Dankbarkeit

[131] Dankbarkeit (Dank, eigtl. das Denken) heißt die Gesinnung eines Menschen, welcher empfangene Wohltaten anerkennt, sich ihrer erinnert und sie nach Kräften erwidert. Die Dankbarkeit ist verhältnismäßig selten zu finden; daher das Sprichwort: »Undank ist der Welt Lohn«. Vergeßlichkeit, Leichtsinn, Gewohnheit, Selbstsucht, – aber auch die Umstände verhindern oft die Dankbarkeit da, wo sie nicht gerade fehlt, sich zu äußern. So wenig die Wohltat erzwingbar ist, so wenig ist es der Dank dafür. Beides verliert durch Zwang allen Wert. Wenn daher, obwohl die Wohltätigkeit an sich eine hohe Tugend ist, derjenige »seinen Lohn dahin hat«, der etwas Gutes tut, um Dank zu ernten, so ist andrerseits Undankbarkeit ein Zeichen von Hohlheit oder Roheit des Gemütes, und Dankbarkeit eine schöne, aber schwere Tugend. Die Wohltaten, die wir anderen erweisen, vergessen wir langsam, die uns erwiesenen schnell. Unedlen, selbstsüchtigen Menschen sind empfangene Wohltaten drückend, weil sie sich nicht zum Dank verpflichtet fühlen möchten; freigebige, großmütige dagegen, die anderen oft Wohltaten erweisen, vergessen auch ihrerseits leicht des Dankes. Wer sich viel über Undank der Menschen beschwert, macht sich dadurch verdächtig, daß er nicht aus Menschlichkeit, sondern aus Eigennutz Wohltaten erwiesen hat.[131]

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 131-132.
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