Vormittagssitzung.

[287] [Der Zeuge Gisevius im Zeugenstand.]


JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof!

Dr. Gisevius! Gestern sprachen Sie von Herbert Göring und sagten, daß Schacht Ihnen von den Gestapomikrophonen in seinem Haus Mitteilung gemacht habe. Wollen Sie uns sagen, in welcher Beziehung Herbert Göring zu dem Angeklagten stand?


GISEVIUS: Herbert Göring war ein Vetter des Angeklagten Göring. Ich kannte ihn seit langen Jahren und Herbert, wie seine übrigen Geschwister, warnten mich seit langen Jahren vor dem Unheil, das über Deutschland hereinbrechen werde, wenn jemals ein solcher Mann wie ihr Vetter Hermann Göring auch nur den kleinsten verantwortlichen Posten erhalten würde. Sie machten mich mit den vielen Eigenschaften des Angeklagten Göring vertraut, die wir mittlerweile alle kennengelernt haben, angefangen von seiner Eitelkeit, über seine Prunksucht, über seine Verantwortungslosigkeit und über seine Skrupellosigkeit, die über Leichen ginge. So war ich einigermaßen bereits unterrichtet, was ich von dem Angeklagten zu gewärtigen hatte.


JUSTICE JACKSON: Während der Zeit, in der Sie diese Nachforschungen anstellten und diese ersten Gespräche mit Schacht hatten, und bis zum Jahre 1937 ungefähr, waren Sie, wie ich verstehe, Schacht gegenüber sehr kritisch eingestellt, weil er den Nazis zur Macht verholfen hatte und weiterhin Hilfe leistete. Ist das richtig?


GISEVIUS: Ich begriff nicht, wie so ein kluger und wirtschaftlich fähiger Mann wie Schacht sich so eng mit Hitler hatte einlassen können. Ich stand vor einem um so größeren Rätsel, als auf der anderen Seite dieser Schacht vom ersten Tage an in tausend Kleinigkeiten den Nazis Widerstand leistete und die deutsche Öffentlichkeit sich an den vielen spitzigen und witzigen Bemerkungen, die er über die Nazis machte, erfreute. So stand ich vor einem Rätsel, bis ich den Mann kennenlernte, Schacht. Und dann...


JUSTICE JACKSON: Während dieser Zeit hatte Schacht großen Einfluß auf das deutsche Volk, nicht wahr? Insbesondere auf Deutsche, die Verantwortung und Einfluß hatten?


GISEVIUS: Er hatte großen Einfluß, indem viele Deutsche hofften, in ihm einen Sachwalter für Recht und Anstand zu finden, [287] und da Sie hörten, daß er sehr viele Schritte in dieser Hinsicht unternahm; ich erinnere an seine Tätigkeit im Wirtschaftsministerium, wo er Beamte, die nicht Parteigenossen...


JUSTICE JACKSON: Wenn ich Sie unterbrechen darf: Ich glaube, das haben wir schon besprochen, und ich möchte gerne in dieser Sache vorankommen.


GISEVIUS: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Während dieser Zeit haben Sie Schacht genau berichtet, was Sie über die verbrecherische Tätigkeit der Gestapo in Erfahrung gebracht haben; nicht wahr?


GISEVIUS: Ja, ich sprach von Mal zu Mal offener, und es liegt auf der Hand, daß sich...


JUSTICE JACKSON: Und er nahm den Standpunkt ein, wenn ich Sie recht verstehe, daß Hitler und Göring von diesen Dingen nichts wußten?


GISEVIUS: Ja, er meinte, daß Hitler von solch furchtbaren Dingen nichts wußte und Göring höchstens nur einen Teil.


JUSTICE JACKSON: Und er hielt zu Göring bis zum Jahre 1937, als Göring ihn aus dem Wirtschaftsministerium hinauswarf; nicht wahr?


GISEVIUS: Ich glaube, dieser Zeitpunkt liegt schon Ende 1936: ich mag mich irren. Und ich glaube, man sollte eher sagen, er suchte Görings Unterstützung und hoffte, daß Göring ihn abschirmte gegenüber der Partei und der Gestapo.


JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten, Schacht achtete nicht auf Ihre Warnung vor Göring bis gegen Ende des Jahres 1936 oder 1937?


GISEVIUS: Das ist richtig.


JUSTICE JACKSON: Und während dieser Zeit gab es wohl keinen Zweifel, nicht wahr, daß Schacht die führende wirtschaftliche Persönlichkeit in dem Wiederaufrüstungsprogramm war, bis er dann durch Göring und den Vierjahresplan verdrängt wurde?


GISEVIUS: Ich weiß nicht, ob alles genau durchgekommen ist. Er war als Wirtschaftsminister selbstverständlich der führende Mann für die deutsche Wirtschaft, nicht nur allein für die Wiederaufrüstung, sondern für alle Fragen in der deutschen Wirtschaft und die Wiederaufrüstung war ja nur ein Teil davon.


JUSTICE JACKSON: Schacht glaubte – und wenn ich Sie recht verstehe, glaubten auch Sie während dieser Zeit, daß der deutschen Verfassung nach kein Krieg erklärt werden könne ohne die Ermächtigung des Reichskabinetts. Ist das richtig?

GISEVIUS: Ja.


[288] JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten, vom Standpunkt der deutschen Verfassung aus war der Krieg, so wie Hitler ihn erklärte und durchführte, nach Ihrer Ansicht rechtswidrig?


GISEVIUS: Nach unserer festen Überzeugung, ja.


JUSTICE JACKSON: Ich glaube, gestern haben wir festgestellt, welche Stellung Sie hätten haben sollen, wenn der Sturz des Hitler-Regimes gelungen wäre. Schacht war als Kanzler in Betracht gezogen, falls dieser Umsturz gelingen sollte, nicht wahr?


GISEVIUS: Nein, das ist nur richtig für das erste Angebot, das Halder im August 1938 oder Juli 1938 bei seinem ersten Besuch bei Schacht machte. Damals fragte, nach den mir zuteil gewordenen Informationen, Halder Schacht, ob er im Falle eines Umsturzes bereit wäre, einen solchen Posten zu übernehmen, und Schacht antwortete: Er wäre zu allem bereit, falls die Generale die Nazi-Herrschaft und Hitler eliminierten.

Schon im Jahre 1939 war aus einzelnen Opponenten eine Gruppe geworden, und spätestens mit dem Zeitpunkt, wo Beck das anerkannte Oberhaupt aller Verschwörer wurde, von links nach rechts, trat mit Beck Goerdeler als die führende Persönlichkeit für einen Reichskanzlerposten in den Vordergrund, so daß von diesem Zeitpunkt an wir nur noch von Goerdeler zu sprechen haben.


JUSTICE JACKSON: Und jetzt will ich Sie einiges über den Angeklagten Keitel fragen. Wir haben natürlich gehört, daß Hitler das tatsächliche Staatsoberhaupt war. Ich will Sie aber fragen, ob Keitel eine wirklich führende und mächtige Stellung im Reich innehatte.


GISEVIUS: Keitel hatte eine der einflußreichsten Stellungen im Dritten Reich inne. Ich möchte hier sagen, daß ich aufs engste befreundet war mit vier der nächsten Mitarbeiter von Keitel. Das ist der Chef des Waffenamtes im OKW, der ermordete General Olbricht, zweitens der Chef der Abwehr, Admiral Canaris, er ist ebenfalls ermordet worden, drittens der Chef des Heeres, Abteilung Rechtswesen, Ministerialdirektor Sack, er ist ebenfalls ermordet worden, und endlich der Chef des Wehrwirtschaftsamtes General Thomas, der wie durch ein Wunder dem Morde entgangen ist. Mit allen diesen Männern, darf ich sagen, verband mich eine enge Freundschaft, und so habe ich sehr genau von ihnen erfahren, welchen ungeheuren Einfluß Keitel auf das OKW und auf die gesamten Dinge der Armee und dadurch auch auf die Vertretung der Armee vor dem deutschen Volke hatte. Es mag sein, daß Keitel Hitler nicht sehr viel beeinflußt hat. Ich muß aber hier bezeugen, daß Keitel um so mehr das OKW und die Armee beeinflußte. Keitel entschied, welche Akten an Hitler weiterzugeben waren. Es war nicht möglich, daß der Admiral Canaris oder einer [289] der anderen genannten Herren einen dringenden Bericht von sich aus Hitler vorlegen konnte. Keitel nahm ihn an sich und was ihm nicht gefiel, gab er nicht weiter, oder er hat diesen Männern den dienstlichen Befehl gegeben, nicht in dem betreffenden Sinne zu berichten. Ebenso hat Keitel wiederholt diesen Männern angedroht, daß sie sich lediglich auf ihre Fachressorts zu beschränken hätten und daß sie bei jeder politischen Äußerung, die kritisch gegenüber der Partei und der Gestapo und gegen die Judenverfolgung, gegen die Morde in Rußland oder gegen den Kirchenkampf seien, daß er sie dann nicht schützen werde und, wie er später sagte, daß er sich nicht scheuen würde, diese Herren aus der Wehrmacht zu entlassen und der Gestapo zu übergeben. Ich habe die Aufzeichnungen des Admirals Canaris in seinem Tagebuch darüber gelesen. Ich habe die Aufzeichnungen des Generals Oster aus den Chefbesprechungen im OKW darüber gelesen. Ich habe den Chefrichter des Heeres, Dr. Sack, darüber gesprochen, und es liegt mir daran, hier auszusagen, daß der Generalfeldmarschall Keitel, der seine Offiziere schützen sollte, sie wiederholt mit der Gestapo bedrohte. Er hat diese Herren unter Druck gesetzt, und diese Herren haben dies als einen besonderen Schimpf empfunden.


JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten, gleichgültig ob Keitel Hitler beeinflussen konnte oder nicht, jedenfalls hatte er eine vollkommene Kontrolle über das gesamte ihm unterstellte OKW, nicht wahr?


GISEVIUS: Hitler sagen Sie? Nein Keitel.


JUSTICE JACKSON: Gleichgültig, ob Keitel über Hitler eine Kontrolle ausübte oder nicht, jedenfalls kontrollierte und kommandierte er das gesamte OKW, das ihm unterstand.


GISEVIUS: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten, wie immer Hitlers Neigungen gewesen sein mögen, diese Leute auf der Anklagebank hier bildeten einen Ring um ihn, der Informationen seitens Ihrer Gruppe über die Ereignisse von ihm fernhielt, es sei denn, daß sie wollten, daß Hitler sie erfahren sollte; war das nicht so?


GISEVIUS: Jawohl. Ich glaube, daß ich auch noch zwei Beispiele erwähnen soll, die mir besonders kennzeichnend erscheinen. Erstens wurde mit allen Mitteln versucht, den Feldmarschall Keitel zu bewegen, Hitler vor dem Einmarsch in Holland und Belgien zu warnen und ihm, das heißt Hitler mitzuteilen, daß die von Keitel vorgelegten Informationen über die angebliche Neutralitätsverletzung der Holländer und Belgier falsch seien. Die Abwehr sollte ja diese die Holländer und Belgier inkriminierenden Berichte anfertigen. Der Admiral Canaris weigerte sich damals, diese Berichte zu unterschreiben. Ich bitte dies nachzuprüfen. Er hat [290] Keitel wiederholt gesagt, daß diese angeblich vom OKW angefertigten Berichte falsch seien. Das ist das eine Beispiel, wo Herr Keitel an Hitler nicht weitergegeben hat, was er weitergeben sollte.

Das zweite war, daß Keitel von Canaris und Thomas gebeten wurde, die Einzelheiten über die Morde in Polen und Rußland Hitler vorzulegen. Es lag dem Admiral Canaris und seinen Freunden daran, bereits die Anfänge dieser Massenmorde zu unterbinden und bereits dann Keitel zu unterrichten, als die ersten Vorbereitungen von der Gestapo für diese Schandtaten getroffen wurden. Wir waren in den Besitz der Unterlagen durch Nebe und andere Persönlichkeiten gekommen. Keitel wurde hierüber eingehend unterrichtet und auch hier wiederum hat er nicht im Anfang widerstanden, und wer nicht am Anfang der Gestapo das Handwerk legte, der durfte sich nicht wundem, wenn nachher am Ende millionenfaches Unrecht entstand.


VORSITZENDER: Herr Justice Jackson! Ich glaube, Ihre Frage lautete: Bildeten die Männer auf der Anklagebank hier einen Ring, der es Ihnen unmöglich machte, an Hitler heranzukommen? Die Frage wurde aber so beantwortet, als ob sie sich nur auf Keitel bezogen hatte. Wenn Sie die Frage bezüglich aller Angeklagten stellen wollten, sollte das, glaube ich, klargestellt werden.


JUSTICE JACKSON: Jawohl, das stimmt.


[Zum Zeugen gewandt:]


Jeder Angeklagte, der irgendeinen Ministerposten innehatte, kontrollierte die Berichte, die von seinem Ministerium an Hitler gehen sollten, nicht wahr?

GISEVIUS: In dieser Verallgemeinerung muß ich vorsichtig antworten; denn es war erst einmal ein enger Kreis, der um Hitler herum den Kordon des Schweigens legte. Ich kann natürlich einen Mann wie Papen oder von Neurath nicht dazu rechnen; denn es war ja klar, daß von Papen oder von Neurath oder vielleicht dar eine oder andere Angeklagte nicht, oder lange Zeit später nicht mehr, die Möglichkeit hatten, die Zugangswege zu Hitler zu regeln; denn Hitler hatte ja neben von Neurath schon lange vorher seinen Ribbentrop. Ich kann also nur sagen, daß eine gewisse Gruppe, die ja wohl bekannt sein wird, der engste Kreis war, von denen ich zu sprechen hätte.

JUSTICE JACKSON: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diejenigen Angeklagten bezeichnen wollten, die Zutritt zu Hitler hatten, und diejenigen, die imstande waren, den Zutritt ihrer Untergebenen zu Hitler zu verhindern. Das sind wahrscheinlich Göring, Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Frick und Schacht – während der Zeit bis zu seinem in Ihrer Aussage geschilderten Bruch mit diesem – und Dönitz, Raeder, Sauckel und Speer; nicht wahr?


[291] GISEVIUS: Sie haben manche zu viel genannt und manche vermisse ich. Um nur den Angeklagten Jodl zu nennen, so möchte ich auf den unheimlichen Einfluß hinweisen, den dieser Angeklagte gehabt hat, und die Riegelstellung, die er bei Hitler einnahm.

Andererseits glaube ich, ist aus meinem Zeugnis hervorgegangen, daß Schacht bei Hitler nicht abriegelte, sondern sich nur freuen konnte über jeden Bericht, offenen, anständigen Bericht, der aus seinem und anderen Ministerien zu Hitler drang. Was den Angeklagten Frick betrifft, so glaube ich nicht, daß er unbedingt eine Riegelstellung gehabt hat. Ich glaube, das Problem Frick liegt in dem Punkte der Verantwortlichkeit.


JUSTICE JACKSON: Hätte ich Funk zu der Gruppe rechnen sollen, die Zutritt zu Hitler hatte?

GISEVIUS: Funk hat zweifellos lange Zeit Zutritt zu Hitler gehabt und Funk hat, für seinen Teil natürlich, die Verantwortung dafür, daß die Geschäfte im Wirtschaftsministerium und in der Reichsbank so liefen, wie es Hitler wünschte. Funk hat seinen überragenden Sachverstand zweifellos in den Dienst Hitlers gestellt.


JUSTICE JACKSON: Haben Sie Berichte über die verbrecherische Tätigkeit der Gestapo ausgearbeitet oder an ihrer Ausarbeitung mitgearbeitet, die an Keitel geschickt wurden?


GISEVIUS: Ja.


JUSTICE JACKSON: Haben andere mit Ihnen zusammen an der Ausarbeitung dieser Berichte mitgearbeitet?


GISEVIUS: Jawohl, es war eine Gruppenarbeit. Wir sammelten Nachrichten über Pläne der Gestapo und Vorbereitungen, und wir sammelten Material über die ersten Schandtaten, so daß wackere Männer an der Front, Offiziere des Generalstabs und des Heeres hingingen, Protokolle anfertigten, Photographien anfertigten, und dieses Material kam nun zu der Gruppe Canaris und Oster. Darin erhob sich das Problem: wie können wir dieses Material an Keitel heranbringen. Bekanntlich war es den Offizieren verboten, auch so hohen Offizieren wie Canaris und Thomas, über politische Dinge Bericht zu erstatten. Die Schwierigkeiten waren also, nicht Canaris und die anderen dem Verdacht auszusetzen, daß sie Politik machten. Wir wählten den Umweg, daß wir sogenannte Agentenberichte der Abwehr aus dem Auslande oder aus den besetzten Gebieten anfertigten und unter dem Vorwand, daß hier diese oder jene Agenten aus allen Ländern über diese Schandtaten berichteten oder, daß bei durchreisenden Agenten oder im Ausland solche schandbaren Photographien gefunden worden waren, unter diesem Vorwand legten wir dann diese Berichte dem Feldmarschall Keitel vor.


JUSTICE JACKSON: Haben Canaris und Oster bei der Übermittlung dieser Berichte an Keitel mitgewirkt?


[292] GISEVIUS: Ja, ohne Canaris und Oster wäre die Ausarbeitung und die Sammlung des Materials überhaupt nicht denkbar gewesen.


JUSTICE JACKSON: Und welche Stellungen hatten Canaris und Oster im Verhältnis zu Keitel zur Zeit als diese Berichte vorgelegt wurden?


GISEVIUS: Canaris war der dienstälteste Amtschef des OKW. Formell hatte er sogar Feldmarschall Keitel zu vertreten, wenn Keitel abwesend war; Keitel sorgte nur dafür, daß ein anderer dann in die Bresche sprang, meistens sein Parteigeneral Reinecke. Und Oster war als Vertreter, als Stabschef von Canaris, wiederum zu Canaris im engsten Verhältnis. Keitel konnte sich also keinen engeren Kontakt zur Wirklichkeit und zur Wahrheit wünschen, als durch diese Verbindung zum Chef seines Wehrmachtnachrichtendienstes.


JUSTICE JACKSON: Diese Berichte, die Keitel zugingen, kamen also von den höchsten Männern seiner eigenen, ihm direkt unterstellten Organisation?


GISEVIUS: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Nun, was berichteten Sie an Keitel? Ich möchte Sie fragen, ob Sie ihm berichteten, daß es ein Programm der systematischen Ermordung von Geisteskranken gab?


GISEVIUS: Jawohl. Auch darüber wurden eingehende Protokolle angefertigt, mit verzweifelten Berichten der Leiter der Irrenanstalten. Ich entsinne mich gerade dieses Falles sehr genau, weil wir wiederum große Schwierigkeiten hatten, diese Berichte zu motivieren, und wir modellierten sie besonders als Berichte aus dem Auslande von Ärzten, die darüber mit Entrüstung Kenntnis genommen hatten.


JUSTICE JACKSON: Stand in diesen Berichten von der Verfolgung und Ermordung der Juden und davon, daß ein Programm der Judenausrottung durchgeführt wurde?


GISEVIUS: Keitel wurde von den ersten Judenpogromen 1938 an fortlaufend über jede neue Aktion gegen die Juden auf das ausführlichste unterrichtet, insbesondere von der Errichtung der ersten Gaskammern oder vielmehr von der Errichtung der ersten Massengräber im Osten bis zur Errichtung der Mordfabriken später.


JUSTICE JACKSON: Stand in diesen Berichten von den Greueltaten, die in Polen gegen die Polen verübt wurden?


GISEVIUS: Jawohl, und zwar möchte ich hier wiederum sagen, auch diese Greueltaten in Polen fingen mit einzelnen Morden an, die so gräßlich waren, daß wir uns damals noch den Luxus leisten konnten, Einzelfälle zu berichten und die Namen der verantwortlichen SS-Führer beizufügen. Auch hier ist dem Angeklagten Keitel nichts geschenkt worden an fürchterlichen Wahrheiten.


[293] JUSTICE JACKSON: Wurden Keitel auch Berichte über die Greueltaten gegen Einwohner anderer besetzter Länder erstattet?


GISEVIUS: Ja. Als erstes muß ich natürlich die Furchtbarkeiten in Rußland nennen, weil ich ja hervorheben muß, daß nun ja Keitel auf Grund der polnischen Greueltaten hinreichend gewarnt war, was in Rußland bevorstand, und ich weiß noch, wie die Vorbereitung solcher Befehle, wie der Befehl zur Erschießung der Kommissare und des Nacht-und-Nebel-Erlasses, wochenlang im OKW dauerten, so daß wir bereits in dem allerersten Beginn solcher Ausarbeitungen Canaris und Oster baten, bei Keitel vorstellig zu werden. Aber ich möchte hier hinzufügen, ich zweifle nicht, daß auch noch andere wackere Männer bei Keitel in diesem Sinne vorstellig geworden sind. Dadurch, daß ich zu einer bestimmten Gruppe gehört habe, könnte der Eindruck entstehen, als ob bloß hier Menschen gewesen wären, die sich für solche Dinge eingesetzt hätten, und ich würde Wesentliches verschweigen, wenn ich nicht hinzufügen würde, daß gerade auch im OKW und im Generalstab vortreffliche Männer waren, die alles taten, um nun auf ihren gesonderten Wegen an Keitel heranzukommen, und daß ebenso in vielen Ministerien wackere Männer waren, die jeden Offizier, den sie sahen, zu erreichen suchten, um ihn zu beschwören, diesem Unrecht Einhalt zu gebieten.


JUSTICE JACKSON: Erwähnten die Berichte an Keitel auch, daß Millionen von Fremdarbeitern versklavt und nach Deutschland deportiert wurden?


GISEVIUS: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Und diese Sklavenarbeiter sind es hauptsächlich, die heute als »displaced persons« (Verschleppte) Deutschland heimsuchen; nicht wahr?


GISEVIUS: Jawohl. Ich möchte auch hier aussprechen, daß in unseren Berichten bereits gesagt wurde, welche Verantwortung die Wehrmacht trüge, wenn diese gepeinigten Menschen einmal frei würden. Wir ahnten, was kommen mußte, und wer damals die Berichte gemacht hat, der versteht, was jetzt geschehen ist.


JUSTICE JACKSON: Wurde in den Berichten an Keitel die Verfolgung der Kirchen in den besetzten Ländern geschildert?


GISEVIUS: Jawohl. Ich möchte ein besonderes Beispiel anführen, wie wir sogar einmal führende Männer der Kirche unter dem Decknamen von Agenten nach Norwegen schickten. Sie nahmen mit dem Bischof Bergrav Fühlung und brachten dann sehr eingehende Berichte über die Art, wie der Bischof Bergrav über die Kirchenverfolgung in Norwegen und anderen Ländern dachte. Ich sehe noch diesen Bericht vor mir, weil Keitel einen seiner bekannten nationalsozialistischen Parteisprüche auch auf dieses Dokument heraufgeschrieben hat.

[294] JUSTICE JACKSON: Diese Berichte enthielten sowohl von Canaris und von Oster gelieferte Informationen als auch Berichte, die hierzu aus dem Felde kamen?


GISEVIUS: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Jetzt einige Fragen über die Organisationen der SA und SS. In Ihrem Buch, über das Sie schon befragt worden sind, haben Sie, glaube ich, die SA als eine Privatarmee der Nazi-Organisation bezeichnet. Ist diese Bezeichnung richtig?


GISEVIUS: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Während des Anfangsstadiums des Kampfes um die Macht stellte die SA eine Privatarmee dar, die die Aufgabe hatte, Befehle der Nazi-Partei auszuführen; nicht wahr?


GISEVIUS: Ja.


JUSTICE JACKSON: Die SA nahm viele Mitglieder auf, wurde ziemlich groß, und dann kam eine Zeit, wo die Gefahr bestand, daß sie ihre Macht verlieren könnte; nicht wahr?


GISEVIUS: Ja, das ist richtig.


JUSTICE JACKSON: Und der Mord an Röhm und seinen Genossen war ein Kampf um die Macht zwischen Göring, Himmler und den sie umgebenden Nazis einerseits und Röhm und seinen Genossen andererseits?


GISEVIUS: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Nach der Ermordung Röhms verlor die SA, die damals sehr stark war, ziemlich stark an Bedeutung; nicht wahr?


GISEVIUS: Ja, völlig.


JUSTICE JACKSON: Und die SS, die eine kleinere und strammere Organisation war, nahm dann ihre Stelle als Privatarmee ein; nicht wahr?


GISEVIUS: Ja, als die entscheidende Privatarmee.


JUSTICE JACKSON: Ja, wir wollen nun einen Moment zur SA zurückkehren, und zwar zur Zeit vor dem Machtkampf, der zum Röhm-Putsch führte. Welche Rolle spielte die SA im Kampf um die Macht bei der Machtergreifung?


GISEVIUS: Wie es in dem Liede hieß: Sie machte die Straße frei für die braunen Bataillone, und zweifellos hat die SA bei der sogenannten Machtergreifung eine überragende Rolle gespielt. Ohne die SA wäre zweifellos Hitler nicht an die Macht gekommen.


JUSTICE JACKSON: Wir wollen nun ihre Methoden untersuchen. Vielleicht kann ich die Sache kurz ma chen, indem ich aus Ihrem Buch zitiere. Ich glaube, Sie sagen: Wo sich der einzelne [295] über seine Freiwilligkeit nicht ganz schlüssig ist, da beseitigt sie unzweideutig jedes Mißverständnis. Ihre Mittel sind primitiv, dafür um so schlagkräftiger. Beispielsweise lernt sich auf den Straßen der neuartige Hitler-Gruß außerordentlich schnell, sobald neben jeder marschierenden SA-Kolonne – und wo wird in jenen Tagen nicht marschiert? – auf dem Bürgersteig ein paar handfeste SA-Männer einhergehen und alle Passanten rechts und links hinter das Ohr hauen, wenn sie nicht bereits drei Schritte im voraus der Sturmfahne den Gruß entbieten. Ähnlich verfahren diese Sturmleute auf sämtlichen anderen Gebieten. Ist diese Schilderung der Tätigkeit und der Einflußnahme der SA richtig?


GISEVIUS: Ich hoffe.


JUSTICE JACKSON: Nun, Sie müssen es doch wissen, nicht wahr?


GISEVIUS: Ja, ja, es ist ja meine eigene Beschreibung, ich kann keine Zensur dazu abgeben.


JUSTICE JACKSON: Ja, Sie haben doch diese Dinge selber gesehen, nicht wahr? Sie waren doch damals in Deutschland?


GISEVIUS: Jawohl, natürlich.


JUSTICE JACKSON: Sie müssen verstehen, Herr Doktor, daß es sehr schwierig für uns ist, trotz all der Dokumente, die wir haben, uns ein genaues Bild von den täglichen Geschehnissen zu machen. Sie waren hier und wir nicht.

Nun möchte ich noch eine andere Stelle verlesen: Die Chronik dieser Privatarmee ist bunt und bewegt. Es wimmelt in ihr von Saalschlachten, Straßentumulten, Messerstechereien, Schießereien und internen Prügeleien; alles in allem ein tolles Landsknechtstreiben, bei dem es natürlich ebensowenig an Führerkrisen wie an Meutereien gebricht. In dieser Gemeinschaft der wilden Männer des deutschen Nationalismus ist zweifellos mancher Idealismus zu Hause. Aber zugleich ist die SA die Ablagestätte für politisches Strandgut. Die gescheiterten Existenzen aller Schichten finden bei ihr Zuflucht. Die Mißmutigen, die Enterbten, die Desperados strömen dorthin zu Hauf. Der Kern, die besoldete Stammtruppe, und da besonders die Führerschaft, rekrutiert sich von Jahr zu Jahr bedenklicher aus dem Strauchrittertum einer Zeit des politischen und sozialen Verfalls.

Ist das eine richtige Darstellung Ihrer Beobachtungen über die SA zu jener Zeit?


GISEVIUS: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Ich möchte noch auf eine andere Stelle verweisen: Die SA veranstaltet Großrazzien. Die SA macht Haussuchungen. Die SA beschlagnahmt. Die SA lädt zu Zeugenvernehmungen. Die SA sperrt ein. Kurzum, die SA erhebt sich zur Hilfspolizei [296] in Permanenz und pfeift auf alle Rechts- und Verwaltungsgrundsätze aus der sogenannten ›Systemzeit‹. Das schlimmste für die ohnmächtigen Staatsbehörden ist, daß die SA ihre Beute überhaupt nicht mehr herausrückt. Wehe, wenn sie jemanden in ihren Klauen hat! Damals entstanden die ›Bunker‹, jene furchtbaren Privatgefängnisse, von denen jeder gute SA-Sturm mindestens einen besitzen muß. Die ›Abholung‹ wird SA-Gewohnheitsrecht. Die Tüchtigkeit eines Standartenführers mißt sich nach der Zahl seiner Häftlinge und das Ansehen eines SA-Rabauken wertet nach der Schlagkraft seiner Gefangenen-›Erziehung‹. »Erziehung« steht in Anführungszeichen. »Saalschlachten im Kampf um die Macht können nicht mehr geboten werden. Gleichwohl geht der Kampf unentwegt weiter. Jetzt gibt es Prügeleien in der Auskostung der Macht.«

Ist das eine richtige Darstellung dessen, was Sie von der SA zu jener Zeit sahen?


GISEVIUS: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Sie haben den Ausdruck »Bunker« gebraucht, dies ist eine Art technischer Ausdruck, den einige von uns nicht kennen. Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, was dieses »Bunker-System« der SA war?


GISEVIUS: Bunker waren jene Keller oder sonstige dickvermauerte Verliese, in die die armen Gefangenen eingesperrt wurden, und wo sie dann geprügelt, zu einem großen Teil zu Tode geprügelt wurden.

Das waren jene Privatgefängnisse, mit denen in diesen ersten Monaten zunächst systematisch die Führer der Linksparteien und der Gewerkschaften unschädlich gemacht wurden, woraus sich das Phänomen erklärt, daß später die Linke so lange nicht zur Aktion kam, weil man dort zunächst am gründlichsten ihre ganze Führerschaft beseitigte.


JUSTICE JACKSON: Sie haben auch den Ausdruck gebraucht, »die ›Abholung‹ wurde SA-Gewohnheitsrecht« und »Abholung« steht unter Anführungszeichen. Wollen Sie uns etwas von dieser »Abholung« erzählen, was sie bedeutet?


GISEVIUS: Das war das wahllose Verhaften, wobei die Angehörigen oft Wochen- oder monatelang nicht wußten, wo die unglückseligen Opfer geblieben sind, und froh sein konnten, wenn sie überhaupt wieder nach Hause kamen.


JUSTICE JACKSON: Ich glaube, Sie machen in Ihrem Buch auch noch folgende Bemerkung: »Jede Ausschreitung, die als ›Übereifer für die nationalsozialistische Revolution‹ amnestiert, also behördlich sanktioniert wurde, mußte notwendig eine neue nach sich ziehen. Erst diese geduldeten Bestialitäten aus den ersten Monaten ermunterten später die sadistischen Mordbuben in den Konzentrationslagern. [297] Die allgemeine Verrohung und Abstumpfung, die sich gegen Ende der Revolution weit über den Gestapobereich hinaus bemerkbar machte, war die unausbleibliche Folge dieses ersten fahrlässigen Versuches, der Gewalttätigkeit braune Freibezirke einzuräumen.«

Ist auch das eine genaue Darstellung dessen, was Sie bei der SA beobachteten?


GISEVIUS: Jawohl – halt, nicht nur von der SA, sondern von den allgemeinen Zuständen in Deutschland auch.


JUSTICE JACKSON: Wollen Sie uns nun noch erzählen... wenn ich Sie recht verstehe, ist die SA nach der Röhm-Affäre als Privatarmee etwas in den Hintergrund gerückt, und es wurde eine zuverlässigere, kleinere, strammere Privatarmee unter Himmler geschaffen.


GISEVIUS: Ich glaube, ich sollte mich so ausdrücken. Eine lange vorher von Himmler geschaffene Garde kam nunmehr zum Zug. Ich zweifle nicht, daß Himmler und sein engster Kreis bereits seit Jahren genau diesem Ziele zustrebten, eines Tages mit ihrer Schutztruppe das Terrorsystem in Deutschland zu verwirklichen. Nun war bis zum 30. Juni die SS ein Teil der SA und Göring – entschuldigen Sie, Röhm war auch Oberster Führer der SS. Der Weg für Himmler zum Polizeiherrn in Deutschland, zum Polizeiherrn des Bösen, wurde also erst frei, nachdem Röhm mit seiner weit größeren SA beseitigt war. Aber der Wille zur Macht bei der SS, mit allen verworrenen und skrupellosen Ideen, muß bei der Führerschaft der SS schon lange vorher als vorhanden angenommen werden.


JUSTICE JACKSON: Diese SS wählte ihre Mitglieder mit großer Sorgfalt aus? Stimmt das?


GISEVIUS: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Wollen Sie uns vielleicht etwas über die Qualifikationen erzählen, die zur Mitgliedschaft erforderlich waren?


GISEVIUS: Sie mußten sogenannte nordische Typen sein. Ich habe diese Fragebogen eigentlich immer als einen Gegenstand für ein Witzblatt bezeichnet, und deshalb bin ich auch heute nicht in der Lage, so genaue Einzelheiten zu geben, nur das, wenn ich mich nicht irre, daß bei Männern und Frauen das Merkmal bis zum Achselschweiß ging. Ich entsinne mich, daß Heydrich und Himmler besonders bei der Auswahl der SS-Leute, die in den Polizeidienst geholt wurden, sich erst entschieden, wenn sie ein Bild ihrer zukünftigen Opfer für Befehlsmißbrauch vor sich sahen, und so weiß ich, daß beispielsweise Nebe wiederholt Beamte, die er vor der Überweisung von der Kripo in die Gestapo schützen wollte, dadurch rettete, daß er schlechte Photographien von diesen Menschen machen ließ, so daß sie möglichst nicht nordisch aussahen. In diesem [298] Falle wurden sie sofort abgelehnt. Aber es würde zu weit führen, über diese krausen Dinge in diesem Saal mehr zu sagen.


JUSTICE JACKSON: Wurden die Mitglieder der SS lediglich aus Kreisen fanatischer und verläßlicher Nazis ausgesucht?


GISEVIUS: Ich glaube, wir müssen hier eine zeitliche Grenze einführen. In den ersten Jahren der SS fühlten sich viele anständige Deutsche, vor allem Bauern und Leute auf dem weiteren Lande, zur SS hingezogen, weil sie Himmlers Versicherung glaubten, die SS werde in Deutschland Ordnung schaffen und ein Gegengewicht gegen den SA-Terror bilden. So sind meines Wissens manche Leute vor 1933 und selbst in den Jahren 1933 und 1934 in die SS eingetreten, weil sie hofften, daß hier eine Zelle für Ordnung und Recht war, und es ist, glaube ich, meine Pflicht, auf die Tragik dieser Menschen hinzuweisen; und es bedarf in jedem Einzelfalle hier der Untersuchung, ob sie später schuldig wurden oder ob sie anständig blieben. Aber von einem gewissen Zeitpunkt an, und ich glaube, ich habe ihn gestern schon mit dem Jahre 1935 beziffert, konnte für keinen Menschen mehr ein Zweifel sein, was die wirklichen SS-Ziele waren. Und seit diesem Zeitpunkt, möchte ich vor allem Ihre Formulierung aufgreifen, waren es nur fanatische Nationalsozialisten, sozusagen »Super«-Nationalsozialisten, die in die SS eintraten.


JUSTICE JACKSON: Ihrem Urteil als dem eines Mannes, der hier war, zufolge, mußten ab 1935 die Leute, die der SS beitraten, notwendigerweise wissen, in welcher Weise sich die SS betätigte.


GISEVIUS: Ja, worauf er sich einließ und mit welchen Befehlen er rechnen mußte.


JUSTICE JACKSON: Der Gerichtshof wünscht, daß ich Sie wegen des Zwischenfalles von gestern befrage; haben Sie noch etwas hinzuzufügen? Ich weiß nichts Näheres über die Drohung, die ausgesprochen wurde. Wollen Sie zur Information des Gerichtshofs etwas hinzufügen zu diesem Zwischenfall, was noch nicht erwähnt wurde?


GISEVIUS: Ich möchte klarstellen, daß Dr. Dix mir nicht nur ein Gespräch mit Dr. Stahmer übermittelt hat. Ich bin an diesem Morgen in das Anwaltszimmer gekommen und ich will keine weiteren Einzelheiten mehr angeben, aber das Fluidum, das mir entgegenstrebte, war sowieso schon nicht gerade liebenswürdig. Dann stand ich aus gegebenem Anlaß bei Dr. Dix, um ihm etwas anderes zu berichten. Herr Dr. Stahmer nahte sich, augenscheinlich sehr erregt, und bat Dr. Dix um eine Unterredung. Herr Dr. Dix verweigerte dies mit der Begründung, daß er ja gerade mit mir spräche. Herr Dr. Stahmer verlangte mit lauter Stimme, er müsse sofort und dringend Herrn Dr. Dix sprechen. Herr Dr. Dix ging nur zwei [299] Schritte beiseite, und das nun folgende Gespräch wurde von Dr. Stahmer so laut geführt, daß ich es unbedingt in den wesentlichen Teilen selber hören mußte. Ich hörte es und sagte wörtlich zu dem dabeistehenden Rechtsanwalt Dr. Kraus: »Hören Sie doch nur, wie Dr. Stahmer schimpft.« Es trat dann Herr Dr. Dix erregt auf mich zu, und er mußte nach diesem Vorspiel auf meine Frage, wie denn nun präzise die Bestellung des Angeklagten Göring laute, mir Auskunft auf das geben, was ich ja sowieso halb gehört hatte. Ich möchte betonen, daß, wenn ich Gelegenheit gehabt hätte, von mir aus zunächst diese Geschichte zu erzählen, ich hervorgehoben hätte, daß ich unter dem Eindruck stand, daß Herr Dr. Stahmer lediglich eine Darstellung, oder wie ich es nennen möchte, eine Drohung des Angeklagten Göring weitergab.


JUSTICE JACKSON: Wollen Sie uns bitte angeben, ob sich Nazi-Minister und Nazi-Beamte im Hitler-Regime – soweit Sie es beobachten konnten –, nachdem Hitler zur Macht gekommen war, systematisch dadurch bereicherten, daß sie das Vermögen von Juden und auch anderen Leuten beschlagnahmten?


GISEVIUS: Ja, dies wurde von Jahr zu Jahr zynischer, und wir haben sogar Listen darüber geführt, welche von den bürgerlichen Ministern und vor allem von den Generalen und Feldmarschällen sich an diesem System beteiligten. Wir hatten vor, später uns bei allen den Generalen und Ministern zu erkundigen, ob sie diese Dotationen auf ein Sperrkonto gelegt hätten, oder ob sie etwa dieses Geld gebraucht hätten für ihren eigenen persönlichen Zweck.


JUSTICE JACKSON: Wollen Sie dem Gerichtshof erklären, wer von den Angeklagten sich in der von Ihnen angegebenen Weise bereichert hat?


GISEVIUS: Ich kann leider nur eine negative Auskunft geben, indem wir uns wiederholt bei dem Angeklagten Schacht erkundigt haben...


VORSITZENDER: Vielleicht ist es gut, jetzt eine Pause von zehn Minuten einzuschalten.


[Pause von 10 Minuten.]


JUSTICE JACKSON: Dr. Gisevius! Ich möchte noch einige Fragen an Sie stellen, und zwar beziehen sich diese auf den Krieg und die Widerstandsbewegung, der Sie angehörten.

VORSITZENDER: Herr Justice Jackson! Ich möchte gerne eine Frage an den Zeugen richten. Sie haben gesagt, daß Sie Listen mit den Namen der Minister und Generale aufgestellt haben, die an diesen Räubereien beteiligt waren. Aus welcher Quelle stammen Ihre Informationen?


[300] GISEVIUS: Wir hatten Informationen aus den verschiedensten Ministerien, aus den Ministervorzimmern und aus dem Finanzministerium. Ich bin aber mit meiner Beantwortung vorhin nicht fertig geworden. Ich habe gesagt, ich konnte die Frage, welche Angeklagten sich bereichert hätten, nur negativ beantworten. Hinsichtlich des Angeklagten Schacht... ich wollte fortsetzen, daß ich persönlich diese Listen nicht eingesehen habe und daß ich nur an der Befragung des Angeklagten Schacht teilgenommen habe und daß er sich persönlich nicht bereichert habe. Ich wollte also nicht etwa sagen, daß alle Angeklagten, insbesondere der Angeklagte Papen oder Neurath, um nur diese beiden zu nennen, sich bereichert hätten. Ich weiß es nicht, wollte nur sagen, von Schacht wissen wir, oder weiß ich, daß er an diesem System nicht teilgenommen hat.


JUSTICE JACKSON: Nun, neben dem planmäßigen Raub an beschlagnahmten Gütern gab es auch offene Geschenke Hitlers an Generale und Minister, nicht wahr? Hohe Geldsummen und Güter?


GISEVIUS: Ja, das waren die berühmten Dotationen, mit denen vor allem in den Jahren seit Kriegsausbruch, mit denen systematisch die oberen Generalitäten korrumpiert wurden.


JUSTICE JACKSON: Und galt das für viele Minister?


GISEVIUS: Ich zweifle nicht.


JUSTICE JACKSON: Wie ich Ihrer Aussage entnehme, hat nun, als es zur Affäre Fritsch kam, dieses Ereignis oder diese Reihe von Ereignissen – unbeschadet der Zweifel, die Sie vor dem Jahre 1938 gehabt haben mögen – sogar Schacht davon überzeugt, daß Hitler einem Angriffskrieg zusteuerte.


GISEVIUS: Nach der Fritsch-Krise war Schacht überzeugt, daß nunmehr der Radikalismus und damit der Kriegskurs nicht mehr aufzuhalten sei.


JUSTICE JACKSON: Es herrschte nicht der geringste Zweifel unter Ihnen allen, die der Widerstandsbewegung angehörten, daß der Angriff auf Polen im September 1939 eine Angriffshandlung von seiten Hitlers war, nicht wahr?


GISEVIUS: Nein, darüber kann kein Zweifel sein.


JUSTICE JACKSON: Und daß die diplomatischen Mittel zur Wiedergutmachung des Unrechtes, das Deutschland in der Frage des Korridors und Danzigs zu erleiden glaubte, nicht erschöpft worden waren?


GISEVIUS: Ich kann da nur auf die vorhandenen Unterlagen verweisen. Es bestand nicht der Wille zum Frieden.


JUSTICE JACKSON: Wenn ich Sie richtig verstehe, war man sich innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung darüber einig, daß man verschiedene Modifizierungen des Versailler Vertrages [301] und auch verschiedene wirtschaftliche Verbesserungen für Deutschland erreichen wollte, wie dies auch andere wünschten. Darüber waren sich doch alle immer einig, nicht wahr?


GISEVIUS: Wir waren uns alle einig, daß in Europa erst wieder Ruhe und ein vernünftiges Gleichgewicht zu erzielen seien, wenn noch gewisse Modifizierungen des Versailler Vertrages durchgeführt würden auf friedlichem, verhandlungsmäßigem Wege.


JUSTICE JACKSON: Im Hinblick auf diese Frage unterschieden Sie sich von den Nazis also hauptsächlich in den Methoden?


GISEVIUS: Ja.


JUSTICE JACKSON: Von Anbeginn an war es, wie ich Ihrer Aussage entnehme, der Standpunkt Ihrer Gruppe, daß ein Krieg für Deutschland wie auch für die übrige Welt nur Unheil zur Folge haben werde.


GISEVIUS: Ja.


JUSTICE JACKSON: Und daß die notwendigen Modifizierungen bei etwas Geduld auch durch friedliche Mittel erzielt werden könnten?


GISEVIUS: Absolut.


JUSTICE JACKSON: Angesichts dieser Meinungsverschiedenheit, nehme ich an, führte Ihre Widerstandsbewegung die von Ihnen beschriebenen Attentats- und Putschpläne gegen das in Deutschland herrschende Regime aus.


GISEVIUS: Ja, aber ich möchte ergänzen, daß wir nicht nur an die großen Gefahren nach außen dachten, sondern daß wir ebenso uns vergegenwärtigten, welche Gefahren in einem solchen Terrorsystem lagen. Es war von Anfang an eine Gruppe von Menschen in Deutschland, die überhaupt noch nicht an die Möglichkeit eines Krieges dachten und die sich trotzdem gegen Unrecht, Freiheitsberaubung und Glaubenskämpfe auflehnten.

Am Anfang stand also nicht der Kampf gegen den Krieg, sondern, wenn ich so sagen darf, der Kampf um die Menschenrechte; und es hat vom ersten Augenblick an in allen Schichten des Volkes, in allen Berufskreisen und allen Altersklassen Menschen gegeben, die für diese Gedanken zu kämpfen, zu leiden und zu sterben wußten.


JUSTICE JACKSON: Hier handelt es sich nur um die Frage, was für Beweggründe und Ziele Sie in der Widerstandsbewegung im Hinblick auf das deutsche Volk hatten; ich möchte Sie daher bitten, dem Gerichtshofe die Hauptziele anzugeben, die Ihrem Widerstand zugrundelagen.


GISEVIUS: Ich möchte sagen, daß der Tod unter den Männern der Widerstandsbewegung eine so reiche Ernte gehalten hat, daß [302] ich nur deshalb hier sprechen kann, und daß sonst Würdigere zuständig wären, diese Antwort zu erteilen; und ich fühle mich nur mit dieser Einschränkung zu der Antwort berechtigt, daß es, ob Juden oder Christen, in Deutschland Menschen gab, die an Glaubensfreiheit dachten, an das Recht und an die Menschenwürde, nicht nur für Deutschland, sondern in tiefer Verantwortlichkeit als Deutsche auch für die höhere Gemeinschaft Europas und der Welt.


JUSTICE JACKSON: Es war eine Gruppe, die diese Widerstandsbewegung bildete, wenn ich Sie recht verstehe?


GISEVIUS: Es war eben nicht nur eine Gruppe, sondern viele Menschen haben das Geheimnis ihres Widerstandes nicht mehr dem Gestapoprotokoll anvertrauen wollen, sondern es schweigend mit in den Tod nehmen müssen, und nur wenige Menschen haben die Auszeichnung genossen, daß man heute von ihnen als von einer Gruppe sprechen kann.


JUSTICE JACKSON: Und die meisten Männer, die in dieser Bewegung mit Ihnen verbunden waren, sind tot?


GISEVIUS: Fast alle.


JUSTICE JACKSON: Wollen Sie noch irgend etwas hinzufügen, um Ihre eigene Haltung dem Gerichtshof gegenüber zu erklären, Dr. Gisevius?


GISEVIUS: Entschuldigen Sie, ich habe nicht richtig verstanden.


JUSTICE JACKSON: Wollen Sie irgend etwas hinzufügen, um dem Gerichtshof Ihre Stellungnahme näher zu erklären, Ihre Gefühle, Ihre starken Gefühle in dieser Sache, damit der Gerichtshof Ihr eigenes Verhältnis zu dieser Angelegenheit verstehen und richtig einschätzen kann?


GISEVIUS: Ich möchte ungern von mir sprechen, sondern Ihnen, Herr Ankläger, danken, daß Sie von der Anklagebank mir Gelegenheit gegeben haben, für Tote und Lebende ein entscheidendes Zeugnis abzulegen.


JUSTICE JACKSON: Ich habe mein Kreuzverhör beendet.


GENERALMAJOR G. A. ALEXANDROW, HILFSANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Vorsitzender!


VORSITZENDER: Wir haben uns doch mit den Vertretern der Anklagebehörde dahin geeinigt, daß die Zeugen für den Angeklagten Frick nur von einem Anklagevertreter ins Kreuzverhör genommen werden sollen?


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Vorsitzender! Die Anklagevertreter haben eine Vereinbarung dahin getroffen, daß das Verhör mit dem Angeklagten Schacht und dessen Zeugen von der Amerikanischen Anklage allein vorgenommen wird, daß jedoch bei [303] im Kreuzverhör auftretenden zusätzlichen Fragen auch der Anklagevertreter der USSR Fragen stellen kann. Die Sowjetische Anklagevertretung hat einige zusätzliche Fragen an den Zeugen Gisevius zu stellen, die hier von großer Wichtigkeit sind. Ich bitte daher um Ihre Erlaubnis, diese Fragen an den Zeugen stellen zu dürfen.


VORSITZENDER: Was für Fragen sind es, die, wie Sie sagen, von besonderer Wichtigkeit für die Sowjetunion sind? Ich will nicht die einzelnen Fragen hören, sondern nur wissen, um welche Art von Fragen es sich handelt.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Es sind Fragen, die sich auf die Rolle des Angeklagten Frick bei der Vorbereitung des Krieges beziehen, Fragen, die mit den Beziehungen des Angeklagten Schacht zum Hitler-Regime zusammenhängen, und noch andere wesentliche Fragen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird jetzt unterbrechen, um zu beraten, ob dem Anklagevertreter noch ein Kreuzverhör bewilligt werden soll nach dem Kreuzverhör, das bereits stattgefunden hat.


[Der Gerichtshof zieht sich zur Beratung zurück.]


VORSITZENDER: Dem Gerichtshof liegen zwei Dokumente vor, die ihm von den Hauptanklagevertretern zum Thema der Kreuzverhöre unterbreitet wurden. Im ersten Dokument wird festgestellt, daß für die Kreuzverhöre der Angeklagten Keitel, Kaltenbrunner, Frank, Frick, Streicher und Funk das folgende Verfahren vereinbart worden sei... und daß die amerikanische Staatsanwaltschaft das Kreuzverhör mit dem Angeklagten Frick und seinen Zeugen vornehmen werde. Dieses Dokument wurde auf besonderen Wunsch des Gerichtshofs vorgelegt, um zu vermeiden, daß durch Kreuzverhöre seitens mehrerer Anklagevertreter zu viel Zeit in Anspruch genommen wird.

Außer diesem Dokument haben wir noch ein weiteres, das nur eine versuchsweise Vereinbarung darstellt. Darin ist vorgesehen, daß die Amerikanische Anklagevertretung das Hauptkreuzverhör mit dem Angeklagten Schacht durchführen sollte, und die Sowjetische und die Französische Delegation prüfen sollten, ob sie sich diesem anzuschließen wünschten.

Mit Rücksicht auf diese beiden Dokumente, von welchen das erste festlegt, daß die Anklagevertreter einverstanden waren, mit den Zeugen des Angeklagten Frick nur ein Kreuzverhör vorzunehmen, und von denen das zweite die Möglichkeit vorsieht, daß nach der Amerikanischen Anklagevertretung auch die der Sowjetunion und der Französischen Republik den Wunsch haben könnten, ein Kreuzverhör vorzunehmen, läßt der Gerichtshof das zusätzlich Kreuzverhör in diesem Falle zu; er würde nur ungern strenge und[304] bindende Vorschriften für die Vornahme von Kreuzverhören festlegen. Der Gerichtshof hofft jedoch, daß nach dem formellen Kreuzverhör durch den Anklagevertreter der Vereinigten Staaten der Anklagevertreter der Sowjetunion sein Kreuzverhör in diesem Falle so kurz wie möglich halten wird. Der Gerichtshof hofft auch, daß in Zukunft die Anklagevertreter in der Lage sein werden, untereinander eine Vereinbarung dahingehend zu treffen, daß bei Zeugenvernehmungen ein einziges Kreuzverhör ausreicht und daß jedenfalls zusätzliche Kreuzverhöre so kurz als möglich sein werden.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Zeuge! Ich bitte Sie aus Gründen der Zeitersparnis, meine Fragen möglichst kurz zu beantworten.

Sagen Sie bitte, welche Rolle das deutsche Innenministerium und der Angeklagte Frick persönlich bei der Vorbereitung des zweiten Weltkrieges spielten?


GISEVIUS: Diese Frage ist für mich sehr schwer zu beantworten. Ich bin aus dem Innenministerium bereits im Mai 1935 ausgeschieden und kann eigentlich nach diesem Zeitpunkt nicht mehr sagen als jeder andere Deutsche, nämlich, daß das Innenministerium ein Teil der deutschen Regierungsmaschinerie war und zweifellos dort wie in allen anderen Ministerien diejenigen Kriegsvorbereitungen getroffen wurden, die Verwaltungen bei der Vorbereitung eines Krieges zu treffen hatten.


DR. PANNENBECKER: Darf ich etwas sagen? Der Zeuge hat gerade erklärt, daß er auf die Frage nicht mehr antworten kann, als jeder Deutsche antworten könnte. Ich glaube, daß bei dieser Sachlage der Zeuge für Bekundungen tatsächlicher Art nicht der geeignete Mann ist.


VORSITZENDER: Er hat das gerade selber gesagt. Das ist genau, was er sagte. Ich sehe keinen Grund zu einem Einschreiten. Der Zeuge hat so ausgesagt.


DR. PANNENBECKER: Ich wollte nur sagen, daß er gar nicht als Zeuge über die Tatsachen vernommen werden kann.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Aus sehr verständlichen Gründen kann ich diese Frage nicht an jeden Deutschen stellen. Ich bin mit der Antwort des Zeugen Gisevius vollkommen zufrieden.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wissen Sie etwas von dem sogenannten »Dreier-Kollegium«? Es bestand aus dem Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, dem Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft und einem Vertreter des OKW. Dieses »Dreier-Kollegium« war mit der Vorbereitung aller wichtigen Kriegsangelegenheiten betraut.

GISEVIUS: Ich kann persönlich darüber keine Auskunft geben.

[305] GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wissen Sie etwas von der Tätigkeit des Reichsinnenministeriums in den von Deutschland besetzten Gebieten?


GISEVIUS: Soviel ich weiß, entsandte das Innenministerium führende Beamte in die Militärverwaltung. Ich bin mir aber nicht klar, ob diese Beamten von diesem Augenblick an dem Innenministerium oder dem OKW unterstanden.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ist Ihnen insbesondere bekannt, ob der Beamtenapparat der Reichskommissariate in den besetzten sowjetischen Gebieten vom Innenministerium rekrutiert wurde oder mit wesentlicher Hilfe dieses Ministeriums zustande kam?

GISEVIUS: Ich möchte annehmen, ja. Ich möchte die Frage wenigstens bejahen, was die Hilfe betrifft. Denn das Ministerium für die besetzten sowjetischen Gebiete konnte ja seine Beamten nur von der Personalabteilung des Innenministeriums erhalten.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Was ist Ihnen bekannt über die Besichtigung der Konzentrationslager durch den Angeklagten Frick?


GISEVIUS: Zu der Zeit, wo ich im Innenministerium war, habe ich davon nichts gehört.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Und nachher?


GISEVIUS: Habe ich auch nichts davon gehört.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wäre es möglich gewesen, daß der Angeklagte Frick, obwohl er Reichsminister des Innern war, von den in Deutschland errichteten Konzentrationslagern und von der in diesen Lagern herrschenden Rechtlosigkeit nichts wußte?


GISEVIUS: Ich glaube gestern schon erschöpfende Auskunft gegeben zu haben, daß wir ja über alles unterrichtet waren.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Im Augenblick interessiert mich nur der Angeklagte Frick. Was wissen Sie über ihn persönlich in dieser Hinsicht?

GISEVIUS: Ich habe gestern gesagt, daß in das Reichsinnenministerium unzählige Hilferufe kamen aus dem Land, und wir haben ja gestern auch ein Schreiben aus dem Justizministerium gesehen und ebenso habe ich Bezug genommen...


VORSITZENDER: Dieses Thema ist gestern ausführlich behandelt worden.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Gut, ich gehe nun zur nächsten Frage über.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wissen Sie, daß es in Deutschland vom Jahre 1940 an ein Geheimgesetz über die Ermordung von kranken und alten Leuten gab?

[306] GISEVIUS: Jawohl.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Inwieweit war der Angeklagte Frick am Erlaß und der Durchführung dieses Gesetzes beteiligt?


GISEVIUS: Ich nehme an, daß er es als Innenminister unterschrieben hat.


VORSITZENDER: Wenn es ein solches Gesetz gab, stammt es aus der Zeit nach 1935, nicht wahr? Von welchem Gesetz sprechen Sie? Wenn es aus dem Jahr 1935 stammt, dann war dieser Zeuge nicht mehr im Innenministerium.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich spreche über das Gesetz, das 1940 in Kraft trat.


VORSITZENDER: Da kann der Zeuge doch nicht mehr davon wissen, als sonst irgend jemand.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Die Antwort, die ich von dem Zeugen bekommen habe, genügt mir. Darf ich jetzt Fragen stellen, die den Angeklagten Schacht betreffen?


[Zum Zeugen gewandt:]


Sagen Sie bitte, Herr Zeuge, Sie standen lange Zeit in enger Verbindung mit dem Angeklagten Schacht. Habe ich das richtig verstanden?

GISEVIUS: Jawohl.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Daher waren Sie über die politische und amtliche Tätigkeit des Angeklagten Schacht gut unterrichtet.


GISEVIUS: Ich glaube, ja.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sagen Sie bitte, wissen Sie, welche Rolle der Angeklagte Schacht bei der Machtergreifung Hitlers spielte?

GISEVIUS: Das ist genau die Zeit, wo ich Schacht noch nicht kannte, und über die ich auch nichts aussagen kann.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Aber was wissen Sie darüber?


GISEVIUS: Ich weiß nur, daß er in das Kabinett eingetreten ist und daß er zweifellos Hitler bei den vorangehenden politischen Verhandlungen geholfen hat.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ist Ihnen etwas darüber bekannt, daß Schacht im Jahre 1933 ein Zusammentreffen Hitlers mit den Großindustriellen zustande brachte?


GISEVIUS: Nein.


[307] GENERALMAJOR ALEXANDROW: Als Ergebnis dieser Zusammenkunft wurde ein Fonds geschaffen, der den Sieg der Nazi-Partei bei den Wahlen sichern sollte. Was wissen Sie von dieser Besprechung?


GISEVIUS: Mir ist über diese Besprechung nichts bekannt. Ich habe in meinem Buche geschrieben, daß meines Wissens die entscheidende Geldsumme in dem Wahlkampf 1932 von Thyssen und dem damaligen Mitglied der Rheinisch-Hessischen Schwerindustrie Grauert gegeben wurde.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Welche Rolle spielte der Angeklagte Schacht in diesem Fall?


GISEVIUS: Ich habe Schacht damals nicht im Ruhrgebiet gesehen und weiß auch nicht, daß er damals da war. Ich betone noch einmal, ich kannte ihn gar nicht.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Das ist mir bekannt. In Ihrem Buch: »Bis zum bitteren Ende«, das 1946 veröffentlicht wurde, und in Ihren Antworten auf die Frage des Rechtsanwalts Dr. Dix gaben Sie eine günstige Schilderung des Angeklagten Schacht. Ist das richtig?


GISEVIUS: Ich habe die letzten Worte nicht verstanden.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich wiederhole: Sie gaben eine günstige Schilderung des Angeklagten Schacht. Ist das richtig?


GISEVIUS: Ja, ja.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie behaupten, daß der Angeklagte Schacht vom Jahre 1936 an zur Opposition gegen das Hitler-Regime überging und daß er seine Einstellung recht offen zur Schau trug. Stimmt das?


GISEVIUS: Nein, ich sage ausdrücklich, daß er von 1936 an begann hellhörig zu werden, daß aber der Übergang zur Opposition gegen Hitler erst während der Fritsch-Krise einsetzte.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: In welchem Jahr fand diese Sinnesänderung statt?


GISEVIUS: Ende 1937 und Anfang 1938. Anfang 1938 ist die Fritsch-Krise gewesen.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sagen Sie, wäre es unter dem damaligen Regime möglich gewesen, daß Hitler von der oppositionellen Einstellung Schachts, die er Ihrer Darstellung nach seit 1937 hatte, nichts erfuhr?


GISEVIUS: Sie meinen, daß Hitler nach 1938 nicht unterrichtet gewesen sei?


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Nein, ich fragte Sie, ob es unter dem damaligen Regime in Deutschland möglich war, daß [308] Hitler von der oppositionellen Haltung Schachts nicht unterrichtet wurde?


GISEVIUS: Hitler wußte ja, daß Schacht sehr kritisch dem System gegenüberstand und sehr oft opponierte. Er bekam ja sehr oft Briefe von Schacht und hörte natürlich eine Menge. Aber wie weit diese Opposition ging, hatte er nicht gehört.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wie konnte dann Schacht bis zum Jahre 1943 der Reichsregierung angehören, als Minister ohne Geschäftsbereich und als Hitlers persönlicher Berater, wenn Hitler, wie Sie sagen, wußte, daß Schacht seiner Politik kritisch gegenüberstand?


GISEVIUS: Hitler war immer darauf bedacht, prominente Männer leise verschwinden zu lassen oder in den Schatten zu stellen, so daß die Auslandspropaganda sich dieser Tatsache nicht bemächtigen konnte. Der Fall Schacht ist nicht der einzige, wo Hitler versuchte, eine offene Krise zu camouflieren.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Kannten Sie den Brief, den Hitler am 19. Januar 1939 an Schacht anläßlich dessen Abberufung von seinem Amt als Reichsbankpräsident schrieb? Ich möchte Ihnen den Inhalt dieses Briefes in Erinnerung rufen. In diesem Brief schrieb Hitler an Schacht:

»Ich nehme den Anlaß Ihrer Abberufung vom Amte des Präsidenten des Reichsbankdirektoriums wahr, um Ihnen für die Deutschland und mir persönlich in dieser Stellung in langen und schweren Jahren erneut geleisteten Dienste meinen aufrichtigsten und wärmsten Dank auszusprechen. Ihr Name wird vor allem für immer mit der ersten Epoche der nationalen Wiederaufrüstung verbunden sein. Ich freue mich, Sie in Ihrer Eigenschaft als Reichsminister nunmehr zur Lösung neuer Aufgaben einsetzen zu können.«


VORSITZENDER: Alle diese Dinge sind vom Zeugen schon gestern behandelt worden.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich bitte um Entschuldigung. Aber im Zusammenhang mit diesem Brief habe ich einige Fragen an den Zeugen zu stellen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Aus dem Inhalt dieses Briefes scheint hervorzugehen, daß Hitler in Januar 1939, ich unterstreiche dieses Datum, Herr Zeuge, die Tätigkeit Schachts anders einschätzte, als Sie es hier in ihren Aussagen tun. Wie erklären Sie diesen Widerspruch zu Ihrer Behauptung, der Angeklagte Schacht sei schon seit Ende 1937 und Anfang 1938 in direkter Opposition zum Hitler-Regime gestanden?


[309] GISEVIUS: Ich möchte darauf zur Antwort geben, daß ich nicht gewohnt bin, irgendeine schriftliche oder mündliche Verlautbarung Hitlers für wahr anzusehen. Dieser Mann hatte immer nur das gesagt, was ihm im ersten Augenblick als zweckmäßig erschien, um die Welt oder Deutschland irrezuführen. In diesem Falle wollte Hitler den Eindruck vermeiden, als ob Schachts Rücktritt eine schwere wirtschaftliche Krise heraufbefördern könne. Aber ich spreche ja hier, was Hitler gedacht haben könnte. Gestern habe ich darüber gesprochen, mit welcher Entrüstung Schacht diesen Brief aufgefaßt hat. Er hat ihn als Hohn und Niedertracht aufgefaßt.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Dann will ich Sie auf ein weiteres Dokument verweisen. Es ist ein Memorandum, ein Brief des Angeklagten Schacht an Hitler vom 7. Januar 1939. Schacht schrieb darin an Hitler:

»Die Reichsbank ist sich von Anfang an darüber klar gewesen, daß außenpolitische Erfolge nur erreichbar sein konnten auf Grund der Wiederaufrichtung der Deutschen Wehrmacht. Sie hat deshalb die Finanzierung der Rüstung weitgehend auf sich genommen, trotz der darin liegenden währungspolitischen Gefahren. Die Rechtfertigung hierfür lag in der alle anderen Erwägungen zurückdrängenden Notwendigkeit, sofort, aus dem Nichts, und anfangs dazu getarnt, eine Rüstung aufzustellen, die eine achtungheischende Außenpolitik ermöglichte.«

Sehen Sie dieses Dokument ebenfalls als den Ausdruck der Opposition Schachts an?

GISEVIUS: Soweit ich Sie verstanden habe, haben Sie auf einen Brief aus dem Jahre 1935 Bezug genommen. Ist das richtig?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Nein, es ist ein Schreiben vom 7. Januar 1939.


GISEVIUS: Entschuldigen Sie bitte! Dann kann ich dazu nur sagen, was ich bereits gestern sagte, daß alle diese Schreiben sorgfältig überlegt wurden, damit sie nicht als Provokation empfunden wurden, und der sachliche Inhalt des Schreibens illusorisch gemacht wurde dadurch, daß Hitler einfach sagte: »Hier werde ich persönlich attackiert.« Ich habe gestern bereits gesagt, das Problem war, die übrigen bürgerlichen Minister, die nicht so oppositionell waren, von dem sachlichen Anliegen zu überzeugen und auf die Seite zu kriegen.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sagen Sie uns, wie war die Einstellung des Angeklagten Schacht zur Anschlußfrage?


GISEVIUS: Der Anschluß fiel in die Mitte oder vielleicht in den dramatischen Höhepunkt der Fritsch-Krise, und deswegen waren wir fest davon überzeugt, daß eine besonders üble Handlung der Camouflage vorlag und waren in diesem Sinne entrüstet. Es war[310] uns kein Zweifel, daß hier die deutsche Armee nach außen abgelenkt werden sollte...


VORSITZENDER: Einen Augenblick, Herr Zeuge. Sie wurden gefragt, ob Sie wußten wie Schachts Einstellung zur Anschlußfrage damals war. Sie beantworten die Frage nicht. Wissen Sie es, oder wissen Sie es nicht?


GISEVIUS: Ich kann darauf keine genaue Auskunft geben, weil uns allen klar war, daß das Problem Österreich in einer legalen Form einmal geregelt werden mußte. In dieser Frage hat es in unserer Gruppe Unterschiede gegeben. Die meisten hofften, die Selbständigkeit Österreichs solle erhalten bleiben. Gerade vom deutschen Standpunkt aus war es wünschenswert, wenn noch ein zweiter unabhängiger deutscher Staat existierte, falls es einmal wieder einen Völkerbund oder diplomatische Verhandlungen gab. Ich kann aber nicht beschwören, ob Schacht persönlich dieser Meinung war, oder ob er für den direkten Anschluß war. Gegen die Form war er bestimmt.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich will nun eine Stelle aus einer Rede verlesen, die Schacht im März 1938 in Wien gehalten hat:

»Gott sei Dank, diese Dinge haben letzten Endes den Weg des großen deutschen Volkes nicht hindern können, denn Adolf Hitler schuf eine Gemeinschaft des deutschen Wollens und Denkens, er stützte sie durch eine wiedererstarkte Wehrmacht, und damit brachte er schließlich der inneren Vereinigung zwischen Österreich und Deutschland auch ihre äußere Form.«

Können Sie diese Äußerungen Schachts auch als Ausdruck seiner Opposition zum Hitler-Regime bezeichnen?

GISEVIUS: Ich müßte die Rede in ihrem Zusammenhang lesen. Ich persönlich hätte sie bestimmt nicht gehalten. Aber ich weiß nicht, ob hier mit einem bloßen Werturteil von mir gedient ist, oder ob Sie nicht besser Schacht fragen, was er dabei gemeint hat.

VORSITZENDER: Die Rede kann Schacht vorgehalten werden, wenn er als Zeuge vernommen werden wird.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sagen Sie, Zeuge, Sie leben zur Zeit in der Schweiz. In welcher Stadt bitte?


GISEVIUS: Ich wohne in der Nähe von Genf, in einem Dorf Commugny.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Seit wann leben Sie schon in der Schweiz?


GISEVIUS: Seit dem 1. Oktober 1940.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wußten Sie von Schachts Besuch in der Schweiz im Jahre 1943?


[311] GISEVIUS: Nein. Er ist auch 1943 nicht in die Schweiz gekommen.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Im Jahre 1942?


GISEVIUS: Ist er auch nicht in die Schweiz gekommen.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Schacht war also weder 1942 noch 1943 in der Schweiz?


GISEVIUS: Jawohl.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Haben Sie den Angeklagten Schacht getroffen, seitdem Sie in der Schweiz leben?


GISEVIUS: Ja, wiederholt. Ich bin ja mindestens alle vier Wochen in Berlin gewesen oder alle acht Wochen und habe ihn bis zum Jahre 1943....


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Nein. Ich frage Sie über den Besuch Schachts in der Schweiz.


GISEVIUS: Da war lediglich im Kriege, im Jahre 1941, ein Besuch Schachts in der Schweiz anläßlich seiner Hochzeitsreise, und da habe ich ihn gesehen.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Das war im Jahre 1941?


GISEVIUS: Jawohl.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Am 14. Januar 1946 erschien in den »Basler Nachrichten« ein Artikel: »Die Gedankengänge Schachts«. Wissen Sie etwas über diesen Artikel?


GISEVIUS: Jawohl.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Was wissen Sie über diesen Artikel?


GISEVIUS: Nicht mehr, als ich in der Zeitung darüber gelesen habe. Ich habe versucht, Erkundigungen einzuziehen, wer jene Amerikaner war, mit dem Schacht das besprochen hat...


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Die Einzelheiten interessieren mich nicht.

Nunmehr eine letzte Frage: Wußten Sie irgend etwas über ein Konferenz bei Hitler in Berchtesgaden, im Sommer 1944? Bei diese Besprechung wurde die Vernichtung der nach Deutschland verschleppten Fremdarbeiter für den Fall erwogen, daß die alliierte Truppen erfolgreich weiter vorrücken sollten. Haben Sie etwa über diese Konferenz erfahren?


GISEVIUS: Nein, ich konnte zu dieser Zeit nicht mehr nach Deutschland, weil bereits ein Verfahren gegen mich lief, und ich habe darüber nichts gehört.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich habe keine weitere Frage mehr an diesen Zeugen.


[312] VORSITZENDER: Wollen Sie dann den Zeugen ins Rückkreuzverhör nehmen, oder wünscht irgendeiner der Verteidiger Fragen an den Zeugen zu richten?

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Ihnen ist gestern während des Kreuzverhörs durch den Herrn amerikanischen Anklagevertreter ein Schreiben des Reichsministers der Justiz vom 14. Mai 1935 an den Reichs-und Preußischen Minister des Innern vorgelegt worden, und in diesem Schreiben wird eine Anlage beigefügt, wo von einer Abschrift eines Schreibens des Inspekteurs der Geheimen Staatspolizei gesprochen wird. Herr Zeuge! Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie an der Abfassung persönlich mitgewirkt haben.


GISEVIUS: Wir hatten zwischen dem Innenministerium unsere Querverbindungen, und manchmal war es mir erwünscht, wenn aus einem anderen Ministerium ein recht scharfes Schreiben kam, das ich dann meinem Minister vorlegen konnte, und ich zweifle nicht, daß es auch Frick angenehm war, wenn er ein scharfes Schreiben bekam, damit er eine Sache generell und dem Kabinett vorlegen konnte. Und so entsinne ich mich, daß diese Absendung dieses Schreibens vorher mit Herren des Justizministeriums und mir besprochen wurde.


DR. PANNENBECKER: Verstehe ich Sie denn richtig, daß dieses Schreiben einen gemeinsamen Versuch aus dem Justizministerium und aus dem Innenministerium bedeutete, gegen den Gestapoterror irgend etwas zu unternehmen?


GISEVIUS: Auf meine Person möchte ich das bestimmt beziehen, und ich war ja damals ein Mitglied des Innenministeriums. Ich habe natürlich mit meinem Chef darüber nicht gesprochen.


DR. PANNENBECKER: In dem Schreiben befindet sich auf Seite 5 des deutschen Textes folgender Satz, ich zitiere:

»In dem Konzentrationslager Hohenstein in Sachsen mußten Häftlinge solange unter einem eigens zu diesem Zweck konstruierten Tropfapparat stehen, bis ihre Kopfhaut von den in gleichmäßigen Abständen herunterfallenden Wassertropfen schwere eitrige Verletzungen aufwies.«

Ist Ihnen bekannt, daß die Wachmannschaft dieses Lagers wegen dieses Vorgangs schwer bestraft worden ist?

GISEVIUS: Nein, und wenn das geschehen sein sollte, dann war es eine erstaunliche Ausnahme.

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Ich habe dann noch eine Frage, und zwar im Zusammenhang mit Ihrer soeben abgegebenen Erklärung, daß Ihnen ein Fluidum von Ablehnung dem Anwaltszimmer aus Anlaß des erwähnten Zwischenfalls entgegengeschlagen habe. Eine Reihe von Kollegen sind tief betroffen von dieser Ihrer Äußerung, und diese Kollegen haben es auch gern begrüßt, daß Sie [313] in so offener Weise die Verhältnisse in Deutschland dargelegt haben. Können Sie mir sagen, ob Sie die Äußerung auf die Gesamtheit der Verteidigung haben beziehen wollen?


GISEVIUS: Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir Gelegenheit geben, einen offensichtlichen falschen Ausdruck von mir oder mißverständlichen Ausdruck von mir richtigzustellen. Ich spielte auf einen anderen Vorgang an, der sich beim Betreten des Anwaltzimmers abgespielt hatte, den ich hier nicht weiter erörtern möchte, und ich möchte ausdrücklich hier sagen, daß ich die Herren Anwälte, von deren schwerer Arbeit ich hier weiß, um Entschuldigung bitten möchte, falls irgendwie der Eindruck entsteht oder entstanden sein sollte, ich hätte gegen die überwiegende Mehrzahl der Anwälte einen Vorwurf bei der Ausübung ihrer schweren Arbeit aussprechen wollen.


DR. PANNENBECKER: Ich danke, ich habe keine weiteren Fragen mehr.


VORSITZENDER: Dr. Gisevius! Ich möchte einige Fragen an Sie richten, um ein klares Bild darüber zu bekommen, welche Stellungen Sie innehatten, wo Sie sich jeweils aufhielten.

Soweit ich verstanden habe, waren Sie im Jahre 1933 Staatsbeamter. Ist das richtig?


GISEVIUS: Jawohl.


VORSITZENDER: Und dann gehörten Sie der Gestapo an?


GISEVIUS: Die erste Stelle als ausgebildeter Beamter war der Eintritt in die Politische Polizei. Bei uns in Deutschland ist man schon Beamter im Stadium der Vorausbildung; und deswegen muß ich sagen, meine erste richtige Beamtenstellung erhielt ich in August 1933 beim Eintritt in die Gestapo.


VORSITZENDER: Und wann verließen Sie diese Stellung?


GISEVIUS: Ende Dezember 1933.


VORSITZENDER: Welchen Posten haben Sie dann bekommen?


GISEVIUS: Dann kam ich in das Innenministerum, in das preußische Innenministerium. Im Laufe des Jahres 1934 kam ich gleichzeitig in das Reichsinnenministerium, und im Mai 1935 wurde ich aus dem Innenministerium entlassen. Dann kam ich an das neuzubildende Reichskriminalamt, dessen Anfänge damals im Polizeipräsidium in Berlin waren. Am Tage der Ernennung Himmlers zum Reichspolizeichef, also am 17. Juni 1936, wurde ich endgültig aus dem Polizeidienst entlassen. Ich wurde nunmehr versetzt an die Regierung in Münster; ich machte dort Preisüberwachung und trat Mitte 1937 einen unbezahlten Urlaub an, angeblich zu Studien in der Wirtschaft. Dieser Urlaub wurde anfangs 1939 vom Innenministerium widerrufen, und ich wurde der Regierung in [314] Potsdam bei Berlin zugewiesen. Dort hatte ich Wegebauangelegenheiten...


VORSITZENDER: Mitte 1937 nahmen Sie unbezahlten Dienst an und studierten Volkswirtschaft, glaube ich, sagten Sie? Oder einen unbezahlten Urlaub?


GISEVIUS: Jawohl.


VORSITZENDER: Aber Sie verblieben nach wie vor Staatsbeamter, nicht wahr?


GISEVIUS: Jawohl, ich bin bis zum 20. Juli 1944 ununterbrochen Beamter gewesen.


VORSITZENDER: Darm wurden Sie anfangs 1939 ins Innenministerium versetzt und nach Potsdam versetzt?


GISEVIUS: Jawohl.


VORSITZENDER: Gut, fahren Sie fort, was folgte darauf?


GISEVIUS: Bei Kriegsausbruch ergab sich die Schwierigkeit, daß ich keinen Mobilmachungsbefehl hatte, und andererseits mein Freundeskreis mich im OKW haben wollte. Von dem Tage des Kriegsausbruches bis zum 1. Oktober 1940 habe ich lediglich mit einem gefälschten Einberufungsbefehl gelebt und mußte jeden Tag gewärtig sein, daß dies entdeckt würde, und dann hätte ich die Konsequenzen tragen müssen. Nach dem Fall von Paris erklärte ich Canaris und Oster, daß ich sie nunmehr bitten müßte, mich aus dieser nicht ganz einfachen Situation zu befreien, und nunmehr war die Stellung von Canaris vorübergehend so stark, daß er mich in einen Abwehrposten an das Generalkonsulat in Zürich einbaute. Ich erhielt dort den Titel eines Vizekonsuls im Generalkonsulat in Zürich und bin dort geblieben als Abwehrmann, ohne formell der Abwehr anzugehören, bis zum 20. Juli. Nach dem 20. Juli bin ich aus allen Posten entlassen worden, und ich weiß nicht, ob ich nicht sogar ausgebürgert worden bin, ich habe darüber nichts erfahren.


VORSITZENDER: Sind Sie in der Zeit, in der Sie nach Zürich kamen und dem 20. Juli gelegentlich nach Deutschland zurückgekommen?


GISEVIUS: In dieser Zeit war ich hauptsächlich in Deutschland, und nur ab und zu wurde ich von Oster und Canaris zu Kurierzwecken in die Schweiz ge schickt, als Reisender. Schacht war mir damals noch behilflich, indem er sich bei der Schweizer Gesandtschaft um mein Visum bemühte.


VORSITZENDER: Was für einen Posten oder was für eine Tätigkeit hatten Sie während der Zeit, in der Sie der Gestapo angehörten, vom August bis Dezember 1933?


GISEVIUS: Als ich meine erste Beamtenstation erhielt, war ich nur Beamter in Ausbildung, und ich wurde dem damaligen Leiter [315] der Exekutivabteilung, dem Oberregierungsrat Nebe, zur Ausbildung zugewiesen. Nach dem Erlaß des Haftbefehls Ende Oktober 1933 wurde ich dann als Berichterstatter nach Leipzig zu dem Brandprozeß geschickt.


VORSITZENDER: Gestern haben Sie sehr häufig über einen Mann gesprochen, dessen Name mir nicht bekannt ist. Ich glaube, es war Nebe?


GISEVIUS: Ja.


VORSITZENDER: Was war seine Stellung?


GISEVIUS: Nebe war ein bekannter Kriminalist am Berliner Polizeipräsidium vor 1933. Als Nationalsozialist wurde er im Juli 1933 in die Gestapo berufen und avancierte dort bis Anfang 1934 zum Oberregierungsrat. Dann gelang es uns, durch Hilfe des Angeklagten Frick, ihn für einige Zeit ins Innenministerium zu berufen, und dann wurde er Begründer und Chef des Reichskriminalamts. Am Tage der Ernennung Himmlers zum Reichspolizeichef wurde er in das nun entstehende Reichssicherheitshauptamt eingegliedert. Im Laufe der Zeit wurde er in die SS übernommen, wurde SS-Gruppenführer, SS-General, und war bis zum 20. Juli einer der nächsten Untergebenen des Angeklagten Kaltenbrunner. Der Angeklagte Kaltenbrunner war ja Chef, sowohl der Gestapo als auch der Kriminalpolizei, als auch des Nachrichtendienstes. Und Nebe wurde also dann Kaltenbrunner unterstellt, und er empfing von ihm fortlaufend dienstliche Befehle, genau so, wie der Gestapochef Müller.


VORSITZENDER: Herr Dr. Dix! Wollten Sie eine Frage stellen?


DR. DIX: Jawohl.


VORSITZENDER: Wir tun das vielleicht besser nach der Pause um 14.15 Uhr.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.15 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 12, S. 287-317.
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