[1348] , ûs, oder ónis, Gr. Ἰὼ, οῦς, ( Tab. XVIII.)

1 §. Namen. Derselbe soll aus dem ägyptischen Joh seyn, welches der Mond heißt. Iablonski Panth. ægypt. P. II Doch sollen ihn auch die Achiver in ihrer Sprache so genannt haben. Eustath. in Dionys. Perieg. v. 94.

2 §. Aeltern. Diese waren nach einigen Inachus II und Argia; Hygin. Fab. 145. nach andern, Argus und Ismene; Cercops ap. Apollod. l. II. c. 1. §. 3. nach den dritten Neptun und Hallirrhoe; Acesidor. ap. eumd. l. c. nach den vierten Jasus uno Leukane; Schol. Eurip. ap. Muncker. ad Hygin. l. c. nach den fünften wenigstens der Vater [1348] Piren; Hesiod. ap. Apollod. l. c. nach den sechsten Inachus I, oder der Fluß dieses Namens, Ovid. Met. I. v. 583. und nach den siebenten Arestor. Pherecyd. ap. Apollod. l. c. Anon. de incred. c. 15. ap. Gale opusc. myth.

3 §. Wesen und Schicksal. Sie war ein ungemein schönes Frauenzimmer; daher sie denn auch Jupiter selbst liebete, und, ungeachtet sie vor ihm floh, dennoch endlich einen düstern Nebel um sie machte, und also zu seinem Willens brachte. Wie aber Juno solches merkete, so machte sie sich vom Himmel herunter, vertrieb den Nebel, und fand also ihren Jupiter, der aber die Io sogleich in eine schöne weiße Kuh verwandelte. Allein, Juno rieth den Handel, und bath sich daher diese Kuh von dems Jupiter zum Geschenke aus, welche er ihr denn nicht abschlagen konnte. Sie setzete den hundertäugigen Argus zum Hüter, welcher sie sehr genau in Acht nahm, bis endlich Mercurius den Argus, auf Jupiters Veranlassen, hinrichtete. Man sieht diese Bewachung noch auf einem geschnittenen Steine, wo Argus unter einem Baume sitzt, seinen Kopf auf den linken Arm und den in der Hand habenden Stab stützet, wobey unten zu seinen Füßen sein Hund liegt und die Kuh vor ihm steht. Gorii gem. antiq. ex thes. medic. tab. 57. n. 3. Auf einem andern hat Mercur die Harpe oder das krumme Schwert, womit er dem Argus den Kopf abgehauen in der rechten Hand und in der linken diesen Kopf selbst nebst dem Schlangenstabe: die Kuh aber läuft davon. Auf einem Baume dabey sitzt der Pfau, in dessen Schweif die Augen des Argus gesetzet worden. Lipp. Dactyl. I Taus. 322 N. Dargegen machte Juno die Io aus Rache rasend, und, nachdem sie dieselbe also von einer der Furien durch einen großen Theil der Welt über Seen, Flüsse und Meere jagen lassen, so fiel solche endlich an dem Nile in Aegypten auf ihre Knie, und bath den Jupiter um Entnehmung ihres Elendes. Dieser vermochte auch endlich seine eifersüchtige Gemahlinn dahin, daß sie solches geschehen ließ, worauf [1349] sie denn ihre vorige Gestalt wieder bekam, den Epaphus gebar, und von den Aegyptern, unter dem Namen der Isis, göttlich verehret wurde. Ovid. Metam. I. v. 588–748. Als sie sich aber in ihrer Tollheit in das Meer stürzete, so bekam solches von ihr den Namen des jonischen Meeres, und, da sie über dasselbe in Thracien setzete, des Bosporus Thracius. Hygin. Fab. 145. Cf. Tzetz. & Potter. ad Lycophr. v. 631. Man muthmaßet, die Geschichte, wie sie sich ins Meer stürze, sey auf einem gut gearbeiteten Steine ausgedrücket, wo eine Kuh ins Wasser springt, an welchem ein Dianentempel steht, vor dessen Eingange ein Hund ist. Lipperts Dactyl. I Taus. 50 N. Da ihr nun Juno auch den Epaphus entführen lassen, so suchte sie denselben allenthalben, bis sie ihn endlich in Syrien wieder fand, worauf sie nach ihrer Zurückkunft den Telegonus in Aegypten heurathete, und endlich Isis genannt wurde. Apollod. l. II. c. 1. §. 3. Sie bekam daselbst auch einer besondern Ursache wegen den Beynamen Bubasis. Sieh Isis 5. §. Nach einigen war sie eigentlich eine Priesterinn der Juno, suchte aber dieser ihren Gemahl, den Jupiter, durch allerhand Zauberey zu ihrer Liebe zu bewegen. Sie bedienete sich dazu insonderheit ihrer Magd, der Jynx, die aber Juno dafür bestrafete. Sieh Iynx. Sie soll endlich ihre menschliche Gestalt wieder bekommen haben, als ihr Jupiter mit seiner rechten Hand über den Rücken gestrichen. Moschi Idyll. II. 50. Darauf wurde sie zur Göttinn, und soll insonderheit die Aufschwellung des Nils verursachet, die Winde gegeben, und die Schiffenden erhalten haben. Lucian. Dial. Deor. 1. Sie hatte eine Bildsäule zu Ninive, in welcher sie zur Erinnerung ihrer Verwandlung mit kleinen gleichsam erst hervorwachsenden Hörnern vorgestellet war. Philostr. vit. Apollon. l. I. c. 19. p. 23.

4 §. Wahre Historie. Sie soll, nach einigen, allerdings eine Prinzessinn gewesen seyn, die aber die Phönicier geraubet, und nach Aegypten geführet haben. Persæ ap. Herodot. Clio p. 1. Nach [1350] andern soll sie von einem phönicischen Kaufmanne seyn zu Falle gebracht worden, da sie sich denn aus Furcht vor ihren Aeltern, auf ein phönicisches Schiff gemacht, und also davon gefahren. Phœnices ap. eumd. p. 3. Cf. Palæph. c. 43. & Anonym. Incred. c. 15. Nach andern soll sie eine gute Buhlschwester gewesen und daher eben von den Argivern eine Kuh genannt seyn. Ihre fernern Ausschweifungen zu verhüten, habe sie ihr Vater dem Argus, ihrer Mutter Bruder, zur Verwahrung gegeben; einer von ihren Liebhabern aber habe solchen mit ihrer Genehmhaltung hingerichtet und sich darauf mit ihr zu Schiffe begeben, da sie denn nach Ionien verschlagen worden. Anonym. de incred. c. 15. ap. Gale Opusc. mythol. p. 91. Am wahrscheinlichsten ist es wohl, daß sie eine Priesterinn der Juno zu Argos gewesen, die den König Apis, welcher Jupiter genannt wird, auf ihre Seite gebracht, allein, vor der Niobe, des Apis Gemahlinn, als der Juno, flüchtig werden müssen. Da sie sich nun auf einem Schiffe nach Aegypten gemacht, welches eine Kuh zum Zeichen gehabt, so hat man gedichtet, daß sie in dergleichen Thier verwandelt worden. Voss. Theol. gent. l. I. c. 13. Nat. Com. l. VIII. c. 19. p. 896. Banier Entret. VII. ou P. I. p. 188. Dess. Erl. der Götterl. II B. 86 S. Daß sie nach der Zeit unter der Isis Namen verehret worden, und einerley mit derselben gewesen, ist ein ganz nichtiges Vorgeben der Griechen, weil Isis viel älter ist, als die Jo. Marsham. Canon. Chron. Sec. I. p. 41. Indessen müssen doch zwo Io bey den Griechen angenommen werden, wenn die Historie bestehen soll, wovon die eine des Inachus, die andere aber des Jasus Tochter, und beyde des Apis Beyschläferinnen gewesen seyn. Voss. l. c.

5 §. Anderwestige Deutung. Eines Theils soll sie bald so viel, als der Mond seyn, welches selbst ihr Namen nach dem Aegyptischen andeutet; wie denn ihre ganze Fabel aus Aegypten kommen soll. Iablonski Panth. ægypt. P. II. p. 4. sqq. bald aber soll sie so viel, als die Erde seyn, da denn Jupiter die [1351] ätherische Wärme, Juno aber die gelindere Luft, Argus die Sterne, und die Kuh ein Bild der Fruchtbarkeit der Erde ist. Andern Theils aber wird solche Io auch für ein Bild wollüstiger Seelen gehalten, welche durch die Wollust in einen Nebel der Düsterkeit des Verstandes gerathen, daß sie Gott nicht erkennen, und wohl gar in unvernünftige Thiere verwandelt werden. Dabey gerathen sie der Juno, oder dem Geize, in die Hände, und stehen unter der Gewalt des Argus, oder der so mannichfaltigen Wollüste, als dieser Augen hatte, bis endlich Mercurius, oder die Vernunft, diesen wieder umbringet, und also die Wollüste unterdrücket, worauf sie denn die Furie, oder das böse Gewissen plaget und ihnen keine Ruhe läßt, bis sie sich wieder zu Gott kehren, und ihre erste Gestalt und mögliche Gleichheit mit Gott wieder erlangen. Nat. Com. l. VIII. c. 19.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 1348-1352.
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