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[18] »Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß du lange lebest«.
Die zehn Gebote.
Ihr Kinder, kommet her zu mir,
Ich nenne euch der Worte vier.
[18]
Vier Worte will ich lehren euch,
So schlicht und doch so inhaltsreich.
Was ihr den Eltern schuldig seid,
An jedem Ort, zu jeder Zeit.
O Lieb', so selig und so süß!
Ein Lichtstrahl aus dem Paradies.
Ein liebevolles Herz – ein Edelstein,
Ein liebeleeres Herz – ein Kieselstein.
Ein liebevolles Herz – eine duftige Rose,
Ein liebeleeres Herz – eine brennende Nessel.
Einliebevolles Herz – ein sprudelnder Quell.
Einliebeleeres Herz – ein Klumpen Eis.
[19]
Respekterfüllt und ehrfurchtsvoll
Ein Kind den Eltern begegnen soll.
Auch unter Lachen, Necken und Scherzen
Nie weiche die Ehrfurcht aus dem Herzen.
Was alles die Eltern euch Gutes gethan,
Wie könntet ihr es ermessen!
Wie sie sorgten für euch von Jugend an,
[20]
Wie könntet ihr das vergessen?
Mit zärtlichem, lieberfülltem Gemüt
Sie haben für euch gestrebt, sich gemüht,
Euch sorgsam gehegt,
Genährt, gepflegt,
Dem Vogel gleich im Geäste
Für die jungen Küchlein im Neste,
So lagt ihr gebettet weich und warm,
Von des Vaters Hand, von der Mutter Arm.
Seht doch, wie die Sonne am Himmelszelt
Die Welt erwärmt und erleuchtet,
Seht, wie der Regen, der Morgentau
Das lechzende Erdreich befeuchtet;
Es blühen die Blumen in farbiger Pracht,
Den Menschen zur Lust und Wonne:
So seid ihr als Menschenblumen erblüht.
Es spendeten reich
Die Eltern euch
Aus liebevollem Gemüt
So Tau als Regen und Sonne.
Vor des Lebens Not, vor jeglichem Leid
Sie wollen euch schützen und schirmen,
Und stehen euch bei, zur Hilfe bereit,
In allen Wettern und Stürmen.
[21]
Gehorsam ist des Kindes Pflicht,
Unfolgsam ist der Bösewicht.
Des Vaters und der Mutter Willen
Sollst froh und willig du erfüllen.
Und ist es dir auch unbequem,
Gehorche doch, trotz alledem.
Des Lebens Krone der erringt,
Wer schon als Kind sich selbst bezwingt.
Drum, wenn dich die Eltern etwas heißen,
Sollst du dienstfertig dich beweisen.
[22]
Mach kein verdrießliches Gesicht
Und sage nicht:
»Der Fritz soll's thun, die Emma, der Louis!«
O pfui! –
Freue dich, deinen Eltern zu dienen,
Und ihn' es gern, mit freundlichen Mienen.
Betrübe deine Eltern nie;
Wie du nur kannst, erfreue sie.
Nie darfst du deinen Eltern grollen,
Noch trotzig murren oder schmollen.
Und strafen sie auch manchmal dich,
Zu deinem Wohl ist's sicherlich.
Die Eltern darfst du nie belügen,
Selbst nicht durch Mienen sie betrügen.
Auch sollst du ihnen nichts verschweigen,
Vielmehr Vertrauen stets bezeigen.
[23]
Sei ruhig, wenn die Eltern sprechen,
Und hüt' dich, sie zu unterbrechen.
Im Hause stürme nicht umher,
Wie einer aus dem wilden Heer.
Im Reden wie auch im Gebaren
Sollst du Bescheidenheit bewahren.
[24]
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