Vormittagssitzung.

[356] DR. STAHMER: Welche Gründe waren für den Einfall in Holland und Belgien maßgebend?

GÖRING: Diese Frage ist zunächst vom rein militärischen und strategischen Standpunkt aus überprüft worden. Es ist zunächst geprüft worden, ob die Neutralität dieser beiden Staaten unbedingt gesichert sein würde.


VORSITZENDER: Es ist etwas mit der Übertragungsanlage nicht in Ordnung. Der Gerichtshof wird sich zurückziehen.


[Verhandlungspause.]


DR. STAHMER: Wollen Sie bitte fortfahren?

GÖRING: Ich wiederhole; zunächst mußten wir uns klar darüber werden, ob die Neutralität Hollands und Belgiens unter allen Umständen bei dem Konflikt und bei dem Kampfe im Westen gesichert sein würde. Anfänglich schien es so. Dann mehrten sich die Nach richten, daß besonders zwischen Belgien und Frankreich, aber auch zwischen Holland und England Erörterungen stattgefunden hätten. Ein Zwischenfall bei Venlo, in welchem ein holländischer Generalstabsoffizier auf deutschem Gebiet gefaßt wurde und ein anderer, glaube ich, bei diesem Zusammenstoß von der Grenzwache erschossen wurde, ergab einen neuen Einblick darin, daß diese Neutralität unter Umständen unter verschärftem Druck der Feindseite nicht aufrecht erhalten werden konnte.

Wenn die Neutralität also nicht unter allen Umständen sicher war, entstand für den Kampf eine ungeheure Gefahr dadurch, daß die rechte Flanke bedroht und offen lag. Die rein militärischen Dienststellen, die nur die strategischen Gesichtspunkte zu berücksichtigen hatten, mußten, nachdem sie zur Stellungnahme aufgefordert waren, diese in rein militärischem Sinne abgeben, das heißt, darauf hinweisen, daß selbstverständlich durch Besetzung beider Länder die rein militärisch-strategische Situation eine andere sei, wie dann, wenn dies nicht geschehe und von seiten des Gegners eine solche Besetzung erfolgen würde.

Ein weiteres Moment, an die absolute Neutralität dieser Länder nicht mehr glauben zu können, war die Tatsache, daß fast sämtliche Einflüge von Großbritannien, die damals stattfanden, jedesmal in der Hauptsache über holländisches und belgisches Gebiet hinweggingen. Nachrichten verbürgter Art kamen uns zu Ohren, daß die [356] belgische Armee ihren Aufmarsch, den sie zunächst bei Kriegsausbruch verstärkt an ihrer Südwestgrenze vorgenommen hatte, umgruppierte und mit sämtlichen Streitkräften an der deutschen Grenze aufmarschierte.

Weitere Nachrichten besagten, daß ein enger Gedankenaustausch zwischen dem französischen und dem belgischen Generalstab stattgefunden hatte und auf Druck des französischen Generalstabs Belgien sich verpflichtete, an der Befestigungslinie der Maas gegen Deutschland mit aller Verstärkung zu arbeiten.

Weitere Nachrichten besagten, daß sowohl der französische Generalstabschef Gamelin wie Admiral Darlan und der Chef der Luftwaffe Vuillemin die Besetzung Belgiens unter allen Umständen zur Sicherheit Frankreichs forderten, und daß erhebliche Aussprachen zwischen der Englischen und Französischen Regierung darüber stattfanden. Diese Nachrichten waren damals ziemlich verbürgt. Wie richtig und absolut klar sie waren, ergab sich später, als nach dem Einmarsch in Frankreich wir die Geheimdokumente des französischen Generalstabs und auch die Besprechungen, die zwischen der Französischen und Englischen Regierung im sogenannten Obersten Kriegsrat stattgefunden hatten, sahen.

Die Ansicht des Führers war, daß gerade durch das Nichtaufrechterhaltenkönnen der Neutralität seitens dieser Länder gegenüber verstärktem englisch-französischem Druck, daß dann besonders das für uns so vitale Ruhrgebiet in äußerste Gefahr geraten würde. Wie richtig diese Auffassung war, ergibt sich ebenfalls aus diesen Berichten, in denen der englische Regierungschef vorschlug und ausgiebig auch durch die Sachverständigen im Kriegsrat darlegen ließ, wie am zweckmäßigsten das Ruhrgebiet anzugreifen sei, und zwar dadurch, daß die englische Luftwaffe im niedrigsten Tiefflug über Belgien fliegen sollte, um dann im letzten Augenblick im kürzesten Anflug von der belgischen Grenze über das Ruhrgebiet herzufallen und die entscheidenden Industrien dort zu zerstören.

Wenn es zunächst nicht dazu kam, so war es die Sorge des französischen Ministerpräsidenten, daß er seinerseits für die französische Industrie fürchtete und es zunächst der anderen Seite überlassen wollte, die ersten Industrieangriffe durchzuführen. England bestand aber darauf, jederzeit diesen über Belgien zu führenden Angriff gegen das Ruhrgebiet einsetzen zu können.

Wenn man bedenkt, wie kurz nun die Flugstrecke von der belgischen Grenze bis zu den entscheidendsten Industrien des Ruhrgebietes ist, nur wenige Minuten, dann muß man die ganze Gefahr erkennen, die darin lag, wenn die Neutralität Belgiens seitens unserer Gegner nicht geachtet wurde; wenn sie geachtet würde, hätte umgekehrt ein Angriff durch die Luftwaffe Englands auf das Ruhrgebiet über die Deutsche Bucht von Norden kommend einen [357] verhältnismäßig langen Anflug gehabt, bei dem es ohne weiteres möglich gewesen wäre, in der damaligen Zeit einen derartigen Angriff zu verhindern und zurückzuschlagen.

Kamen sie hingegen über Belgien, so war dies fast ziemlich ausgeschlossen. Es war also bei diesem schweren Kampf notwendig, in allererster Linie an die eigenen Kampf- und Lebensinteressen zu denken und hier nicht die Vorhand dem Gegner zu lassen, sondern in dem Augenblick, wo man aufrichtig durchdrungen war von der Erkenntnis dieser, unserem Volk und zunächst unserer Wehrmacht drohenden Gefahr, diese vorweg auszuschalten und die Vorteile, die der Gegner für sich erwartet hatte, sich selbst zu sichern.

DR. STAHMER: Aus welchen Gründen sind in Frankreich noch nach Beendigung des Krieges Offiziere wiederum interniert worden?

GÖRING: Ich möchte zunächst zu dieser Frage einen Ausdruck richtig stellen. In Frankreich war der Krieg keineswegs als solcher beendet. Es war ein Waffenstillstand geschlossen. In diesem Waffenstillstand war auch sehr großzügig verfahren worden. Diesem Waffenstillstand war schon in der Präambel eine Tendenz kommender Versöhnung gegeben, ganz im Gegensatz zu dem Waffenstillstand, der 1918 an derselben Stelle stattgefunden hatte.

Als damals der Marschall Pétain um den Waffenstillstand ersuchte, so war auch hier ihm zunächst zur Antwort gegeben worden, daß die Kapitulation eine bedingungslose sein müßte. Man hat dann durchblicken lassen, daß man aber auf eine Reihe von Wünschen, die sich auf Flotte, gewisse Teile eines unbesetzten Gebietes, Respektierung der Kolonien bezogen, eingehen würde. Die Lage war eine derartige, daß Deutschland in diesem Augenblick auf einer absoluten und bedingungslosen Kapitulation hätte durchaus bestehen können, und daß keinerlei französische Streitkräfte von Bedeutung und erst recht nicht irgendwelche Hilfsstreitkräfte, die von England hätten kommen können, zur Verfügung standen, um eine restlose militärische Katastrophe Frankreichs zu verhindern.

Keine Linie und keine französische Formation hätte den Durchstoß der deutschen Truppen bis an das Mittelmeer verhindern können. In England standen keinerlei Reserven zur Verfügung. Alles, was an Einsatzkräften dort war, befand sich in der Expeditionsarmee, die im belgisch-nordfranzösischen Raum und schließlich bei Dünkirchen zusammengeschlagen war.

In diesem Waffenstillstand wurden nun jene Bedingungen respektiert, die als Wünsche geäußert waren. Der Führer hatte unabhängig davon auch eine gewisse großzügige Lösung gerade der Offiziersfrage, bezüglich der Gefangenen sagen wir, angedeutet. Als nun ganz im Gegensatz zu einer weitgehenden Befriedigung, die [358] wir erhofft hatten und die zunächst auch absolut eingetreten war, durch die Propaganda von jenseits des Kanals und die Errichtung eines dortigen neuen Widerstandszentrums unter dem General de Gaulle in Frankreich selbst die Widerstandsbewegung sich langsam zu entwickeln begann, war es von meinem Standpunkt aus durchaus verständlich, daß sich in erster Linie französische Offiziere als Patrioten hierfür zur Verfügung gestellt haben. Aber ebenso selbstverständlich war es für Deutschland, daß es diese Gefahr erkennend jene Elemente, die nun einmal bei solchen militärischen Widerstandsbewegungen die führenden sind und auch die Fachleute, nämlich die Offiziere, daß es dieser Gefahr in erster Linie dadurch Herr zu werden versuchte, daß es die sich frei in Frankreich bis dahin noch bewegenden Offiziere wiederum in Kriegsgefangenschaft genommen hat. Es war dies eine fundamentale Voraussetzung, um überhaupt die Gefahr eines Krieges im Rücken und eines erneuten Aufflammens in Frankreich auszuschließen. Es ist, glaube ich, überhaupt einmalig, daß, während noch an allen Fronten der Krieg aufs schwerste tobte, man einem Land, mit dem man zunächst nur einen Waffenstillstand hat, überhaupt gestattet, daß zu diesem Zeitpunkt, wo noch der Krieg im höchsten Ausmaß anhält, Offiziere sich frei bewegen können. Soviel ich weiß, ist das zum erstenmal in der Kriegsgeschichte geschehen.


DR. STAHMER: Können Sie bestimmte Tatsachen anführen zur Erklärung, daß der Kampf in Frankreich, der doch offenbar 1940 beiderseits ritterlich geführt ist, später so bittere Formen angenommen hat?

GÖRING: Man muß hier im Kampf mit Frankreich zwei Phasen völlig auseinanderhalten. Die erste Phase war die große militärische Auseinandersetzung, das heißt der Angriff der deutschen Streitkräfte gegen die Französische Armee. Dieser Kampf wurde schnell durchgeführt. Man kann nicht davon sprechen, daß er durchaus als ein ritterlicher Kampf zu bezeichnen war, denn gerade aus dieser Zeit stammten schon eine Reihe von Taten auf französischer Seite gegen unsere Gefangenen, die später in den beim Genfer Roten Kreuz abgelieferten Weißbüchern bezeichnet sind. Aber im großen und ganzen hatte er sich doch in den üblichen Formen eines militärischen Kampfes gehalten mit den Ausschreitungen, die immer in solch einem Kampfe da und dort auftreten.

Nachdem dies abgeschlossen war, trat zunächst eine Befriedung und Ruhe ein. Erst dann, als der Kampf weiterging und eine größere Ausweitung annahm, besonders als der Kampf mit Rußland hinzukam, und wie ich vorhin sagte, auch auf der Gegenseite ein neues französisches Leitungszentrum sich gebildet hatte, trat nun in den Ländern des Westens, die bis dahin ruhig waren und in denen es auch zu keinen irgendwelchen ernsten Vorkommnissen [359] gekommen war, eine absolute Verschärfung durch die Widerstandsbewegungen ein: Überfälle auf deutsche Offiziere und Soldaten; Handgranaten und Bomben wurden in Lokale geworfen, wo sich deutsche Offiziere oder Soldaten befanden. Bomben wurden auch sogar dort hineingeworfen, wo sich Frauen, Nachrichtenhelferinnen und Rotkreuzschwestern befanden. Autos wurden überfallen, Verbindungen wurden durchschnitten, Bahnen wurden gesprengt und dies in zunehmendem Maße.

Während ein Krieg hinter der Front zu den Zeiten, da es sich nur um einen Landkrieg handelte, schon genügend Schwierigkeiten bot, haben sich durch das Hinzukommen des Luftkrieges hier völlig neue Möglichkeiten und Methoden entwickelt. Nacht für Nacht kam eine große Reihe von Flugzeugen und warf eine Unmenge von Sprengstoff und Waffen, Anweisungen und ähnliches für diese Widerstandsbewegung ab, um sie zu verstärken und zu vergrößern. Es gelang zwar der deutschen Abwehr durch sogenanntes Flugspiel, durch abgeworfene Chiffrierschlüssel und Vortäuschungen, einen großen Teil dieser Materialien in die eigene Hand zu bekommen, aber es blieb immer noch genug übrig, was der Widerstandsbewegung in die Hand fiel. Die Grausamkeiten, die hierbei zunächst geschehen sind, sind ebenfalls von außerordentlicher Ausdehnung gewesen. Auch hierüber sind Dokumente vorhanden. Daß selbstverständlich...

JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof! Ich bedauere, das Verhör unterbrechen zu müssen, aber ich möchte den Gerichtshof fragen, ob er nicht von der Vorschrift des Statutes Gebrauch machen und von dem Verteidiger eine Erklärung verlangen möchte, inwieweit diese Ausführungen für die Anklagepunkte, die wir jetzt untersuchen, erheblich sind.

Damit entsteht eine ziemlich umfassende und wichtige Frage, deren Behandlung meines Erachtens eine beträchtliche Zeit beanspruchen wird, sofern man dem Faktor Zeit in diesem Verfahren Bedeutung beimessen will.

Was diese Ausführungen betrifft, so will ich zugeben, daß von den Partisanengruppen in den besetzten Gebieten Handlungen ausgeführt wurden, die für den eroberungslustigen Feind sehr störend, nachteilig und schädlich waren. Wenn hier beabsichtigt wird, auf Grund der Repressalientheorie Zeugenaussagen über die Handlungen der Partisanen gegen die deutschen Besatzungstruppen einzuführen, dann mochte ich ergebenst darauf hinweisen, daß der Verteidiger in verkehrter Reihenfolge vorgeht; das heißt, wenn die Verteidigung sagt: »Ja, wir haben gewisse Greueltaten begangen; wir haben das Völkerrecht verletzt«, dann könnte es sein, daß das Motiv – ich werde zeigen, daß es das nicht war –, nach Haager [360] Konvention erheblich sei; dann müßte aber diese Frage wenigstens hier vorgetragen werden.

Wenn dieses Beweismaterial jedoch nicht auf Grund der Theorie vorgelegt wird, daß Repressalien gerechtfertigt sind, so hat es meines Erachtens in diesem Fall keinen Raum. Wenn es auf der Grundlage einer Theorie der Repressalien vorgelegt wird, dann lautet unsere erste Frage: wogegen wurden diese Repressalien ergriffen? Mit anderen Worten, die Lehre von den Repressalien kann nur herangezogen werden, wenn zunächst zugegeben wird, daß bestimmte Handlungen unter Verletzung des Völkerrechtes begangen wurden. Dann können Sie die Frage stellen, ob sie gerechtfertigt waren. Ich bin der Ansicht, daß es zur Abkürzung und sicherlich auch zur Klärung des Verfahrens beitragen würde, wenn der Verteidiger genau angeben würde, auf welche Handlungen der deutschen Besatzungstruppen sich diese Zeugenaussage, vermutlich als Entschuldigung, erstrecken soll. Wenn eine Vergeltungstheorie nicht mit genügender Deutlichkeit dargelegt werden kann, so daß wir die Verstöße auf deutscher Seite erkennen können, die durch die Repressalientheorie entschuldigt werden sollen, so würde uns diese Aussage für die Entscheidung der entscheidenden Frage nichts nützen.

Es geht hier nicht darum, ob die besetzten Länder Widerstand leisteten; natürlich leisteten sie Widerstand. Es handelt sich vielmehr darum, ob Handlungen der erwähnten Art durch Repressalien entschuldigt werden können; wenn dies der Fall ist, müssen diese Handlungen zugegeben werden; auch muß die Lehre der Vergeltung meines Erachtens viel genauer unterbaut werden.

VORSITZENDER: Bitte, Dr. Stahmer.

DR. STAHMER: Ich habe die Ausführungen selbst nicht aufnehmen können, weil die Übersetzung nicht ganz mitgekommen ist; aber ich meine, daß dieses Vorbringen aus folgenden Erwägungen erheblich ist:

Den Angeklagten wird vorgeworfen, daß Geiseln in großem Umfange festgenommen und erschossen wurden, und es wird behauptet, daß dieses zu Unrecht erfolgt sei. Auf jeden Fall wurde auf die Motive, die zu der Festsetzung der Geiseln geführt haben, bisher nicht oder nur unzureichend eingegangen. Es ist zur Klärung dieser für die Entscheidung des Prozesses wichtigen Frage meines Erachtens unbedingt erforderlich, festzustellen, daß zu der Festnahme und der Behandlung von Geiseln das Verhalten der Widerstandsbewegung geführt hat.

Es wird meines Erachtens sehr wohl und mit Recht ausgeführt werden können, daß das Vorgehen der Widerstandsbewegung die Ursache gewesen ist für die Maßnahmen, die dann von der deutschen militärischen Leitung zu ihrem Bedauern getroffen werden mußten.


[361] JUSTICE JACKSON: Darf ich kurz auf den Antrag Dr. Stahmers, falls es sich um einen solchen handelt, erwidern?

Mir scheint, daß der Vorschlag Dr. Stahmers, hier die Motive zu untersuchen, uns zu weit vom Thema abbringt. Wenn er sich auf die völkerrechtliche Lehre über Repressalien berufen will, dann muß er deren Bedingungen beachten:

Gemäß Artikel 2 der Genfer Konvention vom 27. Juli 1929 sind Repressalien gegen Kriegsgefangene ausdrücklich verboten. Dr. Stahmer muß also andere Personen als Kriegsgefangene ins Auge fassen. Nach der Lehre der Vergeltungsmaßnahme, wie wir sie verstehen, muß jede Handlung, die als Vergeltungsmaßnahme gerechtfertigt werden soll, auf eine bestimmte und fortgesetzte Verletzung des Völkerrechts durch die Gegenseite zurückgeführt werden können. Das bedeutet, daß nicht jede gelegentliche und zufällige Verletzung zu umfangreichen Repressalien berechtigt. Wenn dem so wäre, dann würde das Völkerrecht hinfällig; denn jede noch so unbedeutende Verletzung der einen Seite würde die andere vollständig von allen Regeln der Kriegführung entbinden.

Zweitens: Alles, was als eine gerechtfertigte Repressalie in Anspruch genommen wird, muß innerhalb einer angemessenen Zeit erfolgen und in einem vernünftigen Verhältnis zu der Verletzung stehen, die verhindert werden soll. Das bedeutet, daß Massenmorde nicht als Repressalie durchgeführt werden können, um einen einzigen Mord zu vergelten. Dann muß der Ergreifung von Repressalien ein Protest vorangegangen sein. Repressalien können nicht ohne vorherige Bekanntmachung durchgeführt werden. Die Repressalien müssen bekanntgemacht werden und die Bekanntmachung muß durch eine verantwortliche Stelle der Regierung erfolgen.

Der nächste und wichtigste Punkt ist, daß eine vorsätzliche Politik der Völkerrechtsverletzung nicht als Repressalie gedeckt werden kann; nur bestimmte Maßnahmen für bestimmte Taten können unter den Bedingungen, die ich soeben erwähnt habe, als Repressalie gelten. Man kann keine Schreckensherrschaft mit der Lehre der Repressalie rechtfertigen. Und so erlaube ich mir die Bemerkung, daß der Antrag Dr. Stahmers, die Beweggründe Görings oder aller Angeklagten gemeinsam oder die deutschen Beweggründe schlechthin zu untersuchen, einer rechtlichen Prüfung standhält. Nach der Schuldigerklärung kann dies dargelegt werden, um eine Strafmilderung zu erreichen; für die Frage der Schuld oder Unschuld hinsichtlich der Anklagepunkte, die wir dem Gerichtshof vorgelegt haben, ist diese Erwägung jedoch nicht zulässig.


VORSITZENDER: Herr Justice Jackson, soweit ich Sie verstanden habe, sind Sie ebenfalls der Ansicht, daß Beweismaterial dieser Art für die Frage des Strafmaßes erheblich sein könnte?


[362] JUSTICE JACKSON: Ich glaube, wenn die Herren Richter die Angeklagten für schuldig befunden haben, erhebt sich nach unserer Praxis die Frage des Strafmaßes. Man könnte fast alles, was ein Angeklagter vorzubringen für nötig erachtet, als für das Strafmaß erheblich ansehen; ich glaube aber nicht, daß Herr Dr. Stahmer sich hier mit der Frage der Anträge beschäftigt, die für dieses Thema von Bedeutung sind. Wenn das der Fall ist, wäre ich natürlich damit einverstanden, daß jeder Antrag auf Milderung gehört wird. Aber soweit ich verstehe, wird dies zur Schuldfrage vorgetragen.

VORSITZENDER: Das mag sein, aber der Gerichtshof dürfte es für zweckmäßiger halten, die Aussage jetzt zu hören. Das Statut läßt, soviel ich weiß, keine Beweise mehr zu, nachdem der Schuldspruch gegen einen Angeklagten gefällt ist. Darum muß alles Beweismaterial, das zur Milderung vorgebracht wird, jetzt vorgetragen werden.


JUSTICE JACKSON: Die Schwierigkeit dürfte meiner Meinung nach darin bestehen, daß ein Angeklagter sehr wohl in gewissen, aber nicht in allen Punkten für schuldig befunden werden kann. Das würde zu diesem Zeitpunkt eine Erörterung der Straffrage erfordern, die zu zwei Dritteln belanglos sein würde, wenn er nur in einem Punkt für schuldig befunden wird.

Es mag sein, daß ich zu Gunsten der Praxis, die mir bekannt ist oder von der man wenigstens annehmen kann, daß ich etwas davon verstehe, voreingenommen bin. In unserem Verfahren wird die Frage der Schuld zuerst untersucht. Die Frage der Strafe ist davon getrennt und wird erst nach dem Schuldspruch entschieden. Meiner Auffassung nach wäre das auch in diesem Verfahren ein vernünftiger Weg. Und ich fasse es so auf, daß dieser Vortrag – und ich glaube, Dr. Stahmer bestätigt meine Ansicht – sich nicht auf die Straffrage bezieht. Ich glaube nicht, daß er zugeben wird, diesen Punkt schon jetzt erreicht zu haben.


DR. STAHMER: Darf ich mich noch ganz kurz zu der Rechtsfrage äußern? Es steht fest, oder jedenfalls wird diesseits behauptet, daß in Frankreich völkerrechtliche Verletzungen durch die Organisation des Bandenkrieges in großem Umfange vorgekommen sind. Die Bekämpfung dieses völkerrechtswidrigen Verhaltens kann erfolgen durch Repressalien, die soeben von Herrn Oberrichter Jackson ausgeführt wurden. Es ist richtig, daß für die Anwendung von Repressalien gewisse Voraussetzungen gegeben sind. Es kann hier meines Erachtens dahingestellt bleiben, ob solche...


VORSITZENDER: Darf ich Sie fragen, ob Sie damit übereinstimmen, daß die Bedingungen, die Herr Justice Jackson vorgetragen hat, richtig wiedergegeben worden sind?


[363] DR. STAHMER: Jawohl! Es handelt sich dann hier aber auch nach meiner Auffassung um den Tatbestand des Notstandes, der durch das völkerrechtswidrige Verhalten bei Auslösung des Bandenkrieges entstand. Und dieser Tatbestand gab den Heeresbefehlshabern das Recht, allgemeine Anordnungen zu treffen, um diesen widerrechtlicherweise herbeigeführten Tatbestand zu beseitigen. Es ist also in jedem Falle dieser Sachverhalt für die Urteilsfindung von Bedeutung und erheblich.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof beabsichtigt nicht, eine unbegrenzte Anzahl von Verteidigern zu hören, aber, wie ich sehe, ist Herr Dr. Exner hier, und wir sind bereit, einen weiteren Verteidiger – wenn die Verteidigung es wünscht, Herrn Dr. Exner – zu diesem Thema zu hören.


PROFESSOR DR. FRANZ EXNER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN JODL: Meine Herren Richter! Wir sind in der Tat alle interessiert an der Frage der Repressalien, und ich möchte ein paar Worte ausführen.

Ich habe immerhin zehn Jahre Völkerrecht an der Universität gelesen, und ich glaube, ein bißchen davon zu verstehen. Die Frage der Repressalien ist eines der umstrittensten Gebiete des Völkerrechts. Man kann sagen, daß nur in einem Punkt Sicherheit besteht, dem Punkt nämlich, den Herr Oberrichter Jackson als ersten hervorgehoben hat: »Repressalien gegen Kriegsgefangene sind unzulässig«. Alles andere ist bestritten und keineswegs geltendes Völkerrecht. Es ist nicht richtig, daß es allgemeine Staatenpraxis wäre und daher geltendes Völkerrecht, daß ein Protest Voraussetzung ist für die Ergreifung der Repressalien. Es ist auch nicht richtig, daß ein sogenannter vernünftiger Zusammenhang bestehen muß. Es wurde behauptet, es müsse ein zeitlicher Zusammenhang sein, und es müsse vor allem Proportionalität zwischen der drohenden Völkerrechtswidrigkeit und der zugefügten Völkerrechtswidrigkeit bestehen; es gibt Gelehrte des Völkerrechts, welche es behaupten; es ist in der Tat so, daß gewünscht werden müßte, daß hier eine Proportionalität jeweils stattfindet, aber ein geltendes Völkerrecht in dem Sinne, daß irgendeine Abmachung in diesem Sinne bestanden hätte, oder daß ein völkerrechtliches Gewohnheitsrecht vorhanden wäre, gibt es nicht. Es wird also gesagt werden müssen, auf Grund von Völkerrechtswidrigkeiten der Gegenseite dürfen wir keineswegs Repressalienkrieg gegen Kriegsgefangene ergreifen; jede andere Form der Repressalie dagegen ist zulässig.

Ich wollte das nur im allgemeinen ausführen und vielleicht noch das: Es ist behauptet worden, daß wir über einen Strafmilderungsgrund jetzt keine Ausführungen machen dürfen. Ich möchte das Gericht daran erinnern, daß uns nur ein einziger Speech gestattet wird, und wenn wir also in diesem Speech, der ja vor der Entscheidung [364] der Frage über die Schuld stattfindet, nicht über die Strafmilderung sprechen dürfen, so dürften wir ja überhaupt nicht über die Strafmilderung Ausführungen machen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof unterbricht die Verhandlung.


[Verhandlungspause.]


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ordnet an, daß Beweismaterial zur Frage der Repressalien zulässig ist. Die Bedeutung, die diesem oder ähnlichem Beweismaterial beizumessen ist, bleibt einer späteren Erwägung vorbehalten.

DR. STAHMER:


[zum Zeugen gewandt]


Wollen Sie dann bitte fortfahren?


GÖRING: Ich glaube, daß schon meine nächsten Ausführungen jene Voraussetzungen erfüllen oder erfüllt hätten, die Herr Oberrichter Jackson gefordert hat; ich bestreite nämlich keineswegs, daß sich Dinge ereignet haben, über die völkerrechtlich außerordentlich debattiert werden kann. Es sind auch Dinge vorgekommen, die man unter allen Umständen als Ausschreitungen über dieses Maß hinaus bezeichnen muß. Ich wollte nur dartun, wie es dazu gekommen ist, nicht vom völkerrechtlichen Standpunkt der Repressalie, sondern ausschließlich aus dem Gefühl des bedrohten Soldaten heraus, der nicht durch reguläre Truppen im offenen Kampf, sondern im Rücken durch Banden an der Ausführung seiner Aufgabe dauernd gehindert wird.

Durch all diese Dinge, auf die ich nicht näher einzugehen brauche, ist jene Erbitterung entstanden, die spontan oder in gewissen Fällen auch aus Staatsnotwendigkeit und Notstand befohlen, zu diesen zum Teil überschrittenen Einzelereignissen da und dort durch die Truppe geführt hat. Man muß sich in jene Zeit der stürmischen Kämpfe zurückversetzen. Heute, im Abstand von Jahren, in der ruhigen Erörterung der rechtlichen Basis, klingen diese Dinge sehr schwer und auch unverständlich. Äußerungen, aus der Erbitterung heraus getan, klingen heute ohne Verständnis dieser Lage ganz anders, und es war ausschließlich meine Absicht, einen Augenblick dem Gericht jene Atmosphäre zu schildern, in welcher und aus der heraus solche Handlungen, wenn auch nicht immer entschuldbar, so in vielen Fällen verständlich erscheinen, und auch von anderen in ähnlicher Lage durchaus durchgeführt wurden.

Dieses war und ist meine Antwort auf die Frage, warum die Verhältnisse in Frankreich zwei vollkommen verschiedene Kriegsphasen bedingt haben. Die erste – ich schließe damit ab – die des regulären Kampfes; die zweite: jenes Kampfes, der, nicht durch reguläre Truppen geführt, aus dem Hinterhalt kommend, im Untergrund, immer ganz andere Grausamkeiten und Ausschreitungen [365] bringen wird und zu allen Zeiten gebracht hat, wie der regelrechte militärische Kampf. Es kommt hier dann auch oft zu Einzelereignissen, sei es durch einzelne oder durch Truppenteile, die die Oberste Führung dann durchaus nicht immer in der Hand hat und haben kann.


DR. STAHMER: Welche Maßnahmen hat die deutsche Besatzungsbehörde in Frankreich zur Hebung der französischen Landwirtschaft während der Besatzungszeit getroffen?

GÖRING: Ich kann mich hier kurz fassen und auf die Aussage des Zeugen Körner hinweisen, die ich nur bestätigen kann; das heißt, in Frankreich wurde die Landwirtschaft während der Besatzungszeit außerordentlich gefördert und gesteigert. Eine große Anzahl von Brachflächen, oder solche, die nicht richtig landwirtschaftlich genutzt waren, wurden dieser Nutzung zugeführt, und andere durch verstärkten Einsatz von Düngemitteln und sonstige Bearbeitung außerordentlich intensiviert. Die einzelnen Ausführungen darüber, was geschehen ist und die Zahlen, die eine landwirtschaftliche Produktionssteigerung im Laufe der Besatzungsjahre ergeben haben, sind mir nicht geläufig und könnten nur durch die betreffenden verantwortlichen Fachleute gegeben werden.


DR. STAHMER: Welche Gründe waren für die Einführung der Reichskredit-Kassenscheine in den besetzten Gebieten maßgebend?


GÖRING: Eine Maßnahme, die wohl von jeder Besatzungsmacht eingeführt wird, um den Geldumlauf zu regulieren und in den richtigen Grenzen zu halten und um eine Abstimmung zur Landeswährung damit herbeizuführen, also ähnlich dem Vorgang, der heute in allen besetzten Zonen Deutschlands desgleichen stattfindet.


DR. STAHMER: Als Dokument 141-PS ist hier eine Verfügung von Ihnen vom 5. November 1940 vorgelegt, durch die Sie eine Regelung bezüglich der in den Louvre gebrachten Kunstgegenstände getroffen haben.

Ist Ihnen diese Verfügung gegenwärtig, oder soll ich sie Ihnen vorlegen?


GÖRING: Sie ist mir vollkommen gegenwärtig, sie hat ja eine große Rolle hier gespielt.

Diese Kunstgegenstände wurden zunächst in den Louvre verbracht und nachher in das Ausstellungsgelände, das – glaube ich – »Salle du Jeu de Paume« heißt. Hier handelt es sich um jene Kunstgegenstände, die aus jüdischem Besitz, und zwar herrenlosem Besitz, da die Besitzer das Land verlassen hatten, zunächst beschlagnahmt worden waren. Dieser Befehl war nicht von mir ergangen, ich kannte ihn nicht, es war ein Führerbefehl. Erst als ich in Paris war, hörte ich davon, und hörte auch, daß die Absicht bestand, daß diese Kunst-Gegenstände in der Hauptsache, soweit sie von galeriemäßigem [366] Wert waren, dem Museum in Linz, das der Führer errichten wollte, zugeführt werden sollten. Ich persönlich, ich gestehe das offen, hatte ein Interesse daran, daß nicht alles nach Süddeutschland kommen sollte. Ich selbst habe vorher, schon längere Zeit vorher, beschlossen gehabt und dies auch dem Finanzminister mitgeteilt, daß ich nach dem Kriege oder zu irgendeinem sonstigen mir richtig erscheinenden Zeitpunkt diejenigen Kunstschätze, die ich bereits vor dem Kriege selbst besessen habe, sei es durch Erwerb, sei es durch Geschenk, sei es durch Erbschaft, als eine von mir zu stiftende Galerie dem deutschen Volke übergeben wollte. Und zwar war die Absicht von mir, diese Galerie nach ganz anderen Gesichtspunkten, wie sonst Museen errichtet wurden, aufzustellen.

Die Pläne für den Auf- und Ausbau dieser Galerie, die als Anbau in dem großen Wald der Schorfheide, in Karinhall erfolgen sollte, und in der die Kunstgegenstände, ihren verschiedenen Entstehungen und Jahrhunderten nach, unter denselben Eindrücken ausgestellt werden sollten, waren fertig und konnten nur wegen des Kriegsausbruches nicht ausgeführt werden. Es sollte sich um Gemälde, Statuen, Gobelins und Kunstgewerbe der jeweils gleichen Epoche handeln, die zusammengestellt werden sollten. Ich sah nun die Dinge in »Salle du Jeu de Paume« und hörte, daß sie in der Hauptsache nach Linz gehen sollten; diejenigen, denen ein galeriemäßiger Wert nicht beigemessen wurde, sollten einer untergeordneten Bestimmung zugeführt werden. Da hat – ich gebe das auch offen zu – mich meine Sammlerleidenschaft sehr stark gefaßt, und ich habe gesagt: »Wenn die Dinge beschlagnahmt sind und bleiben, möchte ich einen geringen Teil wenigstens erwerben, um sie somit in diese von mir zu errichtende norddeutsche Galerie einzufügen«.

Der Führer genehmigte dies mit dem Vorbehalt, daß er zunächst selbst aber mindestens Photographien jener Gegenstände sehen wollte, die ich zu erwerben wünschte. Und es ist in einer ganzen Reihe von Fällen verständlicherweise dazu gekommen, daß er dann diese für sich selbst, das heißt, nicht für sich, sondern für sein Museum in Linz haben wollte, und ich sie wieder herausgeben mußte. Ich wollte aber von Anfang an eine absolut klare Trennung insofern, als ich jene Gegenstände, die ich für die von mir zu errichtende Galerie erwerben wollte, auch bezahlen wollte.

Deshalb verfügte ich, daß ein Kunstsachverständiger, und zwar nicht ein deutscher, sondern ein französischer – es war irgendein Professor, an den Namen erinnere ich mich nicht –, den ich auch nicht gesprochen habe, die Dinge abschätzen sollte, und daß ich dann dazu Stellung nehme, ob mir der Preis zu hoch ist, ob ich verzichte, oder ob ich diesen Preis bezahlen wollte. Ein Teil, der erste Teil, wurde auf diese Weise beglichen, dann wurde ein Stopp eingelegt, weil ein Teil dieser Gegenstände hin und her ging, das heißt, sie gingen zum Führer zurück und blieben nicht bei mir, und [367] erst nach Abschluß der Angelegenheit sollte die Bezahlung erfolgen. Ich habe nun auch in diesem Erlaß, den ich als »vorläufigen Erlaß« bezeichnete, und den der Führer erst noch zu genehmigen hatte, betont, daß all die Dinge von mir bezahlt würden, die Dinge, die keinerlei musealen oder Galeriewert hatten, sollten versteigert werden, an französische Geschäfte oder an deutsche, oder wer sich an dieser Versteigerung beteiligen wollte; und daß der Erlös aus all diesen Dingen, soweit sie nicht beschlagnahmt, sondern bezahlt wurden, den Hinterbliebenen der französischen Kriegsopfer auszuliefern wäre. Ich habe dann wiederholt angefragt, wohin die Überweisung erfolgen sollte, und erklärt, daß in Zusammenarbeit mit den französischen Stellen ja doch solch ein Konto errichtet werden müßte. Es ging dann immer wieder um die Errichtung dieses Kontos. Die Summe lag stets auf meiner Bank bereit, bis zum Schluß.

Eines Tages, als ich wieder angefragt habe, erhielt ich eine überraschende Antwort, nämlich, daß der Reichsschatzmeister der Partei auf eine Erstattung dieser Summen verzichtete. Ich habe sofort zurückgeschrieben, meine Sekretärin wäre in der Lage, dies eidlich zu bezeugen, daß ich überhaupt nicht verstehe, was der Reichsschatzmeister der Partei damit zu tun habe; ich möchte das französische Konto wissen, auf welches ich die Beträge überweisen kann; hier könnte die Partei, das heißt der Reichsschatzmeister, in keiner Weise mir die Zahlung erlassen oder nicht, denn ich selbst habe diese ja gewünscht. Selbst nachdem bereits das französische Land wieder besetzt war, forderte ich das Konto an, wohin ich die bereitliegende Summe überweisen könnte.

Zusammenfassend und abschließend möchte ich sagen:

Nach einem Erlaß betrachtete ich diese Dinge als für das Reich beschlagnahmt. Infolgedessen glaubte ich mich auch berechtigt, daraus Erwerbungen zu erzielen, besonders da ich nicht nur dem Reichsfinanzminister sondern auch meiner ganzen Umgebung niemals ein Hehl daraus gemacht habe, daß diese Gegenstände, ebenso wie die vorhin erwähnten aus meinem Besitz, soweit sie Musealwert hatten, in dieser vorhin beschriebenen Galerie zusammengefaßt werden sollten.

Was nun den Tausch anbelangt, so möchte ich auch dies richtigstellen. Unter den beschlagnahmten Bildern befanden sich auch solche modernster Art, Bilder, die ich persönlich ablehne und ablehnte, die aber im französischen Kunsthandel, soviel mir gesagt wurde, begehrt waren. Ich habe daraufhin gesagt, von mir aus können dann auch solche Bilder geschätzt und erworben werden, um sie dann gegen alte Meister, die mich interessierten, zu tauschen. Ein Druck ist in dieser Richtung von mir nie ausgeübt worden. Ich habe mich nur damit befaßt, ob einer mir einen zu hohen Preis abforderte, dann ging ich auf das Angebot nicht ein, oder, wie in [368] jedem Kunstgeschäft, ob mir das Angebot paßte und vor allem, ob das Angebotene auch echt und richtig war.

Dies nur zum Tausch; ich habe keinesfalls hier einen Druck ausgeübt.

Später, nachdem ich die Dinge erworben hatte, habe ich einen Teil derselben, ebenso wie einen Teil meiner eigenen, selbstverständlich zum allgemeinen musealen Tausch verwendet, das heißt, ein Museum war interessiert an diesem einen Bild, ich war interessiert für meine Galerie an einem Bild, das dieses Museum besaß, so wurde getauscht.

Dieser Tausch erfolgte auch mit Kunsthändlern des Auslandes. Es handelte sich aber nicht ausschließlich um Bilder oder Kunstgegenstände aus diesem Erwerb, sondern ganz generell auch um solche, die ich im freien Handel, sei es in Deutschland, in Italien oder in anderen Ländern erworben hatte, oder die ich von früher her besaß.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit gleich hinzufügen, daß unabhängig von diesem Erwerb, ich möchte das beziehen auf »Salle du Jeu de Paume«, wo diese beschlagnahmten Gegenstände waren, ich selbstverständlich auch in Frankreich wie in allen anderen Ländern vor und während des Krieges im freien Handel Kunstwerte erworben habe.

Ich darf hinzufügen, daß es ungefähr so war: wenn ich nach Rom oder Florenz, nach Paris oder Holland kam, lag schon immer, als wenn die Leute vorher geahnt hätten, daß ich komme, in kürzester Frist ein ganzer Berg von schriftlichen Angeboten aus allen möglichen Kreisen, Kunsthändlern und Privaten vor; wenn auch das meiste falsch war, so waren doch auch mich interessierende echte Gegenstände, die angeboten wurden, darunter. Ich habe im freien Handel, im freien Ankauf, eine Reihe von Kunstgegenständen erworben. Besonders auch aus privater Hand wurden mir sehr häufig am Anfang Angebote gemacht. Auch das möchte ich betonen: ich wurde besonders in Paris ziemlich betrogen. Man schlug sofort, wenn man wußte, es war für mich, 50 bis 100 Prozent auf den Preis auf.

Das ist von mir kurz und abschließend zu den Dingen zu sagen.

DR. STAHMER: Haben Sie zum Schutze der französischen Kunststätten und Denkmäler Vorkehrungen getroffen?

GÖRING: Ich möchte mich hier zunächst zu dem staatlichen Kunstschatz Frankreichs äußern, das heißt zum Besitz der staatlichen Museen. Aus den staatlichen Museen habe ich weder einen Gegenstand beschlagnahmt noch sonst irgendwie entnommen. Ausgenommen waren zwei Tauschverträge mit dem Louvre auf völlig freiwilliger Basis; ich tauschte hier eine Figur, die in der Kunstgeschichte bekannt ist als »La Belle Allemande«, eine aus Deutschland stammende Holzfigur, gegen eine andere deutsche Holzfigur, [369] die schon lange Jahre vor dem Kriege mein persönliches Eigentum war, und zwei Bilder. Ein Tausch, wie er schon vor dem Krieg zwischen mir und anderen Museen da und dort gemacht wurde, und wie er unter den Museen auch üblich ist. Sonst habe ich immer alle Stellen angewiesen, das äußerste zu tun, um diese Kunstschätze vor Zerstörung durch Bomben oder Kampfeinwirkung zu schützen.

So erinnere ich mich, als mir Direktoren des Louvre sagten, daß die meisten Dinge einfach nur in die Räume der sogenannten Loire-Schlösser gestellt worden waren, ich mich im Hinblick auf die vermehrten Bombenangriffe, die kamen, bereit erklärte, auf ihre Anforderung, und wenn sie es wünschten und wenn es sich als notwendig erwiese, ihnen zu helfen, die Dinge in sicheren Gewahrsam, wohin sie bestimmten, zu bringen; sie klagten, keine Transportmittel zu besitzen.

Nun komme ich zu den Kunststätten, worunter ich Gebäude, Kirchen und andere Denkmäler, also feststehender Art, verstehe. Und hier kann ich sagen, daß ich vielleicht manchmal einen Befehl gegeben habe, der mich zu meinen rein militärischen Pflichten in einen kleinen Widerspruch führte, denn ich habe meinen Fliegern eingeschärft, unter allen Umständen die herrlichen gotischen Kathedralen der französischen Städte zu schützen und nicht anzugreifen, selbst dann nicht, wenn es sich in diesen Orten um Truppenstauungen oder ähnliches handelte; ich habe angeordnet, daß, wenn Angriffe sein müßten, in erster Linie die zielsicheren Stukaverbände verwendet werden sollten.

Es wird mir jeder Franzose bestätigen müssen, der damals dort war, daß sich das eigenartige Bild ergab, ob in Amiens, Rouen, Chartres oder in sonstigen Städten: Abgesehen davon, daß bei einer Bombendetonation Glas kaputt geht, aber die kostbaren Fenster waren vorher Gott sei Dank entfernt, waren wohl die Häuser der Umgebung der Kathedralen den Angriffen zum Opfer gefallen, aber mit Ausnahme, soweit ich mich erinnere, der kleinen Kathedrale in Beauvais – die größere war ebenfalls verschont – sind diese Kunststätten wichtigster und schönster Art verschont, und zwar bewußt verschont geblieben, im Gegensatz zu dem, was später in Deutschland geschah. Dies erkannte auch die Französische Regierung mir gegenüber wiederholt an.

Sonst habe ich zu diesem Punkt nichts auszuführen.


DR. STAHMER: Welche Gründe veranlaßten Sie, den Oberst Veltjens mit der Zentralisierung des schwarzen Marktes in Frankreich zu beauftragen?


GÖRING: Der Oberst Veltjens war ein Oberst der Reserve. Im ersten Weltkrieg Flieger. Er war dann in die Wirtschaft gegangen. Er war also nicht in seiner Eigenschaft als Oberst, sondern in seiner Eigenschaft als Wirtschaftler eingesetzt. Er war auch nicht nur für[370] den schwarzen Markt in Frankreich sondern auch für den in Holland und Belgien von mir beauftragt. Und das kam so: Nach einer gewissen Zeit der Besatzung wurde mir gemeldet, daß verschiedene Dinge, an denen mir kriegswirtschaftlich sehr gelegen war, nur auf dem schwarzen Markt zu haben wären. Damals lernte ich zum ersten Male den Begriff des schwarzen Marktes kennen, das heißt, es seien wohl noch Kupfer, Zinn und andere uns interessierende Dinge vorhanden; diese lägen aber zum Teil in Holland in den Kanälen und Grachten versenkt und seien in den anderen Ländern auch wohlweislich versteckt; bei Einsatz der notwendigen Geldmittel würden sie aber herauskommen, während wir auf Grund einer Beschlagnahmeorder nur sehr wenig kriegswichtige Rohstoffe in die Hand bekommen würden. Ich ließ mich damals, wie während des ganzen Krieges, ausschließlich und immer nur von den für das Endkriegsziel, die Erringung des Sieges, maßgebenden Absichten und Vorstellungen lenken. Es war mir wichtiger, Kupfer und Zinn, um nur ein Beispiel zu nennen, auf jeden Fall zu bekommen, auch wenn ich, noch so hohe Summen einsetzen mußte, als sie nicht zu bekommen, aus der Überlegung heraus, daß solche Summen in dieser Höhe nicht gerechtfertigt wären. Ich habe also Veltjens ganz generell gesagt: »Welche Dinge die deutsche Kriegswirtschaft interessiert, wissen Sie. Wo Sie diese Dinge und wie Sie diese Dinge bekommen, das ist mir letzten Endes gleich. Werden sie durch die angeordnete Beschlagnahme erfaßt, um so besser; müssen wir viel Geld dafür aufwenden, aber bekommen wir sie dafür, muß auch dieser Weg gegangen werden.« Das Unangenehme war, daß aber auch andere Dienststellen, zunächst ohne mein Wissen, wie das hier richtig von der Französischen Regierung ausgeführt wurde, ebenfalls auf diese Weise an die sie interessierenden gleichen Dinge heranzukommen versuchten. Diesen Wettbewerb auch nun noch intern zu haben, ging mir allerdings über alles hinaus. Hier habe ich Veltjens nun die Vollmacht gegeben, einzig und allein die Stelle zu sein, die zivilen Händler, die nur auf diesem Weg behaupteten, die Dinge heranschaffen zu können, zu kontrollieren und als einzige aufkaufende Stelle dafür aufzutreten und mit meiner Vollmacht die anderen Dienststellen auszuschalten.

Wie schwer ein schwarzer Markt endgültig zu bekämpfen ist, geht aus mehrerem hervor. Ich habe nachher gänzlich, auch für Veltjens und seine Organisation, den schwarzen Markt verboten, auf eine besondere Bitte des Ministerpräsidenten Laval hin. Trotzdem war er damit nicht beseitigt, und es ist nur eine Bestätigung meiner Auffassung, daß die Französische Anklagedelegation ausgeführt hat, der schwarze Markt habe sogar den Krieg noch überdauert. Soviel ich weiß, blüht er heute auch in vollem Umfange hier wieder in Deutschland. Es sind dies nun mal Erscheinungen, die immer im und nach einem Krieg auftauchen werden, [371] sobald eine außerordentliche Verknappung oder Zurückhaltung und ein Verstecken der Waren auf der einen Seite und das Begehren, sie zu erhalten, auf der anderen vorhanden ist.


DR. STAHMER: Soll ich jetzt aufhören?


VORSITZENDER: Dr. Stahmer, der Gerichtshof hat angenommen, der Zeuge, der Angeklagte, würde mit seiner Vernehmung im wesentlichen bis heute mittag fertig werden. Können Sie mir nun sagen, wie lange der Angeklagte noch für seine Aussage benötigen wird?


DR. STAHMER: Ich habe ja damit gerechnet, daß ich heute Morgen fertig werde. Es sind aber einige Unterbrechungen gewesen. Ich hoffe, daß ich heute im Laufe des Tages fertig werde.


VORSITZENDER: Ich weiß von keiner Unterbrechung, mit Ausnahme des Einspruches von Herrn Justice Jackson zur Frage der Repressalien.


DR. STAHMER: Es ging eine technische Störung voraus.


VORSITZENDER: Ja. Der Gerichtshof wird dann morgen von 10.00 bis 13.00 Uhr verhandeln.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 9, S. 356-373.
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