Runen

[890] Runen heissen die von den Germanen angewendeten Schriftzeichen; der Bedeutung des Wortes gemäss, got. runa, ahd. rûna = Geheimnis, geheimer Ratschlag, wurde diese Schrift nicht für zusammenhängende schriftliche Aufzeichnung des gewöhnlichen Lebens, sondern zur Losung und Weissagung, zu Segens- und Verwünschungsformeln angewendet. Die Runenzeichen stammen aus dem griechisch-phönikischen Alphabet; wie und wann sie den Germanen zukamen, ist nicht bekannt; wahrscheinlich geschah es auf dem alten Handelswege von Griechenland und dem Schwarzen Meere her. Die Anwendung der Runen zur Losung geschah dergestalt, dass man Stäbchen aus den Zweigen von fruchttragendem Hartholze, besonders von der Buche (daher ahd. buochstab, Buchstabe, in der Bedeutung von Lautzeichen und das Wort buoch = das Buch, aus die buoche, ahd. puocha) schnitt, in jedes Stäbchen eine Rune ritzte und aus den aufs Geratewohl herausgegriffenen Runenstäbchen eine Deutung zu gewinnen suchte; dabei vertraten die Runen nicht sowohl einzelne Laute, als Begriffe, mystische Zeichen, die erst durch das gesungene Lied, worin die Runen als Anlaute gewisser Hauptworte allitterierend wiederkehrten, ihre Bedeutung erhielten. Daher die Rune auch Stab hiess, wie die allitterierenden Begriffswörter des stabreimenden Verses. Der technische Ausdruck für das Einschneiden oder Einritzen der Runen war ahd. rîzan, altsächs. und angelsächs. wrîtan, in engl, write, erhalten und nhd. Abriss, Reissbrett, das Wort wurde durch das lat. scribere verdrängt, ahd. scrîban, nhd. schreiben. Erst mit der Zeit lernte man die Runen als blosse Lautzeichen verwenden. Das erste Runenalphabet enthielt ursprünglich[890] bloss 15 oder 16 Zeichen, später erhielt es eine Erweiterung bis zu 22, bei den Angelsachsen sogar bis zu 33 Zeichen. Der Gebrauch der deutschen Runen hörte mit der Einführung der lateinischen Schrift durch christliche Lehrer schnell auf; bei den Angelsachsen und den Skandinaviern erhielt sich die Runenschrift bis tief in die christliche Zeit. Aus einer Vermischung des Runenalphabetes mit dem griechischen schuf Ulfilas sein gotisches Alphabet. W. Grimm, über deutsche Runen, Göttingen 1821. W. Lilienkron und Müllenhoff, zur Runenlehre. Zwei Abhandlungen. Halle 1852. Zacher, das gotische Alphabet Vulfilas und das Runenalphäbet. Leipzig 1855. Über die in der letzten Zeit gefundenen und erklärten Runen vgl. namentlich Dietrich in Haupts Zeitschrift für deutsch. Altert. Band XIII, 1867 und Pfeiffers Germania X, 1865.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 890-891.
Lizenz:
Faksimiles:
890 | 891
Kategorien: