Nachmittagssitzung.

[511] DR. SERVATIUS: Ich sprach von der Terminologie der Deportation im russischen Text. Ich habe die beiden Unterscheidungen herausgestellt, »uwod« als Abtransportation und »sylka« als Strafverschickung.

Man kann daraus folgern, daß der einfache Abtransport zur Arbeit aus dem besetzten Gebiet lediglich als Kriegsverbrechen anzusehen ist, daß der Abtransport aber Humanitätsverbrechen wird, wenn er den strafartigen Charakter eines Gefangenentransportes annimmt.

Es fragt sich aber, ob nicht nach dem Statut darüber hinaus überhaupt jeder Abtransport der Bevölkerung als Kriegsverbrechen bereits unter Strafe gestellt ist ohne Rücksicht darauf, ob er zum Arbeitseinsatz erfolgt oder aus sonstigen Gründen.

Nach dem Wortlaut des Statuts erscheint letzteres der Fall zu sein, denn danach ist strafbar: der »Abtransport zur Sklavenarbeit oder zu jedem anderen Zweck«.

Bei näherer Betrachtung ergibt sich aber, daß die Bestimmung nicht so gemeint sein kann, denn es gibt Fälle, wo ein Abtransport nicht nur völkerrechtlich zulässig, sondern sogar geboten sein kann.

Man kann daher das Statut nur so verstehen, daß der Tatbestand der unter Strafe gestellten Handlungen nicht der bloße »Abtransport« ist, sondern der zusammengesetzte Begriff »Abtransport zur Sklavenarbeit« und »Abtransport zu jedem anderen Zweck«.

Die Klausel »oder zu jedem anderen Zweck« kann hier aber nur so verstanden werden, daß es sich um einen verbotenen Zweck handeln muß, der der Sklavenarbeit entspricht. Sollte jeder Abtransport unter Strafe gestellt werden, so wäre der einschränkende Zusatz »zur Sklavenarbeit oder zu einem anderen Zweck« sinnwidrig.

Diese Feststellung ist für den Angeklagten Sauckel erheblich, da sonst das Vorliegen eines Kriegsverbrechens der Deportation bereits auf Grund der von ihm eingeräumten Tatsachen erwiesen wäre.

Wie bei den verschiedenen Arten der Deportation, ist auch bei den Arten der Sklavenarbeit der Unterschied nach dem Statut zu klären. Einen Anhalt für die Auslegung gibt auch hier die Terminologie der verschiedenen sprachlichen Texte, aber nicht durch ihre Klarheit und Konsequenz, sondern gerade durch das Gegenteil.

Der englische Text spricht »slave labor« als Kriegsverbrechen und »enslavement« als Humanitätsverbrechen; der französische Text setzt dafür »travaux forcés« und »reduction en esclavage«; dem [511] russischen Text entsprechen »rabstvo« und »poraboschtschenie«. Wodurch sich die gewählten Begriffe sachlich unterscheiden sollen, ist nicht erkennbar.

Geht man dazu davon aus, daß die humanitätswidrige Arbeit unter schweren Bedingungen stehen muß als sonstige Arbeit und bedenkt, daß »Sklavenarbeit« wohl schon der schwerste Grad der Arbeitsbedingungen ist, so sieht man, daß mit dieser Terminologie des Statuts keine Definition gegeben werden kann, sondern daß eine moralische Bewertung und Brandmarkung des Vorganges beabsichtigt ist.

Die sachliche Aufteilung der Arbeitsarten muß daher unabhängig von der Terminologie erfolgen, nur unter Berücksichtigung der Schwere der Arbeitsbedingungen. Versucht man aber eine Aufgliederung der angewandten Terminologie, so findet man für die humanitätswidrige Form der Arbeit die Bezeichnung »enslavement«, »esclavage« und »poraboschtschenie«, während die nichthumanitätswidrige Arbeit als »forced labor«, »travaux forcés« und »prinuditjelnaja rabota« bezeichnet wird. Sklavenarbeit (Slave labor, travaux forcés und rabstvo) ist dann der Oberbegriff, der beide Arten umfaßt.

Was bedeutet diese Feststellung für die Verteidigung des Angeklagten Sauckel?

Der Angeklagte Sauckel gibt zu, die »erzwungene Arbeit« als Pflichtarbeit vermittelt zu haben, die also mit dem allgemeinen Oberbegriff »Sklavenarbeit« bezeichnet worden ist. Er bestreitet aber, eine »Sklavenarbeit« gefordert zu haben, die als humanitätswidrige Arbeit, also Versklavung, angesehen werden könnte.

Für die beiden Tatbestände ist auch hier wie bei der Deportation ein verschiedener Maßstab maßgebend; die »Pflichtarbeit« gilt nur als Kriegsverbrechen und ist nach Kriegsrecht zu beurteilen; das Humanitätsverbrechen hat die zusätzlichen Merkmale, wie bereits oben für die Deportation als Humanitätsverbrechen ausgeführt wurde, nämlich Zusammenhang mit Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen den Frieden.

Kann nachgewiesen werden, daß der Arbeitseinsatz so, wie er von dem Angeklagten Sauckel angeordnet war, kriegsrechtlich erlaubt war, so kann die gleiche Handlung nicht als Humanitätsverbrechen aufrechterhalten werden.

Die Anklageschrift hat ebenfalls einen Unterschied im Hinblick auf die Arbeitsarten gemacht. Den von dem Angeklagten Sauckel gelenkten Arbeitseinsatz, den ich als »geordneten Arbeitseinsatz« bezeichnen will, hat sie unter Punkt 3, Abschnitt VIII, H, als besonderes Kriegsverbrechen behandelt unter dem Titel »Conscription of civilian labor« und spricht hier lediglich von »forced labor«, der französische Text spricht von »travaux forcés« und verwendet [512] Ausdrücke wie »les obligerent a travailler« und »mis en obligation«; der russische Text folgt dem und spricht ebenfalls nur von »erzwungener Arbeit« als »prinuditjelnaja rabota«, aber nicht davon, daß es sich hier um Sklavenarbeit handelt.

Den hier zugrundegelegten Tatbestand bestreitet der Angeklagte Sauckel nicht, aber ich werde die Rechtsgründe vortragen, die diesen Arbeitseinsatz rechtfertigen, und ich werde nachweisen, daß in ihm kein Kriegsverbrechen liegt, das dem Völkerrecht widerspräche.

Bei Beurteilung der Frage, ob der »geordnete Arbeitseinsatz« ein Kriegsverbrechen ist, sind die völkerrechtlichen Bestimmungen maßgebend. Was völkerrechtlich im Krieg erlaubt ist, kann durch das Statut nicht verboten werden. Dieses Völkerrecht ist in den kriegsrechtlichen Abkommen festgelegt und in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und Bräuchen, wie sie von den Staaten gehandhabt werden.

Die Beurteilung des Arbeitseinsatzes als Kriegsverbrechen wird von der Anklage auf die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung gestützt und auf die Kriegsabmachungen und Kriegsbräuche, sowie auf die allgemeinen Grundsätze des Strafrechts der zivilisierten Nationen und auf die Strafgesetze der betroffenen Länder.

Ergibt sich, daß der Arbeitseinsatz völkerrechtlich zulässig ist, so erübrigt sich eine Untersuchung der strafrechtlichen Bestimmungen selbst.

Die Haager Landkriegsordnung kann als Grundlage des hier in Frage stehenden Kriegsrechts angesehen werden. Ob sie von allen hier betroffenen Staaten anerkannt war, ist eine Frage von praktisch untergeordneter Bedeutung, denn soweit sie nicht anerkannt war oder nicht unmittelbar anwendbar ist, liegt eine Lücke des Völkerrechts vor, die nach den Grundsätzen der Notwendigkeit für die Kriegspartei und der Pflicht zur Einhaltung der Grenzen der Humanität geschlossen wird. Die in der Haager Landkriegsordnung niedergelegten völkerrechtlichen Grundgedanken sind in allen Fällen eine bedeutsame Richtlinie.

Von der Anklage ist an erster Stelle der Artikel 46 der Haager Landkriegsordnung zitiert, der die Grundrechte der Bevölkerung wahren soll. Das Typische des Arbeitseinsatzes ist die Beschränkung der Freiheit; gerade dieses Grundrecht wird aber in diesem Artikel nicht geschützt.

Prüft man die Haager Landkriegsordnung auf eine positive Bestimmung über Deportationen und Arbeitseinsatz, so muß man feststellen, daß eine Regelung nicht vorhanden ist. Wie auf dem Gebiet des Luftkrieges und der Anwendung neuer Waffen, hat sich die Haager Landkriegsordnung nicht mit Fragen befassen können, die [513] bei ihrer Entstehung der Gedankenwelt der Vertragschließenden fernlag. Noch der erste Weltkrieg wurde als Kampf zwischen zwei Armeen mit einmal bereitgestelltem Material begonnen, nach dessen Verbrauch der Waffengang sein Ende finden sollte. Der Gedanke des Dauerkrieges, der ein Materialkrieg ist und die laufende Fertigung unter dem Einsatz von Arbeitskräften verlangt, war für die Haager Landkriegsordnung noch kein Problem, das hätte diskutiert werden können.

Der Artikel 52 der Haager Landkriegsordnung, der sich grundsätzlich mit Requisitionsrecht befaßt, berührt das hier streitige Gebiet, aber es zeigt sich, daß die Bestimmungen auf den rein örtlichen Bedarf der Truppe abgestellt sind, die ausgerüstet erscheint und nur zusätzliche örtliche Bedürfnisse hat. Charakteristisch für die rein örtliche Bedeutung ist, daß das Requisitionsrecht den örtlichen Befehlshabern übertragen ist im Gegensatz zu Artikel 51, der schon Zwangsauflagen nur durch einen selbständig kommandierenden General zuläßt. Die völkerrechtliche Literatur zu dem Requisitionsrecht bringt dann auch nur Beispiele von örtlicher Bedeutung.

Wenn der Artikel 52 hiernach auch nicht unmittelbar anwendbar ist, so sind doch seine Grundgedanken für die Kriegsparteien verbindlich.

Der Grundgedanke ist, daß die Truppe praktisch alles fordern kann, was zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse erforderlich ist. Es gibt nur zwei Beschränkungen: sie darf nicht mehr nehmen als nötig und nicht mehr, als den Hilfskräften des Landes angemessen ist.

Der Gedanke der örtlichen Leistungspflicht ist auf den modernen Krieg zu übertragen.

Die Haager Landkriegsordnung dachte an die Inanspruchnahme von Schmieden und Stellmachern, die zur Instandhaltung des Materials der Truppe erforderlich waren; Leistungen im Staatsgebiet der Besatzungsmacht selbst kamen mit Rücksicht auf die unentwickelten Verkehrsverhältnisse nicht in Betracht, und man konnte nicht daran denken.

Heute sind die erforderlichen Arbeiten nicht mehr in frontnahem Raum durchzuführen, sondern im eigenen Staatsgebiet der Kriegführenden. Es muß daher möglich sein, die Arbeit dort zu fordern, wo sie allein ausgeführt werden kann und wo sie nötig ist.

Diese Arbeit muß auch verlangt werden können für die neu aufgetretenen Kriegsbedürfnisse der Massenfertigung für den laufenden Nachschub. Es kann das jeweils Zweckmäßige verlangt werden, und das Zweckmäßige richtet sich nach den Zeitverhältnissen. Wenn früher nach dem Grundsatz »der Krieg ernährt den Krieg«, auch die Ausrüstung der von der Heimat verkehrsmäßig losgelösten Truppe in weitem Umfange im besetzten Gebiet erfolgte, so muß die Versorgung der Truppe heute durch Heranführen der Arbeiter an die [514] Betriebe im Staatsgebiet der Kriegspartei möglich sein. Die Entwicklung des Kriegsrechtes richtet sich nach den Bedürfnissen, denen dieses Recht zu dienen hat.

Mit dem Grundgedanken der Leistungspflicht muß auch der Grundgedanke der Beschränkung übernommen werden. Die Beschränkungen sind ebenfalls den veränderten Verhältnissen entsprechend auszulegen.

Besteht die Leistungspflicht zu recht, so kann doch nicht mehr an Arbeit verlangt werden, als die Besatzungsmacht von der eigenen Bevölkerung in der Heimat an Arbeit verlangt. Die Intensivität des Krieges als totaler Krieg ist zu berücksichtigen. Die Leistungspflicht kann hierdurch einen starken Umfang annehmen.

Der Sinn und Zweck der Haager Landkriegsordnung ist bestimmt nicht, die Angehörigen eines unterlegenen Staates besser zu stellen als die des Siegerstaates, der das Land besetzt hat. Dies wäre aber das Ergebnis, wenn man die Haager Landkriegsordnung nach ihrem alten Wortlaut auslegen wollte. Würde dies verlangt, so hätte Frankreich, das bedingungslos kapituliert hatte, ebenso wie die übrigen Staaten die besetzt wurden, in Geborgenheit zusehen können, wie Deutschland, eingeschränkt durch die Blockade, sich in einem unermüdlichen Kampf unter Opfern von Gut und Blut erschöpfte. Kann man wirklich fordern, daß der Gefangene in einer belagerten Festung besser lebt als die Verteidiger der Festung?

Wäre Deutschland heute ein Leben nach der Idylle der Haager Landkriegsordnung beschieden, so müßte man dies den Lasten eines zu erwartenden Friedensvertrags vorziehen.

Tatsächlich ist die Haager Landkriegsordnung auch nicht in ihrer alten Auslegung eingehalten worden, wenn es zutrifft, daß bereits vor Abschluß des Waffenstillstandes von der Sowjetunion als Besatzungsmacht die Bevölkerung aus den östlichen Teilen Deutschlands zur Arbeit außerhalb Deutschlands in großem Umfange abtransportiert worden ist. Eine Auskunft des Kontrollrates Deutschlands könnte dem Tribunal hierüber amtliche Kenntnis verschaffen. Mir sind Mitteilungen zugegangen, wonach auch deutsche Zivilinternierte sich zum Arbeitseinsatz heute in Frankreich befinden. Das Tribunal kann auch hier eine amtliche Information einholen.

Die zweite Beschränkung der Arbeitspflicht liegt darin, daß keine Teilnahme an Kriegsunternehmen gegen das Vaterland des Arbeiters verlangt werden darf.

Indirekt kommt jede Arbeit für die Besatzungsmacht deren Kriegführung zugute; das Verbot ist daher auf unmittelbare Beteiligung an »Operationen« der kämpfenden Truppe beschränkt. Die völkerrechtliche Literatur stellt der Teilnahme an Kriegsunternehmen (operations) die zulässige Teilnahme an Vorbereitungen (preparations) gegenüber.

[515] Eine Teilnahme an Kriegsunternehmungen in diesem Sinne ist von keinem Arbeiter verlangt worden, es war vielmehr gerade der Zweck, die Arbeiter, fern von Operationen, ungestört zu beschäftigen.

Untersagt ist sodann nur die Tätigkeit, die gegen das eigene Vaterland gerichtet ist. Damit soll das Gefühl des einzelnen berücksichtigt werden. Nicht bezweckt ist dagegen der Schutz des feindlichen Staates. Wo sich der einzelne daher von seinem Vaterland lossagt und in einem Kampf der Weltanschauungen gegen die Regierung seines Landes Stellung nimmt, muß diese Beschränkung fallen. Es wird in diesem Zusammenhang auf die große Zahl von Ausländern verwiesen, die eine solche Haltung einnahmen und sich heute noch zum Teil in Deutschland befinden.

Das gleiche gilt auch dann, wenn der Staat, dem der Arbeiter angehört, nicht mehr im Kampf steht.

Diese Frage ist von besonderer Bedeutung bezüglich der Verpflichtung zur Arbeitsleistung in der Waffenfertigung. Die Bestimmungen der Genfer Konvention für die Arbeit der Kriegsgefangenen sind bekannt; der Grundgedanke, daß niemand gezwungen werden soll, Waffen gegen seine eigenen Brüder anzufertigen, muß auch für die Zivilarbeiter gelten.

Zu den Gründen, die aber diese Beschränkung fortfallen lassen, gehört der Umstand, daß das eigene Land nicht mehr im rechtmäßigen Kampf steht. Das Schutzbedürfnis fällt auch fort, wenn ein Land zwar noch rechtlich am Kriege beteiligt ist, aber praktisch nicht mehr mit einer Armee im Felde steht und daher kein militärisches Angriffsobjekt mehr besteht.

Der Umstand, daß das eigene Land Bundesgenossen hat, die für dieses kämpfen, kann diese Beschränkung nicht über das Abkommen hinaus nach Willkür erweitern; auch geht die Pflicht des Staatsangehörigen nicht dahin, die jeweiligen Bundesgenossen zu schützen und an der Politik seiner Regierung teilzunehmen.

Schattenregierungen können die Wirklichkeit nicht ändern; erst dann, wenn diese unter eigenem Oberbefehl wieder als selbständige Kämpfer auftreten und als solche anerkannt sind, kann das alte Recht wieder aufleben.

Diese Gesichtspunkte gelten gegenüber allen Staaten, die von Deutschland außer Kampf gesetzt wurden.

Aktive Kämpfer gegen Deutschland waren zur Zeit des Arbeitseinsatzes nur England und die Vereinigten Staaten sowie die Sowjetunion. Engländer und Amerikaner sind nicht zum Arbeitseinsatz gekommen, nur die Bürger der Sowjetunion wurden teilweise zur Waffenfertigung verwandt. Die Rechtslage der Bürger der Sowjetunion ist jedoch grundsätzlich anders.

Die Anklagebehörde hat einen Beschluß der Volkskommissare vom 1. Juli 1941 vorgelegt als Dokument EC-338, USSR-356.

[516] Dieser Erlaß behandelt den Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen, befaßt sich aber auch mit der Arbeit von Zivilinternierten.

Für beide Arten von Arbeitern ist danach die Waffenfertigung nicht verboten. Es sind vielmehr nur zwei Beschränkungen in dem Erlaß vorgesehen, nämlich die Arbeit im Gebiete der Kampfhandlungen und persönliche Dienstleistungen als Burschendienst.

Nach dem Gedanken der Gegenseitigkeit kann daher gegen die Beschäftigung von Sowjetbürgern bei der Waffenherstellung kein Einwand erhoben werden. Der vor dem Tribunal vernommene Zeuge General Paulus hat auch bestätigt, daß die Kriegsgefangenen in Fabriken der Sowjetunion eingesetzt waren, und diese werden sich in einem Staate mit gelenkter Wirtschaft während des Krieges nur mit Rüstung beschäftigen. Daß diese Arbeitskräfte ebenfalls zur Waffenfertigung eingesetzt waren, muß man nach dem Erlaß annehmen.

Die Bedeutung einer solchen Durchbrechung des Grundgedankens des Verbotes der Waffenherstellung liegt in der schwerwiegenden Folge, daß damit die Bildung einer allgemein anerkannten Regel des Völkerrechts für das Neuland des Arbeitseinsatzes nicht nachgewiesen werden kann. Unter diesen Umständen war Deutschland daher ebenfalls frei, die Arbeiter der Sowjetunion, und auch aller anderen Staaten, in der Waffenherstellung zu beschäftigen.

Steht hiernach die Haager Landkriegsordnung dem geordneten Arbeitseinsatz nicht entgegen, so gibt es weitere völkerrechtliche Gesichtspunkte, die den Arbeitseinsatz zulassen. An erster Stelle steht die Zustimmung der Regierung des besetzten Staates. So hat Frankreich zugestimmt.

Der hier erhobene Einwand, daß die Regierung des Marschalls Pétain keine rechtmäßige Regierung gewesen sei, ist nicht haltbar, denn sie war die Rechtsnachfolgerin der Waffenstillstandsregierung. Ausschlaggebend für den völkerrechtlichen Verkehr ist, daß sie den französischen Staat nach außen vertrat.

Diese Vertretungsbefugnis ist dadurch bestätigt worden, daß die Vereinigten Staaten sie sogar noch nach ihrem eigenen Kriegseintritt durch Unterhaltung eines Botschafters in Vichy anerkannt hatten. Auch Großbritannien hat mit einem General der Vichy-Regierung im Jahre 1941 ein Waffenstillstandsabkommen in Syrien abgeschlossen.

Diese einmal anerkannte Regierung konnte ihre Rechtsstellung nicht durch eine einfache Erklärung einer Gegenregierung verlieren und auch nicht da durch, daß diese Gegenregierung von den Alliierten anerkannt wurde. Eine alte Regierung verliert erst dadurch ihre völkerrechtliche Stellung, daß sie die tatsächliche Macht an die Gegenregierung abgeben muß. Bis dahin bleibt sie vertretungsberechtigt für ihren Machtbereich.

[517] Der weitere Einwand, daß die Regierung des Marschalls Pétain nicht frei habe handeln können und daß die Abkommen mit Deutschland über den Arbeitseinsatz daher erzwungen und nichtig seien, ist völkerrechtlich ebenfalls unbegründet.

Waffenstillstand und Friedensvertrag werden stets unter starkem Druck geschlossen. Es ist völkerrechtlich unbestritten, daß dies die Gültigkeit dieser Verträge nicht beeinträchtigt. Dies ist den deutschen Revisionsforderungen bezüglich des Versailler Vertrags stets entgegengehalten worden.

Unter den gleichen Bedingungen stehen die Abkommen, die zwischen Waffenstillstand und Friedensvertrag geschlossen werden. Dies trifft also auch auf die Abkommen mit Frankreich über den Arbeitseinsatz zu. Wenn entgegen der Darstellung des Angeklagten Sauckel in ultimativer Form über den Arbeitseinsatz verhandelt worden sein sollte, so dürfte dies völkerrechtlich nicht zu beanstanden sein. Der Einfluß Sauckels war zudem sicher nicht so groß, daß er einen übermäßigen Druck überhaupt hätte ausüben können.

Die Gültigkeit solcher Verträge kann erst unter ganz besonderen Bedingungen in Zweifel gezogen werden; so, wenn in ihnen übermäßige Pflichten übernommen werden müssen, die offensichtlich die Grundsätze der Humanität verletzen; so, wenn die Abkommen eine Verpflichtung zur Arbeit unter sklavenmäßigen Verhältnissen enthalten hätten.

Der Sinn der Abkommen war aber gerade, den französischen Arbeitern bei der Pflichtarbeit in Deutschland günstige Arbeitsverhältnisse und Löhne zu bieten, um dafür die Willigkeit der Arbeiter auszutauschen.

Auch militärische Gründe können die Räumung eines besetzten Gebietes von Teilen der Bevölkerung und damit die Verlagerung von Arbeitskräften gebieten. Dies ist der Fall, wenn die Bevölkerung, anstatt ihrer Gehorsamspflicht entsprechend sich friedlich zu verhalten, sich am Kampf von Partisanen und Widerstandsgruppen beteiligt und die Sicherheit gefährdet.

Es genügt auch, wenn die Bevölkerung in sogenannten Partisanengebieten gegen ihren eigenen Willen von Partisanen zur Unterstützung herangezogen wird.

Daß solche Verhältnisse in steigendem Maße zunächst im Osten und später im Westen durch die Gegner Deutschlands als Kampfmaßnahme organisiert wurden, wird von ihnen heute als patriotische Tat hervorgehoben. Es darf aber demgegenüber nicht vergessen werden, daß die damit im Zusammenhang stehende Verlagerung von Arbeitskräften gerade eine Folge ihres Vergehens war, und daß dieses Vergehen folglich völkerrechtlich erlaubt war. Die Räumung mußte im Interesse der Sicherheit erfolgen, und die anderweitige Zuweisung von Arbeitsmöglichkeit war schon zur [518] Aufrechterhaltung der Ordnung erforderlich. Daß diese Kräfte bei einer gelenkten Staatswirtschaft so angesetzt werden, wie es den Umständen nach am zweckmäßigsten erscheint, ist das Recht der Besatzungsmacht.

Auch in den Rückzugsgebieten konnte es zu ähnlichen Maßnahmen kommen, so, nachdem festgestellt war, daß der männliche Teil der Bevölkerung sich beim Rückzug rechtswidrig am Kampf beteiligte, wozu er vom Gegner aufgefordert war und zum Teil sogar mit Waffen versehen wurde.

Rückführungsmaßnahmen zur Sicherung der kämpfenden Truppe entsprechen dem Völkerrecht. Wenn die Zurückgeführten in neue Arbeit gebracht werden, so ist das nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht der Besatzungsverwaltung. Die Schuld an einer solchen Evakuierung trägt der Staat, der seine Angehörigen zum Kampf auffordert und damit den Kampf verschärft. Die hiergegen erforderlichen Gegenmaßnahmen müssen rechtmäßig sein.

Werden solche Räumungen nötig, so müssen sie ohne überflüssige Leiden für die Bevölkerung durchgeführt werden. Hierzu gehören vor allem vorbereitende Maßnahmen, die allein die Härten vermeiden können. Dies verlangt die Verwaltungspflicht, die in Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung begründet ist.

Hierhin gehören die Vorschläge, die Sauckel zur Evakuierung von Rückzugsgebieten in Frankreich für den Fall der Invasion gemacht hat. Es ist dies Dokument 1289-PS. Diese Vorschläge, die nicht in die Wirklichkeit umgesetzt wurden, können den Angeklagten Sauckel daher nicht belasten.

Diese Verwaltungspflicht kann eine Verlagerung von Arbeitskräften auch erfordern, um Arbeitslosigkeit und Hungersnot zu vermeiden. Dies traf zum Beispiel zu, als die Industriegebiete der Sowjetunion besetzt wurden, wo keine Arbeitsmöglichkeit und Verpflegungssicherung mehr vorhanden war, nachdem, infolge der von der Sowjetunion gewählten Kampfform der verbrannten Erde, die Bevölkerung arbeitslos war und infolge der Transportverhältnisse die Versorgung aussetzte.

Diese militärischen und verwaltungsmäßigen Gesichtspunkte des Völkerrechts können eine Reihe von Vorwürfen entkräften, aber sie treffen nicht die Kernfrage, nämlich, ob auch außerhalb der Haager Landkriegsordnung die Erfassung von Arbeitern zulässig ist, gerade zum Zweck der Arbeit, damit ein Staat durch Leistungssteigerung den Krieg durchhalten kann und in der Lage ist, eigene Arbeiter als Kämpfer für die Front freizumachen.

Ein militärischer Notstand könnte keinen Grund dafür abgeben, sich über Völkerrecht hinwegzusetzen, der gefährdete Sieg darf nicht durch Rechtsbruch in der Not erstrebt werden, denn das [519] Kriegsrecht soll ja gerade diesen Kampf regeln, der immer mit Not verbunden ist.

Anders entscheidet das Völkerrecht, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, die getroffen werden muß, um die Existenz des Staates zu retten. Es handelt sich um das Selbsterhaltungsrecht, das jedem Staat zuerkannt ist, weil höhere Instanzen fehlen, die ihn vor Vernichtung schützen könnten.

Daß es in diesem Kriege um die Existenz ging, ist von allen Beteiligten wiederholt betont worden. Für Deutschland wurde dies klar nach den verhängnisvollen Schlachten im Winter 1941/1942 an der Ostfront.

Während bis dahin auf eine allgemeine Hereinnahme von ausländischen Arbeitskräften verzichtet werden konnte, mußte nunmehr sofort neue Ausrüstung geschaffen werden. Die eigenen Arbeitskräfte mußten durch Herausnahme von zwei Millionen Arbeitern zum Einsatz an der Front verringert werden. Die Beschäftigung von ungelernten Frauen und Jugendlichen konnte keine Abhilfe schaffen.

Durch die spätere Kriegsentwicklung, insbesondere durch den Luftkrieg, wurden die Anforderungen an die Rüstung noch so gesteigert, daß selbst der dann noch erhöhte Einsatz von Frauen und Jugendlichen keinen Ausgleich schaffen konnte. Die Mittel waren erschöpft.

Die amtlichen Zahlen, die der Angeklagte Sauckel in einer Rede in Posen im Februar 1943, nach Dokument 1739-PS, bekanntgegeben hat, beweisen, daß bereits 1933... nein, 1939, bei Beginn des zweiten Weltkrieges, mehr als doppelt soviel Frauen eingesetzt waren als zu Beginn des ersten Weltkrieges und daß sich ihre Zahl bis zum Ende des zweiten Weltkrieges um weitere zwei Millionen, das ist auf über zehn Millionen, erhöhte. Diese Zahl ist größer als die Gesamtzahl der männlichen und weiblichen Rüstungsarbeiter am Ende des ersten Weltkrieges.

Trotzdem reichten diese Kräfte nicht aus. Dies bestätigte der Zeuge Rohland des Mitangeklagten Speer in Dokument Speer-56, wonach der Mitangeklagte Speer ebenfalls erklärt hat, daß der Einsatz der Ausländer unter allen Umständen notwendig sei.

Das Problem lag in seiner Schwere nicht beim Fraueneinsatz, wo man durch Einführung zusätzlicher Heimarbeit bis zum äußersten ging, sondern in der Beschaffung von Fach-, Schwer- und Schwerstarbeitern.

Unter den zehn Millionen deutscher Frauen, die eingesetzt waren, befanden sich auch die Frauen der an der Front stehenden Offiziere und die Frauen aus gleichen Gesellschaftsschichten.

[520] Die Ansicht, daß in England die Frauen stärker zur Arbeit herangezogen worden seien als in Deutschland, ist falsch. In Deutschland waren die Frauen bis zu 45 und später bis zu 50 Jahren eingesetzt, und zwar standen sie tatsächlich in den Fabriken und hatten keine Scheinposten gesellschaftlicher Art. Selbst die schulpflichtige Jugend wurde vom zehnten Lebensjahr an zu Arbeiten herangezogen und vom sechzehnten Lebensjahr an in den regulären Arbeitsprozeß eingeschaltet oder zu sonstigem Dienst herangezogen. Die Familien waren versprengt, Schulen und Hochschulen lagen still, ihre Besucher arbeiteten in der Rüstung und selbst Verwundete konnten nicht weiterstudieren. Um jeden Arbeitsfähigen wurde erbittert gekämpft. Die Speerschen Arbeitsreserven gab es nicht. Welche Anstrengungen hier gemacht worden sind, zeigt unter anderem die Anlage 2 zum Wartburg-Dokument, das ist F-810.

Ein anderer Gesichtspunkt, der die Notwendigkeit des Einsatzes zusätzlicher Arbeitskräfte veranschaulicht, ist die Tatsache, daß die Kolonialmächte Arbeitskräfte aus ihren Kolonien heranholten; so Frankreich, nach Dokument RF-22, Seite 17. Hier wurden beispielsweise etwa 50000 Arbeiter aus Nordafrika und Indochina geholt, deren Verwendung unter der Leitung und Aufsicht von Offizieren und Unteroffizieren erfolgte.

Da Deutschland durch die Verweigerung von Kolonien und durch die Blockade auf solche Kräfte nicht zurückgreifen konnte, muß im Kampf um die Staatsexistenz die Möglichkeit gegeben sein, die Arbeitskräfte dort zu holen, wo sie in den besetzten Gebieten untätig vorhanden sind.

Dies ist in großen Zügen die völkerrechtliche Grundlage für die Beurteilung des geordneten Arbeitseinsatzes als Kriegsverbrechen.

Man kann in manchen Punkten anderer Ansicht sein, und gerade im Völkerrecht zeigt sich, daß eine einheitliche Rechtsauffassung sich nur schwer bildet. Die Interessen der Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft spielen eine maßgebende Rolle und sind nicht immer gleich; Rechtsgedanken werden häufig nicht anerkannt, weil ein Staat sich mit seinen bisherigen Handlungen nicht amtlich in Widerspruch setzen will oder weil er für die Zukunft freie Hand behalten möchte.

Ich bin als Verteidiger in der Lage, die Rechtsauffassung ohne solche Hemmungen vorzutragen.

Die Bedeutung meiner Ausführungen für die Verteidigung liegt neben der objektiven Seite darin, daß der Angeklagte Sauckel subjektiv an die Rechtmäßigkeit des geordneten Arbeitseinsatzes mit guten Gründen glauben konnte und ein völkerrechtswidriges Handeln für ihn nicht erkennbar wurde.

[521] Dies wird unterstützt durch die Überzeugung, die der Angeklagte Sauckel von der Zulässigkeit des geordneten Arbeitseinsatzes durch das Verhalten der maßgebenden Dienststellen erhalten mußte. Als Sauckel sein Amt antrat, waren bereits ausländische Arbeiter in Einzelaktionen geworben worden, und er konnte annehmen, daß der Staat rechtmäßig verfahren werde.

Keine der höchsten Stellen hat Sauckel gegenüber einen rechtlichen Einwand erhoben. Diese Stellen, in erster Linie auch das zuständige Auswärtige Amt und die höchsten Zivil- und Militärdienststellen in den besetzten Gebieten des Auslandes, haben seinen Auftrag als etwas Selbstverständliches unterstützt, und völkerrechtliche Zweifelsfragen sind nicht aufgeworfen worden.

Besonders ausschlaggebend mußte für die Auffassung des Angeklagten Sauckel das Verhalten der beteiligten ausländischen Stellen sein, so insbesondere die Zustimmung der Franzosen sowie der Belgier, die selbst zu Besprechungen nach Berlin kamen. Daran anschließt sich die gute Zusammenarbeit mit den einheimischen Behörden in den besetzten Gebieten, wie sie vor dem Eingreifen der Gegenpropaganda bestand.

Ob zur Begehung eines völkerrechtlichen Delikts die Kenntnis des Rechtsbruchs erforderlich ist, mag dahingestellt bleiben; für eine strafrechtliche Verurteilung ist aber zum Nachweis der Schuld die Kenntnis der Verwirklichung des gesamten Tatbestandes erforderlich. Und hierzu gehört auch die Kenntnis, daß die vorgenommene Handlung gegen das Völkerrecht verstieß. Die subjektive Seite des Tatbestandes und damit eine strafrechtliche Schuld ist dem Angeklagten Sauckel bezüglich der Durchführung des geordneten Arbeitseinsatzes nicht nachzuweisen.

Eine Bestrafung des Angeklagten Sauckel könnte auch aus einem anderen Rechtsgrund nicht erfolgen, selbst wenn der geordnete Arbeitseinsatz tatsächlich eine Völkerrechtsverletzung wäre. Nach der Haager Landkriegsordnung gibt es hier keine individuelle Haftung. Die Haager Landkriegsordnung unterscheidet zwei Arten von Kriegsverbrechen, solche, die von einer Einzelperson begangen werden können, wie Mord und Mißhandlungen, und solche, die nur von einer Kriegspartei begangen werden können.

Bei dem geordneten Arbeitseinsatz handelt es sich um einen Vorgang, den nur der Staat veranlassen kann. Während die individuelle Handlung nach dem Strafgesetzbuch der einzelnen Staaten bestraft wird, ist für die Verstöße der Kriegspartei eine besondere Regelung in Artikel 3 des einleitenden Abkommens zur Haager Landkriegsordnung getroffen. Danach ist ausdrücklich nur eine Schadenersatzpflicht des Staates vereinbart.

Diese Vereinbarung der Haager Landkriegsordnung gilt auch heute noch, denn durch ein Abkommen der Alliierten allein kann [522] diese nicht außer Kraft gesetzt werden. Das Statut, das die unmittelbare strafrechtliche Haftung der Staatsorgane oder der Ausführenden anordnet, ist insoweit unwirksam, als es der Haager Landkriegsordnung widerspricht.

Ich brauche mich nicht darauf zu berufen, daß Deutschland als einer der Vertragsteile der Aufhebung des Artikels 3 hätte zustimmen müssen; es sind andere Gründe vorhanden, die für das Weiterbestehen dieser Bestimmung sprechen.

Eine Änderung der Haager Landkriegsordnung im Sinne des Statuts könnte erfolgt sein durch Gewohnheitsrecht oder allgemeinen Brauch infolge Wandlung der Rechtsüberzeugung. Die Voraussetzung zu dieser Annahme wäre aber, daß die Vertragsstaaten ihre Souveränität aufgegeben hätten, da nur dann die Bestrafung der Organe des Staates durchführbar wäre. Ein solcher Verzicht auf die Souveränitätsrechte ist jedoch, soweit mir bekannt, nicht in dem Umfange er folgt, der allgemein eine solche Bestrafung zulässig machen würde.

Ich verweise hierzu auf die allgemeinen Ausführungen von Herrn Professor Jahrreiss hier vor dem Tribunal.

Ich komme nun zum Arbeitseinsatz als Humanitätsverbrechen. Wenn der »geordnete Arbeitseinsatz« völkerrechtlich zulässig erscheint, so bleibt die Frage der Art der Durchführung offen, nämlich die Frage, wann dieser Arbeitseinsatz noch als geordnet angesehen werden kann und wann die zulässige Grenze überschritten wird.

Was unter Humanität zu verstehen ist, sagt das Statut nicht. Für das Völkerrecht kann der Begriff nur aus der Staatenpraxis entnommen werden. Will man die Grenzen des völkerrechtlich Zulässigen finden, so müssen zum Vergleich herangezogen werden: das Luftbombardement von Großstädten und Einsatz der Atombombe, sowie Deportationen und Evakuierungen, wie sie heute noch nicht abgeschlossen sind. Dieses sind alles Vorgänge, die sich vor den Augen der Welt abgespielt haben und von den ausführenden Staaten als zulässig angesehen worden sind.

Man stößt wieder auf den Begriff der Notwendigkeit und sieht, daß er sehr weit ausgelegt wird. Dies ist wohl zu beachten, wenn man den Arbeitseinsatz auf seine Humanitätswidrigkeit untersucht. Sein Ziel ist nicht die schlagartige Tötung von Hunderttausenden, wohl aber bringt er Härten mit sich und sicher auch Fehler, die unbeabsichtigt oder aus Versagen einzelner entstehen. Man muß die Frage beantworten, ob die gewollte Tötung nicht stets schwerer wiegt als das vorübergehende Zufügen sonstiger Leiden.

Hinzu kommt, daß das Statut nicht jedes humanitätswidrige Handeln unter Strafe stellt, sondern nur dann, wenn die unmenschliche Handlung in Ausführung oder in Verbindung mit einem Verbrechen begangen worden ist, für das das Tribunal zuständig ist.

[523] Zuständig ist das Tribunal aber nur für Verbrechen gegen den Frieden und für Kriegsverbrechen.

Was die Verbrechen gegen den Frieden betrifft, so kann die gleiche unmenschliche Handlung daher in der Verteidigung zulässig sein, während sie strafbar ist, wenn sie der Angreifer begeht.

Oder es muß ein Kriegsverbrechen vorliegen. Dies ist nicht der Fall, wenn es sich um die Verletzungen von eigenen Staatsangehörigen handelt, denn diese sind durch das Kriegsrecht nicht geschützt. Die Verfolgung einer gegen sie gerichteten humanitätswidrigen Handlung kann erst erfolgen, wenn damit gleichzeitig ein Verbrechen gegen den Frieden in Verbindung steht.

Objektiv gesehen hat der Arbeitseinsatz die Führung des Krieges gefördert, der von der Anklage als Angriffskrieg oder vertragswidriger Krieg bezeichnet wird.

Falls dieses festgestellt wird und sich dazu erweist, daß der Arbeitseinsatz in unmenschlicher Weise durchgeführt wurde, so ist der Tatbestand des Statuts erfüllt, und es liegt ein Humanitätsverbrechen vor, ohne Rücksicht darauf, ob der Arbeitseinsatz an sich kriegsrechtlich zulässig war oder nicht, denn er ist damit im Zusammenhang mit einem Verbrechen gegen den Frieden begangen.

Zu einer Bestrafung kann es aber erst kommen, wenn der Täter auch subjektiv weiß, daß ein verbotener Krieg geführt wird und daß er ihn durch seine Handlung fördert. Da der Angeklagte Sauckel eine solche Kenntnis bestreitet, muß sie ihm nachgewiesen werden.

Die andere Möglichkeit der Verwirklichung des Tatbestandes liegt darin, daß die unmenschliche Handlung zur Ausführung eines Kriegsverbrechens dient oder damit in Zusammenhang steht. Von den Beispielen des Statuts für Verletzung des Kriegsrechts kommen für den Arbeitseinsatz vor allem in Frage: Mord, Mißhandlung und Deportation, begangen an der Zivilbevölkerung.

Wie sich aus dieser Aufzählung ergibt, sind diese genannten Kriegsverbrechen trotz ihrer Schwere an sich noch keine Humanitätsverbrechen. Es muß daher noch etwas Erschwerendes hinzukommen, das der Handlung erst den Charakter der Unmenschlichkeit gibt. Wie aus dem Beispiel von »Ausrottung« und »Versklavung« als unmenschliche Handlung hervorgeht, muß es sich objektiv um Handlungen von besonderem Ausmaß oder besonderer Grausamkeit handeln. Subjektiv muß aber eine unmenschliche Gesinnung des Täters hinzukommen und die Kenntnis von der Unmenschlichkeit der Handlung, also die Kenntnis von dem Umfang der Maßnahme oder der Grausamkeit ihrer Durchführung.

Inwieweit diese Voraussetzungen bei dem Angeklagten Sauckel gegeben sind, muß später untersucht werden.

[524] Ein völkerrechtlich zulässiger »geordneter Arbeitseinsatz« kann als solcher niemals ein Humanitätsverbrechen sein, wohl aber kann seine Durchführung in einer Weise erfolgen, daß er Tötungen und Mißhandlungen mit sich bringt, die ihrerseits Kriegsverbrechen sein könnten.

Eine solche Mißhandlung könnte beruhen auf der Anordnung der obersten Dienststelle, die damit die Verantwortung trägt. Sie kann aber auch durch untergeordnete Stellen begangen werden auf Grund ihrer eigenen Machtbefugnisse ohne Wissen und Willen der übergeordneten Stellen.

In diesem Falle ist der Leiter der selbständig handelnden Dienststelle verantwortlich. Schließlich kann eine rein individuelle Handlung vorliegen, die den geltenden Bestimmungen zuwider vorgenommen wird. Für diese ist die handelnde Einzelperson verantwortlich.

Hieraus folgt, daß der Angeklagte Sauckel zunächst nur für die allgemeinen Anordnungen und Weisungen verantwortlich ist, die er gegeben hat, nicht dagegen für selbständige Handlungen ihm nicht unterstehender oberer Dienststellen in den besetzten Gebieten und höchster Reichsstellen, wie Chef SS und Polizei. Die Anordnungen und Weisungen des Angeklagten Sauckel liegen vor, und es muß sich daraus ergeben, ob der von ihm angeordnete Arbeitseinsatz tatsächlich ein geordneter war oder ob er eine »Mißhandlung« der Bevölkerung darstellt.

Der Arbeitseinsatz erfolgte, abgesehen von der Freiwilligenwerbung, auf Grund einer Dienstverpflichtung, die auf Befehl Hitlers von den Trägern der Gebietshoheit gesetzlich angeordnet war. Zum Erlaß solcher Gesetze reichte das Weisungsrecht des Angeklagten Sauckel nicht aus, und er konnte auch den Erlaß solcher Gesetze nicht fordern. Er hat sie aber gebilligt und zur Grundlage seiner Arbeit gemacht.

Der Inhalt dieser Gesetze entsprach dem Grundgedanken der deutschen Gesetze über die Arbeitspflicht. Hinter diesen Gesetzen stand der Zwang.

Eine Anwendung von Zwangsmitteln ist so lange nicht nötig, als die rechtliche Befugnis der Besatzungsmacht von der Bevölkerung anerkannt wird; erst wenn die Autorität verloren geht, werden sie erforderlich.

In diesem Sinne hat der Angeklagte Sauckel mehrfach die Aufrechterhaltung der sogenannten Exekutive durch Aktionen zur Säuberung von Partisanengebieten und zur Niederringung der Widerstandsbewegung verlangt (Dokument R-124). Daß er hierfür den Einsatz der dazu vorgesehenen Staatsmittel gefordert hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zu Unrecht belastet ihn nur das Wort »SS und Polizei«, das durch die Anklage mit dem Begriff des [525] Verbrechens verknüpft worden ist. Eine solche Belastung wäre nur berechtigt, wenn der verbrecherische Charakter der Polizei bewiesen wäre und der Angeklagte Sauckel damals die ausgeübte verbrecherische Tätigkeit gekannt hätte.

Daß bei Widerstand gegen die Anordnungen der Besatzungsmacht Zwang angewendet werden kann, ist nicht zu bestreiten. Die Frage ist, wo der Zwang seine Grenze findet und ob es gesetzliche und ungesetzliche, humane, unhumane, zulässige und unzulässige Zwangsmaßnahmen gibt.

Wenn schon innerstaatlich bei Verhängung des Belagerungszustandes die Grundrechte außer Kraft gesetzt werden können, so gilt dieser Gedanke erst recht für die Besatzungsmacht im Kriege. Wer sich weigert, den Anordnungen der Besatzungsmacht zu folgen, nimmt bewußt am Kampfe teil, zu dem er nicht berechtigt ist, und er muß die Folgen tragen. Der Besatzungsmacht gegenüber besteht Gehorsamspflicht, und im Zwiespalt zwischen Patriotismus und Gehorsam entscheidet das Recht hier gegen die Vaterlandsliebe.

Die Strafen, die verhängt werden können, unterliegen an sich keinen Schranken, und die Strafandrohungen der Besatzungsmächte sind aus Abschreckungsgründen meist ganz unverhältnismäßig hoch. Die Frage ist, ob es eine Schranke der Humanität gibt, die das verbietet, was über den Strafzweck hinausgeht und als übermäßig, unnötig erscheint.

Von diesem Gesichtspunkt aus sind die Anordnungen zu prüfen, die zur Durchführung des Arbeitseinsatzes von untergeordneten Stellen selbständig befohlen wurden, wie zum Beispiel das Anzünden von Häusern.

Die Beantwortung der Frage ist nicht leicht, wenn man die besonderen Umstände in Betracht zieht und bedenkt, daß es sich hier um einen offenen Kampf zwischen Besatzungsmacht und Bevölkerung handelt, der von dem Gegner amtlich unterstützt wird. Bei Aufstand und organisierter allgemeiner Widersetzlichkeit kann man die Anwendbarkeit der Gedanken des Kriegführungsrechts der kämpfenden Truppe hier nicht von der Hand weisen; die Notwendigkeit kann hier allein den Ausschlag geben.

Das Völkerrecht hat für Zwangsmaßnahmen nur eine Schranke gesetzt, indem es in Artikel 50 der Haager Landkriegsordnung Kollektivstrafen gegenüber der ganzen Bevölkerung wegen Handlungen einzelner verbietet, für welche die Bevölkerung nicht als mitverantwortlich angesehen werden kann. Voraussetzung ist dabei, daß die Mitverantwortung in tatsächlichen Vorgängen begründet und nicht durch Anordnungen konstruiert ist.

Worin die Kollektivmaßnahme bestehen darf, ist nicht gesagt. Für die Schranken gilt das Obengesagte: Es müssen die Grenzen [526] der Humanität sein. Dies ist aber im Kriege ein gleitender Begriff; Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit haben stets den Vorrang. Neben der Art der Erfassung der Arbeitskräfte können die Arbeitsbedingungen eine Mißhandlung darstellen, die als Kriegsverbrechen angesehen werden können.

Grundsätzlich kann eine Mißhandlung nicht vorliegen, wenn die ausländischen Arbeiter im allgemeinen in gleicher Weise behandelt werden wie die eigenen Arbeiter.

Eine andere Behandlung ist nur zulässig, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen.

Während diese Gleichstellung im allgemeinen durchgeführt wurde, waren die sogenannten Ostarbei ter schlechter gestellt.

Am auffallendsten war hier die Freiheitsbeschränkung. Wenn diese auf Willkür beruht, so würde diese Feststellung genügen, um sie als Mißhandlung zu kennzeichnen. Es sind aber nicht Gründe der Willkür für diese Freiheitsbeschränkung maßgebend gewesen, sondern das Sicherheitsbedürfnis des Staates. Während des Krieges liegt in dem Aufenthalt eines feindlichen Ausländers im Staatsgebiet immer eine Gefahr, und auf die Hereinnahme von ausländischen Arbeitern ist gerade aus diesem Grunde zunächst verzichtet worden. Erst als die Not die Inanspruchnahme von Ausländern verlangte, mußte daher gleichzeitig dem Sicherheitsbedürfnis Rechnung getragen werden.

Welche Maßnahmen zu treffen sind, richtet sich nach der Gefahr, die je nach der Haltung des Ausländers verschieden ist. Während die Maßnahmen polizeilicher Art bei den Franzosen unmerklich waren, erfolgten sie bei den Ostarbeitern zu Beginn durch Überwachung in geschlossenen Lagern.

Das natürliche Interesse des Staates geht dahin, die Sicherheit dadurch zu erreichen, daß man die Ausländer innerlich gewinnt, weil man ihre Mitwirkung wünscht. Durch Entziehung der Freiheit ist dies nicht zu erreichen.

Solange die Einstellung des Ausländers nicht klar zu erkennen ist, so, insbesondere wenn er – wie die Bürger der Sowjetunion – propagandistisch geschult ist, kann eine strengere Kontrolle erforderlich sein. Diese darf aber nicht in eine dauernde Gefangenschaft übergehen, sondern höchstens eine Art Quarantänezeit bedeuten; eine langdauernde Freiheitsberaubung ohne Verschulden ist unzulässig, denn sie käme einer verbotenen Kollektivstrafe gleich.

Die bloße Vermutung der Gefahr genügt nicht, um solche Beschränkungen zu verfügen, es müssen Handlungen hinzukommen, die zeigen, daß diese ausländischen Arbeiter auch unter normalen Arbeitsverhältnissen gefährlich erscheinen.

[527] Die von Himmler angeordnete Bewachung der Ostarbeiter hinter Stacheldraht und unter Ausgehverbot ist als Mißhandlung anzusehen, wenn dies eine Dauererscheinung ist.

Der Angeklagte Sauckel hat aus dem Gefühl heraus, daß hier die Grenzen des Zulässigen überschritten wurden, sofort Schritte hiergegen unternommen und in einem zähen Kampf gegen Himmler die Beseitigung des Stacheldrahtes und des Ausgehverbotes verlangt und erreicht, wie sich aus den darauf erfolgten Anordnungen ergibt. Das ist Dokument Sauckel 10, Exhibit US-206.

Wo trotz der getroffenen Regelung von der Polizei die alten Methoden angewandt wurden, hat Sauckel stets eingegriffen, wenn er von solchen Vorgängen Kenntnis erhielt. Das haben die Zeugen mehrfach bestätigt. Ich verweise insbesondere auf Dokument Sauckel 10, Aussage des Zeugen Götz.

Ein anderer umstrittener Punkt war die Kennzeichnung durch das Abzeichen »Ost«, das bis an das Jahr 1944 hinein aufrechterhalten blieb und dann durch ein Landesabzeichen ersetzt wurde. Diese Kennzeichnung der Ostarbeiter, die sich unter der Bevölkerung bewegen konnten, war aus polizeilichen Sicherungsgründen erforderlich. Eine »Mißhandlung« kann darin nicht gesehen werden. Die Ablehnung des Zeichens durch die Ostarbeiter beruhte in erster Linie auf der Diffamierung dieses Zeichens durch die Propaganda, und der Angeklagte Sauckel hat sich stets darum bemüht, dieses Abzeichen zu ändern und durch ein Nationalitätenzeichen zu ersetzen, wie es die übrigen Ausländer freiwillig trugen. Er hat sich hier ebenfalls gegen Himmler schließlich mit Erfolg durchgesetzt. Das ist das Dokument F-810, Seite 12.

Auch bei den Bestimmungen über die Erhaltung der Arbeitsdisziplin muß grundsätzlich Gleichheit zwischen eigenen und fremden Arbeitern bestehen.

Der Krieg hat hier bei allen kriegführenden Staaten das gleiche Problem aufgeworfen, wie mit solchen Arbeitern verfahren werden soll, die ihren Arbeitspflichten nicht nachkommen, also Bummelanten, Drückebergern und Saboteuren. Die im Frieden übliche Kündigung des Arbeitsplatzes ist im Kriege unwirksam; aber es können Deserteure der Arbeit heute von keinem Kriegführenden geduldet werden. In sabotageähnlichen Fällen sind daher polizeiliche und strafrechtliche Maßnahmen angeordnet worden, deren wichtigste die kurzfristige Unterbringung in ein Arbeitserziehungslager war; in extremen Sonderfällen kam Konzentrationslagerhaft in Frage.

Das Dokument 1063-PS, RF-345 zeigt die Gleichartigkeit der Durchführung der Bestimmungen gegenüber Deutschen und Ausländern.

[528] Ein solches polizeiliches Vorgehen, das durch das pflichtwidrige Verhalten des Arbeiters veranlaßt wird, ist eine berechtigte Maßnahme. Das Wartburg-Dokument F-810 zeigt sodann in dem Bericht des Sachreferenten Dr. Sturm, daß solche Maßnahmen in maßvoller Weise durchgeführt wurden und lediglich 0,1-0,2 vom Tausend der Arbeiter so bestraft wurden.

Es ergibt sich daraus, daß es sich bei den Anordnungen zur Erhaltung der Disziplin an sich noch nicht um »Mißhandlung« handelt, die ein Humanitätsverbrechen begründen könnten.

Eine solche Mißhandlung kann aber in Exzessen bestehen, die außerhalb der Zuständigkeit des Angeklagten Sauckel vorgekommen sind. Für diese kann er nur verantwortlich gemacht werden, wenn der subjektive Tatbestand erfüllt ist und er solche Auswüchse kannte und billigte, obwohl er sie hätte verhindern können.

Zusammenfassend kann man feststellen, daß der »geordnete Arbeitseinsatz« völkerrechtlich zulässig ist und daß Beschränkungen der Arbeiter im Rahmen des Notwendigen aus Gründen der Staatssicherheit erlaubt sein müssen.

Dagegen sind Exzesse bei der Ausführung der Anordnungen als Mißhandlungen anzusehen und können Humanitätsverbrechen bedeuten. Für diese trägt derjenige die Verantwortung, der sie veranlaßt hat oder der sie im Rahmen seiner Zuständigkeit pflichtwidrig nicht verhinderte.

Mißt man an den vorgetragenen Rechtsgedanken den umfangreichen Komplex der Beschuldigungen des Angeklagten Sauckel, so muß man zunächst die Gebiete abtrennen, für die er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine Verantwortung tragen kann.

Zunächst ist nicht erwiesen, daß der Angeklagte Sauckel mit der biologischen Vernichtung der Bevölkerung in Verbindung gebracht werden kann. Es hat sich vielmehr gezeigt, daß sein ganzes Interesse gerade in umgekehrter Richtung lag; es kam ihm darauf an, die Menschen als Arbeitskräfte zu erhalten. Mit Umsiedlungsmaßnahmen und mit den dort angewandten Methoden hatte er nichts zu tun.

Auch der Arbeit in den Konzentrationslagern steht der Angeklagte Sauckel fern; aus der Posener Rede Himmlers vom Oktober 1943 – das ist Dokument 1919-PS, Seite 21 – geht hervor, daß die SS riesige eigene Rüstungsbetriebe aufgezogen hat. Wir wissen, daß Himmler seinen großen Bedarf an Arbeitskräften durch eigenmächtige willkürliche Verhaftung von Menschen in den besetzten Gebieten gedeckt hat. Selbst in Deutschland hat er unter nichtigen Vorwänden Arbeiter aus dem geordneten Arbeitseinsatz heraus verhaften lassen und unter Täuschung der regulären Arbeitseinsatzdienststellen in Konzentrationslager gebracht. Dies [529] zeigt klar das Dokument 1063-PS mit einem Schreiben vom 17. Dezember 1942, sowie ein Schreiben vom 25. Juni 1943, wo allein ein Bedarf von 35000 Häftlingen angemeldet wird. So geht auch alle Korrespondenz, die bezüglich der Arbeit von KZ-Häftlingen geführt wird, niemals über die Dienststellen Sauckels; ich verweise hierzu beispielshalber auf Dokument 1584-PS mit Schriftwechsel der Dienststelle Himmlers. Der Name des Angeklagten Sauckel wird auch sonst niemals mit einem Häftlingseinsatz genannt, und die Zeugen haben hier übereinstimmend bestätigt, daß der Angeklagte Sauckel aus diesen Dingen ausgeschaltet war. So ergibt dies auch die Aussage des Leiters des Arbeitsamtes des Rüstungsministeriums Schmelter, der die benötigten Häftlinge unmittelbar von Himmler erhielt.

Ein weiteres Gebiet, das auszuscheiden hat, ist der Einsatz von Juden. Dieser Arbeitseinsatz ist ein Teil des Häftlingseinsatzes der Konzentrationslager; es war das alleinige geheime Reich Himmlers. Dies ergibt sich beispielsweise aus Dokument R-91, in dem die Dienststelle Himmlers auf dem »Judensektor« die Erfassung von 45000 Juden als KZ-Häftlinge anordnete.

Die Anklagebehörde hat dem Angeklagten Sauckel durch Vorlage eines Dokuments, L-61, auf diesem Gebiet eine Mitschuld nachweisen wollen; dieses Dokument ist ein Schreiben vom 26. November 1942, aus der Dienststelle Sauckels an die Präsidenten der Landesarbeitsämter; danach sollen im Einverständnis mit dem Chef der Sicherheitspolizei und SD die noch in den Betrieben befindlichen jüdischen Arbeiter herausgenommen und nach Polen evakuiert werden. Dieses Schreiben bestätigt eigentlich, daß Sauckel gerade nichts mit einem KZ-Einsatz von Juden zu tun hatte, denn seinem Bereich werden die jüdischen Arbeiter gerade unter falscher Angabe der Evakuierung entzogen. Der Vorgang befaßt sich in Wirklichkeit auch nur rein geschäftsmäßig mit der Herauslösung der jüdischen Arbeitskräfte und deren Ersatz durch Polen, ein Vorgang, der ohne Beteiligung der Dienststelle Sauckels nicht abgewickelt werden konnte.

Dieses Schreiben ist die Fortsetzung einer Korrespondenz, die bis in die Zeit vor Sauckels Dienstantritt zurückverfolgt werden kann, und das Dokument L-156 befaßt sich später mit dem gleichen technischen Vorgang. Der Unwichtigkeit der Sache entspricht es, daß diese Schreiben nicht in der Hauptdienststelle des Angeklagten Sauckel im Thüringerhaus ausgefertigt sind, sondern bei einer Nebendienststelle in der Saarlandstraße. Der Angeklagte Sauckel bestreitet, diese Vorgänge zu kennen und weist darauf hin, daß die Schreiben nicht seine Originalunterschrift tragen; sie sind nach der in seiner Dienststelle geübten Praxis lediglich mit seinem Namen [530] ausgefertigt worden, eben weil sie von untergeordneter Bedeutung waren.

Wenn einleitend in den Schreiben dem Bürostil entsprechend vom »Einvernehmen« nicht »Einverständnis« mit dem Chef der Polizei und SD die Rede ist, so wird damit nicht auf eine getroffene »Vereinbarung« hingewiesen, sondern hier lediglich auf die veranlassende Dienststelle.

Sodann ist von »Vernichtung durch Arbeit« die Rede gewesen. Aber die Dokumente 682-PS und 654-PS vom September 1942 zeigen unzweideutig, daß es sich hier um ein geheimes Manöver von Himmler und Goebbels in Zusammenarbeit mit dem Reichsjustizminister Thierack handelt. Der Angeklagte Sauckel ist nicht beteiligt.

Auch das Gebiet des Einsatzes von Arbeitern im Rahmen der Organisation Todt unterlag nicht dem Angeklagten Sauckel. Die Vorwürfe, die sich hier aus dem Dokument UK-56 über die Art des Arbeitseinsatzes auf den Kanalinseln ergeben, betreffen ihn daher nicht. Die Dokumente zeigen nicht, daß der Angeklagte Sauckel Kenntnis von solchen Vorgängen hatte, noch daß er sie hätte verhindern können.

Diese Trennung des Arbeitsbereichs des Angeklagten Sauckel von der OT wird im Dokument L-191, das ist Bericht des Internationalen Arbeitsamtes Montreal, bestätigt.

Ein Sonderbereich ist die Erfassung von Arbeitskräften durch zivile und militärische Dienststellen; dieser wurde zum Teil als »wilder Einsatz« betrieben und vor dem Angeklagten Sauckel geheimgehalten, weil er ihn bekämpfte und unter allen Umständen verhindern wollte; zum Teil wurde er über seinen Kopf hinweg befohlen.

Hierhin gehört die Arbeitererfassung durch die SS, Reichsbahn, Luftwaffen-Baubataillone, Transport-und Verkehrseinheiten Speers, Festungsbau- und Pionierstäbe und sonstige Stellen.

Das Ausscheiden dieser Vorgänge aus dem Anklagekomplex muß Sauckel besonders entlasten, da gerade hier die Anordnungen Sauckels nicht maßgeblich waren.

Das Dokument 204-PS veranschaulicht hier die Verhältnisse in Weißruthenien bei der Beschaffung von »Transporthelfern«.

Ein Gleiches zeigt das Dokument 334-PS mit der Durchführung einer selbständigen Aktion »Luftwaffenhelfer«, die Sauckel nicht belasten kann.

Auch der Einsatz Jugendlicher, der als »Heuaktion« unter Dokument 031-PS vom 14. Juni 1944 als Anklagepunkt bekannt ist, liegt außerhalb der Tätigkeit Sauckels, wie sich aus dem Dokument [531] ausdrücklich ergibt. Veranlasser war die 9. Armee, zusammen mit dem Ostministerium.

Ein Schreiben des Mitangeklagten Rosenberg an Reichsminister Lammers vom 20. Juli 1944, das ist Dokument 345-PS, bezieht sich fälschlich auf das »Einvernehmen« des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, bestätigt dafür aber, daß der Angeklagte Sauckel mit einer SS-Helfer-Aktion nicht in Verbindung steht und die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet abgelehnt hat.

Danach ist laut Dokument 1137-PS vom 19. Oktober 1944 eine eigene Dienststelle im Ministerium Rosenberg für die Erfassung von Jugendlichen tätig und führt die Aufgabe mit eigenem Personal durch. Unter Ausschaltung der Dienststelle des Angeklagten Sauckel erfolgte die Zuführung von Arbeitskräften unmittelbar an die Rüstungsindustrie.

Unter Umgehung der Dienststelle des Angeklagten Sauckel erfolgten auch Maßnahmen, die Hitler unmittelbar durch Befehl an die örtlichen Stellen der Wehrmacht und der Zivilverwaltung veranlaßte. So war es mit dem in den besetzten Gebieten befohlenen Arbeitseinsatz für die Befestigung der Krim. Dies ergibt sich aus dem Dokument UK-68.

Ein weiterer Fall ist die unter Protest der Arbeitsdienststellen erfolgte Erfassung von Arbeitskräften durch die Wehrmacht in Holland; dies zeigt Dokument 3003-PS, Vortrag des Leutnants Haupt, und der Angeklagte Seyß-Inquart hat es bestätigt.

Ein wichtiges Gebiet, das außerhalb der Verantwortlichkeit des Angeklagten Sauckel liegt, bezieht sich auf alle die Handlungen, die als Strafmaßnahmen durchgeführt worden sind gegen Partisanen und Widerstandsgruppen. Es sind die selbständigen Maßnahmen der Polizei. Über ihre rechtliche Beurteilung habe ich schon gesprochen. Ob sie zulässig waren und gebilligt werden konnten, hängt von den Umständen ab. Es scheiden hier beispielsweise aus die in Dokument UK-78 (französischer Regierungsbericht) wiedergegebenen Maßnahmen gegen die Widerstandsbewegung in Frankreich. Eine unmittelbare Verantwortlichkeit des Angeklagten Sauckel fällt daher fort.

Darum fallen nicht unter die Verantwortlichkeit des Angeklagten Sauckel alle die stark belastenden Vorgänge, die in Punkt 3, Abschnitt VIII der Anklageschrift unter »Deportation« aufgeführt sind, deren Ziel die KZ-Lager waren.

Es fallen auch nicht unter die Verantwortung des Angeklagten Sauckel die »Deportationen« aus Gründen der Politik und der Rasse, die unter Abschnitt VIII B der Anklageschrift als Verschickung von Franzosen ebenfalls in KZ-Lagern enden. Weiter müssen ausscheiden die dort unter B 2 aufgeführten Umsiedlungen von Slowenen aus Jugoslawien.

[532] Von den dort weiter erwähnten annähernd fünf Millionen Sowjetbürgern werden auch nur ein Teil, als vom Arbeitseinsatz erfaßt, aufgeführt, wie dies die Anklageschrift unter VIII, H 2 angibt; die übrigen wurden auf Wegen fortgeschafft, wo die Vorkehrungen des Angeklagten Sauckel keine Geltung hatten.

Diese Abtrennung ist nicht wegen der Zahl der Menschen von Bedeutung, sondern weil die behaupteten Mißstände sich gerade in dem fremden Sektor abgespielt haben können, denn dort war die größere Gefahr unkorrekter Behandlung.


VORSITZENDER: Vielleicht könnten wir jetzt eine Pause einschalten.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. SERVATIUS: Auch die Kriegsgefangenen fallen aus dem Verantwortungsbereich des Angeklagten Sauckel heraus. Diese Arbeitskräfte brauchten nicht erfaßt zu werden, sondern wurden nur gelenkt. Dies geschah durch die Sonderarbeitsämter, die sich abgetrennt von dem sonstigen Geschäftsgang bei den Gefangenen befanden und ausschließlich mit der Wehrmacht zusammenarbeiteten. Die Aufgabe bestand hier lediglich darin, die Kriegsgefangenen dort einzusetzen, wo sie erforderlich waren.

Der Angeklagte Sauckel konnte lediglich die Verlegung der Kriegsgefangenen beantragen; auf eine solche Möglichkeit bezieht sich das Dokument der Anklage, 1296-PS vom 27. Juli 1943, das unter III auf Steigerung des Einsatzes der Kriegsgefangenen in Zusammenarbeit mit dem OKH hinweist.

Die Zuweisung von Kriegsgefangenen an die Betriebe erfolgte nur unter Aufsicht der Wehrmacht; diese überwachte die Einhaltung der Genfer Konvention. Mit dem Tode von Hunderttausenden von Kriegsgefangenen der Sowjetunion im Jahre 1941, von denen Himmler in seiner Posener Rede, Dokument 1919-PS, spricht und für die Arbeiter als Ersatz geholt werden mußten, steht Sauckel in keiner Verbindung.

Wenn trotzdem in Dokument USSR-415, das ist der amtliche Sowjetbericht über Lager Lamsdorf, der Angeklagte Sauckel mit behaupteten Mißhandlungen von Gefangenen in Zusammenhang gebracht wird, so geschieht dies nur auf Grund der Behauptung, daß ihm rein geschäftsmäßig der Bestand des Lagers gemeldet wurde. Die Belastung ist nicht aufrechtzuerhalten. Das Dokument enthält zudem keine hinreichende Zeitangabe über das Jahr 1941 hinaus.

Der Angeklagte Sauckel hat sich, obwohl er selbst nicht zuständig war, über seine Amtspflicht hinaus um die Betreuung der Kriegsgefangenen bemüht, weil er an ihrer Arbeitswilligkeit interessiert war. Er hat allgemeine Anordnungen erlassen. So [533] ergibt Dokument Sauckel 36, daß er ausreichende Verpflegung fordert und Dokument Sauckel 39, daß er die gleiche Arbeitszeit wie für deutsche Arbeiter verlangt; er weist hier auf das Verbot von Disziplinarbestrafungen durch die Betriebe hin.

Eine weitere Trennung der erhobenen Vorwürfe muß nach der Zeit erfolgen. Der Angeklagte Sauckel hat sein Amt erst am 21. März 1942 übernommen. Seine Maßnahmen konnten sich also erst einige Zeit später auswirken.

Wie die Verhältnisse vorher waren, ergibt sich aus einigen Dokumenten aus dem Jahre 1941. Von maßgebenden Stellen wird im Dokument 1206-PS die Ernährung durch Fleisch von Pferden und Katzen und in Dokument USSR-177 die Herstellung von Brot sehr minderwertiger Qualität vorgeschlagen. Noch kurze Zeit vor dem Amtsantritt des Angeklagten Sauckel regelt Himmler in einem scharfen Erlaß die Unterbringung der Arbeiter hinter Stacheldraht. Man kann sagen, daß ein Tiefstand in der Behandlung der ausländischen Arbeiter erreicht war, die damals im Reich waren. Die Vorstellung, die man von der Bedürfnislosigkeit und Leistungsfähigkeit der Russen hatte, ist tragisch.

Mit dem Dienstantritt des Angeklagten Sauckel ist hier eine grundlegende Wandlung eingetreten, die zu einer sich immer steigernden Besserung der Lage führte. Das Verdienst, hier eine Umkehr geschaffen zu haben, fällt nach den nachstehenden Dokumenten ganz allein dem Angeklagten Sauckel zu. Dies zeigt insbesondere das Dokument EC-318, das eine Niederschrift vom 15. April 1942 über die erste Zusammenkunft des Angeklagten Sauckel mit dem Reichsminister Seldte und seinen Sachbearbeitern gelegentlich des Amtsantritts darstellt. Dort ist niedergelegt, daß der Angeklagte Sauckel es war, der die Übernahme seines Amtes von der Bedingung abhängig machte, daß die Verpflegung der Ausländer die gleiche sein muß wie für Deutsche und daß die Erfüllung dieser seiner Forderung von Hitler, Göring, dem Ernährungsminister Darré und seinem Staatssekretär Backe zugesagt wurde.

Weiter ist dort festgehalten, daß der Angeklagte Sauckel die Beseitigung des Stacheldrahtes verlangte und durchsetzte, und schließlich, daß er sofort einen Schritt gegen die niedrigen Löhne der Ostarbeiter unternahm.

Die Durchführung seiner Grundforderungen hat der Angeklagte Sauckel dann auch sofort ins Werk gesetzt und mit Zähigkeit gegen den Widerstand aller Dienststellen durchgesetzt.

Das Programm des Arbeitseinsatzes vom 20. April 1942, Dokument 016-PS, nimmt dementsprechend sofort Stellung gegen Grausamkeit und Schikane und verlangt korrekte und menschliche Behandlung der ausländischen Arbeiter; es wird dort sogar die [534] Hoffnung ausgesprochen, daß von dem Arbeitseinsatz durch die Art seiner Durchführung eine Propagandawirkung für Deutschland erreicht werden müsse. Ein Gedanke, der später häufig wiederkehrt.

Es wird der sparsame Einsatz der Arbeitskräfte verlangt, um einer Verschwendung entgegenzuwirken, die von einflußreichen Dienststellen getrieben wurde.

Ein Jahr später, am 20. April 1943, wendet sich der Angeklagte Sauckel wiederum mit einer programmatischen Erklärung an alle am Arbeitseinsatz Beteiligten. Es ist dies das mehrfach erwähnte »Manifest des Arbeitseinsatzes«, Dokument Sauckel-81, das als Mahnung und Kampfansage an alle Stellen herausging, die sich der ernsten Verantwortung des Angeklagten Sauckel entgegenstellten. Goebbels kämpfte dagegen an unter dem Vorwand des zu anmaßenden Titels und der werbenden Aufmachung der Schrift, die ihm sachlich zu weich erschien. Andere Stellen ließen die ihnen zugesandten Exemplare liegen und leiteten sie nicht weiter, worauf sie den betroffenen Betrieben nochmals von Sauckel unmittelbar zugesandt wurden. Wie dieses Schreiben von den widerstrebenden Dienststellen behandelt wurde, zeigt die Bezeichnung »berüchtigtes Manifest«, die ihm in einer Sitzung der Zentralen Planung vom 1. März 1944, Dokument R-124, Seite 1779, widerspruchslos gegeben wurde.

Der Vorwurf gegen den Angeklagten Sauckel ging dahin, er tue des Guten zuviel. Ich verweise hier auf eine Bemerkung des vor dem Tribunal vernommenen Generals Milch, der in der Zentralen Planung gegen die angeblich zu nachsichtige Behandlung der Bummelanten spricht und erklärte, wenn man etwas unternehme, so fänden sich sofort Stellen in Deutschland, die einen »armen Kerl« schützten und für die Menschenrechte anderer einträten. (Dokument R-124, Seite 1913.)

Die Einstellung des Angeklagten Sauckel war allgemein bekannt und wird durch verschiedene Dokumente bestätigt. So wenden sich die Dienststellen wegen Klagen und Mängeln an den Angeklagten Sauckel, nicht um ihn verantwortlich zu machen, sondern um seine Hilfe zu erbitten, weil jeder wußte, daß er sich mit Ernst und Eifer für Besserungen einsetzte. So betont Dokument 084-PS vom 30. September 1942 – das ist ein Bericht Dr. Gutkelchs von der Zentralstelle für die Völker des Ostens im Ministerium Rosenberg – an verschiedenen Stellen den Einfluß des Angeklagten Sauckel und empfiehlt die Aufnahme engerer Verbindung mit ihm.

Auch der Mitangeklagte Rosenberg nimmt in einem Dokument 194-PS, Seite 6 – das ist ein Schreiben vom 14. Dezember 1942 an den Reichskommissar für die Ukraine Koch – Bezug auf die erheblichen Anstrengungen Sauckels. In gleicher Weise wendet sich der Mitangeklagte Frank am 21. November 1943 an den [535] Angeklagten Sauckel, Dokument 908-PS, um eine grundsätzliche Änderung der rechtlichen Stellung der Polen im Reich zu erlangen.

Inwieweit stehen nun die wirklichen Vorgänge mit dem in Einklang, was vorgetragen ist?

Zunächst ist die Erfassung zu behandeln, die sich praktisch mit der Deportation deckt. Es schließt sich daran an die Prüfung der Behandlung der Arbeiter, die durch das Wort »Sklavenarbeit« gekennzeichnet worden ist.

Die Beweisaufnahme hat den Irrtum widerlegt, daß der Angeklagte Sauckel die Werbung und Erfassung der ausländischen Arbeiter unter eigener Verantwortung durch eine eigene Organisation durchgeführt hat. Es steht fest, daß die obersten Dienststellen der besetzten Gebiete die Gesetze über die Pflichtarbeit durchführten, die sie auf Anordnung Hitlers erlassen hatten. Alle diese Dienststellen hatten ihren eigenen Verwaltungsapparat und hüteten ihr Ressort gegen Einbrüche anderer.

Daß dieses Verwaltungsrecht nicht durchbrochen war, beweist ein Schreiben des Ostministeriums Rosenberg an den Reichskommissar für die Ukraine, Koch, vom 14. Dezember 1942, Dokument 194-PS, Seite 7, wo der Mitangeklagte Rosenberg besonders auf das bestehende Hoheitsrecht in Fragen des Arbeitseinsatzes hinweist. Diese obersten Dienststellen hatten ihre eigenen Arbeitsbehörden, die vom Ministerium bis zum örtlichen Amt durchorganisiert waren. Es ist zu vergleichen das Dokument 3012-PS, eine Verordnung des OKH über Arbeitspflicht im Operationsgebiet Ost vom 6. Februar 1943 und das Dokument RF-15 mit einer Verordnung vom 6. Oktober 1942.

Der Angeklagte Sauckel konnte nur bei diesen Dienststellen die ihm befohlene Zahl von Arbeitskräften zur Vermittlung nach Deutschland anfordern und fachliche Weisungen geben. Hierauf hatte er sich zu beschränken, und er ist auch über diese Beschränkung nicht hinausgegangen. Er hat das Ausführungsrecht beachtet, das dem Weisungsrecht gegenüberstand. Für diese Aufgaben war in jedem Gebiet ein Beauftragter eingesetzt. Dieser war nach der Verordnung vom 30. September 1942 (US-510) dem Angeklagten Sauckel zwar unmittelbar unterstellt, er gehörte aber nicht zu seiner Dienststelle, sondern war ein Angehöriger der gebietlichen Dienststellen. Dies hat der von dem Mitangeklagten Rosenberg benannte Zeuge Bail ausdrücklich für den wichtigsten Beauftragten im Ostraum, den Staatsrat Peuckert, bestätigt, der zum Stab des Ostministeriums gehörte.

Dieser Staatsrat Peuckert war zugleich Referent des Wirtschaftsstabes Ost für das rückwärtige Heeresgebiet, das sich an das Gebiet der Zivilverwaltung anschloß; er versah auch hier nur nebenamtlich die Tätigkeit eines Beauftragten des Angeklagten [536] Sauckel in Personalunion. Dies zeigt das Dokument 3012-PS, das ist ein Aktenvermerk über eine Besprechung vom 10. März 1943 über den Arbeitseinsatz, wo die Dienststellung Peuckerts in der Teilnehmerliste angegeben ist. Durch diese, im Interesse der Gebietsbehörden geschaffene Personalunion wurde jedes eigenmächtige Eingreifen des Angeklagten Sauckel unmöglich gemacht.

Wenn der Mitangeklagte Rosenberg sich für den Osten nun in dem Dokument 018-PS, das ist ein Schreiben an den Angeklagten Sauckel vom 21. Dezember 1942, über die Methoden des Arbeitseinsatzes beschwert, so ist dies als Klage eines Ministers zu bewerten, der sich nicht in der Lage sieht, sich gegenüber seinen Untergebenen durchzusetzen und sich an die vermeintliche Quelle der Schwierigkeiten richtet, die ihm gemacht werden.

Richtig ist, daß diese Schwierigkeiten sofort behoben werden konnten, wenn der Angeklagte Sauckel von der Durchführung seines Auftrages Abstand nahm. Aber die Durchführung war gerade seine Aufgabe, die nach dem Ernennungserlaß »unter allen Umständen« durchzuführen war.

Gegen Widerstände der Schwäche und des Ressort-Egoismus' hatte der Angeklagte Sauckel anzukämpfen und dafür zu sorgen, daß die notwendigen Arbeitskräfte nicht aus Ruhebedürfnis der örtlichen Dienststellen nicht gestellt wurden oder von anderen Stellen aus selbstsüchtigen Interessen zurückgehalten wurden. »Mit allen Mitteln« und »rücksichtslos« sind die wiederkehrenden Ausdrücke, die im Kampf gegen diese Erscheinungen angewandt werden.

Auch der Militärbefehlshaber von Belgien und Nordfrankreich, General Falkenhausen, hat bei seinem Verhör im Dokument RF-15 zu Unrecht erklärt, der Angeklagte Sauckel habe ihn zur Durchführung des Arbeitseinsatzes gezwungen und ihn durch eine eigene »Organisation« durchgeführt. Er mußte aber zugeben, daß diese Ansicht unrichtig war, als ihm die von ihm unterzeichnete Verordnung über die Einführung der Arbeitspflicht vorgelegt wurde.

Diese Darstellung ist durch die Aussagen der Zeugen Timm und Stothfang bestätigt.

In Frankreich erfolgte die Erfassung durch die französische Verwaltung. Die darüberstehende deutsche Dienststelle war keine Dienststelle des Angeklagten Sauckel, sondern des Militärbefehlshabers in Frankreich, wo Sauckel lediglich einen Beauftragten hatte. Die Verhandlungen, die der Angeklagte Sauckel in Paris geführt hat und die Gegenstand dieses Beweisverfahrens waren, liegen außerhalb dieser Tätigkeit; es sind Verhandlungen diplomatischer Art zwischen der Deutschen und Französischen Regierung, an denen Sauckel teilnahm. Sie wurden in der Deutschen Botschaft geführt.

Die Verhältnisse in den übrigen Gebieten waren entsprechend.

[537] Auch die Werbekommissionen, denen im rückwärtigen Heeresgebiet und im Operationsgebiet die Arbeitseinsatzstäbe entsprachen, waren keinesfalls Dienststellen des Angeklagten Sauckel, wie der Mitangeklagte Rosenberg annimmt. Diese Werbekommissionen standen nur dadurch dem Angeklagten Sauckel näher, als sie sich aus Fachkräften zusammensetzten, die aus den deutschen Arbeitsämtern kamen, die zum Ressort Sauckels gehörten. Sie erhielten nur über ihre vorgesetzte oberste Dienststelle fachliche Weisungen, um eine einheitliche Handhabung aller Werbebestimmungen zu gewährleisten. Maßgebend ist hier die Anordnung Nummer 4 in Dokument Sauckel 15.

Diese vor Ernennung der Beauftragten vom 30. September 1942 bereits am 7. Mai 1942 erlassene Anordnung bestimmt die alleinige Verantwortlichkeit der Militär- und Zivilbehörden der besetzten Gebiete. Die dort erwähnten Beauftragten, denen die gleichen Funktionen übertragen sind, sind Beauftragte bei den deutschen Missionen im befreundeten Ausland.

Dies hat die Anklage verkannt und daraus falsche Schlüsse zuungunsten des Angeklagten Sauckel für seine Verantwortung über Werbung und Transport gezogen.

Auch die Auslegung der Bestimmung, daß alle technischen und verwaltungsmäßigen Vorgänge des Arbeitseinsatzes ausschließlich der Zuständigkeit und Verantwortung des Angeklagten Sauckel unterlägen, ist für das besetzte Gebiet unrichtig.

Diese Anordnung bezieht sich lediglich auf die Funktionen im Reich und begründet die Zuständigkeit des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz der Landesarbeitsämter und Arbeitsämter; dies ergibt sich aus Dokument 016-PS im letzten Abschnitt.

Eine unmittelbare Verantwortung des Angeklagten Sauckel für die Erfassung ist daher gegeben. Mittelbar kann die Verantwortung aber dadurch herbeigeführt werden, daß er die Mißstände kannte und wußte, daß sie nicht abgestellt werden konnten, aber trotzdem weiter Arbeiter forderte.

Hierzu ist folgendes zu sagen: Mit Schreiben des Mitangeklagten Rosenberg vom 21. Dezember 1942, Dokument 018-PS, erfuhr der Angeklagte Sauckel zum erstenmal von Anwerbemethoden, die als Massendeportation bezeichnet wurden. Bei dem darauf erfolgten Treffen Anfang Januar 1943 erklärte der Mitangeklagte Rosenberg, daß er dagegen eingeschritten sei und solche Vorgänge nicht dulden werde. Dies bestätigt auch sein vorangegangenes Schreiben vom 14. Dezember 1942 an den Reichskommissar Ukraine, Koch, Dokument 194-PS, wo er diesen klar auf seine Pflichten hinweist, gesetzlich zu verfahren.

Das erst hier im Prozeß dem Angeklagten Sauckel bekanntgewordene Memorandum Kochs vom 16. März 1943, Dokument RO-13, [538] bringt dann eine Klarstellung, wonach es sich bei den Vorgängen um übertriebene Einzelvorfälle handeln soll, deren Berechtigung mit der Notwendigkeit der durchzuführenden Maßnahmen zur Wiederherstellung der Autorität der Besatzungsbehörde begründet wird.

Dabei ist ausdrücklich erklärt, daß die Werbung der Arbeitskräfte mit gesetzlichen Mitteln erfolge und daß bei willkürlichen Maßnahmen eingeschritten werde, Dokument RO-13, Seite 11 und 12.

Es erschien nicht ausgeschlossen, daß es sich um propagandistische Übertreibungen und Machenschaften gehandelt hatte, worauf Koch besonders hinweist. Diese Möglichkeit liegt im Kriege nahe, und die propagandistische Abfassung der Molotow-Berichte (USSR-151) unterstreicht dies nur.

In dieser Auffassung mußte der Angeklagte Sauckel auch unterstützt werden durch das Ergebnis der Untersuchung einer »Menschenjagd«, die ihm von Generalfeldmarschall Kluge in Minsk berichtet worden war; sie hatte zu der Aufklärung geführt, daß es sich um das Zusammenholen der von einer Arbeitsfirma beschäftigten Arbeiter gelegentlich des Abrückens gehandelt habe.

Wie schwer solche Vorgänge wahrheitsgemäß aufzuklären sind, wenn sie als Kampfmaßnahmen propagandistisch verwertet werden, hat der Fall Katyn gezeigt.

Wie die Zeugen aus der Dienststelle des Angeklagten Sauckel bestätigt haben, sind dort andere Vorfälle über Auswüchse nicht bekanntgeworden. Die Fälle, die gemeldet wurden, sind offenbar zum Teil Wiederholungen der gleichen Geschehnisse, die von verschiedenen Seiten berichtet werden.

Alle diese Meldungen zeigen aber nicht das Bestreben, solche Dinge gutzuheißen, sondern sie sind der Alarm im Hause zwecks Abstellung und Besserung.

Kann man dem Angeklagten Sauckel nun glauben, wenn er erklärt, daß ihm die von der Anklage behaupteten Zustände nicht bekannt gewesen seien?

Was ihn auf dem Dienstwege amtlich erreicht hat, dürfte zum Nachweis der Kenntnis nicht ausreichen, und die Zeugen bestätigen, daß die sogenannten »Methoden« nicht bekannt waren.

Aber es liegen hier Akten der Behörden der besetzten Gebiete vor, aus denen sich ergibt, daß der Reichskommissar Ukraine das Abbrennen von Häusern zur Beseitigung des Widerstandes gegen die Verwaltung angeordnet hat, und es gibt Anordnungen, die solche Maßnahmen vorsehen.

Meldungen, die über solche Vorkommnisse an das Ostministerium gemacht werden, führen zu keiner Strafverfolgung, sondern zur Einstellung des Verfahrens; so der Fall Raab, Dokument 254-PS, und der Fall Müller, Dokument 290-PS.

[539] Dem Zweifel muß man folgendes gegenüberstellen: Die angewandten Maßnahmen waren von oberster Stelle nicht genehmigt und wurden von den unteren Stellen nur insgeheim angewandt. Es bestand daher für sie Grund, sie nicht bekannt werden zu lassen. Gerade aus den Ermittlungsakten der Fälle Raab und Müller ergibt sich, daß die bestehenden Anordnungen bei dem Ministerium wohl unbekannt waren.

Der Angeklagte Sauckel hat die Ukraine bereist, aber man wird ihm nicht gerade das gesagt haben, was den dortigen Dienststellen Ungelegenheiten einbringen konnte. Die Gesinnung des Angeklagten Sauckel war bekannt, und andererseits bestand ein heftiger Streit zwischen den Dienststellen des Reichskommissars Koch und dem Reichsministerium Rosenberg. Wenn man die vorgelegten Akten aus den beiden Dienststellen sorgfältig durchliest, so erkennt man aus den Aktennotizen, daß hier in diesem Kampf von beiden Seiten Material gesammelt wurde und sich niemand eine Blöße geben wollte.

Da der Angeklagte Sauckel selbst keine unmittelbare Befugnis hatte, ist es verständlich, daß er über die tatsächlichen Vorgänge in Unkenntnis blieb.

Ein anderer Gesichtspunkt bedarf der Betrachtung: in verschiedenen Dokumenten ist die Rede davon, daß bei der Beschaffung von Arbeitskräften ein gewisser Druck angewandt werden müsse, da man die Arbeitskräfte unter allen Umständen haben müsse. Ist damit für alle Methoden freie Hand gegeben? Man muß sehen, was auf diese Erklärung hin tatsächlich unternommen worden ist.

Das OKH hat daraufhin in einem Falle die verstärkte Aushebung von Arbeitskräften angeordnet und die kollektive Erfassung zugelassen, dabei aber Kollektivstrafen verboten. So Dokument 3012-PS mit Fernspruch des Wirtschaftsstabes Ost an General Stapf vom 11. März 1943.

Das beste Bild ergibt sich hier aus dem gleichen Dokument 3012-PS durch einen Aktenvermerk über eine Besprechung vom 10. März 1943. Hier verlangt General Nagel klare Richtlinien, und Staatsrat Peuckert will die vernünftigen Werbemethoden durch das OKH als zuständige Stelle festlegen lassen. Weiter ist hier maßgebend Dokument 2280-PS, die einzige eigene Erklärung des Angeklagten Sauckel zu dieser Frage in Riga vom 3. Mai 1943. Er erklärt dort nur alle »zulässigen« Mittel für erlaubt.

Weiter ist heranzuziehen Dokument 3010-PS, Wirtschaftsinspektion Süd, wo am 17. August 1943 die Anwendung »aller geeigneten Mittel« zugelassen wird.

Es werden Verordungen erlassen, in denen strenge Maßnahmen gegen Nichtbefolgung der Arbeitspflicht enthalten sind: Entziehung [540] der Lebensmittelkarten und Kleiderkarten. Es wird Sippenhaft angedroht und Geiselnahme in Aussicht gestellt.

Wie steht es mit der Zulässigkeit solcher Maßnahmen?

Die Entziehung von Lebensmittelkarten ist ein heute allgemein übliches Zwangsmittel geworden, das auf der Rationierung beruht und in den Zeitverhältnissen seinen Grund hat. Es ist leicht zu handhaben und erfordert keine besonderen Vollstreckungskräfte. Andererseits ist es äußerst wirksam. Was die Sippenhaft betrifft, so sind schwere Einbrüche in die individuelle Haftung auch heute zu verzeichnen. Die Haager Landkriegsordnung schützt nur gegen Kollektivstrafen der Bevölkerung, sie schützt aber nicht die Familienangehörigen, die als mitverantwortlich angesehen werden können im Falle der Arbeitsverweigerung. Das als Dokument RF-80 vorgelegte französische Gesetz vom 11. Juni 1943 sieht eine solche Haftung auch nur bei bewußter Mitwirkung vor.

Schließlich bleibt noch die von dem Angeklagten Sauckel geforderte »Erschießung eines Präfekten«. Abgesehen davon, daß diese Äußerung an sich strafrechtlich unerheblich ist, da ihr die Ausführung nicht folgte, bedeutet sie rechtlich lediglich die Forderung, das bestehende französische Gesetz anzuwenden. Dieses Gesetz ist von der Anklage vorgelegt als Dokument RF-25, Verordnung des Militärbefehlshabers Frankreich vom 31. Januar 1943, in Artikel 2 ist dort die Todesstrafe vorgesehen.

Mißverstanden ist sodann noch die von der Anklage dem Angeklagten Sauckel vorgehaltene Äußerung, wonach man den Arbeitern in höflicher Weise Fesseln anlegen müsse; es ist das Dokument RF-816, Seite 10, Besprechung Sauckels in Paris vom 27. August 1943.

Wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, handelt es sich hier um eine Gegenüberstellung von plumpem, polizeilichem Auftreten mit der verbindlichen Art der Franzosen, ohne daß das Anlegen von Fesseln als eine Erfassungsmethode besonders angepriesen würde: Preußisch, sauber, korrekt auf der einen Seite, dabei aber auch verbindlich und höflich auf der anderen Seite, so soll gearbeitet werden.

Ich weise noch zu dem Fall des dem Tribunal aus den Verhandlungen bekannten Vorschlages des »Schanghaiens« in Dokument R-124, Seite 1770 hin. Die Darstellung, die der Angeklagte Sauckel gegeben hat, gibt eine verständliche Erklärung: Danach hat es sich rechtlich um eine Vorwerbung gehandelt, die die Arbeiter geneigt machen sollte, die eigentliche Verpflichtung später auf den amtlichen Werbebüros einzugehen.

Diese verschiedenen Vorgänge, Erschießung eines Präfekten, Anlegung von Fesseln, Schanghaien, lassen sich juristisch verschiedentlich darstellen, aber zum vollen Verständnis der subjektiven Seite kommt man erst, wenn man berücksichtigt, warum diese [541] Äußerungen gemacht wurden und aus welchen Verhält nissen heraus.

Der Hintergrund aller Ausführungen ist der Kampf gegen Widerstand und Sabotage, der in Frankreich immer stärkere Formen annahm. Es handelt sich also nicht um Bemerkungen der Brutalität und des Zynismus, sondern um Äußerungen, die der Unentschlossenheit der Behörden entgegenwirken sollen.

Ein weiterer Gedanke, der hier angeschlossen werden muß, ist der, ob der Angeklagte Sauckel nicht durch seine Maßnahmen die Hilfskräfte des Landes so erschöpft hatte, daß weitere Arbeitskräfte nur noch mit unmenschlichen Methoden herausgeholt werden konnten und daß der Angeklagte Sauckel dies wissen mußte.

Es geht hierbei um die Höhe der »Quoten«. Fest steht, daß sie hoch waren, es steht aber auch fest, daß sie nicht willkürlich festgesetzt wurden, sondern nach sorgfältiger Prüfung der statistischen Abteilung. Nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung wurde tatsächlich ergriffen, und ausschlaggebend war nicht die Unmöglichkeit, zu leisten, sondern war der Wille, sich zu widersetzen.

In den besetzten Gebieten des Ostens waren große Menschenreserven, insbesondere bei der herangewachsenen Jugend, vorhanden, die nicht entsprechend eingesetzt waren. Die stark gelichteten deutschen Truppen sahen bei ihrer Rückwärtsbewegung die reich bevölkerten Dörfer und spürten die gleichen Kräfte kurz darauf als Zuwachs der Kampfkraft des Gegners.

In Frankreich waren ebenfalls viele Kräfte, die sich in den Schutz des Maquis oder der Sperrbetriebe begaben. Dies bestätigt nicht nur der französische Regierungsbericht RF-22, sondern ergibt sich auch aus einer Äußerung, die in der Zentralen Planung am 1. März 1944 Kehrl, ein Zeuge des Mitangeklagten Speer, gemacht hat, Dokument R-124, Seite 66, Dieser Zeuge erklärt dort, daß Arbeitskräfte in umfangreichem Maße in Frankreich vorhanden seien.

Besonders aufschlußreich ist hier noch Dokument 1764-PS, Seite 6, das ist der Bericht des Gesandten Hemmen vom 15. Februar 1944, der von dem »Aufbau-Programm« des Marschalls Pétain spricht und dazu Bezug nimmt auf die durch den Krieg unberührte Bevölkerung, die jährlich allein einen Zuwachs von 300000 jungen Männern gehabt hat.

Wenn in diesem Zusammenhang die Zahl der erfaßten Arbeitskräfte von Bedeutung ist, so muß sie der ganzen Bevölkerung gegenübergestellt werden und andererseits in Betracht gezogen werden, daß Deutschland nichts forderte, was es nicht von sich selbst in erhöhtem Maße verlangte.

Der Angeklagte Sauckel mußte der Überzeugung sein, nicht, daß man nicht leisten konnte, sondern daß man nicht leisten wollte.

[542] Um diesen Willen zu beeinflussen, entstand der Propagandakampf und der Wettstreit der Strafandrohungen von beiden Seiten, der die Bevölkerung des besetzten Gebietes erst in die seelischen Konflikte brachte, die vielen zum Verhängnis wurden.

Der Angeklagte Sauckel konnte die Notwendigkeit, Zwang anzuwenden, mit guten Gründen auf die Wirkung der Gegenpropaganda und die verschlechterte Kriegslage zurückführen; er konnte aber auf Grund der ihm zugänglichen Unterlagen nicht überzeugt sein, daß die Erschöpfung der Länder so groß war, daß ohne Anwendung unmenschlicher Methoden nichts mehr herausgeholt werden könne.

Nicht auf dem Wege der Gewalt, sondern auf dem Wege der Schaffung besonderer Arbeitsbedingungen glaubte der Angeklagte Sauckel, sein Ziel zu erreichen.

Ich verweise als Beispiel auf die Zusage, die Sauckel selbst am 3. Mai 1943 in Riga gegeben hat. Das ist Dokument 2228-PS.

Es liegt abseits noch ein besonderes Gebiet der Arbeiterbeschaffung, das auszuscheiden ist. Es ist dies die Freilassung von Kriegsgefangenen unter der Bedingung der Gestellung von Arbeitskräften in Deutschland, durch »releve« und »transformation«.

Der französische Bericht RF-22 erklärte beide Arten für die Gestellung von Arbeitskräften für unzulässig.

In dem Bericht ist ausgeführt, daß der Austausch auf Grund der Releve der Versklavung der dreifachen Anzahl von französischen Arbeitern gleichgekommen sei. Es muß demgegenüber festgestellt werden, daß die Ersatzarbeiter jeweils nur auf ein halbes Jahr zu freier Arbeit kamen, und zwar hintereinander. Nach anderthalb Jahren waren alle Arbeiter frei; der Gefangene wurde es sofort.

Ein Zwang für die Durchführung der »releve« bestand nicht. Rechtlich ist das Angebot der Ablösung nicht angreifbar. Die Gefangenschaft kann jederzeit aufgehoben werden; die Freilassung kann auch an eine Bedingung geknüpft sein. Der französische Bericht überspitzt die moralische Ablehnung, indem er sich auf ein Zitat des Präsidenten des Nachrichtenbüros der Vereinigten Staaten beruft, dort ist von der »ruchlosen Wahl« die Rede, »entweder für den Erbfeind zu arbeiten oder einem Sohn des Landes die Möglichkeit der Befreiung aus der Gefangenschaft zu rauben«.

Ich stelle dem das gesunde Empfinden gegenüber, wonach in der älteren russischen Literatur ein solcher Austausch gelegentlich des Nordischen Krieges als patriotische Tat und Großzügigkeit hervorgehoben wird. Weder der König von Schweden noch Peter der Große haben danach den Austausch als die Gestellung eines Ersatzsklaven angesehen.

[543] Das »Erleichterte Statut« (transformation) ist im Dokument Sauckel 101 enthalten. Das ist die Entlassung von Franzosen aus der Gefangenschaft gegen Übernahme anderer Arbeit unter der Voraussetzung, daß ein weiterer französischer Arbeiter nach Deutschland kommt entsprechend der Regelung der »releve«.

Zu dieser Änderung seiner rechtlichen Lage wurde kein Kriegsgefangener gezwungen, aber ganze Lager meldeten sich freiwillig hierzu. Wenn ein Gefangener von der gebotenen Möglichkeit Gebrauch machte, so verzichtete er damit auf den arbeitsrechtlichen Sonderschutz der Genfer Konvention; aber dies geschah im Einverständnis mit seiner Regierung. Das verstößt nicht gegen das Völkerrecht.

Der mit der Umwandlung verbundene Heimaturlaub wurde dadurch zu Fall gebracht, daß die Urlauber schon nach den ersten Transporten nicht zurückkehrten. Der französische Bericht RF-22 sagt selbst aus, Seite 69, daß von 8000 Beurlaubten eines Transports 2000 nicht zurückkehrten.

Der Bericht stellt fest, daß die »Unglücklichen« vor die zwiespältige Entscheidung gestellt wurden: »Du kehrst zurück, oder deine Brüder sterben.« Diese Überlegung hat sie aber nicht beeindruckt. Auch konnte sie ihr gegebenes Wort nicht hindern, sofort ins Maquis zu gehen.

Der Fortfall dieses Heimaturlaubs ist darnach keine Willkür in der Sklavenarbeit. Die Lektüre des französischen Berichts selbst kann diesen Eindruck nur vertiefen.

Es ergibt sich somit, daß auch auf diesem Sondergebiete durch den Angeklagten Sauckel keine Erfassung von Arbeitskräften erfolgt ist, die gegen das Kriegsrecht war und in unmenschlicher Form durchgeführt wurde.

Ich komme nun zur Frage der Behandlung der Arbeiter. Um eine rechtliche Beurteilung zu erleichtern, erfolgt auch hier eine Trennung der Verantwortungsgebiete.

Für die allgemeinen Arbeitsbedingungen in den Betrieben waren die Betriebsführer verantwortlich.

Für die allgemeinen Lebensverhältnisse außerhalb der Betriebe war die Deutsche Arbeitsfront zuständig.

Diese Verantwortungsgebiete treten deutlich dadurch in Erscheinung, daß für sie in der Anklageschrift zwei besondere Vertreter genannt sind, nämlich Krupp und Dr. Ley.

Für die Vorkommnisse auf diesen Gebieten kann der Angeklagte Sauckel nur insoweit einstehen, als sie auf seinen Verordnungen beruhen oder er pflichtwidrig nicht im Wege der Aufsicht eingegriffen hat.

[544] Ein Gebiet der unmittelbaren Verantwortung des Angeklagten Sauckel waren die Löhne.

Hier fand er beim Amtsantritt eine Regelung vor und konnte sie nicht selbständig abändern; dazu mußte er die Genehmigung seiner vorgesetzten Dienststelle – das ist der Vierjahresplan – einholen und die Zustimmung der betroffenen Reichsminister.

Die in meinem Dokumentenbuch II unter Abschnitt »Lohnfrage« zusammengefaßten gesetzlichen Bestimmungen zeigen sodann, daß die grundsätzlichen Verordnungen nicht von dem Angeklagten Sauckel erlassen sind, sondern vom Ministerrat für die Reichsverteidigung, so die Dokumente Sauckel 50, 17 und 58, oder von dem Reichswirtschaftsminister, Dokument Sauckel 51, und dem Reichsfinanzminister, Dokument Sauckel 52.

Der Angeklagte Sauckel konnte nur innerhalb dieses ihm gesetzten Rahmens die Löhne einstufen und die Akkordlöhne bestimmen, dabei mußte er die Interessen der beteiligten Ministerien berücksichtigen.

Soweit es danach dem Angeklagten Sauckel überhaupt möglich war, hat er eine Besserstellung ermöglicht. So zeigen eine Reihe seiner Anordnungen, daß er Vergünstigungen gab, wie Prämien, Ausgleichszahlungen und ähnliches; hierzu die Dokumente Sauckel Nummer 54 und 58a.

Die Arbeit des Angeklagten Sauckel bleibt aber auch im großen auf Besserung der Löhne durch Beeinflussung der zuständigen Stelle gerichtet. Dies zeigt Dokument 021-PS vom 2. April 1943. Dort befindet sich als Anlage eine Abhandlung mit statistischem Material zu dem Vorschlag einer grundsätzlichen Lohnaufbesserung für die Arbeiter aus dem Osten.

Sodann ergibt ein Studium der Lohntabellen aus den verschiedenen Zeiten, daß die Mittellöhne der Ostarbeiter sich während der Amtszeit des Angeklagten Sauckel auf das Mehrfache gesteigert haben.

Der Regelung durch den Angeklagten Sauckel unterlag dann die Arbeitszeit, aber nur im Rahmen der übergeordneten Zuständigkeit des Reichsarbeitsministers Seldte. Dies zeigt Dokument Sauckel 67, wo Seldte in Paragraph 3 der Anordnung vom 25. Januar 1944 die Arbeitszeit für die Ostarbeiter regelt.

Die Arbeitszeit war grundsätzlich die gleiche wie für die deutschen Arbeiter, entsprechend dem Arbeitsrhythmus der Betriebe.

Dies räumt der französische Regierungsbericht UK-78/3 auch ein; die dort auf Seite 580 aufgeführten Fälle übermäßiger Arbeitszeit widersprechen den Anordnungen des Angeklagten Sauckel. Da sie keine Jahreszahlen enthalten, kann man nicht erkennen, ob es [545] sich dabei um nur vorübergehende Maßnahmen handelt oder um Dauerzustände. Die gleiche Unklarheit besteht im französischen Bericht RF-22, Seite 101; dort ist die Mindestarbeitszeit mit 72 Stunden angegeben, die sich bis auf 100 Stunden steigerte. Es kann sich dabei um die Arbeit von KZ-Häftlingen handeln, was unklar gelassen ist.

Die Regelung der Arbeitszeit wurde sodann durch Goebbels geändert, der auf Grund seiner Vollmachten für die Führung des totalen Krieges den Zehnstundentag für Deutsche und Ausländer einführte, ohne daß dies in der Praxis hätte allgemein durchgeführt werden können. Eine unvernünftig hohe Arbeitszeit kann nicht durchgehalten werden und führt zu Rückschlägen.

Ich füge hier ein, daß Sauckel es durchgesetzt hat, daß diese mehr geleisteten Stunden als Überstunden besonders bezahlt wurden.

Besondere Beachtung ist von der Anklage der Regelung der Arbeitszeit der Hausgehilfinnen aus dem Osten geschenkt, von denen an Stelle der ursprünglich von Hitler verlangten 400000 bis 500000 Mädchen nur 13000 nach Deutschland kamen.

Es ist von der Anklage das Merkblatt für die Beschäftigung dieser Hausgehilfinnen als Dokument USSR-383 vorgelegt worden. Dort ist unter Nummer 9 gesagt, daß ein Anspruch auf Freizeit nicht besteht. Der Zweck der Bestimmung war, die Regelung der Freizeit dem Haushalt nach dessen Bedürfnissen zu überlassen. Ein anderer Sinn der Bestimmung ist auch kaum denkbar, denn man wollte ja gerade diese Hausgehilfinnen dauernd in die Familien aufnehmen und ihnen die Möglichkeit geben, in Deutschland zu verbleiben. Es waren als besonders zuverlässig angesehene Mädchen ausgewählt, die sich freiwillig zu der Haushaltsarbeit gemeldet hatten. Entsprechend der geübten Praxis wurden durch spätere Anordnungen – in Dokument Sauckel 26 – die Bestimmungen geändert, zugleich mit der Aufhebung aller sonstigen Beschränkungen.

Die Regelung der Arbeitszeit für Kinder ist im Rahmen der deutschen Arbeitsschutzgesetzgebung erfolgt; es handelt sich dabei um Kinder, die entgegen den Bestimmungen des Angeklagten Sauckel in ungeregelter Weise mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen sind.

Bei der Arbeit kann es sich nur um ländliche Beschäftigungen handeln, wie sie auch für deutsche Kinder üblich sind. Hierzu wird darauf verwiesen, daß im Kriege in Deutschland die Schulkinder vom zehnten Lebensjahre zur Arbeit herangezogen werden konnten nach dem Erlaß des Reichsjugendführers vom 11. April 1942, Dokument Sauckel 67a.

[546] Über den gesamten Komplex von Lohn und Arbeitszeit, wie er abschließend gesetzlich geregelt war, gibt am besten Auskunft eine zusammenfassende Abhandlung in dem vollständigen Dokument Sauckel 89 von Dr. Blumensaat.

Auf diese unmittelbare Verantwortlichkeit allein kann sich der Angeklagte Sauckel aber nicht zurückziehen, wenn er die Dinge kannte und duldete, die dem Transport und dem Leben in den Lagern und Fabriken nach Behauptung der Anklage den Stempel aufdrückte. Er hat eine Aufsichtspflicht, auch wo er nicht unmittelbar die Verantwortung trägt. Ein solches Gebiet, das zur Verantwortung der Betriebe gehörte, ist Unterbringung und Verpflegung der Arbeiter.

Für die Einrichtung der Lager der Ausländer galten die gleichen Bestimmungen wie für die Lager der deutschen Arbeiter laut Verordnungen des hierzu zuständigen Reichsarbeitsministers Seldte, Dokument Sauckel Nummer 42, 43 und 44.

Es ist nicht zu bestreiten, daß infolge der Kriegsnot, insbesondere unter den Auswirkungen des Luftkrieges, die Unterbringung litt, aber die Mißstände wurden nach Kräften beseitigt. Die Lage der ausländischen Arbeiter war hier nicht anders als die der deutschen Zivilbevölkerung.

Die Verpflegung litt unter der Blockade und Verkehrsnot. Aber die festgesetzten Verpflegungssätze waren entgegen den berüchtigten Äußerungen über die Ernährung der Russen nach Tabelle vom 24. November 1941 im Dokument USSR-177 für die sowjetischen Kriegsgefangenen 2540 Kalorien. Eine weitere Tabelle ist mit der eidesstattlichen Erklärung des Zeugen Hahn als Exhibit Sauckel Nummer 11 vorgelegt. Danach war der Verpflegungssatz bei Krupp für den Normalarbeiter aus dem Osten 2156 Kalorien, für Schwerarbeiter 2615 Kalorien; und die sorgfältige Zuteilung wurde überwacht.

Verantwortlich für die Verpflegung war das Reichsernährungsministerium.

Es sind von der Anklage für beide Punkte schwere Beschuldigungen erhoben worden. Diese sind aber nur denkbar, wenn die bestehenden Vorschriften nicht eingehalten worden sind. Daß Fehler im Laufe der Jahre in dem großen Bereich vorgekommen sind, ist wahrscheinlich, aber das Gesamtbild setzt sich nicht aus Fehlern zusammen, und auf ihnen kann eine Beurteilung nicht aufgebaut werden. Die wirklichen Verhältnisse sind in diesem Verfahren nicht so klargestellt worden, daß man sagen könnte, die Mißstände waren so allgemein und so offensichtlich, daß der Angeklagte Sauckel sie kennen mußte und auch gekannt hat.

[547] Den unsicheren Aussagen des Zeugen Dr. Jäger steht die eidesstattliche Versicherung des Zeugen Hahn gegenüber, die sie weitgehend entkräftet. Die eidesstattlichen Erklärungen der Zeugen Scharmann und Dr. Voß, Exhibit Sauckel Nummer 17 und 18, bestätigen sodann, daß in ihrem Arbeitsbereich keine groben Mißstände vorhanden waren.

Über die Verpflichtung der Betriebsführer hinaus hatte die Deutsche Arbeitsfront für die ausländischen Arbeiter zu sorgen – Dokument Sauckel 16. Ihr Aufgabengebiet war unter anderem der Transport und die Überwachung der ärztlichen Betreuung, sowie die allgemeine Fürsorge. Die umfangreiche Tätigkeit, die diese überaus große Organisation entfaltet hat, ist in diesem Verfahren nicht dargestellt worden. Die Grundsätze der Deutschen Arbeitsfront ergeben sich aus Dokument Sauckel Nummer 27, das ist die Verordnung der Deutschen Arbeitsfront über die Stellung der ausländischen Arbeiter im Betrieb. Als Ziel wird hervorgehoben: Aufrechterhaltung der Arbeitsfreudigkeit durch Beachtung der vertraglichen Bedingungen, absolut gerechte Behandlung und umfassende Fürsorge und Betreuung.

Die Deutsche Arbeitsfront war auch zuständig für die Durchführung der Transporte nach Anordnung Nummer 4, Dokument Sauckel Nummer 15. Dort sind die Weisungen Sauckels enthalten. Diese Aufgabe schließt die Weiterleitung bis zur Arbeitsstätte ein. Die Zeugen Timm, Stothfang und Hildebrand haben über das Gebiet ausgesagt und über Mißstände nichts berichtet.

Die Schilderungen im Molotow-Bericht, Dokument USSR-51, können sich nicht auf Transporte beziehen, die unter der geordneten Leitung durchgeführt wurden, sondern nur auf sogenannte wilde Transporte. Das gleiche gilt von den Transporten, deren Bestimmungsort nach der Anklageschrift die Konzentrationslager waren.

Wie sehr sich der Angeklagte Sauckel von Anfang an um die Transportverhältnisse gekümmert hat, geht gerade aus dem von der Anklage vorgelegten Dokument 2241-PS hervor; dies enthält einen Erlaß, wo gewissenhafte Anweisungen zur Verhütung der Verwendung ungeeigneter Züge gegeben sind.

Es sind Fehler vorgekommen, so insbesondere das im Dokument 054-PS erwähnte Vorkommnis des Rücktransportes von Arbeitskräften; diese waren vor der Zeit Sauckels, im Widerspruch zu seinen Grundsätzen, ins Reich gebracht worden. Es handelt sich um ein einmaliges Geschehen, und sofort wurde das Nötige verfügt. Die Rückführung von Kranken in nichttransportfähigem Zustand wurde verboten und das Bad Frankenhausen zur Verfügung gestellt; das ist Dokument 084-PS, Seite 22. Es erfolgte die [548] Anordnung über die Begleitung solcher Transporte durch Helfer und Helferinnen des Roten Kreuzes, Dokument Sauckel Nummer 99.

Der sorgfältig durchorganisierte Apparat der ärztlichen Betreuung, der unter Mitwirkung der kassenärzt lichen Vereinigung arbeitete, hat trotz größter Schwierigkeiten nicht versagt, es steht vielmehr das große Ergebnis fest, daß keine Seuchen und schwere Krankheiten auftraten.

Die von der Anklage vorgetragenen Fälle aus einigen der 60 Lager der Firma Krupp können nur aus der ungewöhnlichen Verkettung von Umständen verstanden werden. Allgemeine Mißstände, für die diese Zustände typisch wären, können sie nicht beweisen.

Es ist dann noch ein Dokument RF-91 vorgelegt worden, das ist der ärztliche Bericht von Dr. Fevrier von der französischen Abordnung der Deutschen Arbeitsfront, der nach Beginn der Invasion am 15. Juni 1944 abgefaßt ist. Der Bericht zeigt neben Mängeln, die er abzustellen bestimmt ist, auch Gutes. So spricht er mit besonderer Anerkennung von den Jugendlagerführern, von den systematischen Röntgenuntersuchungen und von den Unterstützungen der Gauverwaltungen und ähnlichem.

Ein wirkliches Gesamtbild der Zustände könnte man nur durch Studium der überall vorliegenden ärztlichen Berichte der Ämter für Gesundheit der Deutschen Arbeitsfront erlangen.

Für die Verteidigung des Angeklagten Sauckel ist hier nur der Umstand von Bedeutung, daß ein Fernstehender wie er kein klares Bild von Mißständen haben konnte.

Die Billigung solcher Mißstände hätte in krassem Widerspruch zu den Handlungen und Erklärungen Sauckels gestanden. Der Angeklagte Sauckel hatte sich nicht damit zufrieden gegeben, wenn ein Gauleiter etwa erklärte: »Wenn jemand frieren muß, dann zunächst die Russen.« Er ist hier eingeschritten und hat offen Stellung dagegen genommen in seinem amtlichen Handbuch des Arbeitseinsatzes. Das ist Dokument Sauckel Nummer 19.

Der Angeklagte Sauckel hat sich auch außerhalb seiner Zuständigkeit um die Verbesserung der Verpflegung bemüht. Dies haben mehrere Zeugen bestätigt, unter anderem der Zeuge Gölz, Exhibit Nummer 10; es ergibt sich auch aus der Niederschrift der Zentralen Planung, Dokument R-124, Seite 1783.

Der Angeklagte Sauckel hat die Dinge nicht treiben lassen, wie sie wollten, sondern er hat sich einen eigenen persönlichen Stab geschaffen, deren Mitglieder in den Lagern herumreisten und an Ort und Stelle Mängel abstellten.

So hat er sich auch um die Bekleidung bemüht und in großem Umfange Fabriken für die Versorgung der Ostarbeiter arbeiten lassen.

[549] Alle Zeugen, die zu diesem Fragenkomplex gehört worden sind, haben die fürsorgende Grundeinstellung des Angeklagten Sauckel immer wieder einmütig bestätigt.

Ich verweise hier auf die Bekanntmachungen und Ansprachen des Angeklagten Sauckel, die stets für eine gute Behandlung eintreten. Ich will die Dokumente nicht im einzelnen aufzählen und hebe nur das »Manifest« des Arbeitseinsatzes, Dokument Sauckel 84, hervor, in dem er auf seine verpflichtenden Grundsätze hinweist und verlangt, daß diese laufend mit Nachdruck in Erinnerung gebracht werden müssen.

Ich verweise auch auf die Ansprachen an die Präsidenten der Gauarbeitsämter am 24. August 1943, das ist Dokument Sauckel 86, und vom 17. Januar 1944, das ist Dokument Sauckel 88.

Der Angeklagte Sauckel hat es schließlich erreicht, daß selbst Himmler, Goebbels und Bormann seine Gedanken als richtig anerkannten. Dies zeigt Dokument 205-PS vom 5. Mai 1943. Es ist dies ein Merkblatt über die allgemeinen Grundsätze für die Behandlung der ausländischen Arbeiter. Dort sind die Grundsätze des geordneten Arbeitseinsatzes übernommen.

Wie verhalten sich dazu die Darstellungen der Anklage von der sklavenmäßigen Mißhandlung der Arbeiter?

Man wird genau untersuchen müssen, ob es sich tatsächlich in den vorgetragenen Fällen um Mißstände handelt, die die Arbeiter im normalen Einsatz trafen oder solche, die sich auf die Deportation von Häftlingen und die Häftlingsarbeit bezogen.

Sodann ist zu prüfen, ob nicht Übertreibungen und Verzerrungen erfolgt sind, für die es viele Gründe menschlicher Schwächen und Eigenart gibt. Meines Erachtens ist eine hinreichende Aufklärung der Vorgänge bisher nicht erfolgt; und es zeigen sich bereits Schilderungen in der Presse, die Zweifel an dem herkömmlichen Begriff des Lebens der ausländischen Arbeiter verstärken.

In dem als Exhibit Sauckel Nummer 3 überreichten Plan sind die zahlreichen Kontroll- und Inspektionsstellen für die Arbeiterfrage veranschaulicht. Diese haben keine besonderen Mißstände an die Dienststelle des Angeklagten Sauckel berichtet.

Gerade in der Vielzahl der Stellen lag vielleicht eine Schwäche; es ist denkbar, daß jedes Ressort die Fehler in seinem Zuständigkeitsbereich zurückhielt und nicht an den Angeklagten Sauckel kommen ließ, weil die Kontrollorgane in der Regel Dienststellen waren, die im Rang über dem Angeklagten Sauckel standen.

Dies ist besonders zu beachten für die Beziehungen der wichtigsten Stelle, der Deutschen Arbeitsfront, unter Führung des Reichsleiters Dr. Ley, zu Gauleiter Sauckel.

[550] Die als Dokument 1913-PS vorgelegte Vereinbarung über die Schaffung einer »Zentralinspektion für die Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte« stellt bei näherer Prüfung eine vorsorgliche Abschirmung gegen den Angeklagten Sauckel dar. Das Dokument ist nämlich von Dr. Ley entworfen, am 2. Juni 1943 unterzeichnet und dem Angeklagten Sauckel zur Unterschrift vorgelegt worden. Erst am 20. September 1943 hat dieser es genehmigt und bekanntgegeben. Es ist darum gerade hier denkbar, daß Dr. Ley sich keine Rügen holen wollte. Aber es ist auch nicht denkbar, daß die Mißstände allgemein und offenkundig waren. Der Angeklagte Sauckel hätte sonst davon erfahren müssen durch seine eigenen Kontrollen.

Abgesehen von dem eigenen Stab hatte der Angeklagte Sauckel am 6. April 1942 die Gauleiter als »Bevollmächtigte für den Arbeitseinsatz« bestellt und ihnen die Überwachung für die Durchführung seiner Anordnungen zur eindringlichen Pflicht gemacht. Dies ergibt sich aus Dokument Sauckel 9, Ziffer 5; das gleiche zeigt Dokument 633-PS vom 14. März 1943.

Mehrere Gauleiter sind vor dem Tribunal als Zeugen vernommen worden und haben bestätigt, daß die befohlene Überwachung durchgeführt wurde und daß Sauckel sie durch Angehörige seines Stabes überprüfen ließ. Mißstände wurden nicht gemeldet.

Wem soll man nach Abwägung der Dinge glauben? Haben wir es mit übertriebenen Klageliedern zu tun, oder sind die dagegen sprechenden Feststellungen glaubwürdig?

Es fehlt das Zeugnis der Franzosen, die nach Dokument UK-78/3, III. Studie, zu den echten Sklavenplätzen kamen; es fehlen die Russen, die nach Dokument USSR-51 für zehn bis fünfzehn Reichsmark verkauft worden sind.

Eine Tatsache spricht jedenfalls deutlich zugunsten des Angeklagten Sauckel, nämlich, daß die Arbeiter, wie die zuständigen Zeugen stets betonen, willig und fleißig waren und daß es beim Zusammenbruch nicht zu einem Aufstand gekommen ist, in dem die Arbeiter ihre natürliche Rache an den Sklavenhaltern genommen hätten.

Ich habe die tatsächlichen Vorgänge zusammengefaßt und rechtlich gewürdigt.

Alles muß aber als juristische Spielerei erscheinen, wenn eine höhere Verantwortlichkeit dem gegenübersteht.

Es ist hier gesagt worden, man könne den kleinen Betriebsführer nicht auf den Dingen sitzen lassen, sondern die höchsten Reichsstellen hätten moralisch die Verantwortung zu tragen; sie hätten von sich aus Abhilfe im großen schaffen müssen gegenüber den durch die Zeitverhältnisse entstandenen Schwierigkeiten.

[551] Dies mag für die Stellen zutreffen, die über die Macht und die Mittel zur Hilfe verfügten. Der Angeklagte Sauckel, der nur mit einem kleinen persönlichen Stab in ein bestehendes Ministerium eingebaut war, verfügte nicht über solche Mittel; seine Befugnis bestand in einem eng umgrenzten Recht, für die Arbeitsvermittlung Anordnungen zu erlassen, und hiervon hat er einen unermüdlichen Gebrauch gemacht.

Die Betriebsführer der Rüstungswirtschaft waren in der Selbstverwaltung zusammengefaßt und nach außen gegen sogenannte Bürokraten abgeschlossen. Diesem Selbstverwaltungsrecht entspricht die Selbsterhaltungspflicht.

Wenn den ausländischen Arbeitern darum zu ihrer Sicherung oder zur Verbesserung ihrer Lage aus den Rüstungsbetrieben geholfen werden sollte, so war dies Sache dieser Betriebe und die ihres vorgesetzten Rüstungsministeriums.

Die Dienststelle des Angeklagten Sauckel konnte hier nichts unternehmen, denn sie stand unter dem Rüstungsministerium. Dies ergibt sich klar aus Dokument 4006-PS mit Erlaß vom 22. Juni 1944; dem entspricht die persönliche engste Beziehung des Rüstungsministers zu Hitler, wodurch er der einflußreichste Mann auf dem Wirtschaftsgebiete war.

Wenn eine höhere Verantwortung für Fehler in den Betrieben bestand, dann konnte sie nur dort liegen, wo Kenntnis von den Zuständen vorhanden war und die Macht, sie zu beseitigen.

Noch eine Rechtsfrage des Statuts ist zu prüfen, nämlich, ob die Stellung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz nach Artikel 7 oder nach Artikel 8 zu beurteilen ist, das heißt, ob der Angeklagte Sauckel ein selbständiger Regierungsbeamter war oder ob er auf Befehl gehandelt hat.

Die Anforderungen von Arbeitskräften erfolgte jeweils auf besonderen Befehl Hitlers als Programmforderung, und nur die spätere Verteilung war Sauckel überlassen. Dies geht auch daraus hervor, daß sich der Angeklagte Sauckel immer wieder auf »Befehle und Aufträge« Hitlers beruft, so in dem Manifest des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Dokument Sauckel 84, Ziffer 7, und im Rundschreiben an die Gauleiter, Dokument Sauckel 83 und anderen.

Dem entspricht es auch, daß der Angeklagte Sauckel jeweils die Ausführungen der Befehle besonders meldet, sowie den Antritt und die Rückkehr von seinen Auftragsreisen. Dokument 556-PS vom 10. Januar 1944 und 28. Juli 1943.

Gegen die Selbständigkeit spricht auch der Umstand, daß nach dem Ernennungserlaß der Angeklagte Sauckel dem Vierjahresplan unmittelbar unterstellt war und er in das Reichsarbeitsministerium [552] eingegliedert wurde, das mit seinen Staatssekretären erhalten geblieben war Ihm selbst waren nur zwei Abteilungen zur Verfügung gestellt.

Wenn die Art der Verantwortlichkeit festgestellt werden soll, dann kann sie danach nur im Artikel 8 des Statuts gegeben sein.

Damit schließe ich meine Ausführungen über das Sondergebiet des Arbeitseinsatzes.

Der Angeklagte Sauckel ist über den Arbeitseinsatz hinaus wegen aller Punkte der Anklage beschuldigt.

Bestimmte Einzeltaten werden ihm dabei nicht als Täter zur Last gelegt.

Eine nähere Kennzeichnung der Vorwürfe ist im Laufe des Verfahrens bezüglich der Konzentrationslager erfolgt. Hierzu ist aber durch beschworene Erklärung des Zeugen Walkenhorst, Exhibit Nummer 23, und eine eidesstattliche Versicherung des Zeugen Dieter Sauckel, Exhibit Nummer 9, erwiesen, daß kein Räumungsbefehl für das Lager Buchenwald bei Annäherung der amerikanischen Truppen gegeben worden ist.

Auf Kenntnis und Billigung der Lagerzustände kann nicht aus dem zweimaligen Besuch des Lagers vor dem Jahre 1939 geschlossen werden, da damals die von der Anklage hervorgebrachten Auswüchse noch nicht bestanden.

Auch die örtliche Nähe des Lagers zu der Gauleitung des Angeklagten Sauckel brachte keine engen Beziehungen zu der SS-Führung, da diese in Kassel und Magdeburg ihren Sitz hatte.

Hinzu kommt schließlich, daß die innere humane Einstellung des Angeklagten Sauckel, die auf seinem Werdegang beruhte, mit der Einstellung Himmlers unvereinbar war.

Welche Rolle kann der Angeklagte Sauckel in der Verschwörung gespielt haben?

Er war Gauleiter in Thüringen und hob sich aus der Zahl der anderen Gauleiter nicht hervor. Seine Tätigkeit und seine Ziele ergeben sich aus seinen Kampfreden, die als Dokument Sauckel Nummer 95 vorgelegt sind. Diese zeigen mit Beharrlichkeit den Kampf um »Freiheit und Brot« und den Wunsch nach wirklichem Frieden.

Für die langjährige Tätigkeit in der Partei war für den Angeklagten Sauckel das Parteiprogramm maßgebend; die darin enthaltenen Wünsche erforderten weder Krieg noch Ausrottung der Juden. Erst die praktische Ausführung des Programms konnte Aufschluß über die Wirklichkeit geben. Für den überzeugten Parteimann war aber die amtliche Darstellung der Geschehnisse maßgebend, und sie begegnete keinem Zweifel.

[553] Bis zur Ernennung zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz im Jahre 1942 gehörte der Angeklagte Sauckel nicht zu dem engen Kreis derer, die einen Blick in die Pläne Hitlers tun konnten. Er war angewiesen auf Presse und Rundfunk wie jedermann. Mit den führenden Männern hatte er keine Fühlung. Dies zeigt sich mit einer gewissen Tragik bei dem belächelten Schritt des Angeklagten Sauckel, daß er als einfacher Matrose zu einer Feindfahrt ins U-Boot stieg.

So beteiligt man sich nicht an Verschwörungen.

Als gläubiger Anhänger Hitlers stand der Angeklagte Sauckel im Kreise der Wissenden allein. Man kann verstehen, wenn die extremen Männer ihn mit seiner bekannten Einstellung mieden. Er wurde auch nicht eingeweiht in die Geheimnisse von Leuten, die Freund und Mörder Hitlers zugleich sein wollten, und er wurde nicht von der Gruppe unterrichtet, die Hitlers Feinde waren, aber ihre Wahrheiten mit neuartiger Tapferkeit geheimhielten.

Gläubig bis zum Ende, kann der Angeklagte Sauckel auch heute noch nicht das Geschehene begreifen. Soll er wie ein Ketzer seinen Irrtum widerrufen, um Gnade zu finden?

Ihm fehlt die Verbindung mit der Wirklichkeit, die das Erkennen ermöglichen könnte.

Hängt das Urteil davon ab, ob er in Unwissenheit einer guten oder schlechten Sache gedient hat?

Es ist nichts gut oder schlecht, das Denken macht es so.

Eines aber ist immer und unter allen Umständen gut; das ist ein guter Wille. Diesen guten Willen hat der Angeklagte Sauckel gezeigt.

Ich beantrage daher seinen Freispruch.


VORSITZENDER: Darf ich Dr. Exner für den Angeklagten Jodl bitten?


PROFESSOR DR. FRANZ EXNER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN JODL: Herr Präsident! Meine Herren Richter!

In diesem einzigartigen Prozeß steht die Findung der Wahrheit vor einzigartigen Schwierigkeiten. In einer Zeit, da die Wunden des Krieges noch bluten, die Erregung über die Geschehnisse der letzten Jahre noch zittert, in einer Zeit, in der die Archive der einen Seite noch verschlossen sind, soll in leidenschaftsloser Sachlichkeit ein gerechtes Urteil gefällt werden. Ein Prozeßstoff ist vor uns ausgebreitet worden, der ein Vierteljahrhundert Weltgeschichte und die Geschehnisse aus vier Erdteilen umfaßt. Und auf Grund dieses riesenhaften Materials sehen wir 22 Männer gleichzeitig angeklagt. Das erschwert es ungeheuer, den Blick freizuhalten für Schuld [554] und Verantwortlichkeit jedes einzelnen. Denn Unmenschlichkeiten von kaum vorstellbarem Ausmaße sind hier zutage gekommen, und es besteht die Gefahr, daß der tiefe Schatten, der auf einen Teil der Angeklagten fällt, auch den anderen verdunkelt. Mancher, fürchte ich, erscheint durch die Gesellschaft, in der er sich hier befindet, in anderem Lichte, als wenn er allein auf der Anklagebank säße.

Die Ankläger haben diese Gefahr noch erhöht, indem sie – rechtliche und moralische Vorwürfe mischend – wiederholt Gesamtbeschuldigungen erheben: Alle Angeklagten hätten sich aus den besetzten Gebieten bereichert, nicht einer, der nicht gerufen hätte »Juda verrecke« und so weiter. Ein Nachweis, daß dies für jeden einzelnen zutrifft, ist gar nicht versucht worden; aber schon die Behauptung macht die Stimmung gegen alle.

Zu diesem Vorgehen der Anklagebehörde, das die Klärung der individuellen Schuld erschwert, gehört auch, daß die Angeklagten Keitel und Jodl wie ein untrennbares Zwillingspaar behandelt werden: eine gemeinsame Anklage gegen sie seitens des englischen Anklägers, ein gemeinsamer Trialbrief seitens der Französischen Anklagebehörde. Und vollends die sowjetrussischen Ankläger haben, sehr wenig von den einzelnen Schuldigen sprechend, Vorwürfe auf Vorwürfe über die ganze Anklagebank ergossen. Das alles soll offenbar das Verfahren verkürzen, dient aber schwerlich der Aufklärung des Verschuldens jedes einzelnen.

Ja, die Anklageschrift geht noch weiter. Sie greift über diese 22 Angeklagten in das Schicksal von Millionen ein. Dies durch die Anklage gegen die Organisationen, die in Verbindung mit dem Gesetz Nummer 10 die Wirkung hat, daß man für die Schuld anderer Personen bestraft werden kann.

Augenblicklich wichtiger ist eine weitere Form der summarischen Behandlung der Angeklagten. Die Anklage zieht den Begriff der »conspiracy« heran, um wiederum zum Ergebnis zu kommen, daß Personen individuell haftbar gemacht werden für etwas, das andere verschuldet haben. Auf diesen Punkt muß ich näher eingehen, weil er auch meinen Mandanten betrifft. Zwar geht, glaube ich, aus den Ausführungen meiner Vorredner hervor, daß eine Verschwörung zur Begehung von Verbrechen gegen Frieden, Kriegsrecht und Menschlichkeit in Wahrheit nicht existiert hat, ich will daher nur eines zeigen: Sollte eine solche »conspiracy« doch bestanden haben, so hat jedenfalls Jodl ihr nicht angehört.

Der Ankläger hat zugegeben, daß die Zugehörigkeit Jodls zur »conspiracy« bis 1933 nicht nachweisbar ist. Und wahrlich: Wer mit derartigem Mißtrauen der ganzen nationalsozialistischen Bewegung gegenüberstand und mit so skeptischer Zurückhaltung von[555] ihrer Machtergreifung sprach, hat nicht konspiriert, um Hitler in den Sattel zu helfen.

Aber die Anklage scheint zu meinen, daß Jodl in der Zeit bis 1939 der angeblichen Verschwörung beigetreten sei. In Wahrheit hat sich auch in dieser Zeit für ihn nichts Wesentliches geändert.

Zwar ist nunmehr seine Einstellung gegenüber Hitler eine durchaus loyale. Denn Jodls verehrter Feldmarschall von Hindenburg war es, der Hitler zur Regierung berufen hatte, und das deutsche Volk bestätigte diese Entscheidung mit über 90 Prozent seiner Stimmen. Dazu kam, daß in den Augen Jodls, und nicht nur Jodls, die Autorität Hitlers mächtig steigen mußte angesichts seiner bewundernswerten außen-und innenpolitischen Erfolge, die sich nunmehr aneinanderreihten. Aber persönlich bleibt Jodl ohne jede Beziehung zu Hitler. Er hat keine der großen Versammlungen mitgemacht, in denen Hitler sein Programm entwickelte. Sein Buch »Mein Kampf«, das Evangelium des Nationalsozialismus, hat er nur stückweise gelesen. Jodl blieb eben ein unpolitischer Mensch, entsprechend seinen persönlichen Neigungen, die fernab von Parteipolitik lagen, und entsprechend den Traditionen der alten Offiziersfamilie, der er entstammte. Innerlich liberal eingestellt, hatte er für den Nationalsozialismus wenig Sympathie, äußerlich war ihm als Offizier Zugehörigkeit zur Partei verboten, jedes Wahlrecht, jede politische Betätigung versagt.

Wenn, wie die Anklage sagt, die Partei die Verschwörung zusammengehalten hat und das »Instrument der Kohäsion« zwischen den Angeklagten gewesen ist, so fragt man vergeblich, welche Kohäsion bestand denn zwischen Jodl und – sagen wir – Sauckel, oder zwischen Jodl und Streicher. Jodl kannte bis zum Kriegsbeginn von sämtlichen Angeklagten außer den Offizieren nur als einzigen Frick von einer oder zwei dienstlichen Konferenzen im Ministerium des Innern.

Der NSDAP stand er fern, ja, ihren Organisationen im gewissen Sinne sogar feindlich gegenüber. Seine größte Sorge in diesen Jahren – wie auch später, bis zuletzt – war die Gefahr der Parteieinflüsse in der Wehrmacht. Jodl tut, was in seiner Macht steht, um die »Aufblähung« der SS zu einer Nebenwehrmacht zu verhüten, die Abgabe des Zollgrenzschutzes an Himmler zu verhindern, und triumphierend trägt er in sein Tagebuch ein, daß Hitler nach dem Abgang des Generalobersten Freiherrn von Fritsch nicht, wie befürchtet, den parteigebundenen General von Reichenau zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannte, sondern den unpolitischen Brauchitsch und so weiter. Hätte Jodl irgendwie nationalsozialistisch konspiriert, so hätte er sich in jedem dieser Punkte gegenteilig verhalten.

[556] Jodl war denn auch bei keiner der sogenannten »Verschwörersitzungen« dabei: Weder am 5. November 1937 – das Hitler-Testament ist ihm unbekannt geblieben – noch am Obersalzberg im Februar 1938, noch bei der Sitzung am 23. Mai 1939 und ebensowenig am 22. August 1939. Kein Wunder! Jodl war ja damals noch ein viel zu kleiner Mann, um bei derart staatsentscheidenden Anlässen zugezogen zu werden: Mit dem Oberstleutnant oder Oberst im Generalstab wird nicht konspiriert, man sagt ihm einfach, was er zu tun hat, und damit ist – was seine Person betrifft – das Problem erledigt.

Der unwiderleglichste Beweis aber, daß Jodl keiner Verschwörung zur Führung des Angriffskrieges angehört haben kann, ist seine zehnmonatige Abwesenheit gerade vor Beginn des Krieges.

Jodl war im Oktober 1938 aus dem Oberkommando der Wehrmacht ausgeschieden und wurde als Artilleriekommandeur nach Wien versetzt. Damals stand nach seiner Auffassung ein Krieg so wenig in Aussicht, daß er, bevor er Berlin verließ, aus eigener Initiative noch einen Sicherungsaufmarsch nach allen Seiten entwarf. Dabei verlegte er die Masse der deutschen Kräfte ins Zentrum des Reiches, weil er eben keinen irgendwie bestimmten Gegner sehen konnte, gegen den ein Aufmarschplan vorzubereiten gewesen wäre. Gerade ein Jahr vor Beginn des Angriffs machte dieser angebliche Verschwörer für Angriffskriege eine rein defensive Generalstabsarbeit. Und obwohl er genau wußte, daß er in einem Kriegsfall nach Berlin zurückkehren müsse, schien ihm diese Möglichkeit so fernliegend, daß er mit seinen gesamten Möbeln nach Wien übersiedelte. Und noch mehr, weil er wünschte, endlich wieder einer Kanzleitätigkeit zu entkommen, ließ er sich für 1. Oktober 1939 die Gebirgsdivision in Reichenhall zusichern. Und endlich: er besorgte sich noch im Juli Schiffsfahrkarten zu einer mehrwöchigen Seereise, die im September hätte einsetzen sollen. So sicher rechnete er mit einer friedlichen Weiterentwicklung.

Während dieser zehn Monate bis zu seiner Einberufung nach Berlin kurz vor Kriegsausbruch stand Jodl in keinerlei dienstlichen oder privaten Beziehungen zum OKW. Der einzige Brief, den er in jener Zeit von dort bekam, war eben jener, der ihm zum 1. Oktober die Versetzung nach Reichenhall versprach.

Man stelle sich vor: in der kritischsten Zeit, gerade in der Zeit, in der die angeblichen Verschwörer den Polenplan berieten und ausarbeiteten, gerade in dieser Zeit war Jodl zehn Monate außer jedem Kontakt mit den maßgeblichen Leuten und wußte von dem, was vorging, nicht mehr als irgendeiner seiner Leutnante.

Als der Führer in diesem Sommer gelegentlich nach Wien kam, schien es Keitel nicht einmal der Mühe wert, ihm Jodl vorzustellen, [557] obwohl doch Jodl im Kriegsfalle berufen war, als strategischer Berater des Obersten Befehlshabers den angeblich gemeinsamen Angriffsplan durchzuführen. Man kann sich denken, wie erstaunt Jodl war, in der Anklageschrift zu lesen, er sei Mitglied einer Verschwörung zur Entfesselung des Krieges gewesen.

Herr Präsident! Ich wäre bei einem Absatz. Das wäre vielleicht der geeignete Moment...


VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr.


[Das Gericht vertagt sich bis

29. Juli 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 19.
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