Friedhöfe

[236] Friedhöfe. ahd. frîthof, mhd. vrîthof = der zur Schonung und Sicherheit vor einem und um ein Gebäude eingefangene Raum, der Vorhof; dann erst Vorhof der Kirche als öffentlicher Schutzort geflüchteter Verbrecher, endlich schon im Althochdeutschen Kirchhof, Gottesacker. Das Wort frît kommt von ahd. frîten = begünstigen, welches hinwiederum mit Friede und Freund wurzelverwandt ist. Althochdeutsch sagte man auch frîtagadem. – Friedhöfe hat man aus merowingischer Zeit noch zahlreiche erhalten; sie bezeichnen neben den eigentlichen Grabhügeln die älteste Bestattungsstätte der Germanen nach der Völkerwanderung. Sie bestehen aus einfachen Erdgräbern, welche in mehr oder minder regelmässige Reihen geordnet sind. Die Gräber, meist in einer Tiefe von 3 bis 8 Fuss, haben ihre Richtung von Abend gegen Morgen mit 4 bis 5 Fuss breiten Zwischenräumen. Am Mittelrhein haben nahezu alle Dörfer, die überhaupt als sehr alte Niederlassungen anzusehen sind, auch ihre fränkischen Gräber, und ein Umkreis mit dem Durchmesser von 2 bis 3 Wegstunden umfasst oft 8 bis 10 zum Teil ansehnliche Friedhöfe. Die grössten Totenfelder in Deutschland sind auf bayerischem und alemannischem Gebiete entdeckt worden, das bayerische bei Friodolfing an der Salzbach wird auf 3000–4000 Tote berechnet, das alemannische bei Nordendorf, 7 Stunden von Augsburg, ergab bis jetzt 362 Gräber. Zur Zeit der ersten Entdeckungen dieser Friedhöfe glaubte man der zahlreichen Waffenfunde wegen dieselben für Schlachtfelder und für die Bestattungsorte der Gefallenen erklären zu müssen; aber die gleichmässige Beisetzung von Männern, Frauen und Kindern, die Ausstattung der Toten mit ihrem vollen Schmucke und mit allen Arten Gefässen bewies, dass man bloss eigentliche Friedhöfe vor sich habe.

Im Mittelalter kamen die Namen Kirchhof, Leichenhof Lichhof im 14. Jahrh. Gottesacker auf. Ursprünglich hatte jede Stadt und jedes Dorf nur eine einzige Begräbnisstätte, den Friedhof der Haupt- oder Pfarrkirche; allmählich erlangten Klöster[236] und Spitäler das Recht, auf ihrem Grund und Boden besondere Begräbnisstätten haben zu dürfen. Die Friedhöfe waren heilige, kirchlich eingeweihte Stätten; die im Bann oder während des Interdiktes Gestorbenen, die das Sterbesakrament nicht empfangen hatten, die tot Aufgefundenen, die Selbstmörder wurden nicht auf dem Kirchhofe bestattet. Ausser den Friedhöfen wurde auch der Boden der Kirchen als Grabstätte benutzt, anfänglich jedoch bloss für die Geistlichen; später namentlich für solche Laien, die sich durch Schenkungen um die Kirche verdient gemacht hatten. Solche Kirchengruften wurden nachher Erbbegräbnisse. Bei Seuchen u. dgl. wurde zuweilen das Begraben in den Kirchen auf eine gewisse Zeit verboten.

Die Friedhöfe der Dorfkirchen hatten im Mittelalter oft deshalb eine strategische Wichtigkeit, weil die Dorfkirchen meist auf dem höchsten Punkte des Terrains lagen und ihr Friedhof der einzige mit einer Mauer umgebene Raum des Dorfes war. Der Friedhof war deshalb die Zufluchtsstätte für die Dorfbewohner und oft die Stätte blutigen Kampfes, z.B. bei Döffingen. Zwar die Kirche that auch gegen diese Benutzung des Friedhofes Einsprache, aber vergebens.

Die Friedhöfe dienten auch für gerichtliche Handlungen, die mitunter auch in Kreuzgängen und in den Kirchen selbst vorgenommen wurden; diese Einrichtung hat sich mancherorts darin erhalten, dass nach dem Gottesdienste von der Empore herab obrigkeitliche Erlasse bekannt gemacht und vor der Kirche auf dem Kirchhof Gemeindeversammlungen abgehalten werden. Sogar zum Feilhalten von Waren dienten mitunter Kirchhöfe und Kreuzgänge.

Zur Aufbewahrung der ausgescharten Totengebeine war das Beinhaus bestimmt, mhd. beinhûs, oder der Kerner, Kernder, Karner, Gerner, altfranz. carner, franz. charnier, lat. carnarium, manchmal auch Totenhaus genannt; es bestand zuweilen aus einer unterirdischen Gruft und der darüber erbauten Kapelle.

Sowohl einzelne Familien als einzelne Brüderschaften besassen besondere Grabstätten auf dem Friedhof. Die Grabsteine lagen in der Regel. Früh kommt die Inschrift Requiescat in pace und auf den Grabsteinen von Geistlichen der Kelch vor. Ein hölzerner Schild mit dem Wappen des Verstorbenen hiess Leichenschild oder Leichenscheibe. Auch Kruzifixe auf Gräbern sind alt. Lindenschmit, Altertumskunde 90, und Kriegk, Bürgertum II, Abschn. 5.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 236-237.
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