Rittersprung, oder der Vorritt-Gebrauch.

[241] Keine deutsche Provinz, ja kein Reich in Europa, ist uns bekannt, wo der Vorritt, oder schlechtweg der Rittersprung, einem adlichen Rittergutsbesitzer heutiges Tages noch ein eignes Recht bewirkte; ja, wir wissen uns nicht zu erinnern, daß dieser Vorritt gegenwärtig noch irgendwo gehalten würde. Nur in der Ober-Lausnitz kommt er noch vor, wo er in den Jahren 1777 und 1778 zu Budissin (Bautzen), der Hauptstadt dieser dem Churhause Sachsen gehörigen Provinz, auf die feierlichste Weise zweimal nach einander gehalten und vollzogen worden ist. Dieser Vorritt, oder der so genannte Rittersprung, gründet sich auf ein Privilegium, welches der Kaiser Ferdinand I. im Jahre 1544 [241] der Ritterschaft der Ober-Lausnitz ertheilte. Vermöge dieses Privilegiums nun soll ein jeder Vasall berechtigt seyn, sein schon auf dem Falle stehendes Lehn- und Rittergut, ohne Genehmigung des Lehnsherrn, unter den Lebendigen, z.B. durch Verkauf, veräußern zu dürfen; unter dieser Einschränkung jedoch, daß es noch zu einer Zeit geschehen muß, wo er, der Vasall und Ritter, noch so viele Leibeskraft hat, um einen Hengst in seiner vollen Rüstung besteigen und vor dem Ladvoigte auf demselben reiten zu können. Sobald denn nun einmal dieser Vorritt oder Rittersprung gehalten werden soll, gehen noch große Vorbereitungen der Feierlichkeit selbst voraus. Es wird nehmlich eine ganz neue vollständige Ritterrüstung dazu verfertigt, welche, zusammt dem Pferde des Ritters, vor allen Dingen den churfürstlichen Commissarien einige Tage vor der Handlung vorgezeigt werden muß, um zu sehn, ob alles vorschriftsmäßig sey: das Pferd wird gemessen; der Küraß wird angeschossen und die ganze Rüstung gewogen. An dem zur Feierlichkeit bestimmten Tage muß der Vasall in seiner vollen Rüstung auf dem Schloßhofe [242] erscheinen, so ausgerüstet das Pferd besteigen, und vor den auf einer daselbst befindlichen Tribune versammelten churfürstlichen Commissarien, und in Gegenwart ritterschaftlicher und städtischer Deputirten, unter Vorausreitung vier Trompeter zweimal um einen Kreis herumreiten. – Mehreres hierüber findet man in Bernoulli's Sammlung kurzer Reisebeschreibungen, Th. I. Nr. 6.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 241-243.
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