Nachmittagssitzung.

[106] GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Ich möchte zur Kenntnis bringen, daß der Angeklagte Streicher während der Nachmittagssitzung abwesend sein wird.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat beschlossen, daß Beweis über die Ungerechtigkeit des Versailler Vertrages oder ob er unter Zwang abgeschlossen wurde, nicht zulässig ist. Aus diesem Grunde wird der 3. Band der für den Angeklagten Heß eingereichten Dokumente zurückgewiesen.


DR. SEIDL: Herr Präsident, meine Herren Richter! Nachdem der Band 3 des Dokumentenbuches für den Angeklagten Heß nicht als Dokumentenbeweis zugelassen wurde, bin ich, soweit die Vorlage von Dokumenten in Frage kommt, damit am Ende meiner Beweisführung angelangt. Es handelt sich lediglich noch um das bereits von mir vorgelegte Affidavit des Botschafters Gaus, und ich bitte, über die Zulässigkeit dieses Beweismittels nicht zu entscheiden bevor ich Gelegenheit hatte, über die Erheblichkeit dieses Beweismittels und des Geheimvertrages Argumente vorzubringen. Ich möchte aber klarstellen, daß mit diesem Affidavit lediglich die Tatsache und der Inhalt dieses Geheimvertrages bewiesen werden soll, daß aber – und deshalb werde ich nur Auszüge daraus verlesen – damit nicht die übrigen Zusammenhänge und die Vorgeschichte des Vertrages bewiesen werden sollen.


VORSITZENDER: Dr. Seidl! Der Gerichtshof weiß, daß dieses Affidavit des Zeugen Gaus gegenwärtig übersetzt und den verschiedenen Anklagevertretern vorgelegt werden wird. Die Anklagevertreter werden uns dann ihren Standpunkt bekanntgeben. Wir werden dann sehen, ob es zugelassen werden kann oder nicht. Die Anklagevertreter werden uns auch sagen können, ob sie den Botschafter zum Zwecke seiner Vernehmung im Kreuzverhör hier haben wollen.


DR. SEIDL: Jawohl.


VORSITZENDER: Aus diesem Grunde müssen wir dies aufschieben, bis wir die Übersetzung erhalten.


DR. SEIDL: Ich hatte zunächst noch die Absicht, den Angeklagten selbst als Zeugen zu vernehmen. Im Hinblick auf seine grundsätzliche Einstellung zu der Frage der Zuständigkeit dieses Gerichts hat er mich jedoch gebeten, davon absehen zu wollen. Ich verzichte daher auf die Vernehmung des Angeklagten als Zeugen und habe zunächst jetzt keine weiteren Beweismittel mehr vorzubringen.

VORSITZENDER: Danke sehr. Der Gerichtshof wird sich nun mit dem Fall des Angeklagten von Ribbentrop befassen.


[106] DR. HORN: Euer Lordschaft, meine Herren Richter! Mein Mandant, Joachim von Ribbentrop, hat mich beauftragt, für ihn bei Beginn des Beweisantrittes folgende Erklärung abzugeben:

»Als Reichsaußenminister hatte ich die außenpolitischen Richtlinien und Weisungen Adolf Hitlers durchzuführen. Für die hierbei von mir vorgenommenen außenpolitischen Handlungen trage ich die volle Verantwortung.«

VORSITZENDER: Dr. Horn! Ich dachte, daß ein Verteidiger doch wüßte, daß nach den von uns niedergelegten Verfahrensvorschriften in diesem Stadium des Prozesses keine Reden zu halten sind; vielmehr soll Beweismaterial vorgetragen, die Dokumente kurz angeführt und als Beweismittel vorgelegt werden. Haben Sie das nicht verstanden?

DR. HORN: Es ist mir nicht bekannt, Herr Präsident, daß man nicht eine Erklärung seines Mandanten abgeben darf.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat bei verschiedenen Anlässen, glaube ich, mündlich und bestimmt auch einmal schriftlich festgelegt, daß jetzt keine Reden zu halten sind, sondern daß Reden zu dem Zeitpunkt gehalten werden können, der in dem Statut festgelegt ist. Im Augenblick steht es Ihnen frei, alle Beweise anzutreten, Dokumente als Beweismaterial vorzulegen und erläuternde Bemerkungen zu den Dokumenten zu machen, soweit dies notwendig sein sollte.


DR. HORN: Der frühere Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop wird laut allgemeiner Anklageschrift im Schriftsatz der Britischen Delegation und der mündlich vorgetragenen Spezialanklagen verantwortlich gemacht für sämtliche im Paragraph 6 des Statuts des Internationalen Militärgerichts angeführten Verbrechen.

Sir David Maxwell-Fyfe hat in der Sitzung des Internationalen Militärgerichtshofs vom 8. Januar 1946 als meinem Mandanten zur Last gelegte Tatbestände bezeichnet:

Erstens: Die Benutzung der von ihm eingenommenen Stellungen sowie seiner persönlichen Einflüsse und engen Verbindung mit Hitler zur Förderung der Machtübernahme durch die NSDAP und die Vorbereitung von Kriegen.

Zweitens: Die Teilnahme an der politischen Planung und Vorbereitung der nationalsozialistischen Verschwörung über den Angriffskrieg...


VORSITZENDER: Dr. Horn, halten Sie wieder eine Rede oder was machen Sie jetzt?


DR. HORN: Nein, Herr Präsident, ich zeige nur kurz auf in einer Seite, wie ich mein Beweisangebot zu gliedern gedenke und ich bitte, mich auf die Einteilung einlassen zu dürfen.


VORSITZENDER: Gut.


[107] DR. HORN: Zweitens brachte Sir David Maxwell-Fyfe vor die Teilnahme an der politischen Planung und Vorbereitung der nationalsozialistischen Verschwörer für den Angriffskrieg und die Kriege gegen internationale Pakte. Er trägt danach die Verantwortung für die Ausführung der von den politischen Verschwörern geplanten Außenpolitik.

Drittens: Teilnahme an und Genehmigung von Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, besonders von Verbrechen gegen Personen und Eigentum in den besetzten Gebieten.

Der Angeklagte von Ribbentrop hat sich sämtlicher ihm zur Last gelegten Verbrechen für nicht schuldig erklärt. Zur Entkräftung der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen trete ich nunmehr meine Beweisführung an.

Der Herr Anklagevertreter hat zu Beginn seiner Ausführungen aus dem Beweisstück US-5, Dokument 2829-PS, hervorgehoben, daß der Angeklagte von Ribbentrop SS-Obergruppenführer sei. Der Herr Anklagevertreter hat behauptet, daß dieser Rang kein Ehrenrang gewesen sei. Demgegenüber behauptet der Angeklagte, daß der von Hitler verliehene Rang eines SS-Gruppen- und später Obergruppenführers ihm nur ehrenhalber verliehen wurde, weil Hitler wünschte, daß die Mitglieder der Regierung bei offiziellen Gelegenheiten in Uniform erscheinen sollten und der Rang eines SS-Gruppenführers der dienstlichen Stellung des Angeklagten entsprechend erschien. Der Angeklagte hat weder in der SS Dienst getan noch eine SS-Einheit geführt. Er hat auch keine dieser hohen militärischen Stellung entsprechende militärische Vorbereitung und Vorbildung erfahren.

Hierfür trete ich Beweis an durch den Angeklagten selbst als Zeugen.

Die Anklage hat behauptet, daß von Ribbentrop nach der Machtübernahme für kurze Zeit Berater der Partei in Angelegenheiten der Außenpolitik gewesen sei. Diese Behauptung wird durch Dokument 2829-PS widerlegt, das sich in dem dem Gerichtshof vorliegenden Urkundenbuch befindet. Ich verlese hieraus Ziffer 3, wo es heißt: »Foreign Policy Collaborator to the Führer 1933-1938«. Es ist dieses das erste Dokument in dem Dokumentenbuch Ribbentrop. Danach war von Ribbentrop in den Jahren 1933 bis 1938 lediglich Hitlers Berater in außenpolitischen Fragen. Der Herr Anklagevertreter behauptete unter Bezugnahme auf Dokument D-472, Beweisstück GB-130 – es ist das zweite Dokument im Dokumentenbuch Ribbentrop, es handelt sich dabei um einen Auszug aus dem Archiv für publizistische Arbeit –, daß der Angeklagte schon vor 1932 für die NSDAP gearbeitet habe, nachdem er 1930 [108] in den Dienst der Partei getreten sei. Die Anklage beruft sich auf Absatz 2, Zeile 6-9 dieses Dokuments, worin es heißt:

»An seine Auslandsverbindungen anknüpfend, stellte er neue Beziehungen zu England und Frankreich her, die er, seit 1930 im Dienste der NSDAP, auf politische Kreise auszudehnen verstand.«

Die Feststellung ist unrichtig. Der Angeklagte war bis 1932 kein Mitglied einer politischen Partei in Deutschland, insbesondere nicht der NSDAP. Er stand hinsichtlich seiner politischen Anschauungen der Deutschen Volkspartei – das ist die Partei Stresemanns – nahe.

Im Jahre 1932 lernte der Angeklagte Hitler persönlich kennen. Seine Ansichten über inner- und außenpolitische Fragen brachten ihn angesichts...

VORSITZENDER: Dr. Horn, ich will Sie nicht unnötig unterbrechen; aber ich verstehe nicht, was Sie vorhaben. Meiner Ansicht nach tragen Sie einen Teil des Beweises vor, den voraussichtlich der Angeklagte von Ribbentrop führen will; und wenn dem so ist, wird er, wenn er ihn führt, nach Ihrer Aussage kumulativ sein. Außerdem scheinen Sie Dokumente anzuführen, die von der Anklagebehörde vorgelegt wurden und diese selbst zu beantworten.

Das ist nicht, was der Gerichtshof in diesem Stadium der Verhandlung wünscht. Er versteht durchaus, daß Sie im geeigneten Zeitpunkt die Ihnen gutdünkenden Erörterungen zu den vorgebrachten Beweisen in Sachen des Angeklagten Ribbentrop machen werden. Aber wie ich schon gesagt habe – ich dachte, ich hätte es recht deutlich getan –, wünscht der Gerichtshof jetzt alles Beweismaterial in Sachen Ribbentrop zu hören und die Dokumente, auf die Sie sich stützen, mit kurzen erläuternden Erklärungen über ihre Bedeutung als Beweis vorgelegt zu bekommen. Wenn Sie es aber für notwendig halten, sich auf eine von der Anklagebehörde nicht verlesene Stelle eines von ihr vorgelegten Dokuments zu berufen, weil diese Stelle den verlesenen Teil der Urkunde erläutert, dann bleibt es Ihnen überlassen, diesen Teil der Urkunde unter gleichzeitiger Verlesung der Stelle zwecks Aufnahme in das Protokoll als Beweis anzubieten und hierzu nach Wunsch eine kurze erläuternde Bemerkung zu machen. Im Moment weiß ich aber eigentlich nicht, was Sie tun, außer, daß Sie eine Rede halten.


DR. HORN: Herr Präsident! Ich habe die Gegentatsa che vorgebracht, die ich gegen die Behauptungen der Anklagebehörde vorzubringen habe, weil sie nach meiner Information und nach meinen Unterlagen nicht den Tatsachen entsprechen. Was die Festlegung bezüglich Punkt 1 von dem, was Herr Präsident eben sagte, betrifft, so darf ich folgendes feststellen: Der Gesundheitszustand des Angeklagten von Ribbentrop ist im Augenblick ein sehr schlechter. Ich wurde heute morgen von dem Arzt unterrichtet, daß [109] Ribbentrop an sogenannten vasomotorischen Störungen der Sprechtätigkeit leidet. Ich wollte nun meinem Mandanten einen Teil seines Beweisvortrages im Zeugenstand abnehmen, indem ich ihn hier vortrage und dem Gerichtshof so die Einstellung zur Kenntnis bringe. Ich weiß nicht, ob der Angeklagte von Ribbentrop in Anbetracht seines augenblicklichen Gesundheitszustandes, also seiner mangelnden Sprechfähigkeit, in der Lage wäre, diese Ausführungen kürzer zu machen, als wenn ich sie selbst vorbringe. Der Angeklagte braucht in seinem Zeugenstand diese Angaben nur noch unter Eid zu bestätigen.


VORSITZENDER: Wenn der Angeklagte von Ribbentrop zu krank ist, um seine Aussagen zu machen, so wird er es bei späterer Gelegenheit tun müssen. Falls Sie außer dem Angeklagten von Ribbentrop andere Zeugen vorladen können, dann können diese heute aussagen; was den Urkundenbeweis betrifft, so ist es für Sie ganz einfach, diese Dokumente als Beweis in der Weise vorzulegen, wie es Dr. Stahmer und Dr. Seidl getan haben und wie es der Gerichtshof immer wieder erklärt hat.


DR. HORN: Ich habe mir vorgenommen, zunächst einmal die Dokumente zu unterbreiten und erst später meine Zeugen zu vernehmen. Bezüglich von Ribbentrop habe ich festgestellt, daß sein Zustand immer schlechter geworden ist. Ich weiß also nicht, ob ich am Ende der Beweisaufnahme in der Lage bin, den Angeklagten von Ribbentrop zu vernehmen; ich muß mich aber darauf einstellen, daß ich es nicht kann, und im übrigen handelt es sich nur um ganz wenige, ganz allgemeine Punkte zur Richtigstellung.


VORSITZENDER: Herr Dr. Horn! Sie können auf keinen Fall selber Zeugnis ablegen, und wenn Sie von Ribbentrop nicht vernehmen können, müssen Sie, wenn das möglich ist, Zeugen laden, die darüber aussagen könnten, worüber Ribbentrop Zeugnis abgelegt haben würde. Falls es unglücklicherweise nicht möglich sein sollte, dann würde seine Sache darunter leiden; der Gerichtshof wird jedoch jede mögliche Gelegenheit ergreifen, daß er in irgendeinem Stadium des Verfahrens vorgeladen wird. Wenn er, wie Sie sagen, wirklich so krank ist, daß er nicht aussagen kann, dann könnte seine Zeugeneinvernahme bis zur Beendigung des Vortrages der Angeklagten aufgeschoben werden, vorausgesetzt, daß ein entsprechendes ärztliches Attest vorgelegt wird.


DR. HORN: Wenn der Gerichtshof den Angeklagten dann später hören will, werde ich die Sache zurückstellen mit der Bitte, daß, wenn ich ihn nicht hören kann, beziehungsweise nicht voll hören kann – denn ich betone immer wieder, es handelt sich um eine Störung der Sprechtätigkeit –, dann kann er wenigstens das als Zeuge bestätigen.


[110] VORSITZENDER: Sie können jeden der anderen Zeugen vorladen. Der Gerichtshof hat nicht bestimmt, daß der Angeklagte zuerst vernommen werden muß. Sie haben, glaube ich, insgesamt acht Zeugen beantragt außer dem Angeklagten, und Sie können irgendeinen von diesen vorladen oder Ihre Dokumente unterbreiten. Aber, was immer Sie tun, wollen Sie in der Weise tun, die vom Gerichtshof angeordnet wird.


DR. HORN: Dann komme ich jetzt zur Rheinlandbesetzung. Am 27. II. 1936 wurde zwischen der Französischen Republik und der Sowjetunion ein Beistandspakt ratifiziert, dessen Inhalt eindeutig gegen den Locarno-Vertrag und den Völkerbundspakt verstieß und ausschließlich gegen Deutschland gerichtet war. Um die gleiche Zeit...


VORSITZENDER: Herr Dr. Horn! Sie haben eben gesagt, daß hier etwas gegen das Völkerrecht verstieß. Das hat aber keinen Bezug auf irgendein Dokument, das Sie als Beweis vorlegen, noch ist es eine Ausführung zur Vorlage mündlichen Beweismaterials. Falls Sie Dokumente vorzulegen haben, legen Sie sie bitte vor und machen Sie die etwa notwendigen Erläuterungen.


DR. HORN: Dann wollte ich zunächst auf das Dokument Nr. 1 in dem Dokumentenbuch Ribbentrop verweisen. Es handelt sich um ein Memorandum der Deutschen Reichsregierung an die Signatarmächte des Locarno-Paktes vom 7. März 1936.


VORSITZENDER: Auf welcher Seite steht das?


DR. HORN: Das ist im Dokumentenbuch Seite 6. Ich darf erklärend hinzufügen, daß dieses Memorandum eingereicht wurde an die Signatarmächte, weil zwischen der Französischen Regierung und der Republik der Sowjetunion ein Beistandspakt ratifiziert wurde, und um die gleiche Zeit erhielt das Deutsche Auswärtige Amt Kenntnis von einem Plane, den der französische Generalstab ausgearbeitet hatte und der dahin ging, daß die französische Armee an der Mainlinie entlang vorgehen sollte, um auf diese Weise Nord-und Süddeutschland voneinander zu trennen und vor allem über die Tschechoslowakei der russischen Armee die Hand zu reichen.


VORSITZENDER: Herr Dr. Horn, wegen der Protokollformalitäten müssen Sie jedes Dokument einzeln als Beweis unterbreiten und numerieren. Sie haben noch keines dieser Dokumente als Beweis angeboten, noch sie numeriert, soviel ich weiß.


DR. HORN: Ich habe diesem Dokument die Nummer Ribbentrop-Beweis-Nr. 1 gegeben. Die Nummer befindet sich auf der oberen rechten Ecke des Dokuments.


VORSITZENDER: Gut.


DR. HORN: Und ich bitte darum, überhaupt bei sämtlichen – und vielleicht darf ich aus Zeitersparnisgründen das sagen –, ich [111] bitte, sämtliche als Ribbentrop-Beweis-Nummern zitierten Dokumente zum Beweis entgegennehmen zu wollen.


VORSITZENDER: Gut. Und zwar in der Reihenfolge, in der Sie sie zitieren?


DR. HORN: Jawohl, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Sie werden also auf diese Weise numeriert werden. Sehr gut.


DR. HORN: Diese eben angeführten Einzelheiten, neben dem Grunde, wieso es zu diesem Memorandum kam, und zum Beweis für die eben zitierte Tatsache über die Verabredung des französischen Generalstabs benenne ich den Zeugen von Neurath, den ich darüber befragen werde, wenn er in den Zeugenstand gerufen wird, über diesen einen Punkt. Zur Begründung des deutschen Standpunktes, der in dem Memorandum enthalten ist, und der darin besteht, daß man den Locarno-Vertrag und den Völkerbundsvertrag als verletzt ansah, beziehe ich mich auf Seite 3 des Dokuments und darf daraus folgendes verlesen; es ist dies Seite 8 des Dokumentenbuches.


VORSITZENDER: Herr Dr. Horn! Ist das Dokument Ribbentrop 1 eines der Dokumente hinsichtlich dessen Sie einen Beweisantrag stellten, der bewilligt wurde?


DR. HORN: Jawohl, Herr Präsident! Es handelt sich darin um Auszüge aus den »Dokumenten der deutschen Politik«, Band 4. Ich betone, daß mir diese Dokumentensammlung zugestanden worden ist, gleichzeitig auch zwei Beweisbücher.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte gern das Originaldokument sehen.


DR. HORN: Herr Präsident! Wir sind nicht in der Lage, Originaldokumente vorzulegen, da das Auswärtige Amt von den Siegerstaaten beschlagnahmt wor den ist und mit ihm ein großer Teil der Dokumente. Ich müßte dann hier den Antrag an die betreffende Signatarmacht stellen, diese Originalurkunde herbeizuschaffen, denn wir haben einfach nicht die Möglichkeit; wir können nur auf Dokumentensammlungen verweisen.


VORSITZENDER: Woher kommt diese Abschrift?


DR. HORN: Diese Abschrift, Herr Präsident, kommt aus den »Dokumenten der deutschen Politik«, Band 4, wie es auch in dem Dokumentenbuch, das Herr Präsident vor sich haben, vermerkt ist; und zwar befindet sich das Dokument auf Seite 123 dieser Dokumentensammlung.

Ich möchte daher, Herr Präsident – darf ich das zur Erklärung noch hinzufügen: ich müßte dann, wenn der Gerichtshof Wert darauf legt, die Originale, in Anführungsstrichen, zu sehen –, müßte ich [112] die eben im Dokumentenraum befindliche Sammlung herunterholen lassen. Sie ist in deutscher Sprache, und ich glaube nicht, daß sie dem Gerichtshof zur Zeit irgendwie nützen könnte. Darf ich noch erwähnen,...


VORSITZENDER: Sehen Sie, Herr Dr. Horn, der Gerichtshof muß aus Gründen der Formalität und Sicherheit in seinen Akten jedes Dokument haben, das einen Teil des Protokolls bildet, ob es ein Original oder eine Abschrift ist. Was für ein Dokument es auch sein mag, das als Beweis angeboten wird, es sollte dem Gerichtshof eingehändigt werden und bei ihm verbleiben. Das Beweisstück muß angeboten, vorgelegt und dem Generalsekretär oder seinem Vertreter eingehändigt werden. Dann hat der Gerichtshof eine vollständige Zusammenstellung aller Dokumente, die als Beweismittel vorgelegt worden sind.

Wir können aber nicht Dokumente wie dieses annehmen, weil es lediglich eine Abschrift des Originals ist, das als Beweismittel hätte eingereicht werden sollen. Wenn es in der Informationszentrale ist, dann ist es ganz einfach, es hier vorzulegen.


DR. HORN: Herr Präsident! Der Gerichtshof hat in einem Beschluß verkündet, daß wir berechtigt sind, Urkunden abzuschreiben und die Richtigkeit zu bestätigen, um diese Urkunden dann dem Gerichtshof als Beweisstücke vorzulegen. Wir haben also jede Urkunde mit der uns vorliegenden Originalurkunde beziehungsweise dem Abdruck des Dokuments verglichen und am Ende des Dokuments die Richtigkeit der Abschrift bestätigt. Diese mit meiner persönlichen Unterschrift versehene Urkunde befindet sich, ich glaube in fünffacher Ausfertigung, in den Händen des Gerichtshofs.


VORSITZENDER: Dr. Horn... Ja, Herr Dodd?


MR. DODD: Vielleicht könnten wir etwas helfen. Wir erklären uns bereit, dieses Zitat aus dem erwähnten Buch als Beweis anzunehmen, und ich glaube, wir haben selbst Dokumente in gleicher Weise eingereicht und damals den Gerichtshof in ähnlicher Weise um Nachsicht gebeten.

Darf ich vielleicht anregen, der Gerichtshof wolle das in Rede stehende Dokument auf der gleichen Grundlage zulassen. Ich habe nur mit Sir David darüber gesprochen, aber ich bin ganz sicher, daß meine französischen und russischen Kollegen auch damit einverstanden sein werden.


VORSITZENDER: Meines Erachtens, Herr Dodd, handelt es sich natürlich mehr oder weniger nur um eine Formalität, daß das einzige Dokument, das als Beweismittel angeboten oder vorgelegt wird, eine Abschrift ist, die Dr. Horns Unterschrift nicht trägt; demzufolge liegt kein Beweis vor, daß es sich wirklich um eine getreue Abschrift handelt. Wenn jedoch Dr. Horns Unterschrift [113] darunter stünde, würden wir bereit sein, es als eine echte Abschrift anzunehmen. Was uns vorliegt, ist nur die Vervielfältigung irgendeines Dokuments, das uns nicht vorgelegt worden ist.


MR. DODD: Hoher Gerichtshof! Ich hatte keine Gelegenheit, es sorgfältig zu prüfen. Übrigens bekamen wir diese Dokumente erst ziemlich spät gestern abend. Wir haben nicht die übliche Zeit gehabt, es zu prüfen; aber auf jeden Fall habe ich vorgeschlagen, es zuzulassen; und falls Dr. Horn, wie Herr Präsident ihm anheimgegeben hat, es beglaubigen und später das Originalexemplar vorlegen würde, wäre das in Ordnung.


VORSITZENDER: Das wäre in Ordnung, gewiß.

Dr. Horn! Sie verstehen, was ich meine. Falls Sie uns später das Originaldokument vorlegen werden, das Sie selbst unterschrieben haben, um zu bestätigen, daß es eine genaue Abschrift ist, so wird das genügen.


DR. HORN: Herr Präsident! Es befindet sich ja in dem gesamten Urkundenbuch keine Urkunde, die ich nicht unterschrieben und in fünffacher Ausfertigung zum Übersetzen gegeben hatte. Ich kann natürlich nicht die ganzen Übersetzungen auch noch unterschreiben. Dieses Dokument, das sich im Dokumentenbuch, das vor dem Herrn Präsidenten liegt, befindet, trägt meine Unterschrift auf dem deutschen Text.


VORSITZENDER: Sie meinen, Sie haben Ihre Dokumente in deutscher Sprache zur Übersetzung eingereicht und mit Ihrer Unterschrift unten zum Ausdruck gebracht, daß es sich um eine getreue Abschrift handelt, und Sie wissen jetzt nicht, wo sich diese Dokumente befinden, weil sie in das Übersetzungsbüro abgegangen sind. Stimmt das?

DR. HORN: Nur zum Teil, Herr Präsident. Ich weiß, ich habe diese Dokumente der hierfür zuständigen Stelle in deutsch und mit meiner Unterschrift abgegeben. Dann hat diese Stelle sie behalten und zur Übersetzung gegeben. Von dem Moment ab, wo ich sie abgegeben habe, habe ich natürlich keinerlei Kontrolle mehr darüber, was geschehen ist.

Ich darf auch nochmals darauf hinweisen, daß die Urkundenbücher, die wir verwendet haben, auch nur einmal vorhanden sind und sämtlichen Anwälten zugänglich sein müssen, jetzt auch noch für weitere Arbeit. Deshalb kann ich natürlich auch das Original, welches nicht mein Eigentum ist, nicht dem Gerichtshof vorlegen, Das kann nur im Einverständnis mit dem Leiter der Dokumentenabteilung, dem Leutnant Schrader, geschehen.


VORSITZENDER: Dr. Horn! Wenn in Zukunft Sie und die anderen Verteidiger es möglich machen könnten, Ihre Dokumentenbücher so rechtzeitig vorzubereiten, dann könnten Sie es so einrichten, [114] daß das Dokumentenbuch, sobald Sie es als Beweismittel anbieten, dem Gerichtsbeamten überreicht werden kann.


DR. HORN: Ich glaube nicht, Herr Präsident, daß diese Möglichkeit überhaupt besteht; denn diese »Dokumente der deutschen Politik« – um bei diesem Beispiel zu bleiben – sind nur einmal vorhanden zur Verfügung aller Verteidiger; ich kann nunmehr jetzt diese Bücher nicht wegnehmen, wenn sie weiter darin arbeiten wollen, um sie hier dem Gerichtshof als Beweismittel vorzulegen; die würde ich nicht bekommen. Ich bekomme nur diese Bücher zum Arbeiten, zum Auszugmachen, und dann muß ich sie zurückgeben.


VORSITZENDER: Das schon; aber Sie legen als Beweis nur einen bestimmten Auszug aus dem Buche vor, und alles, was der Gerichtshof verlangt, ist, daß entweder Sie oder eine andere Vertrauensperson diesen Auszug aus dem Buch als eine genaue Abschrift bescheinigen; das Dokument mit einer solchen Unterschrift könnte dann vorgelegt werden. Es mag vielleicht schwierig sein, es in diesem Augenblick vorzulegen, da Sie es einem Beamten oder jemandem in der Übersetzungsabteilung gegeben haben, und es deshalb nicht vorlegen können. Aber in Zukunft könnte es so eingerichtet werden, daß es vorgelegt werden kann. Ich meine nicht dieses eine Dokument im besonderen, sondern daß in Zukunft auch die anderen Verteidiger ihre Dokumente, beglaubigt von ihnen selbst oder einer anderen Urkundsperson, vorlegen können.


DR. HORN: Das ist auch bereits geschehen, Herr Präsident. Fünf Urkundenbücher gleicher Art habe ich dem Gerichtshof, mit meiner Unterschrift versehen, eingereicht.


VORSITZENDER: Ja. Die Vorschrift des Gerichtshofs lautet nun, daß die Dokumente diesem Gerichtshof zum Zeitpunkt ihrer Benutzung vorzulegen und zur selben Zeit zur Übersetzung einzureichen sind. Das ist die Vorschrift.

Wir sollten jetzt aber vielleicht fortfahren, da wir damit zu viel Zeit verlieren.


DR. HORN: Wie ich eben gehört habe, werden die deutschen, von mir unterzeichneten Dokumente eben vom Generalsekretariat heraufgeholt, so daß ich sie dem Gerichtshof in unterzeichneter Form noch vorlegen kann, in deutsch.


VORSITZENDER: Gut.


DR. HORN: Ich darf nun fortfahren und die vorhin geäußerte Ansicht über die Rechtsfolgen des zwischen Rußland und Frankreich 1936 geschlossenen Vertrags darlegen und verweise dann auf Seite 3, das ist Seite 8 des Dokumentenbuches. Ich zitiere:

»Es kommt deshalb allein darauf an, ob sich Frankreich bei der Übernahme dieser Vertragsverpflichtungen in jenen [115] Grenzen gehalten hat, die ihm im Verhältnis zu Deutschland durch den Rheinpakt auferlegt worden sind.

Das aber muß die Deutsche Regierung vernei nen.

Der Rheinpakt sollte das Ziel verwirklichen, den Frieden im Westen Europas dadurch zu sichern, daß Deutschland einerseits und Frankreich und Belgien andererseits in ihrem Verhältnis zueinander für alle Zukunft auf die Anwendung militärischer Gewalt verzichten. Wenn bei dem Abschluß des Paktes bestimmte Ausnahmen von diesem Kriegsverzicht über das Recht der Selbstverteidigung hinaus zugelassen wurden, so lag, wie allgemein bekannt, der politische Grund hierfür allein darin, daß Frankreich schon vorher gegenüber Polen und der Tschechoslowakei bestimmte Bündnispflichten übernommen hatte, die es der Idee der absoluten Friedenssicherung im Westen nicht opfern wollte. Deutschland hat sich aus seinem guten Gewissen heraus damals mit diesen Einschränkungen des Kriegsverzichts abgefunden. Es hat die von dem Vertreter Frankreichs auf den Tisch von Locarno gelegten Verträge mit Polen und der Tschechoslowakei nicht beanstandet, allein unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß diese Verträge sich an die Konstruktion des Rheinpaktes anpaßten und keinerlei Bestimmungen über die Handhabung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung enthielten, wie sie in den neuen französisch- sowjetischen Abmachungen vorgesehen sind. Dem entsprach auch der damals der Deutschen Regierung bekanntgewordene Inhalt dieser Sonderabmachungen. Die im Rheinpakt zugelassenen Ausnah men sind allerdings nicht ausdrücklich auf Polen und die Tschechoslowakei abgestellt, sondern abstrakt formuliert worden. Es war aber der Sinn aller hierauf bezüglichen Verhandlungen, nur einen Ausgleich zwischen dem deutsch-französischen Kriegsverzicht und dem Wunsche Frankreichs nach Aufrechterhaltung seiner schon bestehenden Bündnisverpflichtungen zu finden. Wenn sich daher Frankreich die abstrakte Formulierung der im Rheinpakt zugelassenen Kriegsmöglichkeiten jetzt zunutze macht, um ein neues Bündnis mit einem militärisch hochgerüsteten Staat gegen Deutschland abzuschließen, wenn es so die Tragweite des von ihm mit Deutschland vereinbarten Kriegsverzichts weiterhin und in so entscheidender Weise einschränkt, und wenn es dabei, wie oben dargelegt, nicht einmal die festgesetzten formellen rechtlichen Grenzen innehält, so hat es damit eine völlig neue Lage geschaffen und das politische System des Rheinpaktes sowohl dem Sinne nach als auch tatsächlich zerstört.«

[116] Ich lasse den nächsten Absatz aus und zitiere auf Seite 9 des Urkundenbuches weiter wie folgt:

»Die Deutsche Regierung hat bei den Verhandlungen der letzten Jahre stets betont, alle sich aus dem Rheinpakt ergebenden Verpflichtungen so lange zu halten und erfüllen zu wollen, als die anderen Vertragspartner auch ihrerseits bereit sind, zu diesem Pakte zu stehen. Diese selbstverständliche Voraussetzung kann jetzt als von seiten Frankreichs nicht mehr erfüllt angesehen werden. Frankreich hat die ihm von Deutschland immer wieder gemachten freundschaftlichen Angebote und friedlichen Versicherungen unter Verletzung des Rheinpaktes mit einem ausschließlich gegen Deutschland gerichteten militärischen Bündnis mit der Sowjetunion beantwortet. Damit hat der Rheinpakt von Locarno aber seinen inneren Sinn verloren und praktisch aufgehört zu existieren. Deutschland sieht sich daher auch seinerseits nicht mehr als an diesen erloschenen Pakt gebunden an.«

Auf Grund des französisch-russischen Paktes und der Absichten des französischen Generalstabs ließ Hitler den Angeklagten von Ribbentrop zu sich kommen, um ihn über die vermutliche Einstellung Englands zu einer eventuellen deutschen Wiederbesetzung...

VORSITZENDER: Lesen Sie denn nicht aus dem Dokument, Dr. Horn? Sie fingen an, uns etwas über Hitler zu erzählen.

DR. HORN: Jawohl, ich habe hier bei »als an diesen erloschenen Pakt gebunden« unterbrochen, um die Rolle Ribbentrops kurz einzuschalten. Auf Grund dieses Paktes und der Absichten des französischen Generalstabs ließ Hitler damals den Angeklagten von Ribbentrop...


VORSITZENDER: Aber das werden wir von Ribbentrop selbst hören, nicht wahr?


DR. HORN: Herr Präsident! Es ist uns gestattet worden, ein paar verbindende Worte zu den Urkunden zu sagen. Ich kann nun...


VORSITZENDER: Bitte, Oberst Pokrowsky.


OBERST POKROWSKY: Soviel ich verstehe, hat der Gerichtshof dem Verteidiger Ribbentrops, Dr. Horn, bereits auseinandergesetzt, daß die Verteidigung jetzt ein Dokument vorlegt. Obwohl Dr. Horn es nicht für nötig hält, uns anzugeben, wo er von seinem Dokument abweicht und wo er dieses zitiert, hatte ich die Möglichkeit, festzustellen, daß in dem Dokument, das jetzt unter der Nummer Ribbentrop 1 vorgelegt wird, jegliche Bezugnahme auf die Pläne des französischen Generalstabs fehlt. Unter den Dokumenten, die sich in dem vom Verteidiger Ribbentrops vorgelegten [117] Buche befinden, konnte ich ebenfalls keine Kopien der Pläne des französischen Generalstabs finden. Unter diesen Umständen ist es mir unklar, woher Dr. Horn von den Plänen des französischen Generalstabs Kenntnis hat, und unter welcher Begründung er beim Vorlegen der Beweise in der Sache Ribbentrops, sich auf hier fehlende Dokumente bezieht.


DR. HORN: Herr Präsident...


VORSITZENDER: Dr. Horn! Was Sie dem Gerichtshof offenbar jetzt vorgetragen haben, war keine erläuternde Bemerkung zur Urkunde, sondern Sie erzählten uns, was Hitler tat, und was der Angeklagte Ribbentrop daraufhin tat. Sie können nicht etwas vorbringen, was nicht im Beweisstück enthalten ist. Sie können nur erläuternde Bemerkungen machen, um die Urkunde selbst verständlich zu machen.


DR. HORN: Herr Präsident! Der Angeklagte von Ribbentrop ist wegen der Führung der gesamten Außenpolitik angeklagt. Die Staatsanwaltschaft hat die Außenpolitik so dargelegt, wie sie es sieht, und uns ist gestattet worden, zwar keine Reden zu halten, aber doch mit verbindendem Text nun unseren gegenteiligen Standpunkt, wie ihn die Verteidigung sieht, darzulegen. Dazu muß ich mich auf gewisse Tatsachen, Dokumente und Aussagen stützen. Ich kann nie ein geschlossenes Bild geben, wenn ich nur ein Dokument einfach hinlegen darf, ohne einen großen Rahmen dazu zu geben, einen gewissen Ablauf der gesamten Politik.


VORSITZENDER: Dr. Horn! Der Gerichtshof erwartet ja nicht von Ihnen, daß Sie jetzt in diesem Stadium ein gesamtes Bild entwerfen. Alles, was Sie in diesem Augenblick zu tun haben, ist, die Beweismittel vorzulegen. Sie können das Allgemeinbild entwerfen, wenn Sie Ihr Schlußplädoyer halten. Dieses Dokument ist verständlich und wohlbekannt, es ist durchaus verständlich, auch ohne daß uns gesagt wird, was Hitler oder was der Angeklagte Ribbentrop getan haben.


DR. HORN: Ich habe doch vorhin zu diesen Sachen, die der Herr russische Anklagevertreter beanstandete, den Angeklagten von Neurath als Zeugen benannt. Ich kann ihn ja erst vernehmen zu diesem Punkt, wenn der Angeklagte von Neurath in den Zeugenstand tritt. Ich kann mich aber doch jetzt schon auf diese Tatsachen, die Gegenbeweise sind, beziehen.


VORSITZENDER: Ja, aber das wird seine Aufgabe sein. Wenn Sie uns sagen wollen, was der Angeklagte von Neurath Ihrer Meinung nach in Beantwortung Ihrer Fragen aussagen wird, dann würde das bereits eine Eröffnungsrede sein. Die ist im Statut nicht vorgesehen. Wir müssen daher warten, bis Sie von Neurath vorladen, oder bis Sie ihn befragen.


[118] DR. HORN: Ich verlese dann aus diesem eben zitierten Dokument Ribbentrop-Beweisstück Nummer 1 auf Seite 10 des Dokumentenbuches weiter:

»Die Deutsche Regierung ist nunmehr gezwungen, der durch dieses Bündnis neugeschaffenen Lage zu begegnen, einer Lage, die dadurch verschärft wird, daß der französisch-sowjetische Vertrag seine Ergänzung in einem genau parallel gestalteten Bündnisvertrag zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion gefunden hat. Im Interesse des primi tiven Rechts eines Volkes auf Sicherung seiner Grenzen und zur Wahrung seiner Verteidigungsmöglichkeiten hat daher die Deutsche Reichsregierung mit dem heutigen Tage die volle und uneingeschränkte Souveränität des Reiches in der demilitarisierten Zone des Rheinlandes wiederhergestellt.«

Ich bitte den Gerichtshof, das gesamte Dokument als Beweisstück entgegenzunehmen. Durch diesen Schritt der Deutschen Regierung waren gewisse Artikel des Versailler Vertrags, die sich auf die Demilitarisierung der Rheinlandzone bezogen, obsolet geworden. Da heute morgen durch Beschluß des Gerichtshofs eine Stellungnahme zu dem Versailler Vertrag nicht gestattet ist, lasse ich die entsprechenden Unterlagen aus dem Dokumentenbuch des Angeklagten von Ribbentrop aus und gehe nun zu dem Dokument Ribbentrop-Beweisstück Nummer 8 über, das sich auf Seite 21 des Dokumentenbuches befindet.

Darf ich noch eine Zwischenfrage stellen, Herr Präsident?

VORSITZENDER: Gewiß.

DR. HORN: Ist es gestattet, die offiziellen Dokumente über den Versailler Vertrag zu bringen, die vor Abschluß des Vertrags ausgetauscht wurden zwischen den Regierungen? Es handelt sich um reine Regierungsdokumente und nicht um irgendwelche Polemiken über den Vertrag selbst. Dürfen diese Dokumente nach der heutigen Entscheidung des Gerichtshofs vorgelegt werden?


VORSITZENDER: Welche sind das, die auf Seite 21?


DR. HORN: Es handelt sich hier um das Ribbentrop-Beweisstück Nummer 3.


VORSITZENDER: Wo befindet sich das?


DR. HORN: Es befindet sich auf Seite 14 des Dokumentenbuches.


VORSITZENDER: Dr. Horn! Der Gerichtshof möchte gern wissen, für welche Frage des Prozesses dieses Dokument beweiserheblich ist.


DR. HORN: Ich wollte damit die Ansicht, die deutsche Ansicht, über den Versailler Vertrag begründen. Es handelt sich bei dem Ribbentrop-Beweisstück Nummer 2 um die Note Deutschlands an [119] die Vereinigten Staaten, die das Angebot zu einem Waffenstillstand und Friedensschluß enthält. Und ich wollte weiter in der nächsten Note noch einmal darlegen, durch die nächste Note, daß es sich bei diesem Angebot um ein Angebot auf der Grundlage der Wilsonschen Vierzehn Punkte handelt. Ich wollte weiter durch das Ribbentrop-Beweisstück Nummer 4 den Beweis erbringen, daß der Friede und der Waffenstillstand auf der Grundlage der Vierzehn Punkte mit zwei Ausnahmen abgeschlossen werden sollte. Ich wollte weiter durch das Ribbentrop-Beweisstück...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich habe bisher versucht, nicht zu unterbrechen, aber der Gerichtshof hat über diesen Punkt schon vor 14 Tagen eine Verfügung getroffen, als der Angeklagte Göring, glaube ich, den Antrag stellte, über den gleichen Punkt Dokumente vorlegen zu dürfen, und heute früh hat der Gerichtshof meiner Meinung nach in der gleichen Sache eine Entscheidung gefällt. Der Punkt ist vollkommen klar. Der einzige Punkt, um den es sich hier handeln kann, ist der, ob der Versailler Vertrag den Vierzehn Punkten entsprach und, falls nicht, ob er dann ein ungerechter Vertrag wäre, der direkt unter die vor einer Stunde getroffene Gerichtsentscheidung fallen würde.


DR. HORN: Darf ich noch ein Wort hinzufügen?

Soweit ich und andere Mitkollegen den Beschluß des Gerichtshofs heute verstanden haben, ist es nur untersagt, vor diesem Gerichtshof Ausführungen über die Ungerechtigkeit des Vertrags und über die Tatsache zu machen, daß er unter Zwang abgeschlossen sein soll. Anders haben wir den Beschluß nicht verstanden.


VORSITZENDER: Aus diesem Grunde habe ich Sie ja gefragt, für welchen Punkt dies beweiserheblich war. Sie sagten, es wäre erheblich, um die deutsche Ansicht über den Vertrag zu zeigen. Nun, dies sind ja Dokumente aus der Zeit vor dem Vertrag, und sie scheinen nur für die Frage wichtig zu sein, ob der Vertrag gerecht oder ungerecht war.


DR. HORN: Ich persönlich wollte durch diese Dokumente weder darlegen, ob es ein gerechter oder ungerechter Friede war, sondern nur, daß es ein Vertrag war, der mit rechtlichen Mängeln behaftet ist, da der Hauptvertrag nicht den Abmachungen des Vorvertrags entsprach.


VORSITZENDER: Wenn der Hauptvertrag nicht den Abmachungen des Vorvertrags entsprach, dann müßte auf Grund Ihres Argumentes der Hauptvertrag ein ungerechter Vertrag sein. Das ist gerade der Punkt, über den der Gerichtshof entschieden hat.


DR. HORN: Aus diesem Grunde, Herr Präsident, habe ich eben auch diese Dokumente übergangen und habe erklärt, daß ich auf sie [120] dann, auf Grund dieses Beschlusses, nicht Bezug nehmen darf. Ich gehe daher über zu dem Dokument Nummer 8.


VORSITZENDER: Da Sie noch viele Dokumente behandeln werden, wollen wir jetzt für zehn Minuten unterbrechen.

[Pause von 10 Minuten.]


MR. DODD: Ich will die Zeit des Gerichtshofs nicht verschwenden, aber angesichts der Erklärung des Herrn Dr. Horn bezüglich des Gesundheitszustandes Ribbentrops halte ich es für notwendig, den Gerichtshof über die Lage zu informieren, wie wir sie sehen. Sie ist ganz verschieden von derjenigen nach der Ansicht Dr. Horns.

Ich habe mit Oberst Andrus und einem der behandelnden Militärärzte gesprochen. Oberst Andrus hat mit beiden Ärzten gesprochen, und wir erfahren, daß Ribbentrop nicht krank ist, und daß er imstande ist, Zeugnis abzulegen. Er ist nervös und scheint Angst zu haben, aber er ist in keiner Weise krank und imstande, Zeugenaussage abzulegen.


DR. HORN: Ich komme jetzt zu Seite 21 des Dokumentenbuches und bitte den Gerichtshof, das als Ribbentrop-Beweisstück Nummer 8 aufgeführte Dokument zur amtlichen Kenntnis zu nehmen. Es handelt sich wieder um eine Abschrift aus den »Dokumenten der deutschen Politik«, Band 4, die ich unterschrieben dem Gerichtshof eingereicht habe. Es handelt sich um die Rede des Botschafters von Ribbentrop in der 91. Sitzung des Völkerbundsrates in London über den Sowjetpakt, den Locarno-Vertrag und den deutschen Friedensplan. Die Rede wurde gehalten am 19. März 1936. Die Rede – ich beziehe mich auf Seite 3 der Rede und beginne mein Zitat mit Ziffer 5. Ich zitiere:

»Frankreich und Rußland erheben sich nach diesem Bündnis zum Richter in eigener Sache, indem sie gegebenenfalls auch ohne einen Beschluß oder eine Empfehlung des Völkerbundes selbständig den Angreif er bestimmen und somit gegen Deutschland nach ihrem eigenen Ermessen zum Kriege schreiten können.

Diese strikte Verpflichtung der beiden Staaten ergibt sich klar und eindeutig aus Ziffer 1 des Zeichnungsprotokolls zu dem Bündnisvertrag. Das heißt also: Frankreich kann in einem angezogenen Fall aus eigenem Ermessen entscheiden, ob Deutschland oder Sowjetrußland der Angreifer sei. Es macht dabei lediglich den Vorbehalt, daß es sich durch sein militärisches Vorgehen gemäß einer solchen eigenen Entscheidung nicht Sanktionsmaßnahmen seitens der Garantiemächte des Rheinpaktes, England und Italien, aussetze.

[121] Dieser Einwand ist rechtlich und realpolitisch gesehen belanglos.

Rechtlich: Wie will Frankreich bei der eigenen Feststellung des Angreifers voraussehen wollen, welche Haltung zu dieser seiner Feststellung nachträglich die angezogenen Garanten des Locarno- Paktes anzunehmen beabsichtigen? Die Antwort auf die Frage, ob Frankreich im gegebenen Falle derartige Sanktionsmaßnahmen zu befürchten hätte, hängt praktisch nicht lediglich von der loya len Vertragstreue der Garanten ab, die die Deutsche Regierung in keiner Weise in Zweifel ziehen will, sondern auch von den verschiedensten Voraussetzungen rein faktischer Art, deren Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit im voraus in keiner Weise zu übersehen ist. Außerdem kann aber die Beurteilung des Verhältnisses des neuen Bündnisvertrags zum Rheinpakt unmöglich von dem Vertragsverhältnis zwischen Frankreich und Deutschland einerseits und den Garantiemächten andererseits abhängig gemacht werden, sondern allein von dem unmittelbaren Vertragsverhältnis zwischen Frankreich und Deutschland selbst. Sonst müßte man Deutschland ansinnen, jede mögliche Verletzung des Rheinpaktes durch Frankreich stillschweigend hinzunehmen, im Vertrauen darauf, daß die Garanten für seine Sicherheit zu sorgen haben. Das ist sicherlich nicht der Sinn des Rheinpaktes gewesen.

Realpolitisch: Es ist für einen Staat, der infolge einer unrichtigen, weil in eigener Sache vorweggenommenen Entscheidung von einer so übermächtigen Militärkoalition angegriffen wird, ein belangloser Trost, sein Recht in nachträglichen Sanktionen gegenüber den vom Völkerbundsrat verurteilten Angreifern zu erhalten. Denn welche Sanktionen könnten überhaupt eine so gigantische, von Ostasien bis zum Kanal reichende Koalition treffen? Diese beiden Staaten sind so mächtige und ausschlaggebende Mitglieder und insonderheit mi litärisch starke Faktoren des Völkerbundes, daß nach allen praktischen Erwägungen eine Sanktion dagegen von vornherein undenkbar wäre.

Es ist daher diese zweite Einschränkung, die ihren Bezug nimmt auf die Rücksichtnahme auf eventuelle Sanktionen, realpolitisch gänzlich belanglos.

Ich bitte nun aber die Mitglieder des Rates, sich nicht nur die rechtliche und praktische politische Tragweite dieser Verpflichtung Frankreichs zum selbständigen Handeln zu vergegenwärtigen, sondern sich vor allem die Frage zu stellen, ob die Ansicht vertretbar ist, daß die damalige Deutsche Regierung, die die Locarno-Verträge unterzeichnet hat, etwa [122] jemals die Verpflichtungen dieses Paktes übernommen hätte, wenn sich in ihm so einseitig belastende Momente befunden haben würden, wie sie sich nun nachträglich ergeben.«

Ich gehe nun auf Seite 26 des Dokumentenbuches und des gleichen Dokuments über und füge zur Klärung des deutschen Standpunktes noch folgendes hinzu:

»Das französisch-sowjetrussische Bündnis aber bedeutet darüber hinaus noch nach der geschichtlichen Auffassung der Deutschen Regierung eine völlige Beseitigung des bisherigen europäischen Gleichgewichtes und damit der fundamentalen politischen und rechtlichen Voraussetzungen, unter denen der Locarno-Pakt damals abgeschlossen wurde.«

Damit hatte Deutschland seinen Rechtsstandpunkt über seine Einstellung zum Locarno-Vertrag und zu den Versailler Bestimmungen bezüglich der Entmilitarisierung des Rheinlandes dargelegt. Um seinen Willen zur Abrüstung unter Beweis zu stellen, ist in demselben Dokument auf Seite 7, das ist Seite 27 des Dokumentenbuches, ein eingehend detaillierter Abrüstungsvorschlag enthalten.

Ich bitte den Gerichtshof, das eben zitierte Dokument zur amtlichen Kenntnis zu nehmen, damit ich mich später darauf beziehen kann.

Mit dieser Darlegung schließe ich meine Ausführungen über Deutschlands Begründung der Wiederbesetzung des Rheinlandes. Auf die Rolle des Angeklagten von Ribbentrop bei der Rheinlandbesetzung werde ich eingehen, wenn ich den Angeklagten in den Zeugenstand rufe.

Nach der Rheinlandbesetzung kehrte der Angeklagte von Ribbentrop nach London, wo er damals als Botschafter tätig war, zurück. Am 4. Februar 1938 wurde er zum Außenminister ernannt und führte von da an die Außenpolitik nach den Richtlinien Hitlers. Zum Beweise dieser Behauptung beziehe ich mich auf das im Dokumentenbuch befindliche Ribbentrop-Beweisstück Nummer 10. Es handelt sich um ein ganz kurzes Dokument, das ich dem Gerichtshof zur amtlichen Kenntnisnahme vorlege. Es handelt sich um einen Auszug aus der Rede des Führers vor dem Deutschen Reichstag in der Kroll-Oper zu Berlin vom 19. Juli 1940. Ich zitiere:

»Ich kann diese Würdigung nicht abschließen, ohne dabei endlich dem Manne zu danken, der seit Jahren meine außenpolitischen Richtlinien in treuer, unermüdlicher, sich selbst verzehrender Arbeit verwirklicht. Der Name des Parteigenossen von Ribbentrop wird mit der politischen Erhebung der deutschen Nation als Reichsaußenminister für alle Zeiten verbunden sein.«

[123] Ich lege dieses Zitat dem Gerichtshof vor, um zu zeigen, nach welchen Grundsätzen der Angeklagte von Ribbentrop die Außenpolitik zu führen hatte.

Ich darf den Gerichtshof jetzt bitten, den Zeugen, Staatssekretär von Steengracht zu hören.


[Der Zeuge von Steengracht betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte Ihren Namen angeben?

ZEUGE ADOLF FREIHERR STEENGRACHT VAN MOYLAND: Adolf von Steengracht.


VORSITZENDER: Wollen Sie mir diesen Eid nachsprechen:

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen, wenn Sie wünschen.

DR. HORN: Welche Stellung bekleideten Sie zuletzt im Auswärtigen Amt?


VON STEENGRACHT: Seit Mai 1943 war ich amtierender Staatssekretär des Auswärtigen Amtes.


DR. HORN: Welches war Ihre Tätigkeit?


VON STEENGRACHT: Um meine Tätigkeit verständlich darzustellen, muß ich folgendes vorausschicken:

Seit Kriegsbeginn hatte der Außenminister seinen Dienstsitz in der Nähe des Hauptquartiers von Hitler, also meist mehrere hundert Kilometer von Berlin entfernt. Hier wirkte er mit einem beschränkten Personenkreis. Das Auswärtige Amt Berlin hatte Routine-und Verwaltungsaufgaben. Vor allem aber oblag ihm auch die Erledigung des taufenden Verkehrs mit ausländischen Diplomaten.

Im Rahmen dieses Aufgabenkreises trage ich als Staatssekretär seit Mai 1943 die Verantwortung. Die außenpolitische Meinungsbildung, die außenpolitischen Entschlüsse und Weisungen ergingen dagegen aus dem Hauptquartier, meist ohne jede Beteiligung, manchmal auch ohne nachträgliche Verständigung des Auswärtigen Amtes.


DR. HORN: Wer hat die Außenpolitik in den Richtlinien bestimmt?


VON STEENGRACHT: Die Außenpolitik wurde nicht nur in den Richtlinien, sondern sehr häufig bis in die kleinsten Einzelheiten von Hitler selbst bestimmt. Ribbentrop hat häufig erklärt, der Führer braucht gar keinen Außenminister, eigentlich will er auch nur einen außenpolitischen Sekretär haben. Ribbentrop wäre meines Erachtens [124] mit einer solchen Stellung auch einverstanden gewesen, da er dann wenigstens mit der Autorität Hitlers einen Teil der vernichtenden außenpolitischen Nebeneinflüsse und den Einfluß über Hitler hätte ausschalten können. Vielleicht hätte er dann auch Einfluß auf Hitlers Reden gehabt, die dieser auch im außenpolitischen Teil ohne Ribbentrop anzufertigen pflegte.


DR. HORN: Hat es noch andere Stellen oder Persönlichkeiten gegeben, die sich neben dem Auswärtigen Amte mit Außenpolitik beschäftigten?


VON STEENGRACHT: Ja. Es gab praktisch kaum eine Dienststelle der Partei oder ihrer Gliederungen, die ab 1933 keine außenpolitischen Ambitionen gehabt hätte. Jede dieser Dienststellen hatte eine Art Außenbüro, über das sie Beziehungen mit dem Ausland aufzunehmen und sich dadurch eigene außenpolitische Kanäle zu erschließen suchte.

Ich schätze die Zahl auf etwa dreißig. Zum Beispiel die HJ, die SA, die Deutsche Arbeitsfront, die SS, die Dienststelle Rosenberg mit Außenpolitischem Amt, das Propagandaministerium, die Dienststelle Prinz Waldeck, die Dienststelle Ribbentrop, die Nordische Gesellschaft, ferner der VDA, die Deutsche Akademie, die Reichsbahn und andere mehr. Neben diesen Dienststellen waren die unmittelbare Umgebung Hitlers und Persönlichkeiten wie Himmler, Goebbels und Bormann auf die außenpolitische Meinungsbildung von Einfluß. Auch Göring hatte – soweit ich sehe – etwa einen gewissen Einfluß, aber nur bis 1938, jedenfalls in außenpolitischer Hinsicht; später kaum mehr.


DR. HORN: Hat von Ribbentrop Versuche gemacht, derartige Beeinflussungen zu verhindern oder auszuschalten?


VON STEENGRACHT: Aus eigener Beobachtung kann ich nur folgendes Urteil abgeben: Fast jeder von denjenigen, die früher nie im Ausland gewesen waren, dann im Frieden als Gelegenheitsreisende des Dritten Reiches und nach der Besetzung eines fremden Landes in der Hauptstadt dieses oder jenes Landes gut gefrühstückt hatten, hielten sich für nicht zu schlagende Sach- und Landeskenner. Ihre Erleuchtungen und Einsichten brachten sie mit Vorliebe bei Hitler an. Leider gefielen sie Hitler, je mehr sie sich von den tatsächlichen Verhältnissen entfernten, je mehr sie den außenpolitischen Bedürfnissen und Notwendigkeiten widersprachen und leider, vor allem auch, je mehr sogenannte Stärke sie aufwiesen und sich in Widerspruch zu Gefühlen des Primitiv-Humanitären setzten. Da Hitler solche Äußerungen und Schilderungen als nicht verbildetes Urteil ansah, übten sie teilweise irreparable Wirkungen aus und bildeten bei Hitler neben seiner sogenannten Intuition den Ausgangspunkt für einen grundsätzlichen Standpunkt. Zum eventuellen[125] Einwand, daß es ein leichtes für einen Fachmann gewesen sein müßte, ein so zustandegekommenes Urteil oder Ansicht umzustoßen, darf ich auf folgendes verweisen: Solange der spätere Deutsche Botschafter in Paris noch Zeichenlehrer war, las Hitler seine Berichte mit Interesse; als er aber offizieller Vertreter des Reiches geworden war, wanderten sie meist ungelesen in den Papierkorb. Die Berichte von Himmler, die Zweckanschauungen von Goebbels und die Beeinflussung durch Bormann fielen dagegen entscheidend ins Gewicht, ebenso unkontrollierbare Agentennachrichten, die schwerer wogen als Urteile von Sach- und Landeskennern.


DR. HORN: War das Auswärtige Amt für die Beziehungen zu sämtlichen außerdeutschen Staaten zuständig?


VON STEENGRACHT: Ich darf vielleicht hier noch bemerken, daß ich den zweiten Teil Ihrer Frage noch nicht beantwortet habe, und zwar handelt es sich um die Ausschaltung dieses Einflusses.

Bei den Arbeitsmethoden Hitlers waren diese sogenannten Gegeneinflüsse überhaupt nicht auszuschalten. Gegen die »organisierte Desorganisation« hat Ribbentrop einen unentwegten erbitterten Kampf geführt, und zwar gegen fast alle deutschen Stellen. Ich möchte noch sagen, daß wenigstens 60 Prozent seiner Zeit allein diesen Dingen gewidmet war.


DR. HORN: War das Auswärtige Amt für die Beziehungen zu sämtlichen außerdeutschen Staaten zuständig?


VON STEENGRACHT: Im Frieden, ja.


DR. HORN: Änderte sich mit Ausbruch des Krieges die Stellung des Auswärtigen Amtes?


VON STEENGRACHT: Ja, in tatsächlicher Hinsicht verlor das Auswärtige Amt seine Zuständigkeit dem jeweiligen Lande gegenüber in dem Augenblick, in dem das deutsche Bajonett die Grenze überschritt. Das alleinige Recht direkter Beziehungen zu ausländischen Regierungen entfiel in allen besetzten Ländern, in den meisten Fällen sogar das Recht, einen Vertreter des Auswärtigen Amtes nunmehr als Beobachtungsposten ohne irgendwelche Kompetenzen dort zu unterhalten. Dies gilt ganz besonders für die Ostgebiete und Norwegen.

Wo Ribbentrop den Versuch unternahm, trotz Besetzung in gewisser Hinsicht die Selbständigkeit eines Landes zu wahren, wie zum Beispiel in Norwegen, wurde diese Tätigkeit unserer Diplomaten als dumm, schlapp und staatsschädigend bezeichnet, und die Verantwortlichen mußten ihre Arbeit sofort auf Befehl Hitlers einstellen und schieden aus dem Auswärtigen Amt aus.

In allgemeiner Hinsicht charakterisiert die veränderte Stellung des Auswärtigen Amtes im Kriege am besten der Ausspruch Hitlers: »Das Auswärtige Amt soll nach Möglichkeit bis Kriegsende von der [126] Bildfläche verschwinden.« Hitler wollte das Auswärtige Amt auf zwanzig bis vierzig Leute beschränken, und es wurde sogar teilweise untersagt, mit dem Auswärtigen Amt Verbindung aufzunehmen oder zu unterhalten.

Das Auswärtige Amt als solches und seine Beamten waren Hitler verhaßt. Sie galten als objektive Juristen, Defaitisten und Kosmopoliten, denen man eine Sache nur dann geben kann, wenn sie nicht durchgeführt werden soll.


DR. HORN: Gab es überhaupt noch eine Außenpolitik im traditionellen Sinne in Deutschland?


VON STEENGRACHT: Nein, jedenfalls habe ich nie etwas davon gemerkt, denn Hitler hatte dem Sinne nach den Ausspruch getan: »Diplomatie ist Völkerbetrug. Verträge sind kindisch; sie werden nur so lange gehalten, wie sie dem jeweiligen Partner zweckmäßig erscheinen.« So urteilte Hitler über alle Diplomaten der Welt.


DR. HORN: Hatte das Auswärtige Amt Einfluß auf die Ostgebiete und die Gebiete, die unter Zivilverwaltung standen?


VON STEENGRACHT: Diese Frage habe ich bereits gestreift. Ich habe bereits gesagt, daß in den Gebieten, in denen eine Militärregierung war oder wo eine Zivilverwaltung war, ein Vertreter des Auswärtigen Amtes – wenn er überhaupt noch geduldet wurde als Beobachtungsposten – jedenfalls keine Funktionen hatte; das war die Regel.

Ich glaube, ich würde au weit gehen, wenn ich in jedem Land die Lage behandle. Die Situation war verschieden.


DR. HORN: Halten Sie von Ribbentrop für einen typischen Nationalsozialisten oder nicht?


VON STEENGRACHT: Ribbentrop war seiner gesamten Einstellung nach kein typischer Exponent des Nationalsozialismus. Er kannte von den Dogmen und den Doktrinen des Nationalsozialismus außerordentlich wenig. Er fühlte sich nur persönlich an Hitler gebunden, dem er in soldatischem Gehorsam folgte, und er stand in einer gewissen hypnotischen Abhängigkeit zu Hitler persönlich. Aber als typischen Exponenten des Nationalsozialismus kann ich ihn niemals bezeichnen.


DR. HORN: War Hitler ein Mensch, der Darlegungen und Einwendungen zugänglich war?


VON STEENGRACHT: In den ersten Jahren nach 1933 soll er es noch gewesen sein; aber er verschloß sich sachlichen Einwendungen und Darlegungen im Laufe der Zeit immer mehr. Seitdem ich Staatssekretär war, habe ich nur zweimal bei offiziellen Anlässen ihn kurz gesehen. Ich kann daher nur aus dem Erfolg oder [127] Mißerfolg unserer Arbeit berichten. Im Laufe meiner fast zweijährigen Tätigkeit ist mir praktisch kein Fall mehr erinnerlich, in dem er einer unserer Vorlagen zugestimmt hätte; im Gegenteil, man mußte stets befürchten, ihn durch irgendwelche Anregung persönlicher Art gerade zu gegenteiligen Gewaltmaßnahmen zu veranlassen. Der Grundzug seines Charakters war wohl Mißtrauen; er trieb hierbei unvergleichliche Früchte. Daher standen sachliche, anständige Menschen, wenn sie Hitler in ihrem Sinne beeinflussen wollten, meines Erachtens auf völlig verlorenem Posten. Auf der anderen Seite aber fanden Anregungen zu Gewaltmaßnahmen oder Mißtrauensäußerungen verantwortungsloser Kreaturen leider ein sehr offenes Ohr. Diese Leute wurden dann als »stark« bezeichnet, während das Verhalten jedes nur einigermaßen normalen Menschen als Schwäche oder Defaitismus verdammt wurde, und durch eine einmal geäußerte vernünftige Meinung der Einfluß dieses Mannes für immer dahin sein konnte.


DR. HORN: Welche Schlußfolgerungen zog Hitler aus Widersprüchen im Hinblick auf die widersprechenden Personen?


VON STEENGRACHT: Diese Frage kann ich nicht generell beantworten; ich habe das bereits in meinen bisherigen Antworten gezeigt. Die Reaktion hing zunächst meines Erachtens sehr von der jeweiligen Laune des Diktators ab, zum anderen kam es darauf an, wer widersprach und wieviel Stänke oder Schwäche er bereits oder auch nur vermeintlich gezeigt hatte. Wie die Atmosphäre aber war, mag folgender Fall zeigen, wie ihn Ribbentrops Verbindungsmann zu Hitler, namens Hewel, kurz nach dem Tode des Herrn Präsidenten Roosevelt erzählte. Er sagte:

»Heute wäre fast meine letzte Stunde dagewesen. Goebbels kam vom Führer heraus, er berichtete über die deutschen Zukunftsaussichten, so, wie sie der Führer durch den Tod des Präsidenten Roosevelt verursacht sah, und entwarf ein durchaus hoffnungsvolles Zukunftsbild. Ich, Hewel, war der Ansicht, daß ein solches Urteil nicht gerechtfertigt war und bemerkte dieses vorsichtig gegenüber Goebbels. Dieser geriet in helle Wut und nannte mich einen alles demoralisierenden Geist, der jedem anständigen Menschen gleich seine gute Stimmung und Hoffnung vertrample. Ich war gezwungen,« so sagt Hewel, »anschließend privat zu Goebbels zu gehen und ihn zu bitten, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Denn, hätte er meine Ansicht dem Führer mitgeteilt, so hätte dieser lediglich auf den Knopf gedrückt und sich Rattenhuber, den Chef seines Sicherheitsdienstes, rufen lassen, um mich abzuführen und zu erschießen.«


DR. HORN: Wie erklären Sie sich, daß so viele Personen in der Umgebung Hitlers blieben, obwohl sie den grundsätzlichen Dingen nicht zustimmen konnten?

[128] VON STEENGRACHT: Es ist richtig, daß viele Personen in Ihren Stellungen blieben, obwohl sie den Regierungsmethoden Hitlers innerlich ablehnend, ja feindselig gegenüberstanden. Die Gründe hierfür sind verschiedener Art.

Zunächst ist zu sagen, daß die NSDAP als stärkste Partei des Reichstags nach parlamentarischen Spielregeln an die Macht gekommen war. Die Beamtenschaft hatte daher durch diesen Regierungswechsel durchaus keine Veranlassung, sich von ihrem Dienst zurückzuziehen. Der Übergang zur Diktatur und die damit verbundene völlig veränderte Staatsauffassung gestattete dem Einzelnen eine freie Stellungnahme zu diesem Regime plötzlich nicht mehr. Es setzte der allgemein bekannte furchtbare Terror ein. Überall, in den Ministerien und Kanzleien, den Privatwohnungen und Gaststätten, lauerten Spione, die aus Fanatismus oder gegen Bezahlung alles anzuzeigen bereit waren, was sie hörten. Dennoch hätten viele bewußt das Äußerste auf sich genommen, wenn durch einen Rücktritt irgend etwas gebessert worden wäre. Es zeigte sich aber, daß diese Fälle zwecklose Selbstaufopferung, vor allem auch der Familien waren, weil sie der breiten Öffentlichkeit peinlichst vorenthalten wurden und infolgedessen keinerlei Wirkung hatten. Hinzu kam aber vor allem, daß auf den freigewordenen Platz nun ein besonders radikaler Mann gesetzt wurde. In Erkenntnis dieser Tatsachen sind daher viele auf ihrem Posten geblieben, um die eben geschilderte Entwicklung zu verhindern. Die große Zahl der Greueltaten, die von Hitler oder Himmler begangen oder angeordnet worden sind, hat unter Ausländern vielfach zu der Annahme Veranlassung gegeben, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit hieran eine Mitschuld trage, zumindest aber von all diesen Dingen Kenntnis gehabt hat. Dies ist nicht der Fall. Sogar den meisten Menschen in hohen Staatsstellungen sind diese Vorgänge erst nach Abschluß des Krieges in Umfang und Einzelheiten bekannt geworden. Vielleicht findet sich der Schlüssel hierzu in der Rede, die Himmler in Posen am 3. Oktober 1943 vor seinen Gruppenführern gehalten hat, und die mir erst hier bekannt wurde. Es heißt darin, daß seine, Sonderaufträge, gemeint sind Judenaktionen und KZs, absolut geheimzuhalten seien, wie die Ereignisse des 30. Juni 1934, über die das deutsche Volk Authentisches soeben erst erfahren hat.

Schuld an all diesen Vorgängen trägt nur eine verhältnismäßig klein, auf einige Tausend Menschen zu beziffernde Gruppe. Es ist die gleiche, die den unerhörten Terror gegen das deutsche Volk ausübte. Den Andersdenkenden aber, die blieben, ist es in erster Linie mit zu danken, daß zum Beispiel die Genfer Konvention nicht gekündigt, Zehn- oder gar Hunderttausende englischer oder amerikanischer Flieger und Gefangener nicht erschossen, unglückliche Gefangene, [129] Schwerverwundete während des Krieges zu den Ihren in die Heimat zurückkehrten; Griechenland in seiner furchtbaren Notlage Lebensmittel zugeführt erhielt; Währungen, wie in Belgien und Frankreich – soweit es ging –, gehalten wurden, und militärisch völlig sinnlos angeordnete Zerstörungen in fremden Ländern und in der Heimat zum Teil verhindert oder doch gemindert werden konnten, ja, daß die Gebote des Rechtes und der Menschlichkeit, an einigen Stellen wenigstens, lebendig erhalten geblieben sind. Entmutigt wurden diese Kreise in ihrer Haltung früher durch die Tatsache, daß keine ausländische Macht die Zustände in Deutschland zum Anlaß genommen hat, die Beziehungen abzubrechen, sondern fast alle bis Kriegsausbruch mit dem Nationalsozialismus verhandelt, Verträge abgeschlossen und auch ihre diplomatischen Vertreter zu den nationalsozialistischen Parteitagen nach Nürnberg entsandt haben. Es fand besondere Beachtung, daß dem nationalsozialistischen Deutschland – äußerlich zumindest – ungleich mehr Achtung, Entgegenkommen und Rücksichtnahme vom Ausland entgegengebracht wurde, als die Weimarer Republik bei aller Vertragstreue und Rechtlichkeit jemals gefunden hatte.

Und dann kam der Krieg und damit eine besondere Dienstpflicht für Beamte, Offiziere und jeden einzelnen Deutschen. Sollten, und wann sollten und konnten diejenigen, die sich noch als Diener ihres Volkes fühlten, unter diesen Umständen ihre Posten verlassen? Hätten sie vor allem mit einem solchen Schritt ihrem Volke und der Menschlichkeit genützt? Hätten sie Hitler abgeschreckt oder auch nur gewarnt?


DR. HORN: Haben Sie von Ribbentrop nach dem Frankreichfeldzug außenpolitische Befriedungsvorschläge gemacht?


VON STEENGRACHT: Ja. Ich war damals allerdings in keinerlei politischer Stellung. Ich fühlte jedoch das Bedürfnis, ich glaube der Herzenswunsch vieler, wenn nicht aller Deutschen, möglichst bald wieder ruhige Zustände in die Welt zurückkehren zu sehen. Am Tage der Kapitulation des Königs der Belgier schlug ich vor:

Erstens: die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa auf demokratischer Grundlage. Das hätte geheißen, Selbständigkeit von Holland, Belgien, Polen und so weiter.

Zweitens: Wenn dies nicht bei Hitler erreichbar sein würde, jedenfalls so wenig Eingriffe in die Selbstverwaltung der Länder, wie nur irgend möglich.


DR. HORN: Hat von Ribbentrop in diesem Sinne mit Hitler gesprochen?


VON STEENGRACHT: Soweit mir bekannt, ja. Hitler hat aber damals derartige Pläne als verfrüht bezeichnet.


[130] DR. HORN: Haben Sie zu von Ribbentrop nochmals im gleichen Sinne im Winter 1942/43 gesprochen?


VOM STEENGRACHT: Ja, Ribbentrop hat damals auch ganz konkrete Vorschlage ausgearbeitet. Sie sahen die Souveränität und Selbständigkeit aller besetzten Länder vor, auch Polens, und ferner eine weitgehende wirtschaftliche Zusammenarbeit.


DR. HORN: Wie reagierte Hitler damals auf diese Vorschläge?


VON STEENGRACHT: Hitler hat diese Vorschläge mit der Begründung abgelehnt: Der Zeitpunkt sei nicht geeignet, die militärische Lage nicht günstig genug, so daß dies als Zeichen der Schwäche ausgelegt würde.


DR. HORN: Nun zu einer anderen Frage! Hat von Ribbentrop bei Hitler vor dem Ausbruch des Rußlandfeldzugs auf Bismarcks Wort von der Gefahr von Präventivkriegen hingewiesen?


VON STEENGRACHT: Ribbentrop hat mir häufiger gesagt, der Rußlandpakt habe ihm am Herzen gelegen. Er habe Hitler in Bezug auf Präventivkriege er klärt: »Der liebe Gott läßt sich nicht in seine Karten sehen.« Bekannt ist mir auch, daß sich Ribbentrop bemühte, unsere Rußlandkenner zu Hitler zu bringen, um ihn über Rußland aufzuklären und von einem Kriege abzuraten. Hitler ließ sie, soweit ich weiß, nicht vor. Nur dem Botschafter Graf Schulenburg wurde eine kurze Audienz gewährt. Er, der einen solchen Krieg für unheilvoll hielt und entschieden ablehnte, konnte aber seine Ansicht über Rußland und die Gründe, die gegen einen Krieg sprachen, nicht vorbringen, da ihn Hitler nach einem eigenen Vortrag über dieses Thema nach etwa 20 Minuten, ohne ihn zu Worte kommen zu lassen, kurz verabschiedete.


VORSITZENDER: Dr. Horn! Der Beschluß des Gerichtshofs war, daß Zeugen ihr Gedächtnis durch Notizen auffrischen können. Es scheint aber dem Gerichtshof, daß dieser Zeuge fast jedes Wort, das er sagte, vorgelesen hat. Das bedeutet nicht das Auffrischendes Gedächtnisses durch Notizen. Das bedeutet eine Rede, die Sie vorher aufgeschrieben haben. Wenn diese Dinge fortgesetzt werden, so muß der Gerichtshof erwägen, ob es notwendig ist, seine Vorschrift zu ändern und auf der allgemeinen Regel zu bestehen, nach welcher keinem Zeugen erlaubt ist, sich auf irgendwelche Notizen überhaupt zu stützen, es sei denn, daß diese Notizen zur damaligen Zeit gemacht wurden.

DR. HORN: Herr Präsident! Ich habe mich zwar über den Fragenkomplex mit dem Zeugen unterhalten; die Aufzeichnungen sind, wenn sie gemacht sind, von dem Zeugen selbständig und ohne meine Kenntnis des genauen Inhaltes gemacht worden. Ich werde den Zeugen dann bitten, meine Fragen ohne Zuhilfenahme irgendwelcher [131] Mittel, die ich nicht kenne, zu beantworten. Ich kenne diese Antworten, das möchte ich nochmals betonen, nicht.

Herr Zeuge! Ist Ihnen bekannt, daß von Ribbentrop seinen Einfluß bei Hitler dahingehend geltend zu machen versuchte, die schädigenden Tendenzen gegen Kirche und Juden abzustoppen?


VON STEENGRACHT: Ja, es ist mir bekannt, daß von Ribbentrop häufiger mit Hitler über dieses Thema gesprochen hat. Ich war über die Politik gegenüber Kirche und Juden absolut verzweifelt und habe deshalb die Gelegenheit gehabt, mit ihm, wie schon gesagt, häufig zu sprechen. Er hat mir aber immer wieder erklärt, wenn er von Hitler kam: »Hitler läßt in diesem Punkte nicht mit sich sprechen. Hitler sagt, diese Probleme müssen zu seinen Lebzeiten noch gelöst werden.«


DR. HORN: Hatten von Ribbentrop und das Auswärtige Amt Einblick in die militärischen Planungen?


VON STEENGRACHT: Ribbentrop hat mir häufig gesagt, daß er militärisch völlig unorientiert sei. Was das Auswärtige Amt betrifft, so hatte dieses von strategischen Planungen keinerlei Ahnungen.


DR. HORN: Wie waren die Beziehungen zwischen Ribbentrop, Himmler, Goebbels und Bormann?


VON STEENGRACHT: Die Beziehungen zwischen Ribbentrop und den vorgenannten Herren waren die denkbar schlechtesten. Es bestand ein ständiger Kampf. Meines Erachtens wäre von Ribbentrop, falls Hitler etwas passiert wäre, auch das erste Opfer von Himmler geworden. Ein ständiger Krieg und Kampf, möchte ich saßen, mit einem unerhört scharfen Schriftwechsel, fand dauernd statt.


DR. HORN: Wie war überhaupt das Verhältnis zwischen den obersten Partei- und Reichsstellen?


VON STEENGRACHT: Das Verhältnis war natürlich bei den einzelnen Ressorts, je nach dem Charakter und der Provenienz des Ressortchefs, verschieden. Man kann aber sagen, daß das Verhältnis durchweg kein günstiges war, und vor allem die für Staatsgeschäfte dringendst notwendige gegenseitige Orientierung praktisch niemals erfolgte. Es war fast schwieriger für jemanden, wenn ein Minister ans Telephon ging, um mit einem anderen eine Frage zu besprechen, als wenn der Engel Gabriel selbst vom Himmel gekommen wäre und mit einem von uns gesprochen hätte. Ja, nicht einmal in den allerwichtigsten und notwendigsten Sachen konnte eine sachliche Beratung stattfinden. Also es bestand praktisch überhaupt keine Verbindung zwischen diesen. Sie waren im übrigen untereinander völlig verschieden, sowohl was ihre Charaktere als ihre Ideen betraf.


DR. HORN: Ist Ihnen etwas über Proteste des Vatikans, vor allem bezüglich der polnischen Geistlichkeit, bekannt?


[132] VON STEENGRACHT: Ich habe darüber später gehört, und zwar muß es sich um zwei Proteste handeln, die die katholische polnische Geistlichkeit betrafen. Diese zwei Noten wurden seinerzeit von dem Nuntius dem damaligen Staatssekretär übergeben. Der damalige Staatssekretär hat diese ordnungsgemäß Ribbentrop weitergeleitet, und Ribbentrop hat sie seinerseits Hitler vorgelegt. Da der Vatikan das Generalgouvernement nicht anerkannt hatte, und demgemäß der Nuntius für diese Gebiete nicht zuständig war, erklärte Hitler, als ihm diese Noten vorgelegt wurden:

»Sie stellen eine einzige plumpe Lüge dar. Geben Sie diese Noten über den Staatssekretär in schroffer Weise dem Nuntius zurück und sagen Sie ihm, Sie würden niemals mehr eine derartige Sache entgegennehmen.«

DR. HORN: Sind diese Noten dann vom Auswärtigen Amt bearbeitet worden?

VON STEENGRACHT: Es ergingen dann scharfe und genaue Weisungen, nach denen in allen Fällen, in denen Sachen vorgebracht wurden von Vertretern von Ländern in Angelegenheiten, für die sie nicht zuständig waren, sei es nun in Gesprächen, oder sei es durch Noten, Verbalnoten, Memoranden oder andere Schriftstücke, diese nicht angenommen werden durften, und mündliche Proteste scharf zurückgewiesen werden mußten.


DR. HORN: Ist Ihnen bekannt, daß von Ribbentrop die Erschießung von zirka 10000 Kriegsgefangenen, nach dem furchtbaren Luftangriff auf Dresden, verhinderte?


VON STEENGRACHT: Ja, mir ist folgendes bekannt: Der Verbindungsmann von Ribbentrop zu Hitler rief mich eines Tages in großer Erregung an. Er teilte mir mit, auf Vorschlag von Goebbels beabsichtige der Führer als Repressalie für die Todesopfer von Dresden englische und amerikanische Kriegsgefangene, ich glaube, vor allem Flieger, erschießen zu lassen. Ich ging sofort zu Ribbentrop und teilte ihm dies mit. Ribbentrop geriet in ganz große Erregung; er wurde leichenblaß; ja, er erstarrte fast, hielt es für unmöglich, nahm den Hörer auf und rief diesen Verbindungsmann selbst an, um diese Nachricht zu verifizieren. Dieser bestätigte das. Darauf stand Ribbentrop gleich auf und ging zu Hitler rüber und kam, ich glaube nach einer halben Stunde, zurück und sagte mir, es sei ihm gelungen, bei Hitler diesen Befehl rückgängig zu machen. Das ist alles, was ich über diesen Fall weiß.


DR. HORN: Ist Ihnen etwas über die Abhaltung eines antijüdischen Kongresses bekannt?


VON STEENGRACHT: Über die Abhaltung eines antijüdischen Kongresses ist mir etwas bekannt, und zwar wurde uns auch, ich glaube durch unseren Verbindungsmann bei Hitler, mitgeteilt, daß [133] auf Vorschlag von Bormann Hitler die Abhaltung eines antijüdischen Kongresses, durchgeführt durch die Dienststelle Rosenberg, angeordnet habe. Ribbentrop wollte dies nicht glauben; er mußte aber auch dieses, nachdem er mit unserem Verbindungsmann gesprochen hatte, als wahr annehmen. Wir haben dann, da wir auf Grund dieser Entscheidung offiziell nicht mehr die Sache inhibieren konnten, uns eingeschaltet, und wir haben uns bemüht, durch eine Verzögerungs-, Hinhaltungs- und Verschleppungstaktik die Durchführung unmöglich zu machen. Und trotzdem der Befehl im Frühjahr 1944 gegeben worden ist, und der Krieg erst im April 1945 beendet wurde, hat dieser Kongreß ja auch in der Tat nicht stattgefunden.


DR. HORN: Konnten Sie beobachten, ob von Ribbentrop seinen Mitarbeitern gegenüber oft eine starke Haltung aus Gründen der Staatsraison einnahm, obgleich er in Wirklichkeit manchmal ganz anders dachte?


VON STEENGRACHT: Dies würde ein Werturteil darstellen. Aber ach glaube, daß ich das bejahen muß. Aus vermeintlicher Loyalität gegenüber Hitler hat er meines Erachtens in den Fällen, in denen er mit einer vorgefaßten Meinung zu Hitler hinging und mit einer völlig entgegengesetzten Ansicht zurückkam, uns nachher den Standpunkt von Hitler darzulegen versucht. Und dieses hat er dann immer mit einer besonderen Vehemenz getan. Ich möchte annehmen, daß das dann seinen eigensten ursprünglichen Ideen widersprach.


DR. HORN: Hat sich von Ribbentrop während des Krieges um Schonung von Rom und Florenz eingesetzt?


VON STEENGRACHT: Soviel ich weiß, ja; er hat mit Hitler über diese Sachen gesprochen.


DR. HORN: Ist Ihnen ein von Goebbels verfaßter Artikel im »Reich« – oder es kann auch im »Völkischen Beobachter« gewesen sein – über Lynchjustiz bekannt?


VON STEENGRACHT: Ja. Zufälligerweise kam ich einmal auch zu Ribbentrop; er las in einer Zeitung und war wieder einmal sehr außer sich. Er fragte mich, ob ich den Artikel, diesen unerhörten Artikel von Goebbels bereits gelesen hätte. Es handelte sich um einen Artikel über Lynchjustiz.


DR. HORN: Hat von Ribbentrop gegen diesen Artikel bei Goebbels Protest eingelegt?


VON STEENGRACHT: Soviel ich weiß, hat er unseren Pressechef beauftragt, der immer die Verbindung zu Goebbels hatte, gegen diesen Artikel Protest einzulegen. Er hat aber zu seiner Überraschung feststellen müssen, daß dieser Protest keinerlei Sinn hatte, da der Artikel von Hitler nicht nur inspiriert, sondern ich glaube befohlen worden war, und damit nichts mehr zu tun war.


[134] DR. HORN: Wie stand das Auswärtige Amt zu den Tendenzen dieses Artikels?


VON STEENGRACHT: Das Auswärtige Amt lehnte den Artikel schroff ab, weil er gegen die Regeln des Völkerrechts verstieß, und wir uns damit auf einem weiteren Gebiet vom Völkerrecht entfernten. Außerdem appellierte er an die niederen Instinkte im Menschen und richtete damit sowohl innen- wie außenpolitisch einen großen Schaden an.

Außerdem, ein solcher Artikel, der einmal von vielen Hunderttausenden oder Millionen gelesen ist, richtet einen sowieso irreparablen Schaden an. Wir vertraten deshalb mit Nachdruck, daß unter keinen Umständen in der Presse mehr irgend etwas Derartiges geschrieben werden soll. Wir hatten aber, muß ich leider sagen, einen sehr schweren Stand in dieser Angelegenheit, ganz besonders, da die feindlichen Tiefflieger häufig mit Bordwaffen den Bauern auf dem Felde und den Straßenpassanten, also absolute Zivilisten, erschossen hatten. Und unsere Argumente, daß wir das Völkerrecht unter allen Umständen auf unserem Gebiete aufrechterhalten wollten, wurden uns von den meisten deutschen Stellen, vor allem aber von Hitler persönlich, in keiner Weise abgenommen. Im Gegenteil, wir wurden auch in diesem Falle wieder als Formaljuristen bezeichnet. Wir haben uns nachher bemüht, so gut es ging, mit Hilfe der militärischen Stellen die Durchführung dieses Befehls zu inhibieren.


DR. HORN: Ist Ihnen ein Bataillon Künsberg bekannt?


VON STEENGRACHT: Ein Bataillon Künsberg ist mir nicht bekannt. Ich kenne wohl einen früheren Legationsrat von Künsberg im Auswärtigen Amt. Dieser Legationsrat von Künsberg erhielt, soviel ich mich er innere – ich hatte damals noch nichts mit diesen ganzen Sachen zu tun –, den Auftrag von Ribbentrop, mit einigen wenigen Leuten des Auswärtigen Amtes, einigen Kraftwagenfahrern, der kämpfenden Truppe zu folgen und dafür zu sorgen, daß erstens die fremden Missionen – zum Beispiel in Brüssel, in Paris und so weiter –, die unter dem Schutze der Schutzmächte standen, nicht betreten würden von unseren Truppen, und gleichzeitig hatte Künsberg den Auftrag, in den Außenministerien die Akten sicherzustellen, die von außenpolitischem Interesse waren.

Nach Beendigung des Frankreichfeldzuges ist Künsberg, soweit ich weiß, nicht wieder in den aktiven Dienst des Auswärtigen Amtes gekommen, sondern wurde weitergeführt, bei der Geheimen Feldpolizei, von der er eine Uniform bekommen hatte, weil er ja als Zivilist nicht in diese Länder eigentlich rein konnte.


DR. HORN: Wie und wann endete Künsbergs Auftrag?


[135] VON STEENGRACHT: Ribbentrop hat sich eigentlich nach dieser Geschichte desinteressiert an Künsberg und dem ursprünglichen Auftrag. Als dann der Rußlandfeldzug wieder losging, meldete sich Künsberg, soviel ich weiß, wieder und sagte, er beabsichtige nun im Osten dasselbe zu tun, und Ribbentrop sagte ihm: »Ja, das ist gut. Sie können mit einigen Leuten zu den Heeresgruppen fahren und dort sehen, ob irgend etwas Interessantes für uns anfällt, und vor allem sehen Sie zu, daß auch, wenn wir nach Moskau kommen, dort die fremden Missionsräume und so weiter nicht betreten werden, und ebenso die Akten sichergestellt werden.«

Er hat sich selbst aber nicht mehr als zum Auswärtigen Amt gehörig betrachtet und hatte offenbar von anderen Stellen Aufträge bekommen. Er hat dann – wie ich später einmal hörte – eine große Schar von Männern gehabt, viele Autos gehabt, die er weder vom Auswärtigen Amte bekommen konnte noch konnte er eine militärische Uniform vom Auswärtigen Amte bekommen, also hat er offenbar für andere Stellen gearbeitet.


DR. HORN: Zum Auswärtigen Amte hat er in militärischer Eigenschaft jedenfalls nicht mehr gehört?


VON STEENGRACHT: Nicht gehört. Und außerdem hat Ribbentrop, als er davon hörte, daß er ein so großes Unternehmen hat, mich persönlich beauftragt, mich sofort an die SS zu wenden und ihr zu sagen: »Ich, Ribbentrop, will den Künsberg nicht mehr haben; und ich habe damals dem Obergruppenführer Wolff gesagt, ich möchte darauf hinweisen, daß wir mit Künsberg nichts mehr zu tun haben. Sehen Sie zu, daß Sie ihn bei der Waffen-SS mit seinen ganzen Leuten verwenden.« Das ist alles, was ich von der Sache Künsberg weiß.


DR. HORN: Wünschen Euer Lordschaft jetzt das Verhör abzubrechen, oder soll ich noch weitere Fragen stellen?


VORSITZENDER: Wenn Sie nicht gleich fertig werden, wird es am besten sein, wir vertagen uns. Wird es mit diesem Zeugen noch einige Zeit dauern?


DR. HORN: Ich mochte gerne noch eine Reihe von Fragen stellen.


[Das Gericht vertagt sich bis

27. März 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 10, S. 106-137.
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