Vormittagssitzung.

[507] DR. THOMA: Herr Rosenberg! Sie waren der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehung der NSDAP und ihrer angeschlossenen Verbände. Hatten Sie in dieser Eigenschaft einen Einfluß auf die staatliche Gesetzgebung?

ROSENBERG: In diesem Zusammenhang hat mich der Führer einmal angesprochen und mir dargelegt, daß es in der Führung einer großen Bewegung und des Staates drei Gesichtspunkte zu überlegen gäbe. Es gäbe Menschen, die nach ihrer Anlage herantretende Probleme grundsätzlich bearbeiten müßten, durch Denken und durch Vorträge darzulegen hätten. Die Führung, also er, müßte aus diesen Darlegungen das herauswählen, was eventuell zu verwirklichen wäre, und die Dritten hätten die Aufgabe, diese ausgewählten Probleme dann in mühseliger Arbeit auf sozialpolitischem und wirtschaftlichem Gebiete zu verwirklichen.

So hat er meine Aufgabe im ersten Sinne aufgefaßt und hat mich mit dieser Überwachung der Erziehung in dem Sinne beauftragt, daß ich in aufrichtender Form, auf Grund auch meiner Kenntnis der Bewegung, Stellung nehmen müßte. Die Exekutive und Gesetzgebung lag in den Händen der entsprechenden Ministerien, das heißt des Erziehungsministeriums, des Reichspropagandaministeriums, und die Gesamtvertretung der Partei hatte die Parteikanzlei. Diese Parteikanzlei hat mich in dem einen und dem anderen Fall gebeten, Stellung zu nehmen zu dieser und jener Frage, war aber nicht verpflichtet, diese Stellungnahme zu berücksichtigen.


DR. THOMA: Herr Rosenberg, hatten Sie einen Einfluß auf die nationalsozialistische Schulpolitik?


ROSENBERG: Ich habe einen Einfluß auf die Schulpolitik unmittelbar nicht gehabt. Die Schulsysteme sind eine Angelegenheit des Reichserziehungsministeriums gewesen, und die eigentliche innere Organisation der Schule – nicht mit Schulung der Partei zu verwechseln – und die Organisation der Universitäten ist, wie gesagt, eine Aufgabe des damit beauftragten Ministeriums gewesen.


DR. THOMA: Es gab Nationalpolitische Erziehungsanstalten. Wissen Sie, was das für eine Einrichtung war, und was hatten Sie da für eine Funktion?


ROSENBERG: Die sogenannten Nationalpolitischen Erziehungsanstalten waren eine besonders unter Führung des Erziehungsministeriums und des Reichsführers-SS Himmler hervorgerufene [507] Gründung, um eine bestimmte disziplinierte Schicht auszubilden, und die Inspektion dieser Erziehungsanstalten hatte ein im Erziehungsministerium eingebauter SS-Führer.


DR. THOMA: Herr Rosenberg! Sie werden auch der Religionsverfolgung beschuldigt, und zwar kommt sie hauptsächlich zum Ausdruck in Ihrem »Mythus des 20. Jahrhunderts«. Geben Sie nun zu, daß Sie sich gegenüber den Kirchen manchmal etwas zu scharf ausgesprochen haben?


ROSENBERG: Ich will selbstverständlich ohne weiteres einräumen, daß ich den geschichtlich gewordenen Konfessionen gegenüber ein persönliches scharfes Urteil ausgesprochen habe. Ich möchte unterstreichen dabei, daß ich in der Einleitung meines Buches dieses Werk als ein persönliches Anschauungsbuch bezeichnet habe. Zweitens, daß dieses Werk sich nicht an die kirchengläubigen Schichten der Bevölkerung richtet, wie aus dem Dokumentenbuch Teil 1, Seite 125 im Zitat ersichtlich; drittens, daß ich eine Kirchenaustrittspropaganda ablehne, wie aus dem Dokumentenbuch Teil 1, Seite 122 zu ersehen ist, und daß ich einen politischen Eingriff des Staates in rein religiöse Bekenntnisse abgelehnt habe, was ebenfalls in diesem Werk eindeutig ausgesprochen worden ist. Ich habe ferner die vielen Vorschläge abgelehnt, dieses Buch in fremde Sprachen zu übersetzen. Ich habe nur einmal eine japanische Übersetzung vorgelegt bekommen, ohne daß ich mich entsinnen könnte, dazu eine Genehmigung erteilt zu haben.


DR. THOMA: Herr Rosenberg! Sie waren ja theologisch nicht vorgebildet. Glauben Sie nicht, daß Sie sich in manchem Urteil über theologische Fragen geirrt haben?


ROSENBERG: Ich habe selbstverständlich nie angenommen, daß dieses Buch, das sehr viele Probleme behandelt, ohne Irrtum sei. Ich habe viele Gegenschriften zum Teil dankbar begrüßt, habe auch einige Korrekturen vorgenommen, konnte aber manche Angriffe nicht immer als berechtigt anerkennen und dachte mir, später einmal selbstverständlich auch dieses Werk, das ja auch manche politisch bloß aktuelle Ausführungen enthielt, grundsätzlich zu bearbeiten.


DR. THOMA: Haben Sie jemals staatlich-polizeiliche Machtmittel gegen Ihre theologischen und wissenschaftlichen Gegner angerufen?


ROSENBERG: Nein. Ich möchte hier ausführen, daß dieses Werk zweieinhalb Jahre vor der Machtübernahme erschienen war, daß eine selbstverständliche Kritik von allen Seiten offenstand, daß aber die Hauptgegenschriften nach der Machtübernahme entstanden. Ich habe auf diese Gegenschriften in zwei Broschüren geantwortet jedoch niemals die Polizei zur Unterdrückung dieser Schriften oder der Verfasser dieser Schriften aufgerufen.


[508] DR. THOMA: Herr Rosenberg! Es gab im Reichssicherheitshauptamt eine Stelle zur Verfolgung »politischer« Kirchen. Hatten Sie mit dieser Stelle irgend etwas zu tun?


ROSENBERG: Ich weiß nur, daß ein Mitarbeiter von mir naturgemäß Fühlung hielt mit vielen Parteidienststellen und auch natürlich mit der SS Fühlung hatte. Ich habe durch ihn manche Rundschreiben der Kirchenbehörden bekommen, manche Hirtenbriefe, die Rundschreiben der sogenannten Fuldaer Bischofskonferenz und ähnliches mehr. Von den mir bekanntgegebenen Einzelverhaftungen verschiedener Kirchenführer ist mir damit keine zur Kenntnis gekommen, obgleich ich natürlich später erfuhr, daß während des Krieges manche Klöster beschlagnahmt wurden, wie es hieß, aus staatspolitischen Gründen, und so konnte ich im einzelnen die politischen Gründe nicht erfahren. Ich möchte hier noch eines bemerken, daß im Jahre 1935 einmal ein Bischof an den Oberpräsidenten seiner Provinz ein dienstliches Schreiben richtete mit dem Ersuchen, mir das Auftreten und mir einen Vortrag in dieser Stadt zu verbieten. Das ist zwar nicht geschehen, aber auch dem Kirchenfürsten ist daraufhin von mir aus und von keiner anderen Seite etwas passiert.


DR. THOMA: Wie haben Sie sich zu den Kirchen im Bereiche des Ostministeriums gestellt?


ROSENBERG: Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im Osten hat die Wehrmacht von sich aus die freie Ausübung der religiösen Kulte wieder gestattet, und als ich Ostminister wurde, habe ich durch ein besonderes Kirchentoleranzedikt von Ende Dezember 1941 diese praktisch durchgeführte Tatsache auch gesetzlich bestätigt.


DR. THOMA: Die Anklage hat eine Anzahl von Urkunden, fast alles Briefe des Leiters der Parteikanzlei, zur Unterstützung ihrer Behauptung der Religionsverfolgung vorgelegt. Ich möchte Sie bitten, zu diesen Dokumenten Stellung zu nehmen. Es handelt sich um die bereits vorgelegten Dokumente 107, 116, 122, 129, 101, US-107, US-351, 116, US-685...


VORSITZENDER: Dr. Thoma! Sie haben diese Zahlen viel zu schnell genannt. Meinen Sie 107-PS?


DR. THOMA: Jawohl.


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte PS sagen, wenn Sie PS meinen; 107-PS, 116-PS.


DR. THOMA: Ja, ich werde noch die US-Nummern dazufügen, 107-PS, 351-US...


VORSITZENDER: Gut, ich möchte lieber die PS-Nummern haben. Wollen Sie mir bitte die PS-Nummern, oder was immer die Nummern sind, als Teil der Beweisstücknummern geben, 107-PS, 116-PS.


[509] DR. THOMA: Jawohl, 116, 122, 129, 101, 100, 089, 064, 098, 072, 070.


ROSENBERG: Die Nummer 107 ist von der Anklage als ein Beweis von Kirchen Verfolgung vorgelegt worden. Es ist dies ein von der Parteikanzlei versandtes Rundschreiben des Leiters des Reichsarbeitsdienstes. In diesem Rundschreiben wird auf Seite 1 angeordnet, die konfessionellen Erörterungen innerhalb des Reichsarbeitsdienstes zu untersagen. Ich glaube, das ist geschehen, um gerade im Reichsarbeitsdienst, der junge Menschen aus allen Klassen und Lagen in sich aufnahm, von konfessionellen und religiösen Debatten abzuhalten. Auf Seite 2 heißt es dann wörtlich:

»So wenig es Sache des Reichsarbeitsdienstes ist, dem einzelnen Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes zu verbieten, sich kirchlich trauen oder beerdigen zu lassen, so sehr muß der Reichsar beitsdienst vermeiden, hierbei als Organisation sich an einer immer konfessionell gebundenen, das heißt andersgläubige Volksgenossen ausschließenden Feier zu beteiligen.«

Ich habe diese Anordnung als die strikteste Einhaltung einer religiösen Gewissensfreiheit betrachtet, weil dadurch protestantische Angehörige nicht zwangsmäßig auf Grund einer anderen Disziplin zu katholischen Kirchenfeiern gezwungen werden konnten und umgekehrt, und weiter auch, daß Personen, die vielleicht keiner Kirche mehr angehörten, durch Befehl ihrer Organisation gezwungen werden konnten, an der einen oder anderen konfessionellen Feier teilzunehmen. Ich könnte also nicht finden, daß hier eine Religionsverfolgung vorliegt.

Das Dokument 116-PS betrifft einen Brief des Leiters der Parteikanzlei an den Reichsminister für Wissenschaft und Erziehung vom 24. Januar 1939, der mir zur Kenntnisnahme, ich betone »zur Kenntnisnahme« zugeschickt wurde.

Hier wird auf eine Korrespondenz der Parteikanzlei mit dem Ministerium hingewiesen über Einschränkung theologischer Fakultäten, wobei betont wird, daß die Bestimmungen der Konkordate und Kirchenverträge berücksichtigt werden müßten; zweitens, daß eine gewisse planvolle Gestaltung des ganzen Hochschulwesens notwendig würde, viele Zusammenfassungen und Vereinfachungen; und zum Schlusse wird erklärt, daß ja schließlich auch neugeschaffene Forschungsgebiete für Rassenforschung und Altertumskunde zu berücksichtigen wären.

Ich konnte nun nicht finden, daß nach sechs Jahren national-sozialistischer Revolution nicht auch eine Anzahl Fachgebiete, die neu in die Forschung besonders eingeführt werden, innerhalb des Gesamtetats Berücksichtigung finden konnten. Ich bin persönlich auch dafür eingetreten, daß etwa die Gebiete der bäuerlichen Soziologie, der deutschen Frühgeschichte im Rahmen auch dieser [510] Dinge ihre Berücksichtigung finden, namentlich auch in der germanischen Geistesgeschichte.

Das gleiche gilt von Dokument 122-PS, ebenfalls vom April 1939, auf das ich nicht einzugehen brauche. Es enthält ähnliche Gesichtspunkte des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung unter Betonung, welche Anzahl theologischer Fakultäten er zu erhalten für notwendig hält.

Das Dokument 129-PS ist einschreiben des Reichskirchenministers an einen bekannten deutschen Schriftsteller, Dr. Stapel, der sich besonders für eine religiöse Reform eingesetzt hat. In diesem Schreiben vertritt der Reichskirchenminister den Gedanken, eine Religionsgemeinschaft besonders zu fördern, welche den nationalsozialistischen Staat besonders bejaht und gleichsam eine unmittelbare Unterstützung des Reichskirchenministers darstellt und daher dessen besonderer Förderung sicher sei.

In der Voruntersuchung ist mir ein Schreiben von mir in dieser Angelegenheit an die Parteikanzlei vorgehalten worden, in dem ich mich gegen eine Einberufung eines solchen Kirchentages seitens des Reichskirchenministers ausgesprochen habe, und zwar aus dem prinzipiellen Grunde, daß ein nationalsozialistischer Kirchenminister nicht die Aufgabe habe, sich einer Religionsgemeinschaft anzugliedern, deren unmittelbarer, wenn auch unausgesprochener Chef er sei oder wenigstens zu sein scheine. Es ist genau der gleiche Gesichtspunkt, der ja in Bezug auf manche Vorwürfe gegen mich zutrifft.

Wenn ich die Absicht gehabt hätte, außer dem Vortrag persönlicher Gedanken eine Religionsgemeinschaft zu gründen oder zu führen, dann hätte ich sämtliche Arbeiten, Ämter und Funktionen in der Partei niederlegen müssen. Das ergab sich aus meinem prinzipiellen Standpunkt, den ich eingenommen habe. Der Kirchenminister als nationalsozialistischer Minister war meiner Ansicht nach auch verpflichtet, nicht eine ihm vielleicht sympathische Religionsgemeinschaft zu fördern, sondern sich unabhängig von allen Konfessionsgemeinschaften zu halten.

Das Dokument 101-PS ist ein Schreiben des Leiters der Parteikanzlei, damals noch des Stabsleiters des Stellvertreters des Führers, wo Klage geführt wird, daß manche konfessionellen Schriften geeignet seien, den Widerstandswillen der Truppen etwas zu lähmen. Er ersucht mich, daß meine Dienststelle doch solche Schriften herausgeben möge.

Eine Antwort von mir hat hier nicht vorgelegen, ist mir nicht vorgelegt worden. Mein Standpunkt ist immer der gewesen, daß ich nicht die Aufgabe hätte, religiöse Traktate zu verfassen als parteiamtliche Dienststelle, daß aber selbstverständlich jedem [511] einzelnen überlassen werden könnte, wenn er etwas Wesentliches zu sagen hätte, dies niederzulegen in einer Schrift, wie andere auch.

Dokument 100-PS ist ein Vorwurf des damaligen Stabschefs des Stellvertreters des Führers, Bormann, daß ich mich beim Führer darüber geäußert hätte, daß der protestantische Reichsbischof Müller ein sehr gutes Buch für die deutschen Soldaten geschrieben hätte. Reichsleiter Bormann sagte, dieses Buch von Müller scheine ihm nicht geeignet, weil es eben doch getarnt eine konfessionelle Propaganda darstelle. Ich glaube nicht, daß der Vorwurf an mich, daß ich auch dem Reichsbischof Müller anstandslos zustimmte, daß auch er seine Stimme in einer anständigen Form, seiner Art natürlich entsprechend, zum Ausdruck bringe, als eine Religionsverfolgung dargestellt werden kann.

Dokument 089-PS ist ein Schreiben von Bormann, das er mir zur Kenntnisnahme zuschickte, indem er mit mitteilt, daß er beim damaligen Reichsleiter Amann dafür eingetreten sei, bei der allgemeinen Papierverknappung auch das konfessionelle Schrifttum, das sich nur um zehn Prozent verringert habe, weiter zu kürzen.

Ich wußte nicht, inwieweit diese Kürzung aller Zeitschriften damals vorgenommen wurde. Ich kann dazu nur feststellen, daß im Laufe des Krieges ja auch die von meiner Dienststelle herausgegebenen sieben Zeitschriften über Kunst Musik, Volkskunde, deutsche Dramaturgie und so weiter dauernd verkürzt und verkleinert wurden, wie alle übrigen Zeitschriften im Deutschen Reiche.

Das Dokument 064-PS ist ein Schreiben des Leiters der Parteikanzlei, in dem mir Mitteilung gemacht wird von dem Briefe eines Gauleiters über eine Schrift des Generals von Rabenau unter dem Titel »Von Geist und Seele des Soldaten«.

Dieser Gauleiter kritisiert die sehr konfessionell gebundene Anschauung des ihm bekannten Generals von Rabenau und erhebt Protest, daß diese Schrift in einer Schriftenreihe der Partei erschienen sei. Ich möchte hierzu feststellen, daß diese Schrift des Generals von Rabenau in einer Schriftenreihe erschienen ist, die von meiner Parteidienststelle herausgegeben wurde, und daß ich diese Schrift vorher persönlich gelesen hatte und auch ihm den Spielraum eingeräumt habe in dieser Schriftenreihe, die viele politische, allgemeine geschichtliche Schriften enthielt, ebenfalls zu Wort zu kommen. Die Schrift ist von mir nicht zurückgezogen worden.

Das Dokument 098-PS enthält einen neuen Vorwurf des Leiters der Parteikanzlei mir gegenüber. Er sagte, der Reichsbischof Müller erzähle, er hätte von mir einen Auftrag gehabt, Richtlinien für die Gestaltung des Religionsunterrichtes in den Schulen auszuarbeiten.

Bormann legte in langen Ausführungen dar, daß es nicht die Aufgabe der Partei wäre, irgendwelche reformatorische Versuche auf dem Gebiete des religiösen Schulunterrichtes vorzunehmen. Dazu [512] habe ich zu erklären, ich habe dem Reichsbischof Müller gar keine Anweisungen zu diesem Thema geben können, aber der Reichsbischof hat mich zweimal besucht und hat mich einmal geradezu mit Tränen in den Augen davon unterrichtet, daß er in seinem Wirken keinen richtigen Widerhall finde, und ich habe ihm gesagt: Herr Reichsbischof, Sie sind der Allgemeinheit als Militärpfarrer nicht besonders bekannt. Es wäre richtig, wenn Sie über Ihr Denken und über Ihre Absichten ein eingehendes Werk schreiben würden, um die verschiedenen Gruppen der evangelischen Kirche von Ihren Ansichten zu unterrichten und dadurch in dem Sinne Einfluß zu nehmen, wie Sie sich es wünschten. Darüber wird der Reichsbischof wohl gesprochen haben und vielleicht noch einige Ausführungen angefügt haben. Ich glaube, dieser Vorwurf, der jetzt von Bormann hier gemacht wird, kann mir auch nicht als Religionsverfolgung zugeschrieben werden.

Das Dokument D-75 ist ein außerordentlich scharfes Rundschreiben des Leiters der Parteikanzlei über das Verhältnis, wie er die Stellung zwischen Nationalsozialismus und Christentum betrachtet. Meiner Erinnerung nach kann es sich hier nur um folgendes Dokument handeln: Ich hörte einmal, Bormann habe ein Schreiben des Inhalts, das er an einen Gauleiter gerichtet hatte, auch an alle Gauleiter geschickt. Ich ersuchte ihn, mir doch davon Kenntnis zu geben. Nach vielem Zögern erhielt ich dann dieses Rundschreiben. Ich hielt das in der Form und in der Tatsache eines Parteirundschreibens für nicht möglich. Ich habe Bormann davon geschrieben – und an sich müßte dieses Schreiben bei meinen Akten vorhanden sein –, daß ich ein solches Rundschreiben in dieser Form für nicht möglich erachte, und ich habe dann noch, damit es überlegt wird, handschriftlich diesem Schreiben hinzugefügt, daß meiner Ansicht nach der Führer ein derartiges Rundschreiben nicht genehmigen würde.

Ich habe dann Bormann noch persönlich später gesprochen und ihm erklärt, daß jeder von uns das Recht hätte, eine Stellungnahme zu diesem Problem persönlich einzunehmen, daß aber parteiamtliche Rundschreiben, dazu noch in dieser Form, meiner Ansicht nach nicht möglich seien. Bormann ist damals nach dieser Unterhaltung außerordentlich verlegen gewesen, und, wie ich zufällig von meinem Mitangeklagten Schirach gehört habe, sei ein solches Rundschreiben in der Partei seiner Ansicht nach zurückgezogen und für null und nichtig erklärt worden. Ich kann allerdings darüber keine Aussage machen.

DR. THOMA: Herr Präsident! Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß ich dieses Dokument als 015 bezeichnet habe. Richtig heißt es D-75.

ROSENBERG: Das Dokument 072-PS ist ein Schreiben von Bormann an mich in der Angelegenheit der Erforschung der staatlich [513] beschlagnahmten Klosterbibliotheken. Welche im einzelnen die politischen Ursachen dazu gewesen sind, ist mir nicht mitgeteilt worden. Ich hörte aber, daß die Polizei beanspruche, darüber hinaus auch die Forschung dieses Gebietes zu übernehmen. Das war ein Problem, das mich in Gegensatz zu Himmler in diesen Jahren geführt hat. Ich hielt es für gänzlich unmöglich, daß auch noch die Erforschung unter die polizeiliche Kontrolle kam, und das hat mich veranlaßt – und das ist in dem Dokument 071 ausgesprochen –, Bormann gegenüber dazu Stellung zu nehmen.

Dieses Dokument 072 stellt die Antwort Bormanns dar, wo er darauf hinweist, daß Heydrich durchaus darauf bestehe, diese Forschungen weiterzuführen. Er erklärt, ich zitiere:

»Die wissenschaftliche Bearbeitung des weltanschaulichen Gegnertums könne immer nur im Gefolge der politisch-polizeilichen Arbeit geschehen.«

Diese Haltung habe ich für unmöglich gehalten und dagegen Protest eingelegt.

Das ist das Wesentliche, was ich zu dieser Anzahl von Dokumenten zu sagen habe. Ich habe abgelehnt, parteiamtliche, religionsähnliche Traktate zu verfassen und Katechismen durch meine Parteidienststellen verfassen zu lassen. Ich habe mich bemüht, eine nationalsozialistische Haltung zu vertreten und meine Dienststellen nicht als geistige Polizei zu betrachten, aber die Tatsache bestand, daß der Führer Bormann amtlich mit der Vertretung der kirchenpolitischen Haltung der Partei beauftragt hatte. In allen diesen Schreiben fehlt meine Antwort. Ich weiß auch nicht, ob ich auf alles geantwortet habe, oder ob ich Bormann diese Antworten bei Besprechungen mündlich mitgeteilt habe.

Trotzdem diese Antworten aber alle fehlen, hat die Anklage hier erklärt, diese beiden, nämlich Bormann und ich, hätten hier Verfügungen für die Religionsverfolgung erlassen und die anderen Deutschen verleitet, an diesen Religionsverfolgungen teilzunehmen.

Ich möchte zusammenfassend grundsätzlich dazu sagen, daß hier schließlich ein tausendjähriges Problem des Verhältnisses zwischen weltlicher und kirchlicher Macht vorliegt, und daß viele Staaten ja Bestimmungen getroffen haben, gegen die die Kirchen immer protestiert haben. Wenn in neuerer Zeit wir die Gesetzgebung der Französischen Republik unter dem Ministerium Combes und die Gesetzgebung der Sowjetunion betrachten, so sehen wir, daß sie die amtlich geförderte Gottlosenpropaganda in Broschüren, Zeitungen und Karikaturen unterstützt haben.

Und schließlich möchte ich sagen, daß bei allen Dingen der nationalsozialistische Staat den Kirchen aus den eingetriebenen Steuern, soviel ich weiß, bis zum Schluß die Summe von über [514] 700 Millionen Mark im Jahr für die Erhaltung ihrer Organisationsarbeit übergeben hat.

DR. THOMA: Herr Zeuge! Der Parteikanzleileiter Bormann ist in der Folgezeit in einen noch schärferen Gegensatz zu Ihnen getreten. War die Ursache – man darf wohl sagen – der Feindschaft Bormanns gegen Sie auch mit darin begründet, daß Sie in der Kirchenfrage eine wesentlich tolerantere Ansicht hatten als Bormann selbst?

ROSENBERG: Das ist schwer zu sagen, welche Gründe hier im einzelnen mitgespielt haben. Daß diese Gegnerschaft so tief war, wie sie sich am Ende namentlich in der Behandlung der Ostprobleme zeigte, habe ich eigentlich erst später, sehr spät, eingesehen. Ich mußte ja schließlich einräumen, daß es in einer großen Bewegung viele Temperamente und viele Anschauungen geben kann, und ich habe mich ja auch nicht ausgenommen, daß ich selber manche Unzulänglichkeiten und Fehler habe, die auch von anderen kritisiert werden konnten. Ich glaubte nicht, daß derartige Unterschiede und Anschauungen zu einer derartigen Gegnerschaft führen konnten, daß sie auf eine Unterminierung der dienstlichen Stelle des anderen hinauslaufen mußten.


DR. THOMA: Ist im Dritten Reich die Ausübung des Gottesdienstes in den Kirchen, der regelmäßige Sonntagsgottesdienst und so weiter in irgendeiner Weise eingeschränkt worden?


ROSENBERG: Das vermag ich im Augenblick nicht zu sagen. Soviel ich weiß, ist der Kirchendienst in ganz Deutschland bis zum Schluß nirgends untersagt worden.


DR. THOMA: Ich komme nun zu dem Einsatzstab. Ich übergebe Ihnen dazu das Dokument 101-PS, in dem die wesentlichen Dinge zusammengefaßt sind, und verweise auch auf das Dokumentenbuch der Französischen Anklagebehörde, insbesondere auf FA-1. Wie kam es zu der Gründung des Einsatzstabes Rosenberg?


ROSENBERG: Es ist von der Anklage behauptet worden, es hätte sich hier um eine lange vorhergehende Planung zwecks Plünderung der Kulturschätze anderer Staaten gehandelt. Es ist in Wirklichkeit so gewesen, daß hier ein nicht vorhergesehener Anlaß vorhanden war, und zwar hatte ein Mitarbeiter von mir beim Einmarsch der deutschen Truppen in Paris eine Pressedelegation begleitet und dabei festgestellt, daß die Pariser sonst alle zurückkehrten, nahezu geschlossen, mit Ausnahme der jüdischen Bevölkerung, so daß alle Institutionen und Organisationen dieser Art leer zurückgeblieben, und daß auch die Schlösser und Wohnungen dieser führenden Persönlichkeiten gleichsam herrenlos waren. Er regte an, daß doch hier eine Erforschung der Tatbestände, der Archive und des Briefwechsels vorgenommen würde. Ich habe von dieser Tatsache dem [515] Führer Mitteilung gemacht und angefragt, ob er eine Durchführung einer solchen Anregung für richtig halte und zustimmen wolle.

Dieses Schreiben von mir an den Führer ist mir in der Voruntersuchung vorgelegt worden, wurde aber dem Gericht von der Anklage nicht zur Kenntnis gebracht. Trotzdem also der urkundliche Beweis für den Anlaß in dieser ganzen Handlung vorliegt, hat die Anklage den Vorwurf einer langen Planung aufrechterhalten.

Der Auftrag des Führers ist dann Anfang Juli 1940 erfolgt, und da neben den Archiven eine große Anzahl Kunstbestände, zum Teil gefährdet, in vielen Schlössern vorgefunden wurde, wurde auch die Sicherung und der Abtransport dieser Kunstwerke vom Führer in das Deutsche Reich angeordnet.


DR. THOMA: War Ihnen etwas darüber bekannt, welche rechtlichen Gründe Hitler glaubte haben zu dürfen für diese Maßnahme?


ROSENBERG: Ja, es ist, und das möchte ich ohne weiteres einräumen...


VORSITZENDER: Einen Augenblick, ich verstehe nicht, was Sie sagen. Sagen Sie, daß Sie dem Führer einen Vorschlag gemacht haben, und daß ein Beweis vorliegt für Ihren Brief, der diesen Vorschlag enthält, und daß die Anklagebehörde diesen Beweis zurückhält? Ist es das, was Sie sagen? Wollen Sie meine Frage beantworten! Behaupten Sie, daß die Anklagebehörde den Beweis für Ihren an den Führer gerichteten Vorschlag, jüdisches Eigentum aus Frankreich systematisch fortzuschaffen, verheimlicht hat?

ROSENBERG: Nein, ich möchte nicht sagen verheimlichen nur sagen, er ist nicht vorgelegt worden, trotzdem er mir in der Voruntersuchung zur Kenntnis gebracht wurde.


DR. THOMA: Dazu einige Einzelheiten, Herr Präsident! Ich möchte darauf hinweisen, daß ich wiederholt in meinen Eingaben darauf hingewiesen habe, daß dieser Brief vorliegen muß, weil er dem Angeklagten Rosenberg bei dem Verhör im Ermittlungsverfahren vorgelegt wurde.


VORSITZENDER: Haben Sie einen Antrag auf Vorlage des Dokuments gestellt?


DR. THOMA: Jawohl, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Wann?


DR. THOMA: Ich habe wiederholt auf dieses Dokument verwiesen, auf die Beischaffung dieses Dokuments.


VORSITZENDER: Dem Gerichtshof ist es nicht bekannt, einen solchen Antrag abgelehnt zu haben. Lassen Sie mich den schriftlichen Antrag sehen.


DR. THOMA: Ja.


[516] VORSITZENDER: Wahrscheinlich ist es nicht eine Sache von großer Bedeutung. Ich wollte nur wissen, wovon der Zeuge sprach.


DR. THOMA: Ich werde meine Akten holen lassen, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Sehr gut. Sie können in der Zwischenzeit fortsetzen.


ROSENBERG: Es war natürlich klar, daß es sich hier um eine nicht gewöhnliche Angelegenheit handelte, und ich habe deshalb ja auch nicht mit der Militärverwaltung gesprochen, sondern mich unmittelbar an den Führer gewandt, um seine Meinungsäußerung zu hören. Es ist aber an sich, glaube ich, verständlich gewesen, daß wir ein Interesse daran hatten, das geschichtlich zu erforschen, inwieweit hier verschiedene Organisationen an einer Arbeit, die hier als friedenstörend auch zur Debatte steht, im Laufe der vergangenen Jahre oder Jahrzehnte teilgenommen hatten. Zweitens, wieviel hervorragende Persönlichkeiten einzeln daran beteiligt waren. Und drittens ist mir in Erinnerung gewesen, daß viele Kunstwerke, die einmal in vergangenen Zeiten aus Deutschland fortgeführt worden waren, trotz des Vertrags von 1815 jahrzehntelang nicht zurückgeliefert wurden.

Zum Schluß aber habe ich gedacht an eine Maßnahme, welche die Alliierten von 1914 bis 1918 als mit der Haager Konvention vereinbar angesehen haben. In diesem Zeitraum wurde einer bestimmten Kategorie deutscher Staatsbürger, und zwar den Reichsdeutschen im Ausland, in fremden Staaten und auch in besetzten deutschen Gebieten, das heißt in den Kolonien, ihr Eigentum beschlagnahmt und später entschädigungslos enteignet in einer Höhe im Werte von 25 Milliarden Reichsmark.

Im Friedensdiktat von Versailles wurde Deutschland verpflichtet, darüber hinaus eine Sicherung dieser enteigneten Reichsdeutschen zu übernehmen und einen Sonderfonds einzurichten.

Der französische Hauptankläger in diesem Verfahren hat noch einmal erklärt, daß der Versailler Vertrag auf der Grundlage der Haager Konvention abgefaßt worden sei. Ich konnte also jetzt noch einmal den Schluß daraus ziehen, daß auch diese Maßnahmen gegen eine ganz bestimmte Kategorie von Staatsbürgern, inmitten unvorhergesehener kriegerischer Maßnahmen, bei aller sonstigen Achtung des privaten und öffentlichen Vermögens, gerechtfertigt erschienen.

Ich bin während der Voruntersuchung auch gefragt worden über diese rechtlichen Voraussetzungen und hatte auch begonnen, darauf hinzuweisen, wurde aber mit der Bemerkung unterbrochen, daß das im Augenblick nicht interessiere. In dem Protokoll dieser Vernehmung, das die Französische Anklage hier vorgelegt hat, steht die Bemerkung, ich hätte gesagt...


[517] VORSITZENDER: Wir beschäftigen uns mit den Verhören nicht eher, als bis sie als Beweismittel vorgelegt werden. Diese Verhöre sind noch nicht vorgelegt worden. Sie können sie erläutern, wenn sie Ihnen im Kreuzverhör vorgelegt werden.


ROSENBERG: Herr Vorsitzender! Dieses Dokument wurde im Dokumentenbuch hier angegeben, und die deutsche Rückübersetzung liegt hier in einem nicht genauen Wortlaut den französischen Akten bei.


DR. THOMA: Herr Vorsitzender! Der Zeuge will damit nur sagen, daß er von Anfang an darauf hingewiesen hat, daß der Vertrag von Versailles, Artikel 279, maßgebend war von Anfang an, daß er das nicht etwa später erfunden hat.


VORSITZENDER: Dr. Thoma! Ich habe ihn nur darauf aufmerksam gemacht, daß die verschiedenen Verhöre, die stattgefunden haben, wahrscheinlich noch nicht zum Beweis vorgelegt worden sind. Falls der Zeuge von vorgelegten Verhören spricht – aber ist das der Fall?


DR. THOMA: Jawohl. Das ist FA-16 L-188, das wurde vorgelegt, Herr Vorsitzender.


ROSENBERG: Davon war die Rede, das ist vorgelegt worden. Dieses Verhör ist aber dem Gericht...


VORSITZENDER: Einen Augenblick. Wenn er sich auf ein Verhör bezieht, das schon vorgelegt wurde, dann muß es eine Beweisstücknummer haben.


DR. THOMA: Dieses Verhör ist im Dokumentenbuch, ich glaube es ist FA-16.


VORSITZENDER: Wenn er auf ein Beweisstück Bezug nimmt, so kann er dies ohne Zweifel tun.


ROSENBERG: Ich möchte hier nur den Irrtum dieser Rückübersetzung etwas korrigieren. Ich hatte nicht gesagt: Ja, richtig, es fällt mir ein, daß diese Maßnahme vorgenommen worden sei. Sondern ich habe gesagt: Ich habe daran gedacht, das heißt, ich habe früher daran gedacht, nicht im Augenblick, als ich gefragt wurde.

Ich habe das nur gesehen, als ich die Übersetzung empfangen habe, die ich früher nicht gesehen hatte.

Zum Dokumentenmaterial 1015-PS, das hier vorliegt, darf ich, um das Gericht nicht zu lange aufzuhalten, nur kurz auf einiges hinweisen, nämlich, daß in dem Arbeitsbericht von 1940 bis 1944 auf Seite 2 darauf hingewiesen wurde, daß die einwandfreie Herkunft festgestellt wurde; daß ferner auf Seite 3 festgestellt wurde, daß die inventarische Aufnahme auf der Grundlage eines wissenschaftlicher Katalogs gewissenhaft vorgenommen wurde, daß eine Restaurierungswerkstätte eingerichtet wurde, um die Werke restauriert an die Bestimmungsorte zu schicken.

[518] Ich füge zum Schlusse aber noch einige Worte hinzu, die mir wichtig erscheinen angesichts der Anklage der Sowjetbehörde über die Behandlung von Kulturschätzen seitens des Einsatzstabes in den ehemaligen besetzten Ostgebieten. Es heißt in dem Arbeitsbericht am Schlusse wörtlich folgendes unter dem Titel: Arbeit in den Ostgebieten:

»In den besetzten Ostgebieten beschränkte sich die Tätigkeit des Sonderstabes Bildende Kunst auf eine wissenschaftliche und photographische Erfassung der öffentlichen Sammlungen und ihre Sicherung und Betreuung in Zusammenarbeit mit den militärischen und zivilen Dienststellen. Im Zuge der Räumung der Gebiete wurden einige hundert wertvollster russischer Ikone, einige hundert Gemälde der russischen Malerei des 18. und 19. Jahrhunderts, Einzelmöbel und Einrichtungsgegenstände... geborgen und in ein Bergungslager ins Reich gebracht.«

Ich wollte damit nur darauf hinweisen, daß der Einsatzstab im Osten keinerlei sowjetische Kunst- und Kulturschätze in das Reich abgeführt hatte, sondern erst im Zuge der Räumung, und, wie sich aus späteren Urkunden ergibt, aus unmittelbar bedrohten Gebieten bei Kampfhandlungen ins rückwärtige Heeresgebiet, dann weiter zurück und zum Teil im Reich sichergestellt hat.

Ich darf aus derselben Urkunde auf ein Schreiben des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 5. Juli 1942 hinweisen. Ich nehme hier Bezug auf die Anklage der Polnischen Regierung, wo erklärt wird, daß die gesamte Fortführung der Kunst- und Museumsschätze im Einsatzstab oder im Amt Rosenberg in Berlin konzentriert sei. Ich komme auf diese polnische Anklage noch zurück. Ich verweise nur auf die Stelle des Briefes Dr. Lammers', wo es heißt: Der Führer habe angeordnet, daß verschiedene Bibliotheken der Ostgebiete beschlagnahmt wurden; und dann heißt es ausdrücklich: dazu gehört nicht das Generalgouvernement.

Ferner verweise ich auf den Erlaß des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete vom 20. August 1941 an den Reichskommissar Ostler.

DR. THOMA: Welche Seite?

ROSENBERG: Auf Seite 2 dieser Urkunde heißt es am Schluß...


VORSITZENDER: Von welchem Dokument sprechen Sie jetzt? Welche Dokumentennummer?


ROSENBERG: Ich bedauere, die mir übergebene Urkunde ist leider nicht angestrichen in rot, ich beziehe mich deshalb auf die in meinen Händen befindliche Urkunde. Es heißt jedenfalls am Ende der Seite 1 des Dokuments... Dies ist kein spezieller Brief. Es handelt sich um ein Rundschreiben vom 7. April 1942.

[519] VORSITZENDER: Ich möchte das nur klarstellen. Ich hatte mir notiert, daß er auf eine Verordnung vom 20. August 1941 verwies.


ROSENBERG: Ich bitte um Verzeihung. Es ist der 20. August.


DR. THOMA: Der 20. August, das ist richtig. Und das Jahr ist 1941. Es ist im Dokumentenbuch 2 auf Seite 78 a. Ende der Seite.


ROSENBERG:

»Ich bitte ausdrücklich zu untersagen, daß irgendwelche Kulturgüter aus Ihrem Reichskommissariat ohne Genehmigung Ihrerseits von irgendwelchen Stellen fortgeführt werden. Was von beschlagnahmten Kulturgütern im Reichskommissariat Ostland verbleibt und was evtl. für die Forschungsarbeit der Hohen Schule eingesetzt wird, muß einer späteren Regelung unterliegen. Ich bitte, die ihnen nachgeordneten General- und Gebietskommissare von dieser Weisung zu unterrichten. Die staatliche Verwaltung von Museen, Bibliotheken und so weiter bleibt unbeschadet des Rechts der Einsichtnahme und Bestandsaufnahme seitens des Einsatzstabs durch diese Anweisung unberührt.«

Ich werde auf diese Anordnung später bei Behandlung der Anklage der Sowjetregierung in Bezug auf die Verwaltung von Estland, Lettland und Litauen zurückkommen.

DR. THOMA: Wir kommen jetzt zu der Möbelaktion in Frankreich.

ROSENBERG: Ich bin hier noch nicht fertig, weil hier eine außerordentlich schwere Anklage erhoben ist und ich noch auf eine zweite Anordnung des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete vom 7. April 1942 verweise, wo zum Schlusse unter I noch einmal auf die eben verlesenen Grundsätze verwiesen wird. Es ist im Dokumentenbuch 2, Seite 94. Hier werden alle angewiesen, sich eigenmächtiger Handlungen grundsätzlich zu enthalten.

Und unter II heißt es wörtlich:

»In besonderen Ausnahmefällen können zur Abwendung drohender Gefahren (z.B. Einsturzgefahr von Gebäuden, Feindeinwirkung, Witterungseinflüsse und so weiter) Sofortmaßnahmen zur Sicherstellung oder zum Abtransport der Gegenstände an einen sicheren Ort getroffen werden.«

Ich komme darauf zurück bei der Anklage der Sowjetregierung über Vorgänge in Minsk. Bei der Verlesung des Dokuments 076-PS, zum Schluß heißt es: Es sei niemals ein Befehl ergangen zum Schutze der Kulturgüter. Dieser Befehl liegt hier zweimal vor.

Ferner verweise ich auf eine Anweisung des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete an den Stabsführer des Einsatzstabs in demselben Dokument vom 3. Oktober 1941, wo ich auf die eben verlesene Urkunde auch ihn noch einmal ganz besonders aufmerksam mache.

[520] Und weiter verweise ich auf einen Befehl des OKH vom 30. September 1942, der im Einvernehmen mit dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete ergangen ist. Und auch hier heißt es zum Schluß unter I wörtlich:

DR. THOMA: Ist das Seite 89 in dem Dokumentenbuch?

VORSITZENDER: Was ist das? Vom September 1942?


ROSENBERG: Vom 30. September 1942.


VORSITZENDER: Ja, ich habe es gefunden. Und wo ist das vom Oktober 1941?


ROSENBERG: Oktober 1941?


VORSITZENDER: Oktober 1941.


ROSENBERG: Es ist der 3. Oktober 1941.


VORSITZENDER: Wissen Sie, wo das ist, Dr. Thoma?


DR. THOMA: Es ist enthalten im Dokument 1015-PS. US-385. Es kann aber sein, daß gerade in diesem Verzeichnis dieses Dokument nicht aufgeführt ist. Ich kann es in meinem Dokument im Augenblick nicht finden, es gehört aber zu dem Dokument 1015-PS und es war im ganzen vorgelegt.


ROSENBERG: Und der Befehl des Oberkommandos des Heeres vom 30. September 1942 lautet wörtlich am Schluß, unter I:

»Von Ausnahmefällen abgesehen, in denen die Sicherung gefährdeter Kulturgüter dringlich ist, wird deren vorläufiger Verbleib an Ort und Stelle angestrebt. Hierzu ist gemäß Vereinbarung zwischen OKH Gen.Stab.d.H./Gen.Qua. und Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, diesem zugestanden worden, c) im Operationsgebiet des Ostens zur Bewahrung vor Beschädigung oder Zerstörung auch solcher Kulturgüter, die nicht unter Ziffer b) fallen – insbesondere Museumsschätze – zu bergen, bzw. sicherzustellen«,

und am Schluß dieses Befehls heißt es unter IV:

»Unabhängig von den Aufgaben der Sonderkommandos Reichsleiters Rosenberg gemäß Abschnitt I, a, b, c, sind die Truppen und alle im Operationsgebiet eingesetzten militärischen Dienststellen unverändert angewiesen, wertvolle Kunstdenkmäler nach Möglichkeit zu schonen und vor Zerstörung oder Beschädigung zu bewahren.«

Ich glaubte, mich verpflichtet zu fühlen, wenigstens in Kürze damit nachzuweisen, daß sowohl von meinem Einsatzstab als auch von den militärischen Dienststellen eindeutige Befehle und Anordnungen ergangen sind zum Schutze, selbst in diesen harten Kämpfen, von Kulturgütern auch des russischen, ukrainischen und weißruthenischen Volkes.

[521] DR. THOMA: Herr Rosenberg! Sie wissen, daß von den Kunstwerken, die in Frankreich beschlagnahmt worden sind,... daß sich da Hitler und Göring verschiedene Sachen abgezweigt haben. Was ist Ihre Anteilnahme an dieser Sache?

ROSENBERG: Im Grundsatz hat der Führer bestimmt, und das ist in den auf Befehl des Führers verfaßten Mitteilungen des damaligen Generalfeldmarschalls Keitel eindeutig zum Ausdruck gebracht worden, daß der Führer sich die Verfügung über diese Kunstwerke, diese Entschlüsse, allein vorbehalten hatte. Ich möchte nun hier keineswegs bestreiten, daß ich die Hoffnung hatte, daß mindestens ein großer Teil dieser Kunstschätze einmal in Deutschland verbleiben würde, um so mehr, als im Laufe der Zeit viele deutsche Kulturwerke durch besonders starke Bombeneinwirkungen im Westen zerstört wurden, daß also diese Kunstwerte ein gewisses Pfand für spätere Verhandlungen darstellten. Als der Reichsmarschall Göring, der diese Arbeiten des Einsatzstabs auf Befehl des Führers besonders unterstützte, eine Anzahl dieser Kunstwerke für sich, das heißt für seine Sammlungen abgezweigt hatte, war ich offengestanden, wie es ja im Protokoll heißt, etwas beunruhigt. Ich war deshalb beunruhigt, weil mit diesem Auftrag ich ja auch, mit meinem Namen, eine Verantwortung für die gesamten beschlagnahmten Kunst- und Kulturwerke übernommen hatte und deshalb verpflichtet war, sie als Gesamtheit zu katalogisieren und für alle Verhandlungen oder Entschlüsse zur Verfügung zu halten. Ich habe deshalb meinem Beauftragten die Weisung gegeben, möglichst eine genaue Aufstellung dessen zu machen, was Reichsmarschall Göring, und zwar mit Genehmigung des Führers, für seine Sammlung abgezweigt hatte. Ich wußte, daß Reichsmarschall Göring ja mit dieser Sammlung beabsichtigte, sie später ja nicht privat zu vererben, sondern dem Deutschen Reiche zu übergeben. In dem Protokoll, das auch hier von der Französischen Anklage vorgetragen und vorgelegt worden ist, ist nun ebenfalls ein bedauerlicher Fehler zu vermerken gewesen. Es heißt: Ich sei beunruhigt gewesen, daß Reichsmarschall Göring diese Kunstwerke entwendet, entwendet heißt auf deutsch soviel wie unrechtmäßig fortgenommen, hätte. Ich habe aber gesagt »verwendet«, was einen anderen Sinn ergibt.


DR. THOMA: Ich darf darauf hinweisen, Herr Vorsitzender, in diesem Zusammenhang, daß der französische Text dieses Wortes lautet »détourné«, das heißt abzweigen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird nunmehr die Sitzung unterbrechen.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. THOMA: Ich komme jetzt zur Möbelaktion in Frankreich und überreiche dem Angeklagten für diesen Zweck Dokument 001, [522] ferner Band 2 des französischen Dokumentenbuches. Ich bitte den Angeklagten, dazu Stellung zu nehmen.

ROSENBERG: Das Dokument 001-PS enthält am Anfang die Mitteilung, daß im Osten derartig furchtbare Wohnungsverhältnisse vorgefunden wurden, daß ich zu erwägen gebe, herrenlose jüdische Wohnungen in Frankreich und Wohnungseinrichtungen dafür zur Verfügung zu stellen. Diese Anregung ist durch Erlaß des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 31. Dezember 1941 im Auftrage des Führers genehmigt worden. Im Verlaufe der immer stärker werdenden Bombardierungen in Deutschland glaubte ich dieses nicht mehr verantworten zu können, und es erging der Vorschlag, diese Wohnungseinrichtungen den Bombenopfern in Deutschland, die ja in manchen Nächten bis zu 100000 Menschen umfaßten, zur Verfügung zu stellen und ihnen dies als erste Hilfe zu gewähren.

In dem Bericht des französischen Dokumentenbuches ist im Absatz 7 mitgeteilt worden, wie diese Beschlagnahmungen erfolgten, daß die verlassenen Wohnungen versiegelt wurden, daß diese Versiegelung längere Zeit verblieb, um eventuelle Einsprüche abzuwarten, und daß dann der Abtransport nach Deutschland gemacht wurde.

Ich bin mir hier bewußt, daß das zweifellos einen tiefen Eingriff in privates Eigentum dargestellt hatte. Ich hatte auch hier, im Zusammenhang mit den früheren Überlegungen, an die Voraussetzung gedacht und schließlich an die Millionen deutscher Obdachloser. Ich möchte hierbei betonen, daß ich mich genau unterrichtete, daß in einem umfangreichen Buche Wohnungen, Eigentümer und hauptsächlicher Inhalt der Einrichtungen genau vermerkt wurden, um für spätere Zeit eine Grundlage eventueller Unterhandlungen abzugeben.

In Deutschland wurden dann die Dinge so gehandhabt, daß die Bombengeschädigten diese ihnen zur Verfügung gestellten Wohnungseinrichtungen und Haushaltgegenstände bezahlten, und daß diese Lieferungen ihnen von ihren Ansprüchen, die sie an den Staat hatten, abgezogen wurden. Dieses Geld ist in einen Sonderfonds des Reichsfinanzministers eingezahlt worden.

Dieses Dokument 001-PS enthält nun im Punkt 2 eine Anregung, die ich persönlich als eine schwere Belastung für mich ansehen muß. Es ist dies ein Hinweis darauf, daß angesichts vieler Ermordungen Deutscher in Frankreich nicht nur Franzosen bei den Geiselerschießungen erschossen, sondern daß auch jüdische Staatsbürger zur Verantwortung gezogen werden sollten.

Ich möchte bemerken, daß ich an sich die Geiselerschießungen, weil sie ja auch öffentlich bekanntgegeben worden waren, als eine im Kriege unter besonderen Umständen zulässige Maßnahme angesehen habe. Denn die Tatsache, daß diese Dinge von der Wehrmacht [523] durchgeführt wurden, schien mir das Ergebnis einer selbstverständlichen Überprüfung zu sein, um so mehr, als es sich um ein Gebiet handelte und einen Staat betraf, mit dem das Deutsche Reich ja einen Waffenstillstand abgeschlossen hatte.

Zweitens geschah das in einer Zeit der Erregung über den soeben ausgebrochenen Krieg mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika und im Gedenken an jenen Bericht des Polnischen Botschafters, Grafen Potocki, vom 30. Januar 1939, den aber vorzulesen das Gericht untersagt hat. Trotz allem muß ich sagen, daß ich diese Anregung als ein persönliches Unrecht anerkenne. Ich darf aber doch nach der rechtlichen Seite noch darauf hinweisen, daß im Dokument 1015-PS, unter dem Buchstaben Y, sich ein Schreiben des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei befindet, vom 31. Dezember 1941, in dem es heißt:

»Ihre Aktennotiz vom 18. Dezember 1941 hat dem Führer vorgelegen. Der Führer hat sich mit dem unter Punkt 1 gemachten Vorschlag grundsätzlich einverstanden erklärt. Abschrift dieses Teiles Ihrer Aktennotiz, der sich mit der Verwertung jüdischer Wohnungseinrichtungen befaßt, habe ich dem Chef des OKW sowie dem Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete mit dem in Abschrift anliegenden Schreiben übermittelt.«

Damit ist Punkt 1 akzeptiert und stillschweigend – aber ebenso ausdrücklich – der Punkt 2. der diese Anregung betrifft, abgelehnt worden. Diese Anregung ist also ohne rechtliche Folgen geblieben. Auf diesen Vorschlag bin ich später nie mehr zurückgekommen und muß sagen, daß ich ihn auch dann ganz vergessen hatte, als er mir jetzt wieder vorgelegt wurde.

DR. THOMA: Ich komme nun zu dem Thema: Minister für die besetzten Ostgebiete. Der Angeklagte legt Wert darauf, daß er zu der Behauptung in der Note Molotows Stellung nehmen kann, er sei ein zaristischer Spion gewesen, weil dies über seine Persönlichkeit ein abfälliges Urteil enthält. Ich frage deshalb den Angeklagten, ob er jemals Beziehungen zur zaristischen Polizei unterhalten hat.

ROSENBERG: Nein.

GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Die Anklageschrift, die dem Angeklagten vorgelegt worden ist, enthält keinen Punkt, der ihn beschuldige, ein zaristischer Spion gewesen zu sein. Daher erscheint es mir unnötig, an ihn die eben gestellte Frage zu richten.


DR. THOMA: Dem Gericht sind die Molotow-Berichte vorgelegt worden und damit sind diese als Beweismittel eingeführt worden. Infolgedessen glaube ich, auch diese Frage stellen zu können.


[524] VORSITZENDER: Er hat die Frage bereits verneint. Sie können daher den Gegenstand verlassen, nicht wahr? Es ist nicht in der Anklageschrift enthalten.


DR. THOMA: Wann haben Sie erfahren, daß Sie als Minister für die zu besetzenden Ostgebiete in Aussicht genommen sind, und mit welcher Begründung wurde Ihnen dieser Auftrag erteilt?


ROSENBERG: Ich darf dazu erklären daß der Führer mich ganz am Anfang des April, es war nach meiner rückschließenden Erinnerung der 2. April 1941, am Vormittag zu sich berief und mir erklärte, er betrachte einen militärischen Zusammenstoß mit der Sowjetunion als unabwendbar. Als Begründung nannte er mir zwei Punkte: erstens die militärische Besetzung rumänischen Gebietes, also Bessarabiens und der Nordbukowina, und zweitens die seit langem vor sich gehen den ungeheuren Verstärkungen der Roten Armee längs der Demarkationslinie und überhaupt auf sowjetrussischem Gebiet. Diese Dinge seien so auffällig, daß er die darauf bezüglichen militärischen und sonstigen Befehle bereits erteilt habe und mich in irgendeiner Form als politischen Berater entscheidend einschalten werde. Ich stand hier also einer bereits vollzogenen Tatsache gegenüber, und ein Versuch, überhaupt einmal darüber zu sprechen, wurde vom Führer abgeschnitten mit der Bemerkung, daß die Befehle eben ergangen seien, daß kaum noch an dieser Sache was zu ändern sei. Ich habe darauf dem Führer gesagt: Dann wünsche ich selbstverständlich den deutschen Waffen Glück und stehe ihm für diese von ihm gewünschte politische Beratung zur Verfügung.

Ich habe darauf gleich ein paar meiner engsten Mitarbeiter zusammengerufen, weil ich ja nicht wußte, ob diese militärischen Ereignisse sehr bald oder später kommen würden, und wir haben über eine eventuelle Behandlung der politischen Probleme, für eventuelle Maßnahmen in den zu besetzenden Gebieten im Osten einige Entwürfe gemacht, die hier auch vorgelegt worden sind, und am 20. April erhielt ich einen vorläufigen Auftrag, eine zentrale Stelle für die Bearbeitung dieser Ostprobleme zu errichten und mit den entsprechenden obersten Reichsbehörden Fühlung in dieser Angelegenheit zu nehmen.

DR. THOMA: Ich möchte diese Instruktionen, die der Angeklagte Rosenberg nach seiner Ernennung ausgearbeitet hat, dem Angeklagten vorlegen und habe noch eine Bitte an das Gericht. Diese Instruktionen sind auf der Photokopie jetzt durchgestrichen und mit allerhand Vermerken versehen, und deshalb habe ich die Bitte, daß das Gericht in die Photokopie persönlich Einsicht nimmt, damit es sieht, wie diese Instruktionen durchgestrichen worden sind. Die Dokumente selbst sind dem Gericht schon vorgelegt worden als numerierte Beweisstücke.


[525] ROSENBERG: Ich darf zu diesen Dokumenten 1017, 1028, 1029 und 1030...


VORSITZENDER: Sie sind schon zum Beweis vorgelegt worden?


DR. THOMA: Ja, sie sind schon vorgelegt worden.


VORSITZENDER: Darf ich Sie bitten, die Beweisstücknummern anzugeben?


ROSENBERG: Ich habe soeben die Beweisstücknummern genannt.


VORSITZENDER: Was sind die US-Beweisstücknummern?


ROSENBERG: 1028 ist US-Nummer 273, 1030 ist US-Nummer 144. Auf den anderen finde ich keine US-Nummer.


DR. THOMA: 1017 ist US-Nummer 142, 1028 ist US-Nummer 273, 1029 ist US-Nummer 145, 1030 ist US-Nummer 144, und sie finden sich in dem Spezialdokumentenbuch für den Angeklagten Rosenberg.

Ich bemerke dazu, daß das vorläufige Entwürfe mit Angaben der Sekretärin von Ende April und Anfang Mai betrifft. Diese Entwürfe sind nicht hinausgegangen, sondern sind, wie sich ergibt, durchstrichen und mit einigen schriftlichen Notizen am Rande versehen, und sie enthalten zudem Gesichtspunkte, die später vom Führer nicht genehmigt wurden und schon aus diesem Grunde, was die Ukraine betrifft, gar nicht verwandt werden konnten. Die schriftlichen Instruktionen, die an die Reichskommissare Ost und Ukraine nach Gründung des Ministeriums für die besetzten Ostgebiete ergingen, sind leider nicht vorgefunden worden, so daß ich auch da leider nicht Bezug nehmen kann.

Am 20. Juni 1941, also einen Tag vor Ausbruch des Krieges gegen Rußland, haben Sie an alle an den Ostproblemen beteiligten Personen eine Rede mit Bezug auf die Ostprobleme gerichtet? Es handelt sich hier um Dokument US-147, aus dem die Anklagevertretung einen einzigen Absatz mehrere Male verlesen hat.


ROSENBERG: Es ist dies eine längere, frei gehaltene Rede vor den an den Ostproblemen interessierten und damit beauftragten Personen. Ich bemerke dazu, daß ich die selbstverständliche Pflicht hatte, zu überlegen, welche politischen Maßnahmen vorzuschlagen seien, um zu verhindern, daß das Deutsche Reich alle 25 Jahre um seinen Bestand im Osten zu kämpfen habe; und ich möchte unterstreichen, daß das, was ich hier urkundlich in einem vertraulichen Vortrag ausgeführt habe, in keiner Weise der Sowjetischen Anklage entspricht, ich hätte eine systematische Vertilgung der slawischen Bevölkerung befürwortet.

Ich möchte das Gericht nicht beanspruchen, um sehr viel hier zu verlesen, aber einige Sätze möchte ich zu meiner Rechtfertigung doch vortragen, so heißt es auf Seite 3:

[526] »Ursprünglich war die russische Geschichte eine rein kontinentale Angelegenheit. Moskau-Rußland lebte 200 Jahre unter tatarischem Joch und sein Gesicht war vorwiegend nach Osten gerichtet. Die russischen Händler und Jäger haben diesen Osten bis zum Ural erschlossen, einige Kosakenzüge sind nach Sibirien gezogen und diese Kolonisierung Sibiriens ist zweifellos eine große Tat der Weltgeschichte gewesen...«

Ich glaube, daß das meine Haltung, die Achtung gegenüber dieser geschichtlichen Leistung, zum Ausdruck bringt.

Auf Seite 6 heißt es:

»Hier ergibt sich für Deutschland als Ziel die Freiheit des ukrainischen Volkes. Sie ist durchaus als politischer Programmpunkt aufzunehmen. In welcher Form und in welchem Umfang dann später ein ukrainischer Staat entstehen kann, darüber zu sprechen hat jetzt noch keinen Sinn... Dabei ist mit sorgsamer Hand vorzugehen. Das Schrifttum über die ukrainischen Kämpfe ist zu fördern, damit sich das ukrainische Geschichtsbewußtsein wieder beleben kann. In Kiew wäre eine Universität zu gründen, technische Hochschulen aufzubauen, die ukrainische Sprache wieder zu pflegen, usw.«

Ich habe das zitiert zum urkundlichen Nachweis dafür, daß ich nicht die Absicht gehabt habe, die Kultur der Völker des Ostens zu vernichten. Ich habe dann im nächsten Absatz darauf hingewiesen, daß es wichtig sei, vierzig Millionen Ukrainer im Laufe der Jahre zu einer freiwilligen Mitarbeit zu gewinnen.

Auf Seite 7 heißt es für die eventuelle Besetzung der kaukasischen Gebiete wie folgt:

»Das Ziel wird hier nicht sein, einen kaukasischen Nationalstaat zu gründen, sondern man wird eine föderative Lösung finden, die mit deutscher Hilfe soweit kommen kann, daß diese Menschen Deutschland vielleicht bitten werden, ihre kulturelle und nationale Existenz zu sichern.«

Auch hier ist von einem Vernichtungswillen nicht die Rede.

Und dann folgt ein Punkt, der von der Amerikanischen Anklagebehörde als ein besonders schwerer Anklagepunkt bezeichnet wurde. Es handelt sich um die sogenannte Kolonisierung und um das deutsche Volkseigentum im Osten. Dieser Absatz, Seite 8, lautet wie folgt:

»Neben allen diesen Problemen steht dann eine Frage, die ebenso genereller Natur ist, und die wir uns alle überlegen müssen, nämlich die Frage des deutschen Volkseigentums. Das deutsche Volkstum hat in diesem Riesenraum jahrhundertelang gearbeitet. Das Ergebnis dieser Arbeit war unter anderem ein großer Landbesitz. Der beschlagnahmte Landbesitz im [527] Baltenland läßt sich vergleichen mit der Größe von Ostpreußen, der ganze Grundbesitz im Schwarzmeergebiet war so groß, wie Württemberg, Baden und das Elsaß zusammengenommen. Im Schwarzmeergebiet wurde mehr Land beackert, als England unter dem Pflug hat. Diese Größenverhältnisse sollen uns vor Augen halten, daß die Deutschen dort nicht gewuchert und das Volk ausgeplündert, sondern daß sie schöpferische Arbeit geleistet haben. Und das Ergebnis dieser Arbeit ist deutsches Nationaleigentum, ohne Bezug auf frühere individuelle Besitzer. Wie man das einmal kompensiert, ist jetzt noch nicht zu erwähnen. Es wird aber von hier aus eine... rechtliche Grundlage geschaffen werden können.«

Ich möchte das zitiert haben, um später bei der Behandlung des Agrarproblems darauf zurückzukommen, namentlich im Zusammenhang mit dem Reichskommissariat Ostland, wo nämlich trotz dieser Gedanken das deutsche 700jährige Eigentum nicht wieder hergestellt, sondern den Esten, Letten und Litauern durch Gesetz übergeben wurde, wie sich erwiesen hat.

Im weiteren Absatz heißt es:

»Hier müssen wir erklären, daß wir auch heute keine Feinde des russischen Volkes sind...«

VORSITZENDER: Lesen Sie immer noch von 1058-PS?

ROSENBERG: Ja. Ich zitiere jetzt wörtlich von Seite 8:

»Hier müssen wir erklären, daß wir auch keine Feinde des russischen Volkes sind. Wir alle, die wir die Russen früher gekannt haben, wissen, daß der einzelne Russe persönlich ein außerordentlich liebenswürdiger und auch kulturfähiger Mensch ist, der nur jenen charakterlichen Halt des West- Europäers nicht besitzt... Unser Kampf um eine Neugliederung erfolgt durchaus auch im Sinne eines nationalen Selbstbestimmungsrechts der Völker...«

Ich darf den Schluß dem Gerichtshof ersparen, der dann noch von den näheren Ausführungen Kenntnis nehmen kann.

Ich habe diese Rede gehalten in der vollen Überzeugung, daß nach meinen ersten Darlegungen, die ich dem Führer bei diesem Punkte machte, er im wesentlichen zugestimmt hatte. Ich habe nicht gewußt, und er hat es mir nicht gesagt, daß schon andere militärische und polizeiliche Befehle ergangen waren, denn sonst wäre es mir ja praktisch unmöglich gewesen, auch in Gegenwart von Heydrich, der ja anwesend war, einen Vortrag zu halten, der offenbar den Tendenzen von Himmler und Heydrich schnurstracks widersprochen hat.

Was den Punkt betrifft, den die Anklage aus diesem Dokument vorgetragen hat, habe ich hierzu folgendes zu sagen: Aus den Kreisen [528] des Vierjahresplans erfuhr ich, daß bei eventueller Besetzung des Moskauer Industriegebietes und bei weitgehender Zerstörung durch Kampf in diesem Gebiet Großindustrien gar nicht mehr fortgeführt werden könnten, sondern daß man sich vielleicht nur auf eine Anzahl von Schlüsselindustrien beschränken würde. Das würde notwendigerweise eine große Arbeitslosigkeit zur Folge haben; aber sonst sei nicht klar, wie groß die Reserven im Osten an Versorgungsmitteln seien, und angesichts der gesamten Ernährungslage mußte ja in erster Linie angesichts der Blockade auch die deutsche Ernährung in Betracht gezogen werden.

Das ist die Voraussetzung für die Bemerkung, daß unter Umständen eine größere Evakuierung dieser russischen Gebiete notwendig sei, wo viele industrielle Arbeiter arbeitslos werden. Und in diesem Zusammenhang möchte ich jetzt auf Dokument 1056-PS verweisen, welches die erste Richtlinie des Ost-Ministeriums enthält, wo besonders die Versorgung, auch der Bevölkerung mit Lebensmitteln, zur besonderen Pflicht gemacht wird.

DR. THOMA: Am 17. Juli 1941 wurden Sie durch Erlaß des Führers über die Verwaltung der neubesetzten Ostgebiete zum Reichsminister für diese Gebiete ernannt. Am Tage vorher hatte eine Besprechung zwischen Hitler, Keitel, Göring und Lammers stattgefunden, in welcher Sie Ihr Programm, Verwaltungsprogramm, entwickelten. Dokument L-221, US-317; und ich bitte Sie, sich darüber zu äußern. Es steht auf Seite 123 im Rosenberg-Dokumentenbuch, Teil II.

ROSENBERG: Dieses Dokument, das offenbar auf eine zusammenfassende Nachnotiz von Bormann zurückgeht, ist hier vier- oder fünfmal vorgelegt worden. Ich hatte in dieser Sitzung an sich nicht die Absicht, ein großes Programm vorzutragen, sondern diese Sitzung war an sich zusammenberufen, um den Wortlaut der beabsichtigten Führererlasse über die Verwaltung der besetzten Ostgebiete zu besprechen und allen Beteiligten die Möglichkeit einer Stellungnahme dazu zu geben. Ich war auch innerlich beschäftigt mit verschiedenen Personalfragen, die ich dem Führer vortragen wollte. Ich war deshalb überrascht, als der Führer mit sehr leidenschaftlichen und weitausgreifenden Ausführungen begann und mir viele unerwartete Ausführungen über diese Politik im Osten machte. Ich hatte den Eindruck, daß der Führer sicher selbst beeinflußt war von der weitaus wider Erwarten starken Kriegsrüstung der Sowjetunion und dem harten Kampfe, der sich mit der Roten Armee abspielte. Das hatte den Führer offenbar zu manchen Ausführungen veranlaßt, auf die ich vielleicht zum Schlusse zu sprechen kommen werde.

Ich bin nun in Gegenwart auch der anderen Zeugen dem Führer gegenüber diesen unerwarteten Ausführungen entgegengetreten und darf außerdem aus der Notiz von Bormann folgende, bisher nicht [529] verlesene Absätze verlesen. Ich zitiere aus dem Originaldokument Seite 4:

»Reichsleiter Rosenberg betont, nach seiner Auffassung sei in jedem Kommissariat eine andere Behandlung der Bevölkerung notwendig. In der Ukraine müßten wir mit einer kulturellen Betreuung einsetzen, wir müßten dort das Geschichtsbewußtsein der Ukrainer wecken und müßten eine Universität in Kiew gründen und dergleichen. Der Reichsmarschall stellt demgegenüber fest, daß wir doch zunächst an die Sicherung unserer Ernährung denken müssen, alles andere könne doch erst viel später kommen.

(Nebenfrage: Gibt es überhaupt noch eine kulturelle Schicht in der Ukraine oder gibt es Ukrainer gehobenen Standes lediglich außerhalb des heutigen Rußland als Emigranten?«

Ich füge ein, das ist eine Nebenbemerkung von Bormann gewesen.

Ich zitiere weiter:

»Rosenberg fährt fort, auch in der Ukraine müßten gewisse Selbständigkeitsbestrebungen gefördert werden.«

Es folgt jetzt auf Seite 5 ein Zitat mit der Absicht des Führers, wo es heißt, und ich zitiere:

»Ebenso müsse die Krim mit einem erheblichen Hinterland (Gebiet nördlich der Krim) Reichsgebiet werden; das Hinterland müsse möglichst groß sein.

Hiergegen hat Rosenberg Bedenken wegen der dort wohnenden Ukrainer.«

(Nebenbei: – wieder von Bormann – »Es tritt mehrfach in Erscheinung, daß Rosenberg für die Ukrainer sehr viel übrig hat; er will die alte Ukraine auch erheblich vergrößern.«)

Ich habe also hier nachweislich mit der mir zur Verfügung stehenden Kraft mich genau beim Führer für das eingesetzt, was ich in meiner Rede vom 20. Juni 1941 vor den versammelten Dienststellen ausgesprochen habe.

Aus dem weiteren ergibt sich, daß der Reichsmarschall besonders für die Einsetzung des ehemaligen Gauleiters Koch eintrat und ich gegen diese Kandidatur Einspruch erhob, weil ich befürchtete, daß Koch, nach dem Temperament, das er hatte, meinen Direktiven, sehr weit vom Reich getrennt, keine Folge leisten würde. Ich habe bei diesem Einspruch allerdings auch nicht wissen können, daß Koch mit dieser Nichtbefolgung der Direktiven so weit gehen würde, wie das in Zukunft geschehen ist, und wie ich gleich hinzufügen werde, unter besonderem Vortreiben des Leiters der Parteikanzlei.

Mehr zum Schluß auf Seite 10 des Originals der Notiz heißt ein nicht verlesener Absatz, ich zitiere:

[530] »Eine längere Diskussion setzt über die Zuständigkeit des RFSS ein; offenbar wird dabei von allen Beteiligten aber auch an die Zuständigkeit des Reichsmarschalls gedacht.«

Ich persönlich füge hinzu, daß das eine sehr persönliche Anmerkung des Leiters der Parteikanzlei darstellt und nicht etwa ein wirkliches Protokoll einer Sitzung. Ich lese und zitiere weiter:

»Der Führer, der Reichsmarschall etc. betonen wiederholt, Himmler solle ja keine andere Zuständigkeit bekommen, als er sie im Reich habe; dies aber sei unbedingt notwendig.«

Dieses Protokoll zeigt, daß es eine recht temperamentvolle Diskussion war, da ich nicht allein während dieser Diskussion, sondern auch schon früher gegen den Gedanken gewesen war, daß die Polizei gesetzlich unabhängige exekutive Autorität haben sollte in den besetzten Gebieten, das heißt, daß sie unabhängig sein sollte von der Zivilverwaltung. Ich sprach auch gegen den vorliegenden Wortlaut des bereits präparierten Führererlasses. Ich fand in dieser Betrachtung von keinem einzigen der Anwesenden Unterstützung, und das erklärt die spätere Entwicklung vielfach und den Wortlaut der Dokumente der am nächsten Tag vom Führer unterzeichneten Erlasse über die Regelung der gesamten Verwaltung in den besetzten Ostgebieten.

DR. THOMA: Am 17. Juli erfolgte dann Ihre Ernennung zum Ostminister und gleichzeitig erfolgten andere Ernennungen. Es ergibt sich jetzt die Frage: Welches war überhaupt Ihre Zuständigkeit und Ihr Tätigkeitsumfang in den Ostgebieten?

ROSENBERG: Ich darf auf Dokumentenbuch Rosenberg, Band II, Seite 46, Paragraph 2, der die Einsetzung des Ostministeriums betrifft, hinweisen, und auf Paragraph 3, der wörtlich lautet:

»Militärische Hoheitsrechte und Befugnisse werden in den neubesetzten Ostgebieten von den Wehrmachtsbefehlshabern nach Maßgabe meines Erlasses vom 25. Juni 1941 ausgeübt.

Die Befugnisse des Beauftragten für den Vier jahresplan in den neubesetzten Ostgebieten sind durch meinen Erlaß vom 29. Juni 1941, diejenigen des Reichsführers-SS und Chefs der Deutschen Polizei durch meinen Erlaß vom 17. Juli 1941 besonders geregelt und werden von den nachstehenden Bestimmungen nicht berührt.«

Der Paragraph 6 lautet:

»An der Spitze eines jeden Reichskommissariats steht ein Reichskommissar.«

Und dann einzelne nähere Ausführungen mit der Bemerkung, daß die Reichskommissare und Generalkommissare vom Führer persönlich ernannt werden und infolgedessen von mir nicht beurlaubt und nicht abgesetzt werden können.

[531] Der Paragraph 7 bestimmt, daß die Reichskommissare den Reichsministern unterstellt sind und ausschließlich von ihnen Weisungen erhalten, soweit nicht der Paragraph 3 Anwendung findet, das heißt der Paragraph 3, der die Wehrmachtsbefehlshaber und den Chef der Deutschen Polizei betrifft.

Der Paragraph 9 bestimmt im Wortlaut:

»Den Reichskommissaren untersteht die gesamte Verwaltung ihres Gebietes im zivilen Bereich.«

Im weiteren Absatz wird, wie im Kriege nicht anders möglich, der ganze technische Betrieb der Reichsbahn und der Reichspost unter der Hoheit der entsprechenden Ministerien belassen.

Der Paragraph 10 verpflichtet den Reichsminister an seinem Sitz, der ausdrücklich als Berlin genannt wird, mit Rücksicht auf die übergeordneten Gesichtspunkte des Reichsinteresses seine Wünsche im Einklang mit den anderen obersten Reichsbehörden zu halten und, wenn Meinungsverschiedenheiten bestehen, eine Entscheidung des Führers herbeizuführen.

Ich brauche hier nicht dem Gericht den Erlaß des Führers über die Wehrmachtsbefehle vorzulegen; es ist genügend klar, worum es sich handelt; ebenfalls den Erlaß über die Vollmacht des Beauftragten für den Vierjahresplan vom 29. Juni 1941, in dem festgestellt wird, daß der Beauftragte für den Vierjahresplan, also Reichsmarschall Göring, auch in den besetzten Ostgebieten allen zivilen und militärischen Dienststellen Weisungen erteilen könne. Von entscheidender Wichtigkeit aber für die Konsequenzen, die sich daraus später ergaben, ist der Führererlaß über die polizeiliche Sicherung der besetzten Ostgebiete vom 17. Juli 1941. Unter I heißt es hier wörtlich:

»Die polizeiliche Sicherung der neubesetzten Ostgebiete ist Sache des Reichführers-SS und Chefs der Deutschen Polizei.«

Mit diesem Paragraph I wurden uneingeschränkt die gesamten Sicherheitsmaßnahmen in den Ostgebieten dem Reichsführer-SS unterstellt, der somit neben dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete und neben dem Beauftragten für den Vierjahresplan die dritte unabhängige Reichs-Zentralinstanz in Berlin wurde mit dem Ergebnis, daß der Ostminister in seinem Ministerium keine Abteilung für Sicherheits- und Polizeifragen in Berlin einrichten konnte.

In II heißt es, daß der Reichsführer-SS auch berechtigt sei, neben den selbstverständlichen Anweisungen an seine Polizei auch unter Umständen Weisungen an die zivilen Reichskommissare unmittelbar zu erteilen; daß er gehalten sei, Befehle von politisch grundlegender Bedeutung über den Ostminister zu leiten, es sei denn, daß es sich um Abwendung einer unmittelbar drohenden Gefahr handle. Diese Formulierung gab dem Reichsführer-SS die praktische Möglichkeit, [532] selbst zu entscheiden, was er an seinen Befehlen für politisch wichtig hielt und was nicht, und was seine Befehle in Bezug auf Abwendung einer drohenden Gefahr betrafen.

Der Paragraph III ist von sehr großer Bedeutung, weil durch den Vortrag des Dokuments 1056-PS (deutsches Sitzungsprotokoll Band V, Seite 74) bei dem Gericht der ausgesprochene Eindruck entstanden ist, daß dem Ostminister auch Einheiten der SS in den besetzten Ostgebieten unterstanden. Obgleich das schon aus dem eben zitierten Paragraphen I sich als nicht richtig ergibt, hat eine Wendung, die vielfach in der Vollmacht der SS erwähnt wird dazu... zu dem Mißverständnis Anlaß gegeben, und diese Wendung lautet unter Paragraph III des polizeilichen Sicherungserlasses wie folgt:

»Zur Durchführung der polizeilichen Sicherung tritt zu jedem Reichskommissar ein Höherer SS- und Polizeiführer, der dem Reichskommissar unmittelbar und persönlich unterstellt ist.

Den Generalkommissaren, den Haupt- und Gebietskommissaren werden Führer der SS und der Polizei zugeteilt, die ihnen unmittelbar und persönlich unterstehen.«

Der mit der Abfassung dieser Vorschläge beauftragte Dr. Lammers hat hier auf Anfrage schon geantwortet, daß diese Formulierungen so gewählt sind, daß sie bedeuten, daß der zivile Reichskommissar auf politischem Gebiet schon der Polizei Weisungen erteilen könne, daß aber durch die Wahl der Worte »persönlich und unmittelbar unterstellt« die fachliche Befehlsgabe ausschließlich dem Chef der Deutschen Polizei vorbehalten geblieben ist. Und meines Wissens hat Himmler gerade auf dieser Formulierung besonders bestanden, weil sie dienstlich unverpflichtend ist, weil sie nach außen hin beim Reichskommissariat gegenüber der Bevölkerung eine gewisse Einheit der Verwaltung bekundet, reichsrechtlich gesehen und praktisch aber die Befehlsgewalt an der Zivilverwaltung vorbeigeht. Und die hier vorgelegten Abmachungen zwischen Heydrich und dem Generalquartiermeister des Heeres, von deren Tatsache, von deren Vorhandensein ich hier im Prozeß zum ersten Male gehört habe, unterstreichen aber, daß das den Tatsachen entspricht, wie sie sich entwickelt haben, und wie die Aufträge und Vollmachten für die Polizei gelautet haben.

Die anderen Erlasse betreffen die Einrichtung der Reichskommissariate selbst. Ich glaube nicht, daß ich sie dem Gericht vorzutragen habe; das sind Einzelfortführungen, die sich daraus als Konsequenzen ergeben.

Ich möchte nun noch hinweisen auf den Erlaß Lammers' vom 9. Februar 1942, der die Technik und Rüstung betrifft, und verweise darauf, daß infolge späterer Wünsche anderer Reichsbehörden die [533] anfangs vorhandenen Abteilungen für Technik und Propaganda aus dem Ostministerium und den Reichskommissariatsleitungen herausgelöst und den entsprechenden Ministern unterstellt wurden, in dem Sinne, daß der Reichsminister Speer seine Hauptvertretung in den Reichskommissariaten als Verbindungspersonen hatte, wie auch der Reichsverkehrsminister, und daß die politischen Richtlinien für die Propaganda vom Reichsminister für die besetzten Ostgebiete zu erlassen seien, die praktische Durchführung jedoch dem Reichspropagandaminister unterstellt wird.

DR. THOMA: Herr Rosenberg! Ich glaube, Sie müssen sich etwas kürzer fassen.

VORSITZENDER: Ja, der Gerichtshof hofft, daß Sie das tun werden.

DR. THOMA: Das Wichtigste in dieser Angelegenheit ist, neben der Zuständigkeit des Polizei- und SS-Führers, das Verhältnis zu dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz. Wie war hier das Rechtsverhältnis und das Unterordnungsverhältnis? War Sauckel Ihnen gegenüber weisungsberechtigt?


ROSENBERG: Die Vollmachten des Führers für den Beauftragten für den Vierjahresplan sind ja eindeutige, und der Erlaß des Führers vom 21. März...


VORSITZENDER: Die Frage war, ob Sauckel Ihnen gegenüber weisungsberechtigt war, und Sie beginnen uns vom Vierjahresplan zu erzählen. Ich bin überzeugt, Sie können die Frage direkt beantworten.


ROSENBERG: Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz war weisungsberechtigt für alle obersten Reichsbehörden und auch für den Reichsminister für die besetzten Ostgebiete. Das wurde...


DR. THOMA: Genügt. Waren Sie berechtigt, dem Reichskommissar Koch zu sagen, daß die Arbeiterquoten, die verlangt wurden, nicht mehr erfüllt werden konnten? Ja oder nein?


ROSENBERG: Das konnte ich ohne weiteres nicht tun, weil ja der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz ganz bestimmte Quoten vom Führer auferlegt bekommen hatte, und daß ich, wenn mir diese Quoten zu hoch schienen, und das war ausnahmslos der Fall, ich den Generalbeauftragten und seine Vertreter zusammen in Besprechungen mit Vertretern des Ostministeriums berief, um diese Zahl auf das irgendwie Erträgliche herabzudrücken, und daß ja in vielen Besprechungen auch dieses Herunterdrücken der Quoten gelungen ist, wobei diese Quoten trotzdem sehr hoch waren, ich aber mehr als solche Vorstellungen dienstlich nicht erheben konnte.


MR. DODD: Dieser Angeklagte fährt damit fort, Reden zu halten. Die Frage war sehr einfach. Er wurde gefragt, ob er berechtigt war, [534] dem Reichskommissar Koch zu sagen, daß die erforderlichen Arbeiterquoten nicht erfüllt werden könnten. Er hat bereits drei Minuten gesprochen und er wird sicherlich dreißig Minuten brauchen, wenn man ihm erlaubt, fortzufahren. Er sollte auf die diese Frage betreffenden Punkte beschränkt werden.


DR. THOMA: Herr Zeuge! Ich muß die Anregung von Herrn Dodd unterstreichen. Ich habe Sie gefragt: Waren Sie berechtigt, dem Reichskommissar Koch die Weisung zu geben, er solle diese Arbeiterquoten nicht erfüllen?

ROSENBERG: Das konnte ich nicht tun.


DR. THOMA: Nein, heißt dann die Antwort. Haben Sie das trotzdem einmal getan, haben Sie ihm einmal gesagt, er soll jetzt einmal von seinem Hoheitsrecht Gebrauch machen und diese Quoten einfach nicht mehr vollziehen? Ja oder nein?


ROSENBERG: Jawohl. Ich habe das in einem Brief an den Generalbeauftragten für den Arbeitseinsatz – die Urkunde liegt hier vor – vom Dezember 1942 ausdrücklich erwähnt, wo ich pflichtgemäß auf viele Vorfälle, die bei dieser Arbeiterwerbung stattfanden, aufmerksam machte und dringend ersuchte, mich zu unterstützen, daß diese vorgefallenen und nicht zu duldenden Dinge eingestellt würden.


DR. THOMA: Ich bitte Sie, nun ganz kurz zu dieser Frage des Arbeitseinsatzes an der Hand der Dokumente Stellung zu nehmen. Es handelt sich um die Dokumente, die bereits dem Gericht von den USA übergeben wurden: 016-PS, 017-PS, 018-PS, 054-PS, 084-PS, 204-PS, 265-PS und 031-PS. Ich glaube, Sie können sich zu allen Dokumenten kurz fassen, denn sie sprechen ja für sich.


VORSITZENDER: Sind sie im Dokumentenbuch?


DR. THOMA: Teilweise sind sie in dem US-Dokumentenbuch Alfred Rosenberg, im Spezialdokumen tenbuch.


ROSENBERG: Das Dokument 016-PS ist ein Schreiben des Generalbevollmächtigten vom 24. April an mich, in dem er sein Programm entwickelt. Darauf ist seitens der Anklage mehrfach hingewiesen worden, und ich gestatte mir zwei kurze Hinweise, die den Ostminister betreffen. Auf Seite 17 des Dokuments heißt es unter dem Kapitel »Kriegsgefangene und fremdländische Arbeiter«, Absatz 3 am Ende wörtlich:

»Es ist für uns Deutsche von jeher selbstverständlich, daß wir gegenüber dem besiegten Feind, selbst wenn er unser grausamster und unversöhnlichster Gegner gewesen ist, uns jeder Grausamkeit und jeder kleinlichen Schikane enthalten, ihn korrekt und menschlich behandeln, auch dann, wenn wir keine nützliche Leistung von ihm erwarten.«

[535] Und auf Seite 18 heißt es im Absatz 5:

»Auch für die Russenlager müssen daher auf das allersorgfältigste die Grundsätze deutscher Sauberkeit, Ordnung und Hygiene Geltung haben.«

Das war für mich entscheidend, und diesem Grundsatz des Generalbevollmächtigten habe ich zugestimmt. Auf Grund dieser Zustimmung ist mein Schreiben 018-PS vom 21. Dezember 1942 verständlich.

DR. THOMA: Dokumentenbuch Rosenberg, Seite 64, Band II.

ROSENBERG: Wenn ich hier zusammenfassend kurz erklären darf: Ich spreche hier meine Zustimmung hinsichtlich der Lösung der Ostarbeiterfrage aus und sage, daß wir beide, Sauckel und ich, die gleichen Grundsätze vertreten. Das bezieht sich auf die eben verlesenen Programmpunkte Sauckels. Ich führe weiter aus, daß aber trotz dieser gemeinsamen Grundsätze verschiedene Vorkommnisse mich veranlassen, auf nicht zulässige Methoden zu verweisen. Ich beklage mich auf Seite 2 darüber, daß nach Meldungen, die das Ostministerium erhalten hätte, verschiedene Krankenbaracken und Rückkehrlager, die eingerichtet werden sollten für die erkrankten Ostarbeiter zwecks ihrer Genesung bei der Rückkehr in die Heimat, noch nicht voll entsprechend seien, und daß das Ostministerium sich von sich aus mit dem Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen in Verbindung gesetzt habe.

Auf Seite 3 sage ich, daß in Bezug auf die Kontingente ich hier für die besetzten Ostgebiete aus meiner Verantwortung heraus mit allem Nachdruck darum bitten muß, daß zur Erfüllung der befohlenen Kontingente Handhabungen ausgeschlossen werden, deren Duldung und Folgen eines Tages mir und meinen Mitarbeitern zu Last gelegt werden:

»Um dies zu erzielen und um die durch die beson dere politische Lage der Ostgebiete gegebenen Erfordernisse mit den Maßnahmen der Kommissionen und Stäbe Ihrer Behörden in Einklang zu bringen, habe ich den Reichskommissar für die Ukraine ermächtigt, soweit erforderlich von seinem Hoheitsrecht Gebrauch zu machen und für die Abstellung von Werbemethoden Sorge zu tragen, die dem Interesse der Kriegsführung und Kriegswirtschaft in den besetzten Ostgebieten zuwiderlaufen.«

DR. THOMA: Waren Sie sich darüber klar, daß gleichzeitig mit der Abstellung dieser Werbemethoden die verlangten Arbeiter nicht mehr abgestellt werden konnten?

ROSENBERG: Das konnte ich nicht ohne weiteres annehmen, weil ich ja auch wußte, daß am Anfang beim Einsatz der Propaganda in vielen Gebietskommissariaten sich auch sehr viele Freiwillige vom[536] Lande – nicht aus den Städten, vom Lande – gemeldet hatten; daß hier aber eine gesetzliche Grundlage zur Verhinderung von Dingen dem Reichskommissar übertragen wurde, die, wie aus der Anklage dieses Briefes sich ergibt, in jedem Lager vorgefallen waren.

Ich darf hier kurz auf die von der Anklage vorgetragenen anderen Dokumente verweisen: 054-PS. Das ist eine Kritik an Mißständen, die vom Verbindungsoffizier des Ostministeriums bei der Heeresgruppe Süd an mich gelangt ist. Es ist eine scharfe Kritik. Aber ich darf auf Seite 1 des Fernschreibens noch vermerken, daß ihm bekannt ist unter Punkt a: Mit wenigen Ausnahmen sind die Ukrainer, die im Reich in Einzelarbeit stehen, zum Beispiel in handwerklichen Kleinbetrieben, als landwirtschaftliche Arbeiter, als Hausgehilfinnen, sehr zufrieden mit den Verhältnissen. Punkt b: Sie klagen aber über die Art, wie sie in Gemeinschaftslagern untergebracht worden sind. Das war der Versuch, auch auf die Fragen und Behandlungen, die aus einem Gebiete stammten, das nicht der Zivilverwaltung, sondern der Militärverwaltung mit dem Sitz in Charkow unterstand, Einfluß zu nehmen, und auch hier auf reichsdeutschem Gebiet einzuwirken, wo ich, der Ostminister, keine Weisung zu erteilen hatte, und wo durch Kritik sogar das Los aller Ostarbeiter immer und möglichst verbessert wurde.

Das Dokument 084-PS betrifft eine Reihe von Fragen und Maßnahmen für die Verbesserung der Lage der Familienangehörigen und die Energie, mit der sich das Ostministerium um eine korrekte Behandlung der Ostvölker bemühte; über die Lohnfrage, über die Steuerabzüge und so weiter, über die ich glaube aber keine näheren Ausführungen machen zu müssen, die ja der Generalbevollmächtigte wahrscheinlich selbst darlegen wird. Ich führe das nur an, um auch die dauernden Bemühungen, in dieser Richtung tätig zu sein, aufzuzeigen. Ich möchte auch hier vermerken, daß ein Arbeitsabkommen zwischen dem Generalbevollmächtigten und dem Ostministerium bestand, daß nach der Rückkehr der Ostarbeiter nach ihrer Heimat auch für sie eine Zuteilung von Land vorzusehen sei, damit sie nicht benachteiligt seien gegenüber denen, die in der Heimat verblieben waren. Hier sind ebenfalls im Dokument 204-PS Klagen über unzureichende Unterstützungen, auf die ich nicht mehr einzugehen brauche und auf die ich mir nur gestatte, die Aufmerksamkeit des Gerichts zu lenken.

Das Dokument 265-PS betrifft einen Bericht des Generalkommissars in Schitomir in der Ukraine, in welchem er mitteilt, daß der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz auch persönlich bei seinen Reisen in den Ostgebieten den Ernst des ganzen Arbeitseinsatzes dargelegt und die unbedingten Befehle des Führers übermittelte, diese Kontingente dem Reiche zur Verfügung zu stellen; ferner teilt er mit, daß der Generalkommissar dazu vermerkt, nach [537] diesen ernsten Darlegungen sei ihm keine Wahl geblieben, als bei dem Aufruf bestimmter Arbeiter polizeiliche Exekutive zur Unterstützung der Ortsbehörden miteinzusetzen.

Das Dokument 031-PS erscheint mir persönlich von besonderer Wichtigkeit, weil mir seitens der Anklage unter Bezugnahme auf dieses Dokument der Vorwurf gemacht worden ist, ich hätte der Planung und Durchführung der biologischen Schwächung der Ostvölker durch eine Schlußbemerkung, dieses Dokuments zugestimmt. Dieses Dokument ist nur in den ersten Worten und Schlußworten verlesen worden.

Ich muß das Gericht bitten, eine Darstellung der richtigen Sachlage übermitteln zu dürfen. Am Anfang steht der Vermerk, daß dem Ostminister über dieses Problem, nachdem er einmal den Vorschlag abgelehnt hatte, aus der Heeresgruppe Mitte Jugendliche ins Reich zu übernehmen, noch einmal Vortrag gehalten wurde unter ganz bestimmten Bedingungen und Voraussetzungen. In der eigentlichen Notiz heißt es, daß die Heeresgruppe Mitte die Absicht hätte, da viele Erwachsene in der Arbeit doch tätig seien und die Jugendlichen ohne Betreuung deshalb verblieben, diese Jugendlichen zurückzuführen und unter eine vernünftige Betreuung zu nehmen. Ende der Seite 1 des Dokuments und Anfang Seite 2 heißt es, daß der Minister befürchtet, daß diese Aktion sich politisch sehr ungünstig auswirken würde, daß sie als Kinderverschleppung angesehen wird, und daß er eine sehr große Beschränkung wünsche.

Es wird dann unter Punkt 4 aufgeführt, daß, wenn der Ostminister diese Aktion nicht unterstütze und durchführe, die Heeresgruppe Mitte, die ja in keiner Weise dem Ostminister untersteht, von sich aus diese Aktion durchführen würde. Daß aber die Heeresgruppe sich gerade an das Ostministerium wende, weil ihrer Ansicht nach, wie es wörtlich heißt: »die Gewähr für eine korrekte politische und sachliche Behandlung« gesichert wäre. Die Heeresgruppe möchte, daß die Aktion unter loyalsten Bedingungen durchgeführt wird. Die Kinder sollten möglichst geschlossen auf Dörfer untergebracht werden, in kleinen Lagern zusammengefaßt werden und von dort später den handwerklichen Betrieben zur Verfügung gestellt werden. Und zum Schlusse heißt es:

»Bei einer eventuellen Wiederbesetzung des Gebiets kann daher das Ostministerium in geeigneter Weise Jugendliche zurückführen, die dann beim Aufbau des Gebietes mit ihren Eltern zusammen sicherlich ein politisches Positivum darstellen werden.«

Und zum Schlusse heißt es, unter diesen Voraussetzungen und Bedingungen habe der Ostminister sich einverstanden erklärt, die Betreuung dieser Jugendlichen zu übernehmen. Und ich habe [538] zugestimmt im vollen Bewußtsein, daß ich dadurch nach Möglichkeit durch die Jugendabteilung des Ostministeriums die größte Sorgfalt obwalten lassen konnte, und füge hinzu, daß ich einmal eine Besuchsreise bei den großen Werken in Dessau machte, wo viereinhalbtausend jugendliche Handwerker arbeiteten und gesondert ein Kinderlager unter Betreuung weißruthenischer Mütter vorhanden war. Ich konnte dort feststellen, daß diese Handwerker in bester Kleidung waren, daß sie von russischen Lehrerinnen Mathematik und Sprachstunden hatten, daß das Kinderlager russische Betreuerinnen und einen Kindergarten hatte, der von der HJ betreut wurde. Am Abend dieses Tages hat eine Frau aus Weißruthenien, die die Kinder betreute, mir mit Tränen in den Augen für diese menschliche Betreuung ihren Dank ausgesprochen. In der Beantwortung des vorliegenden Protokolls möchte ich auf einen phonetischen Irrtum, als ich das mitgeteilt habe, aufmerksam machen; es handelt sich bei diesem Besuch, wie gesagt, um Dessau und nicht um Odessa. Odessa habe ich in meinem Leben nie besucht.

DR. THOMA: Herr Präsident! Wir sind jetzt mit dem Arbeitseinsatz zu Ende. Es kommt jetzt das Gebiet der Reichskommissare zur Rede.

Ich glaube, daß dies vielleicht ein geeigneter Zeitpunkt wäre, zu unterbrechen.


VORSITZENDER: Können Sie dem Gerichtshof sagen, wie lange Ihr Verhör noch dauern wird?


DR. THOMA: Ich bin der Meinung, daß wir vielleicht doch bis halb vier Uhr fertig werden können. Aber Herr Rosenberg schüttelt gerade mit dem Kopf. Ich kann also nichts Bestimmtes sagen.


VORSITZENDER: Dann wird der Gerichtshof die Sitzung bis fünf Minuten nach zwei Uhr unterbrechen.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.05 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 11, S. 507-540.
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