Dogmatismus

[151] Dogmatismus heißt zunächst das wissenschaftliche Lehrverfahren, welches von Grundsätzen ausgeht und aus diesen die Lehrsätze durch Beweise ableitet. So verfährt die Mathematik. Als Methode ist der Dogmatismus ( = Rationalismus) dem Empirismus, der in der wissenschaftlichen Forschung von Beobachtung und Experimenten ausgeht, entgegengesetzt. – Unter Dogmatismus versteht man ferner nicht nur ein methodisches Verfahren, sondern eine bestimmte Stellungnahme im Streite über die Grenzen der menschlichen Vernunfttätigkeit, und, so genommen, ist der Dogmatismus jede Philosophie, die den Erfahrungskreis überschreitet, ohne die Überschreitung vorher durch eine Prüfung der Erkenntniskraft gerechtfertigt zu haben. So heißt Dogmatiker oder Dogmatist derjenige Philosoph, welcher ein unbedingtes Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit der menschlichen Vernunft besitzt und ohne Prüfung und Beweis gewisse allgemeine Sätze als Grundlage seines Systems aufstellt. Er gebraucht die Vernunft, ohne erst ihre Fähigkeit und ihre Grenze zu untersuchen, zu metaphysischen Behauptungen. Den Dogmatikern unter den Philosophen stehen die Skeptiker und Kritiker gegenüber. Die ersten zweifeln an der Leistungsfähigkeit der menschlichen Vernunft überhaupt[151] ohne Prüfung der menschlichen Erkenntniskraft, die zweiten fordern vor jedem Aufbau einer Erkenntnis erst die Aufstellung einer Erkenntnistheorie, welche die Natur und Grenzen unserer Vernunft zu prüfen hat. Dogmatiker sind Cartesius, Spinoza, Leibniz, Wolf und die Aufklärungsphilosophen des XVIII. Jahrhunderts, ferner Fichte, Schelling, Hegel gewesen. (Vgl. Kant Kr. d. r. V. 2. Aufl. Vorrede S. XXXV. »Dogmatismus ist – das dogmatische Verfahren der reinen Vernunft ohne vorangehende Kritik ihres eigenen Vermögens.«) Skeptiker war Hume, Kritiker waren Locke und Kant.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 151-152.
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