Nachmittagssitzung.

[43] [Der Zeuge von Rundstedt im Zeugenstand.]


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Herr Feldmarschall! Sie haben ausgesagt, daß Sie wenig oder gar keine Kenntnis von solchen Vorhaben wie der Besetzung des Rheinlandes oder dem Anschluß des Sudetenlandes hatten. Ist das richtig?

VON RUNDSTEDT: Über die Besetzung des Rheinlandes habe ich nichts erfahren; über die Besetzung des Sudetenlandes im Jahre 1939 habe ich ebenfalls nichts erfahren. Ich war damals in der Inaktivität.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Was war die höchste Stellung, die Sie im Militärdienst in der Zeit von 1933 bis zum Ausbruch des Krieges 1939 innehatten?


VON RUNDSTEDT: Wie ich vorher schon berichtete, war ich vom 1. Oktober 1932 bis zum 31. Oktober 1938 Oberbefehlshaber der Gruppe I in Berlin und ging dann in die Verabschiedung.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sie waren daher in dieser Zeit vor Ausbruch des Krieges, während der Sie diese Dienststellung innehatten, und keine oder nur wenige Informationen über die Vorgänge erhielten, nicht Mitglied der angeklagten Gruppe, wie sie in der Anklageschrift definiert ist?


VON RUNDSTEDT: Nein, ich war nicht Mitglied dieser Gruppe.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und während der Zeit der Invasion in Norwegen waren Sie auf einem anderen Kriegsschauplatz tätig, nicht wahr?


VON RUNDSTEDT: Während dieser Zeit, als die Norwegenunternehmung begann, war ich Oberbefehlshaber der Heeresgruppe A und stand in Koblenz im Westen.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Auf jeden Fall war die norwegische Invasion nicht eine Angelegenheit des OKH, sondern des OKW?


VON RUNDSTEDT: Darüber kann ich keine Auskunft geben, ob es eine Marineangelegenheit oder eine OKW-Angelegenheit war.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Nun, im allgemeinen war es vor dem Krieg doch so, daß es den Generalen selbst überlassen war, sich um die Ausbildungsübungen verhältnismäßig kleiner Einheiten zu kümmern. Ist das eine treffende Zusammenfassung Ihrer Aussage vor der Kommission?

VON RUNDSTEDT: Das ist wohl ein Mißverständnis. Die kleinen Übungen waren Sache der Divisionskommandeure und Kommandierenden Generale, und erst der Generaloberst von Fritsch [43] hat die Oberbefehlshaber gebeten, sich auch einmal um die Kleinigkeiten zu kümmern.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sie sagen, daß jedenfalls während dieser Zeit, in der sich die Grenzen Deutschlands schnell erweiterten, die militärische Führung das Problem der Verteidigung an erster Stelle im Sinn gehabt habe. Nicht wahr?


VON RUNDSTEDT: Das habe ich nicht ganz verstanden. Die Grenzen Deutschlands hatten sich doch nicht erweitert, sondern erst im Jahre 1938 durch das Sudetenunternehmen und bis zu diesem...


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich meine von der Zeit des Anschlusses bis zum Ausbruch des Krieges mit Polen?


VON RUNDSTEDT: Jawohl.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und Sie sagten heute morgen, daß die Übungen, die damals abgehalten wurden, defensive Manöver waren, nicht wahr?


VON RUNDSTEDT: Ich habe ja keine Übungen mehr abgehalten. Ich bin ja nach dem Sudetenkrieg 1938 in Pension gegangen. Ob und welche Übungen 1939 stattgefunden haben, das weiß ich nicht.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sie sprachen heute morgen von Vorkriegsmanövern vor 1939, und wenn ich Sie recht verstand, nannten Sie diese Manöver einfach Verteidigungsübungen?


VON RUNDSTEDT: Ja, das waren die Manöver 1936 und 1937. Das letztere Manöver führte ich selbst als Armeeführer einer Partei dort oben in Pommern gegen einen feindlichen Angriff auf Deutschland.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Bezeichnen Sie auch das als Verteidigungsmaßnahme, daß bei Guernica in Spanien Übungen mit Stukas und anderen Waffen durchgeführt wurden?


VON RUNDSTEDT: Darüber kann ich keine Auskunft geben. Nachdem die Aufrüstung im Jahre 1935 oder 1936 beschlossen war, sind meines Erachtens bei der Luftwaffe wohl auch Stukas eingeführt worden. Das weiß ich nicht. Jedenfalls war zu diesem Zeitpunkt nach meinem Gefühl jede Waffe berechtigt innerhalb dieses neuaufgerüsteten Heeres.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Nun wollen wir auf einen anderen Punkt übergehen. Sie haben uns erklärt, daß die deutschen Offiziere von der Politik strengstens ferngehalten wurden.


VON RUNDSTEDT: Jawohl.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Stimmt es, daß diese Politik sehr eng mit dem Namen des Generals von Seeckt verbunden ist?


[44] VON RUNDSTEDT: General von Seeckt hat in der Reichswehr auf das allerschärfste darauf gehalten, daß sich kein Offizier mit Politik befaßte. Was er selber politisch getan hat, das steht auf einem anderen Blatt. Darüber kann ich nicht Auskunft geben.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Habe ich nicht recht, wenn ich sage, daß General von Seeckt aus dem Grund bestrebt war, die Reichswehr von Politik fernzuhalten, weil der Kapp-Putsch gerade zur Zeit seines Dienstantrittes stattgefunden hatte?


VON RUNDSTEDT: Das glaube ich nicht. Es ist eine uralte preußische Tradition, daß der Offizier sich um Politik nicht zu kümmern hat, und der Generaloberst von Seeckt hat in der loyalsten Weise sowohl nach rechts, wie beim Kapp-Putsch, als auch nach links, siehe Kommunistenaufstand im Ruhrgebiet, verfassungsgemäß die Regierung von Weimar unterstützt. Das war unsere allgemeine Auffassung.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich bezweifle keineswegs, daß das vollkommen wahr ist; aber ich muß Ihnen vorhalten, daß diese ganze preußische Politik deshalb von Seeckt eingehalten und gefordert wurde, weil er auf Grund des Kapp-Putsches erkannt hat, wie wichtig es war, die Armee von einer Verstrickung mit inkompetenten Politikern fernzuhalten.


VON RUNDSTEDT: Das ist vollständig auch meine Auffassung, um so mehr, als der Hitler-Putsch im Jahre 1923 die Armee in eine sehr schwierige Lage gebracht hatte, weil die bayerische Division anfing, sich von Seeckt loszusagen.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Nun, der Kapp-Putsch mißlang also, nicht wahr? Er versuchte, die Republik niederzuschlagen, jedoch ohne Erfolg.


VON RUNDSTEDT: Nein, Seeckt hat niemals versucht, die Republik niederzuschlagen.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich sagte Kapp.


VON RUNDSTEDT: Pardon, da habe ich mißverstanden.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich wiederhole noch einmal: Das Unternehmen Kapp mißlang, nicht wahr? Er versuchte erfolglos, die Republik niederzuschlagen?


VON RUNDSTEDT: Kapp war ein Mißerfolg, und es war ein sehr törichter Putsch; er konnte niemals gelingen.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Aber nach 1933 oder 1934 war Hitler kein Mißerfolg, nicht wahr?


VON RUNDSTEDT: Ich muß feststellen, daß Hitler unter der Regierung Hindenburgs auf legalem Wege durch die Mehrheit des Volkes als stärkster Parteiführer in die Regierung berufen wurde, [45] auf vollständig demokratisch-verfassungsmäßigem Wege und nicht auf dem Wege eines Putsches.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich befasse mich augenblicklich nicht mit Formen von Demokratie oder ähnlichem. Ich habe Sie nur gefragt, ob es nach 1933/1934 klar war, daß Hitler kein Mißerfolg war. Er hatte doch ziemlichen Erfolg, nicht wahr?


VON RUNDSTEDT: Er hatte die Mehrheit des Volkes hinter sich.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Das ist ein Aufstieg zum Erfolg, den wir nur nebenbei streifen wollen. Generaloberst Reinhardt hat ausgesagt, daß es keinen einzigen Offizier gab, der Hitler bei seinen außergewöhnlichen Erfolgen nicht unterstützte. Stimmen Sie mit ihm darin überein?


VON RUNDSTEDT: Nein.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Feldmarschall von Blomberg hat gesagt, daß Sie und Ihre Kollegen im Heer damals keinen Grund hatten, sich Hitler zu widersetzen, weil er das erreichte, was Sie wünschten. Stimmen Sie auch in diesem Punkt nicht mit ihm überein?


VON RUNDSTEDT: Das stimmt in dieser Auffassung nicht. Wir haben unsere Pflicht getan, weil Hitler von Hindenburg auf legalem Wege berufen wurde und nach seinem Tode einheitlich als Führer in Erscheinung trat auf Grund des Testaments.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Die Antwort ist also: Nein. Sie stimmen also mit dem Feldmarschall Blomberg nicht überein?


VON RUNDSTEDT: Nein. Ich bin mit Feldmarschall von Blomberg nie einverstanden gewesen.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Waren Sie jemals mit Generaloberst Blaskowitz einverstanden?

VON RUNDSTEDT: Wie soll ich das verstehen? Er ist mein Untergebener gewesen; aber ich kann das, was er in den Affidavits gesagt hat, in dieser Form nicht hinnehmen,


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Nun, ich möchte Ihnen nur die Tatsache vorhalten, daß, als Hitlers Macht gesichert war und keine Gefahr mehr bestand, daß er ein Mißerfolg würde, die unpolitischen Gegner zu verschwinden begannen?


VON RUNDSTEDT: Nein; wir sind immer unpolitisch geblieben. Es gab natürlich aktive Nationalsozialisten, wie Reichenau und Blomberg, in der Armee. Die große Masse war politisch absolut gleichgültig.


[46] FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Es ist doch sicherlich allgemein bekannt, daß Hitlers Politik mit dem, was Sie und Ihre Kollegen allgemein anstrebten, nach 1933 viel gemeinsam hatte?


VON RUNDSTEDT: Jawohl. Wir haben also die Gleichberechtigung, die Hitler anstrebte und auch schließlich erreichte, begrüßt, und was an der nationalsozialistischen, Bewegung Gutes war, wie ich schon mal hervorhob, zum großen Teil altpreußisches Gedankengut, haben wir auch begrüßt. Die Ausschreitungen, wie ich vorhin erwähnen durfte, haben wir alle, wenigstens wir Älteren alle, mißbilligt.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Wenn Sie sagen, daß einiges gut war an den nationalsozialistischen Ideen und daß dies von der alten preußischen Tradition übernommen worden ist, meinen Sie nicht damit, daß Sie es begrüßten, daß Hitler die alte preußische Politik der nationalen Expansion wieder aufnahm?


VON RUNDSTEDT: Das hatte mit Politik an sich wenig zu tun. Es waren die Grundsätze: Die Sorge für den Arbeiter, wie schon unter Bismarck, soziale Fürsorge, wie Gemeinnutz geht vor Eigennutz; derartige Sachen, das verstand ich darunter.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Haben Sie und Ihre Kameraden, die an der Spitze des Heeres standen, vor dem Krieg jemals die Frage der Neutralität Belgiens erörtert, um ein Beispiel zu nennen?


VON RUNDSTEDT: Meines Wissens nicht. An Belgien haben wir nie gedacht. Wir haben immer geglaubt, wie ich vorhin schon sagte, daß Polen eines Tages Deutschland überfallen würde.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sagten Sie nicht vor der Kommission, daß Sie mehrfach Unterhaltungen über die Neutralität Belgiens hatten?


VON RUNDSTEDT: Nein, das muß ein Irrtum sein. Ich habe bloß auf die Frage des amerikanischen An klagevertreters damals gesagt, daß wir einen Durchmarsch durch Belgien in das Ruhrgebiet für möglich hielten.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich habe hier eine Abschrift des Protokolls Ihrer Aussage vor der Kommission. Ich brauche nur einen Satz daraus zu verlesen, der auf Seite 1352 des englischen Protokolls steht. Zufolge des Protokolls, das ich hier habe, sagten Sie, »daß die Ansichten über die Neutralität Belgiens und der Niederlande in höheren militärischen Kreisen stark umstritten waren«. Alles, was ich Sie diesbezüglich fragen wollte, ist, ob die Diskussion dieser Frage nicht eine politische Diskussion war?


VON RUNDSTEDT: Das darf ich dahin richtigstellen, daß diese Ausführungen vor der Kommission gemacht worden sind für das Jahr 1939, als wir im Westen aufmarschiert waren und nun die [47] Frage entstand, bleibt Holland und Belgien neutral oder nicht? In diesem Zusammenhang ist damals auch meine Antwort erteilt worden.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sehr gut. Sie haben auch erklärt, daß Sie den totalitären Nazi-Ideen entgegentraten oder sie bekämpften, stimmt das?


VON RUNDSTEDT: Darf ich das noch einmal wiederholt bekommen, die Frage?


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sie haben auch gesagt, glaube ich, daß Sie den totalitären Nazi-Ideen entgegentraten.


VON RUNDSTEDT: Widerstand leisten konnten wir ja nicht; ich lehnte sie ab wie so viele meiner Kameraden.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: War das nicht eine politische Einstellung, ein politischer Standpunkt?


VON RUNDSTEDT: Einen politischen Standpunkt kann jeder für sich einnehmen; aber ich darf mich nach außen hin nicht politisch betätigen; das verstehe ich unter politischem Standpunkt.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Dann hat also nach Ihrer Meinung ein Soldat politische Ansichten, darf sie aber nicht äußern. Ist das so richtig?


VON RUNDSTEDT: Ja, das mag zutreffen. Man konnte natürlich mit einem guten Freunde über derartige Fragen diskutieren oder sprechen, aber niemals eine Art Versammlung oder ein Gremium zusammenrufen, um darin politische Fragen zu diskutieren.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich möchte jetzt weitergehen zum Ende der dreißiger Jahre. Wenn Sie sagen, daß alle Generale – ich habe den genauen Wortlaut vergessen, aber Sie sagten zumindest: die meisten Generale – die alte unpolitische Haltung beibehielten, so möchte ich Ihnen ein Dokument zeigen. Euer Lordschaft, es ist 4060-PS und wird Beweisstück US-928. Es ist die Disposition zu einem Vortrag, den General Reinecke im Herbst 1938 vor einigen in der Ausbildung begriffenen Militärs zu halten beabsichtigte. General Reinecke hatte eine sehr hohe Stellung im deutschen Heer, nicht wahr?


VON RUNDSTEDT: Er war zuletzt oberster Vorsitzender dieser nationalsozialistischen Führungsschulung; in der Zeit um 1938 muß er noch ein kleiner Stabsoffizier gewesen sein, ein niedriger Stabsoffizier.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Was meinen Sie, wenn Sie sagen: kleiner Stabsoffizier? In der Mitte des Krieges war er jedenfalls einer der wenigen Leute, die Keitel direkt unterstanden, nicht wahr?


[48] VON RUNDSTEDT: Darüber kann ich keine Auskunft geben. Ich habe General Reinecke...


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Damals war er jedenfalls schon Oberst; sehen Sie bitte Seite 2 an.


VON RUNDSTEDT: Jawohl.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Demnach war er ein sehr hoher Offizier.


VON RUNDSTEDT: Ja. Aber immerhin ein jüngerer Offizier. Über dieses ganze Gebiet kann ich nichts aussagen; ich habe damit niemals etwas zu tun gehabt. Wie ich erwähnte, war ich im November 1938 nicht mehr im Dienst, kann also über diese Kurse, die der Reinecke abgehalten hat, keinerlei Auskunft geben.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich will nur, daß Sie bestimmte Stellen in diesem Dokument ansehen, die ich Ihnen angeben werde. Aus denen geht meines Erachtens hervor, daß die extrem unpolitische Haltung der Generale damals nicht aufrechterhalten wurde?


VON RUNDSTEDT: Das wird insoweit zutreffen, als Hitler ja alles versuchte, die Wehrmacht überhaupt nationalsozialistisch...


VORSITZENDER: Herr Calvacoressi! Der Zeuge hat gesagt, daß er zu jener Zeit schon im Ruhestand war und daß er das Dokument nie gesehen hat. Sie können es vorlegen, wenn es ein neues Dokument ist.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Soll ich es jetzt lesen, oder ist es besser, wenn ich es am Ende des Kreuzverhörs vorlese?

VORSITZENDER: Ich glaube, wir können uns das Dokument selbst ansehen.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Wie es der Gerichtshof wünscht. Euer Lordschaft! Ich habe hier noch ein anderes Dokument, das den gleichen Gegenstand behandelt, das ich auch zu dieser Sache vorlegen möchte. Es ist dies Dokument 4065-PS und wird Beweisstück US-929.


VORSITZENDER: Wie lautet die PS-Nummer?


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: 4065, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Nun, Herr Feldmarschall! Ich möchte gern einige Fragen über die Wiederaufrüstung Deutschlands an Sie richten. Sie haben uns erzählt, daß diese rein defensiv war. Halten Sie das aufrecht?

VON RUNDSTEDT: Ich habe vorhin gesagt, daß die Maßnahmen gegen Polen, die in dem Affidavit Blombergs erwähnt waren, rein [49] defensiver Natur waren. Nach der Aufrüstung auf 36 Divisionen war das deutsche Heer allein überhaupt noch zu schwach, um einen Angriffskrieg gegen Polen zu führen, geschweige denn gegen einen westlichen und östlichen Nachbarn. Ich halte also diese Ansicht aufrecht, daß es sich um eine defensive Maßnahme handelte. Wenn Hitler einen Angriffskrieg vorgehabt hätte, dann hätte er mindestens das drei- bis vierfache dieser Divisionen haben müssen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Gut, wenn Sie sich selbst verteidigen, dann müssen Sie sich doch gegen jemanden verteidigen, und vor der Kommission haben Sie gesagt, daß Sie unter anderem Defensivmaßnahmen gegenüber Litauen getroffen haben.


VON RUNDSTEDT: Jawohl.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Verlangen Sie vom Gerichtshof, daß er Ihnen glauben soll, daß Sie wirklich um die Verteidigung Deutschlands gegenüber Litauen besorgt waren?


VON RUNDSTEDT: Darf ich antworten? Ich habe das damals angeführt als Grundlage für die verschiedenen Kriegsspiele. Durch Litauen war die isolierte Provinz Ostpreußen bedroht, weil wir damals dort nur mit einer Division, später wieder mit drei, standen. Die Polen und die Tschechen zusammengenommen waren wohl in der Lage, das ganze Ostdeutschland anzugreifen und zu besetzen, ganz zu schweigen davon, wenn im Westen die Franzosen über den Rhein vorgegangen wären. Das waren die Ausführungen, die ich machte, die unseren Kriegsspielen zugrunde lagen: Wie wehrt man sich gegen eine derartige Invasion von Ost und West oder von Ost allein und West allein.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ja, das haben wir schon gehört. Sie haben zwar niemals irgendwie mit General von Blomberg übereingestimmt, aber ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß Feldmarschall von Blomberg, der damals übrigens auch Kriegsminister und Oberbefehlshaber war, im Juni 1937 eine Verfügung erließ, in der er sagte, daß Deutschland von keiner Seite mit einem Angriff zu rechnen habe. Diese Verfügung ist als Beweisstück vorgelegt. Es ist ein Zitat aus dem Dokument C-175, US-69. Nun sagten Sie, daß Sie dachten, Deutschland würde ohne einen Krieg vorgehen. War Ihre Ansicht, daß Hitler zu schnell aufrüstete?


VON RUNDSTEDT: Nein, im Gegenteil.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Er rüstete also nicht schnell genug auf?


VOM RUNDSTEDT: Er rüstete zu schnell auf. Das war ja das, was er auch dem General von Fritsch und dem General von Blomberg vorwarf, daß sie diese zu schnelle Aufrüstung gebremst hätten. [50] Auf demselben Standpunkt standen auch viele Divisions-Kommandeure. Wir hatten gar nicht die ausgebildeten Reserven und konnten dieses Tempo der Aufrüstung gar nicht mithalten.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Dann kann man wohl sagen, daß Hitlers Methoden der Grund waren, weshalb Sie in dieser Angelegenheit dagegen waren?


VON RUNDSTEDT: Das verstehe ich nicht. Ich verstehe nicht, wie das gemeint ist.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Welche Ziele hofften Sie und Ihre Kollegen durch Hitler in der Frage der Wiederaufrüstung zu erreichen, wenn nicht durch die Methoden, die Hitler selbst anwandte?


VON RUNDSTEDT: Das Ziel selbst, das mit der Aufrüstung erreicht werden sollte, war ja nur eine Aufrüstung, um gegen einen Angriffskrieg, besonders aus dem Osten, gerüstet zu sein, was früher ja schon in der Regierung Stresemann auf friedlichem Wege über Genf versucht worden war. Was ich über das Tempo der Aufrüstung sagte, so bezog sich das auf die Frage meines Verteidigers, ob Hitler sich gegen die Generale jemals abfällig geäußert hätte. Ich selber habe über die Aufrüstung mit Hitler nicht gesprochen von meinem Standpunkt aus.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sie wußten doch aus Zeitungsnachrichten, daß Hitler eine, ich möchte es diplomatische Offensive nennen, ergriff?


VON RUNDSTEDT: Ich weiß nicht, wie das gemeint ist. Er hat eine diplomatische Offensive damals in München und in Godesberg inszeniert. Ist das damit gemeint, wenn ich fragen darf?


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich möchte mich ein wenig anders ausdrücken. War es nicht für jeden vernünftig denkenden Staatsbürger klar, daß eine starke militärische Maschine ein wesentlicher Bestandteil von Hitlers allgemeiner Außenpolitik war?


VON RUNDSTEDT: Das war insofern durchaus klar, als mit dieser Maschine, die Hitler geschaffen hat, sich Deutschland viel sicherer fühlen konnte gegen einen Angriff von außen her. Und was auf friedlichem Wege über Genf nicht geglückt war, hat Hitler mit einem Federstrich aus sich heraus geschaffen. Das ist die Aufrüstung. Aber ich betone nochmals, für einen Angriffskrieg, selbst gegen Polen, waren diese kümmerlichen 36 Divisionen viel zu schwach.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Nun, ist es Ihre Meinung, daß Schuschnigg eingelenkt und Hitler nachgegeben hätte, wenn er nicht gewußt hätte, daß Hitler eine starke militärische Maschine hatte?


[51] VON RUNDSTEDT: Das glaube ich nicht...


DR. LATERNSER: Ich widerspreche dieser Frage. Sie ist nicht zulässig, da der Zeuge ja nicht wissen kann, was Schuschnigg in dem Augenblick gedacht hat. Ich beantrage die Streichung dieser Frage.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Euer Lordschaft! Ich dachte, das wäre eine Frage allgemeiner Kenntnis, und jeder hat diese Angelegenheit damals diskutiert. Ich frage nicht, was Schuschnigg gedacht, sondern ich frage, ob seiner Ansicht nach Hitler ohne starkes Heer hätte erreichen können, was er tatsächlich erreicht hat. Er kann diese Frage beantworten.


VORSITZENDER: Darüber kann das Gericht sich vielleicht allein ein Urteil bilden.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Wie es Ihnen recht ist. Ich möchte keineswegs Dinge besprechen, die schon ausreichend behandelt worden sind. Aber ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die Angelegenheit lenken, die natürlich in Verbindung mit diesem speziellen Teil des Falles noch nicht behandelt worden ist. Herr Vorsitzender! Wenn der Gerichtshof in diesem Punkt seine Erinnerung auffrischen will, möchte ich auf den Teil des Gerichtsprotokolls verweisen, wo der Angeklagte Ribbentrop in der Nachmittagssitzung vom 1. April 1946, (Band X, Seite 372 ff.) über diese Angelegenheit ins Kreuzverhör genommen wurde.


VON RUNDSTEDT: Ich bin gern bereit, die Frage zu beantworten.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich glaube nicht, Zeuge, daß der Gerichtshof noch mehr über diesen Punkt zu hören wünscht.

Die letzte Frage, die ich jetzt behandeln will, ist die Frage der Kriegführung. Sie kennen doch den Kommandobefehl – wir brauchen ihn daher nicht nochmals zu lesen – und Sie haben heute gesagt, daß er in Ihrem Gebiet, solange Sie im Westen waren, niemals durchgeführt worden ist.


VON RUNDSTEDT: Jawohl.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und Sie haben dem OKW im Jahre 1944 gemeldet, daß er ausgeführt wurde?


VON RUNDSTEDT: Jawohl.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Wollen Sie bitte nun mit Bestimmtheit erklären, welche von diesen beiden Erklärungen wahr ist, da doch nicht beide wahr sein können.


VON RUNDSTEDT: Sie widersprechen sich nicht. Ich habe dem Herrn Verteidiger gesagt, der Kommandobefehl ist von uns nicht ausgeführt worden, also stillschweigend unwirksam gemacht. Da er [52] aber von Hitler aus an die Armeen gegangen war, im Wehrmachtsbericht bekanntgegeben war, hätte man damals vielleicht sagen müssen: Nein, den Befehl führe ich nicht aus und hätte sich dann wegjagen lassen können oder sonst etwas. Nun haben wir ihn nicht ausgeführt, und als ich die Aufhebung beantragte, habe ich in Ziffer I geschrieben: »Es ist dementsprechend gehandelt worden.« Das war eine – ich will mal ganz offen sagen – eine gewisse Unaufrichtigkeit liegt darin. Ich habe gesagt, warum ich das gesagt habe und kann etwas anderes dazu nicht erklären. Jedenfalls bitte ich, mir zu glauben, daß er nicht ausgeführt worden ist.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ob er ausgeführt worden ist oder nicht, so besteht jedenfalls kein Zweifel, daß er auf dem ordentlichen Heeresdienstweg erteilt worden ist und, wie auch die richtige Zahl der Leute sein mag, die auf Grund dieses rechtswidrigen Befehls ihr Leben lassen mußten, so ist es doch wohl klar, nicht wahr, daß schon die Erteilung dieses Befehls auf dem regulären Heeresdienstweg der Beweis dafür ist, daß bei der militärischen Führung Deutschlands etwas nicht in Ordnung war, etwas faul war?


VON RUNDSTEDT: Im Westen ist nicht eine Person auf Grund des Kommandobefehls ums Leben gekommen.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Der deutsche Soldat ist doch bekannt für seine Disziplin, nicht wahr?


VON RUNDSTEDT: Jawohl.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und Sie wollen doch vermutlich nicht behaupten, daß er eher Ausschreitungen begeht als ein anderer Soldat?


VON RUNDSTEDT: Das ist auch in diesem Fall gar nicht geschehen. Ich sage nochmals, im Westen ist kein Mensch auf Grund des Kommandobefehls getötet worden.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Gut, ich möchte damit also diesen Kommandobefehl verlassen. Im allgemeinen möchte ich sagen, daß wir annehmen können, daß der deutsche Soldat normalerweise ein gut disziplinierter Soldat ist, der sich anständig benimmt; nun, wenn er aber mit unnötiger Brutalität vorgeht, würden Sie dann nicht nach einem ungewöhnlichen äußeren Grund dafür suchen?

VON RUNDSTEDT: In meinem Befehlsbereich sind keine Brutalitäten vorgekommen.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Wenn also so etwas vorgekommen ist, so müßten Sie doch nach einem Grund dafür suchen, nicht wahr?


VON RUNDSTEDT: Wenn der Kommandobefehl an anderer Stelle, auf einem anderen Kriegsschauplatz ausgeführt worden ist, so hat der betreffende Befehlshaber oder die betreffende Truppe in [53] Ausführung der Hitler-Befehle gehandelt, von denen er annehmen mußte, daß sie völkerrechtlich begründet seien.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich habe schon gesagt, daß wir jetzt nicht mehr über den Kommandobefehl sprechen. Ich will Ihnen vorhalten, daß, wenn der deutsche Soldat sich im besetzten Gebiet schlecht aufgeführt hat, ein logischer Grund hierfür der wäre, daß er weiß, daß seine Befehlshaber gegenüber den Leiden der Bevölkerung rücksichtslose Mißachtung und Gleichgültigkeit an den Tag legten.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hält die gestellte Frage für zu hypothetisch.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sehr wohl, Euer Lordschaft!

Sie befehligten doch im Herbst 1941 die Heeresgruppe Süd in Rußland, nicht wahr?

VON RUNDSTEDT: Die Heeresgruppe Süd.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und einer der Ihnen unterstellten Befehlshaber war Generalfeldmarschall von Reichenau, nicht wahr?


VON RUNDSTEDT: Jawohl.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und Sie haben doch zweifellos oft von dem Befehl gehört, den Feldmarschall von Reichenau der 6. Armee erteilt hat darüber, wie sie sich in Rußland zu verhalten hätte?


VON RUNDSTEDT: Darüber habe ich niemals mit ihm gesprochen, und ich erinnere mich auch nicht, daß ich diesen Befehl gekannt habe, ehe ich in England war und mein Stabschef davon sprach. Der Reichenau hat vielfach Befehle gegeben, die die Heeresgruppe niemals bekam und die sie auch gar nichts angingen. Also, diesen sogenannten Härtebefehl erinnere ich mich nicht gesehen zu haben. Ich streite nicht ab, daß er auf irgendeinem Wege auch in meine Heeresgruppe, in das Büro, hereingekommen ist. Jedenfalls kann sich mein damaliger erster Generalstabsoffizier, der hier auch in Nürnberg sitzt, nicht erinnern, daß wir diesen Befehl zur Kenntnis bekommen haben. Daß man den Befehl nicht billigt, ist ganz selbstverständlich, vor allen Dingen, weil er im Widerspruch steht zu dem klaren Befehl...


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Einen Augenblick bitte. Ich fragte nur, ob Sie gewußt haben, daß es einen solchen Befehl gegeben hat, und ich entnehme Ihrer Aussage, daß Sie es jetzt wissen. Behaupten Sie, daß Reichenau in dieser Beziehung eine Ausnahme bildete?


[54] VON RUNDSTEDT: Richtig. Das nehme ich bei der ganzen Einstellung von Reichenaus und seiner Sinnes- und Charakterart an. General von Manstein, General von Kleist, General von Schobert, General von Stülpnagel hätten niemals einen derartigen Befehl von sich aus erlassen, zumal – darf ich fortfahren – General von Brauchitsch streng befohlen hatte, daß die Kriegführung im Osten auf absolut soldatischer, vorschriftsmäßiger Grundlage zu beruhen habe.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sehen Sie, gestern haben wir als Beweisstück einen Befehl Mansteins vorgelegt, der dem »Rundstedt«-Befehl auffallend ähnlich war.


VON RUNDSTEDT: Pardon, dem »Reichenau«-Befehl?


VORSITZENDER: Sie sagten »Rundstedt«-Befehl.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Ich bitte um Entschuldigung, Euer Lordschaft.


[Zum Zeugen gewandt:]


Nun, Sie befehligten drei oder vier Armeen in der Heeresgruppe Süd?

VON RUNDSTEDT: Ich hatte vier Armeen unter mir und außerdem noch die Rumänen.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und von diesen vier Armeen, die vor so vielen Jahren so weit weg gekämpft haben, haben wir derartige Befehle von zweien gefunden. Ich halte Ihnen vor, daß jeder Soldat der 6. oder 11. Armee, der diesen Befehl erhielt, mit Recht annehmen konnte, daß sein Oberbefehlshaber Ausschreitungen begünstigte oder sie wenigstens zuließ. Und nur um Ihnen zu zeigen, daß sich das nicht etwa nur auf eine Heeresgruppe oder nicht einmal auf eine Front beschränkte, möchte ich Ihnen diesen Funkspruch, Dokument 4067-PS, zeigen. Das Dokument erhält die Beweisstücknummer US-930.

Euer Lordschaft! Ich halte es für richtig, dieses Dokument hier vorzulegen. Ich behaupte nicht, daß der Zeuge persönlich etwas damit zu tun hat. Es ist ein Funkspruch, der im Juni 1942 an die Panzerarmee Afrika ging und ich möchte ihn, da er ganz kurz ist, vollständig verlesen:

»Pz.Armee Afrika über Dt.Gen.b. Oberkommando der italienischen Wehrmacht, Rom. – Nachr.: OKH/Gen. Quartiermeister – Nachr.: Gen.z.b.V. bei OKH – Nachr. Ob.dL./Gen. Quartiermeister – Nachr.: OKW/WR – Geheime Kommandosache – Chefsache, Nur durch Offizier –

Nach vorliegenden Meldungen sollen sich bei den freien französischen Verbänden in Afrika zahlreiche deutsche politische Flüchtlinge befinden. Der Führer hat angeordnet, daß gegen diese mit äußerster Schärfe vorzugehen ist. Sie sind daher im Kampf schonungslos zu erledigen. Wo das nicht[55] geschehen ist, sind sie nachträglich auf Befehl des nächsten deutschen Offiziers sofort und ohne weiteres zu erschießen, soweit sie nicht vorübergehend zur Gewinnung von Nachrichten zeitweilig zurückbehalten werden sollen. Schriftliche Weitergabe dieses Befehls ist verboten. Die Kommandeure sind mündlich zu unterrichten.«

Er ist nicht gezeichnet.

Sie sehen also, wer immer auch diesen Befehl ausgegeben haben mag, er war sich dessen bewußt, daß er ein Verbrechen beinhaltete. Das ist klar ersichtlich aus den letzten zwei Sätzen.

»Der Führer hat angeordnet, daß gegen diese mit äußerster Schärfe vorzugehen ist.«

Der Befehl, den die Armee weitergab, lautet zu töten. Erinnern Sie sich an den Tod des Feldmarschalls Rommel?

VON RUNDSTEDT: Jawohl.

FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Und damals wurde allgemein vermutet, daß Rommel unter verdächtigen Umständen starb?


VON RUNDSTEDT: Nein, diese Gerüchte habe ich nicht gehört. Ich hätte mich sonst auch dagegen gewehrt, als Vertreter des Führers bei dem Staatsbegräbnis für Rommel zu fungieren; das wäre eine Niederträchtigkeit erster Klasse gewesen. Ich habe von den Gerüchten erst gehört nach meiner Gefangennahme aus amerikanischen Zeitungen, wonach der junge Sohn Rommels diese Aussage gemacht haben soll, sein Vater hätte Gift genommen, um nicht aufgehängt zu werden.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Sie hatten also während dieser ganzen Monate von Bommels Tod bis zum Ende des Krieges nie gehört, daß man allgemein sagte, Rommel sei »erledigt worden«?


VON RUNDSTEDT: Nein, es wurde nur gesagt, daß er im Verdacht gestanden hätte.


FREGATTENKAPITÄN CALVACORESSI: Euer Lordschaft! Ich habe keine weiteren Fragen mehr.


VORSITZENDER: Wünscht noch jemand ein Kreuzverhör?

Dr. Laternser, bitte.


DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Sie sind gefragt worden zu dem Affidavit Nummer 4, ausgestellt von Feldmarschall von Brauchitsch, US-535. Es wurde von der Anklagebehörde Wert auf die Feststellung gelegt, daß, wie im Affidavit angeführt ist, auf diesem Wege – gemeint sind persönliche Besuche der Oberbefehlshaber – der Oberbefehlshaber in der Lage gewesen sei, den Rat der ihm unterstellten Oberbefehlshaber einzuholen. Wie war dieser [56] Rat beschaffen, auf welchem Gebiet konnte er gegeben werden und auf welche Weise?


VON RUNDSTEDT: Die Sache war sehr einfach. Ich darf vielleicht zurückgehen: Wenn ich ein Regimentskommandeur bin und meinem Bataillonskommandeur eine Aufgabe stelle: »Sie greifen mit Ihrem Bataillon dieses Dorf an«, dann komme ich zu ihm und frage ihn: »Wie wollen Sie das machen?« Darauf erzählt er mir: »Die und die Absicht habe ich, und wenn ich Herrn Oberst vorschlagen dürfte, dann möchte ich doch lieber etwas mehr links gehen, wo das Gelände besser ist, oder etwas mehr rechts.«

Genau in das Große übertragen, kommt der Oberbefehlshaber des Heeres zu mir als Heeresgruppenbefehlshaber und sagt: »Herr von Rundstedt! Wie wollen Sie die Ihnen übertragene Aufgabe lösen?« Da sage ich: »Herr Generaloberst, so und so, und wenn ich mir den Vorschlag erlauben darf, vielleicht geben Sie mir noch eine Division mehr.« Das ist das einzige; das ist eine Art kameradschaftlicher Aussprache. Ich werde aber niemals als Oberbefehlshaber dem Oberbefehlshaber des Heeres sagen: »Herr Generaloberst, was Sie machen, ist falsch, machen Sie es ganz anders.« Ist das verständlich, wie ich das ausgeführt habe?


DR. LATERNSER: Ich glaube ja; es handelt sich also um eine Besprechung über die Lösung des Teilauftrages, den der Beauftragte militärisch bekommen hat?


VON RUNDSTEDT: Also nicht um die Besprechung beim Oberbefehlshaber, »ob« man es tun soll, sondern in beschränktem Umfange, »wie« man es tun soll und wie man es am besten tun kann. Manchmal hat nämlich der Untergebene eine ganz kluge Idee, die der Vorgesetzte dankbar entgegennimmt. Das ist bei Hitler allerdings hoffnungslos gewesen.


DR. LATERNSER: Und andererseits wird es Beratungen oder Besprechungen über die Lösung eines Auftrages in jeder Armee geben?


VON RUNDSTEDT: Ich denke mir das wohl.


DR. LATERNSER: Es wurde dann weiter Bezug genommen auf das Affidavit Nummer 5 des Generaloberst Blaskowitz und in der Richtung von der Anklage Wert darauf gelegt, daß sogar die Führer von Heeresgruppen und Armeen durch Telephon, Fernschreiber oder Funk verbunden gewesen seien und dadurch in der Lage gewesen seien, Situationsberichte einzuholen. Handelt es sich da nicht um die gewöhnlichen Lagemeldungen, die jeder Truppenführer nach oben machen muß, um überhaupt eine militärische Führung zu ermöglichen?


VON RUNDSTEDT: Unbedingt. Die Lagemeldungen waren einmal morgens früh, was in der Nacht passiert war, und einmal [57] abends spät, was am Tage passiert war. Fand nun eine Kampfhandlung statt, die mein Interesse als vorgesetzter Führer besonders in Anspruch nahm, dann habe ich nicht nur einmal, sondern vielleicht dreimal am Tage fragen lassen, telephonisch oder fernschriftlich: »Wie steht es bei Ihnen? Geht es vorwärts? Geht es rückwärts? Geht es schlecht? Geht es gut?« So ist das aufzufassen.


DR. LATERNSER: Die Anklagebehörde beruft sich immer noch auf das Affidavit Nummer 5 des Generaloberst Blaskowitz, den ich aufgefordert habe, wegen dieser mißverständlichen Deutung dieses Affidavits, die es durch die Anklagebehörde bekommt, mir eine Erklärung dieses Affidavits auszustellen. Ich werde Ihnen jetzt einen Teil daraus verlesen und Sie im Anschluß daran fragen, ob das dann so richtig ist, wie Generaloberst Blaskowitz es angegeben hat. Ich zitiere:

»Die jetzige Erläuterung bezweckt eine Klarstellung der von mir in der Erklärung vom 10. November 1945 erwähnten Einschränkung: ›In ihrem Sachbereich‹. Unter dieser Einschränkung sollte die in der heutigen ergänzenden Erklärung enthaltene Darlegung zum Ausdruck gebracht werden. Von einer Beratung der Frontbefehlshaber in der Zusammensetzung einer ›Gruppe‹ oder eines tatsächlichen ›Beraterkreises‹ kann keine Rede sein. Beide Ausdrücke könnten mißverstanden werden. Sie sollten nur den Kreis kennzeichnen, aus dem die Einzelberater im eigenen Befehlsbereich von ihren Vorgesetzten gehört werden konnten.«

Entspricht mit dieser Ergänzung dann diese Erklärung dem, was ein Führer tatsächlich tun konnte?

VON RUNDSTEDT: Diese Erklärung ist damit in Ordnung und bringt dieses Mißverständnis fort, was ich niemals von Generaloberst Blaskowitz, in diesem Sinne bestehend, angenommen habe.

DR. LATERNSER: Nun wurden Sie weiter gefragt nach einem Mißverständnis, das vor Beginn des Rußlandfeldzuges zwischen Ihnen und Feldmarschall von Bock stattgefunden habe, und zwar wegen einer Aussparung infolge eines größeren Sumpfgeländes.

VON RUNDSTEDT: Das ist ein Irrtum, das war kein Mißverständnis zwischen mir und Bock. Dieser Aufmarschplan war vom Oberkommando des Heeres festgelegt, und mir als Führer der Heeresgruppe Süd war dieses Loch unsympatisch. Deswegen war ich zum Vortrag bei Hitler, wo ich ihm sagte: »Meine Heeresgruppe hat den und den Auftrag und macht das und das«, habe ich gesagt, »es wäre gut, wenn durch dieses Loch noch Truppen durchgingen.« Das war keine Differenz mit Bock, sondern ein Vorschlag zur Güte von mir, um das Loch etwas besser zu machen.


DR. LATERNSER: Haben Sie damals über die Absicht, wie Sie Ihre militärischen Aufträge zu erledigen gedachten, gemeinschaftlich, [58] also Sie und Feldmarschall von Bock, Hitler vorgetragen, oder fanden diese Vorträge nacheinander statt?


VON RUNDSTEDT: Sie fanden nacheinander statt. Erst kam Bock an die Reihe mit seinen Armeeführern und dann kam ich an die Reihe mit meinen Armeeführern. Ich weise immer wieder auf den Führerbefehl hin, daß kein Offizier von etwas anderem mehr wissen darf, wie ihn angeht. Ich durfte eigentlich gar nicht erfahren, wie Bock mit seiner Heeresgruppe operierte. Es ging mich nichts an nach dem Führerbefehl, sondern ich durfte nur wissen: Wo ist sein äußerster rechter Flügel?

DR. LATERNSER: Und das ging so weit, daß Sie sogar getrennt vortrugen?


VON RUNDSTEDT: Getrennt vortrugen. Und das ist an sich nichts Wundernehmendes; denn je mehr Leute herumstehen bei einem solchen Vortrag, desto unbequemer ist es.


DR. LATERNSER: Es ist Ihnen ein Befehl vorgelegt worden, und zwar 4067-PS, nach dem auf Befehl eines deutschen Offiziers sofort deutsche Staatsangehörige, sofern sie bei den freien französischen Verbänden in Afrika angetroffen würden, zu erschießen seien. Haben Sie jemals davon gehört...


VON RUNDSTEDT: Nein.


DR. LATERNSER:...daß dieser Befehl praktisch angewendet worden ist?


VON RUNDSTEDT: Nein; ich habe von dem ganzen Befehl nichts gewußt.


DR. LATERNSER: Sie sagten, daß Sie mit den Ansichten des Feldmarschalls von Blomberg nie einverstanden gewesen seien. Der Feldmarschall von Blomberg gibt in diesem Affidavit, das die Anklagebehörde immer wieder heranzieht, die Meinungen der, wie es dort heißt, »Gruppe deutscher Stabsoffiziere« an. Hat Feldmarschall von Blomberg nahe Beziehungen mit der ihm unterstellten Generalität gehabt?


VON RUNDSTEDT: Blomberg war uns immer etwas fremd. Er schwebte in anderen Regionen. Er war Anhänger der Steinerschen Richtung, etwas theosophisch und so weiter; es konnte ihn eigentlich niemand recht leiden. Er ist einmal sogar mein Untergebener gewesen, ehe er Kriegsminister geworden ist. Also er hatte eine Sonderstellung.


DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Sie haben aber die Frage nacht ganz beantwortet – ob Blomberg so nahe Beziehungen mit der ihm unterstellten Generalität hatte, daß er auf Grund dieser Stellung zu seinen Untergebenen deren Ansichten so treffsicher angeben kann, wie er es in dem Affidavit getan hat?


[59] VON RUNDSTEDT: Das kann ich mir nicht vorstellen.


DR. LATERNSER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Für den Fall, daß der Zeuge Professor Dr. Schreiber durch die Russische Anklagebehörde gestellt werden sollte, möchte ich – aber nur für diesen Fall – beantragen, daß zu diesem Punkt noch ein anderer Zeuge vernommen werden möchte, der über dieses Gebiet genauestens Auskunft geben könnte. Nur für diesen Fall.

VORSITZENDER: Wollen Sie uns sagen, welchen Punkt Sie meinen?


DR. LATERNSER: Die Russische Anklagebehörde hat heute im Kreuzverhör des Zeugen von Manstein eine schriftliche Erklärung über eine besondere Art der Kriegführung vorgelegt, stammend von Professor Dr. Schreiber.


VORSITZENDER: Ich weiß; aber in dieser Erklärung sind drei oder vier Punkte behandelt. Welchen meinen Sie? Es ist nicht nur ein Punkt in der Erklärung, sondern eine Anzahl von Punkten.


DR. LATERNSER: Ich würde nur darum bitten, Herr Präsident, mir für den Fall, daß dieser Zeuge kommt, Gelegenheit zu geben, ebenfalls einen Zeugen zu diesem Punkt beantragen zu dürfen. Das ist alles. Es ist nur ein eventuell gestellter Antrag.


VORSITZENDER: Sie müssen diesen. Antrag gleich stellen. Welchen Antrag stellen Sie, und wer ist der Zeuge?

DR. LATERNSER: Für den Fall, daß Professor Dr. Schreiber als Zeuge erscheint, beantrage ich, zu dem gleichen Beweisthema den General-Oberstabsarzt Dr. Handloser zu vernehmen, und zwar als Verteidigungszeugen.


VORSITZENDER: Ist der Zeuge in Nürnberg oder wo?


DR. LATERNSER: Ich kann den Aufenthaltsort nicht angeben, werde mich aber in der Zwischenzeit bemühen, ihn feststellen zu können.


VORSITZENDER: Herr Dr. Laternser! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie diesen Antrag schriftlich einbringen müssen unter genauer Angabe der Gründe, warum Sie glauben, daß dieser Arzt über die biologische Kriegführung Bescheid weiß und wo Sie ihn finden können. Damit sind Sie mit Ihren Zeugen fertig?


DR. LATERNSER: Ja.


VORSITZENDER: Dann hat der Gerichtshof nur noch den Fall der SA zu prüfen. Wollen Sie bitte Ihren Zeugen für die SA rufen.


[60] RECHTSANWALT GEORG BÖHM, VERTEIDIGER FÜR DIE SA: Im Rahmen der Beweisführung für die SA bitte ich, als ersten Zeugen den Zeugen Bock vernehmen zu dürfen.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Zeuge! Bitte geben Sie ihren vollen Namen an.

ZEUGE FRANZ BOCK: Franz Bock.


VORSITZENDER: Wollen Sie mir die folgende Eidesformel nachsprechen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

RA. BÖHM: Herr Zeuge! Wann sind Sie zur SA gekommen?


BOCK: Ich bin im Jahre 1922 zur SA gekommen.


RA. BÖHM: Und was war damals Ihr Beruf, damals?


BOCK: Mein Beruf war kaufmännischer Angestellter.


RA. BÖHM: Welche Aufgaben hatten Sie in der SA?


BOCK: Ich war vom Jahre 1922 bis 1929 SA-Mann. Vom Jahre 1929 bis 1932 hatte ich folgende Dienstgrade: Truppführer bis ungefähr 1930; Sturmführer bis 1931; und Sturmbannführer bis 1932. Als ich in dieser Zeit arbeitslos wurde, kam ich im Jahre 1932 als Sturmbannführer hauptamtlich zum SA-Gruppenstab West als Adjutant. Von dort aus kam ich im Jahre 1933 zur SA-Gruppe »Bayerische Ostmark« als Stabsführer; im Jahre 1934 wieder als Standartenführer nach Traunstein, im Jahre 1935 bis 1937 Brigadeführer, um 1937 Abteilungschef erst und später Amtschef im Stab der Obersten SA-Führung. Im Jahre 1940 leistete ich meinen Wehrdienst. Nach meinem Wehreinsatz kam ich Ende 1942 als Führer der Gruppe Niederrhein nach Düsseldorf. Dort war ich bis zum Zusammenbruch 1945.


RA. BÖHM: Sie sind also einer der ältesten SA-Führer und können uns sagen, weshalb denn eigentlich die SA geschaffen worden ist und wie sie organisiert war.


BOCK: Die SA wurde ursprünglich als eine Turn-und Sportabteilung ungefähr im Jahre 1920 gegründet; kurze Zeit später wurde sie dann zu einer sogenannten Ordnungsgruppe, zu einer Saal- und Selbstschutzorganisation. Die SA bestand damals aus jungen Idealisten und Frontsoldaten des alten Weltkrieges und war nicht besonders organisiert bis ungefähr zum Jahre 1923. Sie entstand jeweils nach den örtlichen Notwendigkeiten oder Bedürfnissen, wie sie die Partei eben verlangte.


[61] RA. BÖHM: Sie haben von einer Saal- und Selbstschutzorganisation soeben gesprochen. Was wollte man damit erreichen?


BOCK: Die Verbreitung des nationalsozialistischen Ideengutes stieß allenthalben damals gerade bei den politischen Gegnern auf harten Widerstand. Man wollte die junge Partei mit allen Mitteln bekämpfen, selbst mit den Mitteln des Terrors. Und daraus entstand dann eine Selbstschutzorganisation oder ein sogenannter Saalschutz.


RA. BÖHM: Warum propagierte die SA, daß Kampf gegen alles, was sich der Bewegung und den großen Zielen der Bewegung entgegenstellte, ihre Hauptaufgabe war?


BOCK: Jeder Selbsterhaltungstrieb erfordert Kampf. Die Verwirklichung der nationalsozialistischen Idee mit dem Ziel, einst die Macht im Staat zu erreichen, erforderte eben auch im politischen Kampf die Auseinandersetzung und den Kampf selbst. Die Mittel unseres Kampfes aber waren die geistigen Waffen, die Mundpropaganda, das gesprochene Wort, die Kundgebungen.


RA. BÖHM: Wie war die Entwicklung der SA von 1925 bis zum straffen Aufbau der SA im Jahre

1931?

BOCK: Die SA entwickelte sich im allgemeinen gerade vom Jahre 1925 an organisch mit der Entwicklung der gesamten Partei. Sie war eng mit der Partei verbunden, hatte nur einen unbedeutenden organisatorischen Aufbau und war im wesentlichen mit der Partei eng verbunden. Die Partei selbst aber war damals – und damit auch die SA – von den Machthabern des damaligen Staates anerkannt und genehmigt, genau so wie die anderen politischen Parteien, zum Beispiel das Reichsbanner oder der Rotfrontkämpferbund, die Sturmscharen, die irgendwie eben zu den jeweiligen politischen Organisationen und Parteien der damaligen Zeit gehörten.


RA. BÖHM: Welche Gründe bestanden nach Ihrer Ansicht für eine Umorganisation im Jahre 1931?


BOCK: Die Entwicklung der Partei und damit auch die Vergrößerung der SA über das ganze Reichsgebiet erforderte gerade um diese Zeit – meines Erachtens, soweit ich das noch im Gedächtnis habe – einen engen Zusammenschluß und eine entsprechende führungsmäßige Organisation und Aufgliederung der SA. Weiterhin war es dringend notwendig, daß gerade wegen der in diesen Jahren und fast in jedem Jahr stattfindenden großen Parteitage, wo die SA ja wohl der Hauptträger des Aufmarsches war, daß für diese Zwecke – für diese propagandistischen Zwecke – die SA in sich entsprechend organisiert und geschlossen aufgegliedert war.


[62] RA. BÖHM: Weshalb war die SA uniformiert, und war diese Bekleidung militärischen Funktionen angepaßt?


BOCK: Meines Erachtens hatte die SA keine Uniform in diesem Sinne, im wortwörtlichen Sinne; sondern sie hatte erst nur eine graue Windjacke, später das sogenannte Diensthemd, das Braunhemd. Die übrige Bekleidung war meist ziviler Art. Diese Uniform mußte die SA damals haben zum Unterschied gegenüber den übrigen politischen Organisationen wie das Reichsbanner; wie ich soeben schon genannt habe, irgendwelchen militärischen Charakter daraus zu schließen, halte ich für abwegig, und wir haben auch nie daran gedacht, daß diese Bekleidung militärischen Charakter haben könnte oder sollte.


RA. BÖHM: Trugen denn die Angehörigen anderer Organisationen in der damaligen Zeit irgendwelche äußere Kennzeichen, die auf ihren Zusammenschluß schließen ließen?


BOCK: Selbstverständlich. Das Reichsbanner zum Beispiel trug sehr viel ähnliche Uniformen wie wir auch in der früheren Zeit, diese graue Windjacke und eigene Mützen. Der Rotfrontkämpferbund, soweit ich mich noch entsinne, trug auch eine hemdartige Uniform, ein grünbraunes Hemd und so weiter. So sind fast sämtliche Organisationen damals fast alle auch in ihren eigenen Uniformen aufgetreten.


RA. BÖHM: Hatte die SA Waffen, und wer konnte Waffen tragen?


BOCK: Die SA durfte keine Waffen tragen, das war ausdrückliche Anordnung. Nach 1933, um die Jahreswende 1933/1934, hatte die SA den sogenannten »Ehrendolch« bekommen. Eine Pistole durfte dann später – nach der Machtübernahme – nur der SA-Führer führen, der einen entsprechenden polizeilichen Waffenschein besaß oder einen vollgültigen SA-Paß. Das Tragen der Waffen, vor allem in der Kampfzeit, wurde ja strengstens überwacht von den zuständigen Stellen der Polizei und der Staatsexekutive, und ich kann mich aus meiner Zeit, wo ich Einheiten führte, erinnern, daß wir vor jeder Versammlung und in den Versammlungen, sogar bei allen großen Aufmärschen, fast durchwegs vorher von der Polizei nach Waffen untersucht wurden und daß wir deshalb unseren Männern strikte Anweisung gaben, keine Waffen mitzunehmen, selbst auf die Gefahr hin, daß wir angegriffen wurden.


VORSITZENDER: Wir wollen eine Pause einschalten.


[Pause von 10 Minuten.]


RA. BÖHM: Herr Zeuge! Es ist Ihnen bekannt, daß SA-Angehörige im Staats- und Polizeidienst tätig waren und in diesen Fällen bewaffnet waren. Von wem wurden sie in diesen Fällen bewaffnet?

[63] BOCK: Soweit mir bekannt ist, wurden die SA-Einheiten, soweit sie für Staatsnotdienst, Polizeihilfsdienst oder als Hilfspolizei eingesetzt wurden, von der jeweils zuständigen Stelle bewaffnet und im wesentlichen auch von den entsprechenden militärischen oder polizeilichen Stellen geführt.


RA. BÖHM: Sie wissen, daß diese SA-Sondereinheiten eingerichtet waren. Sagen Sie mir bitte, welche Aufgaben hatten diese Sondereinheiten?


BOCK: Diese Sondereinheiten wurden in der SA geschaffen, um einmal den landsmannschaftlichen Eigenarten, zum Beispiel der Bevölkerung an der See und andererseits den Männern, die im Gebirge wohnten, und zweitens den technischen Fähigkeiten der SA-Männer entsprechend Raum für ihre Betätigung zu geben. Die Ausbildung in diesen Stürmen war dieselbe im allgemeinen wie in den übrigen SA-Stürmen. Nur insoweit, als diese Stürme entsprechendes Material – nehmen wir an Nachrichtenmaterial – zur Verfügung hatten oder sich das besorgen konnten, wurde der Dienst in diesen Spezialgebieten betrieben. Außerdem brauchten wir ja gerade in der früheren Zeit diese Sondereinheiten, auch technische Einheiten genannt, für unsere großen Aufmärsche, für die Kundgebungen und dergleichen, weil wir hier uns vollkommen selbständig machen konnten. Zum Beispiel bei der Durchführung eines großen Parteitages in Nürnberg war es unbedingt notwendig, um 100000 Mann entsprechend führen, leiten und im Lager halten zu können, daß wir Nachrichtenmittel und Pioniermittel haben, um diese Einrichtungen für den Parteitag entsprechend selbst herrichten zu können, und genau so war es draußen in den einzelnen Gaugebieten. Auch dort wurden die Nachrichteneinheiten insonderheit für derartige Zwecke eingesetzt. Ferner haben wir dann später diese Nachrichten- oder diese ganzen Sondereinheiten noch sehr notwendig gebraucht für den Katastropheneinsatzdienst und Katastrophenschutzdienst, für den sich die SA in besonderer Weise eingesetzt und angenommen hat.


RA. BÖHM: Zu welchem Zweck unterhielt die SA ihre Musik- und Spielmannszüge?


BOCK: Die Musik- und Spielmannszüge gehören eben zu den marschierenden Einheiten, wenn sie entsprechend propagandistisch und werbend auftreten wollen, und außerdem brauchten wir diese Musik-und Spielmannszüge insonderheit für die großen Veranstaltungen der Partei.


RA. BÖHM: Nach welchen Gesichtspunkten erfolgte die Diensteinteilung in der SA?


BOCK: Die Diensteinteilung in der SA, möchte ich sagen, war immer und eigentlich überall sehr unterschiedlich. Sie erfolgte [64] einmal nach den rein parteilichen Gesichtspunkten, nämlich, wie ich vorhin schon bei den Sondereinheiten erwähnte, für die Parteitage, Aufmärsche und so weiter, für die Versammlungen, sie zu propagieren, Verteilung von Handzetteln und sonstiges. Weiterhin war der SA-Dienst dazu da, um die für die Aufmärsche neu zu schaffenden Kolonnen so auszurichten, daß sie tatsächlich als gutes Werbemittel bei den Kundgebungen in Erscheinung treten konnten. Es war also die innere und äußere Ausrichtung unserer Formationen, die im Rahmen eines Ausbildungsprogramms der Obersten SA-Führung durchgeführt wurde, und schließlich sei als letztes noch genannt der Einsatzdienst im Rahmen des Katastrophenschutzes, der ja auch entsprechend vorgeübt und eingeübt werden mußte, um gut und wirksam in Erscheinung treten zu können.

RA. BÖHM: Sind diese SA-Angehörigen ihren dienstlichen Verpflichtungen nachgekommen?


BOCK: Die SA-Männer sind, soweit ich das in meinen Einheiten übersehen konnte, gerne ihren dienstlichen Verpflichtungen nachgekommen. Nur hatten wir überall mit den großen örtlichen Schwierigkeiten und den zeitlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die dem Mann gesetzt waren durch seine berufliche Tätigkeit. Ich greife zum Beispiel hier heraus den Schichtarbeiter des Ruhrgebietes, der natürlich nicht immer so in dem vollen Umfang für seine dienstliche Tätigkeit zur Verfügung stand. So war eben, wie ich eingangs betonte, der Dienst immer und überall sehr unterschiedlich und manchmal, vor allem in den Sommermonaten, in den ländlichen Gebieten sehr, sehr gering. Im wesentlichen beschränkte er sich auf die wenigen Herbst- oder Wintermonate, wo die interne Ausbildung betrieben werden konnte.


RA. BÖHM: Wurde dieser Dienst von den SA-Männern nach dem von ihnen geleisteten Eid verrichtet oder in blindem Gehorsam?


BOCK: Der SA-Mann machte seinen Dienst freiwillig. Er folgte nach einem Eid den Befehlen, die gegeben wurden. Der Eid lautet, daß der SA-Mann seinen Vorgesetzten zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet sei, sofern diese nichts Ungesetzliches von ihm verlangten; so ungefähr habe ich ihn noch im Kopf.


RA. BÖHM: Sie haben erklärt, daß der Dienst in der SA freiwillig gewesen sei. Sind Ihnen keine Fälle bekannt, in denen der Grundsatz der Freiwilligkeit unterbrochen war?


BOCK: Ja, es mag sein insoweit, als wir auch Einheiten hatten oder Einheiten im Rahmen der SA in Erscheinung traten, die nicht direkt auf der Basis der Freiwilligkeit aufgebaut waren. Ich denke zum Beispiel an die Reichsfinanzschulen oder an die Stürme, die sich im wesentlichen rekrutierten aus den Studenten in der späteren Zeit oder vielleicht auch an solche Verbände – soweit man sie hier [65] hereinbeziehen will –, die seinerzeit aus irgendwelchen nationalen Verbänden in die SA überführt wurden.


RA. BÖHM: Hat es in der SA Strafen gegeben? Gab es eine Dienststrafordnung, und warum ist eine solche notwendig gewesen?


BOCK: Es gab in der SA eine Dienststrafordnung und Arreststrafen. Diese Strafordnung und die Strafen mußte die SA haben, um die Zucht und Ordnung in ihren Reihen aufrechterhalten zu können. Man muß immer dabei berücksichtigen, daß wir ja in der SA Menschen hatten aus allen Schichten der Bevölkerung; und daß wir gerade nach der Machtübernahme eine enorme Zahl von Menschen in unsere Reihen bekamen, die wir ja alle nicht ohne weiteres durchschauen konnten, und deswegen mußte gerade eine Disziplinar- und Strafordnung geschaffen werden, um die Ordnung und die Disziplin eben zu garantieren. Gefängnisstrafen gab es in der SA nicht. Es waren wohl vorgesehen sogenannte Arreststrafen, im wesentlichen aber für die Schulen; jedoch ich selbst habe sie in meiner ganzen Zeit niemals angewendet und niemals anwenden brauchen unmittelbar.


RA. BÖHM: Kann man aus der Tatsache des Vorhandenseins einer Dienststrafordnung nicht auf einen militärischen Charakter der SA schließen?


BOCK: Meiner Auffassung nach nein; denn Strafen und Strafbestimmungen muß man in jeder Organisation haben.


RA. BÖHM: Was hat es sonst noch für Dienstvorschriften in der SA gegeben?


BOCK: Es gab in der SA eine allgemeine Dienstvorschrift; im besonderen dann die Grußvorschrift, die Bekleidungsvorschrift, die Sanitätsvorschrift und die Exerziervorschrift für Ordnungsübungen.


RA. BÖHM: Warum war diese Exerziervorschrift notwendig? Kann man oder muß man aus ihr nicht auf einen militärischen Charakter der SA schließen?

BOCK: Die Exerziervorschrift war – oder wie sie auch sonst noch hieß – Vorschrift für Ordnungsübungen – in der SA eben nur geschaffen, um den Einheiten, die marschieren sollten, das entsprechende äußere Bild zu geben. Diese Ordnungsübungen umfaßten im wesentlichen die äußere Haltung des Mannes und sollten sich auswirken in erster Linie auf die Marschdisziplin. Ein Vergleich mit der Dienstvorschrift des Heeres als solcher ist nicht möglich; denn wie ich die Dienstvorschrift des Heeres kenne, umfaßt sie doch im wesentlichen eine Vorschrift, eine Exerziervorschrift mit Waffen und in den Kampfformen, während wir nur eine Vorschrift im Sinne für Ordnungsübungen und deren Erreichung hatten.


RA. BÖHM: Gab es nicht auch ein SA-Sport- und Wehrabzeichen mit besonderer Ausbildung?


[66] BOCK: Es gab ein SA-Sportabzeichen, nach 1939, nach dem Erlaß vom 19. Januar, SA-Wehrabzeichen genannt. Dieses SA-Sport- oder Wehrabzeichen war ein reines Leistungsabzeichen, ähnlich wie auch das Deutsche Sport- und Turnabzeichen ein Leistungsabzeichen darstellt. Es umfaßte die Gruppe I, sogenannte Leibesübungen, also für Leistungen physischer Art; die Gruppe II, wehrsportliche Übungen und Aufgaben, die willensmäßigen Leistungsübungen, und die Gruppe III, Berufs-, Wasser- und Einsatzdienst, die geistigen Übungen. Als solche wurden sie gelehrt und auch geübt. Dieses Wehrabzeichen hatte den Zweck, die sittliche Wehrhaftigkeit bei den SA-Männern zu erreichen.


RA. BÖHM: Was verstehen Sie unter sittlicher Wehrhaftigkeit?


BOCK: Unter sittlicher Wehrhaftigkeit verstehe ich – so wurde es auch auf unseren Schulen gelehrt – erstens eine wehrgeistige Ausrichtung im Sinne einer überzeugten Vaterlandsliebe, die Erziehung des Mannes zum Wehrwillen und zum Selbstbewußtsein, dann schließlich die Erhaltung der Wehrkraft, der physischen Kraft durch entsprechend sportlich trainierte Körper.


RA. BÖHM: War die Durchführung dieser Aufgabe des SA-Sportabzeichens sofort in großem Ausmaß möglich, oder bedurfte es hierzu einer besonderen Vorbereitung?


BOCK: Die Durchführung dieser Leistungsübungen zum SA-Sport- oder Wehrabzeichen bedurfte erst einer langen Anlaufzeit. Es ist ja klar, daß die Übungen zu diesem Abzeichen erst durch entsprechende Leute und Führer gelehrt werden und erst die entsprechenden Prüfer herangebildet werden mußten, um überhaupt die Übungen zu diesem Leistungsabzei chen auf einer breiten Basis entsprechend durchführen zu können. Dazu kam noch, daß uns gerade bei der Durchführung der Übungen zu diesem Leistungsabzeichen im wesentlichen – und gerade auf dem flachen Lande – die entsprechenden Mittel fehlten. So ist es gekommen, daß nach der Wiederstiftung dieses Sportabzeichens 1935 das Sportabzeichen nur langsam und Zug um Zug und Jahr für Jahr eben erst in die Masse der SA-Männer hereingetragen werden konnte. Außerdem war ja die Arbeit für dieses SA-Sport- oder Wehrabzeichen nicht allein die Hauptaufgabe, die wir in der SA hatten, sondern die Ablegung dieser Leistungsübungen war mehr oder minder freiwillig und zusätzlich gedacht und auch durchgeführt worden.


RA. BÖHM: Ist die wehrsportliche Erziehung und die Disziplin nach militärischen Gesichtspunkten zu werten?


BOCK: Dieses SA-Sport- oder Wehrabzeichen ist meines Erachtens nicht nach militärischen Gesichtspunkten zu werten, sondern ist genau so, wie ich sagte, wie das Reichssportabzeichen als ein Leistungsabzeichen zu werten; denn es zieht ja im wesentlichen in seinen ganzen Disziplinen auch die Disziplinen mit herein, [67] die in dem deutschen Sportabzeichen oder in irgendwelchen anderen Sportdisziplinen des olympischen Kampfes zugrundegelegt sind, moderner Fünfkampf, Hindernislauf, Hammerwerfen, Speerwerfen, Reiten, Schwimmen und so weiter.


RA. BÖHM: Die Anklage behauptet nun, daß derartige Tätigkeiten und Spiele bei der Landesverteidigung eine große Rolle spielen. Was haben Sie dazu zu sagen?


BOCK: Mag sein; aber nur eben in demselben Maße, wie auch schließlich alle Funktionen des bürgerlichen Lebens im Rahmen der Landesverteidigung eine gewisse Rolle spielen.


RA. BÖHM: Brachte der Besuch der SA-Schulen eine militärische Qualifikation mit sich, und welche Schulen hat es überhaupt in der SA gegeben?


BOCK: Es gab in der SA vier Schulungsmöglichkeiten: Erstens die sogenannte Wochenendschulung, die sich auf freie Samstage und Sonntage erstreckte. Auf diesen Wochenendlehrgängen wurden im wesentlichen die unteren Dienstgrade, Schar- und Truppführer geschult. Es handelt sich hier um eine sogenannte elementare Schulung und Unterweisung für die Einheiten, für die unteren Einheiten. Zeitmäßig war das nur eine kurzfristige Ausbildung, die auch zeitweilig abgehalten werden konnte, wie es eben notwendig war. Die nächste Schulung ist die sogenannte SA-Gruppenschule, territorial also in einem Gruppenbereich. Sie umfaßte die Sturmführer und hatte eine Zeitdauer von ungefähr 14 Tagen auf den sogenannten SA-Gruppenschulen. Der Zweck dieser Schulung war, die kameradschaftliche Bindung innerhalb der Sturmführer zu erreichen, sie einzuführen in den allgemeinen SA-Dienst in ihren Stürmen, sie kurz zu unterweisen in der sportlichen Tätigkeit und gleichzeitig, sie im großen einzuführen in die Disziplinen des Sportabzeichens oder Wehrabzeichens; weiterhin Besprechung von Tagesfragen, weiterhin eine kurze allgemein bildende, geistige Ausrichtung und schließlich auch eine Überprüfung auf ihr Leisten und Können und ihre Charakterwerte. Die nächste Schulung waren die Reichsschulen. Diese Reichsschulen waren im wesentlichen da für die mittleren Führer, Sturmbannführer und Standartenführer. Der Dienst bewegte sich ungefähr in der gleichen Weise wie an den Gruppenschulen mit einer Stufe höher gesehen; allgemein auch eine Überprüfung auf das Können, die Leistung des einzelnen und auf seine Charakterhaltung, Einführung in den SA-Dienst jeweils in der Stufe, die er vertrat. Im übrigen aber waren diese Schulen dazu da, die sogenannten Lehrscheininhaber...


VORSITZENDER: Dr. Böhm! Können Sie das nicht etwas zusammenfassen? Wir kennen das alles. Soweit ich es beurteilen kann, gehen Sie einfach die ganzen Aussagen durch, obwohl Sie wissen, daß wir das nicht wünschen.


[68] RA. BÖHM: Ja, Herr Präsident! Ich will versuchen, es etwas abzukürzen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Die Anklage behauptet, daß in diesen Schulen 25000 Offiziere ausgebildet worden seien, was sagen Sie dazu, und zwar Offiziere bei der Wehrmacht natürlich?

BOCK: An diesen Schulen sind niemals SA-Führer zu Offizieren der Wehrmacht ausgebildet worden. An diesen Schulen wurde nur die Ausbildung zum SA-Führer betrieben, und sonst nichts.

RA. BÖHM: Wurden an diesen Schulen Waffenübungen durchgeführt?


BOCK: An diesen Schulen wurden keinerlei Waffenübungen ausgeführt.


RA. BÖHM: Die Anklage behauptet weiter, daß von der SA 70 Prozent militärisch ausgebildeter Leute zur Wehrmacht abgestellt worden sind. Was haben Sie dazu zu sagen?


BOCK: Nach dem deutschen Wehrgesetz mußte jeder Deutsche seiner Wehrpflicht genügen, ganz egal, zu welcher Organisation er gehörte. Die SA hat keine Soldaten ausgebildet. Ich, selbst habe ja als einfacher Soldat im Jahre 1940 in der Wehrmacht angefangen und mich bis zum Offizier heraufgedient, obwohl ich als Inspekteur in den SA-Gruppenschulen tätig war.


RA. BÖHM: Hatte die Wehrmacht eine Möglichkeit, diese Gruppenschulen irgendwie zu beeinflussen?


BOCK: Nein; die Wehrmacht hatte keinerlei Möglichkeit, diese Gruppenschulen irgendwie zu beeinflussen, auch kein Inspektionsrecht in den Schulen.


RA. BÖHM: Sagen Sie mir, Herr Zeuge, was verstehen Sie unter politischem Soldatentum und wehrgeistiger Erziehung in der SA?


BOCK: Unter politischem Soldatentum ist zu verstehen die innere und äußere Haltung des Mannes schlechthin, verbunden mit einer klaren politischen Auffassung. Unter wehrgeistiger Erziehung verstanden wir eine Erziehung zur körperlichen, geistigen und seelischen Grundhaltung und sonst nichts.


RA. BÖHM: Es ist Ihnen bekannt der Erlaß des Führers zurvor- und nachmilitärischen Erziehung der SA 1939. Wie steht es mit diesem Befehl? Ist dieser Befehl durchgeführt worden oder nicht?


BOCK: Dieser Befehl vom 19. Januar kam nicht mehr zur Durchführung. Er wurde bereits unmittelbar nach dem Kriegsausbruch, als die gesamten Vorbereitungen, die dieser Befehl umfaßte, noch lange nicht abgeschlossen waren, durch den Oberbefehlshaber[69] des Heeres – soviel ich weiß – ausgesetzt und bis zum Kriegsschluß zurückverwiesen. Der Stabschef Lutze hatte damals vor, als der Erlaß am 19. Januar herausgekommen war, am 1. Oktober, also zum Zeitpunkt des Gruppenwechsels, mit einem probeweisen Beginn dieser Wehrmannschaftsausbildung, das heißt dieser Ausbildung, der nachmilitärischen Ausbildung zu beginnen, kam aber nicht mehr dazu. Es war alles bei Kriegsbeginn in den Versuchen und in den gesamten Vorbereitungen steckengeblieben.


RA. BÖHM: Kann man sagen, daß der Erlaß des Führers vom 19. Januar 1939 so ausgelegt werden kann, daß dieser Auftrag in einer logischen Entwicklung zur Arbeit der SA von vor 1939 stand?


BOCK: Wie ich ersehen konnte, nein. Der Stand der Ausbildung der SA war zur Zeit der Ausgabe des Erlasses nicht so, daß man von einer analogen Fortsetzung sprechen konnte; denn unsere ganze Ausbildung von 1934 bis 1939 war nur eine allgemeine sportliche Wehrerziehung; denn sonst hätte es ja erstens meines Erachtens keiner erst zu vereinbarenden Ausführungsbestimmungen bedurft zwischen SA und den Oberbefehlshabern der drei Wehrmachtsteile, zweitens hätten wir unmittelbar nach dem 19. Januar beginnen können, und drittens war die Ausbildung der SA-Führer ja, soviel ich weiß, ungefähr 80 Prozent nicht soweit militärisch fortgeschritten, um irgendwelchen militärischen – auch nur geringsten – Anforderungen gerecht werden zu können. Und diese Führer hätten zweifelsohne erst bei der Truppe dort kennenlernen müssen, was für diese Ausbildung beziehungsweise die nachmilitärische Ausbildung gemacht werden sollte.


RA. BÖHM: Kann man sagen, daß auf dem Gebiet der vor- und nachmilitärischen Erziehung, wie sie ursprünglich befohlen war, überhaupt eine praktische Durchführung jemals erfolgt ist?


BOCK: Meiner Auffassung nach nein; denn einmal ist dieser Auftrag früher nie gegeben worden – erst am 19. Januar – und ist ja praktisch nie zur Durchführung gekommen; zweitens konnte er es nicht mehr, weil er ja erst am 1. Oktober anlaufen sollte, also gar keine Männer mehr zurückkommen konnten, da ja praktisch am 1. September der Krieg begonnen hatte. Es waren lediglich – was gemacht wurde – die Vorbereitungen technischer, finanzieller Art vielleicht – die Einzelheiten sind mir unbekannt – und vielleicht die allgemeinen Überlegungen, wie und in welcher Weise dieser Auftrag zur Ausführung kommen sollte.

RA. BÖHM: Und dazu ist dann der Befehl gekommen, diese Tätigkeit über die vor- und nachmilitärische Ausbildung der SA-Angehörigen einzustellen?


BOCK: Soweit mir bekannt ist, einmal durch den Oberbefehlshaber des Heeres, zweitens durch die Parteikanzlei in gleicher Weise, daß also diese Maßnahmen zurückzustellen seien; und [70] weiterhin war noch – wenn ich mich recht erinnere – in diesem Schreiben der Parteikanzlei außerdem noch eine weitere Anweisung, daß überhaupt dieser ganze Erlaß vom 19. Januar auf Grund der Schwierigkeiten, die sich einmal mit den Jugendorganisationen, auf der anderen Seite mit den parteilichen Gliederungen ergeben hätten in Bezug auf die alleinige Durchführung durch die SA, eben revidiert, unter Umständen sogar ganz aufgehoben werden sollte.


RA. BÖHM: Hatte die SA finanzielle Möglichkeiten für die Beschaffung von Ausbildungsmitteln, insbesondere in den Sondereinheiten?


BOCK: Die SA hatte im wesentlichen ganz geringe Etatsmittel. Es bekam nur zum Beispiel ein SA-Sturm RM. 80.- bis 120.-; eine Standarte ungefähr RM. 800.- bis 1.200.-; eine SA-Gruppe ungefähr RM. 2.500.- bis 3.500.-. Genau kann ich es nicht sagen. Diese Mittel reichten gerade aus, um den allgemeinen Geschäftsbedarf und Bedarf für die Dienststellen zu decken. Für irgendwelche Anschaffungen größeren Stils oder Depots für unsere Sondereinheiten hatten wir kaum Mittel. Wenn wir ab und zu einmal etwas bekamen, so waren es geringe Zuweisungen, die über die Oberste SA-Führung spärlich verteilt wurden. Im wesentlichen aber – ich glaube, ich habe es schon einmal erwähnt – machten unsere SA-Männer gerade in den Sondereinheiten ihre Geräte zu 90 Prozent, kann man sagen, in eigener Bastelarbeit oder mit Mitteln, die sie sich von Freunden, Bekannten oder aus ihren Berufsstellen mitgebracht hatten.


RA. BÖHM: Herr Zeuge! In der SA wurde unter anderem geschossen. Nun sagen Sie mir bitte, mit welchen Waffen geschossen worden ist, und wie viele dieser Arten von Waffen den einzelnen Stürmen zur Verfügung gestanden sind.


BOCK: In der SA wurde das Schießen auf den Schießständen betrieben mit Kleinkalibergewehren und zum Teil auch mit Luftgewehren; ebenfalls hatten wir bei einigen Führertagungen sogenanntes kleines Pistolenschießen bei sportlicher Ausbildung und kameradschaftlicher Unterhaltung. Es wurde auch von SA-Männern und -Einheiten auf irgendwelchen privaten Schießplätzen der Schützenvereine auch ab und zu mit sogenannten Wehrmannsbüchsen Großkaliber geschossen. Die Zahl der Gewehre, die sie hatten, war sehr gering. Ich erinnere mich...


VORSITZENDER: Wir wollen bestimmt keine Einzelheiten über diese Gewehre hören. Sie haben wahrscheinlich bei der Einvernahme vor der Kommission die genaueren Einzelheiten über die Kaliber der Büchsen gehört.


RA. BÖHM: Herr Präsident! Dieser Zeuge ist nur für zwei Fragen benannt, nämlich zur Frage der militärischen Ausbildung [71] der SA und zu einigen Fragen im Zusammenhang mit der Zeitung »Der SA-Mann«. Ich glaube, daß ich nur noch ganz wenige Fragen an diesen Zeugen überhaupt habe.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sie haben vorhin von Schulen gesprochen, Gruppenschulen und so weiter. Wurden diese Schulen während des Krieges fortgeführt?

BOCK: Schon kurz nach Kriegsbeginn kam, möchte ich sagen, gleich unmittelbar bei Kriegsbeginn kam der größte Teil unserer SA-Schulen zum Erliegen. Nur einige wenige wurden noch aufrechterhalten. Das kam daher, daß eben im Laufe der Zeit nämlich immer mehr SA-Männer und -Führer zur Wehrmacht einberufen wurden und andererseits die Zurückgebliebenen oder die in der Heimat Verbliebenen durch ihre berufliche Tätigkeit so in Anspruch genommen waren, daß sie eben nicht mehr ihrem Dienst im vollen Umfange, vor allem dem in den Schulen, nachkommen konnten.

RA. BÖHM: Ich möchte nun zu einem anderen Gebiet, und zwar zum letzten kommen, das ich mit Ihnen besprechen wollte, und das ist die Zeitschrift »Der SA-Mann«. Kann man den »SA-Mann« als ein amtliches Organ der Obersten SA-Führung ansehen oder bezeichnen?


BOCK: Nein, ich habe ihn nicht als amtliches Organ angesehen, weil ich ja wußte, daß dieser, »Der SA-Mann«, nicht von der Obersten SA-Führung verantwortlich herausgegeben wurde. Es war eine Zeitung wie jede andere auch.


RA. BÖHM: Ja, und wie war die Oberste SA-Führung zu dieser Zeitung eingestellt?


BOCK: Die Oberste SA-Führung hat dieser Zeitung eben amtliche Verlautbarungen, zum Beispiel die Beförderungen oder irgendwelche anderen Nachrichten zukommen lassen; im übrigen bewegte sich der Inhalt im gleichen Sinne wie der der übrigen Zeitungen.


RA. BÖHM: Haben Sie als Amtschef in der Obersten SA-Führung Einfluß auf die Gestaltung der Zeitung gehabt?


BOCK: Nein, ich habe keinen Einfluß auf diese Zeitung gehabt; ich weiß nur, daß mein Vorgesetzter, der Hauptamtschef, verschiedentlich versucht hatte, in dieser Zeitung einen eigenen Platz für die Ausbildung zu bekommen, was ihm aber nicht möglich war. Aus welchen Gründen weiß ich nicht genau; ich habe aber immer vermutet, daß es eben rein geschäftliche Angelegenheiten waren, die eben diesen Versuch nicht zuließen.


RA. BÖHM: Wurde die Zeitung »Der SA-Mann« zur Schulung innerhalb der SA verwendet?


[72] BOCK: Ich habe es nicht erlebt und auch nicht gesehen. Diese Zeitung lag wohl in den Schulen, und zwar in den Unterhaltungsräumen auf und wurde dort gelesen wie die übrigen Zeitungen; aber für besondere Schulung wurde »Der SA-Mann« meines Wissens nicht verwendet.


RA. BÖHM: Die Zeitung brachte Aufsätze über die Rüstung anderer Staaten unter anderem in einer Artikelserie. Konnte man nicht annehmen, daß diese Aufsätze nicht nur gebracht wurden, um die eigene Rüstung zu begründen?


BOCK: Meines Erachtens war gerade diese Wochenzeitung nicht so aktuell und auch nicht so weit verbreitet, daß sie irgendwie auf maßgebliche Leute oder auf einen großen Teil von Menschen hätte besonderen Einfluß nehmen können.


RA. BÖHM: Ist Ihnen eine Zeitschrift bekannt innerhalb der SA, die amtlich war?


BOCK: Das Verordnungsblatt zum Beispiel, das amtliche Verordnungsblatt der Obersten SA-Führung, oder zum Beispiel »Der SA-Führer«, der ja von einer bestimmten Abteilung in der Obersten SA-Führung geleitet und gelenkt wurde.


RA. BÖHM: Eine Frage, die mit diesem Fragenkomplex nichts zu tun hat. Können Sie mir sagen, wer das Konzentrationslager Dachau bewacht hat, und zwar von Anbeginn an?


BOCK: Soweit ich das noch weiß, ist es von der SS bewacht worden. Ich selbst war nie in diesem Lager. Ich habe erst später vom Bestehen dieses Lagers erfahren.


RA. BÖHM: Welche Wirkung hatte die Machtübernahme am 30. Januar 1933 auf den alten SA-Mann aus der Kampfzeit nach den vorhergegangenen schweren politischen Auseinandersetzungen?


BOCK: Ich war zum Zeitpunkt der Machtübernahme als Adjutant in einem Gruppenstab und habe damals, wenn ich heute nochmals an diese Zeit zurückdenke, erst geglaubt, daß auf Grund der ungeheuren politischen Spannungen und Auseinandersetzungen der vorangegangenen zwölf Jahre, daß es da gerade zu diesem Zeitpunkt zu einem ungeheueren Ausbruch aufgespeicherter Wut und Vergeltung hätte kommen müssen. Ich möchte aber sagen, da ich diesen Zeitpunkt unmittelbar erlebte, daß ich eigentlich sehen mußte und sehen konnte, daß dieser Zeitpunkt der Machtübernahme im wesentlichen besonnen und ruhig ablief und auch der alte Mann, der aus der Kampfzeit her noch die Verhältnisse kannte, im wesentlichen sehr ruhig und besonnen geblieben war.


RA. BÖHM: In welchem Lichte sahen Sie aber dann die verschiedenen in der späteren Zeit vorgekommenen Ausschreitungen von 1933 auf 1934 nach Ihrer soeben gegebenen Erklärung?


[73] BOCK: Die später vorgekommenen Fälle sehe ich so und werte sie auch persönlich so, daß sie eben trotz der immer wieder befohlenen Disziplin und Ordnung nur begangen sein können von einzelnen wenigen oder kleinen Gruppen, die einmal den Sinn unserer sozialistischen Revolution, das heißt die Begrenzung und den Umfang nicht begriffen hatten oder andererseits als eben aus dem Gleis Geworfene nicht mehr den Weg zum eigenen Staat, zur eigenen Ordnung zurückfanden.

RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich habe weiter keine Fragen mehr an diesen Zeugen.


VORSITZENDER: Wünscht die Anklagevertretung ein Kreuzverhör durchzuführen?


MAJOR J. HARCOURT BARRINGTON, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Herr Zeuge! Sie haben dem Gerichtshof gesagt, daß die SA nur im politischen Soldatentum erzogen worden sei. Bedeutet politisches Soldatentum nicht, daß der SA-Mann besondere Privilegien im Staate hatte, die der gewöhnliche deutsche Bürger nicht hatte?


BOCK: Ich weiß nicht, welche Privilegien der SA-Mann gehabt haben soll.


MAJOR BARRINGTON: Gehörte der SA-Mann nicht zur nationalsozialistischen Elite?


BOCK: Der SA-Mann war der politische Soldat in der Bewegung und sonst nichts.


RA. BÖHM: Verzeihen Sie, Herr Präsident, unsere Übertragungsapparatur funktioniert nicht. Wir verstehen keine Frage. Auch der Zeuge versteht keine Frage, er versteht sie nur zum Teil, weil er zum Teil der englischen Sprache mächtig ist.


MAJOR BARRINGTON: Kann Dr. Böhm nicht her überkommen und hier Platz nehmen? Die deutsche Leitung scheint hier in Ordnung zu sein.


VORSITZENDER: Ja natürlich, falls seine Kopfhörer nicht in Ordnung sind, kann er andere haben.


MAJOR BARRINGTON: Herr Zeuge! Unterlag der SA-Mann hinsichtlich seines äußeren Auftretens den gleichen Beschränkungen wie jeder andere deutsche Bürger auch?


BOCK: In weit höherem Maße. Der SA-Mann machte seinen Dienst freiwillig. Er unterstand in besonderem Maße den Gesetzen bei irgendwelchen Übertretungen; außerdem habe ich persönlich als Chef des Amtes Soziale Fürsorge jahrelang erlebt und die Arbeit damit gehabt, Tausende von SA-Männern erst Zug um Zug in Arbeit zu bringen, dann sie da und dort irgendwie zu fördern, und ich habe in einem großen Fürsorgeapparat lange Jahre und selbst [74] bis in die letzte Zeit hinein viele arme und bedürftige SA-Männer betreuen müssen.


MAJOR BARRINGTON: Ich frage Sie – vielleicht ist die Übersetzung nicht richtig durchgekommen – galten die gleichen Beschränkungen für das Verhalten der SA-Männer wie für gewöhnliche deutsche Bürger?


BOCK: Herr Anklagevertreter! Ich bitte, nur zu sagen, welche Beschränkungen Sie meinen. Ich kenne keine wesentlichen Beschränkungen, wie Sie sie anführten.


MAJOR BARRINGTON: Ist Ihre Antwort: Nein? Gab es keine Beschränkungen? Oder ist Ihre Antwort: Ja?


BOCK: Ich habe jetzt eine Frage gestellt, Herr Anklagevertreter. Welche Beschränkungen der SA-Mann nicht gehabt haben soll gegenüber anderen? So habe ich die Frage verstanden.


MAJOR BARRINGTON: War der SA-Mann ebenso frei in seinem Verhalten oder war er freier in seinem Verhalten als der gewöhnliche deutsche Bürger?


BOCK:...


MAJOR BARRINGTON: Wenn Sie dies nicht beantworten können, sehen Sie sich für einen Augenblick die Allgemeine Dienstordnung an, von der Sie soeben gesprochen haben.

Hoher Gerichtshof! Sie ist auf Seite 30 a des Dokumentenbuches B. Es ist Dokument 2820-PS, US-427.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sehen Sie sich zuerst Artikel 1 an; ich glaube, es ist auf Seite 9. Haben Sie es gefunden?

BOCK: Ja.

MAJOR BARRINGTON:

»Der SA-Mann ist der politische Soldat Adolf Hitlers.« Und ein paar Zeilen darunter:

»Er genießt deshalb besonderes Ansehen und hat bestimmte Rechte im Staate.«

Wollen Sie bestreiten, daß diese Worte das bedeuten, was sie sagen? War der SA-Mann nicht in einer bevorzugten Stellung?

BOCK:...

MAJOR BARRINGTON: War der SA-Mann nicht in einer bevorzugten Stellung?


BOCK: Ich kann nur sagen, daß, soweit ich SA-Mann war und soweit ich die SA-Männer kennengelernt habe, der SA-Mann nicht in einer privilegierten Stellung war. Im übrigen handelt es sich hier um die Dienstordnung der SA vom Jahre 1933, die meines Wissens im wesentlichen im Jahre 1934 außer Kraft gesetzt wurde, und ich persönlich...


[75] MAJOR BARRINGTON: Es interessiert mich nicht, wann sie außer Kraft gesetzt wurde. Sie wurde am 12. Dezember 1933 erlassen, nicht wahr? Also nachdem die Nazis zur Macht gekommen waren?


BOCK:...


MAJOR BARRINGTON: Das steht doch oben auf der Seite. Sagen Sie mir, was waren diese bestimmten Rechte im Staate, die der SA-Mann nach Artikel 1 genoß? Was waren das für bestimmte Rechte im Staat? Jeder SA-Mann hat doch dieses Buch gelesen?


BOCK: Wenn der SA-Mann im Rahmen des Staatsdienstes oder des Polizeinotdienstes eingesetzt war, hatte er natürlich die entsprechenden Rechte im Rahmen dieses Notdienstes oder dieses Dienstes.


MAJOR BARRINGTON: Ich nehme an, daß Sie mir nicht sagen können, was für bestimmte Rechte das waren. Sehen Sie sich Artikel 10 auf Seite 13 an. Haben Sie Artikel 10 auf Seite 13 gefunden?


BOCK: 10? Ja.


MAJOR BARRINGTON:

»Die gehobene Stellung des SA-Mannes darf durch verletzende, zurücksetzende oder ungerechte Behandlung nicht herabgewürdigt werden.«

Inwiefern war der SA-Mann über andere deutsche Bürger erhaben?

BOCK: Er hat meines Erachtens nur eine besondere Verpflichtung gehabt.

MAJOR BARRINGTON: Was bedeutet es, wenn es hier heißt: »Die gehobene Stellung«, und daß er nicht verletzend behandelt werden dürfe? Er konnte also andere deutsche Bürger verletzend behandeln, nicht wahr?


BOCK:...


MAJOR BARRINGTON: Stand der SA-Mann über dem Heer? Ja oder nein?


BOCK: Ich habe schon gesagt, daß ich, soweit ich es persönlich erlebt habe, niemals ein besonderes Recht gehabt habe oder eingeräumt habe; und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß der SA-Mann etwa ein besonderes Recht für sich hätte in Anspruch nehmen können.


MAJOR BARRINGTON: Gut. Das ist also Ihre Antwort. Sehen Sie sich nun Artikel 18 auf Seite 17 an:

»Der SA-Mann darf Waffen, die ihm anvertraut sind, nur zur Ausübung seines Dienstes oder zur regelrechten Selbstverteidigung gebrauchen.«

[76] Ich möchte, daß Sie mir sagen, welche Art Dienst den Gebrauch von Waffen für den SA-Mann erforderlich machte außer der Selbstverteidigung?

BOCK: Ich habe schon gesagt, daß der SA-Mann für den Notdienst eingesetzt werden konnte. Im übrigen möchte ich allgemein zu dieser Dienstvorschrift noch sagen, daß sie seinerzeit meiner Überzeugung nachgeschaffen wurde unter Röhm, der damals...

MAJOR BARRINGTON: Darauf will ich nicht ein gehen. Röhm war Stabschef der SA, und was er anordnete, war vermutlich für die SA Gesetz, und er erklärt, daß der SA-Mann die Waffen nur zur Ausübung seines Dienstes oder zur rechtmäßigen Notwehr gebrauchen dürfe. Ich frage Sie nun nochmals, in welchem Falle außer dem der Notwehr konnte der Dienst des SA-Mannes den Gebrauch von Waffen notwendig machen? Wenn Sie diese Frage nicht beantworten können, sagen Sie es.


BOCK: Ich kann nur folgendes sagen, was ich heute auf eine Frage des Herrn Anwalts schon gesagt habe, daß die SA nur insoweit bewaffnet wurde und eingesetzt wurde, als sie in Staatsfunktionen tätig war und tätig wurde.


MAJOR BARRINGTON: Soll das heißen, daß der Zweck, zu dem von der Waffe Gebrauch gemacht werden konnte, auf militärischem Gebiete liegen kann?


BOCK:...


MAJOR BARRINGTON: Heißt das, daß sie davon zu militärischen Zwecken Gebrauch machen konnten, wenn sie dazu aufgefordert wurden?


BOCK: Ich habe gesagt im Staatsnotdienst, vor allem Polizeihilfsdienst oder Polizeidienst, soweit die SA eingesetzt oder herangeholt wurde.

MAJOR BARRINGTON: Sie sagen also, daß Sie nicht behaupten wollen, daß die SA diese Waffen bei der Wehrmacht benutzte, sondern Sie behaupten, daß sie diese im Polizeihilfsdienst verwendete.


BOCK: Für den Polizeinotdienst oder Polizeihilfsdienst.


MAJOR BARRINGTON: Heißt das also, daß diese Bestimmung der Allgemeinen Dienstordnung für die SA zu gelten hatte, falls sie im Polizeihilfsdienst eingesetzt wurde? Oder galt in diesem Falle die Polizeidienstordnung?


BOCK:...


MAJOR BARRINGTON: Von wem erhielten die SA-Männer ihre Befehle, wenn sie im Polizeihilfsdienst tätig waren, von der SA oder von der Polizei? Das möchte ich von Ihnen wissen.


[77] BOCK: Herr Anklagevertreter! Ich habe nur das gesagt, was ich selbst gesehen habe. Was im einzelnen hier nach den Dienstvorschriften festgelegt worden ist, entzieht sich meiner Kenntnis, und der SA-Mann hat, soweit ich es erlebte, eben diese Waffen bekommen oder wurde bewaffnet, soweit er im Staatsdienst oder im Polizeidienst eingesetzt wurde.


MAJOR BARRINGTON: Können Sie mir sagen, ob es außer im Polizeidienst oder in der Notwehr Fälle gab, in denen er von der Waffe Gebrauch machen durfte? Gibt es einen solchen Fall?


BOCK:...


MAJOR BARRINGTON: Ich halte Ihnen vor, Zeuge, daß, wenn in diesem Artikel 18 vom Waffengebrauch die Rede ist, damit gemeint ist, daß Waffen gebraucht werden durften zur Durchführung der SA-Aktionen. Ist das richtig?


BOCK: Ich habe nur immer wieder zu betonen, daß meiner Auffassung nach und so, wie ich es gesehen habe...


VORSITZENDER: Zeuge! Sie können diese Frage beantworten. Es ist entweder richtig oder falsch. Sie können es sagen, da Sie die ganze Zeit bei der SA waren.


BOCK: Wenn ein SA-Mann ohne Staatsnotdienstverpflichtung irgend etwas gemacht hat und mit der Waffe umgegangen ist, hat er sich strafbar gemacht. Im übrigen ist der SA-Mann nur im Rahmen des Notdienstes eingesetzt worden.


MAJOR BARRINGTON: Ich halte Ihnen vor, daß der SA-Mann sich dann strafbar gemacht hat, wenn er seine Waffen zu einem Zweck verwendet hat, den die SA nicht billigte. Aber ich behaupte jetzt, daß er angespornt, ja, daß ihm befohlen wurde, die Waffen bei Aktionen zu verwenden, die die SA billigte?


BOCK:...


MAJOR BARRINGTON: Nun, wenn Sie keine Antwort geben können, werde ich weiter gehen.

Sehen Sie sich etwas anderes in diesem kleinen Buch an. Sehen Sie auf Seite 33, Ziffer 6 der Dienststrafordnung, Seite 33. Haben Sie Seite 33?


BOCK: Ja.


MAJOR BARRINGTON: Nun, Sie sehen den letzten Satz im ersten Absatz über Bestrafung:

»Als Recht gilt, was der Bewegung nützt; als Unrecht, was ihr schadet.«

Haben Sie das gefunden?

BOCK: Nein.

[78] MAJOR BARRINGTON:

»Als Recht gilt, was der Bewegung nützt; als Unrecht, was ihr schadet.«


BOCK: Ja, ich habe es gefunden.

MAJOR BARRINGTON: Ich behaupte nun, Zeuge, daß das, was der Bewegung nützte, zum Beispiel SA-Aktionen, gerade das war, wobei die SA von der Waffe Gebrauch machen sollte. Ist das richtig oder nicht? Sie können darauf mit Ja oder Nein antworten.


BOCK: Die SA-Führer wurden unter ihren Führern eingesetzt, und sie mußten wissen, zu welchem Zweck sie ihre SA-Männer einsetzen durften.


MAJOR BARRINGTON: Ich glaube nicht, daß dies die Antwort auf meine Frage ist. Sehen Sie sich noch einmal den Satz an:

»Als Recht gilt, was der Bewegung nützt; als Unrecht, was ihr schadet.«

Zeigt das nicht ganz klar, daß die Nazi-Partei die SA als eine privilegierte Gruppe ansah, die berechtigt war, Verbrechen zu begehen, sofern sie nur der Bewegung nützten?

BOCK: Der SA-Mann wurde ja geführt, und er konnte ja nicht, nur weil er diese Dienstvorschrift hatte, nun als Einzelperson handeln wie er wollte.

MAJOR BARRINGTON: Ich habe dann nur noch ein Dokument und möchte dazu noch zwei oder drei Fragen stellen, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Gut.


MAJOR BARRINGTON: Euer Lordschaft! Das Dokument ist das erste Dokument im Buch C. Es ist D-918. Ich bitte um Entschuldigung, Euer Lordschaft! Es ist Buch 16 B. Das Dokument ist D-918 und erhält nun die Beweisstücknummer GB-594.

Zeuge! Ich will nicht auf Einzelheiten dieses Dokuments eingehen. Sie sehen, worum es sich hier handelt. Es sind Lutzes Ausbildungsrichtlinien für 1939. Sie sehen auf Seite 2 das Datum, wann sie herausgegeben wurden, nämlich am 4. November 1938. Das war vor Hitlers Befehl über die vor- und nachmilitärische Ausbildung. Ich möchte Ihnen nur einen Punkt darüber vorhalten. Sie haben doch eben behauptet, daß die Ausbildung der SA vor allem Sportzwecken diente. Ist das richtig?


BOCK: Ich habe gesagt, die Ausbildung der SA bewegte sich in der Leistungsübung des SA-Sportabzeichens, und zwar im Sinne einer geistigen, willensmäßigen und körperlichen Ausbildung.


MAJOR BARRINGTON: Aber haben Sie denn nicht gesagt, daß besonderes Gewicht auf den Sport gelegt wurde und nicht auf militärische Ziele? Sagen Sie, wenn Sie es nicht gesagt haben.


[79] BOCK: Ich kann mich an die Einzelheiten der vorhin ausgesagten Ausführungen nicht mehr erinnern. Aber ich kann nur das eine sagen, daß die SA eine wehrsportliche Ausbildung betrieben hat im Sinne einer körperlichen, willensmäßigen und geistigen Erziehung, so wie sie hier auch in diesem Buch festgehalten ist.


MAJOR BARRINGTON: Sie streiten also nicht ab, daß hinter der Ausbildung militärische Absichten lagen? Streiten Sie das ab? Hinter der Ausbildung für das Sportabzeichen lagen doch militärische Absichten?


BOCK: Wir hatten für irgendwelche militärische Ausbildung keinerlei Auftrag und haben sie nicht durchgeführt. Es handelt sich hier um eine sittliche Erziehung, wie ich immer wieder betonen möchte, in geistiger, willensmäßiger und körperlicher Hinsicht und sonst nichts.


MAJOR BARRINGTON: Ich möchte nur, daß Sie bestimmte Stellen überfliegen. Sehen Sie sich Seite 7 dieser Lutzeschen Ausbildungsrichtlinien für 1939 an. Sie können sehen, daß Seite 7 den ersten Ausbildungsabschnitt behandelt, und zwar vom November 1938 bis Anfang Februar 1939. Und unten auf der Seite können Sie der Reihe nach aufgezählt sehen, worauf besonderes Gewicht gelegt wird: Marschieren, Exerzieren, Schießen, Geländedienst, und ganz zum Schluß Sport. Sehen Sie das?


BOCK: Jawohl.


MAJOR BARRINGTON: Schlagen Sie nun Seite 9 auf. Dort finden Sie ähnliche Richtlinien für den zweiten Ausbildungsabschnitt, von Anfang Februar 1939 bis Ende April 1939. Ungefähr auf der Mitte der Seite können Sie unterstrichen finden: Exerzierdienst, Schießdienst, Geländedienst, und ganz am Schluß Sport. Sehen Sie das?


BOCK: Ich weiß nicht, Herr Anklagevertreter, was hier gemeint ist. Ich habe es jetzt.


MAJOR BARRINGTON: Schlagen Sie nun Seite 10 auf, wo Sie dasselbe für den dritten und letzten Ausbildungsabschnitt von Anfang Mai 1939 bis Ende Juni 1939 finden. Auf Seite 10 finden Sie dasselbe: Exerzierdienst, Schießdienst, Geländedienst, und ganz am Schluß Sport. Ist es nicht ganz klar, daß der Sport nur eine Ausrede und ein Mittel zum Zweck war?

Euer Lordschaft! Ich habe nicht die Absicht, weitere Fragen an diesen Zeugen zu richten, da die allgemeinen Fragen im Kreuzverhör mit dem Zeugen Jüttner behandelt werden.


VORSITZENDER: Gut, wir vertagen nunmehr die Verhandlung.


[Das Gericht vertagt sich bis

13. August 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 21, S. 43-81.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Catharina von Georgien

Catharina von Georgien

Das Trauerspiel erzählt den letzten Tag im Leben der Königin von Georgien, die 1624 nach Jahren in der Gefangenschaft des persischen Schah Abbas gefoltert und schließlich verbrannt wird, da sie seine Liebe, das Eheangebot und damit die Krone Persiens aus Treue zu ihrem ermordeten Mann ausschlägt. Gryphius sieht in seiner Tragödie kein Geschichtsdrama, sondern ein Lehrstück »unaussprechlicher Beständigkeit«.

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon