Bibliotheken

[70] Bibliotheken kennt das Mittelalter in erster Linie in allen ältern Klöstern, ihr Zustand teilt natürlich den Wechsel der allgemeinen Teilnahme für die Studien. Im 9. Jahrh., der Blütezeit karolingischer Bildung, sind deshalb Klosterbibliotheken besonders gegründet worden; Kataloge sind z.B. erhalten von Reichenau, dessen Bibliothekar Reginbert für die Bücher sorgte wie ein Vater für seine Kinder; aus derselben Zeit ist ein St. Galler Katalog auf uns gekommen. Die Bücher wurden durch Abschriften, Kauf und Geschenke vermehrt, auch gab es eigentliche Stiftungen von regelmässigen Einkünften für diesen Zweck. Die Kirchenbibliotheken standen zwar der öffentlichen Benutzung offen, doch lieh man die [71] Bücher nur ungern aus. Die Brüder des gemeinsamen Lebens machten ihre Bücher vorzüglich den Schülern zugänglich. Privatbibliotheken kennt das Mittelalter zunächst im Besitze von Königen und Fürsten: Karl d. Gr. hatte eine ansehnliche Sammlung; sie sollte seinem Testamente gemäss nach seinem Tode verkauft und der Erlös dafür den Armen geschenkt werden. Karl der Kahle, ein grosser Bücherfreund, verteilte seine Bibliothek zwischen St. Denis, Compiègne und seinem Sohn. Auch die Herzogin Hedwig von Schwaben besass Bücher. In der Folgezeit wird erst wieder von Friedrich II. berichtet, dass er im Besitz einer eigentlichen Büchersammlung gewesen sei. Neuer Eifer im Büchersammeln entwickelte sich bei den Humanisten Italiens im 14. und 15. Jahrh.; schon Petrarca, wie später Seb. Brant im Narrenschiff 1., eifert gegen die neue Modethorheit des unnützen Anhäufens von Büchern. In Deutschland besass schon Hugo von Trimberg, der Verfasser des didaktischen Gedichtes der Renner, um 1300 Schulmeister bei Bamberg, 200 Bücher. Sonst thaten sich die Fürsten damals in dieser Beziehung wenig hervor. Erst im 15. Jahrh. trifft man auf Büchersammlungen in den Burgen reicher Familien. Von öffentlichen Bibliotheken des Altertums hat blos die von Konstantinopel im Mittelalter fortbestanden. Im Abendland trifft man erst im 13. Jahrh. auf das Verfahren, Büchersammlungen zwar wie früher einer geistlichen Körperschaft zu übergeben, aber, was neu war, mit der ausdrücklichen Bestimmung zu freier Benutzung. Das geschah zuerst durch den Dompropst von Vercelli, Jakob Carnarius, der in seinem Testament von 1234 seine Sammlung in der genannten Weise den Dominikanern von St. Paul vermachte. Petrarca vermachte seine Bücher 1362 der Markuskirche von Venedig als öffentliche Sammlung; gänzlich vernachlässigt fand man erst 1635 einen Teil davon wieder auf. Die berühmte Markusbibliothek entstand unabhängig davon 1468 durch den Kardinal Bessarion. Boccaccio vermachte seine Bibliothek den Augustiner Eremiten zu S. Spirito in Florenz; die grosse öffentliche Bibliothek zu Florenz wurde zu San Marco im Jahre 1414 gegründet. In Deutschland schliessen sich die öffentlichen Bibliotheken an die Universitäten; seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. werden dann allgemein in den Städten Sammlungen angelegt, 1413 in Braunschweig und Danzig, 1469 in Hamburg.

Der gewöhnliche Name für eine Büchersammlung war armarium, almarium, noch jetzt die Almer, deutsch liberei, buochgadem, buochkamer, büecherei. Kostbare Bücher wurden oft an eine Eisenstange angekettet, um unbekannten Personen die Benutzung der Bücher ohne Aufsicht gestatten zu können. Wattenbach Schriftwesen, VII.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 70-72.
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