse Stockungen vorkommen, da ich meinem vorbereiteten Bericht nicht genau folgen werde.

Ich habe gestern die Methode dargelegt, die die Deutschen bezüglich des Versammlungs- und Vereinigungsrechts anwendeten. Dieses Recht wurde entweder einfach unterdrückt oder im Falle seiner Aufrechterhaltung von ihnen zu ihrem eigenen Vorteil ausgenützt. Ich möchte nun etwas über Buch und Verlag sagen. Die deutschen Behörden erließen zuerst im Amtsblatt vom 16. September 1940 eine Verordnung vom 30. August 1940, um gewisse Lehrbücher in Frankreich zu verbieten. Wir haben schon gesehen, daß sie in der gleichen Weise in Belgien vorgegangen sind.

Ein weiterer Schritt der Deutschen bestand darin, daß sie eine gewisse Anzahl Bücher verboten, die ihnen nicht gefielen. Ich lege hierüber Dokument RF-1103 vor, das Liste »Otto« ist. Diese Liste, die im September 1940 veröffentlicht wurde, ist eine Liste von 1074 Büchern, die von den Deutschen verboten wurden. Selbstverständlich werde ich sie dem Gerichtshof nicht verlesen. Sie erscheint im Dokumentenbuch als RF-1103, wie ich schon gesagt habe.

Eine zweite »Otto«-Liste, länger als die erste, wurde dann am 8. Juli 1942 veröffentlicht. Ich unterbreite sie als RF-1104.

Der Schluß dieses zweiten Dokuments, der auf der letzten Seite meines Dokumentenbuches steht, zeigt sehr deutlich, welche Grundsätze die deutschen Behörden anwandten.

Ich möchte einige Zeilen verlesen:

»Grundsätzlich müssen alle Übersetzungen aus dem Englischen mit Ausnahme der englischen Klassiker vom Verkaufe zurückgezogen werden,«

und weiter:

»alle Bücher jüdischer Verfasser sowie alle Bücher, an denen Juden mitgearbeitet haben, sollen vom Verkauf zurückgezogen werden, mit Ausnahme von solchen Büchern, die wissenschaftlicher Natur sind, bezüglich welcher besondere Maßnahmen getroffen werden. Aber schon jetzt sind Juden gewidmete Biographien, auch wenn sie von französischen Ariern verfaßt werden, z.B. Biographien über jüdische Musiker, wie Offenbach, Meyerbeer, Darius Milhaud, usw. ebenfalls vom Verkauf zurückzuziehen.«

[10] Diese Handlungsweise schien anfangs vielleicht von geringer Bedeutung zu sein, da es sich nur um etwa 1200 Bücher handelte. Man kann aber sehen, wie wichtig dieser Grundsatz ist. Andererseits erreichten die deutschen Behörden durch dieses Verfahren den praktischen Erfolg, den sie anstrebten, und der im wesentlichen außer anderen Verboten in dem völligen Verschwinden von ernsten und objektiven Werken bestand, die die Möglichkeit gegeben hätte, die deutschen Lehren, die deutsche Politik und die Philosophie des Nazismus zu studieren.

Außer dem Verbot von schon vorhandenen Werken haben die Deutschen selbstverständlich eine Zensur eingeführt. Hierbei haben sie am Anfang in getarnter Weise gehandelt, indem sie mit den Herausgebern zu einer Art Abkommen kamen; sie beauftragten die Verleger, die ihres Erachtens zu zensierenden Bücher selbst zu melden. Ich lege den Wortlaut dieses Abkommens als Dokument RF-1105 vor und möchte, ohne es zu verlesen, eine einzige Bemerkung machen, die für die ständige Methode der Deutschen sehr bezeichnend ist. In der gedruckten Broschüre dieses Abkommens, die in Urschrift vorgelegt worden ist, steht, abgesehen von dem Abkommen selbst, eine Mahnung, welche nicht im Einklang mit den französischen Gefühlen stand. Diese Mahnung war nicht von den Verlegern, denen das Abkommen aufgezwungen worden war, sondern von den Deutschen entworfen wor den, und wurde in derselben Broschüre veröffentlicht, die die Überschrift trägt »Syndicat National des Editeurs«, so daß man glauben konnte, daß die französischen Verleger den Wortlaut dieser Einleitung angenommen hätten.

Daß es sich dabei um eine deutsche Veröffentlichung handelt und nicht um, eine von französischen Verlegern herausgegebene, geht für den aufmerksamen Leser daraus hervor, daß diese Broschüre den Namen des Druckers nicht angibt; denn nur die Deutschen waren von der französischen Vorschrift befreit, die die Angabe der Druckerei fordert.

Die Deutschen haben sich nicht auf dieses Verfahren beschränkt, das noch ziemlich liberal war; später ist durch eine im amtlichen Verordnungsblatt des 13. Mai veröffentlichte »Verordnung vom 27. April 1942 über den rationellen Verbrauch von Druckpapier« unter dem Vorwand der rationellen Verwendung von Papier beschlossen worden, daß Veröffentlichungen ohne jede Ausnahme eine deutsche Zulassungsnummer tragen mußten.

Ich möchte im übrigen angeben, daß, um in Frankreich das Verlagswesen zu ersticken, die Deutschen über ein sehr starkes Druckmittel verfügten, nämlich, daß sie im Besitz des Papiere waren. Ich unterbreite als Dokument RF-1106 das Affidavit des Herrn Marcel Rives, Direktor des Binnenhandels im Ministerium für [11] industrielle Produktion. Um den Vortrag abzukürzen, werde ich dieses Dokument nicht verlesen. Ich möchte also zusammenfassend angeben, daß dieses Dokument zeigt, daß die ganze Verteilung des vorrätigen Papiers den deutschen Behörden unterstand, und daß die Deutschen die Papierkontingente für die Verleger in einem Umfang eingeschränkt haben, der viel größer ist als der allgemeine Umfang der Herabsetzung aller Papierkontingente im Vergleich zur Vorkriegslage.

Ich möchte noch hinzufügen, daß aus diesen sehr dünnen Kontingenten, über die die französischen Verleger verfügten, die Deutschen noch einen gewissen Teil für ihre eigenen Propagandaveröffentlichungen benützten, so daß sie für diese Propaganda nicht nur das Papier benutzten, das sie in Deutschland hatten, sondern auch noch einen Teil der geringen Mengen wegnahmen, die sie den französischen Verlegern zubilligten.

Ich möchte hierüber einige Zeilen aus einem Dokument verlesen, das den Anhang 2 zum Dokument RF-1106 darstellt, das ich eben vorgelegt habe. Ich verlese nur einige Zeilen aus diesem Anhang 2. Es ist ein Brief des deutschen Militärbefehlshabers vom 28. Juni 1943 an das Ministerium der nationalen Wirtschaft.

»Besonders im Laufe des Monats März, wie von Ihnen ganz besonders hervorgehoben wird, konnte den Verlegern keinerlei Menge von der laufenden Produktion zugeteilt werden, da diese für wichtige Propagandazwecke benötigt würde.«

Die andere Seite der deutschen Tätigkeit im Verlagswesen stellte eine Intensive Propaganda durch Broschüren und Veröffentlichungen aller Art dar. Diese Propagandaliteratur ist höchst langweilig. Ich möchte eine einzige Einzelheit angeben, die für die ständige Tarnungsmethode der Nazis bezeichnend ist.

Ich habe hier einige deutsche Propagandabroschüren und werde sie, selbstverständlich ohne Verlesung, als Dokument RF-1106 b vorlegen.

Die ersten Broschüren gehören einer Sammlung, betitelt »England ohne Maske« an.

Die ersten aufs Geratewohl herausgenommenen Nummern tragen auf dem Vorsatzblatt die Inschrift: »Deutsche Auskunftsstelle – England ohne Maske – Nr.... und so weiter«. Es gibt hier keine Verheimlichung, und man weiß wohl, worum es sich handelt.

Durch ein eigenartiges Zusammentreffen trägt die Nummer 11 derselben Sammlung nicht mehr den Namen »Deutsche Auskunftsstelle«; statt dessen sehen wir die Bezeichnung »Maison Internationale d'Édition, Bruxelles«, Internationale Verlagsbuchhandlung, Brüssel. Übrigens wissen wir über die Herkunft Bescheid, denn [12] der Verfasser heißt ja Reinhard Wolf, und das ist ein deutscher Name.

Als letztes Beispiel habe ich aber eine Broschüre mit dem Titel »Der Pakt gegen Europa«, auch von der Internationalen Verlagsbuchhandlung Brüssel veröffentlicht. Wir wissen aus anderen Beispielen, daß dieser Verlag nur ein anderer Name der deutschen Stelle ist; aber die Personen, die nicht gut unterrichtet sind, können annehmen, daß es sich um französische oder belgische Literatur handelt, denn der Name des Verfassers ist diesmal Jean Dubreuil.

Ich will mich beim Verlagswesen nicht weiter aufhalten und möchte einige Worte über die Presse sagen. Es ist wohl bekannt, daß alle Zeitungen der besetzten Gebiete unter deutscher Kontrolle standen und daß die Mehrzahl auf Anstiften der Deutschen durch von ihnen bezahlte Personen gegründet worden waren. Da diese Tatsachen wohl bekannt sind, will ich davon absehen, Dokumente zu diesem Punkte vorzulegen, und möchte mich darauf beschränken, die folgenden Bemerkungen zu machen:

1. Restriktive Maßnahmen. – Die Zensur:

Obwohl alle diese Zeitungen praktisch »ihre« Zeitungen waren, haben die Nazis sie trotzdem einer sehr scharfen Zensur unterzogen. Ich möchte als Beweis Dokument RF-1108 vorlegen; es ist ein Bericht über eine Pressekonferenz vom 8. Januar 1943, in deren Verlauf die neuen Richtlinien und Anweisungen für die Zensur festgelegt wurden. Ich mache den Gerichtshof darauf aufmerksam, daß dieses Dokument und einige ähnliche im Archiv der unter deutscher Kontrolle stehenden französischen Nachrichtenstelle gefunden wurden; sie sind dann entweder in der Nationalbibliothek in Paris oder in der Dokumentenbibliothek des Kriegsmuseums hinterlegt worden. Diese Dokumente sind laut Protokoll entweder im Original oder in Photokopien in die französische Dokumentensammlung aufgenommen worden.

Ich möchte mit diesem Dokument RF-1108 einfach darauf hinweisen, daß es sich für die Deutschen darum handelte, ein neues, großmütigeres Verfahren bei der Zensur einzuführen. Wenn man nun das Dokument liest, sieht man jedoch, daß fast alle Nachrichten und Artikel der Zensur unterliegen, mit Ausnahme von Feuilletons, Film- und Theaterkritiken, Universitäts- und Wirtschaftsnachrichten, Rundfunkprogrammen sowie gewissen vollkommen nebensächlichen Gegenständen.

Die zweite Seite der deutschen Einmischung, die positive Seite, stellt eine Orientierung der Presse dar, und diese Orientierung wurde durch die Pressekonferenz ausgeführt, die ich soeben erwähnt habe. Ich werde dem Gerichtshof, ohne sie zu verlesen, eine gewisse Anzahl von Dokumenten vorlegen, die die Nummern RF-1109 bis 1120 tragen. Ich lege diese Dokumente als Beweismittel nicht [13] wegen ihres Inhalts vor, der einfach eine langweilige Wiederholung der deutschen Themen darstellt, sondern lediglich zum Beweis ihres Vorhandenseins, das heißt der beständigen Steuerung der Presse.

Ich möchte aber andeuten, wie sich die Dinge entwickelten: Die Pressekonferenz wurde entweder bei der Propagandastaffel, Avenue des Champs-Elysées, oder bei der Deutschen Botschaft abgehalten. Die Vertreter der Zeitungen wurden dort von den zuständigen Nazi-Beamten zusammengerufen und erhielten von ihnen Richtlinien. Nach der Konferenz wurden diese Richtlinien in einem Telegramm des französischen Informationsbüros zusammengefaßt. Der Gerichtshof weiß, daß die Agenturen den Zeitungen Telegramme zusenden, die die Grundlage ihrer Nachrichten darstellen. Sobald dieses Telegramm vom Büro verfaßt war, wurde es den deutschen Behörden zur Kontrolle vorgelegt, die ihren Stempel darauf drückten, und dann wurde es an die Zeitungen weitergegeben.

Ich habe gesagt, daß ich Dokumente über diese Pressekonferenzen sowie über diese Protokolle und Noten der Agentur, welche die Dokumente RF-1109 bis 1120 bilden, nicht verlesen werde. Ich möchte lediglich ein sehr kurzes Dokument verlesen, das ich als Dokument RF-1121 dem Gerichtshof vorlege; es ist ein Bericht über die Pressekonferenz vom 16. April 1943 bei der Propagandaabteilung.

Ich zitiere:

»Am Schluß der Konferenz hat der deutsche Sprecher erklärt, daß anläßlich des Geburtstages des Führers die Zeitungen am Dienstag, den 20. April, in einer Auflage von 4 anstatt 2 Seiten, und Mittwoch, den 21. April, auf 2 anstatt 4 Seiten erscheinen werden.

Er hat die anwesenden Journalisten gebeten, in der politischen Persönlichkeit des Führers das Europäische zu unterstreichen und die französisch- deutschen Beziehungen breit zu behandeln.

Immerhin sei es angebracht, mit viel Takt und Zurückhaltung vorzugehen, um den Zeitungen nicht ein Ansehen zu geben, welches, da es nicht mehr französisch ist, Gefahr laufe, die öffentliche Meinung zu brüskieren.«

Ich vergesse nicht, daß es sich hier um ein Strafverfahren handelt. Wir müssen das unterstreichen, was in den oft verschiedenartigen Tatsachen, die wir vortragen müssen, die Absicht und die Verwirklichung einer strafrechtlich verwerflichen Handlung kennzeichnet. Hierzu möchte ich Dokument RF-1124 vorlegen und verlesen. Es ist ein Versuch, durch Presse und Propaganda die [14] militärische Anwerbung von Franzosen in das feindliche Heer zu unterstützen. Dies ist im Sinne des Artikels 75 des französischen Strafrechtsbuches ein Verbrechen, und ich betone, daß nach der Rechtslehre Angehörige von Feindstaaten wegen derartiger Verbrechen verfolgt werden können. Ich möchte dieses Dokument verlesen, das sehr kurz ist; ich zitiere:

»... Am Schluß der Militärkonferenz teilte Dr. Eich mit, daß die O. F. I. heute Nachmittag einen Artikel verbreiten würde, der der Notwendigkeit der Teilnahme französischer Seeleute in der Kriegsmarine gewidmet sei. Er bittet die Zeitungen, diesem Text Erläuterungen beizufügen, indem man z.B. das folgende Thema entwickelt: Seemann sein heißt einen Beruf erwerben.

Der durch die O. F. I. verbreitete Artikel ist morgen (Tag der 4 Seiten) auf der ersten Seite zu veröffentlichen oder wenigstens auf dieser ersten Seite anzufangen.«

Schließlich muß ich darauf hinweisen, daß außer den Pressekonferenzen sogenannte Kulturkonferenzen stattfanden, in welchen die deutschen Behörden ihre Befehle auf allen Gebieten erteilten.

Ich möchte gern einige sehr kurze Berichtsauszüge von einer dieser Kulturkonferenzen verlesen, um die allgemeine Unterdrückung, die aus diesen deutschen Einmischungen auf allen Gebieten ohne Ausnahme entstand, zu kennzeichnen. Ich lege diese Dokumente als RF-1125 und RF-1126 vor und lese zwei Sätze von Seite 1 des Dokuments RF-1125 vor, dem Bericht über eine Konferenz vom 22. April.

Ich zitiere:

»Trotz der gegenteiligen Anweisungen, die hierzu vorher gegeben worden sind, wurden kürzlich Re produktionen von Bildern Picassos hergestellt.

Theater. Gewisse Presseorgane haben geglaubt, der Operette ›Don Philipp‹ Artikel widmen zu müssen, deren übermäßige Lobhudelei Lügen gestraft wurde durch den Empfang, den das große Publikum diesem Werk bereitete. Es liegt da ein Mangel an Takt vor.«

Ich lese auf Seite 2 oben:

»Die Zeitungen haben eine offensichtlich übertriebene Reklame für Jazzkonzerte gemacht, besonders für dasjenige von Fred Jumbo. Es fehlt da an Fingerspitzengefühl, was um so bedauernswerter ist, als im allgemeinen hochwertigen Konzerten nur ein winziger Platz eingeräumt wurde.«

Am Ende dieses Dokuments befindet sich eine interessante Anmerkung:

[15] »Die Nationalität der Persönlichkeiten auf dem Gebiet der Wissenschaft, der Kunst und anderer, die in diesen Presseartikeln erwähnt werden, sollten angegeben werden als diejenigen von Großdeutschland für alle Länder, wo diese Persönlichkeiten geboren oder die dem Großdeutschen Reich angeschlossen oder einverleibt worden sind.«

Wir spüren also auch auf Gebieten, die uns weitabgelegen scheinen, den Germanisierungswillen und den verbrecherischen Willen, Menschen ihrer Nationalität zu berauben, auf die sie ein Recht haben.

Ich werde jetzt einige Worte über das Kino sprechen. Man kann den Deutschen die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie niemals die außerordentliche Bedeutung des Films als Mittel der Propaganda übersehen haben. Hierüber haben sie in Frankreich sieben Verordnungen und Erlasse herausgegeben. Man muß bemerken, daß die Deutschen in erster Linie die Aufführung von Filmen verboten, die ihnen nicht gefielen....

VORSITZENDER: Glauben Sie nicht, Herr Faure, daß der Beweis dafür, daß die Deutschen das Kino als Propagandamittel benutzten, eher kumulativen Charakter trägt? Sie haben bereits gezeigt, daß sie eine große Anzahl von Büchern verboten haben, die sie ihren Ideen gegenüber für feindlich hielten, und daß sie die Presse kontrollierten. Ist es nicht eher kumulativ und eine Einzelfrage, ob sie auch das Kino beherrschten? Wenn von den Angeklagten gegen diese Ihre Ausführungen kein Gegenbeweismaterial vorgebracht wird, denke ich, daß der Gerichtshof die Anwendung all dieser Propagandamittel durch die Deutschen für erwiesen hält.

M. FAURE: Der Eindruck, den ein Aktenstück in dem Augenblick macht, wo man es vorlegt, führt manchmal zum Eindruck, daß die darin vorgebrachten Beweise kumulativ sind, während man dies bei der Vorbereitungsarbeit nicht so deutlich bemerkt hat. Ich werde also über dieses Kino-Kapitel nicht sprechen.

Ich möchte dem Gerichtshof nur folgendes sagen:

Wir dachten, daß hinsichtlich dieser Propagandafragen, die wir in abstracto vortragen, es vielleicht gut wäre, in konkreter Form an einige der Gesichtspunkte der deutschen Propaganda zu erinnern, und zu diesem Zwecke wollen wir mit der Erlaubnis des Gerichtshofs in aller Kürze einige deutsche Propagandathesen illustrieren.

Ich möchte dazu bemerken, daß diese Themata gewissen erbeuteten Archiven entnommen worden sind, daß wir aber die Absicht hatten, zwei Filmausschnitte von je einer Minute vorzuführen, die aus einem deutschen Propagandafilm stammen, welcher übrigens von einem Franzosen auf Veranlassung und mit finanzieller Hilfe deutscher Dienststellen hergestellt wurde.

[16] Da wir mit Erlaubnis des Gerichtshofs diese Filme vorführen werden, scheint es mir unbedingt notwendig, RF-1141 als einziges Dokument vorzulegen; denn dieses Dokument, das Verhör des Filmherstellers, beweist, daß dieser Film auf Befehl der Deutschen hergestellt und von ihnen bezahlt wurde. Ich lege also Dokument RF-1141 vor, was wegen des bald vorzuführenden Films notwendig ist.

Da mir die Beweisführung der Anklage für die verschiedenen Propagandamittel weit genug fortgeschritten zu sein scheint, werde ich in dem dem Rundfunk gewidmeten Vortragsteil dieselben Argumente verwenden.

Zu diesem Teil der Anklageschrift möchte ich lediglich ein Dokument vorlegen, das über die Frage der einfachen Propaganda hinausgeht. Es ist Dokument RF-1146.

Ich muß zuerst darauf hinweisen, daß die Deutschen in Radioangelegenheiten auf ein Hindernis stießen, das sie im gleichen Umfang auf anderen Gebieten nicht gefunden hatten; dieses Hindernis waren die Sendungen des freien Rundfunks, welchem, wie der belgische Zeuge gestern sagte, die Bewohner der besetzten Gebiete mit so großem Interesse zuhörten. Die Deutschen beschlossen daher, die Leute, die diesen Sendungen zuhörten, zu bestrafen.

In dem Dokument, das ich zitieren werde, geht die Militärbehörde so weit, zu verlangen, daß die französischen Behörden ganz strenge Strafen, selbst die Todesstrafe, gegen diejenigen verhängen sollen, die Nachrichten aus ausländischen Sendungen verbreitet haben.

Ich glaube daher, daß ich dieses Dokument, das von einem militärischen Kommando stammt und von Stülpnagel gezeichnet ist, vorlegen sollte. Es zeigt die verbrecherischen Absichten des deutschen Generalstabs.

Ich möchte dieses Dokument RF-1146 verlesen. Ich lese Seite 1 am Anfang des dritten Absatzes:

»Im französischen Gesetz vom 28. Oktober 1941 ist bisher das Verbreiten von Nachrichten ausländischer Sender, die geeignet sind, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu gefährden, überhaupt nicht unter besondere Strafen gestellt, obwohl es sich gerade hierbei um ein besonders gefährliches Verhalten handelt. Es ist notwendig, auch die Verbreitung solcher Nachrichten mit Zuchthausstrafe und in besonders schweren Fällen mit der Todesstrafe zu bedrohen, wobei es unerheblich sein soll, ob der Verbreiter die Nachricht selbst abgehört oder auf andere Weise erfahren hat.

Die Möglichkeit, das angeführte Verhalten etwa mit Hilfe des Gesetzes über den Staatsgerichtshof strafrechtlich zu verfolgen und auf diesem Umwege zu einer schwereren [17] Bestrafung zu gelangen, reicht nicht aus, um die Bevölkerung vor dem Abhören des englischen Rundfunks und der Weiterverbreitung der abgehörten Nachrichten abzuschrecken, da in dem Gesetz über den Staatsgerichtshof das Abhören ausländischer Sender nicht erwähnt ist und somit die unmittelbare Beziehung zwischen Abhören und Weiterverbreitung einerseits und hoher Zuchthaus- und Todesstrafe andererseits fehlt.

Der Bevölkerung fehlt daher auch bisher die Vorstellung, daß ein solches Verhalten schon jetzt mit Zuchthaus und Tod bestraft werden könnte.

Aus diesem Grunde ersuche ich, mir einen Ent wurf zur entsprechenden Abänderung des Gesetzes vom 28. Oktober 1941 bis spätestens 3. Januar 1942 vorzulegen.

Als Anlage füge ich zu Ihrer Unterrichtung den Entwurf der deutschen Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen bei, aus dem die Einzelheiten der deutschen Regelung ersichtlich sind.«

Ich werde jetzt ein Dokument vorlegen, das die Nummer RF-1147 trägt. Ich glaube, daß dieses Dokument für den Gerichtshof von Interesse sein wird. Es ist ganz anderen Inhalts als die Dokumente, die ich bisher vorgelegt habe. Es enthält zuerst ein Schreiben aus Berlin vom 27. Oktober 1941, das ein Abkommen über die Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt zum Gegenstand hat. Ich will dieses ganz kurze Begleitschreiben verlesen, das beweist, daß unser Dokument echt ist.

»Anbei wird mit Genehmigung des Herrn Ministers Abschrift des mit dem Auswärtigen Amt abgeschlossenen Arbeitsabkommens sowie des Durchführungsabkommens mit der Bitte um Kenntnisnahme als ›Geheime Reichssache‹ übersandt. Von der Tatsache des Abkommens kann gesprochen werden, nicht aber über den Inhalt im einzelnen.«

Das beiliegende Dokument gibt den vollen Wortlaut des Abkommens wieder, das zwischen dem Auswärtigen Amte und dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda über die Zusammenarbeit zwischen ihren Dienststellen geschlossen wurde. Dieses Dokument lese ich nicht vor.

Ich glaube, daß dieses Dokument von Interesse ist, und deshalb lege ich es dem Gerichtshof vor. Ich möchte nur den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß dieses Abkommen das ganze Ausmaß sowie die Planmäßigkeit beweist, mit der die Deutschen den Geist der Einwohner der besetzten Gebiete und sogar des Auslandes zu steuern und zu beeinflussen suchten.

Kapitel I dieses Abkommens trägt den Titel: »Fachliche Zusammenarbeit von a) Film, Theater, Musik und Ausstellungen, b) Schrifttum«.

[18] Ich glaube aber, es ist interessant, daß ich einige der ersten Zeilen unter »b« verlese; da ich die Propaganda vom Gesichtspunkt der Empfänger beschrieben habe, ist es jetzt interessant, sie vom Gesichtspunkt der Leute zu betrachten, die sie machten. Andererseits glaube ich, daß wir die Gelegenheit nicht versäumen dürfen, die außerordentliche Vielseitigkeit und Schlauheit der deutschen Methoden festzustellen. Das Zitat ist sehr kurz:

»Das Auswärtige Amt und das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterhalten in der ›Mundus A.G.‹ eine ihnen zu gleichen Anteilen gehörende Dachgesellschaft, in der die von den beiden Ministerien kontrollierten, im In- und Auslande befindlichen Verlagsunternehmungen zusammengefaßt sind, die der Herstellung von Schrifttum für das Ausland und seinem Vertrieb nach dem Ausland und im Ausland dienen. In diese Gesellschaft werden auch alle zukünftigen einschlägigen Gründungen oder Beteiligungen der beiden Ministerien eingegliedert.«

Von Seite 3, Absatz 4, verlese ich einen Satz:

»Die beiden Ministerien beteiligen sich gegenseitig an der Planung der von ihnen oder auf ihre Veranlassung im Inlande herausgegebenen, aber für das Ausland bestimmten Propagandaschriften.«

Und schließlich auf Seite 4 werde ich einen Satz verlesen, vorletzten Absatz:

»Zur Zusammenfassung der offen in deutscher Hand befindlichen ausl. Sender, Sendegesellschaften und Beteiligungen an Sendergesellschaften, wird vom Auswärtigen Amt und vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda gemeinsam zu je 50 % die Dachgesellschaft ›Interradio A.G.‹ mit dem Sitz in Berlin betrieben.«

Der Gerichtshof wird sich an diese Worte »in deutscher Hand« erinnern. Der Hinweis, der daraus hervorgeht, wird durch ein letztes Zitat, einen Satz auf Seite 5, Anfang des zweiten Absatzes, ergänzt:

»Die getarnte (nach außen hin nicht in Erscheinung tretende) Beeinflussung ausl. Rundfunksender darf aus politischen Gründen mit der offenen gemeinsamen Dachgesellschaft nicht in Zusam menhang gebracht werden.«

Ich möchte, um den Vortrag über die Propaganda zu beenden, Dokument RF-1148 vorlegen. Dies ist ein Rundschreiben, das an alle deutschen Propagandastellen gerichtet ist. Ich glaube, daß, ein ganz kurzes Zitat aus diesem Dokument interessant sein wird, um die ganz allgemeine Anwendung der Propaganda als Mittel einer der vorbedachtesten und schwerwiegendsten Taten des Nazismus zu kennzeichnen: ich meine die Vernichtung der Nationalität und der [19] Existenz eines Landes. Es handelt sich hierbei um die Kultur und die Tradition der Tschechen. Ich zitiere von Ziffer 4 an:

»4. In positiver Weise ist die Zugehörigkeit der Tschechen zum europäischen Kulturkreis immer herauszustellen. Die weitgehende Beeinflussung, ja Abhängigkeit der tschechischen Kultur von der deutschen Kultur ist bei jeder Gelegenheit zu betonen, insbesondere auch die deutschen Kulturleistungen im böhmisch-mährischen Raume und ihre Wirkung auf das kulturelle Schaffen der Tschechen.

5. Es ist stets zu beachten, daß die Tschechen zwar eine slawische Sprache sprechen, sonst aber infolge ihres Jahrhunderte langen Zusammenlebens mit kulturell überlegenen deutschen Stämmen in deutschbestimmten Reichen, durchaus zum deutschen Kulturkreis gehören und mit anderen slawische Sprachen sprechenden Völkern beinahe nichts gemeinsam haben.

6. Historisch sind immer diejenigen Zeiten und Persönlichkeiten herauszustellen, in denen die Tschechen den Anschluß an die deutsche Kultur suchten und fanden: Wenzel der Heilige, Zeit Karls IV., Ferdinands I., Rudolfs II., böhmisches Barock usw.«

Schließlich lege ich Dokument RF-1149 vor; ich werde es jedoch nicht verlesen. Ich wollte dieses Dokument in unser Dokumentenbuch einfügen, denn es ist ein Jahresbericht über die Tätigkeit der Propaganda in einem der besetzten Länder, nämlich in Norwegen. Ich habe über dieses Land sehr ausführlich gesprochen und deshalb möchte ich dieses Dokument jetzt nicht zitieren, sondern nur erwähnen, daß die deutsche Propaganda Gegenstand ganz regelmäßiger Berichte war, die sich mit allen Fragen befaßten: Presse, Kino, Theater, Rundfunk, Kultur, Schule, Erziehung. Diese deutsche Propaganda geht daher, wie ich zu Anfang gezeigt habe, viel weiter als das, was wir früher unter Propaganda verstanden. Kein Gebiet unseres Lebens bleibt ihr fremd, nichts Persönliches wird von ihr geachtet. Sie wird zu einer Strafkolonie für den Geist, wo selbst der Fluchtgedanke ein gefesselter Gedanke wäre.

Wenn es dem Gerichtshof recht ist, möchte ich vorschlagen, daß wir die Pause jetzt einschalten, damit nach dieser Ausführung, die jetzt zu Ende ist, die wenigen Lichtbilder vorgeführt werden können, die keinen anderen Zweck haben als den, eine der alltäglichsten und scheußlichsten Unannehmlichkeiten unseres Lebens in den besetzten Gebieten zu veranschaulichen: Bei jedem Spaziergang mußten wir die gräßlichen und dummen Bilder der deutschen Propaganda sehen.

VORSITZENDER: Wir werden die Sitzung jetzt auf fünfzehn Minuten vertagen.


[Pause von 15 Minuten.]


[20] VORSITZENDER: Mit Bezug auf den Antrag, der vor der Verhandlungspause von dem Verteidiger des Generalstabes gemacht wurde, ist die Ansicht des Gerichtshofs wie folgt:

Erstens beschränkt sich bei der Beweisannahme der Gerichtshof nicht auf Aussagen von Augenzeugen, da nach Artikel 19 der Gerichtshof alles Beweismaterial zulassen kann, dem er Beweiskraft zuschreibt.

Zweitens steht nichts in dem Artikel 21 des Statuts, das als unzulässig bezeichnet, ein Mitglied eines Regierungsausschusses als Zeugen zu laden, um über einen Bericht dieses Regierungskomitees Aussagen zu machen. Der Gerichtshof ist jedoch der Ansicht, daß im Falle der Vorladung eines solchen Zeugen der Bericht des Regierungskomitees als Beweismittel eingereicht werden muß, und tatsächlich haben auch die Anklagevertreter sich bereit erklärt, diesen Bericht des Komitees als Beweisstück einzureichen; und nicht nur dies zu tun, sondern auch den Verteidigern die eidesstattlichen Erklärungen der Zeugen zur Verfügung zu stellen, auf Grund deren dieser Bericht zusammengestellt worden ist.

Drittens lagen andere Angelegenheiten vor, über die der Zeuge, Herr van der Essen, Aussagen gemacht hat, und die überhaupt nicht im Bericht standen – oder wenigstens hatte der Gerichtshof diesen Eindruck.

Der Beweiswert der Aussagen des Zeugen ist natürlich eine Angelegenheit, die der Gerichtshof prüfen muß. Es steht den Verteidigern frei, Beweise als Antwort auf die Aussage des Herrn van der Essen vorzulegen und auch seine Aussagen oder Beweisführung zu kommentieren oder zu kritisieren; soweit seine Aussagen in seinen eigenen Schlußfolgerungen bestanden, die er aus Gehörtem oder selbst Gesehenem zog. So soll die Richtigkeit dieser Schlußfolgerungen vom Gerichtshof geprüft werden; denn Schlußfolgerungen sind der endgültigen Entscheidung des Gerichtshofs vorbehalten.

Aus diesen Gründen wird der Antrag der Verteidigung abgelehnt.

Es wird mir gesagt, daß ich soeben nicht erwähnt habe, daß der Bericht als Beweisstück vorgelegt werden soll. Ich hatte die Absicht, das zu sagen und glaubte, daß ich es gesagt hätte. Ich wiederhole also, der Bericht muß als Beweisstück eingereicht werden, und da die eidesstattlichen Erklärungen den Verteidigern zur Verfügung gestellt werden sollen, müssen sie selbstverständlich auch dem Gerichtshof zur Verfügung stehen.


M. FAURE: Wenn es dem Gerichtshof recht ist, wird Herr Fuster die Lichtbilder, die ich eben erwähnte, vorführen.


M. SERGE FUSTER, HILFSANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Herr Vorsitzender, meine Herren! Ich soll Ihnen einige Leistungen der direkten Propaganda in den besetzten Ländern vorführen.

[21] Die Einwohner dieser besetzten Länder sahen während der ganzen Okkupationszeit die Häuserwände mit riesigen Plakaten in verschiedenen Farben und Texten beklebt. In allen diesen Staaten war sehr wenig Papier vorhanden, aber für Propaganda gab es stets genug. Diese Propaganda wurde ohne irgendwelche Glaubwürdigkeits- oder Moralgrenze getrieben. Sobald die Nazis glaubten, daß irgendeine Kampagne einen Erfolg, wie klein auch immer, hervorrufen könne, dann gingen sie damit los.

So sahen wir in Frankreich auf den Plakaten die Namen der berühmtesten Männer der Geschichte; und diese Männer wurden als Sprecher von Schlagwörtern gegen die Feinde Deutschlands dargestellt. Wir sahen die Namen von Clémenceau, von Montesquieu, und die Namen vieler anderer, denen man den Nazis günstig gesinnte Worte in den Mund legte, indem man aus ihren Werken einzelne Sätze herausschnitt.

Aber die deutsche Propaganda war mit der Verfälschung der großen historischen Genies unseres Volkes nicht zufrieden, sie bemühte sich auch, die heiligsten Gefühle zu verdrehen. Wir sahen in Frankreich Plakate, die zur Arbeit in Deutschland einluden und auf welchen eine Mutter zu ihren Kindern sagte: »Wie glücklich sind wir, seit Papa zur Arbeit nach Deutschland gefahren ist.« So wurde auch das, Familiengefühl für Nazi-Zwecke ausgenützt.

Die deutsche Propaganda bemühte sich auch, das Nationalgefühl zu verderben. Wir haben gesehen – und so war es in allen besetzten Ländern – wie Plakate angeschlagen waren, die junge Leute aufforderten, in der Deutschen Wehrmacht zu dienen. Herr Faure hat gestern erklärt, daß die armseligen Verbrecher, die in den verschiedenen Legionen dienten, ebenso als schuldig wie gleichzeitig als Opfer der Nazis erachtet werden konnten.

So hat die deutsche Propaganda, indem sie gleichzeitig den Genius eines Volkes wie auch dessen innerste Gefühle angriff, tatsächlich ein Verbrechen gegen den Geist verübt, das man gemäß dem Worte, das die Schlußanklagerede von Herrn Dubost krönt, nicht verzeihen darf.

Gewiß ist Propaganda erlaubt, aber sie hat ihre Grenzen und muß vor der Würde der menschlichen Person, vor den Gesetzen und vor der Moral haltmachen. In allen Ländern bestehen Garantien für den Schutz des Einzelmenschen, Gesetze gegen Verleumdung, gegen Beleidigung; die deutsche Propaganda konnte jedoch im Gegensatz dazu auf internationalem Gebiet diese Grenzen hemmungslos und straflos überschreiten, zumindest bis zu dem Tage der Bildung dieses Gerichtshofs, der sie nun eben zu richten hat.

Deshalb erschien es uns nützlich, ja notwendig, und wir betrachten es als unsere Pflicht, diesem Gerichtshof einige ihrer Leistungen vorzuführen. Wir haben nicht die bekanntesten ausgesucht, sondern [22] die originellsten, die die Ausschreitungen und Grenzfälle dieser Propaganda charakterisieren.

Zuerst wollen wir einen ganz kurzen Filmstreifen vorführen, der aus einem ganz eigenartigen Film gegen das Freimaurertum ausgeschnitten wurde. Dieser Film wurde uns von den Deutschen aufgezwungen, wie im Laufe der Anklagerede dargelegt worden ist. Der Film an sich bietet nichts Interessantes, enthält aber gewisse Bilder, welche die grobe Lügenkampagne veranschaulichen, die die Deutschen in Frankreich führten.

Da es ein sehr kurzer Film ist und sehr rasch auf der Leinwand abrollen wird – wir können ihn infolge technischer Schwierigkeiten nicht langsam laufen lassen – möchte ich vorher die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die zwei verschiedenen Bilderarten lenken, die ohne Übergang aufeinander folgen werden.

Das erste Bild stellt eine Landkarte dar, eine Karte der Welt. Diese Karte wird dann rasch mit einer Farbe bedeckt; diese Farbe entspricht dem Einfluß der Juden und der Freimaurer, ausgenommen zweier siegreicher Inseln, dem nazi-faschistischen europäischen Block einerseits und Japan andererseits.

Wir zeigen diese Bilder, um nachzuweisen, bis zu welchem Grad grober Vereinfachung die Nazi-Propaganda gelangte und wie sie dem Volk die billigsten und irrigsten Formeln vorzulegen versuchte.

Ein noch gemeineres Beispiel der Verleumdung folgt. Es wird das Bild von Präsident Roosevelt gezeigt, darunter die Worte: »Der Logenbruder Roosevelt will den Krieg.« Das ist alles, was ich aus dem Film herausgenommen habe. Ich will ihn nun vorführen lassen. Herr Abbett, Sie können beginnen.


[Vorführung des Films.]


M. FUSTER: Es handelt sich um den Film »Dunkle Mächte«. Hier ist die Weltkarte mit den Einflußzonen: die sowjetrussische Einflußzone, die britische und die amerikanische Einflußzone. Und jetzt Mai 1939.

VORSITZENDER: Ist die Musikbegleitung notwendig?


M. FUSTER: Ich bitte um Entschuldigung, aber es war unmöglich, diesen Film tonlos zu machen.


VORSITZENDER: Es läßt sich also nicht anders machen? Fahren Sie fort!


M. FUSTER: Die Geschwindigkeit der Vorführung machte es notwendig, daß wir einige Erklärungen über die Bilder geben, die dem Gerichtshof soeben gezeigt wurden. Wir glauben jedoch, daß der Hohe Gerichtshof einen Eindruck gewinnen konnte.

Wir wollen nun einige Plakataufnahmen vorführen. Diese Aufnahmen, im Gegensatz zu dem Film, dessen Geschwindigkeit nicht [23] vermindert werden kann, lassen sich nach Wunsch vorführen. Wir wollen sie der Reihe nach zeigen und bei jedem den geeigneten Kommentar abgeben.

Ich gebe dem Gerichtshof an, daß der soeben vorgeführte Film als Beweisstück RF-1152 sowie RF-1152b vorgelegt wird.

Die Manuskripte anderer Propagandafilme: »Herr Wetterfahne« und »Französische Arbeiter in Deutschland«, welche dem vor dem Gerichtshof des Departements Seine gegen Herrn Musard eingeleiteten Verfahren entnommen sind, werden ebenfalls den Sinn und den Inhalt der Propaganda veranschaulichen, die mit diesem Mittelbetrieben wurde.

Die Lichtbilder der Plakate, die wir nun vorführen werden, legen wir als RF-1153 vor. Bevor wir diese Lichtbilder zeigen, müssen wir noch einige Angaben über die Art und Weise machen, in der diese Plakatpropaganda durchgeführt wurde. Sie wurde mit sehr viel Sorgfalt betrieben, und in diesem Zusammenhang legen wir auch eine Broschüre vor, die alle Anweisungen für die Montage enthält und enthüllt, daß eine wirkliche Hierarchie entstanden war, die lang gereifte Projekte herstellte. Dies ist Dokument RF-1150. Wir verlesen es nicht, weil es eine Veröffentlichung ist, aber wir wollen seinen wichtigsten Inhalt kurz zusammenfassen.

Der Gerichtshof wird sehen, daß alle Einzelheiten mit größter Genauigkeit vorgesehen sind, so die Stellen, an denen die Anschlagtafeln angebracht waren und so weiter. All diese Plakate wurden von der Zentralstelle Berlin, DPA hergestellt. In ihrer ursprünglichen Form bestanden sie nur aus Bildern; mit Inschriften wurden sie erst in dem Lande versehen, für das sie bestimmt waren, denn diese Inschriften sollten in der betreffenden Landessprache abgefaßt und den örtlichen Verhältnissen angepaßt werden.

Sehr oft kommt es vor, daß die Deutschen den offiziellen deutschen Ursprung dieser Plakate nicht angeben; manchmal geben sie eine andere Herkunft an; sie benutzten zum Beispiel den Vermerk: »Gedruckt in Frankreich«, Inprimé en France. Und hier liegt eben das Interessante an dieser technischen Einzelheit. Der Vermerk »Gedruckt in Frankreich« bedeutet eigentlich nichts, da man ihn auf echten französischen Plakaten niemals findet. Auf französischen Plakaten steht nur der Name des Druckers, der im Gegensatz dazu auf deutschen Plakaten nicht zu finden ist. Aber die Deutschen konnten wahrscheinlich mit dieser Bezeichnung »Gedruckt in Frankreich« den Franzosen vorspiegeln, daß die angebotene Propaganda nicht unmittelbar feindlichen Ursprungs war. Das ist zugleich seltsam und aufschlußreich.

Wie wir bereits erklärten, ist die Reklame eine altbekannte Methode; aber das Nazi-Deutschland hat die Propaganda zu einer [24] öffentlichen Einrichtung gemacht und sie im internationalen Maßstabe auf sehr verwerfliche Weise mißbraucht.

Hier sind einige Entwicklungsstufen dieser Propaganda, die wir jetzt dem Gerichtshof vorführen werden:


[Eine Reihe von Plakatphotos wird vorgeführt.]

[Erstes Plakat:]


M. FUSTER: Ich muß dieses Plakat erklären, da es sehr schlecht zu sehen ist. Dem Text nach soll es die großzügige Einstellung der Sieger gegenüber den französischen Kriegsopfern darstellen. Der Text lautet: »Verlassene Bevölkerung! Vertraut den deutschen Soldaten.« Und man sieht einen deutschen Soldaten, der in seinen Armen kleine französische Kinder hält.

Aber während die Deutschen in Frankreich der Bevölkerung Vertrauen einzuflößen versuchten, sehen wir hier, was auf einem in Deutschland angeschlagenen zweiten Plakat bezüglich der französischen Kriegsgefangenen zu lesen war:

»Volksgenossen! Wahrt Eure nationale Würde. Verhalten gegenüber Kriegsgefangenen. Alle Volksgenossen haben folgende Punkte zu beachten:

Es ist unwürdig, einem Kriegsgefangenen irgendwelche Freundschaftsbezeigungen zu erweisen.

Es ist streng verboten, den Kriegsgefangenen irgendwelche Erfrischungen darzureichen. Eure Väter, Brüder und Söhne stehen im harten Kampf gegen einen Feind, dessen Ziel die Vernichtung des deutschen Volkes ist. Es besteht kein Grund, einem Feind eine solche Freundschaftsbezeigung zu erweisen, selbst wenn er als Gefangener kommt.

Feind bleibt Feind.«

Jetzt bringen wir eine Reihe von Photographien von Plakaten, welche dazu bestimmt waren, den Franzosen ihre wahren Feinde zu zeigen. Ich möchte aber vorher den Gerichtshof bitten, mir zu sagen, ob man bei dem schlechten Licht gut genug sieht.

VORSITZENDER: Ja, ich glaube, wir sehen deutlich genug.

M. FUSTER: Ich danke sehr, Herr Vorsitzender.

Wir fahren fort:

Diese erste Aufnahme aus der Reihe von Plakaten, die der französischen Bevölkerung ihre wahren Feinde zeigen sollte, ist betitelt: »Die Märchen kommen immer aus demselben Nest.«

Der angegebene Feind ist England; und auf dieser Karikatur sollen die Vögel mit Menschenköpfen beweisen, daß die Stimme des »Freien Frankreich« in nichts als Märchen bestehe, die durch Freimaurerabzeichen und Sinnbilder der jüdischen Religion [25] gekennzeichnet werden. Die Plakate, die diese Vögel tragen und die die Schlagworte der englischen Propaganda herausfordern, haben heute einen ziemlich belustigenden Charakter, wenn wir lesen: »Die Deutschen nehmen alles«. »Wir haben die Herrschaft der Meere«, natürlich betrifft das die Alliierten und so weiter.


[Ein neues Plakat wird gezeigt.]


Wir sind immer noch in der antienglischen Propaganda. Es ist das Lieblingsthema der deutschen Propaganda.

Diese Photographie trägt die Bezeichnung: »Unseren Kreuzweg verdanken wir den Engländern.«

Damit sollten den Franzosen gewisse geschichtliche Ereignisse in die Erinnerung gerufen und gezeigt werden, daß die Engländer immer die Quelle französischer Leiden gewesen sind; Jeanne d'Arc, Napoleon, der Krieg 1939/40 sind die Hauptthemen des Plakats.


[Neues Plakat]:


Diese Photographie stellt die englische Hydra dar, die Afrika gepackt hat, deren Fänge aber in Deutschland, Norwegen und merkwürdigerweise Syrien erbarmungslos durchgeschlagen sind. Der Text dieses Plakats lautet: »Die Amputationen der Hydra setzen sich methodisch fort«.


[Neues Plakat]:


Dieses Plakat hat folgenden Wortlaut, den man übrigens kaum sehen kann: »Der Alliierte von Gestern. Große Versprechungen vor dem Kriege. Während des Krieges keine Hilfe, Rückzug und Flucht des englischen Expeditionsheeres. Nach dem Zusammenbruch Bombardierung französischer Städte und Blockade. Schluß damit!«


[Neues Plakat]:


Das Plakat Nummer 7 ist in gleicher Weise gegen England gerichtet. Es zerfällt in drei Teile: »Gestern, Heute – Morgen?«

Die Deutschen entwickeln nicht nur das Thema der angelsächsischen Begierde, die sie durch eine Hydra oder durch eine Bulldogge versinnbildlichten, sondern auch das Thema der Seegeltung der besetzten Gebiete.

Zu diesem Gegenstand zeigen wir Ihnen Photos französischer und norwegischer Plakate.

Dieses Plakat trägt den Untertitel: »Mit diesem de Gaulle (Angelrute) fangen Sie nichts, meine Herren.«

Britische Fettleibigkeit und jüdischer Kapitalismus werden in einem bis zum Überquellen gefüllten Boote dargestellt, das durch die Kanonen von Dakar angehalten wird. Der Stil der Inschrift sowie die Geste des Matrosen sind typisch deutsch. Ein Franzose würde[26] gesagt haben: »Mit diesem Gaulle da...« und die Anspielung wäre klar genug gewesen.

Plakat Nummer 9 fordert zum Eintritt in die Kriegsmarine auf.

»Der Augenblick der Befreiung der Meere ist gekommen!«

Hier ist ein norwegisches Plakat: »Verteidige Norwegen, tritt in die Deutsche Kriegsmarine ein!

Die Anwerbung kann bei folgenden Stellen erfolgen:

  • 1. bei allen Dienststellen der Deutschen Ordnungspolizei;

  • 2. bei allen Kommandanturen der Deutschen Wehrmacht;

  • 3. bei allen deutschen Befehlshabern der Häfen und Hafenüberwachungsstellen;

  • 4. bei dem Kommandant der SS-Reserve Norwegen, in Oslo und so weiter.«

Hier ist wiederum ein norwegisches Plakat mit der Überschrift: »Alles für Norwegen. Hilfe, die von England kam.«

Es versucht der Zivilbevölkerung zu zeigen, daß Ruinen, Brände und Zerstörung die einzigen Wohltaten des englischen Bündnisses darstellen.

Hier kommt nun der zweite Feind an die Reihe: Amerika wird in den Plakaten behandelt, die nun vorgeführt werden.

»Die Amerikanische Presse, mindestens zu 97 % in Händen der Juden!« Dies erlaubt, zu gleicher Zeit auf zwei Feinde zu zielen: Die Juden und Amerika.

Das folgende, zwölfte, Plakat trägt in der Mitte den folgenden Text: »Sie haben den Krieg gewollt«; und sie, die Subjekte dieses Satzes, werden durch sechs Lichtbilder dargestellt. Diese Personen, die für den Krieg verantwortlich sind, sitzen hier nicht auf der Anklagebank; es sind sechs Amerikaner, Richter, Beamte oder Männer des öffentlichen Lebens. Ihre Namen waren dem französischen Publikum kaum bekannt, weil sie sie selten auf der Leinwand gesehen hatten, mit Ausnahme von La Guardia.

Diejenigen, die in Frankreich Wirtschaftsartikel gelesen hatten, kannten Herrn Morgenthau. Es war jedoch schwierig, Franzosen davon zu überzeugen, daß die Herren Baruch, Frankfurter, Wise und Lehman die Urheber des gegenwärtigen Krieges, und Hitler und Göring deren Opfer seien. Doch, wie ich bereits gesagt habe, schreckte die nationalsozialistische Propaganda vor keiner Unwahrscheinlichkeit zurück.

Die jetzt folgende dreizehnte Photographie ist hübscher. Sie zeigt die zwei Seiten einer Dollarnote mit zwei Beschriftungen, die durch einen Freimaurerstern getrennt sind, der folgende Inschrift trägt: »Ein Dollar hat keinen Wert, wenn er nicht von Morgenthau unterschrieben ist.«

[27] Hier sind die Texte der Beschriftungen, die die Phantasie ihrer Nazi-Schöpfer beweisen. Der Text auf der linken Seite lautet wie folgt:

»Der Minister des Schatzamtes ist der Jude Morgenthau jr.

Er ist mit den großen internationalen Finanzhaien verwandt.

Alle jüdischen Zeichen finden sich auf dieser Banknote: der jüdische Adler, das Dreieck, das Auge Jehovas, die 13 Buchstaben des Sinnspruches, die 13 Sterne der Strahlenkrone, die 13 Pfeile, die 13 Olivenzweige, die 13 Stufen der unvollendeten Pyramide. Dieses Geld ist wirklich jüdisch.«

Der Text auf der rechten Seite lautet:

»Dieser Dollar hat den jüdischen Krieg bezahlt: Die einzige Botschaft, die die Anglo-Amerikaner an uns richten können. Genügt er, um die Leiden zu bezahlen, die uns dieser jüdische Krieg zufügt ? Geld stinkt nicht, wohl aber der Jude.«

Hier das vierzehnte: »Roosevelt und Churchill teilen sich Afrika,«

Und das fünfzehnte:

Jetzt kommt die wirkliche antisemitische Propaganda, die wir bereits verbunden mit anti-englischer und anti-amerikanischer Propaganda vorgefunden haben.

Die Photographie zeigt Kinder einer französischen Berufsschule, die zu einer anti-jüdischen Ausstellung geführt und in deren Hände anti-jüdische Schriften gelegt werden.

Hier auf dem sechzehnten Plakat ist die jüdische Invasion dargestellt: Frankreich wird von einer symbolischen Hydra angefressen und mit Zahlen überschrieben: Im Jahre 1914: 200000 Juden, im Jahre 1939: 800000 Juden, von Halbjuden nicht zu sprechen.

Siebzehntes Plakat:

»Die Juden haben das Recht zu leben, wir haben das Recht zu verrecken. Unter den Beschuldigungen des vordringenden Judentums vermehren sich die Kreuze der Kriegsopfer.«

Die Propaganda sucht einerseits die jüdische Masse zusammenzufassen und zu isolieren und andererseits den Haß der übrigen Bevölkerung gegen die Juden zu erwecken. Sie versucht Frankreich zu teilen.

Schließlich sehen wir auf diesem Plakat den fürchterlichen russischen Feind: Ein gefoltertes Menschenvieh schleppt eine mit Steinen beladene Lore, während ein uniformiertes Ungeheuer mit Knute oder Nagaika peitscht und mit dem Revolver droht.

Dieses Plakat sollte zuerst in eine größere Montage eingearbeitet werden, die den Titel trug: »Das Paradies der Arbeiter«, was es noch interessanter gemacht hätte. Aus Zeitmangel wurde das Plakat [28] im Originalzustand veröffentlicht. Wir legen jedoch das Montageprojekt dem Gerichtshof als RF-1151 vor.


[19. Plakat]:


Dies ist ein schönes norwegisches Plakat.

Ein »Nein« in Form eines Blitzes schlägt die russische Hand, welche die Nationalfahne zu zerreißen versucht.


[20. Plakat]:


»Niemals.« Ein romantisches Bild, das an gewisse russische Bilder des vorigen Jahrhunderts erinnert. Der Tod begleitet einen Deportiertenzug. Die Nazis zeigten, daß sie sich hier genau auskannten.


[21. Plakat]:


Das letzte Bild über Rußland: »Dies würde der Bolschewismus über Europa bringen.« Auf der Karte sind Szenen von Verstümmelungen, Kindermorden, Notzüchtigungen, Erhängungen und Morden zu sehen, genau das, was die Nazi-Bewegung über Europa gebracht hat.


[22. Plakat]:


Dieses Europa sollte sich jedoch des Glückes, von dem Führer geführt zu werden, seiner Macht und seiner Einheit bewußt werden, um die barbarischen Feinde siegreich zu bekämpfen. Hier ist die Photographie eines Plakates: »Ein Führer und sein Volk«. Hitler ist mit allen Vorzügen begabt: Sanftmut, Anspruchslosigkeit, Verständnis, während der hier unleserliche Text daran erinnert, daß dies Hitler, der unbekannte Soldat des ersten Krieges ist.

Wir möchten den Gerichtshof auf die Aufnahme aufmerksam machen.

VORSITZENDER: Können Sie dem Gerichtshof sagen, wie lange Sie noch brauchen werden?

M. FUSTER: Ungefähr zehn Minuten, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Setzen Sie fort!


M. FUSTER: Die Photographie links zeigt Hitler, wie er die Hand eines kleinen Mädchens schüttelt; darunter steht: »Die kleine Gratulantin«. Dieser Ausdruck »Gratulantin«, »Gratulatrice«, ist nicht französisch und verrät die Herkunft des Dokuments.


[23. Plakat]:


Hier ist ein Plakat, das in Frankreich weit verbreitet wurde: »Ich arbeite in Deutschland für meine Familie und für Frankreich. Tue wie ich.«


[29] [24. Plakat]:


Das nächste Bild:

»18-43«: Die Geschichte spricht: »1918 der Zusammenbruch; 1943 die große Einheit.«

Dieses Plakat entspricht den Inschriften, die die Patrioten an die Mauern Frankreichs schrieben. Die deutsche Niederlage rückte immer näher und man konnte hoffen, daß zu Ende des Jahres 1943, Wie dies zu Ende des Jahres 1918 erfolgte, der Endsieg errungen sein wird.

Die Nazis konnten den überwältigenden Berichten nur Dementis und solche Plakate wie dieses entgegensetzen, um die große Einheit Europas zu behaupten.


[25. Plakat]:


Hier ist ein Plakat, das gleichzeitig die schaffenden Kräfte zusammenfaßt: »Die besten Arbeiter schmieden die Waffen für die besten Soldaten.« – »Unbesiegbares Europa.«


[26. Plakat]:


Schließlich erhebt sich die Propaganda auf das Niveau des Kampfes zwischen politischen Weltanschauungen. »Der Sozialismus gegen den Bolschewismus oder ein freies Europa.«


[27. Plakat]:


Glaubenslehre: Ein norwegisches Plakat, welches die englisch-russische Allianz lächerlich macht. Es trägt die Bezeichnung: »Gesegnete Begegnung.« Ein anglikanischer Bischof mit einer Phosphorbombe in der Hand, bietet dem Popen Stalin ein Kreuz an, das Finnland darstellen soll. Stalin nimmt es, die Augen gen Himmel gerichtet und ein Maschinengewehr im Arm.

Eine Inschrift lautet: »Das Christentum wird in Sowjet-Rußland eingeführt« und ein Text lautet: »Mein lieber Bruder. Mit diesen schönen Kreuzen wollen wir Deinen Glauben stärken.«


[28. Plakat]:


»Der Anti-Christ. Der Kommunismus als Plage der Zivilisation. Der Bolschewismus gegen Europa. Internationale Ausstellung 12. Juli bis 15. August 1941.«

Die Nazis gaben sich als Verteidiger des Christentums aus.


[29. Plakat]:


Hier ist zum Abschluß, was die Verteidiger des Christentums mit der Kirche von Oradour-sur-Glane gemacht haben.

[30] Wir sind jetzt mit der Vorführung dieser Bilder fertig. Wir haben uns erlaubt, dem Gerichtshof die Plakate einer Tendenz zu zeigen, deren geistiger Charakter uns vielleicht wenig rührt, deren Bedeutung aber sehr groß ist.

Um einen geistig so wichtigen und subtilen Gegenstand zu behandeln, mußten wir uns der bildlichen Darstellung bedienen, die ihn besser ausdrückt als Worte; denn die Bilder zeigen in einem Augenblick das, was der Vortrag nur langsam entwickeln kann.

Wir hoffen, daß wir durch dieses Mittel beigetragen haben, die Wahrheit zu finden.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.10 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 7, S. 7-32.
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