Vormittagssitzung.

[161] [Der Angeklagte Raeder im Zeugenstand.]


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dr. Horn wünscht noch einige Fragen zu stellen.

DR. MARTIN HORN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON RIBBENTROP: Mit Erlaubnis des Gerichts bitte ich, noch einige Fragen an den Zeugen stellen zu dürfen.

Herr Großadmiral! Ist es richtig, daß am 24. April 1941 die sogenannte Neutralitäts-Patrouille nordamerikanischer Kriegsschiffe über die 300-Meilen-Grenze hinaus bis auf mindestens 1000 Meilen ausgedehnt wurde?


RAEDER: Ich kann mich an das Datum nicht erinnern, aber eine solche Ausdehnung hat zu irgendeinem Zeitpunkt stattgefunden.


DR. HORN: Ist es richtig, daß Anfang Juni 1941 durch Gesetz der USA die in nordamerikanischen Häfen durch den Krieg festliegenden ausländischen Schiffe beschlagnahmt wurden, darunter 26 italienische und zwei deutsche Schiffe?


RAEDER: Auch hier kann ich das Datum nicht genau sagen. Es ist im Sommerhalbjahr 1941 geschehen. Es waren überwiegend italienische Schiffe und ein paar deutsche Schiffe. Die genauen Zahlen kann ich nicht beschwören.


DR. HORN: Im Juni 1941 erklärten sich die USA öffentlich bereit, der Sowjetunion jede nur mögliche Hilfe leisten zu wollen. Haben Sie mit Hitler über diese Maßnahmen gesprochen, und wie war dessen Einstellung dazu?


RAEDER: Ja, also die Tatsache besteht, es handelte sich damit auch um zinsenlose Darlehen, oder so etwas. Mit Hitler werde ich auch darüber gesprochen haben, aber die Einstellung Hitlers kann ich nicht sagen. Ich kann nur sagen, daß alle diese Maßnahmen in jener Zeit uns in keiner Weise von unserem bisherigen Kurs abgebracht haben. Ich habe gerade im Juni noch die Unterhaltung mit Hitler gehabt, in der ich ihm darlegte, daß wir bisher und auch weiterhin die amerikanischen Kriegsschiffe völlig unbelästigt ließen, daß wir das auch weiterhin tun würden, trotz der großen Nachteile, die uns dadurch entstehen und die ich neulich hier erwähnt habe.


DR. HORN: Im Jahre 1941 forderten der amerikanische Kriegsminister Stimson und der Marineminister Knox sowie der Außenminister Hull, mehrfach den Einsatz der USA-Flotte zur Sicherung [161] englischer Transporte von Kriegsmaterial nach Großbritannien in öffentlichen Reden. Am 12. Juli 1941 gab Marineminister Knox Pressevertretern Kenntnis von Roosevelts Schießbefehl gegen deutsche Schiffe. Wie reagierten Hitler und Sie auf diese im Widerspruch zur Neutralität stehenden Handlungen?


RAEDER: Also die Tatsachen stimmen, sie sind geschichtsnotorisch. Wir haben... Hitler hat auch daraufhin ausdrücklich befohlen, daß wir unter keinen Umständen von uns aus irgendwie schießen dürften, sondern daß wir uns nur wehren dürften. Das ist auch nachher bei den beiden Fällen mit »Greer« und »Kearny«, den beiden Zerstörern, so eingetreten.


DR. HORN: Ich danke Ihnen, ich habe keine weiteren Fragen.


GERICHTSMARSCHALL: Es wird gemeldet, daß der Angeklagte Göring dieser Vormittagssitzung fernbleibt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Sie haben doch das Buch des Kapitäns Schüssler »Kampf der Marine gegen Versailles« gelesen, als es erschien, nicht wahr?

RAEDER: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie bitte einen Buch darauf werfen. Sie finden dort... Es steht auf Seite 26 des Buches Nummer 10, Seite 123 des deutschen Dokumentenbuches.

Kapitän Schüssler hatte Ihnen doch gesagt, daß er beabsichtigte, so ein Buch zu schreiben, nicht wahr?


RAEDER: Jawohl, ich darf dazu sagen, daß wir zu diesem Buch veranlaßt worden sind, weil wir in der Marine von der... aus nationalsozialistischen Kreisen angegriffen wurden, in der Richtung, daß wir in den Jahren... bis zum Jahre 1933 nicht genug getan hätten, um die Marine zu stärken, deswegen sind alle diese Dinge in dem Buch erwähnt worden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das Buch wurde an die höheren Marineoffiziere verteilt, nicht wahr?


RAEDER: Jawohl, es konnte es jedenfalls jeder bekommen, der es haben wollte, von den höheren Offizieren.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie sich bitte einmal Seite 127 ansehen, Seite 27 im englischen Buch, das das Vorwort enthält. Sie sehen, daß es am Schluß des ersten Absatzes heißt, es solle ein einwandfreies Bild des Kampfes der Marine gegen die unerträglichen Bestimmungen des Friedensvertrags von Versailles entworfen werden.


RAEDER: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Im dritten Absatz heißt es:

»Sie«, diese Denkschrift, »soll ferner die Verdienste jener Männer in helleres Licht rücken, die sich – ohne in größerem [162] Kreise immer bekannt zu sein – mit außerordentlicher Verantwortungsfreudigkeit in den Dienst des Kampfes gegen den Friedensvertrag gestellt haben.«


RAEDER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Stimmen Sie mit mir dahingehend überein, daß dieses Vorwort im großen und ganzen die Ansichten der Marine zum Umgehen der Vorschriften des Versailler Vertrags vertritt?


RAEDER: Ja, betreffs des Umgehens der Vorschriften des Versailler Vertrags, soweit das nötig war, um unseren wehrlosen Zustand zu verbessern, aus den Gründen, die ich in den letzten Tagen auseinandergesetzt habe. Das war Ehrensache für jeden Mann, das zu tun.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Blättern Sie nun um.

Herr Vorsitzender! Es steht auf Seite 28 im englischen und Seite 126 im deutschen Text.


[Zum Zeugen gewandt:]


Dort ist die Inhaltsübersicht. Sie finden, daß sie in vier Teile eingeteilt ist. Der erste Teil behandelt die »ersten Abwehrhandlungen gegen die Durchführung des Vertrags von Versailles« und zählt diese auf. Lassen wir das beiseite. Der zweite Teil befaßt sich mit: »Selbständigen Rüstungsmaßnahmen hinter dem Rücken der Reichsregierung und der gesetzgebenden Körperschaften«.

RAEDER: In beiden Fällen steht da: Vom Kriegsende bis zum Ruhreinbruch 1923. Von 1923 bis zum Lohmann-Fall 1927. Mit beiden Fällen habe ich gar nichts zu tun.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, das wollen wir mal sehen. Von 1922 bis 1924 waren Sie Inspekteur der Marineausbildung in Kiel, nicht wahr?


RAEDER: Inspekteur des Bildungswesens; also die Schulen, die Weiterbildung der Offiziersanwärter, die Ausbildung der Führergehilfen, also Führerstabsgehilfen, eine Art Generalstabsoffiziere, und solche Dinge. Ich hatte mit Frontangelegenheiten nichts zu tun.


VORSITZENDER: Sie wurden gefragt, ob Sie Inspekteur der Ausbildung waren, die Antwort war doch »Ja«. Stimmt das?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Als Ausbildungsinspekteur wollen Sie vor dem Gerichtshof behaupten, Sie seien nicht genauestens darüber informiert gewesen, welche Waffen Ihrem Dienstbereich zur Verfügung standen?


RAEDER: Nein, nein, es handelte sich ja gar nicht um offen zur Schau stehende Waffen, sondern es handelte sich ja, wie ich neulich auseinandergesetzt habe, um Anlagen von Bettungen, Verschieben [163] von Geschützen von der Nordsee an die Ostsee. Das machte ein Spezialkommando, das unter der direkten Leitung des Marinechefs arbeitete. Unter anderem war zum Beispiel dieser Spezialist Kapitänleutnant Raenkel, der gerade die ganzen Geschützsachen bearbeitete. Ich war in Kiel, und in Kiel selbst und Umgegend waren ja überhaupt keine Geschütze und solche Maßnahmen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, dann gehen wir zum nächsten Zeitabschnitt: von 1923 bis 1927. Von 1925 bis 1928 waren Sie der Chef der Marinestation der Ostsee, nicht wahr?


RAEDER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie dem Gerichtshof gegenüber behaupten, daß Sie von diesen selbständigen Rüstungsmaßnahmen hinter dem Rücken der Reichsregierung nichts wußten?


RAEDER: Nein, ich hatte mit den Sachen ja gar nichts zu tun. Ich sagte schon einmal, das machte der Chef der Marineleitung... ich wußte allgemein...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Einen Augenblick. Ich habe Sie ja nicht gefragt, ob Sie je damit zu tun hatten. Ich frage Sie nur, ob Sie behaupten, daß Sie davon nichts gewußt hätten. Sie wußten doch von allem, nicht wahr?


RAEDER: Ich habe allgemein gewußt, daß solche Maßnahmen stattfanden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann kommen wir zu Teil III: »Planmäßige Rüstungsarbeiten mit Duldung der Reichsregierung, aber hinter dem Rücken der gesetzgebenden Körperschaften.«

Die gesetzgebenden Körperschaften waren der Reichstag und der Reichsrat, nicht wahr?


RAEDER: Jawohl. Ich habe aber neulich schon einmal gesagt, daß es nicht Sache des militärischen Oberbefehlshabers war, diese Dinge mit dem Reichstag zu verhandeln, sondern daß es Sache der Regierung war. Das wird auch hier Herr Severing bekunden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir werden Herrn Severing hören, wenn er kommt. Augenblicklich will ich, daß Sie dem Gerichtshof erklären...


RAEDER: Ich sage dasselbe...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Einen Augenblick, Sie haben meine Frage noch nicht gehört. Was haben Sie Kapitän Schüssler gesagt? Haben Sie ihm gesagt, daß es eine vollkommen falsche Darstellung sei, wenn er behauptet, die Marine hätte irgend etwas hinter dem Rücken des Reichstags unternommen. Haben Sie versucht, Schüsslers Darstellung zu korrigieren?


RAEDER: Nein, ich habe sein Buch nicht korrigiert, dazu hatte ich gar keine Zeit..


[164] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bevor wir zu Teil IV kommen, möchte ich Sie bitten...

Herr Vorsitzender! Es ist auf Seite 32 im englischen Buch und Seite 186 im deutschen Buch.

Es ist ein Teil der Beschreibung von Kapitän Schüssler aus Abschnitt II, und befaßt sich mit der wirtschaftlichen Wiederaufrüstung. Es steht unter der Überschrift: »Schwierige Arbeitsbedingungen«


[Zum Zeugen gewandt:]


Haben Sie es gefunden? Es beginnt mit »Es gab oft schwierige Arbeitsbedingungen«. Sehen Sie es? Die Überschrift lautet: »Schwierige Arbeitsbedingungen«.

RAEDER: Jawohl. »Schwierige Arbeitsbedingungen«, sehe ich.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie sich den letzten Teil dieses Abschnitts ansehen. Ich möchte völlig klarstellen, Angeklagter, daß es sich hier um die Zeitspanne 1923 bis 1927 handelt, bevor Sie Chef der Marine waren. Ich möchte Sie daher darüber befragen.

»Dazu kamen für die Tebeg vielfach äußere Schwierigkeiten: Die Tarnung der Aufgabe und der Arbeit, die räumliche Trennung... die Unmöglichkeit, irgendwelche Fragen auch geringerer Bedeutung durch Fernsprecher zu erledigen und die Notwendigkeit, jeden Schriftwechsel nach Möglichkeit zu vermeiden, jedenfalls aber ihn in Privatschreiben und mit Decknamen in getarnten Ausdrücken zu führen.«

War Ihnen bekannt, daß nach dieser Methode gearbeitet wurde?

RAEDER: Nein, ich wußte eigentlich von der »Tebeg« kaum etwas, von der »Tebeg«, von der »Navis« und diesen Dingen. Aber ich halte das für durchaus richtig, daß die Leute so gearbeitet haben, da damals noch die Gesinnung eines großen Teiles des deutschen Volkes unzuverlässig war, und es eine große Gefahr war, wenn diese Dinge bekannt wurden. Im übrigen war die »Tebeg« aufgelöst als ich hinkam.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gehen Sie bitte zurück auf Seite 126 in Buch 4, Seite 28 im englischen Buch, und schauen Sie sich an, wie die Darstellung des Kapitäns Schüssler über den vierten Zeitabschnitt lautet: »Aufrüstung unter Führung der Reichsregierung in getarnter Form (von 1933 bis zur Wehrfreiheit 1935)«.

Geben Sie zu, daß Kapitän Schüssler eine getreue Darstellung Ihrer Methoden von 1933 bis 1935 gibt?


RAEDER: Wie bezeichnet er sie, wo steht das?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Teil IV.


RAEDER: »Aufrüstung unter Führung der Reichsregierung in getarnter Form?«


[165] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie geben zu, daß das eine richtige Darstellung Ihrer Tätigkeit in der Zeit von 1933 bis 1935 ist?


RAEDER: Selbstverständlich. Ich tat das auf Befehl des Staatsoberhauptes, und gerade das Staatsoberhaupt war außerordentlich beflissen, daß nichts Übertriebenes gemacht wurde, damit seine Absichten, mit England zu einem Übereinkommen zu kommen, nicht etwa dadurch durchkreuzt wurden, und er hat mit Bezug auf die Marine ja ganz außerordentlich wenig erlaubt und ausgeführt. Er hätte ja sofort acht Panzerschiffe bauen können, soundso viel Zerstörer, soundso viel Torpedoboote, die alle noch nicht gebaut waren. Er tat das alles nicht, weil er sagte: Wir wollen hier nicht den Eindruck einer großen Aufrüstung erwecken. Er genehmigte lediglich zwei...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben das ja nun schon erklärt. Das Wesentliche daran ist die Tarnung. Als Sie die Verhandlungen zum Flottenabkommen führten, sollte nach Ihrem Willen niemand wissen, welche Schritte Sie unternommen hatten, die im Widerspruche zum Abkommen standen, und wie weit Sie schon gegangen waren. Das ist eine eindeutige Tatsache. Sie wollten das Flottenabkommen zustande bringen, ohne Ihre bisherige Tätigkeit zu enthüllen, das stimmt doch?


RAEDER: Nein, das ist eine Verdrehung meiner Worte. Wir wollten nicht durch das Bekanntgeben solcher Maßnahmen unnötig die Stimmung zwischen England und Deutschland verderben. An sich waren diese Maßnahmen durchaus begründet und waren außerordentlich geringfügig.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dazu kommen wir gleich. Bevor wir jedoch das Gebiet dieser Marineauf rüstung verlassen, will ich Ihnen noch eine Frage über ein anderes Buchstellen. Sie wissen, daß Oberst Scherff eine Geschichte der deutschen Flotte geplant hat. Ich will jedes Mißverständnis darüber ausschließen. Nach meiner Kenntnis der Lage haben Sie Oberst Scherff die Einsicht in die Marinearchive gestattet, aber darüber hinaus haben Sie von seinem Werk nichts gesehen. Stimmt das?


RAEDER: Ich habe sein Buch überhaupt nicht gesehen. Ich habe ein Inhaltsverzeichnis zunächst hier gesehen, als ich das erstemal vernommen wurde. Ich habe ihm auch nicht den Befehl gegeben, sondern er hat den Befehl vom Führer bekommen, und ich habe infolgedessen dem Chef des Marinearchivs erlaubt, ihn zu unterstützen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, eben das habe ich Ihnen ja gesagt. Ich möchte, daß Sie nun Buch 10a vornehmen, es beginnt mit Seite 1 im englischen und Seite 1 auch im deutschen Text.

Wenn Sie einmal Seite 3 ansehen, so finden Sie dort das in Aussicht genommene Inhaltsverzeichnis des Buches von Oberst Scherff. [166] Auf Seite 3 im englischen, und ich glaube, es muß auch ungefähr Seite 3 im deutschen Text sein.

Ich verweise Sie nun auf die Überschrift des Teiles II: »Die Eingliederung der Reichsmarine in den nationalsozialistischen Staat« Und dann heißt es:

»a) Der Nationalsozialismus in der Reichsmarine vor 1933...«


RAEDER: Wo steht das, ich habe es noch nicht?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Teil II des Inhaltsverzeichnisses.


RAEDER: Nein, das muß ganz etwas anderes sein, hier ist es nicht...

Jetzt habe ich es hier.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Schauen Sie bitte auf Teil II. Es heißt dort:

»Die Eingliederung der Reichsmarine in den nationalsozialistischen Staat.«

Sie können sehen, welche Überschriften für ungefähr 30 Seiten vorgeschlagen waren: »Der Nationalsozialismus in der Reichsmarine vor 1933«; »Die Vereidigung der Reichsmarine auf den Führer«; »Die Übernahme des Hoheitszeichens der Partei«; »Die erste Flaggenänderung und die neue Kriegsflagge«.

Stimmen Sie mit der Darstellung des Oberst Scherff überein? Sie geben zu, daß es richtig dargestellt ist, wenn man diesen Vorgang als Eingliederung der Marine in den nationalsozialistischen Staat bezeichnet?

RAEDER: Selbstverständlich – das habe ich neulich hier auseinandergesetzt – mußte die Marine, die Wehrmacht, in einem gewissen Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen Staat stehen. Denn man kann nicht in einem monarchistischen Staat eine demokratische Marine haben, sondern die großen Grundlinien müssen mit übereinstimmen. Wie weit aber diese Grundlinien angenommen wurden, ist von mir bestimmt worden und in einem richtigen Verhältnis, so daß die Marine immer innerlich selbständig dagestanden hat, aber richtig eingestellt zum nationalsozialistischen Staat.

Außerdem sehe ich keinen Text, ich sehe nur die Überschrift hier.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie halten diese Darstellung also für zutreffend, das wollte ich nur klargestellt wissen. Ich will nicht zu viel Zeit darauf verwenden.


RAEDER: Nein, aber die Überschriften besagen ja gar nichts.

Es könnte zum Beispiel im Text drin stehen, daß die Kriegsmarine sich nicht richtig in den nationalsozialistischen Staat [167] einpaßte. Das weiß ich nicht. Ebenso die Flottenangelegenheit. Selbstverständlich hat...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will nicht zu viel Zeit damit verlieren. Ich möchte, daß wir weiter kommen, Angeklagter. Sie haben in Ihrer Hauptvernehmung dreierlei Angelegenheiten behandelt, auf die ich nicht im einzelnen eingehen will. Ich will sie Ihnen nur in Erinnerung bringen, und ganz allgemein eine Frage darüber stellen. Sie können das Dokument weglegen, ich will das jetzt nicht weiter verfolgen. Wollen Sie bitte das Dokument weglegen und aufmerksam zuhören, wenn ich die nächste Frage stelle?

Sie sind über die S-Boote befragt worden, über Ihre Übersichtsliste, das lange Dokument vom September 1933 und über die Frage der als Transportschiffe »O« getarnten Hilfskreuzer. Ist es richtig, wenn ich Ihre Antwort dahingehend zusammenfasse, daß Sie diese Vertragsbrüche zugegeben haben, aber sagten, daß es in jedem Fall nur ein unbedeutender Vertragsbruch gewesen sei. Ist das eine richtige Zusammenfassung Ihrer Antwort, ja?


RAEDER: Nein.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, dann wollen wir es Stück für Stück betrachten. Wollen Sie bestreiten, daß diese Vorkommnisse mit den S-Booten, die Frage der Übersichtslisten oder der Transportschiffe »O« – wollen Sie bestreiten, daß diese Dinge stattgefunden haben? Ich nahm an, Sie hätten zugegeben, daß all dies stattgefunden habe.,..


RAEDER: Nein, sie haben so stattgefunden, wie ich gesagt habe. Zum Beispiel, diese Hilfskreuzer sind nicht gebaut worden. Das durften wir nicht. Wir durften aber Pläne machen und wir durften aussuchen die Schiffe, die im Kriegsfall – wenn ein Krieg ausgebrochen wäre, nämlich durch Überfall auf Deutschland durch einen anderen Staat – dafür geeignet gewesen wären, als Hilfskreuzer aufzutreten. Es war kein Verstoß, das war kein Verstoß. Wenn das Verstoß gewesen wäre, dann würde ich das ruhig zugeben. Ebenso war das U-Boot-Konstruktionsbüro in Holland kein Verstoß gegen den Versailler Vertrag. Der Wortlaut war ja ganz anders. Ich weiß nicht, was das dritte war, was Sie sagten?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie erinnern sich, es war eine lange von Ihnen aufgestellte Liste in einem Dokument.


RAEDER: Jawohl, selbstverständlich, ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und ich verstand Sie dahingehend – vielleicht habe ich mich da geirrt –, daß Sie zugaben, diese Dinge seien geschehen, nur sagten Sie: »Es ist nur eine Belanglosigkeit«.


[168] RAEDER: Selbstverständlich, ja. Das waren Belanglosigkeiten, aber sie waren im Interesse der Verteidigung Deutschlands dringend nötig.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jetzt möchte ich Ihnen eine Frage über einen Ihrer Offiziere, Vizeadmiral Aßmann, vorlegen. Hatten Sie Vertrauen zu diesem Offizier?


RAEDER: Er war ein sehr geschickter Geschichtsschreiber.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie meine Frage beantworten? War es ein Offizier, zu dem Sie Vertrauen hatten?


RAEDER: Ich hatte das Vertrauen, daß er die Geschichte richtig schreiben würde.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nur das wollte ich wissen.

Wollen Sie jetzt einen Blick auf ein anderes Dokument werfen, Dokument D-854. Es wird GB-460, Herr Vorsitzender. Es ist ein Auszug aus einer Reihe von Aufsätzen über strategische und taktische Erwägungen der deutschen Marine und über die daraus abgeleiteten Maßnahmen zu ihrem Ausbau in den Jahren 1919 bis 1939. Diese Aufsätze stammen aus den Akten der Vizeadmirale Aßmann und Gladisch, die im Marinearchiv tätig waren.

Wollen Sie nun für einen Augenblick nicht hinsehen, Angeklagter? Ich will Ihnen erst einige Fragen stellen, und dann können Sie es sich selbstverständlich ansehen. Stimmen Sie mit mir dahingehend über ein, daß auf fast allen Rüstungsgebieten, soweit die Marine in Frage kam, der Versailler Vertrag dem Buchstaben nach, und erst recht dem Geiste nach, übertreten wurde? Geben Sie das zu?


RAEDER: Nein, auf allen Gebieten keineswegs, denn auf dem Hauptgebiete waren wir ja weit hinter dem Versailler Vertrag zurück, wie ich das hier klar auseinandergesetzt habe. Also wir haben ihn eventuell nach der falschen Seite hin verletzt, insofern wir nicht das gemacht haben, was wir machen konnten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie nun dieses Dokument ansehen. Gleich am Anfang erklären Ihre Offiziere, daß:

»... wie dargestellt wurde, auf fast allen Gebieten der Rüstung bei der Marine lange Zeit vor dem 16. März 1935 der Versailler Vertrag dem Buchstaben und erst recht dem Geiste nach übertreten, mindestens seine Übertretung vorbereitet worden ist.«

Wollen Sie vor dem Gerichtshof behaupten, Ihre Admirale hätten dies zu Unrecht festgestellt?

RAEDER: Darf ich mal sehen, auf welcher Seite das steht?

Ich habe das noch nicht angesehen. – Ja, er sagt:

»... auf fast allen Gebieten der Rüstung bei der Marine...«

[169] Das ist nicht der Fall, denn auf dem Gebiete der...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das habe ich Sie gefragt; ist das richtig?

RAEDER: Nein, das stimmt nicht, denn wir hatten ja gar nicht soviel Schiffe gebaut, wie wir bauen konnten, sondern – wie ich auch auseinandergesetzt habe, wiederholt – betrafen die Überschreitungen...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das haben Sie ja schon erklärt.


RAEDER: Übertretungen waren...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir kennen ja die Lage Ihrer Schiffsreedereien. Sie haben uns das schon erklärt, und es fragt sich nun, ob Ihre Erklärung überhaupt etwas wert ist. Ich will mit Ihnen darüber nicht streiten. Ich stelle Ihnen jetzt folgende Frage: Wollen Sie behaupten, daß die Admirale Ihres Marinearchivs mit diesem Satz, den ich Ihnen eben verlesen habe, etwas Falsches festgestellt hätten?


RAEDER: Jawohl, das behaupte ich; in der Fassung ist das falsch.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Schön. Nun, der Gerichtshof wird darüber entscheiden. Wir gehen jetzt weiter zur Erklärung des Admirals Aßmann. Es heißt dort weiter:

»So ist dies doch wohl an keiner Stelle einerseits so frühzeitig und andererseits unter so erschwerten Umständen geschehen, wie beim Aufbau einer neuen U-Bootwaffe. Der Versailler Vertrag war nur einige Monate in Kraft (ab 10. Januar 1920), als er in diesem Punkte bereits übergangen wurde.«

Stimmen Sie mit Admiral Aßmann darin überein?

RAEDER: Nein, er hat unrecht; denn er wurde ja in diesem Punkt gar nicht übergangen. Und daß die Sache so früh begann, war deswegen, weil die alten U-Bootkommandanten und U-Bootoffiziere und die U-Boottechniker ja alle stellungslos waren und sich nun anboten, im Ausland die U-Boottechnik aufrechtzuhalten; deswegen so früh. Es geht aber mich gar nichts an, denn ich hatte in der Zeit nichts zu sagen über diese Dinge. Ich war damals im Marinearchiv.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie können Sie dann heute so fest darauf bauen, daß Admiral Aßmann unrecht hat? Ich dachte doch, Sie sagten, daß er ein guter Historiker sei. Er brauchte nicht sehr weit zurückzugehen. Er geht nur 20 Jahre zurück.


RAEDER: Auch ein guter Historiker kann sich irren, wenn nämlich seine Unterlagen falsch sind. Ich habe bloß gesagt, ich hatte Vertrauen.


[170] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie führen ganz im einzelnen aus... der erste Absatz handelt von Japan.


RAEDER: Ja, die Sache mit dem U-Bootbau stimmt ja nicht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun wollen wir doch sehen, wie weit er unrecht hat. Wir brauchen nicht auf den ersten Absatz einzugehen, der den Schiffbau für Japan behandelt, sondern wir nehmen den zweiten Absatz; haben Sie den Absatz, der mit »1922« beginnt:

»1922 wurde bereits von 3 deutschen Werften in Holland unter holländischen Decknamen ein deutsches U-Boots-Konstruktionsbüro mit etwa 30 Ingenieuren und Konstrukteuren gegründet. 1925 baute eine holländische Werft nach den Projekten dieses Büros, das sich der finanziellen und personellen Unterstützung der Marineleitung erfreute – auch bei der Lösung dieser Frage ist Kapitän zur See Lohmann maßgeblich beteiligt gewesen – zwei 500-Tonnen-U-Boote für die Türkei.«

Ist das richtig?

RAEDER: Das ist zugegeben worden von uns. Denn es verstieß ja in keiner Weise gegen den Versailler Vertrag.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Darüber werden wir nicht streiten. Jedenfalls stimmt es doch, Admiral Aßmann hat hier recht. Dann spricht er über Finnland und Spanien. Wenn Sie sich den Schluß dieses Absatzes ansehen, sagt er, nachdem er über Spanien gesprochen hat:

»Im Herbst 1927 wurde von dem Chef der Marineleitung, Admiral Zenker, der allen innenpolitischen Schwierigkeiten zum Trotz die Verantwortung auf sich nahm, die Marine-Konstruktionsabteilung mit der Durchführung des Baues in Spanien beauftragt. Die Ausarbeitung des Projektes und die Anfertigung der Bauzeichnungen erfolgte bei dem holländischen Büro. Das Boot machte nach der Fertigstellung 1931 von Cadiz und Cartagena aus Probefahrten und Tauchübungen unter deutscher Leitung... und mit deutschem, aus Offizieren, Ingenieuren, Schiffsbaustudenten und Meistern bestehendem Personal.«

Das stimmt doch wohl, nicht wahr?

RAEDER: Jawohl; aber besonders der Schiffsbaukonstrukteur aus unserer Konstruktionsabteilung, als auch diese anderen genannten Personen des U-Bootbaues wurden aus der Marine entlassen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie dann einmal den letzten Satz an:

[171] »Dieses nunmehr türkische U-Boot ›Gür‹ ist das Typboot für ›U-25‹ und ›U-26‹ geworden.«


RAEDER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann spricht er von den 250-Tonnen-U-Booten, die in Finnland hergestellt wurden Und, wenn Sie sich den letzten Satz des nächsten Absatzes ansehen:

»Das finnische U-Boot war ›der erste wieder in Deutschland ausgearbeitete und zur Ausführung gelangte U-Bootsentwurf‹; nur für die Durcharbeitung im einzelnen wurde noch das holländische Büro in Anspruch genommen.

Das finnische 250-Tonnen-Boot ist Typboot für ›U-1‹ bis ›U-24‹ geworden.«


RAEDER: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und dann der nächste Absatz:

»Der Bau und die genaue Erprobung des Typbootes war die Voraussetzung dafür, daß 1933/1935 die Teile für ›U-1‹ bis ›U-24‹ lange vor dem Befehl zum Zusammenbau beschafft werden konnten, und dieser selbst soweit vorbereitet wurde, wie es unter Wahrung der Geheimhaltung möglich war.«


RAEDER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jetzt schlagen Sie bitte Seite 156 auf. Sie sehen wohl, wo das nächste Zitat herstammt:

»Es waren Anfang 1935« – das heißt, 6 Monate vor dem englisch-deutschen Abkommen – »wohl 6250-Tonnen-Boote für den Zusammenbau vorbereitet, 6275-Tonnen- und 2750-Tonnen-Boote in Vorbereitungsarbeit – für den Zusammenbau der kleinen Boote waren etwa 4, für den der großen etwa 10 Monate ab 1. Februar 1935 nötig – aber alles andere war noch ganz unsicher.«

Nun sehen Sie sich die nächsten Worte an:

»Deutschland hat sich wohl gerade auf dem Gebiet des U-Bootbaues am wenigsten an die Grenzen des deutsch-englischen Vertrages gehalten. Unter Berücksichtigung der Größe der bereits in Auftrag gegebenen Boote hätten bis 1938 etwa 55 U-Boote vorgesehen werden können. Tatsächlich wurden 118 fertiggestellt und in Bau gegeben.

Die Vorbereitungen für die neue U-Bootwaffe waren so frühzeitig, gründlich und umsichtig getroffen worden, daß bereits 11 Tage nach Abschluß des deutsch-englischen Flottenabkommens, welches den Bau von U-Booten gestattete, am 29. Juni 1935, das erste deutsche U-Boot in Dienst gestellt werden konnte.«

[172] Sehen Sie sich nun bitte den von Admiral Aßmann geschriebenen Satz an, und wir haben ja durch ungefähr hundert Dokumente festgestellt, in welcher Verbindung Sie zu Aßmann standen. Er sagte:

»Deutschland hat sich wohl gerade auf dem Gebiete des U-Bootbaues am wenigsten an die Grenzen des deutsch-englischen Vertrages gehalten.«

Sie haben in Ihrer Aussage dem Gerichtshof stundenlang erzählt, daß das ein frei geschlossenes Abkommen sei, auf das Sie sehr stolz waren und das zu unterstützen Sie bereit waren. Wollen Sie jetzt vor dem Gerichtshof behaupten, daß Ihre Admirale Un recht haben, wenn sie sagen, daß sich Deutschland im U-Bootbau am wenigsten an die Beschränkung dieses frei geschlossenen Vertrags hielt?

RAEDER: Das ist ein vollkommen falsches Urteil. Ich habe hier ausgeführt, daß wir, solange keine Verhandlungen mit England waren über den kommenden Vertrag, alles nur im Ausland betrieben haben, was an Vorbereitungen gemacht worden ist, daß in dem Maße, die die wahrscheinlich...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter, Sie können Ihre Erklärungen abgeben...


RAEDER: Bitte, wollen Sie mich nicht unterbrechen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nehmen Sie es nicht übel, aber wir müssen die Sache der Reihenfolge nach behandeln. Sie beantworten zuerst meine Frage und geben dann Ihre Erklärungen ab. Beantworten Sie also zuerst meine Fragen. Wollen Sie sagen daß Admiral Aßmann unrecht hat, wenn er in dem ersten Satze behauptet:

»Deutschland hat sich wohl gerade auf dem Gebiet des U-Bootbaues am wenigsten an die Grenzen des deutsch-englischen Vertrages gehalten.«

Hat Admiral Aßmann unrecht, wenn er das sagt? Behaupten Sie das vor dem Gerichtshof?

RAEDER: Er hat unrecht damit. Das sagte ich schon, habe ich schon gesagt.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich habe den Eindruck, dies sind keine Fragen nach Tatsachen. Dies sind Fragen nach juristischer Entscheidung. Es ist eine juristische Streitigkeit, wie Artikel 191 des Versailler Vertrages auszulegen ist.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß die Frage absolut zulässig ist. In seiner Erklärung kann er darlegen, daß es seiner Ansicht nach kein Vertragsbruch sei, und das hat er schon erklärt. Er kann uns seine Meinung darüber mitteilen; er war doch der Chef der deutschen Marine.


[173] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, wollen Sie sich nun den zweiten Satz ansehen...


RAEDER: Aber ich möchte zu Ende sprechen, wenn ich darf, ja? Ich kann eine Erklärung abgeben dazu.

Also, es handelte sich hier alles nur um Vorbereitungen, die außerhalb Deutschlands getroffen wurden. Es ist davon die Rede, daß bei den finnischen U-Bootbauten eine Unterstützung durch deutsche Konstrukteure stattgefunden habe. Das stimmt, es war nicht verboten, daß die deutschen Konstrukteure den finnischen Konstrukteuren halfen, U-Bootspläne aufzustellen. Es stimmt auch, daß dieses U-Boot nachher...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich unterbreche Sie nur ungern, aber dieser Satz handelt ja nicht von dieser früheren Periode. Er befaßt sich mit der Zeit nach dem deutsch-englischen Abkommen im Jahre 1935, und darüber will ich von Ihnen Auskunft haben. Die finnische Sache war ja viel früher.


RAEDER: Ich bin immer noch vor dem Abschluß; denn da wurde mir vorgeworfen, daß wir U-Bootsteile im Ausland gemacht hätten. Und das ist so, daß...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich weiß, aber sehen Sie nicht ein, daß...


RAEDER: Ich habe ja noch gar nicht geantwortet. Nein...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich frage Sie doch nicht danach. Ich möchte eine Antwort auf die richtige Frage haben. Ich frage Sie jetzt nicht mehr über Versailles, sondern über Admiral Aßmanns Behauptung, daß Deutschland sich nicht an die Beschränkung des deutsch-englischen Abkommens vom Jahre 1935 gehalten habe, und was Sie in den zwanziger Jahren in Finnland taten, hat nichts damit zu tun. Das ist alles. Sie können uns nun Ihre Erklärungen geben.


RAEDER: Das ist vollkommen falsch. Wir haben uns gerade im U-Bootbau besonders zurückgehalten und wir hatten im Jahre 1938 noch nicht die 45 Prozent, die wir bauen konnten, so daß wir damals den Antrag stellten, daß wir auf 100 Prozent gehen könnten; und dies ist auch nach dem Wortlaut des englischen Vertrages nach einer freundschaftlichen Besprechung mit der englischen Admiralität in den letzten Tagen des Jahres 1938 verabredet und ausgeführt worden. Wir hatten bei Kriegsbeginn auch keineswegs die 100 Prozent. Wir waren mit dem U-Bootbau immer zurück.

Das ist also eine vollkommen falsche Auffassung des Admirals Aßmann, der diese Dinge wohl nicht genügend verfolgt hat.

Das kann ich auf meinen Eid nehmen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich nun die nächsten Sätze an. Sie befassen sich...


[174] RAEDER: Welche Seite ist das, von der Sie sprechen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Seite 156. Ich will es ganz langsam nochmals verlesen:

»Unter Berücksichtigung der Größe der bereits in Auftrag gegebenen Boote hätten bis 1938 etwa 55 U-Boote vorgesehen werden können. Tatsächlich wurden 118 fertiggestellt und in Bau gegeben.«

Behaupten Sie, daß Admiral Aßmann auch mit dieser Behauptung unrecht hat?

RAEDER: Also bitte, ich habe immer noch nicht die Stelle aus der Sie lesen, das ist ja... welche Zeile... dies ist... ja 156...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Haben Sie nun den Satz gefunden?


RAEDER: Jawohl, jetzt habe ich es, ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie nun, was Admiral Aßmann sagt:

»Unter Berücksichtigung der Größe der bereits in Auftrag gegebenen U-Boote hätten bis 1938 etwa 55 U-Boote vorgesehen werden können.«

Das ist, bevor überhaupt darüber gesprochen wurde, daß von 45 auf 100 gegangen werden sollte.

»Tatsächlich wurden 118 fertiggestellt und in Bau gegeben.«

Behaupten Sie, daß Admiral Aßmann unrecht hat, wenn er diese Zahlen angibt?

RAEDER: Aber ganz bestimmt, denn wir sind ja in den Krieg im Jahre 1939 mit – ja, ich weiß nicht genau – mit 40 U-Booten hineingegangen. Das ist ja... entweder ist das ein Druckfehler oder ganz unerhörte Zahlen. Wir sind, wie Sie wissen, in den Krieg mit – ich glaube – 26 U-Booten gegangen, die in den Atlantik gehen konnten und einer Anzahl kleiner Boote darüber hinaus. Was auf Stapel gelegen hat zu Beginn des Krieges, kann ich hier nicht auswendig sagen. Aber es war gar keine Absicht. Das ist ja das, was mir vorgeworfen worden ist, daß ich nicht genügend U-Boote rechtzeitig auf Stapel gelegt habe. Ich bestreite diesen Satz vollkommen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie behaupten also, Angeklagter, daß die Zahlen des Admirals Aßmann unvereinbar sind mit Ihren Aussagen vor dem Gerichtshof über die Zahl der U-Boote, mit denen Sie den Krieg begonnen haben?


RAEDER: Jawohl.


DR. SIEMERS: Ich wäre Sir David dankbar, wenn er den Satz ganz verlesen würde, das heißt die Anmerkung 6, die hinter dieser Zahl 118 und »in Bau gegeben« kommt, mit verlesen würde. Die [175] Anmerkung 6, die, wie ich eben sehe, in der englischen Übersetzung nicht enthalten ist, lautet wie folgt:

»Chef Marinenaushaltsabteilung B. Nr. E 311/42 Geheime Kommandosache, vom 19. November 1942.«

Die Zahl, Herr Präsident, bezieht sich auf einen späteren Zeitpunkt und nicht auf das Jahr 1938. Ich wäre außerordentlich dankbar, wenn ich nach dieser eben gemachten Erfahrung in Zukunft nicht nur das deutsche Exemplar, sondern gleichzeitig auch die englische Übersetzung von Sir David bekommen würde. Ich wäre Sir David dankbar, wenn er dies veranlassen könnte.

VORSITZENDER: Dr. Siemers! Können Sie nicht die von Ihnen gewünschte Stelle bis zu dem Zeitpunkt, an dem Sie den Angeklagten wieder vernehmen wollen, vom Deutschen ins Englische übersetzen lassen? Soweit ich Sie verstehe, sprechen Sie von einer Anmerkung, die als Zusatz dem Teil, der ins Englische übersetzt wurde, beigefügt war. Wollen Sie die Stelle bitte nochmals verlesen?

DR. SIEMERS: Sir David las die Worte vor: »Tatsächlich wurden 118 fertiggestellt und in Bau gegeben.« Soweit hatte Sir David vorgelesen. Hinter diesem Wort »gegeben« steht die Ziffer 6, das bedeutet Anmerkung 6. Die Anmerkung 6 lautet wie folgt:

»Chef der Marinehaushaltsabteilung B. Nr. E 311/42, Geheime Kommandosache vom 19. November 1942 (Seite 19).«

Das zeigt also, daß auf Seite 19 dieses Schreibens der Marinehaushaltsabteilung aus dem Jahre 1942 diese Zahl 118 genannt sein muß. Demnach erstreckt sich diese Zahl nicht auf das Jahr 1938, sondern auf einen späteren Zeitpunkt.

RAEDER: Ich kann dazu auch noch eine andere Erklärung geben, die möglich ist.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Ich werde der Sache nachgehen, aber der Text – es besteht hier kein Unterschied zum deutschen – lautet genau so wie ich ihn verlesen habe:

»... hätten bis 1938 etwa 55 U-Boote vorgesehen werden können. Tatsächlich wurden aber 118 fertiggestellt und in Bau gegeben.«

Das ist Admiral Aßmanns Text.

DR. SIEMERS: Aber nicht 1938.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Mein Kollege Dr. Siemers wird genügend Gelegenheit haben, sich darüber zu äußern... Wenn ein Streitpunkt besteht, werde ich ihn einer Prüfung unterziehen, aber hier liegt ein Text vor, und dieser Text enthält die strittige Stelle. Den Inhalt der Fußnote kann Dr. Siemers bei seinem Rückverhör bringen.


[176] MR. BIDDLE: Sir David! Sehen Sie sich bitte die Anmerkung dahingehend an, ob nicht der Bericht im Jahre 1942 gemacht wurde, und nicht die Konstruktion. Ich lege Ihnen nahe, ihn zu fragen, ob aus der Anmerkung nicht ersichtlich ist, daß der Bericht und nicht der Bau aus dem Jahre 1942 stammt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Meine Übersetzung der Anmerkung lautet: »Chef der Marinehaushaltsabteilung«, dann der Hinweis auf seine Anmerkung, datiert vom »19. November 1942«. Das scheint die Annahme des Herrn amerikanischen Richters zu bestätigen, daß es ein Hinweis auf diesen Bericht ist, und nicht mehr. Es weist nur darauf hin, daß der Zeitpunkt des Baues 1942 war, und es wäre richtig, wenn Dr. Siemers, falls er nichts zu dem von mir verlesenen Text zu sagen hat, diese Streitpunkte bis zum Rückverhör zurückstellen würde.


VORSITZENDER: Dr. Siemers! Sie können die Fragen bei Ihrem Rückverhör vorbringen; bis dahin können Sie uns eine Übersetzung dieser Anmerkung vorlegen.


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich bin vollständig damit einverstanden. Ich habe ja auch nur die Bitte geäußert, daß ich ein Exemplar der englischen Übersetzungen der jetzt neu vorgelegten Urkunden bekomme.

Herr Präsident! Sie werden mir zugeben, daß es eine sehr starke Belastung jetzt während des Kreuzverhörs für mich ist, festzustellen, wo die Übersetzung nicht vollständig ist und alles, was fehlt, selbst zu übersetzen, obwohl die Britische Delegation eine englische Übersetzung in Händen hat. Da glaube ich, ist es leichter, wenn Sir David so liebenswürdig ist, mir eine englische Übersetzung zur Verfügung zu stellen.


VORSITZENDER: Sir David! Sie werden ihm doch sicher eine englische Übersetzung jedes neuen Dokuments überlassen können?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sicherlich. Der Gerichtshof hat es ja angeordnet, und es ist vorbereitet. Sie haben doch sicher die englische Übersetzung? Ganz bestimmt, Herr Vorsitzender. Sowie ich ein Dokument vorlege, wird eine Übersetzung davon Dr. Siemers überreicht.


VORSITZENDER: Vielleicht ist da ein Irrtum vorgekommen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie werden sie bestimmt erhalten.

Und nun wollen wir über einen anderen Herrn Ihres Stabes sprechen. Sie haben sehr viel über das Marinebudget gesprochen. Erinnern Sie sich noch an einen Flottenintendanten in Ihrer Abteilung, den Flottenintendanten Thiele vom OKM, Abteilung E, der Haushaltsabteilung der deutschen Admiralität? Erinnern Sie sich an ihn?


[177] RAEDER: Jawohl. Herr Anklagevertreter, darf ich nicht zu dieser 118-Sache noch etwas sagen? Mir ist so etwas eingefallen, in Verbindung gerade mit dieser Nummer 6, Chef der Marinehaushaltsabteilung. Es ist also durchaus möglich, daß der Admiral Aßmann hier zwei Sachen zusammengefaßt hat. Die U-Boote und jedes Schiff wurden ja im Haushalt genehmigt und also damit sanktioniert. Dieser Haushalt wurde am Ende des Jahres bearbeitet und herausgegeben vor dem Jahre, für den er gültig wurde. Es ist nun hier, da plötzlich diese große Zahl erscheint, durchaus möglich, daß die Zahl 118 zustande kommt auf Grund dieser Vereinbarung mit England, die am 30. oder 31. Dezember 1938 getroffen wurde – es ist durchaus natürlich, daß wir daraufhin den ganzen Rest der U-Boote, den wir noch bauen durften – auf die 100 Prozent hin – nun in den Etat eingestellt haben. Das bedeutet aber in keiner Weise, daß wir, den Bau dieser Boote im Jahre 1938 begonnen haben. Nebenbei glaube ich, wir hätten sogar beginnen können, denn es handelt sich ja immer darum, daß man in irgendeinem Jahre nur soundso viel fertige Boote haben konnte. Aber ich halte diese Erklärung, die mir einfällt, weil ich hier sehe »Marinehaushaltsabteilung« für durchaus zutreffend.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Gerichtshof hat ja den Wortlaut: »bis 1938«. Ich will mit Ihnen darüber nicht streiten, die Worte sprechen für sich selbst.

Ich möchte, daß Sie jetzt D-855 betrachten, das GB-461 wird. Das ist ein Auszug aus einem Vortrag des gerade erwähnten Herrn Thiele, der im Ausbildungskommando für Verwaltungsoffiziere der Kriegsmarine in Prag am 12. Juli 1944 gehalten wurde. Der Auszug, den ich verlesen will, steht auf Seite 22 und hat die Überschrift: »Schiffbauplan«. Haben Sie es gefunden, Seite 22, mit der Überschrift: »Schiffbauplan«? Sehen Sie den Absatz an, der mit den Worten beginnt:

»Die Zeit der ganz großen Entwicklung der Marine war also mit dem Augenblick der Machtergreifung gekommen. Bereits in dem ersten Jahr nach ihr, im März 1935, ging man über zum Bau von Schlachtkreuzern mit einem Deplacement von 27000 Tonnen. Ein solches Schiff wurde in Bau gegeben. Damit verstieß man im Marinebereich sofort in einer schon nach kurzem nicht mehr zu verschleiernden Form gegen die eine der für uns wichtigsten Bestimmungen des Versailler Vertrages.«

Hat Flottenintendant Thiele recht, wenn er das in seinem Vortrag behauptet?

RAEDER: Natürlich war es ein Verstoß, aber ich habe ja hier des längeren auseinandergesetzt, daß es sich nicht um den Neubau von Schlachtkreuzern handelt, sondern daß es darauf ankam, die [178] beiden Panzerschiffe, die wir schon bewilligt bekommen hatten, zu verwerten, und daß Hitler 1934 mir nur die Erlaubnis gab, die Schiffe etwas zu vergrößern, die Pläne, so daß der Panzer stärker werden konnte, und ich ersehe hieraus, daß erst im März 1935, als der Abschluß des Vertrages sicherstand, und es also sicher war, daß England uns einige Monate später erlauben würde, solche Schiffe zu bauen durch den Vertrag, daß da schon die Pläne für die 26500-Tonnen-Schiffe vom Führer genehmigt und in Angriff genommen wurden, die die ersten Schlachtschiffe im neuen Programm werden sollten. Daß also, was er 1934 noch nicht genehmigt hatte, die drei 28-cm-Türme, das heißt die Offensivwaffen, hineingeworfen wurden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es freut mich, daß dieser Herr mit Ihrer Meinung mehr übereinzustimmen scheint als der andere. Sehen Sie sich bitte an, was er zwei Sätze weiter über U-Boote sagt:

»Die U-Boote sind, da ihr Bau nach außen unter keinen Umständen in Erscheinung treten durfte, in Einzelteilen fertiggestellt worden, die zunächst in Schuppen gelagert wurden und nach Erklärung der Wehrfreiheit nur noch zusammengesetzt zu werden brauchten.«

Hat Flottenintendant Thiele damit nicht recht?

RAEDER: Jawohl, er hatte recht, das haben wir auch zugegeben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun wollen wir die nächste Frage betrachten.


RAEDER: Ich darf vielleicht hier die Erklärung zu Ende führen? Wir haben...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, bitte aber so kurz wie möglich. Ich will Sie zwar nicht unterbrechen, aber fassen Sie sich möglichst kurz.


RAEDER: Selbstverständlich; aber ich muß meine Verteidigung zu Ende führen.

Also, wir haben die U-Bootsteile im Auslande bauen lassen und sie erst Anfang 1935 hereingenommen und dann zusammengesetzt, ebenfalls zu einer Zeit, wo der Flottenvertrag als sicher in Aussicht stand.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Richtig. Sie sagen, Sie haben den Vertrag vorausgesehen, aber sehen Sie sich doch an, was er nachher sagt:

»Auch die dritte der für uns nachteiligsten Bestimmungen des Versailler Vertrages, die Personalbeschränkung auf 15000 Mann, wurde bei der Machtergreifung sofort außer acht gelassen. Der Personalbestand der Marine betrug 1934 bereits 25000, im Jahre 1935, dem Jahre des Londoner Flottenabkommens, 34000 Mann.«

[179] Hat nun Flottenintendant Thiele damit recht?

RAEDER: Jawohl, das ist zugegeben. Es war klar, daß wir das Personal rechtzeitig ausbilden mußten, um die vergrößerten Seestreitkräfte besetzen zu können.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, nun ersuche ich Sie, kurz einen Blick auf ein Dokument zu werfen, das auf Seite 3 des Dokumentenbuches 10 steht, auf das Sie sich in Ihrem Hauptverhör bezogen haben. Hier handelt es sich um Dokument C-23 über die Wasserverdrängung des »Scharnhorst«, »Gneisenau«, »Tirpitz«, »Bismarck« und anderer Schiffe.

Sie kennen das Dokument, nicht wahr? Wir haben darüber schon gesprochen.


RAEDER: Jawohl, ich kenne das Dokument.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es trägt das Datum vom 18. Februar 1938. Deutschland hat das deutsch-britische Flottenabkommen erst gekündigt, nachdem England Polen im April 1939 seine Garantie gab, was erst 14 Monate später geschah. Warum haben Sie nicht einfach an England einen Bericht geschickt, daß aus Verteidigungsgründen um 20 Prozent größere Deplacements gebaut worden waren. Warum haben Sie das nicht getan?


RAEDER: Das kann ich Ihnen heute nicht mehr sagen. Wir haben neulich auseinandergesetzt, wie das Deplacement durch durchaus nicht erstrebenswerte Änderungen allmählich größer geworden ist, zu unserem eigenen Schaden...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Angeklagter, das habe ich noch gut in Erinnerung. Wir kennen bereits die Gründe, weshalb die Deplacements vergrößert wurden, und ich glaube nicht, daß Sie sich selbst schaden, wenn Sie es nicht wiederholen; aber sehen Sie doch auf das Ende dieser Seite und ich denke, da werden Sie den Grund dafür finden, an den Sie sich nicht erinnern können:

»Nach Ansicht von A IV erscheint es keinesfalls richtig, eine größere Tonnage anzugeben, als zum Beispiel England, Rußland oder Japan wahrscheinlich zunächst bekanntgeben werden, um nicht das Odium des Wettrüstens auf uns zu laden.«

Ist das nicht der Grund?

RAEDER: Jawohl, das war für die Zukunft gedacht. Wir wollten unter keinen Umständen den Eindruck erwecken, als ob wir die Offensivkraft unserer Schiffe steigerten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Ich will nun auf eine andere Sache übergehen; ich möchte nur ganz kurz und bündig – Sie werden das zu schätzen wissen – sagen, was die Anklage Ihnen vorwirft, nämlich daß Sie und die deutsche Marine 20 Jahre[180] lang – von 1918 bis 1938 – sich einer vollendeten, kaltblütigen und vorsätzlichen Täuschung über die Erfüllung Ihrer Vertragsbindungen schuldig gemacht haben. Dies wird Ihnen zur Last gelegt. Verstehen Sie? Wollen Sie dies nach diesem Dokumente noch ableugnen?


RAEDER: Selbstverständlich. Es war keine kaltblütige Angelegenheit, sondern bei der ganzen Umgehung des Versailler Vertrages war es unser Bestreben, unser Land besser verteidigen zu können, als man es uns belassen hatte. Ich habe hier nachgewiesen, daß man gerade in den Versailler Bestimmungen immer die Punkte beschränkt hatte die für die Verteidigung unseres Landes ungünstig waren und die für einen Angriff von außen her günstig waren. Bei den Schiffen, möchte ich noch hinzufügen, handelte es sich ja darum, daß wir immer nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Schiffen fertigbringen konnten und daß es infolgedessen uns daran lag, die Widerstandskraft, also die Seesicherheit und diese Eigenschaften, so stark wie möglich zu erhöhen. Wir haben niemals die Offensivkraft über das Maß hinaus gesteigert, das uns gestattet war.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Ich möchte, daß Ihnen klar wird, in welche Richtung meine nächsten Fragen zielen. Ich wünsche, daß da kein Mißverständnis aufkommt. Ich behaupte nun, daß diese Vertragsbrüche und Ihre Marinepläne auf die Möglichkeit und sogar Wahrscheinlichkeit eines Krieges gerichtet waren. Wollen Sie jetzt bitte das Dokument C-23, von dem ich soeben gesprochen habe, zur Hand nehmen. Wir wollen es als Zwischenstück verwenden.

Auf Seite 5 des Dokumentenbuches 10 sehen Sie eine Denkschrift, ich glaube, des Planungsausschusses an den Flottenchef Admiral Carls; wir haben Ihre Ansicht über Admiral Carls bereits gehört; er soll Ihrer Meinung nach ein hervorragender Offizier gewesen sein, und er wurde als erster von Ihnen als Ihr Nachfolger vorgeschlagen.

Das Datum des Dokuments ist September 1938, und es ist eine Geheime Kommandosache mit dem Titel: »Stellungnahme zur ›Entwurfstudie der Seekriegführung gegen England‹«, und Sie sehen, daß unter »A« gesagt wird: »Dem Gedanken der Studie wird voll zugestimmt.«

Betrachten Sie nun Absatz 1:

»Wenn Deutschland nach dem Willen des Führers eine in sich gesicherte Weltmachtstellung erwerben soll, bedarf es neben genügendem Kolonialbesitz gesicherter Seeverbindungen und gesichertem Zugang zum freien Ozean.«

Stimmt das, Angeklagter?

RAEDER: Jawohl, das stimmt. Ich kenne das ganze Dokument.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann sehen Sie sich mal »2« an:

[181] »Beide Forderungen sind nur gegen englisch-französische Interessen erfüllbar und schränken deren Weltmachtstellung ein. Sie mit friedlichen Mitteln durchsetzen zu können, ist unwahrscheinlich. Der Wille zur Ausgestaltung Deutschlands als Weltmacht führt daher zwangsmäßig zur Notwendigkeit entsprechender Kriegsvorbereitung.«

Stimmt das?

RAEDER: Jawohl, das stimmt alles.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jetzt sehen wir uns »3« an.

»Der Krieg gegen England bedeutet gleichzeitig Krieg gegen das Empire, gegen Frankreich, wahrscheinlich auch gegen Rußland und eine große Reihe überseeischer Staaten; also gegen 1/2 bis 2/3 der Gesamtwelt.«

Ich brauche Sie darüber nicht zu befragen, da die Tatsachen es ja schon bewiesen haben.

Sehen Sie sich jetzt die nächste Stelle an:

»Er hat innere Berechtigung...«


RAEDER: Ja, ich muß mich aber dazu äußern können zu diesem Dokument.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß, ich bitte um Entschuldigung, aber wir sind so schnell weitergegangen, daß ich nicht dachte, daß Erklärungen gegeben würden.


RAEDER: Im Jahre 1938 wurde, wie das hier ja verschiedentlich zum Ausdruck gekommen ist, die Stimmung des Führers gegen England schwieriger, trotz aller Bemühungen des Generals von Blomberg und mir, ihm zu sagen, daß das nicht der Fall wäre von Seiten Englands und daß man mit England in Frieden leben könnte. Trotzdem befahl der Führer, man müsse auch auf den Fall gefaßt sein, daß England einmal seinen Plänen entgegentrete. Er hat nie selbst daran gedacht, von sich aus einen Angriffskrieg gegen England zu inszenieren, und noch viel weniger haben wir in der Marine daran gedacht, wo ich ja nachgewiesen habe, daß ich nichts getan habe, als ihm davon abzureden. Im Jahre 1938 befahl er, wir sollten, so wie wir uns bisher mit den anderen Kriegsfällen beschäftigt hatten in Studien, was ja Pflicht der Wehrmachtsleitung ist, auch einmal durchgehen in einer Studie, wie sich eigentlich ein Krieg mit England gegen uns abspielen würde, und was wir dazu brauchten. Diese Studie wurde abgefaßt und ich habe dem Führer vorgetragen, daß wir niemals mit unseren Streitkräften so hoch kommen könnten, daß wir einen Krieg gegen England mit Aussicht auf Erfolg unternehmen könnten, das wäre ja Wahnsinn gewesen, wenn ich das gesagt hätte. Ich habe ihm gesagt, das ist wiederholt zum Ausdruck gekommen, daß wir bis zum Jahre 1944/1945 hier eine kleine [182] geschlossene Streitmacht gründen könnten, mit der wir den Handelskrieg gegen England anfassen könnten, beziehungsweise die Handelswege auf dem Ozean anfassen könnten, aber wir würden niemals in der Lage sein, England wirklich damit zu besiegen. Diese Studie, die bei uns in der Seekriegsleitung unter mir aufgestellt worden war, schickte ich an Generaladmiral Carls, der in allen diesen Fragen ein sehr klares Urteil hatte. Er hielt es für seine Pflicht in der Einleitung seiner Antwort, in der er mit uns übereinstimmte, auseinanderzusetzen, was für Folgen ein solcher Krieg gegen England für uns haben würde, nämlich, daß dadurch wieder ein Weltkrieg entstehen würde, den weder er, noch wir in der Marine, noch irgend jemand in der Wehrmacht haben wollte; meiner Ansicht nach auch Hitler nicht, wie ich neulich nachgewiesen habe; und deswegen diese Äußerung. Er sagte, wenn wir Krieg gegen England führen müssen, dann müssen wir selbst erstens den Zugang zum Ozean haben und zweitens müssen wir den englischen Handel auf den Seewegen des Atlantik angreifen. Nicht, daß er vorschlug, wir sollten eine solche Unternehmung von uns aus unternehmen, sondern es handelte sich immer nur um die Gedanken für den Fall, daß ein solcher Krieg, sehr gegen unseren Willen, ausbräche. Das war unsere Pflicht, diese Gedanken durchzudenken.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Er sagt:

»Er« – er meint den Krieg gegen England – »hat innere Berechtigung und Aussicht auf Erfolg nur, wenn er sowohl wirtschaftlich wie politisch und militärisch vorbereitet ist...«

Und dann sagt er weiter:

»... und der Zielsetzung entsprechend geführt wird: Deutschland den Weg zum Ozean zu erobern.«

Ich möchte nun sehen, wie Sie ihn vorbereiteten.

RAEDER: Jawohl, das ist ganz klar und auch ganz richtig.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun wollen wir mal untersuchen, welche wirtschaftlichen Vorbereitungen Sie getroffen haben. Wir wollen das zuerst nehmen, da Sie es als erstes vorgelegt haben. Sehen Sie bitte Dokument C-29, Seite 8 an.


VORSITZENDER: Sir David! Ich glaube, es wäre besser, jetzt eine Pause einzuschalten, ehe wir darauf eingehen.


[Pause von 10 Minuten.]


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich sagte Ihnen, Angeklagter, daß ich Sie als nächstes über Dokument C-29 befragen werde, das auf Seite 8 des englischen Dokumentenbuches 10 und auf den Seiten 13 und 14 des deutschen Dokumentenbuches steht. Sie werden[183] sich erinnern, daß dieses Dokument allgemeine Ausfuhrrichtlinien der Reichsmarine für die deutsche Rüstungsindustrie gibt...

RAEDER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE:... und Sie sagten uns, als wir über dieses Dokument sprachen, daß Ihre Dienststellen in Angelegenheiten, die nicht sehr geheim zu halten waren, nicht kleinlich sein sollten, daß sie aber darüber hinaus die allgemeine Politik verfolgt haben, die deutsche Rüstungsindustrie sollte den Außenhandel entwickeln, damit sie die wachsenden Forderungen der deutschen Marine baldmöglichst erfüllen könnte. Ist das richtig? Ist das eine richtige Zusammenfassung, oder soll ich es wiederholen?


RAEDER: Ja, man muß aber dazu sagen, daß ich an zwei Stellen ausgedrückt habe, daß wir in der damaligen Zeit hofften, daß die Versailler Bestimmungen gelockert würden, denn es war damals eine verhältnismäßig günstige Periode bei den Abrüstungsverhandlungen, und wir hatten schon die Regierungen von Papen und von Schleicher, die großes Verständnis zeigten für die Bedürfnisse der Wehrmacht und infolgedessen in der Abrüstungskonferenz auch sehr stark dafür kämpften. Also, es war eine durchaus legale Entwicklung, die zu erwarten war, und auf der anderen Seite war unsere ganze Industrie ja auf die Anfertigung von Rüstungsdingen in sehr geringem Maße eingestellt. Sie mußte infolgedessen gestärkt werden. Ich betone nochmals, daß das mit dem Hitler-Regime gar nichts zu tun hatte, sondern daß diese Verfügung zufällig am 31. Januar herausgekommen ist.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber ich glaube nicht, daß wir wirklich verschiedener Meinung sind. Ziel Ihrer großangelegten Wirtschaftspolitik zugunsten der deutschen Rüstungsindustrie war doch, den Außenhandel so zu entwickeln, daß er in der Zukunft den wachsenden Inlandbedarf befriedigen könne; das haben Sie doch befürwortet, nicht wahr? Die deutsche Rüstungsindustrie sollte sofort ihren Außenhandel vergrößern, damit sie den wachsenden Anforderungen des Inlandes gleich bei Entstehen dieses Bedarfs entsprechen könne. Stimmt das nicht?


RAEDER: Jawohl, das stimmt. Ich verstehe nur den Ausdruck nicht. Sagen Sie Eigenhandel oder Eisenhandel? Ich frage... Ich verstehe Ihren Ausdruck nicht, Eigenhandel oder Eisenhandel?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Außenhandel.


RAEDER: Außenhandel. Jawohl.

Also, wir wollten unsere Industrie konkurrenzfähig machen gegenüber den anderen Staaten, so daß sie auch Vorteil hatte und sich stärken konnte; ganz zweifellos.


[184] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte Sie, Dokument C-135 vorzunehmen, das auf Seite 20 des englischen Dokumentenbuches und auf Seite 73 des deutschen Dokumentenbuches zu finden ist.


VORSITZENDER: Buch 10?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Buch 10, Herr Vorsitzender, ja.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sie erinnern sich doch an dieses Dokument? Es wurde von Ihnen schon behandelt. Sie sagten...

RAEDER: Jawohl. Es wurde behandelt in dem Affidavit Lohmann.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, es ist ein Dokument vom... ich glaube vom April 1933, nach den Daten, die ich Ihnen gerade vorgelegt habe. Sie sagten dem Gerichtshof in Ihrer Aussage, daß das Jahr 1938 nur aus Zufall erwähnt wurde; daß es sich um die gleiche Periode handele.


RAEDER: Daß das Jahr 1938 erwähnt wurde, ist ja wiederholt zur Erwähnung gekommen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ist es schon in irgendeinem Dokument der Weimarer Republik erwähnt worden? Schauen Sie sich den vorletzten Absatz an, es wird bei Ihnen auf Seite 74 sein, Seite 21 des englischen Dokumentenbuches. Es ist der mittlere Absatz des Punktes 3:

»Nunmehr hatte der Reichskanzler Adolf Hitler die ganz klare politische Forderung gestellt, ihm in fünf Jahren, d.h. bis zum 1. IV. 1938, eine Wehrmacht aufzustellen, die er als politisches Machtinstrument auf die Waagschale legen könne.«

Stimmt es, daß Hitler diese klare politische Forderung gestellt hatte?

RAEDER: Jawohl, soweit ich mich erinnere, hatte er 1933 eine Art Fünfjahresplan verlangt, und nun fiel dieses Jahr 1938 zusammen durch Zufall mit dem Jahr 1938, das aus unserem Schiffsbauersatzplan stammte, und diese Anweisung hatte er offenbar für die ganze Wehrmacht gegeben, denn für die Marine wurde schon 1935 der Flottenvertrag maßgebend, wo wir nur zu rüsten hatten nach dem Verhältnis 1:3 und nicht nach irgendwelchen Sonderplänen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Punkt, den ich herausbekommen will, ist folgender: Hat Hitler Ihnen gesagt, daß er diese Streitkräfte brauche, um sie als politisches Machtinstrument auf die Waagschale legen zu können? Hat er Ihnen das gesagt?


RAEDER: Das kann ich Ihnen heute nicht mehr sagen, aber ich glaube, das ist ein Ausdruck, der durchaus gebräuchlich ist, daß man seine Wehrmacht als ein Instrument gebraucht, das man bei politischen Verhandlungen auch in die Waagschale werfen kann, um [185] nicht so, wie wir bisher immer – bis zu der damaligen Zeit – zum Spielball der Nationen zu werden; das ist ein durchaus unverdächtiger Ausdruck nach meiner Auffassung.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber, um es geradeheraus zu sagen: Hitler hat Ihnen gesagt; »Bis zum Jahre 1938 will ich Streitkräfte haben, die ich verwenden kann, wenn Krieg notwendig werden sollte.« Das ist der Sinn, nicht? So haben Sie es auch damals verstanden, stimmt das nicht?


RAEDER: Nein, vom Kriegsfall ist überhaupt nicht die Rede gewesen, sondern davon, daß wir so dastehen müßten im Kreise der Nationen, daß wir nicht ohne weiteres über den Haufen gerannt würden wie bisher.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn jemand Sie über den Hauten rennen wollte, dann hätten Sie ja kämpfen können, nicht wahr?


RAEDER: Das ist ganz klar, wenn wir angegriffen wurden. Das ist ja doch der Fall, wenn wir angegriffen wurden, dann wollten wir uns wehren können; das konnten wir bis dahin nicht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen nun das erste Beispiel heranziehen, als Sie die Absicht hatten, zu kämpfen. Wollen Sie im Dokumentenbuch 10a, C-140, Seite 104 der englischen und Seite 157 der deutschen Übersetzung betrachten. Sie erinnern sich, es ist eine Weisung des Feldmarschalls von Blomberg über Deutschlands Austritt aus der Abrüstungskonferenz und dem Völkerbund. Es ist eine ziemlich vollständige und allgemeine Anweisung über die militärischen Maßnahmen, die Sie treffen würden, wenn der Völkerbund Sanktionen gegen Sie anordnen würde. In anderen Worten, Sie waren für den Krieg vollständig vorbereitet....


RAEDER: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Für einen Krieg, der sich aus dieser Friedenspolitik hätte entwickeln können. Stimmt das nicht? Es wurden doch alle Vorbereitungen für den Kampf getroffen.


RAEDER: Diese Vorbereitungen wurden getroffen, soweit ich mich erinnere, elf Tage, nachdem wir aus dem Völkerbund ausgetreten waren, und es war ganz selbstverständlich, wenn der Führer glaubte, daß auf diesen Austritt hin, der ja an sich eine friedliche Unternehmung war, etwa kriegerische Maßnahmen oder Sanktionen gegen uns ergriffen würden, wir uns dagegen verteidigen müßten, und wenn ein solcher Angriff wahrscheinlich war, daß wir dann diese Vorbereitungen treffen mußten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sehen also ein Angeklagter, daß schon im Oktober 1933 Hitlers Außenpolitik einen sofortigen Krieg hätte herbeiführen können, nicht wahr?


[186] RAEDER: Nein, ich habe gar nicht damit gerechnet, daß eine solche Maßnahme, wie der Austritt aus dem Völkerbund, in dem wir stets ungerecht behandelt worden waren, weil wir eben keine Macht hinter uns hatten, einen Krieg von seiten irgendeiner Macht zur Folge haben könnte. Trotzdem war es richtig, daß man mit einem solchen Kriegsfall rechnete.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe, das genügt mir.

Wir wollen im gleichen Dokumentenbuch Dokument C-153 auf Seite 107 der englischen Übersetzung und Seite 164 bis 167 des deutschen Textes ansehen. Sie erinnern sich, es ist Ihr Rüstungsplan für den dritten Rüstungsabschnitt – ich will nur, daß Sie sich zuerst den dritten Punkt ansehen.

In a und b des Punktes 3 geben Sie die allgemeinen Grundlagen für Ihre Anordnungen an:

»a) für den militärischen Führer die sichere Grundlage für seine operativen Überlegungen und

b) für die politischen Leiter ein klares Bild über das mit den zu einem Zeitpunkt vorhandenen militärischen Machtmitteln Erreichbare.«


RAEDER: Ja, es ist ganz klar, daß ein solcher Plan diesen Zweck hat.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und daß Ihre politischen Leiter ihre Pläne auf die im Falle eines Krieges zur Verfügung stehenden Streitkräfte aufbauen sollten, das haben Sie damals schon in Betracht gezogen, nicht wahr?


RAEDER: Ja, das ist ja doch selbstverständlich. Ich habe dem Führer vorgetragen: So viel kann ich an militärischer Stärke in diesem Jahre bereitstellen; das muß das Staatsoberhaupt wissen, damit er weiß, womit er rechnen kann. Das hat aber mit kriegerischen Plänen gar nichts zu tun, sondern das ist in jedem Staate so der Fall. Andererseits kann ich dem politischen Führer nicht hineinreden, was er haben soll, sondern ich kann ihm nur melden, was ich schaffen kann. Ich habe also mit dieser politischen Sache gar nichts zu tun. Aber ich tue nur das, was notwendig ist, was in jedem Staat geschieht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich nun Absatz 7 an.

Ich will mit Ihnen nicht darüber streiten, ob Staaten die Argumentationen Ihrer Außenpolitik auch auf andere Dinge als auf einen Krieg gründen. Sehen Sie nur Absatz 7 an:

»Alle theoretischen und praktischen R-Vorbereitungen sind in erster Linie auf die Bereitschaft für einen Kampf ohne Anlaufzeit einzustellen.«

[187] Das heißt, daß Sie, was die Marine anlangt, auf einen unmittelbar bevorstehenden Krieg vorbereitet sein mußten, die Marine jederzeit kriegsbereit halten mußten, nicht wahr?

RAEDER: Nein, nein, sondern es handelte sich hier um die Reihenfolge der Dinge, die bewilligt werden sollten; also der Rüstungsplan stellte auf, was für die Marine am wichtigsten sei neu zu beschaffen, und da sage ich hier, das ist für die Kampfmittel, die für einen Kampf ohne Bereitschaft, ohne Anlaufzeit, dienen, und das ist auf deutsch gesagt die schwimmende aktive Flotte, die nämlich immer bereit sein muß; die mußte auf dem Stand der höchsten Bereitschaft gehalten werden, und die mußte in erster Linie das bekommen, was sie nötig hatte. Erst dann kamen alle die vielen anderen Dinge, wie zum Beispiel Unterkunftsräume und so etwas, was mit dem unmittelbaren Kampf nichts zu tun hatte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dies entspricht wohl meiner Behauptung, daß nämlich die Marine kriegsbereit sein mußte. Sie haben jetzt Ihre Darstellung darüber gegeben.

Schlagen Sie nun Seite 68 des Dokumentenbuches 10 auf, Seite 285 des deutschen Dokumentenbuches.

Es ist C-189, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich möchte nur einen Punkt berühren, den Sie selbst in Ihrem Verhör hervorgehoben haben, und den ich bestreiten muß. Sie sagen im Absatz 2 des englischen Textes:

»Ob.d.M. spricht Ansicht aus, daß die Flotte später« – ich möchte das Wort »später« besonders betonen – »doch gegen England entwickelt werden müsse, daß daher von 1936 an die großen Schiffe mit 35-cm-Geschützen armiert werden müßten.«

Behaupten Sie jetzt vor dem Gerichtshof, daß »gegen« England nicht bedeuten soll »in Feindschaft« oder »gegen England gerichtet« oder »in Opposition zu« sondern nur »im Vergleich zu«? Wollen Sie das wirklich im Ernst behaupten?

RAEDER: Ich habe neulich schon ausgeführt, daß es sich darum handelte... um das Ausrichten; wir hatten uns bis dahin ausgerichtet nach der französischen Marine, die 33 cm hatte; jetzt übertrumpfte England Frankreich, indem es 35,6 cm auf seine Schiffe nahm; dann übertrumpfte, wie ich neulich sagte, wiederum Frankreich England, indem es 38 cm nahm. So sagte ich dem Führer, mit unseren 28 cm, die wir glaubten, noch gegen Frankreich, gegen die Dunkerque-Klasse verwenden zu können, würden wir nicht mehr auskommen, sondern wir müssen das nächsthöhere Kaliber nehmen, nämlich 35,6, das die Engländer nahmen. Dazu [188] kam es aber gar nicht, weil die Franzosen 38 cm nahmen und wir nun mit unserem Bismarck-Typ nun wieder den Franzosen folgten.

Dieser Vergleich der Kaliber und der Schiffstypen untereinander war damals absolut gebräuchlich, wurde auch...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben uns das alles schon früher gesagt. Meine Frage ist nun eine ganz einfache. Wenn Sie in diesem Schriftstück, im deutschen Urtext, sagen »gegen England«, so bedeutet dieses Wort dasselbe, wie in Ihrem Lied »Wir fahren gegen Engelland«. Das heißt »gegen« im feindlichen Sinne, »gerichtet gegen« und nicht »im Vergleich zu«. Das halte ich Ihnen vor. Es ist eine ganz kurz zu beantwortende Frage.

Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß »gegen England« bedeutet »im Vergleich zu England«?


RAEDER: Das will ich sagen; denn es steht ja da, »entwickeln gegen England« und wir hatten in diesem Moment ja noch gar nicht einmal das Flottenabkommen abgeschlossen. Da werde ich doch nicht daran denken, eine englandfeindliche Politik machen zu wollen..


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich nun auf der nächsten Seite Dokument C-190 an, Seite 67 des englischen und Seite 284 des deutschen Dokumentenbuches. Das ist Ihr Gespräch mit Hitler am 2. November 1934, als Sie größere Marine-Kostenvoranschläge und die Bewilligung von mehr Geld besprachen. Ich möchte, daß Sie sich den Schluß des ersten Absatzes ansehen, der Hitlers Gründe hierfür angibt.

»Er hält den Ausbau der Marine in der geplanten Weise für lebensnotwendig«, nun passen Sie auf, »da Krieg überhaupt nicht geführt werden könne, wenn nicht die Marine die Erzzufuhr aus Skandinavien sicherstelle.«

Wollen Sie vor dem Gerichtshof noch immer behaupten, Sie hätten nicht schon seit dem Jahre 1934 den Krieg geplant? Wenn dem so war, warum sagte dann Hitler das? Das ist einer der wichtigsten Punkte der deutschen Marinestrategie: »Krieg kann nicht geführt werden, wenn nicht die Marine die Erzzufuhr aus Schweden sicherstellt.«

Haben Sie nicht im November Krieg geplant?

RAEDER: Hitler hat gesagt: Eine Kriegsmarine wird doch aufgebaut, damit sie, wenn ein Krieg notwendig wird, wenn sie das Vaterland verteidigen muß, eintreten könne mit ihren Waffen. Sie wird doch zu nichts anderem aufgebaut, und diese Idee war entschieden eine der allgemeinen Begründungen für die Existenz einer Manne in Deutschland. Es gab ja sehr viele Leute, die glaubten, daß eine Kriegsmarine nicht nötig wäre.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich halte Ihnen nun folgendes vor; Sie haben dem Gerichtshof gesagt, die Marine sei rein [189] defensiv gewesen, alle Ihre Vorbereitungen seien lediglich Verteidigungsmaßnahmen gewesen. Ich behaupte, daß Hitler hier einen Krieg plant und die Aufgaben einer Marine während eines Krieges in Betracht zieht, ein paar Monate bevor er beabsichtigte die militärischen Klauseln des Versailler Vertrages zu kündigen.

Sie alle waren schon damals auf einen Krieg vollständig vorbereitet, wenn er sich als notwendig erweisen sollte, und Sie wußten das auch. War das nicht die Lage?


RAEDER: Das ist also eine vollkommene Verdrehung, Herr Anklagevertreter. Selbstverständlich muß man doch im Frieden überlegen, welche Fälle eintreten könnten, wo die Wehrmacht aufgerufen wird zur Verteidigung, denn damals hat niemand an einen Angriffskrieg gedacht, und man muß über die einzelnen Aufgaben sich doch im klaren sein. Eine Aufgabe der Marine war zweifellos, in einem Krieg die Erzausfuhr von Schweden und Norwegen zu sichern. Danach mußte sie aufgebaut werden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie sich nun den nächsten Satz in Absatz 2 ansehen:

»Als, ich darauf aufmerksam machte, daß es bei kritischer politischer Lage im ersten Vierteljahr 1935 erwünscht sein würde, sechs U-Boote bereits zusammengesetzt zu haben...«

Sie haben also Vorbereitungen getroffen für diese kritische politische Lage?

RAEDER: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun wollen wir sehen, was Sie 1936 unternommen haben.

Geben Sie dem Angeklagten und Dr. Siemers das Dokument D-806.

Das Dokument ist Ihr Bericht vom 11. November 1936 und behandelt das U-Bootbauprogramm, und Sie sagen nach dem ersten Absatz, im zweiten Absatz:

»Die militärische und politische Lage erfordert dringend den Ausbau der U-Bootsflotte als eines besonders wertvollen und schlagkräftigen Teiles unserer Rüstung zur See, die mit der größten Tatkraft und Beschleunigung in Angriff genommen und vollendet wird.«

Behaupten Sie, daß diese Forderungen reine Verteidigungsmaßnahmen darstellten, und haben Sie nicht daran gedacht, daß eine besondere Schlagkraft während eines Krieges notwendig würde?

RAEDER: Aus der ganzen politischen Lage – scheint es mir wenigstens erinnerlich – glaubte ich damals zu ersehen, daß es notwendig sei, den U-Bootbau in den Vordergrund zu stellen. Aber ich habe niemals damit gerechnet, daß von uns aus ein Krieg [190] inszeniert werden würde. Das hat mir doch auch Hitler immer wieder gesagt; aber er hat seine politischen Unternehmungen gemacht, und durch die konnte man zweifellos in einen Krieg geraten, wenn die anderen Mächte gegen eine solche politische Unternehmung eintraten. An sich ist mir ja vorgeworfen worden, daß man den U-Bootbau zu wenig forciere.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie forcieren ihn hier aber genügend, nicht wahr? Sie waren über »die militärische und politische Lage« vollständig informiert und haben Ihre Marinerüstung dementsprechend ausgerichtet. Stimmt das?


RAEDER: Ich habe hier zu diesem Zeitpunkt nicht nur nichts gewußt von dem, was geschehen würde, sondern ich wußte, daß wir das Rheinland besetzt hatten in dem Jahre, und daß Hitler danach auch infolge der Wolken, die am Horizont aufzogen – infolge dieser Rheinlandbesetzung –, größte Vorsicht walten ließ und erklärte, wir müßten gefaßt darauf sein, daß doch noch eine Verwicklung eintrete. Deswegen war damals im Jahre 1936 ja eine besondere Weisung herausgegeben. In dem Rahmen dieser Überlegungen war meine Vorsicht. Es war ja meine größte Pflicht, daß ich aufpaßte, und nach diesem Aufpassen und den Folgerungen, die ich daraus zog, mich so stark wie möglich zu machen. In dem gleichen Sinne war auch das vorige Dokument, zu dem Sie mir keine Frage gestellt haben, gemeint, wenn ich fragte, ob für den Fall einer politischen Spannung Anfang 1935, wo nämlich das Flottenabkommen noch nicht abgeschlossen sein würde – das kam ja erst im Juni – ob wir da vielleicht schon sechs U-Boote zusammensetzen sollten. Das war auch für diesen Eventualfall, daß eine Spannung einträte, und ich wußte damals, daß 1935 die Erklärung der Wehrhoheit beabsichtigt war.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben uns nun gesagt, was Sie im Jahre 1936 wußten. Wir wollen jetzt zum Jahre 1937 übergehen. Ich möchte genau wissen, was Sie darüber sagen. Hierbei müssen wir natürlich, wie Sie sich erinnern werden, das Hoßbach-Dokument 386-PS, das auf Seite 81 des Dokumentenbuches 10, auf Seite 314 des deutschen Dokumentenbuches steht, in Betracht ziehen.


VORSITZENDER: Sir David! Haben Sie diesem letzten Dokument eine Nummer gegeben?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Vorsitzender, es ist GB-462.


[Zum Zeugen gewandt:]


Haben Sie das, auf Seite 314 im deutschen Dokumentenbuch?

RAEDER: Können Sie mir vielleicht den Abschnitt sagen, ich habe hier...

[191] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Ich möchte Sie zuerst über den Absatz 3 befragen, über den letzten Satz, wo Hitler angeblich sagt:

»Die deutsche Zukunft sei daher ausschließlich durch die Lösung der Raumnot bedingt.«

Und dann möchte ich Sie bitten, zwei Seiten weiter, Seite 316, aufzuschlagen, Seite 83 des englischen Dokumentenbuches, und da wird es noch einmal wiederholt, ungefähr sieben Zeilen von oben, wo Hitler sagt:

»Die einzige, uns vielleicht traumhaft erscheinende Abhilfe läge in der Gewinnung eines größeren Lebensraumes.«

Er fährt dann fort:

»Daß jede Raumerweiterung nur durch Brechen von Widerstand... vor sich gehen könne, habe die Geschichte aller Zeiten... bewiesen.«

In einem eigenen Absatz sagt er dann:

»Für Deutschland laute die Frage, wo die größten Eroberungen unter geringstem Einsatz zu erreichen seien.«

Das ist auf Seite 316, haben Sie es gefunden?

RAEDER: Darf ich mit dem letzten anfangen? Das ist ja falsch übersetzt...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte nur, daß Sie uns sagen, ob Sie von Hitler gehört haben, daß das Hauptproblem sei »wo die größten Eroberungen unter geringstem Einsatz zu erreichen seien«.


RAEDER: Nein; in dem englischen Dokument steht »conquest«, das steht aber nicht im deutschen Dokument; sondern es steht im deutschen Dokument »den größtmöglichen Gewinn mit dem kleinsten Einsatz«, also ein Wort aus dem Spiel; von Eroberungen ist in keiner Weise die Rede.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will gerne annehmen, daß es nach der Stelle kommt, die ich schon ausführlich mit Ihnen besprochen habe, weil ich nichts aus dem Zusammenhang herausgreifen will. Ist Ihnen klar, daß Hitler dort gesagt hat, die einzige Möglichkeit läge für Deutschland in der Gewinnung weiteren Lebensraumes und daß dieser auf Kosten anderer Nationen zu gewinnen sei. Das hat er doch gesagt, nicht wahr?


RAEDER: Das hat er gesagt und ich habe neulich erklärt, wie es aufzufassen ist. Er sprach im ganzen von Österreich und der Tschechei, vom Sudetenland. Wir waren der Auffassung, daß eine Schwenkung der Politik nicht beabsichtigt wäre und sie hat auch nachher nicht stattgefunden... weder Krieg mit Österreich noch mit der Tschechei.

[192] Wir waren alle der Überzeugung, daß er diese Fragen genau so wie alle anderen schwierigen politischen Fragen auf friedlichem Wege lösen würde. Ich habe das sehr ausführlich dargelegt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun gut, das wollte ich Sie eben fragen. Sie, haben meinen zweiten Punkt schon vorweggenommen. Der Rest des Dokuments behandelt die Aktion gegen Österreich und die Tschechoslowakei. Schauen Sie sich Seite 86 an.

Sie werden, glaube ich, mit mir übereinstimmen, daß Feldmarschall von Blomberg und General von Fritsch kaltes Wasser auf Hitlers Pläne gegossen haben. Kann man das so sagen?


RAEDER: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Daß sie so eine gewisse Abneigung gezeigt haben?


RAEDER: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, das war im November 1937.


RAEDER: Wir haben ihm ja alle immer gesagt, daß er unter keinen Umständen mit England und Frankreich einen Krieg herbeiführen dürfte, und er hat auch stets dem zugestimmt. Ich habe aber ausgeführt, daß diese ganze Rede mit einem bestimmten Zweck geredet wurde, und daß er deswegen sehr stark übertrieb und diese Übertreibung sofort zurücknahm, als ein Hinweis auf die Kriegsgefahr mit Frankreich und England ihm gegeben wurde.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das wollte ich Sie eben fragen. Das war im November. Im Januar hatte Feldmarschall von Blomberg seine unglückliche Ehe schon geschlossen, nicht wahr?


RAEDER: Ich glaube es war im Januar, ich weiß es nicht genau.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie waren der Überzeugung, daß der Angeklagte Göring diese Heirat begünstigt habe, nicht wahr?


RAEDER: Das habe ich noch niemals gesagt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie das nicht gesagt?


RAEDER: Nein, nicht daß ich wüßte; ich bin auch niemals der Überzeugung gewesen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich nicht, in Moskau über diesen Punkt eine Erklärung abgegeben zu haben? Ich werde sie Ihnen verlesen.


RAEDER: Wem bitte?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: In Moskau an die Russen, und ich möchte es Ihnen vorlesen.

»Das Jahr 1938 hatte schon in seinem Beginn Erlebnisse persönlicher Art gebracht, die zwar die Marine nicht direkt betrafen, wohl aber dazu geeignet waren, mein Vertrauen [193] nicht nur zu Göring, sondern auch zur Aufrichtigkeit des Führers ins Wanken zu bringen. Die unglückliche Heiratsangelegenheit des Feldmarschalls von Blomberg hatte diesen als Oberbefehlshaber der Wehrmacht unmöglich gemacht. Ich bin nachträglich zu dem Schluß gekommen, daß Göring, der mit aller Kraft die Stellung des Oberbefehlshabers der Wehrmacht – an Stelle von Blomberg – erstrebte, das Zustandekommen der Heirat Blombergs begünstigte, um diesen unmöglich zu machen, während Blomberg selbst glaubte und auch aussprach, eine solche Heirat sei im gegenwärtigen System möglich. (G. hatte ihn auch schon vorher beobachten lassen, wie ich aus einer Äußerung seinerseits später entnehmen konnte).«

Haben Sie das nicht gesagt?

RAEDER: Ich habe in Moskau unmittelbar nach dem Zusammenbruch meine Erfahrungen aufgeschrieben über die Ursache des Zusammenbruchs. Dieses Dokument habe ich unter den dortigen Verhältnissen geschrieben – wo ich sehr ritterlich behandelt wurde – und hatte keine Bedenken, dem obersten General des Innenkommissariats dies zur Kenntnis zu geben, da ich gefragt wurde, was ich dort betriebe.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will nun wissen, ob das stimmt, was Sie gesagt haben?


RAEDER: Ja. Ich habe diese Aufzeichnungen gemacht und es stimmt auch, daß ich nachträglich diese Gedanken bekommen habe, daß Göring die Heirat begünstigt habe. Das hat er, glaube ich, hier selbst mir gesagt. Er hat Blomberg geholfen, daß er, glaube ich, nicht wußte, worum es sich tatsächlich handelte und wie schlimm der Fall lag.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ihre Ansicht damals war, daß Göring die Heirat begünstigt habe, weil er wußte, daß er dadurch Blomberg als Oberbefehlshaber ausschalten würde und weil er, Göring, die Stellung selbst haben wollte. War das die Ansicht, die Sie im letzten Sommer hatten?


RAEDER: Das habe ich im letzten Sommer geglaubt, jawohl, und das stimmt auch, daß Göring zweifellos ein Bestreben hatte, Oberbefehlshaber der Wehrmacht zu werden, was der Führer aber selbst vereitelt hat.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, das war von Blomberg. Wir wissen, was mit ihm geschehen ist. Ihre zweite Wahl nach von Blomberg fiel auf von Fritsch, nicht wahr? Sie dachten, daß von Fritsch der beste Befehlshaber sein würde, wenn Blomberg ginge?


[194] RAEDER: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben das Hitler gegenüber erwähnt? Und...


RAEDER: Er fragte mich, und da habe ich gesagt, ich würde auch Freiherrn von Fritsch vorschlagen, wenn er mich fragte. Aber da sagte mir der Führer, daß das nicht ginge.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, weil es Leute gab, die den Vorwurf der Homosexualität gegen Fritsch erhoben hatten. Stimmt das nicht? Das war der Grund, weshalb es nicht ging.


RAEDER: Ja, er sagte das allgemein, es läge ein sittliches Vergehen vor.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie waren Mitglied des Gerichts, das die Untersuchung über diese Anschuldigung durchführte, nicht wahr? Göring, als Präsident, Sie und General von Brauchitsch.


RAEDER: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie kamen zu dem Schluß, daß die Anklage der Homosexualität gegen von Fritsch von der Gestapo frei erfunden worden sei, nicht wahr? Verstehen Sie, was ich damit meine? »frame up« ist leider ziemlich schwer zu übersetzen.


RAEDER: Den Eindruck machte mir die ganze Sache. Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Weil die Denunzierung durch einen Mann zweifelhaften Charakters erfolgte, der, Ihrer Meinung nach, sich viel bei der Gestapo herumgetrieben hat. Und im Gerichtsverfahren ist auch die Zusammenarbeit der Gestapo mit dem Denunzianten ans Licht gekommen. Das ist doch richtig, nicht wahr?

Sie haben sich davon bei der Verhandlung in hinreichendem Maße überzeugt?


RAEDER: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie stimmen mir zu, daß es sich hier nicht tatsächlich um eine Verwechslung gehandelt hat, sondern daß der Schuldige ein Rittmeister von Fritsch war, und keineswegs dieser General. Stimmt das nicht?


RAEDER: Da stimme ich absolut zu. Wir haben Freiherrn von Fritsch wegen erwiesener Unschuld freigesprochen. Es ist keinerlei Verdacht auf ihm irgendwie klebengeblieben.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben ihn also freigesprochen, aber er ist nicht wieder in sein Amt eingesetzt worden, nicht wahr?


RAEDER: Nein, ich bin zu ihm gegangen, da ich ihm nahestand, und habe ihn gefragt, ob er damit einverstanden sein würde, daß ich zu Hitler ginge und ihm vorschlüge, ihn, den Freiherrn [195] von Fritsch, wieder in sein Amt einzusetzen. Aber Fritsch sagte mir, daß er das für ganz unmöglich hielte. Er wäre der Ansicht, daß seine Autorität doch so weit gelitten hätte, daß er den Posten als Oberbefehlshaber des Heeres nicht mehr einnehmen möchte.

Daraufhin konnte ich leider nichts tun. Ich habe dies dem Führer gemeldet. Das hatte aber weiter keine Konsequenzen, und der Führer hat nur in einer großen Versammlung von Generalen und Admiralen die absolute Unschuld des Freiherrn von Fritsch festgestellt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie sich über den Fritsch-Zwischenfall so ausgedrückt:

»Ich bin zu der festen Überzeugung gekommen, daß auch in dieser Angelegenheit, die wohlvorbereitet war, Göring seine Hand im Spiele hatte, da zur Erreichung seines Zieles auch der wahrscheinlichste Nachfolger von Blombergs ausgeschaltet werden mußte...«

Erinnern Sie sich daran, das gesagt zu haben?

RAEDER: Ich erinnere mich nicht mehr, aber ich glaube, daß ich dieser Auffassung war. Ich muß aber bitte der Gerechtigkeit wegen sagen, daß die Freisprechung des Herrn von Fritsch in erster Linie der Führung der Verhandlung durch Göring zu verdanken war. Dieser Zeuge, der da angeführt wurde, war derartig verlogen und änderte seine Aussagen alle zehn Minuten, daß nur Göring mit ihm fertig wurde. Nachdem ich das erlebt hatte, war ich sehr dankbar, daß ich nicht zum Vorsitzenden ernannt war, was der Justizminister vorgeschlagen hatte. Ich wäre nicht mit diesen Leuten fertig geworden. Nur dem Eintreten Görings ist es zu verdanken, daß die Freisprechung ganz reibungslos erfolgen konnte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben aber, glaube ich, auch gesagt, Zeuge, daß, gleichgültig ob er nun freigesprochen wurde oder nicht, Fritschs Autorität in der Deutschen Wehrmacht seiner eigenen Ansicht nach durch die Tatsache dieser Anklageerhebung vernichtet war. Das war das Ergebnis davon. Stimmt das nicht?


RAEDER: Diese Ansicht war die des Herrn von Fritsch. Ich würde darauf bestanden haben, wieder ernannt zu werden, wenn ich so freigesprochen würde.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ist es Ihnen nicht ganz sonderbar vorgekommen, daß die zwei Leute, die am 5. November versucht hatten, Hitler von einem Kurs, der zum Krieg führen konnte, abzubringen, innerhalb zweier Monate in Ungnade gefallen sind? Ist Ihnen das nicht ganz sonderbar vorgekommen?


RAEDER: Das ist mir in gar keiner Weise sonderbar vorgekommen, und das steht ganz bestimmt in keinem Zusammenhang. Wenn Hitler dieser Ansicht war, daß Leute in oberen Stellungen, [196] die ihm in einer solchen Sache widersprachen, abgesetzt werden müssen, dann hätte er mich schon lange absetzen müssen. Aber er hat mir niemals irgend etwas darüber gesagt, und ich habe niemals gemerkt, daß er so etwas äußerte, weil ich ihm widersprach. Gerade in der Frage England-Frankreich habe ich immer wieder darauf hingewiesen, daß da kein Krieg entstehen dürfe, und ich habe niemals gemerkt, daß er mir das irgendwie verübelt hätte.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen uns nun ganz kurz fassen. Innerhalb von sechs Wochen, nachdem von Blomberg in Ungnade gefallen und von Fritsch ausgeschaltet war, kam es zum Anschluß von Österreich.

Wollen Sie vor dem Gerichtshof erklären, daß Sie nicht wußten, daß getarnte militärische Vorbereitungen für den Anschluß Österreichs getroffen worden waren, wie sie von General Jodl in seinem Tagebuch und auch von Feldmarschall Keitel dargestellt worden sind? Wußten Sie nicht, daß mit einer militärischen Aktion gedroht worden war?


RAEDER: Ich glaube, daß ich an einer militärischen Besprechung über den Anschluß Österreichs niemals teilgenommen habe, weil ich tatsächlich nichts damit zu tun gehabt hatte. Aber ich möchte ein für allemal hier feststellen, daß ich von solchen Unternehmungen, wie zum Beispiel Anschluß von Österreich, spätestens Kenntnis bekam dadurch, daß der Führer eine Weisung erließ und von den Weisungen, ganz gleichgültig ob die Marine beteiligt war oder nicht, immer ein Exemplar an mich als Oberbefehlshaber der Marine ging. So wird auch in diesem Fall eine Weisung zu meiner Kenntnis gekommen sein. Ich kann leider das Datum nicht sagen, aber ich bestätige, eine Weisung kam auch zu meiner Kenntnis.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Punkt, den ich Ihnen vorhalte – ich will damit keine Zeit verschwenden – ist folgender: Am 5. November erklärte Hitler, daß er Österreich 1943 oder spätestens 1945 bekommen würde, und zu einem früheren Zeitpunkt, wenn sich eine Gelegenheit biete. Vier Monate später, im März 1938, nimmt er Österreich, nachdem er die Leute losgeworden war, die sich seinen Plänen entgegengestellt hatten. Wenn Sie darüber nichts wußten, wollen wir damit keine Zeit verschwenden, sondern den Fall der Tschechoslowakei betrachten; denn in diesem Falle haben Sie den Befehl bekommen.

Sie werden dies auf Seite 163 des Dokumentenbuches 10a finden, Seite 276 des deutschen Dokumentenbuches, Dort finden Sie den Verteiler der Weisungen für die Operationen gegen die Tschechoslowakei. Diese ergänzen den Befehl vom 24. Juni, und Sie werden feststellen, daß es darin heißt, die Ausführung müsse spätestens für den 1. Oktober gesichert werden, und Ausfertigung Nummer 2 ist an Sie als Oberbefehlshaber der Marine gegangen.

[197] Wenn Sie nun umblättern, so kommen Sie zur Weisung selbst, es ist Seite 146 im englischen Dokumentenbuch, Seite 277 bis 278 des deutschen Buches, und Sie finden, daß der erste Satz des Punktes 1 lautet:

»Politische Voraussetzungen:

Es ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen. Den politisch und militärisch geeigneten Zeitpunkt abzuwarten oder herbeizuführen ist Sache der politischen Führung.«


RAEDER: Darf ich fragen, wo das steht, ich kann es leider noch nicht finden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der erste Satz des Punktes 1 der Weisung:

»Politische Voraussetzungen:

Es ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen.«


RAEDER: Es ist hier alles durcheinander numeriert.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das tut mir leid. Seite 277 bis 278.


RAEDER: Jetzt habe ich es. Von welchem Datum ist das, bitte?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vom 28. Mai 1938. Das sind ungefähr sechs Monate nach der Zusammenkunft, der Sie beiwohnten und bei welcher Hitler erklärte, daß er die Tschechoslowakei bei erstbester Gelegenheit angreifen würde. Brachte Ihnen das nicht zum Bewußtsein, daß Hitlers Rede im November nicht bloß leeres Gerede war, sondern seine Pläne darstellte?


RAEDER: Nein; denn den ganzen Sommer über änderte er seine Entscheidung. Es war jeden Monat ein anderer Entschluß, wie in dem Dokument 388-PS ja zu ersehen ist. Und es war so: Ich glaube, am 10. September begannen gewisse Truppenansammlungen und am gleichen Tage begannen die Verhandlungen, und am 1. Oktober fand der friedliche Einzug im Sudetenland statt, nachdem die anderen Mächte es in München gebilligt hatten. Nach den Münchener Verhandlungen...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: All das ist uns bekannt. Es ist vollkommen klar...


RAEDER: Ich möchte zu Ende reden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Im Mai lagen die Pläne vor, und der Führer hatte in seinen Reden zum Ausdruck gebracht, daß es sein Entschluß sei, die Tschechoslowakei Ende Mai durch militärische Aktion zu zerschlagen. Wollen Sie dem Gerichtshof erzählen, [198] daß Sie diese Weisung gelesen haben und noch immer der Ansicht waren, daß Hitler keine Angriffsabsichten hatte? Das frage ich Sie.


RAEDER: Jawohl, Ende Mai.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie noch mehr Beweise als diesen seinen eigenen Entschluß, die Tschechoslowakei zu zerschlagen? Welchen klareren Beweis können Sie denn noch verlangen?


RAEDER: Er hat ja sehr häufig gesagt, daß er etwas zerschmettern will und hat es nachher nicht getan. Er hat die Frage nachher friedlich gelöst. Ich möchte noch hinzufügen, am 30. Mai – ich glaube, das war das Datum – nachdem gerade eine Mobilmachung in der Tschechoslowakei vor sich gegangen war, und deswegen gebrauchte er so scharfe Ausdrücke und war dadurch... Meiner Ansicht nach war er dadurch berechtigt dazu, denn diese Mobilmachung der Tschechei konnte nur gegen Deutschland gerichtet sein, und wie gesagt, seine Ansicht hat sich im Laufe des Sommers mindestens drei- bis viermal geändert, wo er immer wieder sagte, er behielte sich das vor und... oder er wolle es nicht mit kriegerischen Mitteln.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Gerichtshof hat das gesamte Dokument 388-PS in Erinnerung. Ich will mit Ihnen darüber nicht streiten. Sie sagen, daß es Sie nicht überzeugte.

Als Hitler am 15. März 1939 in Prag einmarschierte, als er den slawischen Teil von Böhmen und Mähren besetzte und damit seinen eigenen Grundsatz »Deutschland für die Deutschen« brach, ist Ihnen da nicht zum Bewußtsein gekommen, daß doch vielleicht etwas Wahrheit in seinen Worten bei der Besprechung vom 5. November 1937 lag? Kam Ihnen da nicht zu Bewußtsein, daß er damals im November nicht gescherzt oder nur leere Redensarten gebraucht hatte?


RAEDER: Er hatte ja eine Weisung erlassen, in der drinnen stand, es wäre vorzusehen für dieses Jahr:

  • 1. die Verteidigung Deutschlands nach außen hin,

  • 2. die Erledigung des Restes der Tschechoslowakei für den Fall, daß sie eine deutschlandfeindliche Politik mache.

Ich habe von der Verhandlung mit Hacha und von seinem Entschluß, nun daraufhin in die Tschechei einzudringen, überhaupt nichts gehört. Ich wußte nur, daß er nach dieser seiner Weisung gegen die Tschechoslowakei vorgehen wollte, im Falle, daß sie eine deutschlandfeindliche Politik triebe, und in der Propaganda hörte man in der damaligen Zeit, daß Aas tatsächlich der Fall sei. Mit dem Einzug in die Tschechei hatte ich gar nichts zu tun, ebenso mit der Besetzung des Sudetenlandes, da das einzige, das wir für den Fall hätten liefern können, unsere kleine Donauflotte, für diesen [199] Zweck dem Heer unterstellt war, so daß ich überhaupt nichts damit zu tun hatte. Andere militärische Befehle gab es nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ihre Antwort ist also, daß Sie, sogar als Hitler am 15. März 1939 in Prag einmarschierte, noch immer nicht glaubten, daß er Angriffsabsichten habe? Wollen Sie, daß der Gerichtshof Ihnen das wirklich glaubt? Stimmt das?

RAEDER: Ja, ich bitte darum, denn ich meine, daß er nicht einen Kampf kämpfen wollte, gegen die Tschechoslowakei einen Krieg führen wollte. Er hat ja noch mit seinen politischen Maßnahmen mit Hacha es wirklich dahingebracht, daß kein Krieg ausbrach.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben die Aussage des Angeklagten Göring vernommen, er habe dem Präsidenten Hacha gesagt, daß seine Streitkräfte Prag bombardieren würden, falls er nicht zustimme. Wenn das nicht Krieg ist, so ist es sehr nahe daran, nicht wahr?


RAEDER: Nahe daran, ja, das ist eine Drohung.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun gehen wir zwei Monate weiter. Wenn Sie es im März noch nicht erkannten... als Sie am 23 Mai in die Reichskanzlei kamen, waren dort mit Ihnen sechs hohe Offiziere. Hitler erklärte, daß er Sie über die politische Lage unterrichten wolle. Der Inhalt seiner Belehrung war: »Uns bleibt nur der Entschluß, Polen bei erster passender Gelegenheit anzugreifen.« Als Sie ihn am 23. Mai so sprechen hörten, waren Sie da noch immer der Meinung, daß er keine Angriffsabsichten habe?


RAEDER: Ich habe das noch viel länger geglaubt, genau so, wie Herr Generaloberst Jodl auch sagte: Nachdem er die tschechische Frage rein politisch geregelt hat, ist zu hoffen, daß er auch die Polenfrage ohne Blutvergießen regeln wird, und das habe ich noch bis zum letzten Moment, bis zum 22. August, geglaubt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Werfen Sie nun einen Blick – es wird nicht lange dauern – auf Dokument L-79; ich glaube, es ist auf Seite 74 des Dokumentenbuches 10. Ich bitte um Entschuldigung, es ist auf Seite 298 des deutschen Dokumentenbuches. Ich will Sie nicht über das Dokument selbst befragen, weil der Gerichtshof das Dokument schon behandelt hat. Aber ich will, daß Sie sich ansehen, wer dort anwesend war.


RAEDER: Ich kenne die Personen, die da waren.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen wir sie uns einmal an: Oberstleutnant Schmundt, er war später General und Hitlers Chefadjutant und verlor am 20. Juli. 1944 sein Leben. Ist das richtig? Dann der Angeklagte Göring, Oberbefehlshaber der Luftwaffe; Sie selbst als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine; Generaloberst von Brauchitsch, der Oberbefehlshaber des Heeres; General Keitel, [200] der Chef des OKW; General Milch, der Stellvertreter Görings; Halder, der Chef des Generalstabs; Schniewind, Ihr Stabschef, und Jeschonnek, der, glaube ich, Chef des Stabes oder ein höherer...


RAEDER: Generalstabschef der Luftwaffe.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Und Oberst Warlimont, der Stellvertreter des Generals Jodl.

Wozu, glauben Sie nun, hat Hitler diese Männer versammelt und ihnen gesagt: »Uns bleibt nur der Entschluß, Polen bei erster passender Gelegenheit anzugreifen«, wenn er keine Angriffsabsichten gehabt hätte? Wozu waren diese Leute dort, wenn nicht, um einen Krieg zu entfesseln?


RAEDER: Ich habe schon auseinandergesetzt, daß der Hauptzweck, der hinten aus dem letzten Teil hervorgeht, der war, einen rein akademischen Vortrag zu halten über Kriegführung, um auf Grund dieses Vertrags einen Studienstab zu bilden, gegen den bis dahin die Wehrmachtchefs sich immer stark gesträubt haben. Ich habe auch im Anfang auseinandergesetzt, daß seine Auseinandersetzungen im Anfang das Unklarste sind, das ich je über die Angelegenheit gehört habe, und daß er auch mit Bezug auf diese Dinge keinerlei Weisungen erteilt hat, sondern daß die letzten Zeilen lauten:

»Die Wehrmachtsteile bestimmen, was gebaut wird. An dem Schiffsbauprogramm wird nichts geändert, die Rüstungsprogramme sind auf 1943 beziehungsweise 1944 abzustellen.«

Wenn er das sagte, konnte er unmöglich beabsichtigen, die polnische Frage in absehbarer Zeit kriegerisch zu lösen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie dem Gerichtshof erzählen, daß Sie nicht aufmerksam wurden, als Hitler sagte: »An eine Wiederholung der Tschechei ist nicht zu glauben. Weitere Erfolge können nicht ohne Blutvergießen erzielt werden.« Wollen Sie dem Gerichtshof ernsthaft erklären, daß Sie dem keine Beachtung schenkten?

RAEDER: Nein, das habe ich unter gar keinen Umständen getan, denn ich kannte Hitler ja nun allmählich und ich kannte die Übertreibung seiner Reden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zu jener Zeit besaßen Sie bereits Weisungen für einen Überraschungsangriff auf Danzig im November 1938. Sie hatten am 3. April die Weisung für den Fall »Weiß« bekommen, und Sie wußten, daß die ganze Sache im Anlaufen war. Wollen Sie, Angeklagter, wirklich ernsthaft den Gerichtshof glauben fassen, daß Sie nach dem 23. Mai noch irgendwelche Zweifel hegten, daß Hitler den Krieg gegen Polen beabsichtigte und bereit war, gegen England und Frankreich zu kämpfen, falls diese ihre Garantie für Polen aufrechterhalten würden? Ich will Ihnen vor der [201] Vertagung noch eine Chance geben: Behaupten Sie wirklich, daß Sie überhaupt noch Zweifel hatten?


RAEDER: Selbstverständlich. Ich habe ja doch auseinandergesetzt, daß ich noch im August Zweifel daran hatte. Also hier zum Beispiel, wenn Sie diese Rede einschätzen, so setze ich dem entgegen, und habe das hier schon getan, die Rede, die Hitler einige Wochen vorher beim Stapellauf des »Bismarck« gehalten hatte, und wo er nur vom Frieden der wahren Gerechtigkeit gesprochen hatte. Diese Reden, die waren für mich maßgebend. Ich habe gerade aus dieser Rede, die so besonders wirr wiedergegeben ist, nicht den Schluß gezogen und habe das auch bewiesen dadurch, daß ich der Marine den ganzen Sommer über keinen Ton davon gesagt habe, daß im Herbst Krieg ausbrechen könne. Das ist mir hier bestätigt worden, und kann mir auch von jedermann bestätigt werden. Ich schätzte eben Hitler so ein, ich schätzte sehr hoch ein sein politisches Geschick und war davon überzeugt, noch am 22. August, als uns der Pakt mit Rußland mitgeteilt wurde, daß es nun doch wieder gelingen werde, die Angelegenheit friedlich zu regeln. Das war meine volle Überzeugung. Man kann es mir vielleicht vorwerfen, daß ich mich verschätzt habe, aber ich glaubte Hitler richtig einzuschätzen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie ich Sie verstehe, wollen Sie also sagen, daß Sie sogar am 22. August nicht glaubten, Hitler habe irgendwelche Angriffsabsichten. Ist das wirklich Ihre Meinung?


RAEDER: Ja, es ist ja auch ganz begründet, denn wir hatten die große Aussicht, mit Rußland verbündet zu sein. Er hatte auseinandergesetzt mit vielen Gründen, weswegen England und Frankreich nicht eingreifen würden, und wir alle, die wir da versammelt waren, schöpften daraus die aufrichtige Hoffnung, daß es ihm wieder gelingen werde, ohne Krieg aus der Angelegenheit herauszukommen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wäre es recht, jetzt zu unterbrechen, Herr Vorsitzender?


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 14, S. 161-203.
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Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

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