Vormittagssitzung.

[226] VORSITZENDER: Dr. Horn, ich glaube, Sie haben zum Schluß über Dahlerus gesprochen.

DR. HORN: Das ist richtig, Herr Präsident.

Als nächsten Zeugen bitte ich das Hohe Gericht, den General Kostring, früheren Militärattaché in Moskau, zur Zeit im Zellengefängnis in Nürnberg, zu laden.

In diesem Falle bin ich auch bereit, auf das persönliche Erscheinen des Zeugen zu verzichten, wenn die Ausstellung eines Affidavits gestattet ist.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir erheben gegen die Ladung dieses Zeugen Einspruch, deshalb kann Dr. Horn so ausführlich sprechen, wie er es wünscht.


VORSITZENDER: Sie erheben Widerspruch?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl.


VORSITZENDER: Gut. Bitte fahren Sie fort!


DR. HORN: Ich möchte das Hohe Gericht doch bitten, in diesem Fall den Zeugen zu laden. Zunächst bestand Aussicht, wie mir mitgeteilt wurde, daß der Zeuge durch die Staatsanwaltschaft vorgeführt würde. Nachdem das nicht geschehen ist, bitte ich um Genehmigung dieses Zeugen, da er an den deutsch-russischen Verhandlungen vom August bis September 1939 in Moskau teilnahm und in seiner Dienststellung bis zum Ausbruch der Feindseligkeiten gegen Rußland blieb. Der Zeuge kann daher die Einstellung der maßgebenden deutschen Kreise und Männer zum russisch-deutschen Pakt bekunden.

Aus diesem Grunde bitte ich das Gericht, ihn zu laden.


GENERAL RUDENKO: Wie Sir David Maxwell-Fyfe bereits erklärte, erhebt die Anklagebehörde Einspruch gegen die Ladung dieses Zeugen. Ich möchte lediglich den Standpunkt der Anklagebehörde in diesem Falle näher erläutern. Der Umstand, daß der Zeuge an den Verhandlungen von August bis September 1939 teilnahm oder bei ihnen anwesend war, ist kaum von Interesse für den Gerichtshof. Der Gerichtshof geht in erster Linie von der Tatsache aus, daß dieses Übereinkommen bestanden hat und von Deutschland treulos gebrochen wurde. Demzufolge würde die Ladung dieses Zeugen zur Darstellung der Verhandlungen lediglich eine Verschleppung des Prozesses bedeuten.


[226] DR. HORN: Verzeihen Sie, Herr Präsident, ich habe die Antwort, die Begründung des Herrn Generals nicht verstehen können.


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte wiederholen, Herr General?


GENERAL RUDENKO: Gewiß, gerne. Unter Bezugnahme auf Sir Davids Einspruch gegen die Ladung des Zeugen, den er im Namen der Anklagebehörde erhob, habe ich gesagt, daß ich erläutern wollte, daß die Ladung dieses Zeugen wegen seiner Anwesenheit bei den Verhandlungen in Moskau im Jahre 1939 für den Gerichtshof vollkommen ohne Interesse sei. Der Gerichtshof geht von der Tatsache aus, daß dieses Übereinkommen im Jahre 1939 abgeschlossen und von Deutschland treulos gebrochen wurde. Ich bin der Ansicht, daß die Vorladung dieses Zeugen vor den Gerichtshof überflüssig ist, da der Zeuge mit dem gegenwärtigen Prozeß nichts zu tun hat.


DR. HORN: Ich bitte, das Hohe Gericht darauf aufmerksam machen zu dürfen, daß General Köstring wochenlang im Zellengefängnis in Nürnberg war und der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestanden hat; ich bitte daher das Gericht, ihn mir aus den angeführten Gründen als Zeugen zu gewähren.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird darüber beraten.

Dr. Horn, der Gerichtshof sieht nicht ein, wieso die Tatsache, daß sich General Köstring im Gefängnis in Nürnberg befindet, eine Antwort auf den von der Anklagebehörde erhobenen Einwand ist, daß der Gerichtshof nicht an den Verhandlungen im September 1939, sondern nur an der Verletzung des Vertrags interessiert ist. Der Gerichtshof möchte wissen, ob Sie eine Antwort auf diesen Einwand zu geben haben? Bis jetzt haben Sie lediglich gesagt, daß General Köstring hier in Nürnberg ist.


DR. HORN: Herr Präsident, General Köstring soll bezeugen, daß der Pakt mit Rußland von Seiten Deutschlands und von selten meines Mandanten in der Absicht geschlossen wurde, ihn zu halten. Weitere Ausführungen zu diesem Punkte möchte ich im Augenblick nicht machen und bitte das Gericht, ihn mit dieser Begründung zu laden.


VORSITZENDER: Sehr gut, der Gerichtshof wird über Ihren Antrag beraten.


DR. HORN: Der nächste Zeuge, der Vortragende Legationsrat Dr. Hesse, früher im Auswärtigen Amt in Berlin, derzeit vermutlich im Lager Augsburg.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir haben gegen diesen Zeugen keine Einwendung, Euer Lordschaft. Ich weiß jedoch nicht, ob Dr. Horn den Zeugen persönlich vorzuladen wünscht, oder ob nicht ein Affidavit genügt. Die Anklagebehörde will sich hier nicht festlegen, bittet jedoch Dr. Horn, wenn möglich, sich mit einem [227] Affidavit zu begnügen, und schlägt vor, er solle es in diesem Fall in Erwägung ziehen.


DR. HORN: In diesem Fall werde ich mich mit einem Affidavit begnügen.

Der nächste Zeuge ist der frühere Botschafter in Bukarest, Fabricius, vermutlich in alliierter Haft in der amerikanischen Besatzungszone oder bereits aus dieser Haft entlassen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es wird in diesem Fall kein Einwand erhoben. Anscheinend wird der Zeuge über eine Besprechung aussagen, über die dem Gerichtshof bereits Beweise vorliegen, und er wird eine andere Darstellung über sie geben. Unter diesen Umständen erhebt die Anklagebehörde keinen Einwand.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird darüber beraten.


DR. HORN: Der nächste Zeuge ist Professor Karl Burckhardt, Präsident des Internationalen Roten Kreuzes in Genf, früher Völkerbundskommissar in Danzig.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Dr. Burckhardt befindet sich offensichtlich in einer ganz besonderen Stellung. Als Präsident des Internationalen Roten Kreuzes ist er eine Persönlichkeit, der alle kriegführenden Länder, gleichgültig welcher Nationalität, Dank schulden. Die Anklagebehörde steht hier auf folgendem Standpunkt: Wenn er über Beweismaterial sprechen kann, das von Hitler selbst kommt, das heißt, wenn er bekunden kann, daß er von Hitler erfahren hat, der Angeklagte Ribbentrop hätte sich eingeschaltet, oder daß er Briefe gesehen hat, die Hitler von Ribbentrop erhalten hatte, dann würde die Anklagebehörde keinen Einwand erheben.

Wenn er jedoch nur sagen könnte, Ribbentrop habe ihm davon erzählt, dann würde die Anklagebehörde Einspruch erheben. Es scheint uns daher am zweckmäßigsten, daß er ein Affidavit darüber abgeben sollte, woher sein Wissen stammt; wenn dies geschehen ist, und seine Informationsquellen zufriedenstellend sind, dann wird die Anklagebehörde gerne die Bekundungen Dr. Burckhardts entgegennehmen.

Der zweite Punkt, die Frage des Ergebnisses des englischen Garantieversprechens an Polen für Danzig, ist unserer Meinung nach unerheblich.


DR. HORN: Außer den bereits in meinem Antrag eingereichten Gründen kann ich noch anführen, daß Professor Burckhardt Ribbentrop und Hitler im Jahre 1943 in Berlin einen Besuch abstattete und daher eingehende Angaben über die in meinem Gesuch ausgeführten Gründe für die Ladung machen kann; das beantwortet die erste Frage von Sir David. Ich bin aber in diesem Falle auch [228] damit einverstanden, daß Professor Burckhardt das Erscheinen hier durch Abgabe eines Affidavits erspart wird.

Der nächste Zeuge ist der Gesandte der Schweiz, Feldscher, der unseres Wissens zuletzt Gesandter in Berlin war.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte vorschlagen, daß in seinem Fall genau so verfahren wird wie bei Dr. Burckhardt.


DR. HORN: Ich bin damit einverstanden, Herr Präsident. Der nächste Zeuge ist der ehemalige Premierminister von Großbritannien, Mr. Winston Churchill.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Die Anklagebehörde erhebt Widerspruch gegen diesen Antrag und behauptet bei aller Hochachtung für Dr. Horn, daß der dem Gerichtshof vorliegende Antrag keine durchschlagende Begründung enthält. Der erste Teil ist anscheinend ein Bericht über eine Besprechung, die Tatsachen dieses Prozesses nicht berührt. Im zweiten Teil wird auch eine Besprechung erörtert, welche offenbar einige Jahre vor dem Krieg zwischen dem Deutschen Botschafter und einem Herrn, der damals keine Amtsstellung in England bekleidete, stattfand. Was jedoch die Erheblichkeit der Besprechung für irgendeine Streitfrage dieses Prozesses anbelangt, so behauptet die Anklagebehörde ergebenst, daß diese nicht nur nicht ersichtlich ist, sondern überhaupt nicht existiert.


DR. HORN: Gegen die Ausführungen von Sir David möchte ich zunächst auf folgendes hinweisen: Der Premierminister Winston Churchill war zu jener Zeit der Führer der Opposition im Parlament Seiner Britischen Majestät. In dieser Eigenschaft kann man ihm eine Art amtliche Stellung unterschieben, umsomehr, als er als Führer der Opposition meines Wissens sogar besoldet wurde...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin überzeugt, daß Dr. Horn der letzte wäre, der sich auf etwas berufen würde, worüber er falsch unterrichtet ist. Herr Churchill war niemals Führer der Opposition im Parlament Seiner Majestät und ganz bestimmt nicht von 1936 bis 1938, als der Angeklagte Ribbentrop Botschafter war. Herr Attlee war damals der Führer der Opposition. Herr Churchill war damals nicht im Amt; er war lediglich ein gewöhnliches, unabhängiges Mitglied der Konservativen Partei. Ich wünsche nicht, daß mein Freund irgendwelchen Mißdeutungen ausgesetzt wird.

DR. HORN: Jedenfalls, Herr Präsident, war Churchill einer der in Deutschland bekanntesten Staatsmänner. Diese Äußerung, die Churchill damals bei seinem Besuch in der Botschaft abgab, wurde von Ribbentrop sofort an Hitler berichtet; sie ist mit hochgradiger Wahrscheinlichkeit einer der Gründe, die Hitler zu seinen, in dem sogenannten Hoßbach-Dokument, das als 386-PS vorgelegt wurde, [229] für die Beteiligten so überraschenden Äußerungen und Ausführungen veranlaßte, in denen von der Anklage der erste schlüssige Beweis für das Bestehen einer Verschwörung im Sinne der Anklage gesehen wurde. Ich darf weiter ausführen, daß der englische Anklagevertreter Jones geäußert hat, daß man nach der Besitzergreifung der Tschechoslowakei durch Deutschland in England und Polen ängstlich geworden sei. Deshalb trat man in Besprechungen zwischen England und Polen ein und schloß das Garantieversprechen ab. Auf Grund der erwähnten Äußerung von Churchill und anderer maßgeblicher englischer Staatsmänner, wonach England in wenigen Jahren eine Koalition gegenüber Deutschland zustandebringen würde, um ihm mit allen Machtmitteln entgegenzutreten, wurde Hitler nunmehr in erhöhtem Maße besorgt, seine Rüstungen zu verstärken und sich mit strategischen Plänen zu beschäftigen. Aus diesem Grunde halte ich die Aussage Churchills für so außerordentlich wichtig und bitte um Ladung dieses Zeugen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe meine Ansicht bereits zum Ausdruck gebracht, Euer Lordschaft und glaube, dem nichts hinzufügen zu können.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wünscht, daß Dr. Horn seine Ausführungen zu diesem Punkt, die der Gerichtshof nur über das Mikrophon gehört hat, schriftlich vorlegt.


DR. HORN: Als nächste Zeugen möchte ich Lord Londonderry, Lord Kemsley, Lord Beaverbrook und Lord Vansittart vernehmen. An diese Zeugen sind bereits Fragebogen hinausgegangen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Diese Zeugen werden durch Fragebogen gehört; wir haben gegen diese Fragebogen nichts einzuwenden.


DR. HORN: Als nächsten Zeugen benenne ich Admiral Schuster, zuletzt in Kiel.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir erheben gegen die Ladung Admiral Schusters Widerspruch. Er wird beantragt, weil er an den Verhandlungen teilgenommen hat, die zum Deutsch-Englischen Flottenabkommen vom Jahre 1935 führten. Anscheinend soll bewiesen werden, daß dieses Abkommen auf Veranlassung des Angeklagten Ribbentrop geschlossen wurde.

Die Anklagebehörde ist der Ansicht, daß dies unerheblich ist, und daß die Verhandlungen vor Abschluß des Abkommens unerheblich sind; der Vertrag liegt dem Gerichtshof vor, damit er von ihm amtlich Kenntnis nehme; mein Freund kann jedes beliebige Argument darauf stützen. Im allgemeinen aber möchte die Anklagebehörde nachdrücklich bemerken, daß es eine untragbare Zeitverschwendung bedeuten würde, auf Verhandlungen einzugehen, die den seit langem in Kraft befindlichen Verträgen vorangingen, [230] zumal so viele außerordentlich wichtige Streitfragen dem Gerichtshof vorliegen.


DR. HORN: Wir verhandeln gerade in diesem Prozeß über das Problem von Planen und Vorbereiten. In diesem Zusammenhang ist es sicher nicht unwesentlich, das zu hören, was damals von der Deutschen Regierung und insbesondere von dem Angeklagten von Ribbentrop geplant und vorbereitet worden ist. Diese Planungen und Vorbereitungen, die damals in den Verhandlungen, die zum Abschluß des Flottenvertrages führten, geschahen, gingen weiter als nur bis zum Abschluß dieses Vertrags. Der Vertrag war von dem Angeklagten Ribbentrop zumindest – und das kann der Admiral Schuster bezeugen – als erster Baustein in einem engen Bündnisvertrag zwischen England und Deutschland gedacht. Um diese Absichten dem Gericht deutlich zu machen und damit die Politik, die der Angeklagte von Ribbentrop verfolgte, halte ich diesen Zeugen für wichtig und bitte Sir David, seinen Standpunkt zu modifizieren.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bedauere dazu nicht in der Lage zu sein. Meine Kollegen und ich haben diese Frage sehr sorgfältig geprüft, und ich habe unsere allgemeine Ansicht über Verhandlungen vor Vertragsabschluß dargelegt, besonders über Verträge, die so lange schon in Kraft sind. So gerne ich auch Dr. Horn entgegenkommen möchte, kann ich seiner Bitte in diesem Punkt leider nicht entsprechen.


GENERAL RUDENKO: Ich möchte die Ausführungen meines Kollegen Sir David wie folgt ergänzen:

Dr. Horn hat gebeten, den Standpunkt der Anklagebehörde zu begründen. Ich glaube, daß es einen Punkt gibt, in dem die Ansichten der Anklagebehörde und der Verteidigung grundlegend auseinandergehen: Die Verteidigung beantragt Zeugen, legt Beweise vor und versucht nachzuweisen, daß die Angeklagten bemüht waren, Verträge zu schließen, die den Frieden fördern sollten. Wir gehen von einer anderen Tatsache aus, nämlich von der treulosen Verletzung geschlossener Verträge und von der Begehung von Verbrechen in Verletzung dieser Verträge. Es scheint mir daher ganz überflüssig, Zeugen vorzuladen, um in Anbetracht dieser Erwägungen zu beweisen, daß sich die Angeklagten bemühten, friedliche Vereinbarungen abzuschließen. Der Bruch und treulose Verrat dieser Verträge sind allgemein bekannte Tatsachen.


VORSITZENDER: Dr. Horn, um prüfen zu können, ob diese Art von Beweisen erheblich ist, möchte ich Sie folgendes fragen:

Angenommen, daß Ribbentrop wünschte, zu einem Übereinkommen mit England zu kommen und einen Krieg Deutschlands mit England zu vermeiden, wieso würde dies erheblich sein für die Anschuldigung, daß Deutschland einen Krieg gegen Polen plante?


[231] DR. HORN: Herr Präsident, um diese Frage im Sinne der gesamten Verteidigungsrührung entscheidend beantworten zu können, müßte ich auf die gesamten politisch-diplomatischen Zusammenhänge der Zeit vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges kommen. Zwecks Begründung der Ladung von Zeugen möchte ich mich hier noch nicht in Ausführungen derart grundlegender Natur einlassen, ehe ich mich nicht nach gewissenhafter Prüfung meines Beweismaterials wirklich auf eine feste Ansicht festlegen kann. Der Herr Präsident hat in dem Beschluß über die Begründung dieser Zeugenladungen zum Ausdruck gebracht, daß das Gericht uns behilflich sein wird, die Zeugen und das Beweismaterial beizuschaffen; ich habe das so aufgefaßt, daß wir hier nur Gründe für die Ladung von Zeugen vor zubringen haben, die uns höchstwahrscheinlich von den Zeugen nach Information bestätigt werden.

Ich möchte mich, um es ganz klar zu sagen, noch nicht präjudizieren.


VORSITZENDER: Es ist eine wesentliche Frage, die wir bei der Erwägung, welche Beweise erheblich sind, zu berücksichtigen haben. Wenn Sie sich aber in diesem Punkt nicht festlegen wollen, können Sie jetzt fortfahren.


DR. HORN: Der nächste Zeuge ist der Botschafter Dr. Paul Schmidt, ehemaliger Dolmetscher im Auswärtigen Amt, zur Zeit vermutlich in Oberursel im Vernehmungslager.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof, die nächsten beiden Zeugen, die in dem Antrag zusammengefaßt sind, sollen beweisen, daß der Angeklagte fünf- oder sechsmal Hitler seinen Rücktritt angeboten hat. Auch hier vertrete ich die Ansicht, die ich dem Gerichtshof schon mehrere Male vorgetragen habe, daß wir gegen diese Zeugen keine Einwendung erheben, wenn sie eine Äußerung Hitlers zu diesen Angeboten bekunden können.

Wenn sie jedoch nur aussagen können, daß Ribbentrop ihnen mitgeteilt habe, er hätte seinen Rücktritt angeboten, dann bringt uns dies nach Ansicht der Anklagebehörde nicht weiter. Es kann jedoch auch möglich sein, daß diese Zeugen an Hitler gerichtete Schreiben gesehen haben; wenn das bewiesen werden soll, dann könnte das Zeugnis nach Ansicht der Anklagebehörde erheblich sein, sicherlich für die Frage des Strafausspruches. Ist das nicht der Fall, dann würde sich die Anklagebehörde das Recht vorbehalten, zu erklären, ob im Hinblick auf die Bestimmungen des Statuts die Frage der Schuld oder Unschuld berührt wird. Ich halte es daher für ein zweckmäßiges Vorgehen, daß diese beiden Herren eidesstattliche Erklärungen darüber abgeben, woher ihre Kenntnis stammt; das würde den Punkt erledigen, den ich dem Gerichtshof vorgetragen habe.


[232] VORSITZENDER: Schlagen Sie eine vorläufige eidesstattliche Erklärung oder einen Fragebogen vor? Wäre ein Fragebogen nicht besser?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich stimme Ihnen zu, Euer Lordschaft. Ein Fragebogen, der darüber Aufschluß gibt, woher das Wissen rührt, wäre das beste.

Ich glaube nicht, daß es sich lohnen würde, zweimal in die Kirsche zu beißen, wenn ich diese Redewendung gebrauchen darf.


DR. HORN: Über die nächsten beiden Zeugen kann zusammen gesprochen werden. Ich glaube, schon sagen zu dürfen, daß mir Sir David dieselben Gründe entgegenhalten wird, wie bei den anderen Zeugen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich denke, Euer Lordschaft, daß mein Freund und ich darin übereinstimmen, daß sie mit der Entscheidung des Gerichtshofs über Admiral Schuster stehen oder fallen.


DR. HORN: Dann würde ich auf die beiden Zeugen verzichten, wenn das Gericht mir dafür Admiral Schuster zubilligen würde.

Der nächste Zeuge ist der frühere Chef des Protokolls im Auswärtigen Amt, Dörnberg, zur Zeit höchstwahrscheinlich interniert in Augsburg.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Auch hier vertrete ich mit der größten Hochachtung die Ansicht, daß die Ansichten Dörnbergs über die Glaubwürdigkeit Graf Cianos nicht erheblich sind. Wenn wir dazu kämen, Zeugen zu laden, die ihre Ansicht über die Glaubwürdigkeit oder andere Wesenszüge der Staatsmänner Europas darlegen, würde der Gerichtshof ein Verfahren einschlagen, das wohl sehr lange Zeit in Anspruch nehmen, aber zu keinem wesentlichen Ergebnis führen würde. Ich erkläre daher ergebenst, daß es sich hier um eine Art von Beweisthemen handelt, auf die der Gerichtshof sich nicht einlassen sollte.


DR. HORN: Zu diesem Punkt, Herr Präsident, kann ich sagen, daß Ciano in seinem Tagebuch, das uns jetzt zugänglich gemacht worden ist, zumindestens im entscheidenden Punkte diesen Beweis, den Herr Dörnberg liefern soll, uns selbst erbringt und wir ihn dem Gericht zu gegebener Zeit, ich glaube sagen zu können in schlüssiger Form, vorlegen werden. Der zweite Punkt der Bekundungen Dörnbergs bezieht sich auf Ordensangelegenheiten. Von der russischen Anklage ist Ribbentrop zum Vorwurf gemacht worden, daß er Siebenbürgen um einen hohen rumänischen Orden verschachert habe. Aus diesem Grunde bitte ich, mir zu gestatten, entweder Herrn Dörnberg hier über diesen Punkt zu betragen oder in Form eines Affidavits.


VORSITZENDER: Jawohl.


[233] DR. HORN: Als nächsten benenne ich den Gesandten Schnurre, Leiter der Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, derzeitiger Aufenthalt unbekannt, vermutlich in Haft in englischer Zone.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft, auch hier steht die Anklagebehörde auf dem Standpunkt, daß es nicht nötig ist, einen Zeugen zu laden, der aussagen soll, daß sein politischer Vorgesetzter die Absicht hatte, einen von ihm unterzeichneten Vertrag einzuhalten. Gerade die Begründung, die für den Antrag gegeben wird, scheint mir zu zeigen, daß es sich hier in Wirklichkeit um eine Sache des Plädoyers handelt; wir sind daher der Ansicht, daß ein Zeuge insoweit unerheblich und unnötig ist.


DR. HORN: Ich bitte das Gericht, mir diesen Zeugen zu gewähren, denn allein die Tatsache, daß der Zeuge über das Halten oder Nichthalten oder die Absichten seines Chefs aussagen will, ist für mich nicht so sehr entscheidend wie die Tatsache, daß er auf Grund der Teilnahme an den Verhandlungen und den Vorverhandlungen und seinen Besprechungen auch mit anderen entscheidenden Persönlichkeiten über die Hintergründe dieses Vertrags damit zu einem wesentlichen Punkt der Anklage aussagen kann.


VORSITZENDER: Darf ich über die Erheblichkeit dieser Aussage wieder eine Frage an Sie stellen: Nehmen wir an, es sei richtig, daß die deutschen Behörden im August 1939 beabsichtigten, den mit Rußland abgeschlossenen Vertrag zu halten, hing dies davon ab oder hätte es davon abhängen können, ob England Polen in dem Krieg, den Deutschland im Begriff stand gegen Polen zu führen, zu Hilfe kam? Es kann sehr gut möglich gewesen sein, daß die deutschen Behörden den Vertrag mit Rußland einhalten wollten, um Rußland vom Krieg gegen Polen und England fernzuhalten. Wie sollte es daher erheblich sein, was Ribbentrop damals beabsichtigte?


DR. HORN: Herr Präsident, es ist bei der Feststellung eines strafrechtlichen Tatbestands doch wesentlich für die Feststellung der Schuldfrage, inwieweit der Angeklagte von Ribbentrop als Mensch sich bemüht hat, einen Vertrag zu halten; und es ist eine andere Frage, inwieweit er durch politische Notwendigkeit und andere Kräfte gezwungen wurde, mitanzusehen, daß ein Vertrag nicht im ursprünglichen Sinne ablief, in dem er abgeschlossen worden ist.


VORSITZENDER: Sie können fortfahren.


DR. HORN: Botschafter Ritter, Auswärtiges Amt, zuletzt Verbindungsmann des Auswärtigen Amtes zum OKW, zur Zeit höchstwahrscheinlich im Lager Augsburg.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Antrag auf den Botschafter Ritter zerfällt in zwei Teile: Der erste wirft die Frage über den [234] Russisch-Deutschen Vertrag vom 23. August 1939 auf, die wir gerade erörtert haben; die Ansicht der Anklagebehörde dazu habe ich bereits mitgeteilt.

Der zweite Teil behandelt die Einstellung des Angeklagten Ribbentrop zu der Behandlung alliierter Flieger. Im Augenblick steht die Sache nun so, daß ich ein von Botschafter Ritter abgefaßtes Dokument und noch ein zweites Dokument vorgelegt habe, in dem er erklärte, daß der Angeklagte Ribbentrop das Memorandum des Deutschen Auswärtigen Amtes zu den Vorschlägen über das Lynchen alliierter Flieger und ihrer Überstellung an den SD, bevor sie Kriegsgefangene werden konnten und damit die Rechte der Konvention erworben hätten, gebilligt hat.

Wenn der Verteidiger behaupten will, daß die Erklärung des Botschafters Ritter, Ribbentrop habe das Memorandum gebilligt, unrichtig ist, dann wäre dies natürlich erheblich. Im Augenblick liegen diese Dokumente jedoch vor, und ich sehe deshalb nicht ganz klar, zu welchem Zweck ihn mein Freund wegen dieses zweiten Punktes vorladen will. Wenn noch ein anderer Grund dafür vorliegt, wird Dr. Horn ihn vielleicht angeben.


DR. HORN: Sir David hat gerade den Grund genannt, weshalb ich den Zeugen geladen habe. Der Zeuge soll und wird bekunden, daß von Ribbentrop gegen die Behandlung von Terrorfliegern war, zumindest gegen ein anderes Verhalten als in der Genfer Konvention dargelegt war, wenn nicht vorher die Konsequenzen gezogen wurden, daß man nach vorheriger Unterrichtung der daran beteiligten und interessierten Mächte aus der Konvention austrat.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dr. Horn erklärt, daß er die Vorladung des Botschafters Ritter wünscht, um den beiden von Ritter verfaßten Dokumenten, die bereits als Beweisstücke vorliegen, zu widersprechen. Dann kann ich natürlich keine Einwendungen machen; wenn Ritter seinem eigenen Dokument widersprechen will, ist dies offensichtlich erheblich.


VORSITZENDER: Wäre es für Dr. Horn annehmbar, wenn Botschafter Ritter ein Fragebogen zugestellt würde, oder würde die Anklagebehörde es vorziehen, daß er geladen wird oder sonst irgendwie aussagt?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn er aussagen soll, würde die Anklagebehörde vorziehen, daß er hierher geladen wird, denn unser Standpunkt ist: Wir haben hier zwei Dokumente, die von diesem Herrn verfaßt sind; wenn er die Absicht hat, ihnen zu widersprechen, dann schlage ich vor, daß er hierher kommt und es persönlich tut.


DR. HORN: Ich stelle das in das Belieben der Staatsanwaltschaft.


VORSITZENDER: Sehr gut.


[235] DR. HORN: Der nächste Zeuge ist der ehemalige deutsche Gesandte in Oslo, von Grundherr, vermutlich zur Zeit in alliierter Haft.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Auch hier möchte ich nicht wieder in Einzelheiten gehen. Hier liegt die Sache so, daß dem Gerichtshof ein von dem Angeklagten Rosenberg unterzeichnetes Dokument vorliegt, worin dieser erklärt, daß auf Grund einer Vereinbarung mit diesem Herrn monatlich 10000 Pfund Sterling an Quisling ausgezahlt werden. Wenn Dr. Horn Herrn von Grundherr hier vorladen will, um der Erklärung des Angeklagten Rosenberg zu widersprechen, so kann die Anklagebehörde, wie ich glaube, wiederum keinen Einspruch erheben.


VORSITZENDER: Ja.


DR. HORN: Bezüglich der Zeugen, die ich unter Punkt 30 bis 34 benannt habe, kann ich mich in meinen Ausführungen darauf beschränken, daß ich sie laden möchte, damit sie bekunden, daß Ribbentrop sich von 1933 bis 1939 auch um die Herstellung enger Beziehungen zu Frankreich ernsthaft und laufend bemüht hat.

Die Zeugen, vor allem Herr Daladier, früherer französischer Ministerpräsident, können über diese Bemühungen im einzelnen substantiierte Angaben machen. Falls das Gericht entscheidet, daß diese Zeugen oder einige dieser Zeugen in Form von Affidavits gehört werden sollen, werde ich dem Gericht die relevanten Fragen unterbreiten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nach Ansicht der Anklagevertretung sind die Gründe, die für die Ladung dieser Zeugen geltend gemacht werden, zu unbestimmt und allgemein, als daß sie ihre Ladung vor den Gerichtshof rechtfertigen könnten.

Wenn zwei Länder miteinander in Frieden leben, so kann die Tatsache, daß ein Außenminister oder Botschafter Erklärungen abgegeben hat, er hoffe, die guten Beziehungen dieser Länder werden fortdauern oder ähnliches, uns nicht irgendwie weiter bringen; nach Ansicht der Anklagebehörde wäre es Zeitverschwendung, Zeugen zu diesem Zwecke vorzuladen. Abgesehen davon haben die ersten vier Zeugen, Marquis und Marquise de Polignac, Graf und Gräfin Jean de Castellane, soweit die Anklagebehörde weiß, nie eine offizielle Stellung bekleidet. Es kommt daher noch ein Einwand hinzu: Wenn Personen, die zwar die achtbarsten Menschen sein mögen, aber in allgemein freundschaftlichen Beziehungen zu einem Angeklagten stehen, über etwas aussagen sollen, was wirklich nur ihre private Ansicht über seine Einstellung wiedergibt, so ist das keine Aussage, die erheblich ist, und auf die sich der Gerichtshof einlassen sollte.


[236] DR. HORN: Mit diesen Zeugen möchte die Verteidigung gerade beweisen, daß die Bemühungen Ribbentrops hinsichtlich Frankreichs weiter gingen, als es gewöhnliche Bemerkungen, die man als nichts weiter als »courtoisie internationale« bezeichnen kann, darstellen. Aus dem Grunde bitte ich, mir den einen oder anderen Zeugen aus dieser Reihe zu gestatten.


VORSITZENDER: Dr. Horn, bei diesen Zeugen scheint dieselbe Frage der Erheblichkeit aufzutauchen, die ich Ihnen schon vorhin gestellt habe. Angenommen, daß es die Absicht des Deutschen Auswärtigen Amtes war, zu versuchen, Frankreich von jedem Krieg, den Deutschland vorbereitete, fernzuhalten, wieso ist dies erheblich für die Frage, ob Deutschland einen Angriffskrieg gegen Polen vorbereitete?


DR. HORN: Ich möchte durch diese Zeugen auch wieder Beweis dafür antreten, daß es zumindest nicht im Sinne des Angeklagten von Ribbentrop gelegen hat, Kriege zu planen und vorzubereiten, sondern daß er sich jahrelang bemüht hat, mit den Nachbarstaaten Deutschlands bessere Beziehungen herzustellen.

Die Anklage, Herr Präsident, wirft meinem Mandanten auch Planung und Durchführung von Angriffsabsichten, von Kriegen gegen England und Frankreich vor. Wenn die Staatsanwaltschaft auf diesen Punkt verzichten will, kann ich selbstverständlich auch auf diese Zeugen verzichten.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird dieser Angelegenheit die notwendige Bedeutung beimessen.


DR. HORN: Der nächste Zeuge ist Mr. Ernest Tennant, London.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Diesen Zeugen kenne ich nicht und habe auch nie von ihm gehört; das einzige, was aus dem Gesuch hervorgeht, ist, daß er der Firma Tennant und Co. angehörte, Mitglied des Bath Clubs war und daß er den Angeklagten Ribbentrop gut kennt. Die Dinge, über die er aussagen soll, sind jedoch der Gipfel der Unerheblichkeit. Es wird behauptet, der Zeuge könne aussagen, daß der Angeklagte ihn Anfang und Mitte der dreißiger Jahre gebeten habe, ihn mit Lord Baldwin, Herrn Mac Donald und Lord Davidson zusammenzubringen, um mit ihnen über die Anbahnung guter politischer Beziehungen mit dem Ziele des Abschlusses eines Bündnisses zu verhandeln. Im Jahre 1936 war der Angeklagte Botschafter am Hofe von St. James. Herr MacDonald war als Ministerpräsident im Jahre 1935 gerade ausgeschieden, und noch, wie ich glaube, Lord President of the Council. Lord Baldwin war damals Premierminister und Lord Davidson war, wenn ich mich recht erinnere, Kanzler des Herzogtums Lancaster im gleichen Amt. Jedenfalls hatte er ein verhältnismäßig unbedeutendes Amt inne.

[237] Wieso es jedoch für die Streitfragen dieses Prozesses von Bedeutung sein sollte, daß der Angeklagte damals oder kurz zuvor einen Herrn ohne offizielle Stellung bat, ihn den drei eben genannten Herren vorzustellen, läßt sich meines Erachtens wirklich nicht erklären; ich glaube, daß dieser Zeuge nicht genehmigt werden sollte.


DR. HORN: Herr Präsident, wir kommen bei der Benennung der Zeugen immer wieder auf eine grundlegende Frage zurück. Von seiten der Anklagebehörde wird immer gefragt: Was kann dieser Zeuge bekunden, daß Deutschland nicht gegen Polen marschierte beziehungsweise den Polenkrieg verschuldete, während der Zeuge doch einem ganz anderen Lande angehört und mit Polen oder polnischen Bedingungen nichts zu tun hat. Die Verteidigung dagegen ist der Auffassung, daß die gesamte Polenpolitik Deutschlands nur im Rahmen der gesamten europäischen Politik verstanden werden kann; daher sind von der Verteidigung Zeugen geladen, die die Anklagebehörde ausschließen möchte, weil sie uns für die großen Zusammenhänge die Bausteine liefern kann.

Unter diesem Gesichtspunkt benenne ich auch Professor Conwell-Evans, London.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof, auch von Professor Conwell-Evans habe ich nie etwas gehört. Er erscheint nicht in dem englischen Buch »Who's Who«, das eine große Anzahl der Bürger aufführt, die bestimmte Würdenämter oder Stellungen innehaben.

Ich möchte Herrn Dr. Horn bitten, zu erwägen, was ich jetzt dem Gerichtshof ergebenst vortrage. Angenommen, daß jedes Wort, das in diesem Antrag von Professor Conwell-Evans gesagt wird, hier vor Gericht von Professor Conwell-Evans bestätigt wird, so würde meines Erachtens das Verfahren damit durchaus nicht gefördert; der Gerichtshof würde nach dieser Beweisaufnahme genau so weit wie jetzt sein. Schließlich wird der Angeklagte in der Lage sein, selbst auszusagen und damit dem Gerichtshof einen eigenen Eindruck über seine Absichten und die Ehrlichkeit seiner Gesinnung zu verschiedenen Zeiten zu hinterlassen. Es ist die Ansicht der Anklagebehörde, daß die Aussage dieses Herrn dem Prozeß in keiner Weise dienlich sein würde und für keine Streitfrage vor dem Gerichtshof erheblich wäre.


VORSITZENDER: Ja.


DR. HORN: Als nächsten Zeugen benenne ich Wolf gang Michel, Oberstdorf im Allgäu; der Zeuge unter Nummer 38.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dieser Herr soll Teilhaber im früheren Geschäft des Angeklagten gewesen sein. Im Antrag wird wirklich der Wunsch geäußert, daß er seine Ansichten über die [238] allgemeine Einstellung und Gesinnung des Angeklagten wiedergeben soll. Wiederum vermag die Anklagevertretung nicht einzusehen, für welche Frage dies erheblich sein kann. Der Angeklagte mag vielleicht Wert darauf legen, eine eidesstattliche Erklärung von einem alten Geschäftsfreund zu erhalten, in der dieser seine Ansicht über den Angeklagten darlegt. Wenn dieser Wunsch besteht, wäre die Anklagebehörde bereit, ein solches Affidavit in Erwägung zu ziehen, aber sie muß nachdrücklich auf ihrem Standpunkt beharren, daß ein solcher Zeuge unerheblich ist, ein Zeuge, der bereit ist, auszusagen: »Ich kenne diesen Angeklagten seit 20 Jahren, ich habe mit ihm geschäftlich zu tun gehabt, ich hatte immer eine gute Meinung von ihm.« Das berührt nach Auffassung der Anklagebehörde den Gegenstand dieses Prozesses nicht und ist daher unerheblich. Wenn jedoch mein Freund auf eine solche eidesstattliche Erklärung Wert legt, wird die Anklagebehörde dem mit der größten Sympathie gegenüberstehen.


DR. HORN: Ich begnüge mich im Falle des Zeugen Michel mit einem Affidavit.

Herr Präsident, ich bitte noch auf den unter Nummer 5 meines Gesuches aufgeführten Zeugen, Legationsrat Gottfriedsen, zurückkommen zu dürfen.


VORSITZENDER: Einen Augenblick, wollen Sie denn jetzt nicht über Nummer 38 sprechen? Sie haben Nummer 37 noch nicht besprochen. Sie lassen das aus, nicht wahr?


DR. HORN: Ich glaube, mir würden dieselben Gründe wie bezüglich der vorherstehenden Zeugen entgegengehalten werden; da ich annehme, daß das Gericht über die grundsätzliche Frage, ob man die gesamten Zusammenhänge hier unterbreiten muß oder nicht, noch Beschluß fassen wird, habe ich die Benennung dieses Zeugen ausgelassen und erbitte von dem Gericht darüber noch Bescheid.


VORSITZENDER: Ich verstehe. Sie wollen nun auf Nummer 5 zurückkommen?


DR. HORN: Ich möchte zurückkommen auf Nummer 5, Legationsrat Gottfriedsen. Legationsrat Gottfriedsen hat die gesamte dienstliche und private finanzielle Finanzgebarung des Angeklagten von Ribbentrop lange Jahre unter sich gehabt. Dem Angeklagten von Ribbentrop wird von verschiedenen Anklagevertretern vorgeworfen, daß er sich mit Kunstgegenständen und ähnlichen Dingen bereichert habe. Über diesen Punkt kann Legationsrat Gottfriedsen entscheidende Aussagen machen, die diese Anschuldigungen entkräften werden. Ich bitte daher, mir diesen Zeugen zu gewähren.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender, ich habe gerade Herrn Dr. Horn gefragt, ob er Herrn Gottfriedsen dem Herrn [239] von Sonnleitner vorziehen würde. Dr. Horn sagt, daß, wenn er zu wählen habe, er dies tun wolle.

Die Anklagevertretung möchte keine unnötigen Schwierigkeiten machen; ich habe meinen grundsätzlichen Standpunkt bereits dargelegt, daß diese Gruppe von Zeugen, von sieben Zeugen des Auswärtigen Amtes, auf drei beschränkt werden sollte. Wenn mein Freund glaubt, daß Herr Gottfriedsen insbesondere in diesem Punkt mehr nützen würde, so habe ich gegen diesen Ersatz nichts einzuwenden, sofern nur die Gruppe der Zeugen beschränkt bleibt.


VORSITZENDER: Wären Sie damit einverstanden, daß ein Fragebogen zugestellt würde?


DR. HORN: Jawohl, Herr Präsident, ich bitte dann um den Zeugen Gottfriedsen.


VORSITZENDER: Ja.


DR. HORN: Damit ist mein Vortrag hinsichtlich der Ladung von Zeugen abgeschlossen.


DR. STAHMER: Ich habe Zeugen nicht benannt, weil andere Verteidiger sie beantragt hatten. Zu diesen Zeugen gehört auch der Dolmetscher Dr. Schmidt. Ich habe ebenfalls das größte Interesse an der Vernehmung dieses Zeugen. Schmidt war Dolmetscher Görings und war bei fast sämtlichen politischen Auslandsverhandlungen mit Staatsmännern zugegen; ich bitte daher ebenfalls um Ladung dieses Zeugen und unterstütze insoweit den Antrag von Dr. Horn.

VORSITZENDER: Wir wollen das in Betracht ziehen, Dr. Stahmer. Jetzt werden wir uns für zehn Minuten vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. HORN: Herr Präsident! Darf ich bitten, noch einen Gesichtspunkt hinsichtlich der Ladung von Zeugen zur Diskussion zu stellen?

Ich habe einen Teil der Zeugen auch deshalb benannt, weil ich feststellen muß, wann die Verschwörung im allgemeinen beginnt, und wann mein Mandant dieser Verschwörung beigetreten sein könnte. Die Anklage hat es sich mit der Feststellung des Zeitpunktes, wann die Verschwörung beginnt, verhältnismäßig einfach gemacht, indem sie in der allgemeinen Anklageschrift sagt, »zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 8. Mai 1945«.

Wenn ich nun keinen Zeugen aus dem Jahre 1933 bis 1936 laden kann, dann muß ich annehmen, gibt die Staatsanwaltschaft zu, daß der Angeklagte von Ribbentrop zumindest an der Verschwörung vor dem Jahre 1939 nicht beteiligt gewesen sein kann. Ich bitte, diesen Gesichtspunkt bei der Zubilligung von Zeugen mit zugrunde zu legen.


[240] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es dürfte zweckmäßig sein, wenn ich ganz allgemein aufzeige, womit sich Dr. Horn auseinanderzusetzen hat.

Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß ich am 8. und 9. Januar den Fall gegen den Angeklagten Ribbentrop vorgetragen habe. Der erste Punkt ist die Zeit der Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933. Die Anklagebehörde behauptet, daß der Angeklagte auf verschiedene Weise bei dieser Machtergreifung behilflich war. Danach hatte er eine Anzahl von Ämtern in engster Verbindung mit Hitler inne.

Wenn Dr. Horn die Niederschrift meines Vortrags nachschlägt, wird er finden, daß die Rolle, die sein Mandant beim Angriff auf Österreich, die Tschechoslowakei, Litauen, Polen, England, Frankreich, Norwegen, Dänemark, Holland, Belgien, Luxemburg, die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten und schließlich beim Angriff Japans auf die Vereinigten Staaten spielte, in allen Einzelheiten mit einem Hinweis auf alle unterstützenden Dokumente behandelt ist. Alle diese Dinge sind dargestellt, mit Dokumenten belegt und ein Hinweis auf sie wird klarstellen, welche Beschuldigung gegen den Angeklagten insoweit erhoben wird.

Abgesehen davon sind noch vier Dinge, die unter Anklagepunkt 3 und 4 besonders herausgestellt werden.

In erster Linie drangen die Angeklagten darauf, daß Maßnahmen im Widerspruch zum Völkerrecht und zu den Konventionen gegen alliierte Flieger ergriffen werden sollten. Die Belegdokumente sind wiederum bereits vorgelegt.

Zweitens haben wir die Aussage von General Lahousen darüber, wie sich der Angeklagte zur Behandlung der Bevölkerung Polens äußerte.

Drittens trägt der Angeklagte die Verantwortung für die Amtseinsetzung der verschiedenen Protektoren von Böhmen und Mähren mit uneingeschränkten Vollmachten, welche die Verbrechen gegen die Bevölkerung dieser Gebiete zur Folge hatten.

Weiterhin hat er eine ähnliche Rolle bezüglich Hollands gespielt.

In die dritte Hauptgruppe fällt die Behandlung der Juden. Auch hier haben wir ein offizielles amerikanisches Dokument, einen Bericht des Botschafters Kennedy; weiterhin eine ausführliche Erklärung des Auswärtigen Amtes über die Politik gegen die Juden; und endlich noch ein Dokument, das Vorbereitungen für einen antisemitischen Kongreß aufzeigt, bei dem der Angeklagte Ehrenmitglied werden sollte.

Schließlich werden die Plünderungen behandelt. Die Beweise über die Ribbentrop-Bataillone zur Sammlung der geplünderten Güter wurden erst kürzlich von meinem Sowjetkollegen vorgelegt.

Wenn Dr. Horn sich alle diese Dinge überlegt, die fast alle im Protokoll vom 8. und 9. Januar zusammengefaßt sind mit Ausnahme [241] der letzten Beschuldigung, so glaube ich nicht, daß es ihm schwer fallen wird, festzustellen, wann die Beschuldigungen beginnen, oder wie sie aufgebaut und im Detail dargestellt sind.


VORSITZENDER: Sir David, der Gerichtshof möchte wissen, ob die Anklagebehörde behauptet, daß die Verschwörung zu einem bestimmten Zeitpunkt begonnen hat; zweitens möchte er wissen, ob Sie behaupten, daß Angeklagte, die der Verschwörung nach ihrem Beginn beitraten, für die Verschwörung mitverantwortlich sind.

Der Gerichtshof möchte wissen, ob eine Person, die der Verschwörung nach deren Beginn beigetreten ist, auch für die Taten der Verschwörer verantwortlich gemacht wird, die vor seinem Eintritt begangen wurden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn ich diese Fragen der Reihe nach beantworten darf, so ist der Standpunkt der Anklagebehörde zur Frage des Zeitpunktes der, wie er in Punkt 1 der Anklageschrift dargelegt ist. Die Anklagebehörde behauptet, daß die Nazi-Partei das Herz der Verschwörung war; es war ein wesentlicher Teil der Verschwörung, daß die Nazi-Partei die politische und wirtschaftliche Kontrolle über Deutschland erlangt, damit sie die in Punkt 1 und 2 des Parteiprogramms aufgestellten Ziele verwirklichen konnte. Dieser Teil der Verschwörung fing an, als die Nazi-Partei als eine Macht in der deutschen Politik auftauchte und war im Januar 1933 bereits völlig entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt war es das Ziel der Nazi-Partei, den Bruch des Versailler Vertrages, sowie die anderen in diesen Programmpunkten genannten Ziele, wenn nötig mit Gewalt, zu erreichen.

Aber wie in Punkt 1 der Anklageschrift in der Darstellung der Rechtsverletzungen dargelegt ist, war die Verschwörung keine statische, sondern eine dynamische. Nachdem Deutschland im Jahre 1934 aus dem Völkerbund und aus der Abrüstungskonferenz ausgetreten war, nahm die Neigung zum Angriffskrieg in der Verschwörung an Schwungkraft zu.

Die Anklagebehörde behauptet, daß vom Jahre 1935 an, nach Einrührung der allgemeinen Wehrpflicht und Entstehung der deutschen Luftwaffe und während des Jahres 1936, als das Rheinland wieder besetzt wurde, die Sicherung der Ziele Deutschlands, der Ziele der Nazi-Partei, falls nötig durch einen Angriffskrieg, ein immer stärkeres, klareres und zwingenderes Ziel wurde.

Die Lage kristallisierte sich bei einer Besprechung am 5. November 1937 heraus, als Hitler erklärte, daß Österreich und die Tschechoslowakei bei der ersten sich bietenden Gelegenheit erobert werden müßten. Dem folgten der Anschluß Österreichs im März 1938 und der Fall »Grün« gegen die Tschechoslowakei, der seinen Ursprung im Mal 1938 hatte und vor Oktober durchgeführt werden sollte.

[242] Von der Zeit an, so behauptet die Anklagebehörde, verfolgte die Planung des Angriffskrieges die wohlbekannte und klare Technik, ein Land anzugreifen oder Angriffsmaßnahmen gegen ein Land zu ergreifen und dem Land, das als nächstes auf der Liste der anzugreifenden stand, Zusicherungen zu geben.

Von dieser Zeit an nimmt die Folge und der Fortschritt der Angriffskriege einen klaren Verlauf, den ich schon erwähnt habe, als ich die Anschuldigungen in bezug auf Angriffshandlungen gegen den Angeklagten Ribbentrop umriß. Zusammenfassend darf ich feststellen, daß nach Ansicht der Anklagebehörde in den Reihen der Nazi-Partei immer Einverständnis und ein Übereinkommen bestand, die Kontrolle über Deutschland zu erlangen und ihre Ziele zu verwirklichen; die Angriffsabsicht kristallisierte sich jedoch und wurde von 1934 und vom Beginn des Jahres 1935 an ganz klar.


MR. FRANCIS BIDDLE, MITGLIED DES GERICHTSHOFS FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Sir David, in diesem Zusammenhang möchte ich noch einige Fragen an Sie richten.

Erstens, Sie kennen entweder das Datum, wann die Verschwörung begann, oder Sie sind nicht in der Lage, uns dieses Datum anzugeben. Haben wir es nun so zu verstehen, daß die Anklagebehörde nicht weiß, wann die Verschwörung begann? Wenn Sie es aber wissen, würden Sie es uns sagen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Die Verschwörung begann mit der Bildung der Nazi-Partei.


MR. BIDDLE: Und wann war das?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: 1921.


MR. BIDDLE: 1921? Begann nun die Verschwörung zur Führung von Angriffskriegen ebenfalls zu dieser Zeit?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, es fing so an, daß Hitler sagte, »Ich habe bestimmte Ziele, darunter das, den Vertrag von Versailles zu brechen«, das bedeutete zugleich den Bruch des Freundschaftsvertrages mit den Vereinigten Staaten, der die gleichen Klauseln enthält, »und ich werde diese Ziele erreichen, wenn nötig unter Anwendung von Gewalt«. Das war immer eins der Ziele und Bekenntnisse der Partei.

Wenn nun Personen übereinkommen, eine ungesetzliche Handlung zu begehen oder eine gesetzliche Handlung mit ungesetzlichen Mitteln auszuführen, so liegt dann von selbst die Begehung einer strafbaren Handlung der Verschwörung. Die Verschwörung entsteht durch das Übereinkommen, nicht erst in den Handlungen zur Ausführung des Übereinkommens. Auf diese Weise beginnt die Verschwörung im Jahre 1921. Aber, wie Herr Justice Jackson in seiner Eröffnungsrede erklärte und wie ich heute Vormittag wiederholte, [243] diese Ziele und insbesondere die Methoden, mit denen die Verschwörer ihre Ziele zu erreichen versuchten, wuchsen und nahmen im Verlauf der folgenden Jahre bestimmtere Formen an. Sie scheinen im Jahre 1934 eine besondere Form ausgebildet und sich auf das Verfahren zum Bruch des Versailler Vertrages festgelegt zu haben, und brachten es 1935 zur Reife.

Ich will der Beantwortung der Frage des gelehrten amerikanischen Richters nicht ausweichen, sondern möchte zusammenfassend das vortragen, was unter Anklagepunkt 1 über strafbare Handlungen und deren Einzelheiten ausgeführt ist; ich hoffe, daß dies nicht als Ausweichen auf die Frage angesehen wird. Ich will das nicht tun, sondern werde versuchen, mich so klar und deutlich wie möglich auszudrücken.


MR. BIDDLE: Ich hätte Sie nicht gefragt, wenn ich mir darüber selbst klar wäre, Sir David. Lassen Sie mir noch ein paar weitere Fragen stellen.

Hat die Verschwörung zur Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ebenfalls im Jahre 1921 begonnen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Insofern, als eine allgemeine Bereitschaft bestand, ohne Rücksicht auf die Rechte, die Sicherheit und das Glück anderer Völker vorzugehen, begann sie mit der Gründung der Nazi-Partei. Die Rücksichtslosigkeit und die Mißachtung der Rechte, der Sicherheit und des Glückes anderer waren gleich von Beginn an ein Kennzeichen des Parteiprogramms der Nazis, wenn diese Rechte und das Glück anderer mit ihren Zielen im Widerspruch standen.

Wiederum entwickelte sich die Umsetzung dieser Ideen in die Praxis im Laufe der Jahre; in einer Zeit lange vor dem Krieg – Herr Biddle wird es mir nicht verübeln, daß ich mich bei einer unvorbereiteten Antwort auf seine Frage nicht genau an die Dokumente erinnern kann – aber schon lange vor dem Krieg konnte man immer wieder in den Reden Hitlers an seine Genossen diese äußerste Rücksichtslosigkeit und Mißachtung nichtdeutscher Völker beobachten. Das ist die Grundlage für die Kriegsverbrechen und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit; die Verbrechen hatten ihren Ursprung in den von mir dargestellten Methoden und entwickelten sich aus ihnen.


MR. BIDDLE: Haben Sie die Frage des Vorsitzenden beantwortet, ob die Verschwörer, die später hinzukamen, dafür mitverantwortlich wurden? Wenn das der Fall ist, dann wäre dieser Angeklagte für Handlungen, die bis 1921 zurückliegen, verantwortlich.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es gibt hier zwei Rechtsauffassungen, die man sich bei Betrachtung dieser Frage vor Augen halten muß. Ich kann nur vom Standpunkt des englischen Rechtes sprechen, [244] aber ich glaube, daß das Recht der Vereinigten Staaten ziemlich gleich ist.

In England ist die Verschwörung eine strafbare Handlung nach gemeinem Recht. Es gibt auch gewisse rechtlich festgelegte strafbare Handlungen, aber die strafbare Handlung der Verschwörung bestimmt sich nach gemeinem Recht. Das Wesen dieser strafbaren Handlung besteht, wie ich schon sagte, in dem Abschluß eines Übereinkommens, eine ungesetzliche Handlung zu begehen oder eine gesetzliche Handlung mit ungesetzlichen Mitteln auszuführen. Soweit eine Verurteilung wegen einer Verschwörung als solcher in Frage kommt, ist die Rechtslage in England nicht zweifelhaft. Wenn jemand einer Verschwörung erst später beitritt, einer Verschwörung zur Begehung von ungesetzlichen Handlungen, dann kann er der Verschwörung zur Begehung dieser Tat schuldig befunden werden, gleichgültig wie spät er ihr beigetreten ist.

Eine ganz gewöhnliche Vergleichsmöglichkeit, mit der der gelehrte amerikanische Richter sicher vertraut sein wird, bietet ein Theaterstück. Die Tatsache, daß ein Schauspieler erst im dritten Akt auftritt, bedeutet nicht, daß er die Idee des Autors, die dem ganzen Stück zugrundeliegt, in geringerem Maße zum Ausdruck bringt. Das ist ein durchaus angebrachter Vergleich, weil er die wirkliche Lage kennzeichnet.

Das ist die eine Seite des Rechts, und darüber besteht gar kein Zweifel.

Die andere Seite betrifft die Frage, wie weit diejenigen, die gemeinschaftlich ein Verbrechen begehen, für ihre Handlungen gegenseitig verantwortlich sind, das heißt, unabhängig von der selbständigen Straftat der Verschwörung. Ich möchte ein Beispiel anführen, das zwar reichlich phantastisch ist, die Problemstellung aber doch aufzeigt. Nehmen wir eine Verschwörung von Straßenarbeitern, Eisenbahnzüge zum Entgleisen zu bringen, an. Einige Arbeiter verabreden sich im Dezember, am 1. Januar einen Zug zum Entgleisen zu bringen und einen weiteren am 1. Februar. Zwischen dem 1. Januar und dem 1. Februar tritt ein weiterer Eisenbahnarbeiter dieser Verschwörung bei. Ich hoffe, richtig verstanden zu haben, was Eure Lordschaft und der gelehrte amerikanische Richter hier im Auge gehabt haben. In diesem Fall ist es meiner Meinung nach zweifelhaft, ob dieser Eisenbahnarbeiter für einen Mord verantwortlich gemacht werden kann, der begangen wurde, als der Zug am 1. Januar zum Entgleisen gebracht wurde.

Ich hoffe, mich klar ausgedrückt zu haben. Ich unterstelle, daß jemand einer Verschwörung am 15. Januar beigetreten ist, nachdem das erste Zugattentat verübt worden war, bei dem jemand getötet wurde; dann sind alle diejenigen, die bei dem ersten Attentat mitgewirkt haben, des Mordes schuldig. Ob aber der, der erst danach [245] beigetreten ist, für diesen Mord rückwirkend verantwortlich gemacht werden kann, ist zweifelhaft. Nach englischem Recht wäre es zumindest zweifelhaft, obwohl sicherlich darüber gestritten werden kann; nach amerikanischem Recht aber wäre, wie mir mitgeteilt wurde, dahin zu entscheiden, daß er mitverantwortlich ist.


MR. BIDDLE: Ich denke, Sie haben das sehr klar dargestellt, Sir David, ich möchte aber wissen, welche Ansicht die Anklagebehörde in diesem Fall vertritt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich zu theoretisch geworden bin; es ist jedoch ein ziemlich schwieriger Punkt, und ich wollte ihn nach dem Recht behandeln, das mir am meisten vertraut ist.

Im gegenwärtigen Fall behauptet die Anklagebehörde, daß die Angeklagten für die Folgen der Handlungen, die in Ausführung der Verschwörung begangen wurden, verantwortlich zu machen sind. Es ist ziemlich schwierig, ganz abstrakt über diese Dinge zu sprechen, aber nehmen wir zum Beispiel – wiederum spreche ich aus dem Gedächtnis – den Angeklagten Speer, der, wenn ich mich richtig erinnere, erst ziemlich spät in Erscheinung tritt. Er wird Minister für Rüstung und Kriegsproduktion und fordert Sklavenarbeiter an; seine Forderungen werden durch den Angeklagten Sauckel erfüllt.

Nach Ansicht der Anklagebehörde dürfte es nicht schwierig sein, den Angeklagten Speer in allen Anklagepunkten für schuldig zu befinden, vorausgesetzt, daß der Gerichtshof das Beweismaterial der Anklagebehörde gelten läßt. Durch seine Taten hat er an der Begehung von Verbrechen gegen den Frieden mitgewirkt; er ist der Verschwörung, den Angriffskrieg fortzuführen, beigetreten und hat sich ihr angeschlossen. Er nahm an der Durchführung des Angriffskrieges teil, indem er Sklavenarbeiter anforderte. Er hat zu einem Kriegsverbrechen angestiftet, nämlich zur Mißhandlung der Bevölkerung der besetzten Gebiete; auch dadurch, daß er den Angeklagten Sauckel zu seinen Taten anstiftete und ihnen Vorschub leistete, hat er Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, indem er an Handlungen teilnahm, die von dem Strafrecht aller zivilisierten Länder verdammt werden. Wahrscheinlich haben diese Taten – ich spreche hier aus meiner Erinnerung – in Ländern stattgefunden, bei denen es strittig ist, ob sie streng genommen als Länder galten, die nach einem Angriff besetzt waren, wie die Tschechoslowakei.

So wie unsere Anklageschrift aufgebaut ist, besteht nach der Anklagebehörde keine Schwierigkeit, einen Angeklagten, der in dem Beweismaterial erst zu einem späteren Zeitpunkt auftaucht, in allen Anklagepunkten für schuldig zu befinden.


MR. BIDDLE: Ich habe nur noch eine letzte Frage. Sie wissen, daß ich diese Frage nur stelle, damit wir uns völlig klar darüber werden und entscheiden können, welche Zeugen vorgeladen werden [246] sollen. Wenn das Jahr 1921 als Beginn der Verschwörung angenommen wird, so liegt es offenbar zeitlich nicht zu weit zurück, wenn wir Zeugen aus dieser Zeit berücksichtigen. Muß das nicht gefolgert werden?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ein Jahr nicht...?


MR. BIDDLE: Im Hinblick auf die Verschwörung zeitlich nicht zu weit zurückliegend.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, es ist sogar ein Teil der Anklageschrift.


DR. HORN: Darf ich, Herr Präsident, dazu eine kurze Ausführung machen. Ich ging davon aus, was in der allgemeinen Anklageschrift über den Zeitpunkt der Verschwörung steht. In der allgemeinen Anklageschrift steht einzig und allein als definitiver Zeitpunkt, von dem man ausgehen kann, »zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 8. Mai 1945 begann die Verschwörung«.

Der Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten hat in seiner Anklagerede das Parteiprogramm so, wie es 1921 ausgearbeitet und 1925, glaube ich, überholt wurde, in seinen wesentlichen Punkten aufgezählt und als rechtmäßig und unantastbar – so lautet die deutsche Übersetzung – bezeichnet, sofern diese Ziele nicht durch Krieg verfolgt werden sollten. Unterstellen wir nun einmal, daß diese Ziele von der Parteiführung durch Krieg verfolgt werden sollten, dann ist es erst einmal zweifelhaft, von welchem Standpunkt aus diese Zielsetzung erfolgte, und es müßte sowohl von der Verteidigung wie von der Anklage bewiesen werden, daß von diesem Zeitpunkt ab die Verfolgung durch Kriege erfolgen sollte. Es ist weiter wohl nicht zu bestreiten, daß über Kriegsplanungen immer nur ganz wenige, vielleicht sogar nur ein einzelner, Bescheid wissen. Nun sind bei den Angeklagten, so auch bei dem von mir vertretenen Mandanten die Zeitpunkte völlig verschiedene, in denen sie mit der Partei in Berührung kamen. Sie waren zunächst einfache Parteimitglieder, mußten also auch annehmen, wie der Hauptanklagevertreter erklärte, daß das Programm, dem sie beitraten, rechtlich unantastbar war. Nun entsteht für die Verteidigung und vor allem auch für die Verteidigungsführung die Frage, wann kam der einzelne Mandant in die Sphäre, in der man wußte, daß Ziele nur durch Krieg verfolgt werden sollten, die an sich bisher von ihm für rechtlich unantastbar gehalten wurden, das heißt also nach seiner bisherigen Meinung nicht durch Krieg verfolgt werden sollten. War nun der Angeklagte Ribbentrop schon in den Kreis der Verschwörer hineingekommen, als er im Jahre 1932 mit Parteikreisen Fühlung aufnahm? War er als Botschafter in London schon Mitwisser und damit Mitglied der Verschwörung, oder ist er erst um die Zeit des Hoßbach-Dokuments darauf gekommen, daß man die politischen [247] Ziele der Partei durch Krieg verfolgen wollte, oder wann? Die Verteidigung muß sich auf den Standpunkt stellen, daß von dem frühesten Zeitpunkt, wo der Angeklagte mit der Partei in Berührung trat, die Gefahr besteht, daß ihm von der Anklagebehörde vorgeworfen wird, daß er damit der Verschwörung beitrat, und ich kann mich da wohl auf die eben gehörten Worte von Sir David beziehen, der gesagt hat, daß die Grundlage der Verschwörung im Jahre 1921 liegt. Es ist meine Aufgabe, nun durch Zeugen nachzuweisen, daß mein Mandant zum Beispiel bis zum Jahre 1939 sich um friedliche Beziehungen und so weiter bemüht hat, um zu widerlegen, daß er damals schon Kriege plante, vorbereitete oder entscheidend an diesen Planungen und Vorbereitungen teilnahm. Unter diesem Gesichtspunkt bitte ich das Hohe Gericht, die Ladung der Zeugen und die Beweisthemen, die ich in meinem Antrag angedeutet habe, verstehen zu wollen. Ich stelle weiter ausdrücklich fest, daß auch diese Aussprache nicht die Frage beantwortet hat: Wann beginnt die Verschwörung?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender, ich möchte keine allgemeinen Argumente wiederholen. Meine Arbeit geht dahin, Herrn Dr. Horn klar zu machen, um was es im Falle Ribbentrop geht. Ich habe das schon erklärt, möchte es aber noch einmal ganz klar herausstellen.

Nach einem Bericht des »Archiv« trat Ribbentrop im Jahre 1930 in den Dienst der Nazi-Partei und war zwischen 1930 und Januar 1933 eines der Mittel und Werkzeuge, durch die die Machtergreifung der Nazi-Partei zustande kam. In der halbamtlichen Zeitschrift heißt es, daß einige Besprechungen zwischen Hitler und von Papen, den Nazis und den Vertretern des Präsidenten von Hindenburg in Ribbentrops Hause in Berlin-Dahlem stattfanden. Das ist der erste Punkt. Er ist ganz klar und ausführlich in dem Sitzungsprotokoll niedergelegt.

In der zweiten Phase hatte er zwischen 1934 und 1936 gewisse Ämter inne; daraus ergibt sich, daß er ein wichtiger und im Aufstieg befindlicher Nazi-Politiker und Unterhändler auf dem Gebiet der Außenpolitik war. Im Jahre 1936 rechtfertigte er das Vorgehen Deutschlands, als es den Vertrag von Versailles brach. Er rechtfertigte dieses Vorgehen vor dem Völkerbund und muß sich nun dafür verantworten.

Im gleichen Jahre brachte er den Antikominternpakt zum Abschluß. Auch das muß er erklären.

Von diesem Zeitpunkt an haben wir eine Reihe von deutschen Dokumenten, auf die alle im Protokoll vom 8. und 9. Januar verwiesen ist, und die genau zeigen, welche Rolle der Angeklagte in den zehn Angriffen auf zehn verschiedene Länder spielte.

[248] Ich behaupte hier vor dem Gerichtshof ergebenst, daß es ein völlig klarer Fall ist, mit dem sich der Angeklagte auseinanderzusetzen hat. Es besteht darüber überhaupt kein Zweifel.

Ich habe bereits die Kriegsverbrechen und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit zusammenfassend dargestellt; das wird Dr. Horn wiederum mit allen angeführten Dokumenten im Protokoll vom 9. Januar behandelt finden.

Was immer auch sonst noch vorgebracht werden mag, so ist meines Erachtens die Besonderheit und Klarheit des Falles gegen den Angeklagten Ribbentrop kundgetan.


DR. HORN: Herr Präsident, ich habe mich in meiner Verteidigung auf die durch Sir David Maxwell-Fyfe in der mündlichen Spezialanklage vorgetragenen Punkte bei meiner Gegenbeweisführung eingestellt; ich habe mich aber nicht nur darauf eingestellt, diese einzelnen eben angeführten Punkte zu widerlegen, sondern ich muß, und damit komme ich auf die eben gemachten Ausführungen zurück, diese ganzen ihm vorgeworfenen Punkte unter dem Gesichtspunkt der Verschwörung mit betrachten; denn der Angeklagte Ribbentrop ist nach Behauptungen der Staatsanwaltschaft Mitglied dieser Verschwörung, und wir kommen immer noch nicht um die Frage herum: Wann begann sie? Ich muß immer noch unterstellen, daß sie für meinen Mandanten im Jahr 1932, nicht 1930, das werde ich widerlegen können, sondern im Jahre 1932 – nach Behauptung der Anklage – begann, und ich möchte durch Zeugen und Beweismittel den Beweis erbringen, daß er damals und später keiner Verschwörung beigetreten ist.


VORSITZENDER: Gut, vielleicht können Sie jetzt weitergehen und die Dokumente besprechen, auf die Sie sich stützen wollen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender, in der Frage der Dokumente hatte ich Gelegenheit, mit Dr. Horn zwanglos zu sprechen. Was die Dokumente 1 bis 14 anlangt, so wünscht Dr. Horn diese Bücher als Arbeitsexemplare, um sie zu lesen, durchzuarbeiten, und wenn nötig, Auszüge daraus anzufertigen, um zu gegebener Zeit seine Argumente darauf zu stützen. Dagegen haben wir natürlich nichts einzuwenden. Ich habe ständig die Ansicht vertreten, daß keine Einwendung erhoben werden dürfte gegen irgendein Buch, das die Verteidigung zum Studium verwenden möchte.

Ich möchte jedoch bitten, daß, wenn Dr. Horn oder ein anderer Verteidiger Auszüge aus einem Buch bei seinem Vortrag zu verwenden. wünscht, er es uns wissen lassen sollte, um welche Auszüge es sich handelt und, wenn nötig, zu welchem Zweck er sie zu verwenden beabsichtigt. Ich sage »wenn nötig«, denn in den meisten Fällen wird der Zweck ganz klarliegen; aber in manchen Fällen mag er eine besondere Bedeutung haben, und wenn sie uns diese [249] vorher bekanntgeben, dann kann jede Frage von Erheblichkeit erörtert werden, wenn die Sache vor dem Gerichtshof zur Sprache kommt.


VORSITZENDER: Mir scheint dies durchaus notwendig zu sein, damit die Dokumente übersetzt werden können.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl.


VORSITZENDER: Ich meine, daß der Teil des Buches oder des Dokuments, welchen Dr. Horn zu verwenden beabsichtigt, übersetzt werden soll.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Soweit es sich darum handelt, der Verteidigung Arbeitsabschriften zur Verfügung zu stellen, wird die Anklagebehörde ihre Mitarbeit jederzeit gerne zur Verfügung stellen. In diesem Falle werden wir gerne bereit sein, zu helfen.

Die letzten fünf Dokumente, die genannt sind, fallen in eine ganz andere Kategorie. Ich habe sie mit Dr. Horn noch nicht erörtert, bemerke aber ergebenst, und das ist die Ansicht der gesamten Anklagebehörde, daß es schwer sein wird, ganze Sammlungen von Zeitungen als Beweismaterial vor dem Gerichtshof zu rechtfertigen. Wenn aber Dr. Horn auf diese Zeitungen nur hinweisen will, liegt es im Bereich der Möglichkeit.

Ich weiß nicht genau, ob er sie verwenden will, oder ob er auf sie nur hinweisen will. Ich weiß nichts von Nummer 19, eine zurückgezogene Nummer des »Daily Telegraph«, aber ich nehme an, daß das Sekretariat bei den Inhabern darüber Erkundigungen einziehen kann.


DR. HORN: An den letzten Punkt möchte ich anknüpfen: Nachdem das Verfahren so weit vorgeschritten ist, daß ich die Unterlagen endgültig brauche, um sie entsprechend in meinem Gegenbeweisantrag zu verwerten, möchte ich hier noch einmal darum bitten, daß mir die Nummern dieser Zeitungen, es handelt sich um vier Zeitungen, beziehungsweise drei, und immer nur um einen Monatsband, mit Hilfe des Gerichtshofs möglichst bald zugänglich gemacht werden.


VORSITZENDER: Was sagen Sie zu der zurückgezogenen Nummer des »Daily Telegraph«? Sie haben noch nicht angegeben, wofür sie erheblich wäre.


DR. HORN: Am 30. oder 31. August 1939 wurde eine Ausgabe zurückgezogen, da sie weitestgehende Einzelheiten über den Inhalt des Memorandums enthielt, die der damalige Reichsaußenminister von Ribbentrop dem Englischen Botschafter Henderson in Berlin vorgelesen hatte. Es wird behauptet, und zwar auch von der Anklage, daß Ribbentrop Henderson diese Note so schnell vorgelesen habe, daß dieser den Inhalt unmöglich in den wesentlichsten Einzelheiten verstehen konnte. Aus der Nummer des »Daily Telegraph« vom [250] 31. August 1939 wird sich nun herausstellen, inwieweit Botschafter Henderson in der Lage war, die Ausführungen oder den mündlichen Vortrag aus dem Memorandum, wie Herr von Ribbentrop ihn vorlas, zu verstehen. Ich bitte daher um die Herbeischaffung dieser einen Nummer, und bin überzeugt, daß es der Staatsanwaltschaft möglich ist, diese Nummer zu bekommen, auf Grund der Mittel, die sie zur Verfügung hat und die uns nicht gegeben sind.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof, es ist das erstemal, daß ich etwas von dieser zurückgezogenen Nummer gehört habe; abgesehen davon...


VORSITZENDER: Sie haben zum erstenmal gehört, daß eine Nummer zurückgezogen wurde?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe niemals, außer durch Dr. Horn, davon gehört, daß eine Nummer zurückgezogen wurde, und ich werde wahrscheinlich diese Angelegenheit untersuchen müssen.

Ich möchte nur das eine sagen: Dr. Horn hat natürlich soeben einen Punkt angeschnitten, der seinen Mandanten und Sir Nevile Henderson betrifft. Für die Verteidigung des Angeklagten Göring hat Dr. Stahmer in einem Fragebogen zum Ausdruck gebracht, Göring habe veranlaßt, daß der Inhalt dieser Denkschrift nicht amtlich und hinter dem Rücken des Angeklagten Ribbentrop Herrn Dahlerus bekannt wurde. Diesen Standpunkt nimmt er in dem Fragebogen ein; daraus geht keinesfalls hervor, daß Sir Nevile Hendersons Darstellung der Unterredung falsch war, selbst wenn ein Bericht über das Dokument herausgekommen wäre.

Ich möchte mich auf das Gedächtnis Sir Nevile Hendersons nicht verlassen, sondern werde die Angelegenheit, die ich jetzt zum erstenmal gehört habe, untersuchen.

DR. HORN: Darf ich dem Gerichtshof zur vollen Aufklärung noch hinzufügen, daß der Angeklagte Göring erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt dem Botschafter Henderson das Memorandum zugänglich machte; daher ist es entscheidend, wann der Botschafter Henderson, und ob er rechtzeitig vom Inhalt dieses Memorandums Kenntnis bekam, um die Möglichkeit auszunutzen, es der Polnischen Regierung zur rechten Zeit zugänglich zu machen. Daher bitte ich um die Herbeischaffung dieser – ich darf sagen – entscheidenden Nummer des »Daily Telegraph«.


VORSITZENDER: Danke, Dr. Horn.

Wir wollen jetzt mit dem Beweismaterial gegen den Angeklagten Keitel fortfahren.


DR. NELTE: Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich eine Vorbemerkung zu der Verhandlung über die für den Angeklagten Keitel vorgelegten Beweisarbeiten mache. Ich hoffe, daß hierdurch die [251] Verhandlung über die einzelnen Beweisanträge ganz erheblich abgekürzt wird. Sie werden aus dem von mir eingereichten Beweisschriftsatz erkennen, daß bei den meisten Zeugen ein beherrschendes Beweisthema immer wiederkehrt, die Stellung des Angeklagten Keitel als Chef des OKW und in seinen anderen amtlichen Funktionen, seine Persönlichkeit, insbesondere sein Verhältnis zu Hitler, ferner die Klarstellung der Befehlsverhältnisse bei der Wehrmacht.

Ich werde Beweis erbieten, daß das Bild unrichtig ist, das die Öffentlichkeit und die Anklagebehörde sich von der Persönlichkeit des Angeklagten Keitel, von den Möglichkeiten seiner Wirksamkeit, sowie von seiner Wirksamkeit selbst gemacht hat. Kein Name ist während dieses Verfahrens so häufig genannt worden wie der des Angeklagten Keitel. Jedes Schriftstück, das in irgendeiner Weise mit militärischen Dingen zu tun hatte, wurde mit dem OKW und das OKW mit Keitel identifiziert. Der Angeklagte glaubt, und es scheint mir mit einem gewissen Recht...


VORSITZENDER: Der Gerichtshof sieht ein, daß Sie wahrscheinlich einige allgemeine Fragen für den Angeklagten Keitel geltend machen wollen, wenn Sie Ihr Plädoyer zu halten haben, aber es scheint dem Gerichtshof nicht notwendig, daß Sie das jetzt tun.


DR. NELTE: Ich sage es nur deshalb, um die sämtlichen Zeugen, die für dieses Beweisthema genannt werden, zusammenfassend beurteilen zu können. Ich glaube auch, daß Sir David der Meinung war; er hat darüber mit mir schon am Samstag gesprochen, und so wollte ich nur die sonst in fünf oder sechs verschiedenen Fällen vorzutragenden Beweisthemen vorweg erschöpfend klarlegen.

VORSITZENDER: Wollen Sie damit sagen, Dr. Nelte, daß Sie alle Ihre Zeugen in einer zusammenhängenden Bemerkung behandeln können?

Könnten Sie uns behilflich sein, Sir David?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, ja.

Abgesehen von den von Dr. Nelte erwähnten Zeugen, die Mitangeklagte sind und die der Gerichtshof selbstverständlich schon vorgesehen hat, beantragt Dr. Nelte den Feldmarschall von Blomberg, General Halder, General Warlimont und den Chefstabsrichter des OKW, Dr. Lehmann. Die Anklagebehörde hat gegen diese Zeugen nichts einzuwenden, weil sie über die Stellung des Angeklagten Keitel als Chef des OKW aussagen sollen.

Was den Zeugen Erbe betrifft, der, wie ich glaube, Beamter war und über einen besonderen Punkt aussagen soll, nämlich über seine Stellung im Reichsverteidigungsausschuß...


VORSITZENDER: Wurden Fragebogen bereits bewilligt?


[252] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Wir haben immer erklärt, daß ein Fragebogen in diesem Falle genügen würde, und er nicht als mündlicher Zeuge geladen werden sollte.

Was den nächsten Zeugen Römer betrifft, den Dr. Nelte beantragt hat und der aussagen soll, daß der Erlaß über die Brandmarkung russischer Kriegsgefangener aus Versehen veröffentlicht und auf Befehl Keitels sofort zurückgenommen wurde, so ist dies offenbar für einen Punkt in diesem Falle erheblich, und wir haben nichts dagegen einzuwenden.

Wir widersprechen auch nicht dem General Reinecke, der über verschiedene Kriegsgefangenenangelegenheiten aussagen soll.

Für Herrn Romilly wurde ein Fragebogen bewilligt; so lange er darauf beschränkt bleibt, und er nicht als mündlicher Zeuge geladen wird, erheben wir keinen Einspruch.

Mein Freund, Herr Champetier de Ribes, wird einige Worte über den Botschafter Scapini zu sprechen haben. Ich habe ihn gebeten, diese Angelegenheit zu behandeln.

Dann kommen wir zu zwei Zeugen, Dr. Junod und Herrn Petersen. Im Augenblick kann die Anklagebehörde nicht sehen, wozu diese Zeugen außer General Reinecke benötigt werden. Die Anklagebehörde würde jedenfalls Einspruch erheben, wenn mit diesen Zeugenaussagen bewiesen werden sollte, daß die Sowjetunion ihre Kriegsgefangenen nicht richtig behandelt habe. Wenn das bezweckt würde, müßte die Anklagebehörde Einspruch erheben.

Die Ladung von Dr. Lammers wurde vom Gerichtshof bereits genehmigt.

Schließlich sind noch drei Zeugen benannt, die alle darüber aussagen sollen, daß bei Besprechungen zwischen Hitler und dem Angeklagten Keitel zwei Stenographen anwesend zu sein hatten. Die Anklagebehörde sieht dies nicht als sehr wesentlich an; wenn Dr. Nelte eine eidesstattliche Erklärung von einem von ihnen beibringen wollte, dann würde die Anklagebehörde nicht weiter darüber streiten. Wenn ich es mit der größten Hochachtung offen aussprechen darf, so sind wir daran überhaupt nicht interessiert und daher mit einer eidesstattlichen Erklärung, wenn eine solche beigebracht würde, einverstanden.

Wenn ich zusammenfassen darf – ich versuche nur, wie ich hoffe, Dr. Nelte zu helfen – so sind, soweit es die Anklagebehörde angeht, nur noch wenige Punkte geblieben, die eine weitere Diskussion erfordern; das sind die Ausführungen der Französischen Delegation über Botschafter Scapini, mein Einspruch gegen Dr. Junod und Herrn Petersen, sowie mein Vorschlag, ein Affidavit von den letzten drei Zeugen einzuholen. Es bestehen also zwischen uns kaum Differenzen. Ich darf also im Hinblick auf Dr. Neltes Zeugen sagen,[253] daß sie insgesamt der Anklagebehörde offensichtlich erheblich zu sein scheinen, und wir in diesem Fall keinen Einspruch erheben.

Ich glaube, daß Dr. Nelte von der recht traurigen Wendung im Falle des Zeugen Blomberg benachrichtigt wurde. Wie ich erfahre, ist Feldmarschall Blomberg augenblicklich sehr krank und kann nicht vor Gericht erscheinen. Ich bin sicher, Dr. Nelte, daß der Angeklagte Keitel der erste sein wird, Mittel und Wege zu finden, seine Zeugenaussage zu erhalten, ohne daß sein persönliches Erscheinen erforderlich ist.


DR. NELTE: Ich danke Sir David für seine Liebenswürdigkeit, durch die er mir meine Aufgabe erleichtert hat. Ich darf noch ergänzend bemerken:

Bezüglich des Zeugen Dr. Erbe werde ich schriftliche Fragen stellen.

Bezüglich des Zeugen Petersen habe ich auch schon schriftlich Fragen gestellt, von deren Beantwortung es abhängig sein wird, ob ich ihn als Zeugen benenne. Bezüglich des Zeugen Junod glaube ich sagen zu dürfen, daß seine Vernehmung deswegen erheblich ist, weil die Sowjetische Anklagebehörde vortragen ließ, daß ein Angebot über die Anwendung der Genfer Konvention von Keitel abgelehnt worden sei. Dr. Junod soll darüber als Zeuge verhört werden, daß er im Auftrag des OKW-Kriegsgefangenenwesens mit der Sowjetunion Verbindung aufgenommen hat, um die Anwendung der Konvention sicherzustellen, daß dies aber nicht erreicht werden konnte. Ich glaube, daß, wenn der General Reinecke allein hierüber nur als Zeuge gehört wird, man vielleicht einwenden könnte, daß er als Chef des Kriegsgefangenenwesens nicht ausreichend sei, um das zu beweisen. Auch kann General Reinecke nicht beweisen, was Junod in Wirklichkeit getan hat. Deshalb bitte ich, diesen Zeugen zu bewilligen.

Was die Frage des Stenographen anbelangt, so bitte ich, damit einverstanden zu sein, wenn ich hier ein Affidavit beibringe.

Hinsichtlich des Botschafters Scapini habe ich lediglich zu sagen, daß dieser der dauernde Vertreter der Französischen Vichy-Regierung war und sich insbesondere um die Fragen der Betreuung der Kriegsgefangenen in Deutschland bemüht hat. Ich glaube, daß dies ein hinreichender Grund sein wird, ihn für erheblich zu halten. Ich kenne allerdings seine Adresse nicht und hoffe, daß die Französische Anklagebehörde mir hierbei behilflich sein wird.


M. AUGUSTE CHAMPETIER DE RIBES, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Wir würden gegen ein Verhör des früheren Botschafters Scapini keine Einwendung erheben, wenn wir der Ansicht wären, daß seine Aussage auch nur im geringsten zur Erforschung der Wahrheit beitragen könnte. Die [254] Gründe jedoch, die Dr. Nelte für die Ladung dieses Zeugen angibt, scheinen uns die völlige Unerheblichkeit seiner Aussage zu beweisen. Der frühere Botschafter Scapini, so sagt der geehrte Herr Verteidiger, könnte beweisen und uns sagen, daß er sein Kontrollrecht in den Kriegsgefangenenlagern frei ausüben konnte, und daß die Kriegsgefangenen überdies einen Vertrauensmann hatten. Dies wollen wir der Verteidigung gerne zugestehen. Es ist durchaus richtig, daß Deutschland dem früheren Botschafter Scapini, der, wie wir wissen, infolge einer im Krieg 1914 erlittenen Verwundung erblindet war, die Erlaubnis erteilt hatte, Kriegsgefangenenlager zu besuchen und die französischen Kriegsgefangenen, die er zwar nicht sehen konnte, anzuhören.

Die Frage dreht sich jedoch nicht so sehr darum, ob die Deutschen einem blinden Inspekteur erlaubt hatten, die Lager zu besuchen. Die einzige in der Anklageschrift aufgeworfene Frage ist die, ob trotz der Besuche dieses Inspekteurs und trotz der Anwesenheit eines besonderen Vertrauensmannes in den Lagern Dinge geschahen, die im Gegensatz zum Kriegsrecht standen.

Darauf könnte der frühere Botschafter Scapini sicherlich keine Antwort geben, denn offensichtlich ist in seiner Anwesenheit nichts geschehen. Aus diesem Grunde glaubt die Französische Anklagebehörde, daß die Aussage des früheren Botschafters Scapini nichts zur Erforschung der Wahrheit beitragen würde.


DR. NELTE: Es war mir unbekannt, daß der Botschafter Scapini blind ist. Er hat auch nicht selbst die regelmäßigen Besuche in den Kriegsgefangenenlagern der französischen Soldaten durchgeführt, sondern sie durch die Delegation, die er führte, vornehmen lassen. Es ist sicher, daß in den Kriegsgefangenenlagern Dinge vorgekommen sind, die Verstöße gegen die Genfer Konvention enthielten. Worauf es aber hier ankommt ist, daß der Angeklagte Keitel und das OKW, als die oberste Instanz, alles das getan oder jedenfalls zu tun versucht hat, was sie in ihrer Funktion als oberste Instanz zu tun hatte. Das OKW hatte keine Kommandogewalt über die einzelnen Lager. Es hatte nur die Anordnungen zu treffen, wie die Kriegsgefangenen zu behandeln wären, und den Schutzmächten zu gestatten, die Lager zu besuchen. Es mußte verhandeln...


VORSITZENDER: Wären Sie mit einem Fragebogen zufrieden, wenn wir es für angebracht hielten, einen Fragebogen Herrn Scapini zuzustellen?


DR. NELTE: Verhör in Nürnberg? Könnte Botschafter Scapini in Nürnberg verhört werden?


VORSITZENDER: Ich frage, ob Ihnen ein Fragebogen genügen würde. Ich nehme an, daß Herr Scapini nicht in Nürnberg ist. Einen schriftlichen Fragebogen meine ich selbstverständlich, über den ich schon gesprochen habe.


[255] DR. NELTE: Ich bitte um eine Entscheidung, ob die schriftlichen Anfragen, die ich zunächst gerne vornehmen will, ausreichen, oder ob eine andere Entscheidung... Also, ich nehme zunächst an, daß ich Botschafter Scapini schriftlich befrage und von seiner Antwort es abhängig mache, ob er...


VORSITZENDER: Ja, schriftlich. Sind Sie damit einverstanden, Herr Champetier de Ribes?


M. DE RIBES: Ja, vollkommen.


VORSITZENDER: Ich glaube, Dr. Nelte, wir sollten uns jetzt bis 14.15 Uhr vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.15 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 8, S. 226-257.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishaden. Indische Philosophie Band 5

Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishaden. Indische Philosophie Band 5

Die ältesten Texte der indischen Literatur aus dem zweiten bis siebten vorchristlichen Jahrhundert erregten großes Aufsehen als sie 1879 von Paul Deussen ins Deutsche übersetzt erschienen.

158 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon