Fortunat

[208] Fortunat ist der Held eines deutschen Volksbuches ans dem 16. Jahrh. Derselbe ist der Sohn eines edeln Bürgers zu Famagusta auf der Insel Cypern. Da er den Kummer des durch ritterlichen Aufwand arm gewordenen Vaters bemerkt, verlässt er heimlich das Vaterhaus und verdingt sich bei dem auf der Rückkehr von Jerusalem zu Famagusta eben gelandeten Grafen von Flandern. Dieser wendet ihm seine ganze Gunst zu; ein auf Fortunat neidischer Diener aber, Rupert, überredet diesen, der Graf wolle ihn zu grösserer Sicherheit verschneiden lassen, worauf der Jüngling nach London entflieht. Hier wird er bei einem reichen Florentiner Kaufmann Aufseher über die ankommenden und abgehenden Güter, muss aber wegen eines im Hause seines Herrn vorgefallenen Mordes auch diesen Dienst und das Land selber räumen. In der Bretagne hat er nun auf freiem Felde ein Abenteuer mit einem Bären, den er erlegt, wobei ihm eine schöne Frau, Fortuna, erscheint. Sie bietet ihm die Wahl zwischen Weisheit, Reichtum, Stärke, Gesundheit, Schönheit und langem Leben; da Fortunat ohne langes Bedenken Reichtum wählt, giebt sie ihm einen Seckel, aus welchem er auf jeden Griff zehn Goldstücke ziehen werde, so lange er und seine ehelichen Kinder lebten; doch sind folgende drei Bedingungen daran geknüpft: 1. dass er auf diesen Tag feiere, 2. dass er an diesem Tag kein ehelich Werk vollbringe, und 3. dass er auf diesen Tag, wo er immer sei, die mannbare Tochter eines armen Mannes ehrlich kleiden und die Eltern und sie mit 400 Goldstücken begaben solle. In Begleitung eines vielgewanderten alten Edelmannes durchzieht er nun alle möglichen Länder und Städte in Deutschland, den Niederlanden, England, Schottland, Frankreich, Navarra, Aragonien, Spanien, Portugal, Italien, Türkei, Ungarn, Polen, Schweden, Böhmen, bis er endlich nach 15 jähriger Abwesenheit nach Famagusta zurückkehrt. Die Eltern sind tot. An der Stelle des väterlichen Hauses baut er sich einen Palast und heiratet eine Grafentochter. Nach zwölf ruhigen Jahren, während welcher seine Gemahlin ihm zwei Söhne geschenkt hatte, zieht er aufs neue auf die Wanderung, um nun auch den andern Teil der Erde, die Heidenschaft zu erkunden. Auf der Heimkehr von dieser Reise zeigt ihm der Sultan von Alexandria seine Schätze und darunter ein unscheinbares Filzhütlein, welches den, der es auf dem Kopfe trägt, augenblicklich an jeden gewünschten Ort bringt. Fortunat setzt es sich auf, wünscht sich in seine im Hafen wartende Galeere und segelt heim nach Famagusta. Nach einigen Jahren, wie er seinen Tod herannahen fühlt, übergiebt er den Söhnen Andolosia und Ampedo die beiden Kleinode, offenbart ihnen die Heimlichkeiten und befiehlt ihnen, die Kleinode nimmer zu trennen. Das letztere geschieht dennoch, indem der ältere Bruder Andolosia mit dem Seckel auf Reisen zieht[208] und in den Dienst verschiedener Könige tritt. Von der Tochter des Königs von England, Agrippina, wird er jedoch bethört und des Seckels beraubt; zwar gelingt es ihm, mit Hilfe des dem Bruder entlockten Hutes, die Prinzessin zu entführen; aber durch seine Unklugheit verliert er an sie auch den Hut; durch List gelingt es ihm, auch dessen sich wieder zu bemächtigen, doch ist das Glück dahin, der Bruder Ampedo stirbt aus Gram, nachdem er den Wünschhut verbrannt, und Andolosia wird des Seckels beraubt und im Kerker erwürgt.

Aus den zahlreichen historischen Andeutungen des Märchens erhellt, dass es um die Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden sein muss. Ohne Zweifel ist es deutschen Ursprunges; das Wunschhütlein ist ursprünglich der breitkrämpige Hut Wuotans, an den sich eine Fülle mythologischer Vorstellungen knüpfte. Der Seckel scheint dagegen bretonischen Ursprunges, wie die Fortuna eher einer keltischen Fee als einer deutschen Waldfrau gleicht. Der zweite Teil des Märchens, die Geschichte von Fortunats Söhnen, findet im 120. Kapitel der Gesta Romanorum ein Gegenstück. Die Zusammenfassung der verschiedenen Teile des Märchens ist jedenfalls das Verdienst eines deutschen Schreibers. Die erste bekannte Ausgabe ist zu Augsburg 1509 erschienen; später wurde es oft aufgelegt. Hans Sachs hat den Stoff zu einer Tragödie verwertet. Der deutsche Text ist ins Französische, Italienische, Niederländische, Englische und Schwedische übersetzt worden. Dramatische Bearbeitungen hat das Märchen noch erfahren durch Thomas Decker, einen Zeitgenossen Shakespeares, durch die englischen Komödianten (siehe Drama), durch Tieck. Nach Zacher in Ersch u. Gruber.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 208-209.
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