Nachmittagssitzung.

[540] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Dem Gerichtshof dürfte eine Aufstellung unserer Einsprüche gegen gewisse Dokumente vorliegen, und zwar nach sechs Gruppen geordnet. Dabei befindet sich auch eine englische Zusammenfassung aller Dokumente, die kurz den Inhalt jedes Dokuments wiedergibt.

Mylord! Von der ersten Gruppe möchte ich zwei unserer Einsprüche zurückziehen, und zwar zu Nummer 19, das im Falle Schacht zugelassen wurde; wenn ich Dr. Siemers richtig verstehe, besteht er nicht auf Nummer 76.

Nun, Mylord, zu den anderen in dieser Gruppe: Nummer 9 ist eine Reihe von Zitaten aus Lersners Buch über »Versailles«.

Nummer 10, das Zitat aus einem Buch des linksgerichteten deutschen Schriftstellers Thomas Mann.

Nummer 17 ist »Das Mißlingen einer Mission« von Nevile Henderson.

Nummer 45 ist ein Zitat aus einem Buch Herrn Churchills.

Nummer 47 ist ein Bericht über eine Beschwerde an Lord Halifax über einen Artikel im »News Chronicle«, in dem Hitler kritisiert wird.

Mylord! Etwas anders liegt es bei Nummer 66. Ich bitte den Gerichtshof, einen Blick darauf zu werfen. Es ist der Bericht eines deutschen Juristen – Dr. Mosler, glaube ich, soll der Name sein – eine Autorität auf dem Gebiete des Völkerrechts, der sich mit der Aktion in Norwegen beschäftigt.

Dr. Siemers hat natürlich vollkommen offen mit mir gesprochen und mir erklärt, es wäre ihm sehr daran gelegen, diese wirklich rechtswissenschaftliche Erörterung in sein Dokumentenbuch eingefügt zu sehen. Das ist natürlich nicht der Zweck der Dokumentenbücher, aber es ist Sache des Gerichtshofs, darüber zu entscheiden wir glaubten, den Gerichtshof darauf aufmerksam machen zu sollen.

Dann, Mylord, Nummer 76 entfällt.

Nummer 93 bis 96 sind Zitate aus sowjetischen Zeitungen.

Nummer 101 ist ein Zitat aus der französischen Nachrichtenagentur »Havas«.

102 bis 107 sind unbedeutende Befehle bezüglich der Niederlande, die nach Ansicht der Anklagevertretung keinen Beweiswert haben.

In der zweiten Gruppe ist dann eine Anzahl von Dokumenten, die nach Ansicht der Anklagevertretung für keine der Streitfragen in diesem Falle erheblich sind.


VORSITZENDER: Sie haben 109 nicht behandelt, Sir David?


[540] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Verzeihen Sie, Herr Vorsitzender, das steht auf der zweiten Zeile. Das ist eine weitere juristische Auseinandersetzung, und zwar über die Auswirkung des Krieges auf die rechtliche Stellung von Island. Es ist ein Zitat aus dem »Britischen Nachrichtenblatt für öffentliches Recht und Völkerrecht«.


VORSITZENDER: Gut.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mylord! Die zweite Gruppe ist nach der Ansicht der Anklagevertretung unerheblich.

Nummer 22 ist eine belgische Verordnung vom Jahre 1937, die sich mit der Möglichkeit einer Evakuierung der Zivilbevölkerung im Kriegsfalle beschäftigt.

Nummer 39 ist ein französisches Dokument über den Mittleren Osten.

Nummer 63 und 64 sind zwei Reden, eine von Herrn Emery und die andere von Herrn Churchill, die sich mit der Lage in Griechenland Ende 1940 beschäftigen, ungefähr 2 Monate nach Beginn des italienischen Feldzuges gegen Griechenland.

Nummer 71 ist eine Weisung ohne Datum über das Studium der Wege in Belgien, das unseres Erachtens keinen Beweiswert hat.

Nummer 76 »Die Altmark« entfällt.


VORSITZENDER: Sagten Sie, 76 entfiele?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Mylord, das ist »Die Altmark«, es ist dasselbe wie Nummer 71; es tut mir leid, Mylord, es hätte schon gestrichen sein sollen.

Nummer 99 ist das Protokoll der neunten Zusammenkunft des vereinigten Kabinettsrats vom 27. April 1940 und beschäftigt sich mit dem Vorschlag von Herrn Reynaud bezüglich der schwedischen Erzbergwerke. Da es lange nach dem Feldzug in Norwegen war und natürlich in Norwegen niemals befolgt wurde, scheint es uns von keiner Erheblichkeit für dieses Verfahren zu sein.

Mit 102 und 107 habe ich mich schon unter 1 beschäftigt. Es sind sehr kleine und unbedeutende Memoranden, die sich auf die Niederlande beziehen.

112 ist ein französisches Dokument, in dem Herr Paul Reynaud eine Erklärung des Herrn Churchill zitiert, daß er bis zum Ende kämpfen wird; das scheint im Jahre 1946 nicht mehr sehr bedeutungsvoll zu sein.

Die nächste Gruppe, Mylord, sind Dokumente, die schon vom Gerichtshof abgelehnt wurden, als sie für den Angeklagten Ribbentrop beantragt worden waren. Die ersten zwei handeln von der britischen Wieder aufrüstung und die anderen vom Balkan und von Griechenland. Der Gerichtshof wird sich wahrscheinlich der Gruppe erinnern, die er auf den Antrag Ribbentrops abgelehnt hat.

[541] Die vierte Gruppe sind andere Dokumente derselben Art, wie sie schon vom Gerichtshof im Falle des Angeklagten Ribbentrop zurückgewiesen worden waren.

Gegen die fünfte Gruppe erheben wir insbesondere Einwand auf der Grundlage des »tu quoque«. Ich glaube, es handelt sich ausschließlich um französische Dokumente, die sich mit dem Anfangsstadium von Vorschlägen beschäftigen, die zwar vorbereitet, aber nicht ausgeführt wurden; sie beziehen sich auf die Zerstörung von Ölfeldern oder die Blockierung der Donau im Mittleren Osten. Es sind Dokumente vom Frühjahr 1940 und, wie ich schon sagte, behandeln sie ein sehr frühes Anfangsstadium; die Pläne wurden niemals ausgeführt.

Die sechste Gruppe umfaßt Dokumente über Norwegen, die nach der Besetzung Frankreichs erbeutet wurden. Soweit ich Dr. Siemers' Argumentation verstehe, wird nicht behauptet, daß diese Dokumente den Angeklagten zur Zeit der Ausführung des Angriffs gegen Norwegen bekannt waren, aber es wird erklärt, daß sie andere Informationen hatten. Wir haben natürlich weder bezüglich ihrer eigenen Informationen noch dagegen, daß diese Dokumente zur Bekräftigung der Berichte ihrer Agenten erörtert werden, Einspruch erhoben. Wie Dokument 83, gegen welches wir keinen Einwand erheben, tatsächlich zeigt, handeln auch diese von vorbereitenden Vorschlägen, die nicht durchgeführt und weiterverfolgt wurden. Nach Ansicht der Anklagebehörde kommt es jedoch darauf an, was den Angeklagten vor dem 9. April 1940 bekannt war, und es ist unerheblich, sich mit einer großen Anzahl anderer Dokumente zu befassen, mit denen man sich nur auseinandersetzen kann, soweit sie mit Informationen, die die Angeklagten gemäß ihrer eigenen Angabe schon gehabt haben, übereinstimmen.

Herr Vorsitzender! Ich habe versucht, mich so kurz wie möglich zu fassen, weil ich dem Gerichtshof ein zeitliches Versprechen gegeben habe, doch hoffe ich, daß ich unsere Einwände sehr klar ausgeführt habe.


DR. WALTER SIEMERS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN RAEDER: Hoher Gerichtshof! Es ist außerordentlich schwierig, zu derartig vielen Dokumenten Stellung zu nehmen, wo ich weiß, daß diese Dokumente bisher nicht übersetzt sind und daher der Inhalt den Beteiligten im wesentlichen nicht bekannt ist. Ich darf daher darauf hinweisen, daß eine gewisse Gefahr in dieser Behandlung besteht. Es handelt sich zum Teil um grundsätzliche Teile meiner Verteidigung. Infolgedessen werde ich bei Behandlung dieser Dokumente, was ich von vornherein erklären möchte, gezwungen sein zur Begründung der Beweiserheblichkeit auf Stellen hinzuweisen die ich sonst in der Beweisführung gar nicht einmal alle im einzelnen [542] erst über das Protokoll zu lesen brauche, weil sie, wenn das Dokumentenbuch fertig ist, dem Gericht bekannt sind und dort gelesen werden können.

Ich halte mich bei meiner Stellungnahme an die Reihenfolge von Sir David. Es ist zunächst die erste Gruppe, die Dokumente Nummer 9 und 10. In der Notiz von Sir David, die dem Gericht vorliegt, ist darauf hingewiesen, daß die Vorlage der Dokumente in Konflikt steht mit der Gerichtsanordnung vom 29. März. Ich darf darauf hinweisen, daß diese Meinung der Anklage ein Irrtum ist. In der Gerichtsanordnung war gesagt worden, daß keine Dokumente gebracht werden dürfen, welche die Ungerechtigkeit und den Zwang des Versailler Vertrages betreffen. Diese Urkunden betreffen nicht die Ungerechtigkeit und den Zwang, sondern sollen nur einige Beispiele geben von der subjektiven Einstellung, zum Beispiel eines Mannes wie Noske, der Sozialdemokrat war und sicherlich keine Angriffskriege führen wollte. Einige weitere Erklärungen in Nummer 9 und 10 betreffen den Gedanken der damaligen Regierung und herrschenden Volksschicht, der auf die Verteidigungsabsicht gerichtet war, und die Gefahr, daß die Deutsche Wehrmacht bei Überfällen, zum Beispiel von Polen, zu schwach sein könnte. Es sind also reine Tatsachen. Ich versichere ausdrücklich, daß ich keine Sätze zitieren werde, die irgendwie polemisch wirken könnten; im übrigen brauche ich dies im wesentlichen nur als Grundlage für das Plädoyer.

Nummer 17 ist ein ganz kurzes Zitat aus dem Buch von Henderson »Das Mißlingen einer Mission« aus dem Jahre 1940. Ich glaube, daß es unbedenklich ist, etwa 15 Zeilen zu übersetzen, wenn ich diese gerne im Plädoyer verwenden möchte, um zu zeigen, daß Henderson, der Deutschland gut kannte, noch 1940 glaubte, positive Seiten des damaligen Regimes anerkennen zu müssen, und ich glaube, daß daraus der Schluß gerechtfertigt ist, daß man von einem deutschen militärischen Befehlshaber nicht verlangen kann, daß er skeptischer ist als der damalige Englische Botschafter.

Es ist dann die Urkunde 45. Die Urkunde 45 ist sicherlich nur aus einem Buch von Churchill. Sie betrifft aber die Tatsache, die ich beweisen möchte, daß schon viele Jahre vor dem ersten Weltkrieg ein britischer Reichsverteidigungsausschuß bestanden hat. In dem Inhaltsverzeichnis, welches Sir David überreicht hat, ist in dem Zitat das Wort »Reichsverteidigungsausschuß« benutzt. Ich schließe daraus, daß man sich in einem Irrtum bei der Anklage befand, als ob es sich demnach um den deutschen Reichsverteidigungsausschuß handelte. Es ist nicht richtig. Dieses Dokument zeigt, wie es kam, daß die Anklage den Wert des deutschen Reichsverteidigungsausschusses irrtümlich überschätzte, da die Anklage ihn [543] naturgemäß mit dem britischen Reichsverteidigungsausschuß, der sehr viel weiter ging, verglichen hat.

Nummer 47 ist Beweis, daß gelegentlich eines Hinweises der Deutschen Botschaft, daß ein übermäßig scharfer Artikel gegen Hitler erschienen sei, und zwar in der Zeitung »News Chronicle« Lord Halifax seinerseits darauf hinwies, daß er nicht die Möglichkeit hätte, auf die Zeitung einzuwirken. Ich möchte das nur – und muß es jetzt schon sagen – zum Vergleich dazu bringen, daß die Anklagebehörde Raeder so hingestellt hat, als hätte er etwas mit dem bedauerlichen Artikel im »Völkischen Beobachter«: »Churchill versenkte die Athenia«, zu tun. Raeder hatte mit dem Artikel ebensowenig zu tun wie Lord Haufax mit dem Artikel im »News Chronicle« und war leider noch machtloser gegen den Artikel als die Englische Regierung.

Nummer 66: Hier handelt es sich um ein Gutachten des Völkerrechtlers Dr. Mosler, und zwar um ein Gutachten über die Norwegen-Aktion, in – wie mir das Gericht sicherlich zugeben wird – sehr komprimierter Form. Das Gericht wird mir weiter zugeben, daß ich im Rahmen meiner Verteidigung der Norwegen-Aktion in weitem Umfange über die völkerrechtlichen Grundlagen sprechen muß. Die völkerrechtliche Grundlage ist nicht ganz einfach. Ich habe nichts dagegen, daß ich dies in aller notwendigen Ausführlichkeit selbst vortrage. Ich habe mich von dem Gedanken leiten lassen, daß das Gericht immer wieder gebeten hat, man möchte Zeit sparen. Ich glaube, daß wir eine ganz erhebliche Zeit sparen, wenn mir dieses Gutachten zugelassen wird und ich dann nicht mehr verpflichtet bin, die zahlreichen Zitate und Autoren sämtlich im einzelnen aufzuführen und die ganz genaue rechtliche Begründung zu geben. Ich kann dann vielleicht in einer halben Stunde über die rechtlichen Fragen sprechen, während es mir ohne das Gutachten völlig unmöglich ist, ein derartiges Problem in einer halben Stunde zu behandeln Wenn die Anklagebehörde nichts dagegen hat, daß es länger dauert habe ich nichts dagegen, daß das Dokument abgelehnt wird, und ich muß dann die Folgen daraus ziehen.

Nummer 76 ist inzwischen gestrichen, also mir von der Anklage zugelassen.

Nummer 93 bis 96: Dies sind Auszüge über Äußerungen der maßgebenden Moskauer Zeitungen »Isvestia« und »Prawda«. Diese Äußerungen beweisen, daß zumindest die damalige sowjetische Auffassung bezüglich der Rechtmäßigkeit der deutschen Aktion in Norwegen sich mit der damaligen deutschen Auffassung deckte.

Wenn das Hohe Gericht übrigens glaubt, daß die ganz kurzen Zitate nicht als Dokumente zugelassen werden können, so will ich hier keine zu großen Schwierigkeiten machen, da ich ja überdies in diesem Augenblick des Verfahrens sowieso gezwungen wurde, [544] anzugeben, um was es sich handelt. Das Hohe Gericht wird sich erinnern, daß damals Deutschland und Rußland befreundet waren und die sowjetische Auffassung über ein rein rechtliches Problem immerhin von einer gewissen Bedeutung sein dürfte.

Dann die Nummer 101: Ich bitte vielmals zu entschuldigen, Sir David, aber wenn ich nicht irre, hat Dr. Braun vor eineinhalb Stunden gesagt, 101 wird fallen.

Gut, also Nummer 101 bis 107: Es handelt sich bei der Aktion gegen Norwegen, wie ich schon sagte, um ein völkerrechtliches Problem. Es handelt sich um das Problem, ob ein Land die Neutralität eines anderen Landes verletzen darf, wenn begründete Gefahr besteht, daß ein anderes kriegführendes Land ebenfalls die Neutralität des betreffenden neutralen Staates zu verletzen beabsichtigt. Ich werde in meiner Beweisführung darlegen, daß Großadmiral Raeder im Herbst 1939 vielseitige Nachrichten erhielt, daß die Alliierten sich mit den Plänen befaßten, die Hoheitsgewässer von Norwegen in eigenen Schutz zu übernehmen, beziehungsweise in Norwegen zu landen, um norwegische Stützpunkte in Händen zu haben. Ich komme auf diesen Punkt hinterher noch bei den Norwegen-Dokumenten. Ich möchte hier nun sagen, es ist notwendig, klarzulegen und zu beweisen, daß die rechtliche Einstellung der Alliierten zu der Frage der eventuellen Neutralitätsverletzung eines neutralen Staates in den Jahren 1939 und 1940 genau die gleiche gewesen ist, wie die Einstellung des Angeklagten Raeder im Falle Norwegen zu der gleichen Zeit.

Es ist daher notwendig, hierzu nicht nur das Gebiet Norwegen zu bringen, sondern zu zeigen, daß dies eine grundsätzliche Auffassung war, die sich auch durch Parallelfälle ohne weiteres an Hand dieser Dokumente nachweisen läßt. Die Parallelfälle erstrecken sich einmal auf die Planung der Alliierten auf dem Balkan und zweitens auf die Planung der Alliierten im kaukasischen Ölgebiet.

Meine sehr verehrten Herren! Ich bin weit davon entfernt, wie Sir David angedeutet hat, mit diesen Dingen unter dem Gesichtspunkt »tu quoque« zu arbeiten, also unter dem Gesichtspunkt, daß der Angeklagte etwas getan hat, was die Alliierten auch getan haben oder tun wollten. Es dreht sich nur um die rechtliche Beurteilung der Taten des Angeklagten Raeder. Derartige Taten kann man aber nur verstehen, wenn der gesamte Komplex gebracht wird. Es ist ja gerade meine Ansicht – und dazu beziehe ich mich auf das Gutachten von Dr. Mosler, Exhibit Raeder-66 –, daß kein Vorwurf daraus gemacht werden kann. Es handelt sich, meine Herren, um das grundsätzlich im Völkerrecht anerkannte Recht der Selbsterhaltung. Ich darf in dieser Beziehung...


VORSITZENDER: Herr Dr. Siemers! Sie wissen ja, wir wollen uns in diesem Stadium nicht zu sehr mit Einzelheiten befassen. [545] Wenn Sie kurz Ihre unterstützenden Gründe anführen, werden wir in der Lage sein, über die Angelegenheit zu beraten.


DR. SIEMERS: Es tut mir außerordentlich leid, daß ich in diese Einzelheiten gehen muß, aber wenn durch den Einspruch der Anklage die Grundlage...


VORSITZENDER: Der Gerichtshof will Ihre Einzelheiten nicht anhören; ich habe doch erklärt, daß der Gerichtshof Ihre Einzelheiten nicht anzuhören wünscht.


DR. SIEMERS: Also, ich bitte hier nur zu berücksichtigen, daß es sich um den völkerrechtlichen Grundsatz handelt, den Kellogg 1928 selbst auch festgelegt hat, nämlich das Recht der Selbsterhaltung – »The right of self-defense« –, und dafür möchte ich diese Dokumente anführen, daß entsprechend diesem Grundsatz völlig ordnungsmäßig die Alliierten gehandelt haben, dann aber auch ordnungsmäßig der Angeklagte Raeder.

Es kommt dann das Dokument Nummer 22. Ich habe eben verschiedene grundsätzliche Ausführungen gegeben, die auf einen großen Teil der weiteren Urkunden zutreffen, so daß ich mich auf meine bisherigen Ausführungen beziehen kann. Unter diese Ausführungen fallen die Dokumente 22 und 39.

Bezüglich der Dokumente Nummer 63 bis 64 darf ich darauf hinweisen, daß diese Dokumente Griechenland betreffen, und zwar nicht nur diese beiden, sondern nachher noch eine ganze Gruppe von ungefähr zehn bis zwölf Dokumenten, bei denen ich dann sehr schnell darüber hinweggehen kann und hierauf Bezug nehmen darf.

Bezüglich Griechenland liegt es folgendermaßen: Ich muß gestehen, daß ich außerordentlich überrascht bin, daß die Anklage bei diesen Dokumenten, also insgesamt ungefähr 14, Einspruch erhoben hat. Die Anklage hat in dem Dokument C-12, GB-226, Raeder den Vorwurf gemacht, daß er am 30. Dezember 1939 angeordnet hatte, ich zitiere:

»Griechische Handelsschiffe sind in der durch USA um England erklärten Sperrzone wie feindliche zu behandeln.«

Der Vorwurf ist berechtigt, wenn sich nicht Griechenland so verhalten hat, daß Raeder zu diesem Befehl kommen mußte.

Wenn die Dokumente bezüglich Griechenland, aus denen sich ergibt, daß Griechenland seine Neutralität nicht strikte innegehalten hat, gestrichen werden, so kann ich keinen Gegenbeweis führen. Ich glaube nicht, daß es die Absicht der Anklage ist, meine Beweisführung derartig zu beschränken.

Es handelt sich um Urkunden, die alle aus dieser Zeit stammen und die zeigen, daß Griechenland seine Handelsschiffe England, das mit Deutschland im Kriege stand, zur Verfügung stellte. Infolgedessen konnten sie als feindliche behandelt werden.

[546] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte bemerken, ich hätte dem Gerichtshof sagen sollen, daß ich keinen Einspruch gegen die Dokumente 53 und 54 erhebe, denn sie handeln von dem Chartern griechischer Schiffe durch die Britische Regierung.

VORSITZENDER: Aber Sie haben keinen Einspruch erhoben? Sie haben keinen Einwand gegen 53 oder 54 erhoben?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte klarstellen, daß ich keinen Einspruch gegen sie erhebe.


VORSITZENDER: Auf der Liste findet sich kein Einspruch. Wovon Sie sprechen, Dr. Siemers, ist 63 und 64 und nicht 53 und 54. Verzeihung, ich sehe es weiter unten. Ja, ich verstehe; streichen Sie das bitte aus.


DR. SIEMERS: Es besteht also kein Einspruch gegen 53 und 54?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, kein Einwand; mein Freund beschäftigte sich mit der griechischen Handelsflotte, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Ja, entschuldigen Sie, ich habe falsch gehört.


DR. SIEMERS: Für Dokument 71 gilt das gleiche wie für das bereits zu 101 bis 107 Gesagte. Nummer 99 gehört praktisch zu der sechsten Gruppe, zu den gesamten Norwegen-Dokumenten, so daß ich dazu nur einmal sprechen möchte und mich nachher wieder auf 99 beziehe.

Es handelt sich bei all diesen Dokumenten um Norwegen-Dokumente, also um die Dokumente, die die Planung bezüglich Norwegen seitens der Alliierten betrafen. In diesen Dokumenten ist in der Planung positiv von Landung in Narvik, von Landung in Stavanger, von Landung in Bergen, von der unbedingten Notwendigkeit, norwegische Stützpunkte in Händen zu haben, die Rede. Es ist in diesen Urkunden die Rede davon, daß die Möglichkeit der Erzversorgung aus Schweden Deutschland nicht überlassen werden dürfte. Es ist teilweise im Zusammenhang mit Finnland; es sind dabei ebenso Dokumente da, die denselben Plan aufrechterhalten, als der finnisch-russische Krieg schon beendet war.

Ich möchte an sich zum Nachweis der Erheblichkeit aus diesen Dokumenten zitieren. Da das Gericht mir erklärt hat, daß ich das nicht soll, bitte ich, sich mit diesen kurzen Hinweisen zu begnügen. Die Tatsachen, die in diesen Dokumenten stehen, decken sich absolut genau mit denjenigen Nachrichten, die Großadmiral Raeder vom September 1939 bis März 1940 durch den Nachrichtendienst der Deutschen Wehrmacht, der von Admiral Canaris geleitet wurde, erhalten hat. Diese Planungen decken sich mit den Nachrichten, die Raeder durch den Marineattaché in Oslo, Korvettenkapitän Schreiber, auch im gleichen halben Jahr erhalten hat, und mit den [547] Nachrichten, die er durch einen Brief von Generaladmiral Carls Ende September 1939 bekam.

Die Nachrichten aus diesen drei Quellen haben den Angeklagten Raeder veranlaßt, auf die große Gefahr hinzuweisen, die darin liegt, daß Norwegen in die Hände der Alliierten käme und daß dann der Krieg für Deutschland verloren sei; also eine rein strategische Überlegung.

Die Besetzung Norwegens hat nichts, wie die Britische Anklage sagte, mit Ruhm- oder Eroberungssucht zu tun, sondern nur mit diesen positiven Nachrichten. Ich muß also beweisen, erstens, daß der Angeklagte Raeder diese Nachrichten erhielt und zweitens, daß diese Nachrichten objektiv begründet waren.


VORSITZENDER: Dr. Siemers! Beschäftigen Sie sich mit Dokument 99?


DR. SIEMERS: Dies bezieht sich auf 99 und auf die gesamte sechste Gruppe.


VORSITZENDER: Ich weiß nicht, was Sie mit Gruppe 6 meinen. 99 ist in Gruppe B.


DR. SIEMERS: Die Gruppe unter »F«, die Sir David sechste Gruppe genannt hat, die letzte auf der Seite.


VORSITZENDER: Der Einspruch der Anklagevertretung gegen diese Dokumente bestand darin, daß es ein Dokument vom 27. April 1940 war, einer Zeit, als Deutschland schon in Norwegen eingefallen war. Sie haben davon nichts gesagt.


DR. SIEMERS: Ich wollte an sich vermeiden, über jedes einzelne Dokument zu sprechen, weil ich glaube, daß diese generell zu behandeln sind, aber ich will gern zu diesem speziellen Fall...


VORSITZENDER: Ich möchte nicht, daß Sie sich mit jedem Dokument besonders befassen, Dr. Siemers; ich dachte, Sie beschäftigten sich mit Dokument 99. Wenn Sie sie in Gruppen behandeln können, so tun Sie das auf jeden Fall. Sie nehmen aber sehr viel Zeit des Gerichtshofs in Anspruch.


DR. SIEMERS: Es handelt sich bei 99 um die Niederschrift über die neunte Sitzung des Obersten Rates, also der leitenden Militärführung zwischen England und Frankreich vom 27. April. Zweifellos zeigt die Überschrift, daß es nach der Besetzung Norwegens war. Das ist aber nur ein formaler Einwand. Der Inhalt des Dokuments zeigt, daß die bei dieser Sitzung Beteiligten über die Vorgänge Sprachen aus der Zeit vor der Besetzung; und an dieser Sitzung nahmen die wesentlichsten Führer der Alliierten teil. Es waren zugegen Chamberlain, Halifax, Churchill, Sir Samuel Hoare, Sir Alexander Cadogan und so weiter; es waren auf französischer Seite Reynaud, Daladier, Gamelin, Darlan, und die sprachen über die [548] früheren Pläne, die, wie ich zugebe, mißglückt waren durch die deutsche Besetzung von Norwegen, aber sie sprachen darüber, wie die Eisenerzgruben in Schweden in die Hände der Alliierten hätten kommen müssen, was man nun tun könne, um nun zu verhindern, daß Deutschland das Erz endgültig bekomme, und wie man erreichen könne, daß diese Eisenerzvorkommen zerstört werden.

Ich glaube daher, daß, wenn es auch formell aus einer späteren Zeit stammt, der Gedankengang, den ich vorgebracht habe, von Bedeutung ist.

Es ist dann das Dokument Nummer 100. 100 ist die Sitzung des französischen Kriegsausschusses vom 9. April 1940, die sich mit dem gleichen Problem beschäftigt; was von alliierter Seite geplant war und was nun geplant werden könnte, wo gerade die Nachricht eingelaufen war über die Aktion Deutschlands.

102 bis 107 waren schon behandelt.

Für 110 gilt dasselbe wie für meine Ausführungen zu den Dokumenten 101 bis 107.

112 ist ein Dokument, in dem darauf hingewiesen wird, daß Churchill bereits im Mai 1940 in der Erwartung eines aktiven Eingreifens von Amerika war. Ich wollte es im Zusammenhang mit dem gegen den Angeklagten Raeder erhobenen Vorwurf bringen, daß er im Frühjahr 1941 darauf hingewirkt habe, einen Krieg gegen die USA durch Japan anzuzetteln. Es ist eine Urkunde, die nicht im entschiedensten für mich die Bedeutung hat wie die grundsätzlichen, die ich mit längeren Ausführungen belegt habe. Ich überlasse es daher vollständig der Anklage beziehungsweise dem Gericht.

Die nächste Gruppe sind Dokumente, die im Ribbentrop-Fall abgelehnt worden sind. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß ich nicht die Möglichkeit gehabt habe, im Ribbentrop-Fall zu der Berechtigung und Erheblichkeit dieser Dokumente Stellung zu nehmen. Ich halte es daher für reichlich summarisch, einfach zu erklären, diese Dokumente sind bei Ribbentrop abgelehnt, die Vorwürfe gegen Ribbentrop...


VORSITZENDER: Wir haben die Argumente schon sorgfältig geprüft und entschieden, daß diese Dokumente unzulässig sind.


DR. SIEMERS: Ich hatte geglaubt, daß die Entscheidung den Ribbentrop-Fall betrifft, da ja unter einem anderen Gesichtspunkt gar nicht bei der Verhandlung gesprochen ist, nämlich nicht über die gegen Raeder erhobenen Vorwürfe, wo in Dokument C-152 präzise gesagt wird, Raeder hätte veranlaßt, daß ganz Griechenland besetzt wird. Das ist ein Vorwurf, der gegen Ribbentrop nicht erhoben ist, sondern nur gegen Raeder. Wie soll ich den Vorwurf entkräften, wenn mir die Dokumente genommen werden?


[549] VORSITZENDER: Dr. Siemers! Der Gerichtshof kennt die Dokumente und kennt die Anschuldigungen gegen Raeder und wünscht nicht, weitere Argumente darüber zu hören. Er wird die Sache beraten.


DR. SIEMERS: Ich bitte um Entschuldigung. Ich muß unter diesen Umständen eben vergleichen, ob alle Dokumente überhaupt bei Ribbentrop sind. Meine Aufzeichnungen, wie ich bereits heute morgen der Anklagebehörde sagte, decken sich nicht mit der Angabe der Anklage. Ich darf sonst eventuell, wenn ich das schon im Augenblick nicht kann, nach der Sitzung noch darauf hinweisen, falls nur die Dokumentenübereinstimmung nicht stimmt.

Es ist nämlich tatsächlich so, daß diese Dokumente im Falle Ribbentrop nicht vollständig gebracht sind, also das Gericht die Dokumente nicht vollständig kennt; ob Herr Dr. Horn genau dieselben Teile abgeschrieben hat oder nicht, kann ich zum einzelnen Dokument jetzt nicht sagen; ich weiß nur, daß bei der überwiegenden Anzahl die Wiedergabe aus den Dokumenten bei Dr. Horn nicht vollständig ist, eben aus seinem anderen Fall heraus, weil er es nur unter dem Gesichtspunkt Ribbentrops gebracht hat.


VORSITZENDER: Vermutlich haben Sie Ihre Auszüge der Anklagevertretung zugeleitet. Die Anklagevertretung sagt aus, daß diese Auszüge dieselben sind, die im Falle Ribbentrop zurückgewiesen wurden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mylord! Wir haben nur eine Liste dieser Dokumente. Wir haben die Auszüge nicht gesehen.


[Kurze Beratung zwischen Sir David und einem Mitarbeiter.]


Mylord! Verzeihen Sie, ich war zu schnell. Wir haben die Auszüge im Deutschen gesehen, aber wir ließen sie nicht übersetzen. Aber wir haben unser Bestes mit den deutschen Auszügen getan.

VORSITZENDER: 24 und 25 sind jedenfalls Reden in englischer Sprache.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Mylord, einige davon sind es. Verzeihung, Mylord, diese sind es. Euer Lordschaft hat ganz recht.


VORSITZENDER: Sir David! Soweit ich verstehe, sagt Dr. Siemers, daß dies nicht dieselben Stellen des Beweismaterials oder des vorgeschlagenen Beweismaterials sind, die im Falle Ribbentrop abgelehnt wurden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mylord! Ich habe die Nachprüfung nicht selbst vorgenommen, aber Major Barrington, der die Ribbentrop-Dokumente prüfte, hat diese Auszüge durchgesehen und die beiden verglichen. Er hat mir das Material gegeben, auf dem unsere Aufzeichnung beruht. Das ist die Lage. Ich kann natürlich Euer Lordschaft nicht sagen, daß ich sie selbst nachgeprüft habe.


[550] VORSITZENDER: Sagt uns Dr. Siemers, daß das unwahr ist?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Soweit ich Dr. Siemers verstand, sagte er, er wüßte nicht, ob es dieselben Auszüge seien...


DR. SIEMERS: Darf ich dazu bitte etwas sagen? Ich weiß es nur nicht genau, so daß ich jetzt bei jedem einzelnen Dokument sagen kann, welche Teile nun schon bei Ribbentrop enthalten sind. Daß sie nicht übereinstimmen, das weiß ich genau. Ich weiß genau, daß sie nicht übereinstimmen, und zwar deshalb, weil ich zur Erleichterung der Übersetzungsabteilung die Nummern verglichen habe, und in den wenigen Fällen, in denen eine Übereinstimmung vorliegt, der Übersetzungsabteilung gesagt habe, diese Dokumente sind gleich, damit sie nicht doppelt übersetzt werden. Aber leider war ein großer Teil der Urkunden nicht gleich, sondern bei Dr. Horn und Ribbentrop unvollständig aus diesem anderen Gesichtspunkt heraus.

Ich darf noch darauf hinweisen, daß die Nummern unter der Gruppe »D«, die hier angeführt sind, als Ribbentrop-Dokumente Nummer 29, 51, 56, 57, 60, 61, 62 trotz meines eifrigen Bemühens von mir im Dokumentenbuch Ribbentrop nicht gefunden werden konnten. Es ist auch nicht in der Liste angegeben, welche Nummern im Ribbentrop-Dokumentenbuch diese sein sollten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mylord! Das wird nicht behauptet. Gesagt wird, sie gehörten zu der Serie, die denselben Gegenstand behandelt, nämlich die Frage Griechenlands und des Balkans. Diese Dokumente sind im Falle Ribbentrop vom Gerichtshof abgelehnt worden.


VORSITZENDER: Dr. Siemers! Ich glaube, es wäre das beste, wenn Sie nachmittags noch einmal diese Dokumente unter »C« durchgehen und nachsehen würden, ob diese schon im Falle Ribbentrop abgelehnt wurden. Wenn das nicht der Fall ist, dann geben Sie bitte genau an, in welcher Weise sie sich von den im Falle Ribbentrop zurückgewiesenen Dokumenten unterscheiden, um zu zeigen, daß sie in Ihrem Falle erheblich sind; wir erwarten, dies bis 5.00 Uhr zu haben.

Wollen Sie nun mit dem Rest fortfahren?


DR. SIEMERS: Ich darf nur eben noch ein Wort sagen zu dem, was Herr David zur Gruppe »D« sagte. Da ist kein Einspruch erhoben, weil sie bei Ribbentrop schon vorkamen, sondern nur, weil sie denselben Gegenstand betreffen; das ist richtig. Sie betreffen dasselbe Gebiet, nämlich Griechenland, und ich kann nicht mehr sagen, als daß die Anklage in C-152 dem Angeklagten Raeder vorgeworfen hat, er hätte darauf hingewirkt und erreicht, daß ganz Griechenland besetzt werden sollte. Die Zusammenhänge über diese drei Zeilen lange Notiz kann ich nur bringen, wenn ich irgendwelche Dokumente [551] über Griechenland bringen darf, und die mir nicht deshalb abgelehnt werden, weil ganz generell bei Ribbentrop Griechenland-Dokumente abgelehnt sind.

Ich komme dann zu Gruppe »E«, die mit 26 beginnt. Hier gilt das gleiche, was ich zuvor schon zu den Dokumenten 101 bis 107 ausgeführt habe. Die von den Alliierten geplanten Angriffe auf die Ölgebiete im neutralen Rumänien und im neutralen Kaukasus sind überdies, was ich nur in Parenthese vermerken möchte, schon Gegenstand dieses Verfahrens gewesen. Das Hohe Gericht wird sich erinnern, daß ich über Eintragungen aus dem Tagebuch Jodls hierüber bereits Göring beim Verhör gefragt habe und er bereite über die Nachrichten, die Deutschland erhielt, im Sitzungsprotokoll vom 18. März (Band IX, Seite 448-450) Auskunft gegeben hat. Auch hier wieder betrifft diese Äußerung nur die subjektive Seite, das, was Deutschland wußte. Ich muß beweisen, daß die objektive Seite, daß das tatsächlich geplant war, dieser subjektiven Seite, also den Nachrichten, genau entspricht. Dafür sind diese Dokumente. Das betrifft die Dokumente 26, 30 bis 32, 36, 37, 39, 40 bis 44. Es ist dann die Nummer 99 genannt, die schon vorher behandelt war, die hier doppelt steht. 101 und 110 sind ebenfalls doppelt.

Ich komme dann zur sechsten Gruppe, die irrelevant sein soll bezüglich des Angriffes gegen Norwegen. Hierüber habe ich bereits grundsätzlich gesprochen. Ich bitte das Hohe Gericht, mir diese Dokumente unter gar keinen Umständen zu verweigern. Denn wenn mir diese Dokumente verweigert werden, bin ich einfach nicht in der Lage, in einer vernünftigen Form, ohne nur alles selbst zu erzählen, einen Beweis zu führen. Ich kann einen Beweis über eine so wichtige Frage nur führen, wenn mir ebenso wie der Anklage Dokumente gelassen werden. Wenn mir aber alle Dokumente, praktisch alle Dokumente, gestrichen werden, die diesen Komplex betreffen, dann weiß ich nicht, wie ich einen solchen Komplex behandeln soll; und ich glaube, daß das Hohe Gericht mir darin behilflich sein wird.

Ich erbitte dies ganz besonders auch aus folgendem Grund: Ich habe, als ich die Beweisanträge an dieser Stelle begründete, den Antrag gestellt, die Akten der Britischen Admiralität heranzuziehen, welche die Planungen und Vorbereitungen in Skandinavien, also in Norwegen, betrafen.

Sir David hat keinen Einspruch seinerzeit erhoben, sondern gesagt, er müsse sich an die Britische Admiralität wenden. Das Gericht hat meinem Antrage gemäß entschieden, meinen Antrag genehmigt. Inzwischen hat die Britische Admiralität geantwortet; ich nehme an, daß Sir David einverstanden ist, wenn ich die Antwort, die mir zur Verfügung gestellt wurde, vorlese. Sie lautet: Es betraf also, wenn ich das nur noch vorweg erwähnen darf...


[552] VORSITZENDER: Wir haben die Antwort erhalten, denke ich, nicht wahr? Wir bekamen die Antwort und übermittelten sie Ihnen.


DR. SIEMERS: Danke vielmals. Aus dieser Antwort ergibt sich, daß die Akten nicht vorgelegt werden, ich also mit der Genehmigung nicht weiterkomme. Es ergibt sich weiter daraus, daß bestimmte Tatbestände, die für meine Beweisführung wichtig sein werden, von der Britischen Admiralität zugegeben werden, aber formal habe ich nicht die Möglichkeit, mit Urkunden etwas zu beweisen. Da ich diesen Beweis nicht führen kann, bitte ich doch daher, zum mindesten die anderen Beweismöglichkeiten zu lassen, nämlich die Urkunden aus den deutschen Weißbüchern. Es sind anerkannt korrekte Urkunden. Es sind in sämtlichen Fällen Faksimiles. Man kann sie genau überprüfen, und ich glaube, daß...


VORSITZENDER: Dr. Siemers! Wir behandeln Ihren Antrag auf bestimmte Dokumente. Wir beschäftigen uns nicht mit allgemeinen Erwägungen oder einer allgemeinen Kritik, die Sie zu üben haben. Wir wollen nur Ihre Antwort auf gewisse Einsprüche der Britischen Anklagevertretung anhören.


DR. SIEMERS: Euer Lordschaft! Wenn ich mich nicht sehr irre – ich bitte, mich zu berichtigen – hat Sir David zu diesen Dokumenten unter »P« – das ist eine ganze Anzahl, 59 bis 91 mit einigen Auslassungen – auch insgesamt Stellung genommen und nicht zu jeder einzelnen Urkunde. Ich muß aber praktisch zu jeder Urkunde das gleiche sagen und habe nur gebeten, mir diese Urkunden insgesamt zuzulassen, da ich ohne die Urkunden nicht weiterkomme. Meine Ausführungen betreffen...


VORSITZENDER: Sie haben nicht auf diese Dokumente verwiesen. Sie haben auf die Tatsache verwiesen, daß die Britische Admiralität nicht bereit war, Ihnen ihre Akten zu öffnen. Es hat überhaupt nichts mit diesen Dokumenten zu tun.


DR. SIEMERS: Ich glaube, Hohes Gericht, ich bin mißverstanden worden. Ich habe vorher ganz klar ausgeführt, warum ich die Dokumente für meine Beweisführung hinsichtlich der Norwegen-Aktion benötige.

Ich habe nur darüber hinaus gesagt, wenn ich diese Dokumente nicht bekomme, kann ich keinen Beweis führen; dann ist er mir abgeschnitten. Ich habe nur das Gericht gebeten, zu berücksichtigen, daß ich die Dokumente aus London, die ursprünglich vorgesehen waren, nicht habe. Und ich weiß nicht, warum mir diese Bitte, die ich dem Gericht nur zur Begründung meiner vorherigen Ausführungen unterbreite, verübelt wird.


VORSITZENDER: Ist das alles, was Sie zu sagen haben?


DR. SIEMERS: Ich bin damit zu Ende, meine Herren. Ich beabsichtige keineswegs, sämtliche Dokumente vorzulesen oder übertrieben [553] lang aufzuhalten. Ich glaube gerade, daß, wenn mir die Dokumente genehmigt werden, die Beweisführung sehr viel einfacher ist, weil es Gruppen sind, die eine zeitliche Entwicklung von bestimmten Planungen ergeben, und wenn ich das fünfte, sechste oder siebente Dokument habe, dann brauche ich nicht jedes vorzulesen. Wenn mir aber nur eines genehmigt wird, komme ich in eine außerordentlich schwierige Lage und muß umständlicher sprechen, als wenn ich mich einfach auf diese Dokumente beziehen kann.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird darüber beraten.

Nun Herr Dr. Dix, bitte.


DR. DIX: [zum Zeugen Hjalmar Schacht gewandt] Wir kommen jetzt ganz generell zu der Frage Ihrer angeblichen Mitwisserschaft an den unmittelbaren Kriegsabsichten Hitlers Sie berührten schon am Rande, daß Hitler Ihnen gegenüber niemals von Krieg gesprochen hat. Haben Sie dem noch etwas hinzuzufügen?


SCHACHT: Nein.


DR. DIX: Sie haben auch am Rande schon die Frage der Aufrichtigkeit seiner Friedensversicherung und Abrüstungsvorschläge berührt. Ist dem etwas Neues hinzuzufügen?


SCHACHT: Nein, ich habe anfangs an diese geglaubt.


DR. DIX: Wie steht es mit den einzelnen Mitgliedern des Kabinetts, haben die einzelnen Herren des Kabinetts jemals zu Ihnen über Kriegsabsichten gesprochen?


SCHACHT: Ich habe niemals von irgendeinem meiner Ministerkollegen im Reichskabinett etwas gehört, das darauf hindeutete, daß irgend jemand die Absicht habe oder es begrüßen würde, wenn Deutschland einen Krieg anfinge.


DR. DIX: Wir kommen nun zu Ihrer eigenen Einstellung zum Kriege. Auch zu der haben Sie schon generell Stellung genommen, als Sie über Ihre weltanschauliche Einstellung als Pazifist sprachen. Ich glaube, es ist deshalb sachdienlicher, wenn ich hier aus meinem Dokumentenbuch kurz verlese die Stimme eines Dritten, der Sie sehr gut kennt: das ist das frühere Mitglied des Reichsbankdirektoriums, Hülse. Es ist im Dokumentenbuch Schacht-37-C, Seitenzahl des deutschen Exemplars 160, des englischen Exemplars 168, ein Affidavit. Er sagt dort ab Absatz 2:

»Ich erinnere mich an mehrere gelegentliche, Krieg und Aufrüstung betreffende Unterhaltungen mit Dr. Schacht in den Jahren 1935 bis 1939. In diesen hat er stets seinem Abscheu gegen jeden Krieg und jedes kriegerische Gehabe Ausdruck gegeben. Er vertrat den entschiedenen Standpunkt, daß ein Krieg selbst dem Sieger nur Nachteile bringe und ein neuer [554] europäischer Krieg ein Verbrechen an der Kultur und der Menschheit überhaupt sei. Er hoffe für Deutschland auf eine lange Friedenszeit, die es mehr als andere Länder brauche, um seine labile wirtschaftliche Lage zu bessern und zu festigen.

In den Sitzungen des Reichsbankdirektoriums und bei privaten Unterhaltungen hat Dr. Schacht meines Wissens bis Anfang 1938 nur immer bei dem Thema Rüstung von Verteidigungsmaßnahmen gesprochen. Ich glaube, mich erinnern zu können, daß er etwa Mitte des Jahres 1938 zu mir gesagt hat, daß die herausfordernden Schritte Hitlers gegen Österreich und das Sudetenland vom militärischen Standpunkt mehr als leichtsinnig gewesen wären.

Deutschland habe doch nur eine Defensivrü stung vorgenommen, die zu einer Verteidigung gegen den Angriff einer Großmacht, mit dem Hitler hätte rechnen müssen, völlig unzulänglich wäre. Er hätte noch niemals gehört, daß die Wehrmacht etwa für einen Angriffskrieg in irgendeiner Weise geeignet und gerüstet sei.

Als der Krieg ausbrach und immer weiter ausgedehnt wurde, hat er öfters ausgesprochen, daß er sich in seiner Beurteilung der Persönlichkeit Hitlers gründlich getäuscht habe. Er hatte lange gehofft, daß sich Hitler zu einem wirklichen Staatsmann entwickeln würde, der nach den Erfahrungen des Weltkrieges jeden Krieg vermeiden würde.«

Sie haben sich am Rande schon mit der Frage eines Anschlusses von Österreich grundsätzlich geäußert. Ich bitte Sie nun, sich jetzt konkret zu äußern zu dem wirklich stattgehabten Anschluß und insbesondere zu den Formen, in denen sich dieser Anschluß vollzog.

SCHACHT: Daß einmal dieser Anschluß kommen würde, darüber waren wir Deutschen uns alle klar und über die verschiedenen politischen Verhandlungen, die zwischen Hitler, Schuschnigg und so weiter hin und her gegangen sind, bin ich natürlich ebensowenig informiert worden, wie die anderen Minister des Kabinetts, mit Ausnahme wahrscheinlich von Göring und Ribbentrop und diesem und jenem noch. Der effektive Anschluß im März war eine völlige Überraschung für uns, nicht die Tatsache, sondern das Datum; eine große Überraschung, und wir waren über diese Dinge – jedenfalls meine Bekannten und ich selbst – völlig überrascht.

DR. DIX: Und wie beurteilten Sie die Form, die Art und die Gestaltung dieses Anschlusses?


SCHACHT: Ich glaube, daß über die Form manches zu sagen ist. Das was wir hier nachträglich gehört haben und was ich zum Teil hier in den Verhandlungen erfahren habe, ist durchaus nicht sehr erfreulich, aber ich glaube, daß es auf die Tatsache des Anschlusses und auf den Gang der Ereignisse selbst wenig praktischen [555] Einfluß gehabt hat. Das Ganze war mehr eine Demonstration nach außen hin, so ähnlich etwa wie der Einmarsch in das Rheinland, aber er hat auf den Gang der Verhandlungen selbst meines Erachtens keine große Wirkung gehabt. Ich spreche jetzt von dem Einmarsch der Truppen. Dieser Einmarsch war ja mehr ein festlicher Empfang.


DR. DIX: Die Anklagevertretung hat darauf hingewiesen, daß Sie im März 1938 das Verhältnis von Schilling zu Mark für den Fall eines eventuellen Anschlusses festgesetzt hätten, und will offenbar mit diesem Hinweis beweisen, daß Sie von dieser Aktion vorher unterrichtet gewesen sind. Wollen Sie hierzu Stellung nehmen?

SCHACHT: Diese Tatsache, auf die sich die Anklage beruft, ist eine Mitteilung eines Oberstleutnants Wiedemann. Am 11. nachmittags 3.00 Uhr, ich glaube mich zu erinnern-ich weiß nicht, ob es telephonisch oder persönlich gewesen ist –, daß irgendeiner, es kann Herr Oberstleutnant Wiedemann gewesen sein, sich bei mir erkundigt hat, für den Fall, daß nun deutsche Truppen in Österreich einmarschieren würden, möchte er wissen, wie die Einkaufsmöglichkeiten der Truppen in Österreich geregelt werden sollten, rein währungspolitisch, ob irgendeine Vorschrift nötig sei. Ich habe daraufhin geantwortet, selbstverständlich müsse alles bezahlt werden, was etwa diese Truppen dort einkaufen, und das Verhältnis, wenn sie nicht in Schilling, sondern in Mark zahlen, ist, daß sie eine Mark mit zwei Schilling bewerten. Das war der ursprüngliche Kurs der damaligen Zeit, der ziemlich unverändert war, und zwar das effektive Verhältnis zwischen Schilling und Mark.

Daß ich am 11. mittags hierauf hin angesprochen wurde, beweist ja am allerbesten, daß ich vorher von diesen Dingen eben nichts gewußt habe.


DR. DIX: Die Anklage wertet es weiter für Sie belastend, daß Sie in Ihrer Ansprache nach dem Einmarsch vor der österreichischen Nationalbank eine ausgesprochen nationalsozialistische Phraseologie gebraucht hätten, mit der Sie diesen Anschluß begrüßt hätten.

Vielleicht benutzen wir diese Gelegenheit, um abzukürzen, um zu dem sehr wiederholt hier vorgetragenen Vorwurf der Anklage Stellung zu nehmen, daß Sie überhaupt in Ihren Reden, Eingaben und so fort zum Teil einen Ton gewählt haben, von dem man vielleicht sagen könnte, daß er von nationalsozialistischer Phraseologie trieft. Das wurde indiziell gegen Sie gewürdigt. Wollen Sie zu dieser Argumentation Stellung nehmen und Ihre diesbezügliche Haltung begründen?


SCHACHT: Wenn ich das in den ersten Jahren getan habe, so habe ich es getan, um immer wieder die Parteikreise und die Bevölkerung auf das ursprüngliche Programm der Nationalsozialistischen Partei hinzuweisen, zu dem das effektive und praktische Verhalten [556] der Parteigrößen und Parteifunktionäre in einem krassen Gegensatz stand. Ich habe mich immer bemüht nachzuweisen, daß die Grundgedanken, die ich in vielen politischen Dingen vertrat, sich durchaus deckten mit den Grundgedanken des nationalsozialistischen Programms, so wie es in dem Wortlaut des Programms ausgedrückt war, das heißt also, gleiches Recht für alle, Bewertung der Persönlichkeit, Wertschätzung der Kirche und alle diese Dinge.

In den späteren Jahren habe ich auch wiederholt eine nationalsozialistische Phraseologie gebraucht, weil von meiner Königsberger Rede an der Gegensatz zwischen meiner Auffassung und der Auffassung Hitlers auf der Parteiseite völlig klar wurde, und ich allmählich bei der Partei in den Ruf eines Parteifeindes kam, das heißt eines Mannes, der gegensätzlicher Ansicht war als die Partei. Von diesem Augenblick an war nicht nur die Möglichkeit meiner Mitarbeit, sondern überhaupt die Möglichkeit meiner Existenz gefährdet; ich habe in solchen Augenblicken, wo ich die Bedrohung durch die Partei auf mein Wirken und auf mein Leben, das heißt auf meine Freiheit und auf mein Leben besonders imminent sah, – so habe ich diese Momente benutzt, um durch eine betont nationalsozialistische Phraseologie darzutun, daß ich mich durchaus im Rahmen der hergebrachten Politik bewegte und daß mein Vorgehen mit der Politik in Einklang zu bringen sei, um mich vor diesen Angriffen zu schützen.


DR. DIX: Sie haben also, um an die Aussagen des Zeugen Gisevius über ein Wort von Goerdeler zu erinnern, in diesem Falle Talleyrandsche Methoden angewendet?


SCHACHT: Ich bin nicht ganz vertraut mit den Talleyrandschen Methoden, aber ich habe mich jedenfalls getarnt.


DR. DIX: Darf ich in diesem Zusammenhang wieder eine Stelle aus dem Affidavit Schniewinds, das schon öfter zitiert wurde, Exhibit Nummer 34 kurz verlesen. Ich habe schon oft die Seitenzahl angegeben. Es ist hier die deutsche Seitenzahl 118, 126 des englischen Textes. Schniewind sagt dort:

»Wenn Schacht auf der anderen Seite gelegentlich mündliche und schriftliche Äußerungen getan hat, die auf eine weitergehende Identifizierung mit dem Hitler-Regime schließen lassen könnten, so waren uns diese Äußerungen selbstverständlich bekannt, aber wie Schacht in Wirklichkeit dachte, wußte fast jeder Beamte in der Reichsbank und im Reichswirtschaftsministerium, vor allem natürlich seine engsten Mitarbeiter. Mehrfach haben wir Herrn Dr. Schacht gefragt, ob er in diesen Äußerungen nicht zu weit gegangen sei; er hat immer geantwortet, daß er von der Partei und der SS so stark beschossen werde, daß er sich nur mit faustdicken Erklärungen tarnen könne.«

[557] Ich darf noch erläutern und bemerken, Schniewind war hoher Beamter des Reichswirtschaftsministeriums, hatte also unmittelbar unter Schacht mit ihm zusammengearbeitet.


[Zum Zeugen gewandt:]


Es ist des weiteren von der Anklage Bezug genommen worden auf ein Affidavit von Tilly, daß Sie zugegeben hätten, daß Sie Hitler Angriffsabsichten zutrauten. Wollen Sie sich speziell auch hierzu äußern?

SCHACHT: Das Affidavit des britischen Majors Tilly ist völlig korrekt. Ich habe Major Tilly in der Voruntersuchung gesagt, daß ich im Jahre 1938, im Laufe der Ereignisse der Affäre Fritsch und der Folgezeit zur Überzeugung gekommen wäre, daß Hitler jedenfalls nicht unter allen Umständen einen Krieg vermeiden würde, möglicherweise sogar nach einem Krieg strebte; ich hätte mir dann rückschauend eine Reihe von Äußerungen Hitlers überlegt und hätte mich nach dem Grunde gefragt, warum wohl Hitler im Laufe der Jahre zu einer solchen Überzeugung gekommen sei, daß er einen Krieg eventuell nicht vermeiden würde, und habe als die Begründung, die ich hierzu fand, Major Tilly gesagt, mein Eindruck rückschauend sei gewesen, daß Hitler in die Rolle hineingeraten sei, die einem jeden Diktator, der nicht rechtzeitig von seiner Macht zurücktreten wolle, notwendigerweise beschieden sein müsse, daß er nämlich seinem Volke gegenüber mit irgendeiner Siegergloriole aufwarten müsse und daß das wohl die gedankliche Entwicklung bei Hitler gewesen sei.

DR. DIX: Also dieselben Erklärungen, die der Fürst Metternich über Napoleon seinerzeit gegeben hat?

Nun, Sie bemerkten jetzt schon parenthetisch, daß der erste Verdacht Ihnen mit der Fritsch-Affäre ge kommen wäre. Der Zeuge Gisevius hat diese Fritsch-Affäre eingehend dem Tribunal geschildert. Wir wollen nichts wiederholen. Ich bitte Sie deshalb, zu der Fritsch-Affäre nur das zu bekunden, was Sie zu ihr über die Aussage Gisevius hinaus oder abweichend von dieser Aussage zu sagen haben.

Wenn das allerdings länger dauert – was ich nicht weiß – würde ich dem Gericht den Vorschlag machen, jetzt die Pause einzuschalten, wenn es will.


SCHACHT: Ich habe eine ganz kurze Bemerkung dazu.


DR. DIX: Es ist eine kurze Bemerkung. Machen Sie Ihre Antwort zu dieser Frage kurz.


VORSITZENDER: Ja, wenn er es kurz machen kann, hätten wir es lieber jetzt.


[558] SCHACHT: Eine einzige Bemerkung, die ich hinzufügen möchte. Die Schilderung, die Gisevius von dem Verlauf der Affäre Fritsch gegeben hat, ist nach meiner Kenntnis und nach meinem Miterleben völlig korrekt in allen Einzelheiten. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Ich kann sie nur bestätigen. Dagegen möchte ich auf eine Rede von Hitler hinweisen, die er am 20. Februar 1938 im Reichstag gehalten hat und wo eine Bemerkung darin enthalten ist, die mir auch damals bereits sehr aufgefallen ist. Er sagt nämlich darin, und ich zitiere diese Rede nach den »Dokumenten der deutschen Politik«, die hier ja in allen Exemplaren vorgelegen hat.

Die Veränderungen im Reichskabinett und in der Militärverwaltung vom 4. Februar, die also anschließend an die Affären Blomberg und Fritsch vorgenommen waren, bezweckten jene Verstärkung

»unserer militärischen Machtmittel in kürzester Zeit..., die die allgemeinen Zeitumstände heute angezeigt sein lassen.«

Auch diese Bemerkung hat mich bestärkt in meiner Auffassung, daß hier jetzt die Wendung von einer friedlichen zu einer militärischen Politik bei Hitler offensichtlich wurde; und ich wollte den Hinweis auf diese Bemerkung nicht unterlassen, um das Bild, was Gisevius hier gegeben hat, zu vervollständigen.

DR. DIX: Das ist Exhibit Nummer 28 unseres Dokumentenbuches. Es ist auf Seite 81 des englischen, auf Seite 74 des deutschen Textes. Da ist diese Stelle zitiert.

VORSITZENDER: Sehr gut. Wir machen jetzt eine Pause von zehn Minuten.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. DIX: Es ist nun hier von verschiedenen Sitzungen die Rede gewesen, in denen Hitler sich über seine Kriegsabsichten direkt oder indirekt geäußert haben soll. Haben Sie an solchen Sitzungen teilgenommen?

SCHACHT: An keiner einzigen.


DR. DIX: Sie waren, wie Sie bekundet haben, in vielen Dingen anderer Ansicht als Hitler und die Partei. Haben Sie dies zum Ausdruck gebracht oder haben Sie sich den Anordnungen Hitlers immer gefügt? Können Sie insbesondere Belege geben für Ihre kritische Haltung zum Beispiel in der Judenfrage, in der Kirchenfrage, in der Gestapofrage, Freimaurerfrage und so weiter?


SCHACHT: Ich darf vorausschicken, daß mir Hitler niemals irgendeinen Befehl oder eine Anweisung gegeben hat, die gegen meine Auffassung sprechen würde oder gesprochen hätte, und daß ich auch niemals irgend etwas getan habe, was gegen meine innere Überzeugung sprach. Ich habe von Anfang an auch Hitler persönlich [559] gegenüber, nicht nur meinen Freunden und weiteren Parteikreisen, sondern auch der ganzen Öffentlichkeit gegenüber aus meiner Überzeugung in all den Fragen, die Sie hier eben genannt haben, kein Hehl gemacht.

Ich habe bereits hier einmal ausgesprochen, daß ich schon nach der Parteibereinigung vom 30. Juni 1934 Hitler auf das Ungesetzliche seines Handelns aufmerksam gemacht habe.

Ich berufe mich des weiteren auf ein Dokument, welches leider von der Anklagebehörde hier nur zur Hälfte vorgebracht worden ist. Es handelt sich um einen schriftlichen Bericht, den ich am 3 Mai 1935 Hitler persönlich übergeben habe. Ich erinnere mich dieses Datums deshalb sehr genau, weil es auf einer Probefahrt des Lloyd-Dampfers »Scharnhorst« war, die Hitler sowohl wie ich mitmachte.

Ich habe ihm an diesem Tage zwei zusammenhängende Memoranden überreicht, die gewissermaßen zusammen eine Einheit bildeten. In der einen Hälfte handelte es sich darum, daß ich die wilden und fortgesetzten Geldsammlungen der verschiedensten Parteiorganisationen abstoppen wollte, weil es mir schien, daß das Geld nicht für Parteizwecke, insbesondere für Parteieinrichtungen, Parteibauten und dergleichen, verwendet werden sollte, sondern daß wir dieses Geld notwendig brauchten für die Staatsausgaben, die zu bezahlen waren, unter denen selbstverständlich auch die Rüstungsfrage war.

Die zweite Hälfte dieses Berichtes handelte von den kulturellen Fragen. Die Verteidigung und ich haben uns seit Monaten bemüht, diese zweite Hälfte des Dokuments von der Prosecution zu erhalten, nachdem sie die erste Hälfte dieses Dokuments hier als Beweisstück eingeliefert hat. Es ist nicht möglich gewesen, diese zweite Hälfte zu erhalten. Ich muß mich deshalb darauf beschränken, ihren Inhalt hier mitzuteilen.

Ich schicke voraus, daß ich selbstverständlich alle solche Vorhaltungen über die falsche Rechts- und Kulturpolitik der Partei und Hitler immer nur vorbringen konnte mit einer Begründung, die aus meinem Ressort herauskam, denn nur das gab mir die Legitimation, diese Dinge vor Hitler zu bringen. Ich habe deshalb ausgeführt, daß meine Außenhandelspolitik auf das schwerste geschädigt würde durch die willkürliche und inhumane Kultur- und Rechtspolitik, die Hitler betrieb. Ich habe insbesondere auf die Anfeindung der Kirchen verwiesen, ich habe insbesondere verwiesen auf die ungesetzliche Behandlung der Juden und habe weiter insbesondere verwiesen auf die absolute Ungesetzlichkeit und Willkür des ganzen Gestapo-Regimes. Ich erinnere mich dabei, daß ich auf die englische Habeas Corpus-Akte verwiesen habe, die Jahrhunderte zurück die [560] Rechte der Persönlichkeit schützte und daß ich wörtlich zum Ausdruck gebracht habe, daß ich diese Gestapowillkür für etwas hielte, was uns in der ganzen Welt verächtlich mache.

Hitler hat die beiden Teile dieser Denkschrift sofort an Bord der »Schamhorst« gelesen, bat mich sofort, nachdem er sie gelesen hatte, zu sich und hat versucht, mich zu beruhigen mit ähnlichen Ausführungen, wie er sie im Juli 1934 schon zu mir gemacht hatte, daß das noch Übergangserscheinungen einer revolutionären Entwicklung seien und daß sich das im Laufe der Zeit schon einrenken und verlieren würde.

Ich war aber durch die Vorgänge vom Juli 1934 gewitzigt und habe mich infolgedessen bei dieser Aufklärung nicht beruhigt, sondern ich habe wenige Wochen darnach, am 18. August 1935, einen Besuch auf der Ostmesse in Königsberg dazu benutzt, um in der Ansprache, die ich dort zu halten hatte, auf diese Dinge zurückzukommen, und ich habe hier in aller Deutlichkeit die gleichen Einwände erhoben, die ich anfangs Mai Hitler auf der »Schamhorst« persönlich gemacht hatte.

Ich bemerke, daß ich hier nicht nur von der Kirchenfrage, von der Judenfrage, von der Willkürfrage, sondern auch von der Freimaurer-Behandlung gesprochen habe, und ich zitiere mit Erlaubnis des Gerichts nur wenige Sätze aus dieser Rede. Sie sind ganz kurz. Ich spreche dann von Leuten, und jetzt zitiere ich...


DR. DIX: Einen Moment. Ich will nur dem Gericht sagen, das ist diese Königsberger Rede, die ich heute früh als Dokument überreicht habe.


SCHACHT: Ich spreche hier von Leuten, und nun zitiere ich:

»...Leute, die nächtlicherweise heldenhaft Fensterscheiben beschmieren, die jeden Deutschen, der in einem jüdischen Geschäft kauft, als Volksverräter plakatieren, die alle ehemaligen Freimaurer für Lumpen erklären und die, im berechtigten Kampfe gegen politisierende Pfarrer und Kapläne nun ihrerseits die Unterscheidung zwischen Religion und Kanzelmißbrauch nicht machen können...«

Und einen anderen Satz. Ich zitiere:

»Nach wie vor ist nach dem Stande der Gesetzgebung, wie nach den verschiedensten Erklärungen des Stellvertreters des Führers, des Reichsministers des Innern und des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda (vom Wirtschaftsministerium ganz zu schweigen), den jüdischen Geschäften die Ausübung ihrer geschäftlichen Tätigkeit gestattet.«

[561] Und dann ein letzter Satz. Ich zitiere:

»Niemand in Deutschland ist rechtlos. Nach Punkt 4 des nationalsozialistischen Programms kann der Jude weder Staatsbürger noch Volksgenosse sein. Aber Punkt 5 des Parteiprogramms sieht auch für ihn eine Gesetzgebung vor das heißt er darf nicht der Willkür unterstehen, sondern dem Gesetz.«

Ich habe diese gleiche Haltung bei jeder sich bietenden weiteren Gelegenheit eingenommen.

DR. DIX: Einen Moment. Dr. Schacht, hat sich denn das Regime diese Rede ohne weiteres gefallen lassen?

SCHACHT: Es ist gut, daß Sie mich daran erinnern, weil im Verlauf der Zeugenaussage Gisevius bezüglich der Marburger Rede des Herrn von Papen über dieselbe Frage gesprochen wurde Da meine Reden vorher nicht der Zensur unterlegen waren – das hätte ich mir selbstverständlich nicht gefallen lassen –, so ging diese Rede, aus Versehen sozusagen, über den Deutschlandsender. Dadurch wurde der Propagandaminister Goebbels auf diese Rede aufmerksam und er erließ unmittelbar danach das Verbot, diese Rede in den Zeitungen wiederzugeben. Infolgedessen ist diese Rede zwar über den Deutschlandsender gelaufen, ist aber in keiner Zeitung nachgedruckt worden. Da nun die Reichsbank glücklicherweise über eine eigene Druckerei verfügte, die selbstverständlich der Zensur nicht unterlag, so habe ich diese Rede in der Reichsbankdruckerei drucken lassen, und sie ist dann in 250000 Exemplaren über die 400 Reichsbankfilialen im Lande über das ganze Land verbreitet worden und wurde auf diese Weise in der ganzen Bevölkerung bekannt.


DR. DIX: Bitte schön, Sie wollten fortfahren?


SCHACHT: Ich wollte fortfahren, daß ich bei allen sich bietenden kommenden Gelegenheiten, die ich geradezu gesucht habe, immer wieder auf diese Punkte zurückgekommen bin. Ich möchte nur zwei Dinge hier noch berühren.

Ich habe heute früh schon in dem Brief, den ich am 24. Dezember 1935 dem Reichskriegsminister schrieb, auf diese Dinge hingewiesen (Dokument EC-293) und möchte hier nur noch die Worte hinzufügen und auf sie aufmerksam machen, die ich jetzt zitiere:

»Die wirtschafts- und rechtspolitische Behandlung der Juden, die antikirchliche Bewegung gewisser Parteiorganisationen und die Rechtswillkür, die sich um die Gestapo herumgruppiert, bilden eine Beeinträchtigung unserer Rüstungsaufgabe...«

Am 12. Mai 1936 erweist sich aus einem Sitzungsprotokoll des sogenannten Kleinen Ministerrates, welches hier von der Anklage [562] als Beweisstück eingereicht worden ist, wiederum dieselbe Haltung. Es heißt in diesem Protokoll, ich zitiere:

»Dr. Schacht hat immer wieder offen betont, man müsse eine Kultur- und Rechtspolitik treiben, welche die Wirtschaft in Ruhe läßt.«

Ich bemerke hierzu, daß ich natürlich immer wieder als Wirtschaftsminister meine Legitimation an diesen Stellen des Wirtschaftsministers angeknüpft habe. Und als letztes Beispiel neben vielen anderen, die ich heute hier nicht beibringen kann, eine Ansprache bei einer Lehrlingsfeier der Handwerkerlehrlinge im Rahmen der Berliner Handwerkerkammer am 11. Mai 1937, Beweisstück Nummer 30. Dort habe ich folgendes ausgeführt. Ich zitiere:

»Kein Gemeinwesen und vor allem kein Staat gedeiht, der nicht auf Gesetzlichkeit, Ordnung und Disziplin aufgebaut ist.«

Und ein zweiter Satz, ich zitiere:

»Darum sollt Ihr nicht nur selbst Recht und Gesetz achten, sondern Ihr sollt auftreten wider Ungerechtigkeit und Gesetzlosigkeit überall, wo Ihr ihnen begegnet.«

Auf diese Weise und weil diese Haltung immer wieder nicht nur im engeren Kreise bekannt wurde, sondern ich ungeniert bei jeder möglichen öffentlichen Gelegenheit diese Haltung zum Ausdruck gebracht habe, resultiert es, daß mich vor einigen Wochen hier der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Abteilung III, Sicherheitsdienst, der Zeuge Ohlendorf, auf Befragen hier als Parteifeind bezeichnet hat, mindestens seit dem Jahre 1937/1938; und ich glaube, der Chef des Sicherheitsdienstes, Abteilung Inland, mußte es wissen, denn ihm oblag die Bekämpfung der innerpolitischen Gegner.

DR. DIX: Ich darf darauf hinweisen, daß diese Ausführungen in der Sitzung des Kleinen Ministerrats vom 12. Mai 1936 auch in meinem Dokumentenbuch enthalten sind, Schacht Exhibit Nummer 20, Seite 57 des englischen Textes und Seite 51 des deutschen Textes.

Und was die Ansprache Schachts an die Industrie-und Handelskammer anlangt vom 12. Mai 1937...


SCHACHT: Handwerkerkammer.

DR. DIX: [zum Zeugen gewandt] Ich komme nachher nochmal darauf zurück, wenn ich die richtige Urkunde habe. Ich fahre jetzt fort.

Über Ihre Teilnahme an den Reichsparteitagen haben wir gesprochen, und ich möchte noch ergänzend fragen: Haben Sie sich an sonstigen Parteiveranstaltungen beteiligt?


[563] SCHACHT: Ich erinnere mich nicht, jemals an irgendeiner anderen Parteiveranstaltung teilgenommen zu haben.


DR. DIX: Nun enthält die Anklageschrift wörtlich, sozusagen als Tenor, folgenden Satz: Es wird Ihnen zum Vorwurf gemacht, Ihren persönlichen Einfluß und Ihre enge Verbindung mit dem Führer ausgenutzt zu haben zu dem bekannten Zweck. Hatten Sie nach Ihrer Erfahrung und besten Überzeugung irgendwelchen Einfluß auf den Führer?


SCHACHT: Ich für meine Person habe einen Einfluß auf die Betätigung und auf die Entschließungen des Führers leider niemals gehabt. Ich habe einen Einfluß gehabt lediglich insofern, als er mich in meiner speziellen Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht zu stören wagte. Im übrigen ist über die Einflußlosigkeit sämtlicher Mitglieder der Umgebung Hitlers von den verschiedensten Zeugen hier so viel gesagt worden, daß ich glaube, die Zeit des Gerichts nicht auch damit noch weiter belasten zu sollen.


DR. DIX: Das letzte, was Sie sagten, gilt im wesentlichen auch für die Frage, wer Einfluß hatte, für die Frage des Einflusses des Reichskabinetts, für die letzten Tagungen des Reichskabinetts und so weiter. Es sind ja von den verschiedensten Zeugen hierzu schon Bekundungen gemacht worden. Haben Sie da irgend etwas Neues hinzuzufügen?


SCHACHT: Ich kann nur im allgemeinen hinzufügen, daß das Reichskabinett nicht den leisesten Einfluß auf Hitler hatte und daß es ja vom November 1937 an – wie hier wiederholt bekundet worden ist – überhaupt nicht mehr zu Beratungen zusammengetreten ist. Das Reichskabinett war eine untereinander unzusammenhängende Gruppe politisch impotenter und fachlich durchaus ungeeigneter Fachminister.


DR. DIX: Ich hole nach, die Nummer der Rede vor der Handwerkerkammer ist Exhibit Nummer 30, Seite 89 des englischen Textes und Seite 82 des deutschen Textes.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wie stand es nun mit der Rüstung? Wessen Willen war denn nun für den Umfang der Rüstung speziell ausschlaggebend oder maßgebend?

SCHACHT: Dafür habe ich keinerlei Anhaltspunkte. Aber ich zweifle nicht, daß auch hier der alleinige Wille Hitlers ausschlaggebend und maßgebend war.

DR. DIX: Sie hatten also gar keinen anderen Einfluß als denjenigen des kreditgebenden Geldgebers?


SCHACHT: Innerhalb meines Ressorts, soweit ich diese Ressorts verwaltet habe, habe ich nichts getan, was ich nicht selbst auch verantwortet hätte.


[564] DR. DIX: Haben Sie repräsentativen Ausländern gegenüber auf Ihre Einflußlosigkeit auf Hitler hingewiesen?


SCHACHT: Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an eine Unterhaltung mit dem Botschafter Bullitt im November 1937. Diese Unterhaltung mit Ambassador Bullitt ist ja schon im anderen Zusammenhang früher berührt worden, und das Memorandum des Ambassadors Bullitt liegt ja in seinem Wortlaut als Beweisstück der Anklage dem Gericht vor. Ich verweise aus seinem Inhalt lediglich auf den Satz, der sich auf mich bezieht. Ich zitiere:

»Er« – das heißt Schacht – »leitete seine Äußerungen mit den Worten ein, daß er heute selbst ›gänzlich ohne Einflüsse auf den Mann‹ sei, nämlich Hitler. Er schien sich als politisch erledigt zu betrachten und wenig Respekt vor dem Mann zu haben.«

Das ist also gesagt im November 1937. Ich verweise aber, wenn ich noch bitten darf, das noch hinzufügen zu dürfen, darauf, daß über meine Stellung und meine ganze Tätigkeit innerhalb der Leitung der öffentlichen Geschicke Deutschlands meine ausländischen Freunde, wie ich vorhin schon einmal erwähnt habe, ständig unterrichtet worden sind. Es wird sich dieses bei späteren Gelegenheiten wohl noch an dem einen oder anderen Beispiel erweisen.

DR. DIX: Ich überreiche das heute früh als Exhibit Nummer 22, Seite 64 des englischen Textes.


[Zum Zeugen gewandt:]


Nur noch einige spezielle Fragen, was Ihr Ressort als Wirtschaftsminister angeht. Sie haben schon Bekundungen über die Beschaffung von ausländischen Rohstoffen gemacht, beziehungsweise entsprechende Stellen zitiert. Konnten diese nicht durch inländische Erzeugnisse nach Ihrer Auffassung ersetzt werden?

SCHACHT: Ein Teil solcher Rohstoffe konnte sicherlich durch inländische Erzeugnisse ersetzt werden. Wir haben ja in der Zwischenzeit gelernt, eine ganze Reihe neuer Werkstoffe, die wir früher nicht kannten,...

DR. DIX: Kurz machen.

SCHACHT:... auf synthetischem Wege zu produzieren. Aber ein großer Teil konnte auch nicht ersetzt werden, sondern konnte nur im Wege des Außenhandels beschafft werden.


DR. DIX: Wie standen Sie zur Frage der Autarkie?


SCHACHT: Zur Frage der Autarkie habe ich so gestanden, daß, wenn mit vernünftigen Kosten, also ohne übergroßen Aufwand, der ja nur eine Verschwendung deutschen Volksvermögens und deutscher Arbeitskraft bedeutet hätte, gewisse Ersatzstoffe in Deutschland produziert werden konnten, man dies ruhig tun solle, daß [565] aber im übrigen die Aufrechterhaltung des Außenhandels aus wirtschaftlichen Gründen eine absolute Notwendigkeit sei: daß sie aber noch mehr eine Notwendigkeit sei aus Gründen des internationalen kulturellen Verkehrs und des Zusammenlebens der Völker. Eine Isolierung der Völker voneinander habe ich stets als ein großes Unglück angesehen und ich habe den Handel in erster Linie als eines der Mittel angesehen, um international zusammenzukommen.


DR. DIX: Wer war denn der Exponent des Autarkiegedankens innerhalb der Reichsregierung?


SCHACHT: Soweit mir bekannt ist, ist der ganze Gedankengang der Autarkie, der sich ja im Vierjahres plan dann nach außen hin herausgestellt hat, immer nur von Hitler gewesen, und nach der Beauftragung der Leitung des Vierjahresplans an Göring hat dann auch Göring selbstverständlich diese Linie vertreten.


DR. DIX: Haben Sie Ihre gegenteiligen Ansichten Göring und Hitler gegenüber zum Ausdruck gebracht?


SCHACHT: Ich glaube, es ergibt sich aus dem Protokoll, daß ich das bei jeder Gelegenheit getan habe.


DR. DIX: Eine Frage nebenbei. Sie werden sich erinnern, daß Göring ausgerufen hat:

»So möchte ich fragen, wo die Neinsager sind.«

Nun möchte ich Sie fragen: Nehmen Sie diesen Ehrentitel des Neinsagers für sich in Anspruch? Ich erinnere insbesondere an Ihren Brief vom November 1942.

SCHACHT: Ich habe in jedem Augenblick, wo ich nicht mehr in die Lage kam, etwas zu tun, was meiner inneren Überzeugung entsprach, nein gesagt. Ich habe mich mit den vielfachen Mißbräuchen der Partei gegenüber oder die von der Partei ausgingen, nicht mit Stillschweigen begnügt, sondern in jedem Falle mich gegen diese Mißbräuche geäußert, persönlich, privat und dienstlich und öffentlich. Ich habe gegen alle diese Dinge nein gesagt. Ich habe die Kredite gesperrt, ich habe mich einer übermäßigen Aufrüstung widersetzt. Ich habe gegen den Krieg mich ausgesprochen und Schritte zur Verhinderung des Krieges unternommen. Ich wüßte nicht, wem dieser Ehrentitel des Neinsagers sonst noch zukäme, wenn nicht mir.

DR. DIX: Hatten Sie nicht Hitler auch den Treueid geleistet?


SCHACHT: Ich habe deinen Treueid auf einen gewissen Herrn Hitler geleistet. Ich habe einen Treueid geleistet auf Adolf Hitler als Staatsoberhaupt des deutschen Volkes, und genau so, wie ich einen Treueid nicht dem Kaiser geleistet habe und nicht Herrn Präsidenten Ebert oder Herrn Präsidenten Hindenburg geleistet [566] habe, außer in ihrer Eigenschaft als Staatsoberhaupt, so habe ich auch Adolf Hitler keinen anderen Eid geleistet; der Eid den ich dem deutschen Staatsoberhaupt geleistet habe, gilt nicht der Person dieses Staatsoberhauptes, sondern gilt demjenigen, was er repräsentiert, dem deutschen Volk. Ich darf vielleicht in diesem Zusammenhang noch einiges hinzufügen, ich halte einem Meineidigen niemals einen Treueid, und Hitler hat sich als ein hundertfältiger Meineidiger erwiesen.


DR. DIX: Göring bekundete ja nun sehr eingehend über den Vierjahresplan, seinen Ursprung, seine Vorbereitung, seine sachliche Gegensätzlichkeit zu Ihnen, was Sie für Konsequenzen aus dieser Gegensätzlichkeit gezogen haben. Wir wollen es deshalb kurz machen, nur Neues sagen, wenn Sie etwas zu sagen haben. Haben Sie diesen Göringschen Ausführungen irgend etwas hinzuzufügen oder weichen Sie ab in Ihren Erinnerungen oder Ansichten?


SCHACHT: Ich habe aus der Göringschen Darstellung entnommen, daß er die Verhältnisse durchaus richtig geschildert hat und habe meinerseits nichts mehr hinzuzufügen, wenn Sie nicht noch etwas Besonderes haben wollen.


DR. DIX: Wann erkannte denn nun Hitler nach Ihrer Erfahrung und nach Ihrem Eindruck, daß Sie ein Hindernis für eine schnelle und umfangreiche Aufrüstung waren? Und erkannte er Ihre wirtschaftlichen Gründe an, gab er sich also mit Ihrer Politik zufrieden oder nicht?


SCHACHT: Ich habe damals im Jahre 1936, als der Vierjahresplan im September eingeführt wurde, nicht erkennen können, welche innere Einstellung Hitler zu mir hatte in diesen wirtschaftspolitischen Fragen.

Ich bemerke, daß sein allgemeines Mißtrauen gegen mich seit der Königsberger Rede im August 1935 feststand. Aber wie er zu meiner wirtschaftspolitischen Tätigkeit stand, habe ich im Jahre 1936 noch nicht genau übersehen können Daraus, daß ich an den Vorarbeiten des Vierjahresplans überhaupt nicht beteiligt gewesen bin, sondern ihn als eine Überraschung in der Parteitagung erfuhr, ferner daraus, daß, mir völlig unerwartet, zum Leiter des Vierjahresplans plötzlich Hermann Göring ernannt wurde und nicht der Wirtschaftsminister, was ich erst auf dem Parteitag im September 1936 erfuhr: aus diesen Tatsachen entnahm ich natürlich, daß Hitler mir in wirtschaftspolitischer Beziehung hinsichtlich der ganzen Rüstung nicht das Vertrauen entgegenbrachte, was er fordern zu müssen glaubte. Es ist mir aber nachträglich hier im Gefängnis durch den Mitangeklagten Speer eine Denkschrift gezeigt worden, die der Angeklagte Speer bei Übernahme seines Ministerpostens von Hitler erhalten hat und die sich merkwürdigerweise mit dem Vierjahresplan und mit meiner Tätigkeit sehr ausführlich befaßt [567] und aus dem August 1936 stammt. Im August 1936 hat also Hitler eigenhändig diese Denkschrift diktiert, die ich jetzt in der Gefangenschaft von dem Mitangeklagten Minister Speer gezeigt bekommen habe, und ich nehme an, daß, wenn ich hieraus eine Reihe von kurzen Zitaten, die ich vorlesen werde, wenn Sie gestatten...


DR. DIX: Darf ich das Gericht noch aufklären. Diese Denkschrift haben wir in der Originalkopie vor etwa drei Wochen liebenswürdigerweise durch die Vermittlung der Prosecution von dem Lagerkommandanten in »Dustbin« bekommen. Wir haben sie dann zur Übersetzung gegeben, um sie jetzt vorlegen zu können. Die Übersetzung ist nicht fertig geworden. Ich werde diese gesamte Schrift dann in einer neuen Exhibitnummer nachholen.


VORSITZENDER: Ist diesbezüglich schon ein Antrag gestellt worden?


DR. DIX: Es ist kein Antrag gestellt worden bisher, ich wollte..


VORSITZENDER: Was ist das für ein Memorandum? Wer hat es entworfen?


DR. DIX: Um Hitlers Memorandum vom Jahre 1936, von dem drei Kopien existieren, von denen eine sich in dem Lager »Dustbin« befand. Diese Kopie ist vor 14 Tagen oder vor 3 Wochen hier eingelangt, nachdem wir uns über unsere Dokumentenbücher mit der Prosecution auseinandergesetzt und hier diskutiert hatten: ich wollte dann diese Hitler-Denkschrift heute vorlegen in der Übersetzung. Gleichzeitig darf ich bitten, dies als Beweismittel zuzulassen, bin hierzu aber nicht in der Lage, weil die Übersetzung nicht fertig ist. Es wurde sogar meinem Herrn Kollegen, Professor Kraus gesagt, sie wäre verlegt worden.


VORSITZENDER: Dr. Dix! Lassen Sie den Angeklagten fortfahren, und Sie können das Dokument als Beweismittel und eine Übersetzung später vorlegen.


DR. DIX: Sehr gut. Der Angeklagte hat eine Abschrift davon und wird die wichtigen, sehr kurzen Stellen dem Gericht verlesen.


SCHACHT: Ich zitiere ganz kurze Stellen. In dieser Denkschrift sagt Hitler unter anderem. Ich zitiere wörtlich:

»Es ist vor allem nicht die Aufgabe staatlich-wirtschaftlicher Einrichtungen, sich den Kopf über Produktionsmethoden zu zerbrechen. Dies geht das Wirtschaftsministerium gar nichts an.«

Das Wirtschaftsministerium stand unter meiner Leitung, es ist also ein Vorwurf gegen mich.

Ein weiteres Zitat:

»Es ist weiter notwendig, die deutsche Eisenproduktion auf das außerordentlichste zu steigern. Der Einwand, daß [568] wir nicht in der Lage seien, aus dem deutschen Eisenerz mit 26 Prozent Gehalt ein ähnliches billiges Roheisen zu erzeugen wie aus den 45prozentigen Schweden-Erzen und so weiter, ist belanglos... Der Einwand aber, daß in dem Fall die ganzen deutschen Hochöfen umgebaut werden müßten, ist ebenfalls unbeachtlich, und vor allem geht das das Wirtschaftsministerium nichts an.«

Ich hatte ausgeführt, wie aus dieser Sache hervorgeht, daß man aus 26prozentigem Erz nur mit doppelten oder dreifachen Kosten den Stahl erzeugen könnte, den man aus 45prozentigen Erzen erzeugen kann und habe ferner gesagt, daß man zur Verarbeitung 26prozentigen Erzes ganz andere Anlagen braucht als zur Verarbeitung 45prozentigen Erzes. Herr Hitler erklärte, das geht das Wirtschaftsministerium, das heißt Herrn Schacht, gar nichts an.

Und ein letztes, ganz kurzes Zitat. Ich zitiere:

»Ich möchte dabei betonen, daß ich in diesen Aufgaben die einzige wirtschaftliche Mobilmachung sehe, die es gibt und nicht in einer Drosselung von Rüstungsbetrieben...«

Auch diese Äußerung wendet sich gegen meine Politik.

DR. DIX: Nun also, wir befinden uns jetzt in dieser Spannung sachlicher Gegensätze zu Hermann Göring, Spannungen mit Adolf Hitler hinsichtlich Ihrer Amtsführung als Wirtschaftsminister. Wie stand es zu jener Zeit nun mit Ihren Überlegungen, Ihr Amt als Wirtschaftsminister niederzulegen? Wie stand es mit Ihrer Entlassungsmöglichkeit? Ich bitte Sie, nicht das zu wiederholen, was uns Herr Lammers und auch andere über die Unmöglichkeit »niederzulegen« gesagt haben, sondern uns Ihren speziellen Fall und was Sie nun getan haben, darzustellen.

SCHACHT: Ich habe zunächst versucht, meine Wirtschaftspolitik weiterzuführen, trotzdem Göring mit der Leitung des Vierjahresplans im Laufe der Monate ganz selbstverständlich versuchte, möglichst viele wirtschaftspolitische Aufgaben an sich zu reißen.

Ich habe aber den ersten Augenblick, wo Göring in meine Rechte als Wirtschaftsminister eingriff, benutzt, um meine Entlassung als Wirtschaftsminister zu erzwingen. Das war Anfang August 1937. Ich habe das damals ganz kurz Hitler gegenüber begründet, indem ich sagte, wenn ich die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik tragen soll, dann will ich auch das Kommando haben. Wenn ich aber das Kommando nicht habe, so wünsche ich auch keine Verantwortung zu übernehmen. Der Kampf um meine Entlassung, der von mir zum Teil mit sehr drastischen Maßnahmen geführt worden ist, hat ungefähr zweieinhalb Monate gedauert, bis sich dann schließlich Hitler entschließen mußte, wenn der Konflikt nicht noch stärker als schon geschehen in die Öffentlichkeit treten sollte, mir die nachgesuchte Entlassung zu bewilligen.


[569] DR. DIX: Meinen Sie unter drastischen Formen den sogenannten Sitzstreik Ihrer Person?


[Zum Gerichtshof gewandt:]


In diesem Zusammenhang darf ich dem Gericht überreichen Exhibit Nummer 40 meines Dokumentenbuches, eine eidesstattliche Versicherung auch eines früheren Mitarbeiters Dr. Schachts im Reichswirtschaftsministerium, eines gewissen Kammerdirektors Dr. Asmis. Das ist in der englischen Ausgabe Seite 180 nur ein kurzer Passus aus dieser langen eidesstattlichen Versicherung.

Ich zitiere.

»Als das ohne Erfolg blieb« – nämlich sein Kampf – »und die Entwicklung auf dem von ihm als falsch erkannten Wege immer weiterging, hat er« – nämlich Schacht – »im Herbst 1937, also lange vor Kriegsbeginn, als aufrechter Mann die Konsequenz daraus gezogen und die Entlassung aus seinem Amte als Reichswirtschaftsminister und somit aus der Mitverantwortung betrieben. Eine normale Amtsabgabe war dabei für ihn offenbar nicht zu erreichen, da die Partei aus Prestigegründen seinen Namen brauchte. So blieb er im Herbst 1937 einfach längere Wochen hindurch den Räumen des Reichswirtschaftsministeriums fern. Er trat in den ›Sitzstreik‹, wie es scherzhaft im Ministerium hieß und ging dienstlich nur in die Räume der Reichsbank...«


VORSITZENDER: Herr Dix! Ist es notwendig, den Gerichtshof mit allen diesen Einzelheiten zu behelligen? Daß er zurücktrat, ist nicht strittig. Das einzige, was er erklären muß, ist, warum er weiter Minister geblieben ist. Beweismaterial über seinen Rücktritt und über den Konflikt zwischen ihm und dem Angeklagten Göring ist von der Anklagebehörde vorgelegt worden. Wozu müssen wir vor all diesen Einzelheiten hören, von diesem Sitzstreik und dergleichen? Das interessiert den Gerichtshof nicht.

DR. DIX: Er ist nicht Minister geblieben damals. Er ist gegangen als Minister.


VORSITZENDER: Ich dachte, er sei bis 1943 Minister geblieben


DR. DIX: Minister ohne Portefeuille, jawohl.


VORSITZENDER: Ich habe ja nicht Minister mit Portefeuille gesagt, ich habe nur Minister gesagt.


DR. DIX: Ja, es ist ein Unterschied, aber ich werde darauf später zu sprechen kommen. Ich habe verstanden aktiver Minister, aber ich will darauf jetzt keinen Wert legen. Es war ein Mißverständnis. Ich bin damit auch schon am Ende. Es war nur, um zu illustrieren, wie schwer es war, die Entlassung durchzusetzen.


[570] [Zum Zeugen gewandt:]


Nun kommen wir zu der Art, wie Sie entlassen wurden. Haben Sie hier den Bekundungen von Lammers irgend etwas hinzuzufügen oder nicht?

SCHACHT: Ich glaube, wir sollten eine Mitteilung doch dem Gericht machen, die mir jedenfalls von dem Mitangeklagten Speer hier in der Gefangenschaft zu gegangen ist. Der Zeuge war zumindest Ohrenzeuge der Auseinandersetzung zwischen Hitler und mir in der entscheidenden Besprechung, wo ich meine Entlassung durchsetzte.

Wenn das Gericht erlaubt, lese ich es ganz kurz vor. Es handelt sich um zwei oder drei Sätze. Herr Speer hat mir folgendes mitgeteilt; ich zitiere:

»Ich war auf der Terrasse des Berghofs auf dem Obersalzberg und wartete darauf, meine Baupläne vorlegen zu können. Im Sommer 1937, als Schacht auf den Berghof kam...«


JUSTICE JACKSON: Speer ist im Saale anwesend. Die Zeugenaussage eines Angeklagten über ein Gespräch mit einem anderen Angeklagten ist ein sehr bequemer Weg, eine Aussage ohne Kreuzverhör zu erhalten. Aber die Methode erscheint mir im höchsten Maße anfechtbar.

Ich erhebe dagegen Einspruch, weil es keinen Beweiswert hat, über ein Gespräch dieser Art auszusagen, wenn der Angeklagte Speer im Gerichtssaal anwesend ist, vereidigt werden kann und selbst aussagen kann. Er sitzt hier und steht zur Verfügung.


VORSITZENDER: Worum handelt es sich bei dieser Unterhaltung?


DR. DIX: Gegenstand dieser Besprechung ist eine Angelegenheit, welche den Angeklagten Schacht an geht, nämlich eine Äußerung Hitlers über Schacht. Es ist keine Angelegenheit, die den Angeklagten Speer angeht. Deshalb würde ich es an sich für sachdienlich halten, da es sich um eine Angelegenheit Schachts handelt, wenn er darüber Bekundungen machen könnte; nur würde ich allerdings es für richtiger halten, daß er nicht verliest, was ihm Speer geschrieben hat, sondern daß er diesen Vorfall betreffend Hitler und Schacht nur dem Tribunal bekundet und nur sagt: »Das habe ich von Speer erfahren«, das scheint mir besser, als die Sache...


VORSITZENDER: Gut, Herr Dr. Dix, Sie können es vorbringen.


DR. DIX: [zum Zeugen gewandt] Dann bitte verlesen Sie nicht, sondern erzählen Sie den Vorfall in der Form, daß Sie sagen, Sie haben es von Speer.


JUSTICE JACKSON: Das scheint mir sogar noch anfechtbarer als eine schriftliche Erklärung von Speer. Wenn wir schon Speers [571] Aussage haben müssen, so soll es zumindest Speers Aussage sein und nicht die Wiederholung eines Gesprächs der beiden Angeklagten. Wenn Speer eine schriftliche Aussage gemacht hat, so kann sie uns auf dem üblichen Weg überreicht werden.

Es ist dies nun das zweite Dokument, in das wir nicht Einsicht nehmen konnten, bevor hier davon Gebrauch gemacht wurde. Mir scheint, daß, wenn dies ein von Speer unterzeichnetes Dokument ist – und das ist es nicht, wie ich verstehe –, wenn es das ist, dann ist es etwas anderes. Wir können es dann sehen, und vielleicht kann es benutzt werden. Wenn es eine Unterhaltung ist, so würde ich Speers Darstellung vorziehen.


DR. DIX: Darf ich noch etwas sagen? Die Verfahrensfrage ist für mich keine grundsätzliche. Gut, dann soll es zur Erörterung kommen, wenn Speer vernommen wird. Außerdem weiß ich nicht, ob Speer gerufen wird. Er wird wahrscheinlich gerufen werden. Praktisch besser ist es, wir hören es jetzt. Aber ich stelle es vollkommen anheim. Für mich ist es keine Kapitalfrage.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird das Beweisstück zulassen.


DR. DIX: [zum Zeugen gewandt] Also, ohne zu verlesen, sondern nur den Vorgang erzählen.


SCHACHT: Die Herren – und darunter Speer – auf der Terrasse haben diese Unterhaltung, die in sehr lautem Ton geführt wurde, mitangehört. Am Ende der Unterhaltung ist Hitler auf die Terrasse herausgekommen und hat bei dieser Gelegenheit...


VORSITZENDER: Einen Augenblick.


[Kurze Pause.]


Gut, Herr Dr. Dix, fahren Sie fort.

SCHACHT: Hitler ist nach Beendigung dieser Unterredung auf die Terrasse herausgekommen und hat zu seiner Umgebung, darunter auch Speer, gesagt, er habe eine sehr schwere Auseinandersetzung mit Schacht gehabt, er könne mit Schacht nicht zusammenarbeiten. Schacht störe seine Finanzpläne.

DR. DIX: Nachdem Sie nun als Wirtschaftsminister ausgeschieden waren, blieben Sie als Ressortchef mit einem Ressort zunächst Reichsbankpräsident. Ist nun Hitler oder der Reichsfinanzminister dann an Sie in Ihrer Eigenschaft als Reichsbankpräsident mit Kreditersuchen herangetreten?


SCHACHT: Nachdem die Reichsbank ihre Kredithilfe aufgegeben beziehungsweise beendet hatte am 31. März 1938, ist von dieser Zeit an natürlich das Verlangen nach Geld beim Reichsfinanzminister eindringlicheres geworden; er ist gegen Ende des Jahres in die Verlegenheit gekommen, daß er, ich glaube damals nicht einmal die [572] Beamtengehälter mehr aus der Kasse zahlen konnte. Er ist dann zu mir gekommen und hat mich gebeten, ihm einen Extrakredit zu geben. Die Reichsbank war nach ihren Gesetzen und Statuten berechtigt und in gewissem Sinn verpflichtet gewesen, aber eigentlich nur berechtigt, dem Reiche bis zu 400 Millionen Mark jährlich Kredit zu geben. Diese 400 Millionen Mark hatte der Reichsfinanzminister bekommen, und er verlangte darüber hinaus jetzt weitere Kredite. Diese Kredite hat ihm die Reichsbank abgelehnt, und der Reichsfinanzminister mußte sich an die Privatbanken wenden und hat damals von denen – alle Großbanken vereint – einen Kredit bekommen von einigen Hundert Millionen Mark. Die Reichsbank hat aber an diesem Kredit nicht mitgewirkt.


DR. DIX: Wenn Sie nun als Reichsbankpräsident diese Kredite ablehnten, lag es ja nahe, an eine Inanspruchnahme der Notenpresse zu denken. Ist Ihnen von Hitler oder von sonst einer Stelle zugemutet worden, die Notenpresse in Bewegung zu setzen?


SCHACHT: Ich bin nach den Ereignissen vom November 1938 noch einmal in London gewesen im Dezember zu einer Rücksprache über eine Finanzierung der jüdischen Auswanderung aus Deutschland in ordnungsgemäßer Weise, wozu ich meinerseits die Anregung gegeben hatte. Ich habe bei dieser Gelegenheit auch mit dem Premierminister Chamberlain gesprochen und kam am 2. Januar 1939 auf den Berghof nach Berchtesgaden, um Hitler über diese Dinge zu berichten. Bei dieser Gelegenheit kamen wir selbstverständlich auch auf die Finanznöte des Reiches zu sprechen. Ich lehnte nach wie vor Kredite an das Reich ab und verwies auf die ganze schwierige Finanzlage, die eine Einschränkung der Staatsausgaben, also auch der Rüstungsausgaben, notwendig machte oder notwendig machen sollte.

Ich verwies insbesondere darauf, daß anfangs Dezember die erste Rate der sogenannten Judenbuße, die nach der Ermordung des Herrn vom Rath in Paris den Juden auferlegt war und die mit 230 Millionen Mark anfangs Dezember einkassiert worden war, daß diese 250 Millionen Mark, diese erste Rate nicht vollständig in barem Gelde eingegangen sei, sondern daß der Reichsfinanzminister sich habe bequemen müssen, einen erheblichen Teil dieser Buße in Sachwerten, das heißt in Gegenständen, »in kind« wie der Engländer sagt, entgegenzunehmen, weil die Unmöglichkeit vorlag, dieses Geld flüssig zu machen für die Zahlung. Darauf antwortete mir Hitler:

»Aber auf diese Sachwerte kann man doch Notengeld ausgeben. Ich habe mir die ganze künftige Finanzgebarung sehr genau überlegt, und wenn ich nach Berlin zurückkehre in einigen Tagen, so werde ich mit Ihnen und mit dem Finanzminister gemeinsam meine Pläne besprechen.«

[573] Ich erkannte hieraus sofort, daß Hitler die Absicht hatte, nunmehr die Notenpresse für seine Finanzaus gaben, ob mit oder ohne Sachdeckung, jedenfalls gegen gewisse Werte, in Anspruch zu nehmen. Damit war die Gefahr der Inflation nunmehr endgültig heraufbeschworen, und da ich sofort erkannte, daß dieses der Punkt sei, wo für mich und für die Reichsbank Einhalt geboten war, so habe ich ihm darauf erwidert:

»Nun gut, dann werde ich veranlassen, daß die Reichsbank für diese gemeinsame Besprechung mit dem Finanzminister Ihnen eine Denkschrift vorlegt, in der wir die Stellungnahme der Reichsbank zu diesem Problem behandeln werden.«

Ich bin dann nach Berlin zurückgekehrt und habe meine Kollegen im Reichsbankdirektorium informiert. Und wir sahen nun zu unserer persönlichen Genugtuung, daß hier der Schritt gegeben war, wo wir uns endgültig von dieser Art von Politik trennen konnten. Die Denkschrift, die das Reichsbankdirektorium dann Hitler eingereicht hat, datiert vom 7. Januar und ist, glaube ich, von der Anklagebehörde ebenfalls als Beweisstück eingereicht. Zur Charakterisierung dessen, was das Reichsbankdirektorium in diesem entscheidenden Augenblick hinsichtlich der weiteren Staatsausgaben und insbesondere der Rüstungsausgaben Hitler zu sagen hatte, bitte ich um Erlaubnis, nur zwei wiederum ganz kurze Sätze aus dieser Denkschrift zu verlesen. Es heißt da, ich zitiere:

»In entscheidendem Maße aber wird die Währung von der hemmungslosen Ausgabenwirtschaft der öffentlichen Hand bedroht. Das unbegrenzte Anschwellen der Staatsausgaben sprengt jeden Versuch eines geordneten Etats, bringt trotz ungeheurer Anspannung der Steuerschraube die Staatsfinanzen an den Rand des Zusammenbruchs und zerrüttet von hier aus die Notenbank und die Währung.«

Und an einer späteren Stelle heißt es, ich zitiere:

»...War während der beiden großen außenpolitischen Aktionen in der Ostmark und im Sudetenland eine Steigerung der öffentlichen Ausgaben zwangsläufig, so macht die Tatsache, daß nach Beendigung der außenpolitischen Aktionen eine Beschränkung der Ausgabenpolitik nicht zu erkennen ist, vielmehr alles darauf hindeutet, daß eine weitere Ausgabensteigerung geplant ist, es nunmehr zur gebieterischen Pflicht, auf die Folgen für die Währung hinzuweisen.

Das unterzeichnete Reichsbankdirektorium ist sich bewußt genug, daß es in seiner Mitarbeit für die großen gesteckten Ziele freudig alles einsetzt, daß aber nunmehr Einhalt geboten ist.«


DR. DIX: Auf diese Denkschrift, die von der Anklagebehörde unter Nummer EC-369 schon vorgelegt ist, aber nochmals vorgelegt [574] wird in unserem Dokumentenbuch, Exhibit 24, Seite 70 des englischen und Seite 63 des deutschen Textes, zu dieser Denkschrift muß ich später an Schacht noch verschiedene Fragen stellen; aber ich glaube, daß hierzu die Zeit nicht mehr besteht, vielleicht morgen.

VORSITZENDER: Wenn Sie das unbedingt müssen, Herr Dr. Dix, aber halten Sie es für sehr wichtig? Auf jeden Fall tun Sie es, wenn überhaupt, lieber morgen.


DR. DIX: Jawohl.


VORSITZENDER: Herr Dr. Siemers?


DR. SIEMERS: Jawohl.


VORSITZENDER: Herr Dr. Siemers! Können Sie uns sagen, ob diese Auszüge dieselben sind wie die Auszüge, die im Falle des Angeklagten Ribbentrop zurückgewiesen wurden?


DR. SIEMERS: Ich habe eine Zusammenstellung gemacht und kann diese dem Gericht schriftlich überreichen. Es sind einige Dokumente gleich, einige stimmen nicht überein und einige fehlen. Ich habe es schriftlich aufgesetzt.


VORSITZENDER: Danke. Der Gerichtshof wird sich nunmehr vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

2. Mai 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 12, S. 540-576.
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