Nachmittagssitzung.

[119] [Der Zeuge Hirth im Zeugenstand.]


VORSITZENDER: In Übereinstimmung mit der Anordnung des Gerichtshofs vom 25. Juli 1946 über das Verfahren gegen die Organisationen sind dem Gerichtshof mehrere Anträge auf Verlängerung der Zeit für die Schlußplädoyers der Verteidiger der Organisationen vorgelegt worden. Die Anträge wurden, wie der Gerichtshof meint, auf Grund eines Mißverständnisses über den Sinn der Verfügung vom 25. Juli 1946 gestellt. Es ist nicht vorgesehen, daß die Schlußplädoyers ausführlich die Dokumente behandeln sollen. Bei der Vorlage der Dokumente oder bei der Vernehmung von Zeugen, oder am Ende der Beweisaufnahme kann der Verteidiger je nach seinem Wunsch kurz auf die Dokumente verweisen, um ihr Wesen und die Punkte zu erklären, auf die sie sich beziehen. Das gesamte wesentliche Material wird somit dem Gerichtshof vorliegen. Das wird für die Schlußplädoyers die Möglichkeit geben, sich einer Zusammenfassung der Beweise und einer Erörterung der Rechtsfragen zu widmen, und ein und ein halber Tag werden für diesen Zweck voll ausreichen. Das ist alles.

DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Ich habe eine Frage zu dem verkündeten Beschluß. Ich habe meine Dokumente und die schriftlichen Urkunden eingeführt bei Gericht, ohne sie zu kommentieren, entsprechend dem Beschluß, so wie ich ihn verstanden hatte. Kann ich nun zu diesem schriftlichen Beweis am Schluß der gesamten Beweisaufnahme Stellung nehmen und bitten, daß das Gericht die Dokumente durchsieht? Es war jetzt nicht möglich, weil sie noch nicht vorlagen.

VORSITZENDER: Sicher, Dr. Servatius.


DR. SERVATIUS: Danke schön.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Zeuge! Ich möchte Ihnen eine oder zwei allgemeine Fragen stellen. Ist es richtig, wenn ich sage, daß es in Städten und Dörfern in vielen Teilen des Landes Glaskästen gab, in denen der »Stürmer« ausgestellt war?


HIRTH: Es gab an vielen Orten sogenannte »Stürmer-Kästen«, das ist richtig.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wurden sie von der Partei aufgestellt?


HIRTH: Davon ist mir nicht das geringste bekannt.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie können mir nicht sagen, nicht wahr, ob diese Kästen auf Veranlassung der Kreisleiter oder Ortsgruppenleiter aufgestellt wurden?


[119] HIRTH: Ich für meine Person hatte jeweils den Eindruck, daß die örtliche SA für die Anbringung der »Stürmer-Kästen« gesorgt hat.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Dann gab es auch, nicht wahr, sowohl in Städten – besonders in Erholungsorten – und überall auf dem Lande Tafeln mit der Aufschrift »Juden unerwünscht«, nicht wahr?


HIRTH: Ich habe solche Tafeln in verschiedenen Gegenden Deutschlands gesehen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wissen Sie, ob diese Tafeln auf Anweisung und auf Grund der Befugnisse der Politischen Leiter in diesen Orten angebracht wurden?


HIRTH: Das ist mir unbekannt.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sehr gut.

Euer Lordschaft! Ich habe ein neues Dokument, das diesem Zeugen vor der Kommission vorgelegt worden ist, und ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die erheblichen Teile lenken; es ist Dokument D-901 a, das GB-546 wird.

Euer Lordschaft werden sehen, daß es sich um ein Rundschreiben handelt, ausgestellt im Gau Köln-Aa chen am 31. Januar 1941, das Anweisungen an alle Kreis- und Ortsgruppenorganisationsleiter enthält über die Anlegung und Führung von Haushaltkarteien.

Unter Absatz 1: »Sinn und Zweck der Haushaltkartei« wird bestimmt, daß es ihr Zweck sei, die Grundlage für statistische Erhebungen zu schaffen und zusammen mit Eintragungen auf der Rückseite der Karteikarten die Grundlage für die politische Beurteilung der Haushaltmitglieder zu bilden.

Und dann heißt es einige Zeilen weiter, daß die darin enthaltenen Angaben dem Ortsgruppenleiter ermöglichen müßten, jederzeit über die Haushaltmitglieder eine in jeder Beziehung ausreichende Beurteilung abzugeben.

Dann, Euer Lordschaft, unter Absatz 5:

»Die Blockleiter müssen im Besitz von Listen sein, die den gleichen vorgedruckten Text haben wie die Haushaltkartei und von den Blockleitern mit den notwendigen Eintragungen zu versehen sind (Familienstand, Mitgliedschaft in der Partei, einer Gliederung, einem angeschlossenen Verband usw.).«

Auf der nächsten Seite nennt Nummer 10 die Angaben, welche erlangt werden sollen. Es heißt da in der Mitte des Absatzes:

»So ist zu vermerken, seit wann der ›Völkische Beobachter‹ bezogen wird, ob die Familie bereits vor dem Flaggengesetz von 1935 eine Hakenkreuzfahne besaß und welches Rundfunkgerät in dem Haushalt vorhanden ist... Diese Angaben sind[120] durch Unterhaltung der Blockleiter mit den betreffenden Volksgenossen leicht zu erhalten.«

Der nächste Absatz beschäftigt sich mit der politischen Beurteilung der Haushaltmitglieder. Ich verlese die letzten drei Zeilen:

»Die politische Beurteilung eines jeden Volksgenossen ist von dem Ortsgruppenorganisationsleiter in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Block- und Zellenleiter, sowie im Einvernehmen mit dem Ortsgruppenleiter vorzunehmen.«

Und dann im letzten Absatz, Nummer 14, wird beschrieben, wie diese Angaben erlangt werden können:

»Listen oder Karteikarten den Volksgenossen und Parteigenossen zur Selbstausfüllung zu überlassen, ist grundsätzlich verboten. Die Blockleiter haben durch ihre häufigen Besuche in den einzelnen Haushalten Gelegenheit genug, durch Unterhaltung mit den Volksgenossen die erforderlichen Angaben für die Kartei zu erhalten.«

Der Blockleiter muß sich von der Genauigkeit der ihm gelieferten Daten an Hand der Mitgliedschaftspapiere und ähnlicher Dinge überzeugen. Der Blockleiter ist für die Genauigkeit der an den Ortsgruppenorganisationsleiter weitergeleiteten Angaben verantwortlich.

Euer Lordschaft! Ich habe keine weiteren Dokumente und keine Fragen mehr. Euer Lordschaft! General Raginsky hat drei Dokumente, die er noch vorlegen möchte.

STAATSJUSTIZRAT II. KLASSE M. Y. RAGINSKY, HILFSANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Präsident! Ich werde mit Erlaubnis des Gerichtshofs drei Dokumente vorlegen, die die Rolle der Kreisleiter und der Blockleiter bei der Beteiligung an solchen Verbrechen, wie der Germanisierung von besetzten Gebieten und Ihrer Bevölkerung, charakterisieren.

Das erste Dokument, das ich vorlegen möchte, ist USSR-143. Dieses Dokument wurde im Mai 1945 in den Archiven des Kreisführers der Stadt Pettau in Jugoslawien gefunden. Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf dieses Dokument lenken, das mit folgendem Satz beginnt:

»Mit der Anweisung um sofortige Bekanntgabe bis zum letzten Blockführer an den nächsten Dienstappellen.«

Das Dokument ist von dem Kreisführer unterschrieben. Es lautet:

»1. Bei meinen Inspektionsfahrten durch verschiedene Ortsgruppen habe ich festgestellt, daß noch immer slowenische Aufschriften, und zwar Tafeln von Versicherungen wie ›Slarija‹ usw. an den Häusern angebracht sind. Ich ersuche, die Blockführer nochmals zu beauftragen, für die sofortige Entfernung aller slowenischen Aufschriften, Tafeln, Plakate [121] usw. zu sorgen.... Die Ortsgruppenführer beauftrage ich, in mündlicher Rücksprache mit den zuständigen Pfarrern dafür zu sorgen, daß auch auf allen Bildstöcken, Kapellen und Kirchen die slowenischen Aufschriften umgehend restlos entfernt werden.«

Punkt 3 dieses Dokuments sagt:

»Die Ortsgruppenführer sind mir nach wie vor dafür verantwortlich, daß jeder Amtsträger bis zum letzten Blockführer deutsch sprechen und schreiben lernt.«

Das nächste Dokument, das ich vorlege, ist USSR-449. Es ist ein Auszug aus der Rede des Reichsinnenministers Frick vom 16. Dezember 1941 im Zusammenhang mit der Ernennung des Gauleiters Dr. Friedrich Rainer. Dieses Dokument wurde von der jugoslawischen Armee im Mai 1945 in den Archiven des Kreisleiters in Marburg erbeutet. In der Rede wird folgendes gesagt:

»Lieber Parteigenosse Rainer!

Der Führer hat Sie zum Gauleiter und Reichsstatthalter... ernannt.«

Ich werde nicht den ganzen Auszug verlesen, er ist übersetzt.

VORSITZENDER: General Raginsky! Haben Sie das Original dieses Dokuments?

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident, ich habe Ihre Bemerkung nicht verstanden.


VORSITZENDER: Es ist in Ordnung. Wir haben das Original des Dokuments jetzt hier. Können Sie uns nun erklären, was das Dokument ist, ich meine, wie es beglaubigt und seine Echtheit bewiesen ist?


STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Dieses Dokument ist hinsichtlich seiner Echtheit von der jugoslawischen Regierungskommission für die Untersuchung der von der deutschen Besatzung in Jugoslawien begangenen Verbrechen beglaubigt. Das Original des Dokuments befindet sich im Archiv dieser Kommission. Die Kopie, die ich dem Gerichtshof vorlege, ist von dem Präsidenten dieser Regierungskommission, Dr. Nedelkovitsch, beglaubigt.

»Ihre Aufgabe, Parteigenosse Rainer, ist es nun, dieses Land wieder ganz und gar deutsch zu machen.... Die deutsche Sprache muß im öffentlichen Leben immer mehr in den Vordergrund treten. Sie ist die alleinige Behördensprache und amtliche Umgangssprache.

Die Jugend ist in der Schule sofort deutsch zu erziehen. Der Unterricht ist, sowie irgend möglich, in kürzester Frist ganz in deutsch zu erteilen....

[122] Erst wenn nicht nur das äußere Erscheinungsbild, Amtsschilder, Behördensprache und Auf schriften deutsch sind, sondern wenn erst einmal die gesamte Jugend deutsch spricht und die deutsche Sprache auch im Familienleben an die Stelle des Slowenischen getreten ist, können wir von einer Eindeutschung Oberkrains reden.«

Und schließlich lege ich noch das letzte Dokument, USSR-191, vor. Es enthält Auszüge aus dem Protokoll einer Stabsbesprechung des Gauleiters von Untersteiermark. Das Original dieses Dokuments wurde von Einheiten der jugoslawischen Armee in den Archiven des Gauleiters der Stadt Marburg im Mai 1945 erbeutet.

Herr Präsident! Auf der ersten Seite dieses Auszuges kann man sehen, daß der Gauleiter am 12. November 1941 mit dem SD eine Unterredung hatte. Bei dieser Unterredung waren auch Mitglieder der SS anwesend:

»SS-Standartenführer Lurcker führt an, daß bis ca. 2000 Personen nach Serbien ausgesiedelt wurden, 400 Personen kamen ins Konzentrationslager... Als Vergeltungsmaßnahme der letzten Vorfälle werden ca. 30 Personen wieder erschossen.«

Der letzte Absatz dieser Seite ist ein Auszug aus dem Protokoll einer Besprechung vom 5. Januar 1942. Hier heißt es:

»Am 27. 12. 1941 wurden als Antwort auf einen Überfall 40 Erschießungen vorgenommen...«

und dann in einem Bericht über eine Rede von Dr. Carstanjen, des stellvertretenden Gauleiters von Steiermark, wird gesagt:

»Die Umsiedlung ins Altreich ist beinahe abgeschlossen. Noch ca. 10000 Personen sollen noch umgesiedelt werden.«

Ich möchte die nächsten Seiten nicht verlesen, denn dort steht ungefähr dasselbe wie in den vorherigen Auszügen.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie haben zu den Dokumenten keine Stellung nehmen können. Ich Will kurz einige Fragen dazu stellen. Das erste Schreiben war das Dokument D-901 a, das vorgelegt wurde. Es war ein Rundschreiben des Gaues Köln-Aachen vom Januar 1941. Dort war die Rede von einer Haushaltkartei. Wissen Sie, ob hier in Ihrem Bereich solche Haushaltkarteien geführt worden sind der gleichen Art, wie sie hier beschrieben worden sind?

HIRTH: Ich kenne nur Einwohnerkarteien, die sämtliche Einwohner nach Namen, Familienstand, Geburt, Beruf, Zugehörigkeit zur Partei oder deren Gliederungen, festgehalten haben. Weitere wesentliche Fragen waren in diesen Karteien nicht gestellt und auch nicht beantwortet.


[123] DR. SERVATIUS: Kann man diese Anordnung hier als eine organisatorische Übertreibung ansehen?


HIRTH: Ich habe von dieser Anordnung bis jetzt überhaupt keine Kenntnis gehabt. Wenn sie generell gewesen wäre für alle Ortsgruppen in Deutschland, dann müßte sie auch bei uns bekanntgegeben und durchgeführt worden sein. Soweit im Gau Köln-Aachen eine solche weitgehende Anordnung erging, ist sie bestimmt nur auf den dortigen Gauleiter und Gauorganisationsleiter zurückzuführen und bestimmt für seine Person eine übertriebene Erfassung dieser Gesichtspunkte.


DR. SERVATIUS: Das nächste Schreiben war ein Schreiben des Steierischen Heimatbundes aus Pettau vom 30. April 1942. Das war an alle Ortsgruppenführer gerichtet und kam vom Kreisführer. Es drehte sich dort um die Entfernung der jugoslawischen Schilder. Haben Sie von solchen Dingen im Ausland überhaupt Kenntnis erhalten?


HIRTH: Nein, mir völlig unbekannt.


DR. SERVATIUS: Wissen Sie, daß Pettau bis 1918 eine alte deutsche Stadt war und erst nach 1918 zu Jugoslawien kam und jugoslawisch wurde?


HIRTH: Ich habe den Namen dieser Stadt nicht genau verstanden.


DR. SERVATIUS: Pettau; also können Sie auch keine Antwort geben?


HIRTH: Nein.


DR. SERVATIUS: Dann ist eine Ansprache von Dr. Frickan den Reichsstatthalter Rainer vorgelegt worden. Sie bezieht sich auf die Verhältnisse in dem neuen Grenzgau. Sind Sie über diese Zustände unterrichtet, die sich in dem Grenzgau abspielten?


HIRTH: Nein, ich habe keine Ahnung davon.


DR. SERVATIUS: Das letzte Schreiben waren Aktenvermerke über Stabsbesprechungen des Gauleiters Uiberreither, die sich ebenfalls auf den Grenzgau und das anschließende Jugoslawien bezogen. Können Sie über diese Dinge auch nichts aussagen?


HIRTH: Nicht das geringste.


DR. SERVATIUS: Ich habe dann keine Fragen mehr an diesen Zeugen.


VORSITZENDER: Haben Sie mit der Deportierung von Fremdarbeitern etwas zu tun gehabt?


HIRTH: Nein.


VORSITZENDER: Wer hat damit zu tun gehabt?


HIRTH: Das ist mir unbekannt.


[124] VORSITZENDER: Haben Sie jemanden gekannt, der Sklavenarbeiter beschäftigte?

HIRTH: Ich habe die Frage nicht verstanden.


VORSITZENDER: Es gab doch eine große Zahl von Fremdarbeitern in Deutschland, die in Fabriken verwendet wurden, nicht wahr?


HIRTH: Es gab in Deutschland viele Fremdarbeiter, die in Betrieben, Fabriken beschäftigt waren.


VORSITZENDER: Und auch in Privathaushalten?


HIRTH: Mir ist bekannt, daß auch Ausländerinnen in Privathaushaltungen als Dienstmädchen beschäftigt waren.


VORSITZENDER: Ich fragte Sie, ob Sie etwas mit der Einstellung von Fremdarbeitern in Fabriken, Büros, Handwerksbetrieben oder Privathaushalten zu tun hatten?


HIRTH: Ich hatte in keiner Richtung etwas damit zu tun.


VORSITZENDER: Wissen Sie, welche Ämter mit der Vermittlung solcher Arbeitskräfte zu tun hatten?


HIRTH: Das weiß ich nicht, dafür habe ich mich bestimmt niemals interessiert.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich entfernen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


DR. SERVATIUS: Ich rufe mit Erlaubnis des Gerichts den letzten Zeugen, Hupfauer, für die Fachämter, insbesondere für die Deutsche Arbeitsfront.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Geben Sie Ihren vollen Namen an, bitte.

ZEUGE DR. THEO HUPFAUER: Dr. Theo Hupfauer.


VORSITZENDER: Sprechen Sie mir diesen Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Wann sind Sie geboren?


HUPFAUER: Am 17. Juli 1906.


DR. SERVATIUS: Sie waren acht Jahre, von 1936 bis 1944. Politischer Leiter in der obersten Stelle der DAF, der Deutschen Arbeitsfront, nämlich im Zentralbüro bei Dr. Ley und anschließend [125] bis 1945 Verbindungsmann der DAF zum Rüstungsministerium Speer. Ist das richtig?


HUPFAUER: Ich war...


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie müssen mit der Antwort warten, bis die Dolmetscher übersetzt haben.


HUPFAUER: Ich war bis 1944 Amtsleiter im Zentralbüro der Deutschen Arbeitsfront.


DR. SERVATIUS: Und als solcher Politischer Leiter?


HUPFAUER: Und als solcher Politischer Leiter. Nach meiner Ernennung war ich seit 1942 Verbindungsmann der Deutschen Arbeitsfront zum Rüstungsministerium und war ab Ende 1944 Chef des Zentralamtes im Rüstungsministerium.


DR. SERVATIUS: War die Deutsche Arbeitsfront ein an die Partei angeschlossener Verband, während die politische Führung durch die Partei selbst erfolgte?


HUPFAUER: Die Deutsche Arbeitsfront war eine Organisation mit organisatorischer, finanzieller und personeller Selbständigkeit. Sie war der Partei angeschlossen. Die politischen Führungsaufgaben waren aber Sache der Partei selbst.


DR. SERVATIUS: Hatten die Führer der DAF, die Politische Leiter waren, politische Aufgaben, und waren sie darum Politische Leiter?


HUPFAUER: Die Führer der DAF hatten rein sozialpolitische Aufgaben, und es waren die Führer der DAF Politische Leiter, die dazu ernannt waren.


DR. SERVATIUS: Die Deutsche Arbeitsfront war in den Gauen, Kreisen und Ortsgruppen vertreten durch sogenannte Obmänner. Waren diese Obmänner bei den Parteistäben Politische Leiter?


HUPFAUER: Auch diese gebietlichen Obmänner waren nur dann Politische Leiter, wenn sie dazu ernannt waren.


DR. SERVATIUS: Gab es in der DAF auch Politische Leiter, die nicht in den Parteistäben tätig waren?


HUPFAUER: In den Parteistäben waren an sich nur die gebietlichen Obmänner tätig, alle anderen Funktionäre der Deutschen Arbeitsfront, die Politische Leiter waren, hatten kein Amt in der Partei.


DR. SERVATIUS: War die Zahl derjenigen, die kein Amt hatten und doch Politische Leiter waren, in der Arbeitsfront sehr groß?

HUPFAUER: Der größere Teil der Funktionäre, die Politische Leiter waren, hatten kein Amt in der Partei.


DR. SERVATIUS: Können Sie etwa schätzen, wie viele Menschen es waren?


[126] HUPFAUER: Ich kann eine Zahl dafür nicht angeben, auch keinen Prozentsatz, aber in den von mir betreuten Dienststellen war es der überwiegend größere Teil.


DR. SERVATIUS: Was war die Tätigkeit und Aufgabe der Politischen Leiter, die also nicht in den Stäben saßen?


HUPFAUER: Die Politischen Leiter, die nicht in den Parteistäben waren, hatten die gleichen Aufgaben wie die, die in den Parteistäben waren, also sozialpolitische und fachliche Aufgaben.


DR. SERVATIUS: Alle Personen, die ein Amt in der DAF hatten, die Funktionäre, hießen Amtswalter. Ist das richtig?


HUPFAUER: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Waren alle diese Amtswalter gleichzeitig zu Politischen Leitern ernannt?


HUPFAUER: Nein, es war nur ein Teil der Amtswalter ernannt. So kann es zum Beispiel vorkommen und war auch vorgekommen, daß von zwei Funktionären der an sich gleich wichtigen Dienststelle der eine Politischer Leiter war und der andere nicht Politischer Leiter war. Es ist auch vorgekommen, daß der Vorgesetzte keinen Politischen-Leiter-Rang hatte, der Untergebene, der Mitarbeiter, aber Politischer Leiter war.


DR. SERVATIUS: Was war der Zweck der Ernennung zum Politischen Leiter? Solche Amtswalter bekamen spezielle politische Aufgaben und Rechte?


HUPFAUER: Mit der Ernennung zum Politischen Leiter waren besondere Aufgaben und besondere Rechte nicht verbunden.


DR. SERVATIUS: Was hatte es dann für einen Sinn, sie dazu zu ernennen?


HUPFAUER: Das diente im wesentlichen repräsentativen Zwecken, mag praktisch mit der Autorität der Partei, im Ausland, in der Wirtschaft und im Staat aufzutreten, zusammenhängen, hing aber nicht zusammen mit der Dienststellung als solcher.


DR. SERVATIUS: Was war die Tätigkeit der Politischen Leiter als Obmänner bei den Parteistäben?


HUPFAUER: Die Obmänner, die Politische Leiter bei den Parteistäben waren, hatten bezüglich ihres Fachgebietes den Hoheitsträger zu beraten.


DR. SERVATIUS: In welchem zahlenmäßigen Verhältnis standen die Politischen Leiter der DAF zu der Gesamtzahl aller Politischen Leiter? Machten sie einen erheblichen Teil aus?


HUPFAUER: Die DAF war eine Mitgliederorganisation, welche rund 20 Millionen Menschen umfaßte. Ihre Organisationen reichten daher bis in die Ortsgruppen und bis in den Betrieb. Sie hatten [127] daher auch eine Großzahl von Funktionären, und daher war auch ein großer Teil dieser Funktionäre Politische Leiter. Daraus ergibt sich die Tatsache, daß sicherlich der größere Teil der Politischen Leiter insgesamt den Fachgebieten der DAF angehörte.


DR. SERVATIUS: Die DAF war ein sogenannter angeschlossener Verband. Sind Sie in der Lage, über die Stellung der Politischen Leiter in sonstigen Berufs-und Fachverbänden auszusagen?


HUPFAUER: Als Amtsleiter der DAF stand ich selbstverständlich in Verbindung mit den Funktionären anderer Verbände. Ich kann daher nicht im einzelnen, aber im grundsätzlichen Auskunft geben über diese Verbände.


DR. SERVATIUS: War die Stellung der Politischen Leiter in diesen Berufs- und Fachverbänden und in den betreuenden Verbänden in gleicher Weise geregelt wie bei der DAF?


HUPFAUER: Sie war im wesentlichen in gleicher Weise geregelt, das heißt die gebietlichen Leiter dieser Verbände waren ebenfalls verankert in der Partei. Sie hatten auch keinerlei politische Führungsaufgaben, sondern hatten als Leiter von Organisationen die Interessen ihrer Mitglieder wahrzunehmen.


DR. SERVATIUS: Gab es innerhalb dieses Fachverbandes auch wieder Politische Leiter, die nicht in den Parteistäben tätig waren, zum Beispiel bei der NSV?


HUPFAUER: Es gab auch dort Politische Leiter, die nicht im Parteistab tätig waren.


DR. SERVATIUS: Können Sie die wichtigsten dieser Fachverbände, Berufsverbände angeben und die entsprechenden Ämter in den Gau-, Kreis- und Ortsgruppenleitungen?


HUPFAUER: Mir sind folgende Verbände und ihre korrespondierenden Ämter erinnerlich:

Die NSV mit dem Amt für Volkswohlfahrt, der Lehrerbund mit dem Amt für Erziehung, der Beamtenbund mit dem Amt für Beamte, der Bund Deutscher Techniker mit dem Amt für Technik, der Rechtswahrerbund mit dem Rechtsamt.


DR. SERVATIUS: Diese Ämter, die Sie jedesmal hinzugefügt haben, sind in den Parteistellen eingerichtet, in den Parteistäben?


HUPFAUER: Diese Ämter waren in den Parteistäben eingerichtet und wurden in der Regel geleitet von dem gebietlichen Führer der Organisation des angeschlossenen Verbandes.


DR. SERVATIUS: Welches waren die Aufgaben dieser Politischen Leiter?


HUPFAUER: Die Aufgaben dieser Politischen Leiter waren auch Fachaufgaben und keine politischen Führungsaufgaben. Sie hatten den Auftrag, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten.


[128] DR. SERVATIUS: Wie war das zahlenmäßige Verhältnis dieser Politischen Leiter der Fachgruppe, also derjenigen, die in den Parteistäben saßen als Leiter dieser Ämter, einschließlich derjenigen, die in den Verbänden waren? War das ebenfalls eine große Zahl?


HUPFAUER: Die Zahl richtete sich im wesentlichen nach der Größe der Organisation.


DR. SERVATIUS: Welches war wohl die größte von den genannten?


HUPFAUER: Von den meinerseits genannten Organisationen war außer der DAF die größte die NSV.


DR. SERVATIUS: Hat die DAF im Jahre 1933 die Gewerkschaften zerschlagen?


HUPFAUER: Am 2. Mai 1933 hat die DAF überhaupt nicht existiert. Es waren Funktionäre der Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation, genannt NSBO, welche die Gewerkschaften damals nicht zerschlagen haben, sondern die Leitung der Gewerkschaften und die Fortführung ihrer Arbeit übernommen haben.


DR. SERVATIUS: Was war der Zweck dieser Maßnahme, möglicherweise den Widerstand der Arbeiter gegen die Partei zu brechen und damit innere Widerstände gegen die Politik eines Angriffskrieges zu beseitigen?


HUPFAUER: Im Mai 1933 waren für den deutschen Arbeiter bereits die ersten fühlbaren Erfolge in der Beseitigung der Millionenarbeitslosigkeit spürbar. Die Situation war die, daß die deutschen Arbeiter wieder sicher waren, wieder Arbeit und Brot zu bekommen. Es kann daher von einem Widerstand dieser Arbeiter gegen die Partei überhaupt nicht die Rede sein. Die Gründung der DAF diente folgenden Zwecken: Einmal war es notwendig, um den wirtschaftlichen Wiederaufbau störungslos vorantreiben zu können und den Arbeitsmarkt wieder zu ordnen, jede Störung durch die sozial-wirtschaftlich schädlichen Arbeitskämpfe, wie Streiks und Aussperrungen, zu vermeiden. Es war daher notwendig, den gerechten Ausgleich innerhalb der Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu finden. Dies machte man am sichersten in einer Gemeinschaftsorganisation von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.


DR. SERVATIUS: Dann wurden also die Organisationen der Arbeitgeber damals ebenfalls aufgelöst?


HUPFAUER: Die Arbeitgeberorganisationen wurden ebenfalls aufgelöst, und zwar mit dem Zweck, durch die Bildung einer Gemeinschaftsorganisation den Klassenkampf zu beseitigen, um damit die unbedingte Voraussetzung zu schaffen für den Aufbau einer wirklich sozialistischen Ordnung.


[129] DR. SERVATIUS: Ist die Übernahme der Gewerkschaften aber nicht mit Gewalt erfolgt unter Einsatz von SA, SS und Polizei, und wurden nicht die Gewerkschaftsführer verhaftet?


HUPFAUER: Am 2. Mai wurden im wesentlichen die Gewerkschaftshäuser durch die Polizei beziehungsweise mit Hilfspolizei, an der SA- und SS-Männer und auch Stahlhelmer beteiligt waren, besetzt. Es wurden auch kurzfristig die Gewerkschaftsführer in Haft genommen. Diese Maßnahme diente dem Zweck, In diesem Augenblick einen Mißbrauch des noch vorhandenen Gewerkschaftsvermögens zu verhindern, um die Arbeit in diesen Organisationen weiterführen zu können.


DR. SERVATIUS: Hat die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation dann die übernommenen Vermögen für sich in Anspruch genommen, und was hat sie damit gemacht?


HUPFAUER: Dieses Gewerkschaftsvermögen wurde nicht für Zwecke der NSBO in Anspruch genommen, denn diese Organisation finanzierte sich aus den Beiträgen ihrer Mitglieder. Das Vermögen der Gewerkschaften wurde dazu benutzt, um die Betreuungsarbeit weiterzuführen, und es wurde weiterhin dazu benutzt, um die alterworbenen Rechtsansprüche der Gewerkschaftsmitglieder zu wahren, das heißt, die Invaliden-, Kranken- und Sterbeunterstützung und dergleichen an diese Gewerkschaftsmitglieder weiterzuzahlen.


DR. SERVATIUS: Waren damals größere Vermögen vorhanden bei den Gewerkschaften?


HUPFAUER: 1933 war das Ende der Wirtschaftskrise, die 1930 begonnen hatte. Diese Wirtschaftskrise hatte selbstverständlich ihren negativen Einfluß auch auf die Gewerkschaften. Es steht fest, daß auf Grund der Millionenarbeitslosigkeit der Gewerkschafts-Mitgliedernachwuchs ein immer geringerer wurde, daß alte Mitglieder dieser Gewerkschaften in stärkerer Zahl arbeitslos wurden, daß sie zu einem großen Prozentsatz ihre Beiträge nicht mehr bezahlen konnten und ebenfalls zu einem größeren Prozentsatz die Unterstützungskassen dieser Gewerkschaften in Anspruch nehmen mußten, was zu einer Leerung dieser Kassen führte.


DR. SERVATIUS: Hat nicht Dr. Ley selbst zugegeben, daß er das Geld der Gewerkschaften rechtswidrig verwandt habe und mit einem Bein im Gefängnis stehe, wenn der Führer die Fortnahme des Vermögens nicht gesetzlich sanktionierte?


HUPFAUER: Diese Erklärung hat Dr. Ley, wenn ich mich recht erinnere, anläßlich eines Parteitages in Nürnberg im Rahmen eines Leistungsberichtes über die Deutsche Arbeitsfront abgegeben. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, daß es ihm daran gelegen war, diese Beschlagnahme des Vermögens, die im Zuge einer politischen Aktion erfolgte, nunmehr gesetzlich zu sanktionieren. In der [130] gleichen Rede spricht er von den bereits gezeigten Leistungen der DAF und weist darin nach, daß dieses Vermögen im Interesse des deutschen Arbeiters verwandt wurde.


DR. SERVATIUS: War der Zweck der Schaffung der DAF nicht der, ein Instrument zu bekommen zum Kampf gegen den Friedenswillen der Arbeiter?


HUPFAUER: Die DAF...


VORSITZENDER: Dr. Servatius! Ist das nicht alles in der Zusammenfassung enthalten?


DR. SERVATIUS: Ich habe die Zusammenfassung nicht gesehen, ich kenne sie nicht.


VORSITZENDER: Nun, die Zusammenfassung ist sechs oder sieben Seiten lang.


DR. SERVATIUS: Ich habe sie nicht gesehen.


VORSITZENDER: Nein, aber war das nicht alles in der Aussage enthalten, die der Zeuge vor der Kommission abgegeben hat?


DR. SERVATIUS: Es läßt sich ja nicht vermeiden, daß bestimmte Dinge hier nochmals vorgebracht werden. Ich habe mich bemüht, sie zusammenzufassen, um einen Gesamteindruck zu bekommen. Ich bin mit der Frage der Gewerkschaften zu Ende. Ich komme dann zu dem Thema: Betreuung der Fremdarbeiter.

Herr Zeuge! Hatten die Arbeiter nicht gerade Nachteile durch die DAF, und protestierten sie gegen die Umwandlung?


HUPFAUER: Ich habe in einer der vorhergehenden Fragen bereits erklärt, daß die DAF im Interesse ihrer Mitglieder, der deutschen Arbeiterschaft insgesamt gearbeitet hat.


DR. SERVATIUS: Das genügt. Erhielt die DAF Anweisungen zur Vorbereitung eines Angriffskrieges?


HUPFAUER: Ich habe die Frage nicht gehört.


DR. SERVATIUS: Sind Ihnen Anweisungen an die DAF bekannt, die auf einen Angriffskrieg Bezug haben?


HUPFAUER: Ich kenne weder eine schriftliche noch eine mündliche Verlautbarung, die die DAF in irgendeiner Beziehung zu einem Angriffskrieg gebracht hätte.


DR. SERVATIUS: War die DAF im Kriege mit der Betreuung der ausländischen Arbeiter beauftragt?


HUPFAUER: Die DAF hat, soviel mir erinnerlich, bereits im Jahre 1938 freiwillig die Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte übernommen.


[131] DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Uns interessieren hier die ausländischen Arbeiter, die im Kriege nach Deutschland kamen, insbesondere die, die zwangsverpflichtet waren.


HUPFAUER: Die DAF hat im Kriege die Betreuung aller ausländischen Arbeitskräfte übernommen.


DR. SERVATIUS: Worin bestand die Aufgabe der DAF?


HUPFAUER: Die Aufgabe bestand einmal darin, daß die DAF den Betriebsführer, der laut Gesetz seinen Arbeitern gegenüber fürsorgepflichtig war, in dieser Arbeit unterstützte. Sie hat weiterhin durch eigene überbetriebliche Maßnahmen dem Betriebsführer seinen Betreuungsauftrag zu erleichtern versucht.


DR. SERVATIUS: Ist die Arbeitsfront dieser Betreuungspflicht auch nachgekommen?


HUPFAUER: Die Verhältnisse waren im Kriege besonders schwierig, insbesondere in den Gebieten, die Angriffsziele von feindlichen Bomberverbänden waren.

Ich kann aber erklären, daß die DAF das überhaupt Menschenmögliche in dieser Betreuung getan hat.


DR. SERVATIUS: Sie waren im Jahre 1943/1944 während der schweren Luftangriffe auf das Ruhrgebiet dort von der DAF besonders eingesetzt, um die schwierige Betreuung durchzuführen. Ist das richtig?


HUPFAUER: Ich habe etwa im Juli 1943 den Auftrag bekommen, im Ruhrgebiet selbst tätig zu werden, um trotz der Bombenangriffe die Leistungen der Industriearbeiterschaft zu erhalten und um zu diesem Zweck die örtlichen zuständigen Stellen zu unterstützen.


DR. SERVATIUS: Sind Ihnen aus dieser Zeit die Verhältnisse bei der Firma Krupp bekannt?


HUPFAUER: Ich kenne nicht die Einzelheiten der Betriebsverhältnisse bei der Firma Krupp, kann aber über wesentliche Dinge Auskunft geben, da ich selbst in dieser Zeit zwei- bis dreimal die Krupp-Betriebe, allerdings nicht in ihrer Gesamtheit, aber zum Teil, besucht habe.


DR. SERVATIUS: Was wurde dort unternommen auf dem Gebiet der Betreuung, im großen gesehen?


HUPFAUER: Im wesentlichen kam es immer darauf an, für zwei Dinge zu sorgen, nämlich für die Ernährung der Gefolgschaft und für die Wohnraumbeschaffung. Da die Firma Krupp selbst, genau so wie die Stadt Essen, wiederholt nachhaltig angegriffen wurde durch Bomberverbände, arbeitete gerade dieser Betrieb unter außerordentlich schwierigen Verhältnissen, und es ist oft nötig geworden durch überbetriebliche Institutionen, also durch die DAF, durch das Landeswirtschaftsamt und ähnliche, dem Betrieb zu helfen.


[132] DR. SERVATIUS: Ihnen ist in der Kommission ein Bericht des Dr. Jäger vorgelegt worden, ein Dokument D-288. Dort sind Mißstände bezüglich der Behandlung der Arbeiter angegeben.

Entspricht dieser Bericht den Tatsachen, so wie Sie sie gefunden haben?


HUPFAUER: Ich kann persönlich natürlich nicht untersuchen, inwieweit dieser Bericht des Herrn Dr. Jäger den Tatsachen entspricht. Auf Grund eigener Erfahrungen habe ich jedoch den Eindruck, daß in manchen Punkten die Dinge etwas übertrieben dargestellt wurden von selten des Herrn Dr. Jäger, sicherlich in der guten Absicht, bei den Dienststellen zu wirken, die ihm helfen sollten. Ich erinnere mich, daß Herr Dr. Jäger auch dabei einmal davon spricht, daß die ausländischen Arbeiter nur einen Kaloriensatz von 1000 gehabt hätten. Dazu mochte ich eines sagen, daß es in Deutschland auch während des Krieges auch für Normalverbraucher einen Satz von nur 1000 Kalorien im Tag nicht gegeben hat.


DR. SERVATIUS: Kann man die Zustände, die Dr. Jäger von einigen Lagern schildert, auf die gesamten Lager der Firma Krupp übertragen?


HUPFAUER: Jäger schildert, soviel ich mich erinnere, von zwei Lagern die Verhältnisse und schildert dort auch nur Einzelvorkommnisse. Die Verhältnisse waren bei der Firma Krupp schwierig. Trotzdem kann man diese Fälle nicht auf alle Lager übertragen. Wenn Herr Dr. Jäger darauf hinweist, daß es insbesondere in eine Baracke wochenlang hineingeregnet hat, dann kann ich nur feststellen, daß es in der Stadt Essen in Tausende von Wohnungen wochenlang hineingeregnet hat, und es waren dort die Menschen glücklich, die überhaupt ein Obdach hatten, auch dann, wenn der Regen sie etwas belästigte.


DR. SERVATIUS: In der Kommission sind Ihnen auch andere Dokumente vorgehalten worden, die sich auf die Behandlung der Arbeiter bei Krupp beziehen. Geben diese ein annäherndes, Bild über die Verhältnisse im ganzen Reich?


HUPFAUER: Dazu ist folgendes zu sagen: Wir hatten im Reich Zehntausende von mittleren und großen Betrieben, und man darf die gerade in Essen vorgefundenen Verhältnisse unter keinen Umständen verallgemeinern und als Norm nehmen für die Behandlung der ausländischen Arbeitskräfte in Deutschland.


DR. SERVATIUS: Wurden Sicherungsmaßnahmen getroffen, daß keine ungeeigneten Elemente von der DAF betraut wurden mit diesen Betreuungsaufgaben?


HUPFAUER: Die DAF hatte in der Reichs-, Gau-und Kreisebene eine Dienststelle, das war das Amt Arbeitseinsatz, welches [133] sich ausschließlich mit diesen Ausländerfragen befaßte. Alle Anordnungen, die an die Dienststellen und an die Betriebe von diesem Amt ergangen sind, behandelten immer wieder in irgendeiner Form die Notwendigkeit einer korrekten und gerechten Behandlung, und zwar aus Gründen der Humanität sowohl wie auch aus Gründen der Leistungen der ausländischen Arbeitskräfte. Um zu verhindern, daß Männer, die in irgendeiner Weise ihre Kompetenzen mißbraucht hatten, mit den ausländischen Arbeitskräften nochmal in Berührung kamen, hat dieses Amt Arbeitseinsatz eine sogenannte Lagerführerwarnkartei herausgegeben an die Kreise und Gaue. In dieser waren alle die Männer, die ihre Kompetenz mißbraucht hatten, namentlich aufgeführt mit Angabe der Strafe, die sie dafür bekommen hatten und mit dem Hinweis, daß sie im Lagerführerdienst nicht mehr Verwendung finden dürften. Es sind sogar Anordnungen ergangen, die eine korrekte Behandlung befehlen, wie zum Beispiel das Verbot der Prügelstrafe.


DR. SERVATIUS: Ergibt sich daraus nicht gerade, daß solche Anordnungen nötig waren, um diese Mißstände nicht zu verallgemeinern?


HUPFAUER: Es gibt in jeder Organisation auch asoziale Elemente, und ich bestreite nicht, daß da und dort auch ein Funktionär der Deutschen Arbeitsfront seine Zuständigkeit mißbraucht hat. Diese Tatsache war einmal Veranlassung für eine solche Anordnung. Zum anderen ist diese Anordnung anzusehen als eine Sammlung all der vielen Verlautbarungen, die bis dahin schon ergangen waren. Man kann dazu noch folgendes sagen. In jedem Kulturstaat gibt es Gesetze, die Mord und Diebstahl und dergleichen verbieten und mit Strafe bedrohen.


VORSITZENDER: Ist es notwendig, auf alle diese Einzelheiten einzugehen?


DR. SERVATIUS: Nur weil diese Frage dem Zeugen vor der Kommission immer wieder vorgelegt worden ist, wollte ich sie hier dem Gericht auch einmal vorführen. Ich sehe das große Interesse nicht, das die Anklagebehörde an dieser Frage hat; aber sie hat sich ständig wiederholt.

Ich gehe jetzt zu einer weiteren Frage über.

Was geschah zur Überwachung der Durchführung der Anordnungen der Betreuung und der sozialen Fürsorge?


HUPFAUER: Neben dem an sich zuständigen Amt Arbeitseinsatz, das ich schon genannt habe, hat Dr. Ley innerhalb der Deutschen Arbeitsfront noch eine sogenannte Lagerinspektion eingerichtet, welche unter der Leitung eines DAF-Funktionärs stand und den Auftrag hatte, außerhalb der Zuständigkeit des Amtes Arbeitseinsatz die Ausländerlager zu inspizieren und auch [134] seinerseits für Ordnung zu sorgen, wenn irgendwo Unordnung war. An sich diente diese Einrichtung auch dem taktischen Zweck, zu verhindern, daß sich andere Organe außer der DAF noch mit dieser Frage im Betrieb befassen.


DR. SERVATIUS: Haben Sie selbst jemals Feststellungen treffen können über menschenunwürdige Behandlungen der Arbeiter, oder sind Ihnen solche gemeldet worden? Sie sind ja nun weit herumgekommen in den Betrieben, was war Ihr Gesamteindruck?


HUPFAUER: Direkt sind mir diese Dinge nicht gemeldet worden, da ich auch nicht der zuständige Amtsleiter für diese Dinge war. Ich bin aber als Beauftragter für den Leistungskampf der deutschen Betriebe in Hunderten von Betrieben und auch Lagern gewesen und muß feststellen, daß, von Einzelfällen abgesehen, die Dinge dort in Ordnung waren.


DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Ich habe dann keine Fragen mehr an diesen Zeugen und habe damit meine sämtlichen Zeugen vernommen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird jetzt eine Pause einschalten.


[Pause von 10 Minuten.]


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Zeuge! Ich mochte Ihnen eine Frage über die fachlichen Funktionäre der Gau-, Kreis- und Ortsgruppenleiter stellen. Unterstanden sie alle disziplinarisch ihren betreffenden Hoheitsträgern?

HUPFAUER: Jawohl. Jeder DAF-Funktionär unterstand auch disziplinär seinem unmittelbaren Vorgesetzten. Ich unterstand persönlich als Amtsleiter der DAF dem Leiter der Deutschen Arbeitsfront. Nur er konnte mich in eine Amtsstellung berufen oder aus einer Amtsstellung entheben.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Die fachlichen Funktionäre im Gaustab, wie zum Beispiel die DAF-Vertreter, erhielten ihre fachlichen Anordnungen von dem DAF-Vorgesetzten, ist das richtig?


HUPFAUER: Ich persönlich und auch die anderen Funktionäre haben ihre Amtsanweisungen vom Vorgesetzten, ich also vom Leiter der DAF, erhalten.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich bin überzeugt, daß Sie meine Frage mit Ja oder Nein beantworten können. Was ich klarstellen will, ist folgendes: Obwohl Sie Ihre fachlichen oder beruflichen Anweisungen von Ihrem DAF-Vorgesetzten erhielten, unterstanden Sie doch dem Hoheitsträger, zu dessen Stab Sie [135] gehörten, in allen Disziplinarangelegenheiten und allen Dingen, die mit der Partei zusammen hingen, nicht wahr?


HUPFAUER: Wenn jemand Politischer Leiter war, unterstand er selbstverständlich der Parteidisziplin; aber er hatte nur mit den Dingen zu tun, die zu seinem Fachbereich und seinem Amtsbereich gehörten.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nun eine Frage über die Politischen Leiter der DAF: Wurde ein Politischer Leiter in der DAF als Politischer Leiter genau so wie jeder andere Politische Leiter vereidigt?


HUPFAUER: Der Politische Leiter der DAF hat den Eid auf den Führer geschworen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Erhielt er auch einen besonderen Ausweis oder eine Identitätskarte, wie sie für alle Politischen Leiter ausgestellt wurde?


HUPFAUER: Jawohl er hatte einen Ausweis, auf dem sein Rang verzeichnet war.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Euer Lordschaft! Dieser Zeuge wurde vor der Kommission schon im Kreuzverhör vernommen, und ich mochte nur die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf ein neues Dokument lenken, das ihm noch nicht vorgelegt worden ist, und auf zwei andere Dokumente, die besonders die DAF betreffen. Das erste Dokument ist ein neues Dokument, D-338, das dem Gerichtshof sogleich überreicht werden wird. Euer Lordschaft, es ist ein Bericht über die Zustände im Krankenrevier in einem der Krupp-Lager. Ich lege es vor, weil es an den K.V.D. Essen und den Gauamtsleiter Dr. Heinz, Mülheim-Ruhr, adressiert ist.

Vielleicht darf ich dem Zeugen darüber eine Frage stellen?

Zeuge, ist der K.V.D. die Vereinigung der Ärzte?


HUPFAUER: Das ist eine ärztliche Vereinigung Deutschlands, das heißt eine Unterstützungskasse. Die Organisation für die Ärzte war der Ärztebund.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Es war eine Vereinigung von Ärzten; der Gauamtsleiter war Dr. Heinz. Würden Sie aus diesem Dokument schließen, daß er der fachliche nichtpolitische Leiter im Stab des Gauleiters war, der die medizinischen Angelegenheiten unter sich hatte?


HUPFAUER: Es steht das Amt, das er bekleidete, zwar nicht hier; aber ich nehme an, daß es sich um den Gauamtsleiter für Volksgesundheit handelte.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Euer Lordschaft! Das nächste Dokument wird der Gerichtshof finden...


[136] VORSITZENDER: Welche Nummer hat es?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich bitte um Entschuldigung. Es ist GB-547. Das nächste Dokument befindet sich auf Seite 19 im Dokumentenbuch des Gerichtshofs. Es ist ein Dokument, das schon vorgelegt worden ist, Euer Lordschaft. Ich bin aber nicht sicher, ob es vor dem Gerichtshof schon verlesen wurde oder nicht. Ich möchte besonders auf den vorletzten Absatz der ersten Seite verweisen, der im Zusammenhang mit der DAF von erheblicher Bedeutung ist. Es ist der Bericht eines der Krupp-Büros oder eines ihrer Betriebsführer. Es ist ein original-deutsches Dokument, das auf eine Unterredung Bezug nimmt, die dieser Herr mit drei Mitgliedern der DAF hatte. Es handelte sich darum, daß er versuchte, für die hungernden russischen Kriegsgefangenen und Arbeiter Lebensmittel zu erhalten.

Euer Lordschaft! Ich bitte den Gerichtshof, mich zu unterbrechen, wenn das Dokument bereits bekannt ist. Aber vielleicht darf ich einen Absatz zur Verlesung bringen, der diese Unterredung beschreibt.


VORSITZENDER: Das Dokument ist schon verlesen worden.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Euer Lordschaft! Ich möchte nur die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Bemerkungen lenken, die der DAF-Vertreter machte. Euer Lordschaft, das andere Dokument, auf das ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs lenken möchte, befindet sich auf Seite 9 und 10; es ist Dokument D-226, US-697.

Vielleicht darf ich dem Zeugen eine Frage darüber stellen.

Zeuge! Wollen Sie sich dieses Dokument und das Begleitschreiben vom 10. November 1944 ansehen? Ist dieser Brief von Ihnen selbst unterzeichnet?


HUPFAUER: Ja.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie werden sehen, daß es ein Begleitschreiben zu einer Anordnung über den Einsatz von Fremdarbeitern ist. Darin heißt es:

»Besonders wichtig und entscheidend aber ist auch die Sicherstellung nicht nur der bisherigen guten Leistungen, sondern die Freimachung weiterer Leistungsreserven, die ohne jeden Zweifel bei Millionen ausländischer Arbeiter noch herausgeholt werden können.«

Dann geht es weiter in Absatz 2:

»Alle in Betrieben tätigen Männer und Frauen der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände werden nach Weisung der Kreisleiter durch die Ortsgruppenleiter ermahnt und verpflichtet...«

[137] Euer Lordschaft! Das Dokument sagt weiterhin, daß eine enge Zusammenarbeit zwischen Partei, Staat und Industrie mit den Abteilungen der Geheimen Polizei für diesen Zweck unbedingt notwendig ist.

Ich lese jetzt die letzten drei Zeilen von Absatz 2 b:

»Mehr denn je muß gerade von den Parteigenossen und Parteigenossinnen sowie Angehörigen der Gliederungen und angeschlossenen Verbände erwartet werden, daß sie selbst eine vorbildliche Haltung an den Tag legen.«

Am Ende der Seite werden Sie finden:

»Die näheren Weisungen erläßt der Gauobmann der DAF im Einvernehmen mit dem Gaupropagandaleiter und dem Gauamtsleiter für Volkstumsfragen.«

Im nächsten Absatz werden Sie weitere Beweise für die Zusammenarbeit zwischen den Politischen Leitern, besonders den Kreisleitern und der Gestapo, finden.

Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

VORSITZENDER: Wenn keine weiteren Fragen gestellt werden, kann sich der Zeuge entfernen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


Dr. Servatius! Möchten Sie solche Erklärungen abgeben, wie Sie sie zu Ihren Dokumenten notwendig halten?

DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Ich habe die Dokumente jetzt nicht hier, und sie sind auch noch nicht übersetzt, so daß sie dem Gericht nicht vorliegen. Ich würde vorschlagen, daß zunächst alle Zeugen vernommen werden, und dann werden die Dokumente so weit sein, und ich bringe sie dann vor.

VORSITZENDER: Wir haben das Dokumentenbuch.


DR. SERVATIUS: Es ist ja nicht nur das Dokumentenbuch, sondern es sind die Affidavits, die nicht vorliegen, die ich auch noch nicht habe. Ich würde es jetzt auch nicht machen können, da ich sie nicht zusammengestellt habe, sondern ich nahm zunächst an, ich sollte es zum Schlußvortrag machen. So hatte ich den Beschluß verstanden. Ich könnte es morgen früh tun.


VORSITZENDER: Gut, Dr. Servatius. Wollen Sie jetzt über einige dieser Dokumente in den zwei Dokumentenbüchern sprechen und die Affidavits auf später lassen?


DR. SERVATIUS: Ich habe sie nicht hier und bin auch nicht vorbereitet. Es würde viel Zeit nehmen und ungeordnet sein. Ich würde es vorziehen, sie ein anderes Mal vorzulegen. Ich würde es vorziehen, wenn ich etwas Zeit bekäme.


[138] VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird dann zu der Beweisaufnahme für die nächste Organisation übergehen.


DR. SERVATIUS: Wann soll ich die Sache denn vortragen? Nach der Vernehmung der Zeugen der nächsten Organisation oder nach der Vernehmung aller Zeugen aller Organisationen?


VORSITZENDER: Nach der nächsten Organisation, denke ich.


DR. SERVATIUS: Sehr wohl.


VORSITZENDER: Welches ist die nächste Organisation, mit der wir uns zu beschäftigen haben?


DR. RUDOLF MERKEL, VERTEIDIGER FÜR DIE GESTAPO: Herr Präsident, meine Herren Richter! Ich bitte, zunächst den Urkundenbeweis führen zu dürfen. Als erstes lege ich meine beiden Dokumentenbücher vor, und zwar das Dokumentenbuch 1 mit den Nummern 1 bis 31 und das Dokumentenbuch 2 mit den Nummern 32 bis 62.

Soll ich zu den einzelnen Dokumenten jetzt Stellung nehmen, oder soll ich es erst nach Abschluß der Zeugeneinvernahmen tun?


VORSITZENDER: Wie es Ihnen besser paßt.


DR. MERKEL: Ich würde vorziehen, es nach Abschluß der Zeugenvernehmung zu tun.


VORSITZENDER: Sehr gut.


DR. MERKEL: Als nächstes übergebe ich eine Liste von 13 Zeugen, die von der Kommission vernommen worden sind, ferner eine deutsche Abschrift dieser 13 Protokolle, und ich bitte, diese zunächst als Beweismittel anzunehmen. Die Argumentation selbst werde ich dann im Anschluß an die Zeugenvernehmung vornehmen. Schließlich übergebe ich noch eine Liste mit den Namen und einer Zusammenfassung der in der Kommission übergebenen eidesstattlichen Versicherungen Nummer 1 bis 85, die ich ebenfalls als Beweismittel anbiete. Die drei Protokolle der Kommissionssitzungen, in denen über diese eidesstattlichen Versicherungen diskutiert wurde, reiche ich nach, sobald ich sie im Besitz habe. Ferner habe ich noch etwa 1500 eidesstattliche Versicherungen vorzulegen, die ich als Sammelaffidavit überreichen möchte. Da die Zusammenfassung noch nicht ganz abgeschlossen ist, bitte ich, auch das im Anschluß an die Zeugenvernehmung vornehmen zu dürfen.

Mit Erlaubnis des Hohen Gerichts rufe ich den Zeugen Dr. Best.


VORSITZENDER: Man soll den Zeugen hereinführen.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Geben Sie Ihren vollen Namen an.

[139] ZEUGE DR. WERNER BEST: Dr. Karl Rudolf Werner Best.


VORSITZENDER: Wollen Sie diesen Eid wiederholen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen, Zeuge.

DR. MERKEL: Herr Zeuge! Schildern Sie Ihren beruflichen Werdegang.


BEST: Ich bin Jurist und Berufsbeamter. Von 1929 an war ich Richter, seit 1933 war ich Verwaltungsbeamter, und seit 1942 war ich Diplomat.


DR. MERKEL: Wann und wie kamen Sie zur Gestapo?


BEST: Vom 1. Januar 1935 an bin ich als Oberregierungsrat und als Abteilungsleiter für Verwaltung und Recht im Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin tätig gewesen, seit 1936 im Reichsministerium des Innern, Geschäftsbereich Sicherheitspolizei bis 1940. Von 1940 bis 1942 Militärverwaltungsbeamter und seit 1942 Reichsbevollmächtigter in Dänemark.


DR. MERKEL: War die Gestapo ein Zusammenschluß von Personen?


BEST: Nein.


DR. MERKEL: Was war die Gestapo?


BEST: Sie war eine Vielzahl staatlicher Behörden.


DR. MERKEL: Wenn aber die Anklage die Gestapo als eine Organisation im Sinne eines freiwilligen Zusammenschlusses von Personen zur Verwirklichung bestimmter Ziele bezeichnet, was haben Sie dazu zu sagen?

Herr Zeuge! Sie müssen immer etwas pausen zwischen meiner Frage und Ihrer Antwort.


BEST: Eine Organisation hat Mitglieder. Die Beamten der Gestapo sind vom Staat angestellte Beamte und in einem öffentlich-rechtlichen Beamtenverhältnis gewesen. Eine Organisation setzt sich selbst Ziele. Die Behörden der Geheimen Staatspolizei erhielten ihre Aufgaben vom Staat, von der Staatsführung gestellt.


DR. MERKEL: Gehörte die Gestapo irgendwie in den Aufbau der NSDAP oder der nationalsozialistischen Organisation?


BEST: Nein, die Behörden der Gestapo waren reine Staatsbehörden.


DR. MERKEL: Herr Zeuge! Sprechen Sie bitte etwas langsamer, es kann sonst nicht übersetzt werden.


[140] BEST: Jawohl.


DR. MERKEL: Entstand im Jahre 1933 einheitlich eine allgemeine Geheime Staatspolizei im ganzen deutschen Reichsgebiet?


BEST: Nein, in den einzelnen deutschen Ländern entstanden Politische Polizeien, die von den jeweiligen Landesregierungen geschaffen wurden.


DR. MERKEL: Wurden diese Behörden vollkommen neu geschaffen?


BEST: Nein, sie wurden durch Umbau und Umorganisation der schon vorhandenen politischen polizeilichen Einrichtungen geschaffen.


DR. MERKEL: Auf welche Weise geschah dies?


BEST: Durch Verordnungen oder Erlasse der jeweiligen Landesregierungen.


DR. MERKEL: Aus welchen Gründen wurden diese neuen Behörden von den Landesregierungen geschaffen?


BEST: Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung sagen, daß in Hessen ein Staatspolizeiamt geschaffen wurde, weil die Autorität der Polizei durch die Ereignisse vor dem Jahre 1933 erschüttert war und durch eine neue Form der Politischen Polizei die Autorität dieser Behörden wieder gestärkt werden sollte, insbesondere auch gegenüber den Angehörigen der nationalsozialistischen Bewegung. Ich nehme an, daß dieses Motiv auch in den anderen deutschen Ländern eine Rolle gespielt hat.


DR. MERKEL: Wurden diesen neuen Behörden neue Aufgaben gestellt?


BEST: Nein, es wurden ihnen die gleichen Aufgaben gestellt, die der Politischen Polizei auch in der Vergangenheit gestellt waren.


DR. MERKEL: Welche Aufgaben waren das?


BEST: Einerseits die Verfolgung politischer Straftaten, das heißt vom Strafgesetz bedrohte Handlungen mit politischem Tatbestand oder politischem Motiv und andererseits die präventive polizeiliche Verhütung solcher Straftaten.


DR. MERKEL: Was verstehen Sie unter präventiven polizeilichen Vorbeugungsmaßnahmen?

BEST: Präventive polizeiliche Vorbeugungsmaßnahmen sind solche, die auf Täterkreise oder auf einzelne Täter dahin einwirken, daß sie befürchtete strafbare Handlungen nicht unternehmen.


DR. MERKEL: Wann und wie wurde Himmler politischer Polizeikommandeur der deutschen Länder?


BEST: Himmler hat in dem Jahr zwischen März 1933 und März 1934 nach und nach mit den Regierungen der einzelnen [141] deutschen Länder seine Einsetzung als politischer Polizeikommandeur jedes einzelnen Landes vereinbart.


DR. MERKEL: Ist Himmler aus der Polizei oder überhaupt aus der politischen Arbeit herausgewachsen?


BEST: Nein, er hatte mit Polizei nie etwas zu tun gehabt und hat sich auch in polizeiliche Denkweise und Praxis nie eingearbeitet.


DR. MERKEL: Waren die Behörden und die Beamten der einzelnen Politischen Polizeien an der Einsetzung Himmlers beteiligt?


BEST: Nein, diese Einsetzung wurde ihnen als vollendete Tatsache mitgeteilt.


DR. MERKEL: Wann und wie wurden die Politischen Polizeien der deutschen Länder zu einer einheitlichen Geheimen Staatspolizei des Reiches zusammengefaßt?


BEST: Nach der Einsetzung Himmlers als Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern im Jahre 1936 wurden durch mehrere Verordnungen beziehungsweise Erlasse des Reichsinnenministeriums die Politischen Polizeien der deutschen Länder zu einer einheitlichen Geheimen Staatspolizei zusammengefaßt.


DR. MERKEL: Ist irgendwo im Deutschen Reich eine Politische Polizei von der NSDAP eingerichtet worden?


BEST: Nein, nirgends.


DR. MERKEL: Ist irgendwo eine Einrichtung oder Organisation der Partei vom Staat als Politische Polizei übernommen worden?


BEST: Nein, nirgends.


DR. MERKEL: Sind die Politischen Polizeien der deutschen Länder 1933 mit Parteileuten besetzt worden?


BEST: Nein, sie wurden mit den Beamten der bisherigen Polizeibehörden besetzt. Nur wenige Angestellte sind in jener Zeit neu eingestellt worden.


DR. MERKEL: Waren die leitenden Beamten Parteileute?


BEST: Das war in den einzelnen Ländern verschieden. Zum Teil waren es sogar Beamte, die in der Vergangenheit ganz anderen Richtungen und Parteien angehört hatten.


DR. MERKEL: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?


BEST: Es gibt mehrere bekannte Beispiele. Es ist bekannt, daß Herr Diels, der Leiter des Preußischen Geheimen Staatspolizeiamtes früher einer anderen politischen Richtung angehört hat. Die engsten Mitarbeiter Himmlers und Heydrichs aus München, die dann mit in das Geheime Staatspolizeiamt nach Berlin mitgenommen wurden, wie Müller, der spätere Leiter des Amtes IV, Huber, Fresch, Beck, sie waren früher Anhänger der Bayerischen [142] Volkspartei gewesen, und selbst der Leiter meines kleinen hessischen Staatspolizeiamtes war ein ehemaliger Demokrat und Freimaurer, den ich eben für diesen Posten für geeignet hielt.


DR. MERKEL: Warum haben dann diese Beamten unter der nationalsozialistischen Regierung weiter Polizeidienst versehen?


BEST: Weil es für einen deutschen Beamten eine Selbstverständlichkeit war, dem Staat weiter zu dienen auch bei Wechsel der Regierung, solange er dazu überhaupt in der Lage ist.


DR. MERKEL: Sind diese Beamten später ausgeschaltet und durch Nationalsozialisten ersetzt worden?


BEST: Nein, diese Herren haben sogar meistens eine sehr gute Karriere gemacht und hohe Posten erhalten.


DR. MERKEL: Wie erfolgte der weitere Personalausbau der Politischen Polizei in der Folgezeit?


BEST: Es wurden Beamte aus den deutschen Polizeibehörden zu den Dienststellen der Politischen Polizei versetzt. Im Laufe der Zeit wurden dann auch neue Beamtenanwärter eingestellt und nach den allgemein geltenden Einstellungs- und Ausbildungsrichtlinien zu Beamten ausgebildet.


DR. MERKEL: Wurden Leute aus der Partei, der SS und der SA übernommen?


BEST: Nur in verhältnismäßig geringem Umfange, da der Dienst in diesen Polizeibehörden wenig Lohn einbrachte und infolgedessen nicht so sehr gesucht war.


DR. MERKEL: Haben sich die Beamten freiwillig zur Politischen Polizei gemeldet?


BEST: Die Beamten wurden von Behörde zu Behörde versetzt.


DR. MERKEL: Mußten die Beamten dieser Versetzung Folge leisten?


BEST: Ja, sie waren nach dem Beamtenrecht dazu verpflichtet.


DR. MERKEL: Was wäre die Folge einer Weigerung gewesen?


BEST: Disziplinarverfahren mit dem Ergebnis der Dienstentlassung und des Verlustes der erworbenen Rechte, zum Beispiel auf Ruhegehalt,


DR. MERKEL: Sind Ihnen solche Weigerungen bekannt?


BEST: Nein, ich habe keine solchen erfahren.


DR. MERKEL: War die Politische Polizei aus dem allgemeinen staatlichen Verwaltungsaufbau völlig herausgelöst?


[143] BEST: Nein, es gab auf allen Ebenen Verzahnung mit der allgemeinen inneren Verwaltung. Es sind die Leiter der Staatspolizeistellen zugleich die politischen Referenten der Regierungspräsidenten gewesen. Die Inspekteure der Sicherheitspolizei waren den Regierungspräsidenten beziehungsweise den Innenmini stern der Länder persönlich unterstellt und hatten ihren Weisungen Folge zu leisten.


DR. MERKEL: Haben außer den Behörden der Gestapo auch noch andere Behörden politisch-polizeiliche Tätigkeit ausgeübt?


BEST: Ja, die Kreis- und Ortspolizeibehörden haben ebenfalls politisch-polizeiliche Tätigkeiten ausgeübt.


DR. MERKEL: In welcher Art?


BEST: Die Kreis- und Ortspolizeibehörden, das heißt die Landräte, die Gendarmerie, die kommunalen Polizeiverwaltungen sind entweder auf Grund von Anzeigen, die bei ihnen eingingen, tätig geworden, oder aber sie haben Aufträge der zuständigen Politischen Polizei, das heißt der Staatspolizeistelle erhalten und ausgeführt.


DR. MERKEL: Welchen Anteil an der gesamten politisch-polizeilichen Arbeit erledigten die Kreis- und Ortspolizeibehörden?


BEST: Quantitativ haben die Kreis- und Ortspolizeibehörden den größeren Teil der staatspolizeilichen Einzelfälle bearbeitet, da die Staatspolizeistellen ihre Beamten nur in wesentlichen Angelegenheiten, vor allen Dingen bei Fällen des Hochverrats oder des Landesverrats zu eigenen Ermittlungen ins Land hinausgeschickt haben.


DR. MERKEL: Erhielten die Kreis- und Ortspolizeibehörden auch die allgemeinen Erlasse des Geheimen Staatspolizeiamtes?


BEST: Ja, sie erhielten diese Erlasse, wenn das nicht im Einzelfall durch ausdrücklichen Vermerk ausgeschlossen war.


DR. MERKEL: Nach welchen Gesichtspunkten griffen die Behörden der Politischen Polizei irgendwelche Tatbestände auf?


BEST: Fast ausschließlich auf Grund von Anzeigen, die entweder von Privatpersonen oder von irgendwelchen Stellen außerhalb der Polizei an sie gerichtet wurden.


DR. MERKEL: Auf welchen Sachgebieten war das der Fall?


BEST: Diese Anzeigen sind auf allen Gebieten, die überhaupt die Politische Polizei interessierten, erstattet worden. Die Polizei war deshalb gar nicht in der Lage, selbst auf die Suche zu gehen, ob solche Fälle irgendwo vorlagen. Ein eigener Nachrichtendienst ist überhaupt nur da entwickelt worden, wo man organisierte Gruppen vermutete, zum Beispiel bei der illegalen Kommunistischen Partei oder bei gegnerischen Nachrichtendiensten zu Spionagezwecken. In diesen Fällen hat man versucht, durch Agenten oder mit ähnlichen Mitteln diese Gruppen aufzudecken und aufzuklären.


[144] DR. MERKEL: Wenn kein eigener Nachrichtendienst der Gestapo bestand, wie kamen dann Festnahmen und andere Maßnahmen gegen Personen wegen politischer Äußerungen und dergleichen zustande?


BEST: Es ist nicht so, wie häufig dargestellt wurde und wird, als ob die Gestapo ein Netz von Nachrichtenagenten und Spitzeln unterhalten habe, um das ganze Volk zu beobachten. Das hätte mit dem kleinen Beamtenbestand, der voll mit den laufenden Dingen beschäftigt war, gar nicht geleistet werden können. Solche Einzelanzeigen wegen ungeschickter politischer Äußerungen und dergleichen sind immer von außen an die Politische Polizei herangetragen worden, die wurden nicht gesucht, weil man mit 90 Prozent dieser Fälle ja gar nichts anfangen konnte.


DR. MERKEL: Bitte sprechen Sie etwas langsamer, Herr Zeuge!

Gab es eine besondere Klasse von Gestapo-Beamten, die sich von anderen Beamtenklassen völlig unterschied?


BEST: Nein, die Beamten der Gestapo gehörten den gleichen Kategorien an wie die entsprechenden Beamten anderer Polizeibehörden.


DR. MERKEL: Welche Kategorien von Beamten gab es in der Gestapo?


BEST: Zunächst ist die große Unterscheidung zu machen zwischen Verwaltungsbeamten und Exekutivbeamten.


DR. MERKEL: Wodurch unterschieden sich diese beiden Kategorien?


BEST: Sie unterschieden sich durch ihre Aufgaben, durch ihren Rechtsstatus und durch ihre Ausbildung.


DR. MERKEL: Inwieferne war ihr Rechtsstatus verschieden?


BEST: Die Verwaltungsbeamten unterstanden dem Reichsbeamtengesetz und dem weiteren allgemeinen Beamtenrecht, während für die Exekutivbeamten ein besonderes Recht in dem Polizeibeamtengesetz geschaffen war.


DR. MERKEL: Inwieferne war ihre Ausbildung verschieden?


BEST: Die Verwaltungsbeamten sind entsprechend ihrer Laufbahn als höhere oder mittlere oder untere Verwaltungsbeamte nach den für diese bestehenden Richtlinien in den Behörden der allgemeinen und inneren Verwaltung und in den allgemeinen Polizeiverwaltungsbehörden, also Polizeipräsidien, Direktorien und dergleichen ausgebildet worden. Die Exekutivbeamten hingegen sind nur in den sogenannten Führerschulen der Sicherheitspolizei und in den Behörden der Gestapo und der Kriminalpolizei ausgebildet worden.


[145] DR. MERKEL: Welche Aufgaben hatten die Verwaltungsbeamten in der Gestapo zu erfüllen?


BEST: Die gleichen Aufgaben, wie sie in allen anderen Verwaltungsbehörden, insbesondere Polizeiverwaltungsbehörden, zu erfüllen waren; sie bearbeiteten Personalien, innere wirtschaftliche Aufgaben des Haushalts, der Beschaffungen und dergleichen sowie andererseits die Bearbeitung materiell-rechtlicher Gegenstände, wie zum Beispiel in meinem Geschäftsbereich das deutsche Paßrecht bearbeitet wurde oder das Ausländerpolizeirecht.


DR. MERKEL: Haben die Verwaltungsbeamten die Tätigkeit der Exekutive beobachten und kontrollieren können?


BEST: Nein, soweit nicht etwa ein Verwaltungsbeamter zur Führung einer Registratur oder einer Kartei zu einer Exekutivabteilung kommandiert war. Im übrigen hatten sie weder mit der Aktenbearbeitung noch mit Vollzugshandlungen irgend etwas zu tun.


DR. MERKEL: Konnten sie auf anderen Wegen Kenntnis von der Exekutivtätigkeit erhalten?


BEST: Nein, das war so gut wie ausgeschlossen, da jeder Beamte verpflichtet war, die von ihm bearbeiteten Angelegenheiten geheimzuhalten, was übrigens schon einer alten Praxis der Polizei entsprach, daß man über die bearbeiteten Einzelfälle nicht redete.


DR. MERKEL: Kamen die Verwaltungsbeamten freiwillig zur Geheimen Staatspolizei?


BEST: Nein, die Verwaltungsbeamten wurden von anderen Behörden, den Polizeiverwaltungsbehörden und Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung zu den Behörden der Geheimen Staatspolizei versetzt.


DR. MERKEL: Haben alle Exekutivbeamten der Geheimen Staatspolizei die gleiche Tätigkeit ausgeübt?


BEST: Nein, jeder hat die Tätigkeit ausgeübt, die von der Fachsparte, der er zugeteilt war, geleistet wurde.


DR. MERKEL: Welche Fachsparten gab es?


BEST: Es gab außer der Politischen Polizei im engeren Sinne die Abwehrpolizei, die Grenzpolizei, und später wurde der defensive Teil der militärischen Abwehr und auch der Zollgrenzschutz noch der Gestapo angeschlossen, so daß auch diese Fachsparten der Gestapo wurden.


DR. MERKEL: Sind die besonderen Aufgaben dieser Fachsparten erst nach 1933 im Rahmen der Gestapo gestellt worden?


BEST: Nein, sie sind schon vor 1933 wahrgenommen worden, und zwar im allgemeinen von den gleichen Beamten, die dann später [146] in die Gestapo übernommen wurden und die vorher in den sogenannten Zentralpolizeistellen und in den Dienststellen der Grenzpolizei tätig waren.


DR. MERKEL: Sie erwähnten vorhin die Abwehrpolizei als einen Teil der Gestapo. Welche Aufgaben hatte die Abwehrpolizei?


BEST: Die kriminalistische Aufklärung der Landesverratsfälle, die nach erfolgter Aufklärung alle miteinander ohne Ausnahme den Gerichten zur Aburteilung übergeben worden sind.


DR. MERKEL: Ein weiterer Teil der Gestapo war die Grenzpolizei. Welche Aufgaben hatte sie?


BEST: Die Grenzpolizei hat an der Grenze die Paßnachschau ausgeübt, hat den sogenannten kleinen Grenzverkehr überwacht, hat Rechtshilfe gegenüber ausländischen Polizeien geleistet durch Annahme von abgeschobenen Personen und dergleichen, hat an der Bekämpfung des internationalen Rauschgifthandels mitgearbeitet und hat allgemeine kriminalistische Personen- und Sachfahndungen an der Grenze ausgeübt.


DR. MERKEL: Welche Aufgaben hatte die sogenannte militärische Abwehr, ebenfalls ein Teil der Gestapo?


BEST: Der, wie ich sagte, defensive Teil der militärischen Abwehr, der während des Krieges zur Gestapo kam, hatte die Aufgabe, gegnerische Nachrichtendienste, die gegen die deutsche Wehrmacht angesetzt waren, zu erkunden und durch Aufklärung unschädlich zu machen.


DR. MERKEL: Ein weiterer Teil der Gestapo war der sogenannte Zollgrenzschutz. Was waren dessen Aufgaben?


BEST: Die Aufgaben des Zollgrenzschutzes sind vor und nach der Angliederung an die Gestapo die gewesen, die sogenannte »grüne Grenze« zu überwachen, also die Grenzen außerhalb der Grenzübergänge und andererseits an den Grenzübergängen, an denen keine Grenzpolizei stationiert war, die grenzpolizeilichen Aufgaben wahrzunehmen.


DR. MERKEL: Gab es außer den Verwaltungsbeamten und den Exekutivbeamten noch andere Kategorien von Gestapo-Angehörigen?


BEST: Ja, es gab technische Beamte, und es gab außerdem eine große Zahl von Angestellten und Lohnempfängern für technische und büromäßige Dienste.


DR. MERKEL: Welchen Prozentsatz des Gesamtpersonals machten die Angestellten und Lohnempfänger aus?


BEST: Je nach den einzelnen Jahren schwankte dieser Prozentsatz zwischen etwa 35 und etwa 45 Prozent.


[147] DR. MERKEL: Wußten die Angestellten und Lohnempfänger, welche Vollzugsaufgaben die Exekutive erfüllte?


BEST: Soweit diese Angestellten und Lohnempfänger als Kraftfahrer oder als Stenotypistinnen und dergleichen zu Vollzugshandlungen herangezogen wurden, haben sie nur diesen einzelnen Vorgang kennengelernt, ohne daß sie über die Zusammenhänge aufgeklärt wurden.


DR. MERKEL: Hat die Gestapo ihren Angehörigen besonders hohe Gehälter bezahlt?


BEST: Nein, die Bezüge richteten sich nach den allgemeinen Besoldungsgesetzen und Tarifordnungen und waren so gering, daß sogar Schwierigkeiten für den Ersatz des Beamten- und Angestelltenkörpers bestanden.


DR. MERKEL: Woher kam der Beamtennachwuchs der Gestapo?


BEST: Nach dem Reichspolizeibeamtengesetz mußten 90 Prozent der Beamtenanwärter der Exekutive und der Verwaltung des mittleren und einfachen Dienstes übernommen werden aus Anwärtern der Schutzpolizei, die den Polizeiberuf als Lebensberuf behalten wollten. Nur etwa zehn Prozent der Neueinstellungen durften, wie das Gesetz sich ausdrückte, aus freien Berufen erfolgen.


DR. MERKEL: Wählten sich die Anwärter aus der Schutzpolizei den Dienst in der Gestapo frei oder nicht?


BEST: Die Schutzpolizeibeamten ließen sich bei der Vormerkungsstelle der Polizei in Potsdam vormerken und wurden dann, ohne daß man sie fragte, entweder einer Behörde der Gestapo oder einer Behörde der Kriminalpolizei zugewiesen.


DR. MERKEL: Wie wurden die Beamtenanwärter für den Exekutivedienst ausgebildet?


BEST: Diese Anwärter wurden in der sogenannten Führerschule beziehungsweise Fachschule der Sicherheitspolizei in Kursen, die weitgehend für Geheime Staatspolizei und Kriminalpolizei gleich waren, sowie durch praktische Arbeit in den Behörden ausgebildet.


DR. MERKEL: Wurden die im Dienst befindlichen Beamten politisch belehrt und beeinflußt?


BEST: Nein. Es war wohl ein Plan von Himmler gewesen, so um 1939 herum, daß das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS eine einheitliche politische Belehrung und Bildung aller Sparten, die Himmler unterstanden, vornehmen sollte. Solange ich im dortigen Dienst war, also bis 1940, ist das aber nicht verwirklicht worden.


DR. MERKEL: Sollten dann nicht die Beamten der Geheimen Staatspolizei ihre Vollzugsmaßnahmen nach politischen Gesichtspunkten ausführen?


[148] BEST: Nein, es wäre sehr unerwünscht gewesen, wenn der kleine Vollzugsbeamte, etwa ein Kriminalassistent, für seine Amtshandlungen selbst politische Erwägungen angestellt und politische Entschlüsse gefaßt hätte. Der Vollzugsbeamte sollte ausschließlich nach den ihm erteilten allgemeinen Dienstanweisungen beziehungsweise den Aufträgen seiner Vorgesetzten arbeiten, ohne sich selbst in Politik einzumischen.


DR. MERKEL: Was bedeutet die Angleichung der Gestapo-Beamten an die SS?

BEST: Es bedeutete, daß...


VORSITZENDER: Dr. Merkel, fassen Sie die Aussagen, die vor der Kommission gegeben wurden, zusammen? Ich frage Sie das, denn, wie Sie wissen, wollen wir nicht alles noch einmal hören. Wir haben hier eine schriftliche Zusammenfassung. Wir haben die Zeugenaussagen, die vor der Kommission abgegeben wurden, und wir wollen nur, daß Sie die wirklich wesentlichen Punkte vorbringen und die Zeugen vor den Gerichtshof rufen, damit wir sie sehen und uns eine Meinung über ihre Glaubwürdigkeit bilden und sie im Kreuzverhör vernehmen können, soweit es nötig ist. Wir wollen jedoch nicht wieder die gesamten Beweise durchgehen, die schon vor der Kommission vorgebracht wurden.


DR. MERKEL: Gewiß, Herr Präsident. Ich habe ja auch aus diesem Grunde von vornherein nur zwei Zeugen beantragt, und ich habe die Vernehmung dieses Zeugen so gestaltet, daß sie, insbesondere bei den kommenden Fragen, jetzt eine wesentliche Zusammenfassung dessen gibt, was er bereits gesagt hat.


MR. THOMAS J. DODD, ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Herr Präsident! Ich glaube, daß wir hier viel mehr auf Einzelheiten eingegangen sind, als wir dies vor der Kommission getan haben, und dabei sind es Angelegenheiten, die bereits hier vor dem Gerichtshof untersucht worden sind. Ich glaube, daß der Verteidiger vielleicht in einem Mißverständnis befangen ist, denn ich habe ihn, ehe er das Verhör begann, gefragt, wie lange er brauchen werde. Ich dachte, er mache Spaß, als er mir sagte, daß er vier bis fünf Stunden brauchen würde, nachdem er vor der Kommission nur zwei Stunden gebraucht hat. Ich fürchte also, daß, wenn er wirklich vorhat, viereinhalb bis fünf Stunden zu brauchen, nachdem er nur zweieinhalb Stunden vor der Kommission brauchte, er hinsichtlich der Absichten des Gerichtshofs in einem Mißverständnis befangen sein muß.


VORSITZENDER: Ich hoffe, Dr. Merkel, daß ich ganz klargemacht habe, was wir wollen. Sie haben nur zwei Zeugen. Wir werden ohne Zweifel die Aussagen dieser zwei Zeugen vor der Kommission lesen. Wir wollen die Zeugen nur sehen, um uns ein [149] Bild von ihrer Glaubwürdigkeit machen zu können, und wir wollen Ihnen Gelegenheit geben, besonders wichtige Punkte hervorzuheben. Aber wir wollen nicht die ganze Sache nochmals durchgehen.


DR. MERKEL: Ja, sicher, Herr Präsident.


[Zum Zeugen gewandt:]


Was bedeutet die Angleichung der Gestapo-Beam ten an die SS?

BEST: Dies bedeutete, daß der Beamte, weil er Beamter der Gestapo war, in die SS übernommen und mit einem SS-Dienstgrad, der seinem Beamtengrad entsprach, versehen werden sollte.

DR. MERKEL: Sollte nur die Gestapo angeglichen werden?


BEST: Nein; auch die Beamten der Kriminalpolizei sollten angeglichen werden.


DR. MERKEL: Wann und wie entstand das Reichssicherheitshauptamt?


BEST: Das Reichssicherheitshauptamt ist erst im September 1939 gebildet worden, indem der damalige Chef der Sicherheitspolizei, Heydrich, unter Ausnützung der Kriegslage seine verschiedenen Ämter in dieser Weise zusammenfaßte. Dem hatte vorher ein gewisser Widerstand des Reichsinnenministeriums einerseits und der SS-Hauptämter andererseits entgegengestanden.


DR. MERKEL: Unterstanden die Konzentrationslager der Gestapo?


BEST: Nein.


DR. MERKEL: Gab es nicht gesetzliche Bestimmungen darüber?


BEST: In einer preußischen Verordnung, und zwar in der Ausführungsverordnung zum Gesetz über die preußische Gestapo von 1936 war der Satz enthalten, daß das Geheime Staatspolizeiamt die Konzentrationslager verwalte. Dies war ein Ziel des damaligen Leiters des Geheimen Staatspolizeiamtes, Heydrich, gewesen. Himmler hat aber diese Bestimmung nie vollzogen, denn er wollte, daß der bisherige Zustand beibehalten bliebe, daß der Inspekteur der Konzentrationslager ihm unmittelbar unterstellt bliebe.


DR. MERKEL: Mußten die Beamten der Gestapo annehmen, daß in den Konzentrationslagern Leben oder Gesundheit der Häftlinge gefährdet sei?


BEST: Ich kann nur für die Zeit bis zum Kriege sprechen und erinnere mich, daß in jener Zeit die Auffassung der Beamten der Geheimen Staatspolizei nicht dahin ging, daß in den Konzentrationslagern Leib und Gesundheit der Häftlinge gefährdet sei. Die Beamten hatten sowohl mit den Familien der Häftlinge, die ja von [150] der Geheimen Staatspolizei betreut wurden, wie auch mit entlassenen Häftlingen, für die Arbeit beschafft wurde, ständig zu tun, so daß sie sich hieraus wohl ein Bild über die Erlebnisse der Häftlinge in den Konzentrationslagern bilden konnten.


DR. MERKEL: Mußten die Beamten der Gestapo ein verbrecherisches Endziel der Gestapo-Arbeit vermuten?


BEST: Nein, denn die Arbeit der Gestapo hat überhaupt kein Endziel, das zu erreichen gewesen wäre, gehabt, sondern bestand in der laufenden Erfüllung der durch Gesetze, Verordnungen und Dienstanweisungen gestellten Aufgaben.


DR. MERKEL: Hat die Gestapo nun nicht auch Handlungen durchgeführt, die nicht durch ihre allgemeinen, polizeilichen Vorschriften gefordert waren?


BEST: Soweit die Gestapo Handlungen ausführen mußte, die nicht in ihren allgemeinen Vorschriften vorgesehen waren, ist sie als ein Vollzugsinstrument für polizeifremde Zwecke verwendet, man kann auch sagen mißbraucht worden. Ich erinnere mich als ersten Fall dieser Art an die Festnahme von etwa 20000 Juden im November 1938. Dies war eine Maßnahme, die zwar polizeilich nicht notwendig und von der Gestapo aus eigenem Antrieb niemals durchgeführt worden wäre, wenn nicht zu politischen Zwecken der Staatsführung ihr dieser Befehl erteilt worden wäre.


DR. MERKEL: War die Führung der Gestapo an dem Entschluß, 20000 Juden zu verhaften, beteiligt gewesen?

BEST: Nein. Ich weiß aus eigenem Erleben, daß Heydrich, der damalige Chef der Sicherheitspolizei, von den Ereignissen völlig überrascht wurde, denn ich war mit ihm zusammen, als wenige Meter von dem Hotel, in dem wir uns befanden, eine Synagoge in Brand hochging, und wir hatten nichts davon gewußt. Heydrich eilte daraufhin zu Himmler, wurde dort informiert und erhielt Befehle, die er dann an die Behörde der Staatspolizei weitergab.


DR. MERKEL: Wie kam es zu den sogenannten verschärften Vernehmungen?


BEST: Über die verschärften Vernehmungen hat Heydrich einen Erlaß im Jahre 1937 herausgegeben, den ich erst zu sehen bekam, als er schon herausgegangen war, da ich als Verwaltungsfachmann zu solchen Dingen nicht hinzugezogen wurde. Ich habe ihn daraufhin zur Rede gestellt.


DR. MERKEL: Welche Begründung gab Heydrich zu diesem Erlaß?


BEST: Heydrich gab mir die Begründung, er habe zu dieser Maßnahme eine höhere Genehmigung erhalten. Diese Maßnahme [151] sei notwendig, um gewisse konspirative Tätigkeiten staatsfeindlicher Organisationen schnell aufzuklären und dadurch staatsgefährliche Anschläge zu verhüten, während andererseits keinesfalls Geständnisse erpreßt werden sollten. Er wies darauf hin, daß in ausländischen Polizeien solche Methoden allenthalben angewandt würden, und er hat schließlich betont, daß er sich ja selbst für jeden einzelnen Fall im Deutschen Reich die Genehmigung vorbehalten habe, so daß er einen Mißbrauch für ausgeschlossen hielt.


DR. MERKEL: War die Gestapo von 1933 bis 1939 an einer Verschwörung beteiligt, die die Planung, Vorbereitung und Auslösung eines Angriffskrieges zum Gegenstand hatte?


BEST: Nein. Ich glaube, das sagen zu können, denn, wenn ich als ein Amtschef in der Zentrale nichts davon gewußt habe, dann können es die kleineren Beamten erst recht nicht gewußt haben.


DR. MERKEL: War die Gestapo auf einen Kriegseinsatz vorbereitet?


BEST: Nein. Sie war einerseits materiell keineswegs gerüstet. Es fehlten insbesondere für ihren Einsatz im besetzten Gebiet die Waffen, Kraftwagen, Nachrichtengeräte und so weiter. Es fehlte andererseits personell die Möglichkeit, Polizeireservisten einzuziehen, wie sie zum Beispiel die Ordnungspolizei hatte, und die ganze Arbeit war noch derartig im Aufbau begriffen – Laufbahnrichtlinien wurden ausgearbeitet, Dienstgebäude wurden gebaut –, so daß man keineswegs sagen kann, daß die Geheime Staatspolizei oder die Sicherheitspolizei überhaupt für eine solche Belastungsprobe bereit war.


DR. MERKEL: Zu welchem Zweck wurden die »Einsatzkommandos« aufgestellt?


BEST: Die »Einsatzkommandos« wurden auf Grund einer Vereinbarung mit dem OKW aufgestellt, um in besetzten auswärtigen Gebieten der kämpfenden Truppe den Rücken zu decken und in dem besetzten Bereich die notwendigsten Sicherheitsmaßnahmen zu treffen.


DR. MERKEL: Wem unterstanden sie?


BEST: Während der militärischen Operationen unterstanden die »Einsatzkommandos« den militärischen Befehlshabern, mit deren Truppenteil sie marschierten. Nach Abschluß der Operationen richtete sich ihre Unterstellung nach der Verwaltungsform in den betreffenden Gebieten, das heißt, je nachdem, ob ein militärischer Befehlshaber oder ein Reichskommissar eingesetzt war, unterstand der Höhere SS- und Polizeiführer dieser Verwaltungsspitze, und die sicherheitspolizeilichen Einsatzkommandos unterstanden wieder dem Höheren SS- und Polizeiführer.


[152] DR. MERKEL: Wie waren die »Einsatzkommandos« zusammengesetzt?


BEST: Die »Einsatzkommandos« waren beim Ausrücken zusammengesetzt aus Angehörigen der Gestapo, der Kriminalpolizei und des Sicherheitsdienstes. Im Laufe des Krieges mußte das Personal sehr stark ergänzt werden teils durch Angehörige der Ordnungspolizei, teils durch Notdienstverpflichtete, durch Angehörige der Waffen-SS, durch Angestellte aus den betreffenden Gebieten selbst, so daß schließlich die Beamten der Geheimen Staatspolizei höchstens zehn Prozent des Gesamtbestandes noch ausmachten.


DR. MERKEL: Waren die »Einsatzkommandos« Bestandteile der Gestapo?


BEST: Nein, sie gehörten weder zu der Zentrale noch zu den Gestapo-Polizeistellen, sondern sie waren sicherheitspolizeiliche Einheiten eigener Art.


DR. MERKEL: Kennen Sie aus eigener Erfahrung die Tätigkeit von »Einsatzkommandos«?


BEST: Ja, ich habe insbesondere in Dänemark die Tätigkeit eines solchen »Einsatzkommandos« beobachten können, und ich bin durch nachbarschaftliche Informationen auch über Norwegen gut informiert worden.


DR. MERKEL: Was wissen Sie über die Tätigkeit dieser »Einsatzkommandos« in Dänemark und Norwegen?


BEST: Ja, ich möchte besonders betonen, daß gerade die dort eingesetzten Kräfte sich sehr häufig gegen Weisungen von Zentralstellen gewendet haben, die zu einer harten Behandlung der dortigen Bevölkerung führen sollten. Zum Beispiel hat das »Einsatzkommando« in Dänemark die Anwendung des »Nacht-und-Nebel«-Erlasses, die Anwendung des sogenannten »Kugel«-Erlasses und des sogenannten »Kommando«-Erlasses abgelehnt und verhindert und hat auch andere Maßnahmen bekämpft, zum Beispiel hat die Sicherheitspolizei die Deportation der dänischen Juden mit mir zusammen bekämpft, und in Norwegen hat der Befehlshaber der Sipo, wie er und der Reichskommissar Terboven mir übereinstimmend jeweils berichtet haben, die scharfen Maßnahmen, die der Reichskommissar Terboven immer wieder befahl, bekämpft und ab und zu auch mit Hilfe der Zentrale in Berlin verhindert, was schließlich zu einem vollständigen Bruch zwischen Terboven und dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei führte.


DR. MERKEL: Haben Sie selbst, wie hier gelegentlich behauptet wurde, die Deportation der Juden aus Dänemark vorgeschlagen?


[153] BEST: Nein. Ich habe in zahlreichen Berichten im Laufe des Jahres 1943 diese Maßnahme scharf abgelehnt. Als dann gegen meinen Willen am 29. August 1943 der militärische Ausnahmezustand über Dänemark verhängt worden war, wurde offenbar von Hitler selbst die Deportation der Juden befohlen. Ich habe mich auch hier noch einmal dagegen gewandt, und als mir vom Auswärtigen Amt bestätigt wurde, daß der Befehl endgültig erteilt sei, da habe ich nur noch gefordert, daß der militärische Ausnahmezustand so lange aufrechterhalten werden müsse, bis die Aktion vorüber sei, weil ich nämlich Unruhen befürchtete, und diese Forderung, daß die Aktion noch während des Ausnahmezustandes durchgeführt werden müsse, die ist falsch dahin ausgelegt worden, daß ich die Aktion gewollt habe. Der beste Beweis, daß ich die Aktion selbst sabotiert habe, indem ich die Tatsache und den Termin bestimmten dänischen Politikern habe mitteilen lassen, damit die Juden fliehen konnten, und es ist erreicht worden, daß 6000 Juden fliehen konnten, daß nur 450 gefaßt wurden, und dabei hat die Sicherheitspolizei mir geholfen. Der Befehlshaber der Sicherheitspolizei wußte um mein Handeln, und er hätte mich anzeigen können. Das hätte mir den Kopf gekostet.


DR. MERKEL: Hat die Sicherheitspolizei in den besetzten Gebieten an der Deportation von Arbeitern in das Reichsgebiet mitgewirkt?

BEST: Aus Dänemark ist nicht ein einziger Arbeiter in das Reichsgebiet deportiert worden. Soviel ich weiß, hat die Sicherheitspolizei auch in anderen Gebieten nicht dazu beigetragen.


DR. MERKEL: Wer hat in Frankreich die Geiselerschießungen veranlaßt, die Polizei oder wer sonst?


BEST: Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß die Befehle zu Geiselerschießungen in Frankreich regelmäßig vom Führerhauptquartier gekommen sind. Der Militärbefehlshaber, der bis 1942 diese Befehle auszuführen hatte, war selbst durchaus gegen diese Maßnahmen, und der General Otto von Stülpnagel ist ja auch infolge seiner Auseinandersetzungen mit dem Führerhauptquartier nervös zusammengebrochen und mußte aus dem Dienst ausscheiden. Auch der neue Höhere SS- und Polizeiführer Oberg hat mir bei seinem Dienstantritt versichert, daß er ebenfalls gegen diese Maßnahmen sei.


DR. MERKEL: Können Sie aus eigener Kenntnis sagen, von wem die harte Behandlung der besetzten Länder letzten Endes ausging?


BEST: Nach meinen Erfahrungen war es Hitler selbst, der jeweils solche Befehle gegeben hat.


[154] DR. MERKEL: Was war das Charakteristische an Hitlers Befehlen?

BEST: Ich fand an Hitlers Befehlen besonders charakteristisch, daß sie sich in erstaunlicher Weise mit Einzelheiten befaßten, mit denen sich ein Staatsoberhaupt und oberster Befehlshaber einer Wehrmacht normalerweise nicht befaßt, und daß diese Befehle immer, soweit sie besetzte Gebiete zum Beispiel betrafen, von der Absicht geleitet waren, durch Einschüchterung und Abschreckung irgend etwas zu erreichen, ohne zu berücksichtigen, daß eben auf der anderen Seite auch eine kämpferische Dynamik am Werke war, die sich nicht so leicht abschrecken und einschüchtern ließ.


DR. MERKEL: Wie reagierte er auf Widersprüche seiner Untergebenen?


BEST: Meist mit Zornausbrüchen und mit einer Versteifung seiner Haltung. Dagegen hat er diejenigen, die etwa um Enthebung von ihren Ämtern gebeten haben, in ihren Ämtern festgehalten.


DR. MERKEL: Trägt Ihr Buch »Die deutsche Polizei« offiziellen Charakter?


BEST: Nein, es ist eine reine Privatarbeit.


DR. MERKEL: Gibt dieses Buch in allen Teilen endgültige Tatsachen wieder?


BEST: Nein. Es stellt zum Teil die Tendenzen, die zur Zeit der Abfassung des Buches in der deutschen Polizei wirksam waren, als schon vollendet dar.


DR. MERKEL: Warum taten Sie das?


BEST: Zum Teil, weil ich die Verwirklichung in kürzester Frist erwartete und zum Teil, weil sonst der Veröffentlichung des Buches Schwierigkeiten entgegengesetzt worden wären.


DR. MERKEL: Ist nicht durch folgende Tatsache eine gewisse polizeiliche Willkür statuiert, daß nämlich in bestimmten Verordnungen gesagt war, der Chef der Deutschen Polizei könne auch außerhalb der sonst hierfür geltenden Grenzen Maßnahmen treffen?


BEST: Wenn dies in zwei Verordnungen über die Angliederung Österreichs und des Sudetenlandes gesagt ist, dann war damit gemeint, daß dem Chef der Deutschen Polizei gesetzlich die Befugnis delegiert werden sollte, polizeiliche Anordnungen, das heißt polizeirechtliche Bestimmungen in diesen Gebieten zu treffen, die von den dort bisher geltenden Gesetzen abwichen. Es war also die Übertragung einer rechtlichen Befugnis, während keineswegs Einzelhandlungen willkürlich oder gesetzwidrig vorgenommen werden sollten.


[155] DR. MERKEL: Was war nach Ihrer Theorie gültiges Polizeirecht?


BEST: Wenn ich in meinem Buche über Polizeirecht spreche, dann ging ich selbstverständlich aus von dem nationalsozialistischen Staatsbegriff und von der derzeitigen Entwicklung des Staatsrechts in Deutschland. Nachdem im Jahre 1933 die Gesetzgebungsbefugnis zunächst auf die Reichsregierung übertragen worden war, hat sich allmählich ein Staatsgewohnheitsrecht dahin gebildet, daß auch der mit Rechtssetzung amtlich geäußerte Wille des Staatsoberhauptes ohne weiteres Recht setze. Dies wurde von der Staatspraxis anerkannt. Denn man kann ja auch nicht die Regeln, nach denen ein Großstaat jahrelang lebt, anders denn als ein Gewohnheitsrecht bezeichnen. Auf dieser Grundlage entwickelte sich auch das Polizeirecht dieses Staates. Nachdem zunächst durch die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 28. Februar 1933 die Schranken, die durch die Weimarer Verfassung gesetzt waren, beseitigt worden waren, war dem polizeilichen Ermessen ein weiter Spielraum gesetzt. Dieses polizeiliche Ermessen wurde in der Folgezeit geregelt durch zahlreiche Verordnungen, Erlasse, Führerbefehle, Dienstanweisungen und dergleichen, die, da sie alle von der letzten Rechtssetzungsquelle dieses Staates, nämlich von dem Staatsoberhaupt letzten Endes ausgingen, als geltendes Polizeirecht angesehen werden mußten.


DR. MERKEL: Wie war es zu beurteilen, wenn Teilen der Gestapo oder Angehörigen Handlungen wie Deportationen und Exekutionen befohlen wurden?


BEST: Ich habe bereits gesagt, daß dieses polizeifremde Handlungen waren, die nicht aus dem eigenen Wirken der Polizei erwuchsen und die unter polizeilichen Gesichtspunkten auch nicht notwendig waren. Wenn aber die Polizei solche Befehle von dem Staatsoberhaupt oder im Namen des Staatsoberhauptes erhielt, dann mußte zunächst einmal nach der herrschenden Auffassung der einzelne Beamte annehmen, daß er zu ihrer Durchführung verpflichtet sei.


DR. MERKEL: Wollten Sie diese Auffassung verteidigen, als Sie in Ihrem Buch schrieben...


VORSITZENDER: Es ist 5.00 Uhr. Können Sie dem Gerichtshof mitteilen, wie lange Sie noch für diesen Zeugen brauchen werden?


DR. MERKEL: Ich habe nur noch zwei Fragen. Vielleicht eine Minute, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Gut.


DR. MERKEL: Wollten Sie diese Auffassung verteidigen, als Sie schrieben, es sei keine Rechtsfrage, sondern eine Schicksalsfrage, ob die Staatsführung das richtige Recht setze?


[156] BEST: Nein. Mit dieser Stelle meines Buches habe ich eine politische Warnung an die Staatsführung ausgesprochen, die eben gerade dahin geht, daß diese ungeheure Macht, nach Belieben Recht zu setzen – man hat damals kein internationales Gericht voraussehen können –, jedenfalls der Jurisdiktion des Schicksals unterliege und daß ein Verstoß gegen die fundamentalen Lebensgesetze der Menschen und der Völker vom Schicksal bestraft werden würde. Leider habe ich ja mit dieser Warnung recht bekommen.


DR. MERKEL: Wenn aber die Angehörigen der Gestapo die ihnen erteilten Befehle als verbrecherisch anerkannt hätten, wie wäre dann ihr Handeln zu beurteilen?


BEST: In diesem Fall muß festgestellt werden, daß sie in einem ausgesprochenen Notstand gehandelt haben, denn während des Krieges unterstand die gesamte Polizei dem Militärstrafrecht, und jeder Beamte, der den Vollzug eines Befehls verweigert hätte, wäre wegen militärischen Ungehorsams kriegsgerichtlich zum Tode verurteilt worden.


DR. MERKEL: Ich habe keine weiteren Fragen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich jetzt.


[Das Gericht vertagt sich bis

1. August 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 20, S. 119-158.
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