Lernaea Hydra

[1454] LERNAEA HYDRA, æ, Gr. Αερναία Ὕδρα, ( Tab. V.) Typhons und der Echidna Tochter. Hygin. Præf. p. 15. Sie wurde in dem Lerna, einem Pfuhle in Argolien, auferzogen, und verwüstete das flache Land weit und breit, weil sie Menschen und Vieh hinweg raubete. Sie war von einer ungeheuern Größe, hatte neun Köpfe, unter welchen der mittelste unsterblich war. Diese zu erlegen, wurde dem Herkules von dem Eurystheus anbefohlen, der sich denn mit dem Jolaus auf seinem Wagen dahin machte. Er traf sie auf einem Hügel, bey der Amymone Brunnen, in ihrem Lager an, ließ den Wagen stehen, griff sie mit feurigen Pfeilen an, und zwang sie also, sich hervor zu machen. Er fassete sie darauf selbst mit den Händen: sie schlug sich aber dagegen desto genauer um seine Beine herum. Allein, indem er anfieng, mit seiner Keule ihr die Köpfe abzuschlagen, so sah er, daß an eines Stelle sofort zween andere hervor kamen.[1454] Dabey kam ihr noch ein ungeheuerer Krebs zu Hülfe, der ihn gewaltig in die Füße knipp. Er erschlug also erst diesen, und rief darauf den Jolaus zu Hülfe, welcher denn einen nahe stehenden Wald anzündete, und mit den Bränden sogleich über den Hals der Hydra herfuhr, wenn ein Kopf abgeschlagen war. Dadurch verhinderte er denn, daß keine andere an dessen Stelle wuchsen, und Herkules also das Ungeheuer endlich erlegen konnte. Den unsterblichen Kopf nahm er und vergrub ihn in die Erde, legete auch, zu mehrer Sicherheit, einen gewaltigen Stein auf denselben. Dabey tunkete er seine Pfeile in ihr Blut, welche sodann ganz unheilbare Wunden machten. Apollod. l. II. c. 5. §. 3. Er soll sich dabey eines goldenen sichelförmigen Schwertes bedienet haben, und sie so gar geflügelt gewesen seyn. Euripid. Ion. 191. Sie soll übrigens dermaßen giftig gewesen seyn, daß sie die Menschen auch mit ihrem bloßen Hauche getödtet; daher sie Herkules auf Anweisung der Minerva erlegen müssen. Hygin. Fab. 30. Wie ihr aber einige nur sieben, Nummi Græci ap. Spanh. laudante Munckero ad Hyg. l. c. andere acht Köpfe beylegen, Zenob. ap. eumd. l. c. so schreiben ihr andere hingegen funfzig, Simonides ib. und wiederum andere gar hundert zu. Diese letztern wollen auch, Herkules habe seine Pfeile nicht so wohl mit deren Blute, als ihrer Galle, benetzet. Diod. Sic. l. IV. c. 11. p. 153. Cf. Ovid. Met IX. v. 71. & ad eum Heinsius l. c. Einige melden, die Hälfte ihres Kopfes sey von Golde gewesen. Ptol. Hephæst. l. II. p. 310. Andere glauben, sie habe nicht mehr als einen Kopf gehabt, und Pisander aus Kammirus ihr nur viele angedichtet, seine Beschreibung von ihr desto fürchterlicher zu machen. Pausan. Car. c. 37. p. 156. Sie soll aber so giftig gewesen seyn, daß, als der Centaur Chiron, oder auch Polenor, nur seine Wunde, die er von einem Pfeile des Herkules empfangen, in dem Flusse Anigrus abgewaschen, solcher Fluß davon beständig einen häßlichen Gestank [1455] behalten habe. Id. Eliac. prior. c. 5. p. 296. Ja, Herkules selbst mußte dadurch umkommen, weil Deianira mit des Nessus Blute, der von einem solchen Pfeile verwundet worden, des Herkules Hemde bestrichen hatte. Hygin. l. c. Außer dem wurde er bey ihrer Erlegung dergestalt von ihr gebissen, daß er hin und wieder voller unheilbaren Geschwüre wurde, und davon nicht eher geheilet werden konnte, als bis er, dem Orakel zu Folge, sich gegen den Orient begab, und ein Kraut suchete, das der Hydra gleich war. Er fand es bey der Stadt Aka in Palästina; und weil er sich damit heilete, so bekam solche Stadt daher von ἀκέομαι den Namen Ἄκη. Steph. Byz. in. Ἄκη. Diese That des Herkules ist auf einigen Gemmen vorgestellet worden, wo die Schlange gemeiniglich nur sieben Köpfe hat, und Herkules einen derselben in der Hand hält, den er mit seiner aufgehobenen Keule herabschlagen zu wollen scheint. Gori Mus. Florent. T. I. t. 37. n. 6. Cf. Lipperts Dactyl. I Taus. 574 N. Eine sonderbare Vorstellung ist es, wo Herkules in einer sitzenden Stellung drey dieser Köpfe auf einen brennenden Altar vor sich den Göttern gleichsam zum Opfer legen will. Mariette pier. grav. T. II. P. I. t. 75. Allein, wie übrigens solche Hydra ohne Zweifel nur ein Gedicht ist, so wollen einige, Lernus sey ein kleiner König unter dem Eurystheus gewesen, der sich aber wider diesen aufgeleget, und insonderheit die Stadt Hydra mit funfzig guten Schützen versehen. Wider diese sey Herkules abgeschicket worden, sie zu überwältigen: allein, wenn er einen von selbigen erleget, so wären allemal zween andere an dessen Stelle getreten. Da nun indessen Lernus den Seinigen unter dem Karcinus, welches. einen Krebs bedeutet, einige Hülfe zugeführet, so habe Jolaus auch dergleichen dem Herkules zugebracht, bis sie endlich besagte Stadt erobert. Palæphat. c. 39. Andere verstehen zwar eine wirkliche Schlange unter ihr, die aber nicht so viel Köpfe, als gesagt wird, sondern so viel junge gehabt, [1456] welche neben ihr allen Schaden verursachet. Heraclit. de Incred. c. 18. Noch andere deuten sie auf unterschiedene Bäche, die aus der Lerna gekommen, und das Land überschwemmet, die aber Herkules verstopfet habe; Serv. ad Virg. Aen. VI. 287. cf. Voss. Theol. gene. l. 2. c. 15. oder auch auf sieben berufene Straßenräuber, die sich in den Morästen der Lerna aufgehalten; und, da Herkules deren einen erleget, habe er allemal wieder mit zween andern zugleich fechten müssen. Coronelli dans l'Histoire de la Morée beym Banier Erl. der Götterl. IV B. 612 S. Außerdem will man, die Moräste von Lerna bey Argos wären mit vielen Schlangen angefüllet gewesen, die sich so, wie sie ausgerottet worden, zu vermehren geschienen. Herkules reinigte mit Hülfe seiner Freunde die Moräste gänzlich davon, legete Feuer daselbst an, das Schilf abzubrennen, und machte solchergestalt diesen Ort urbar. Daher hat man denn vieleicht einige Köpfe dieses Unthieres und das Schwert, womit es erleget worden, golden gemacht. Ebendas 610 S. Die sie aber bald auf die Unwissenheit deuten, welche durch das Feuer, das ist, die Ermahnungen, muß bezwungen werden, Heraclid. Allegor. Hom. p. 453. bald die Unmäßigkeit, eine Quelle aller Laster, unter ihr verstehen, Nat. Com. & fusius Paullus Pater ad Palæphat. l. c. machen Auslegungen, woran vielleicht die ersten Erfinder solcher Schlange nichts gedacht haben.

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Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 1454-1457.
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