6.


[128] So angenehm der Eindruck war, den Königsberg als Stadt auf mich hervorbrachte, und sobald ich auch Ursache hatte, mich der Freundschaftsbande zu erfreuen, die ich in Theater- und Gesellschaftskreisen knüpfte, so konnte ich doch in künstlerischer Beziehung nur bedauern, in die geordneten Theaterverhältnisse Danzigs nicht eingetreten zu sein. Hier in Königsberg hatte als Nachwirkung der Schütz'schen Wirthschaft Alles den Charakter der Zerfahrenheit und das Schwankende und Streitige in der Theaterverwaltung, an deren Spitze die Bühnenmitglieder Fleischer und Weiß standen, mußte nothwendig auf das Ganze nachtheilig einwirken. Und es wären so viele anregende Elemente vorhanden gewesen, um etwas mehr als das Gewöhnliche zu leisten. Das Königsberger Publicum, ein zum Theile hochgebildetes und ungemein kunstfreundliches, war ein vorzüglicher Gönner des höheren Dramas. Der Winter und das kommende Frühjahr gab mir denn auch Gelegenheit, mein tragisches Rollenrepertoire bedeutend zu erweitern.

In Königsberg lernte ich unter meinen Collegen Louis Angely kennen, diese kleine Rakete, die bekanntlich bei der geringsten Erregung sogleich explodirte. Man konnte mit Angely eigentlich nur dann in Frieden leben, wenn man auf Alles ja oder nein sagte; die übrige Conversation besorgte er selbst. Was er absolut nicht vertrug, war eine Anspielung auf seine knabenhaft kleine Figur, die ihm in der That nur einen sehr geringen Rollenkreis gestattete. Bekannt ist ja die[128] Anecdote, wie Angely vor Zorn beinahe zu ersticken drohte, als ihm Folgendes passirte.

Angely gehörte im Jahre 1826 zu jenem schriftstellerischen Vierzehnerbunde in Berlin, der sich zum Ziele setzte, Saphir literarisch zu tödten und zu vertreiben, und sich dabei bis zu körperlichen Mißhandlungen hinreißen ließ. Es kam bei diesen Zänkereien und Prügeleien auch zu Gerichtsverhandlungen, und Saphir wurde vernommen über eine Klage Angely's, daß Jener ihm nach dem Leben trachte. Saphir entgegnete den Richtern mit einem unwiderstehlichen Ausdrucke: »Meine Herren, sehe ich aus wie ein Kindermörder?« Dieses Bonmot ging durch ganz Berlin und brachte Angely bis zu lauten Drohungen, sich an Saphir zu vergreifen. Ganz außer sich gerieth aber das siedende Töpfchen, als ihm schadenfrohe Leute Saphir's Antwort zutrugen, der auf die Nachricht dieser Drohung erwiederte: »Ich werde mir zu meiner Sicherung hohe Stiefeln machen lassen.«

An mich schloß sich Angely mit besonderer Vertraulichkeit, weil ich jeden Anlaß mied, ihn zu verletzen, und eine schätzenswerthe Eigenschaft des kleinen Zündhölzchens war es, daß er den auf Tod und Leben vertheidigte, den er seinen Freund nannte.

Einen viel dauerhafteren, wahren Freundschaftsbund errichtete ich mit einem hochgeachteten Königsberger Kaufmann, Möller, einem jener Theaterenthusiasten, die ihre Kunstliebe mit in das Grab nehmen. Einen ebenso innigen Freund gewann ich an Mosewius, der, von ganz Breslau wahrhaft betrauert, als Musikdirector an der Singakademie der dortigen[129] Universität, im Jahre 1858 auf einer Lustreise zu Schaffhausen plötzlich verstorben ist, und sich in musikalischen Kreisen einen ehrenvollen Namen erworben hat. Mosewins, ein geborner Königsberger und als Bassist in der Oper sehr geschätzt, hatte sich mit der Schütz'schen Directionsführung nicht vertragen, war nach Berlin gegangen und kehrte nun auf Wunsch des Königsberger Publicums fast gleichzeitig mit meinem Eintreffen in seine Stellung zurück. Wir schlossen uns bald sehr fest aneinander und wirkten gegenseitig sehr anregend ein.

Das Frühjahr 1812 war herangekommen, und bald trat selbst für den Künstler das Interesse an der Kunst zurück vor den näherrollenden Gewitterwolken, welche von Westen und Osten gegen die äußerste Grenze Preußens im Anzuge waren. Rußland rüstete sich zum Kampfe, und wir waren kaum im April, als die ersten Scharen jener halben Million durch Königsberg rasselten, welche der Attila des 19. Jahrhunderts zusammenrief, um Rurik's Söhne zu französischen Unterthanen zu machen.

Ich hätte fast auf das Schauspiel des Abends vergessen mögen vor den Schauspielen, die sich den neugierigen Blicken bei Tage boten.

Es fing an zu wimmeln von französischen Commissären, Agenten, Armeelieferanten und Quartiermachern. Truppenzüge folgten auf Truppenzüge. Alle Waffengattungen, alle Nationenwaren vertreten in den buntesten Uniformen und in einer Anzahl, daß der staunende Zuschauer in die Zeiten der Märchen und Wunder versetzt zu sein glaubte. Ich unterschied Portugiesen, Neapolitaner, Piemontesen, Holländer, Badenser,[130] Würtemberger, Hessen, Baiern, Sachsen, Westphalen, Preußen, Polen und endlich Franzosen. Immer mehr und mehr häuften sich die Massen; abrückende Divisionen wurden durch ganze Armeecorps ersetzt. Königsberg starrte von Waffen und die Straßen wurden fast ungangbar durch Krieger. Endlich erschienen die Generale und Marschälle in ihren gestickten Uniformen und ihren Ordensbändern, umihn zu erwarten, von dem sie ihre Bestimmung erhalten sollten.

Er selbst, der sie hineinführen wollte nach den weiten Steppen Rußlands zu neuen Siegen und Triumphen, erschien endlich in der zweiten Hälfte des Mai und ließ vor dem Balcon des Schlosses Tag für Tag seine unüberwindlichen Legionen defiliren.

Hier sah ich ihn nun öfter und bequemer als vor fünf Jahren auf der Post in Leipzig und prägte mir seine Züge tief in das Gedächtniß.

Wenige Wochen später war das glänzende und eben so furchtbare Schauspiel mit seinen tödtenden Kanonenwerkzeugen über den Niemen verschwunden und nur die fabelhaften Kunden und Bulletins von den französischen Siegen bei Witepsk, Smolensk, Borodino und von dem Einzuge und dem Brande in Moskau unterbrachen das Alltagsleben, das sich nun wieder in seinem gewöhnlichen Geleise bewegte.

Die Theaterverhältnisse wurden gegen den Herbst immer unsicherer und unangenehmer. Eine Veränderung war mir in künstlerischer Beziehung sehr wünschenswerth und ich schrieb an Hurey nach Danzig, ob er mich haben wolle, indem ich meinen Contract in Königsberg nicht mehr zu verlängern gesonnen[131] sei. Hurey antwortete durch Zusendung des Contractes.

Meine Freunde und Collegen, und ich darf sagen auch das Publicum sahen mich mit Bedauern scheiden, und obwohl sie die Gründe meines Abganges anerkennen mußten, sprachen sie doch den Wunsch aus, daß ich zurückkehren möchte, so bald sich die Theaterverhältnisse günstiger gestalten würden.

Ich sprach denselben Wunsch mit ungeheuchelter Aufrichtigkeit aus, hätte aber nicht geglaubt, daß er so schnell in Erfüllung gehen sollte.

Ich traf im October in Danzig ein, wo ich zwar bescheidene, aber angenehme Dienstverhältnisse kennen lernte. Unter den neuen Collegen begrüßte ich einen sehr rührigen, strebsamen Anfänger, der im niedrigkomischen Fache unendliche Heiterkeit erregte und bereits zu den Lieblingen des Publicums gehörte – La Roche, damals ein Bürschchen von kaum 18 Jahren.


»Was man nicht alles für Leute kennt,

Und wie die Zeit von dannen rennt.«


Alter Knabe! Hätten wir uns träumen lassen, daß wir zwanzig Jahre später abermals Collegen werden würden, um unsere vereinte Wirksamkeit bis in das Greisenalter fortzusetzen? Ich hatte mich in Danzig eben erst heimisch gemacht, als die Weltereignisse an die Thür pochten, um mich endlich unmittelbar mit ihren rauhen Tritten zu berühren.

Napoleon hatte mit seinen decimirten und entkräfteten Schaaren aus dem zerstörten Moskau weichen müssen, um sich auf seine Verbindungslinien zurückzuziehen und gesicherte Winterquartiere[132] aufzusuchen, welche ihm die Ruinen der alten Czarenstadt versagten.

Gerüchte, erst dunkel und unbestimmt, von den französischen Anhängern geläugnet, aber nicht widerlegt, brachten nach Danzig die Kunde von ungeheuren Verlusten, womit das Schicksal die siegestrunkenen Heere des Weltbezwingers heimgesucht hatte.

Endlich ließ sich auch das neue Golgatha an der Beresina nicht mehr verheimlichen; Zeitungsblätter, in Briefe eingeschlossen, meldeten als Thatsache den Untergang einer Waffenmacht, wie sie seit den Zeiten des Xerxes, der Römer und des Attila nicht mehr zum Kampfe geführt worden war.

Ich selbst las ein solches geschmuggeltes Zeitungsblatt in Hurey's Zimmer hinter dem Ofen, denn der Besitzer oder Verbreiter von Zeitungen oder Nachrichten, die nicht officiell waren, verfielen in strenge Strafen, und ein Befehl des Militärgouverneurs von Danzig, des General Rapp, verbot sogar, über dergleichen laut und an öffentlichen Orten zu reden.

In allen anderen Beziehungen erwies sich der berühmte Krieger gegen Danzigs Einwohner so menschenfreundlich und rücksichtsvoll, wie wenige Kriegsoberste Napoleons, die sich im Allgemeinen durch Rohheit, Uebermuth und Gewaltthätigkeiten jeder Art auszeichneten.

So wurde z. B. bei General Rapp bittere Klage geführt und Beweis geliefert, daß von Soldaten zweier neapolitanischer Regimenter, die zur Garnison gehörten, Raub, Diebstahl und andere Schandthaten in der frechsten Weise verübt wurden.

Rapp, selbst auf das Höchste entrüstet, gibt Befehl, daß[133] das erste neapolitanische Regiment über Nacht auf dem Bischofsberge zu bivouakiren habe. Der Bischofsberg, das höchste Festungswerk Danzigs, hatte die Aussicht auf die Ostsee und wurde von den markzerschneidenden Nordwinden bestrichen. Das Regiment mußte gehorchen und (wir waren im December 1812!) am anderen Morgen lagen über fünfzig Neapolitaner todt, theils erfroren, theils verbrannt in dem Bemühen, sich gegen die Martern der Kälte an den Bivouakfeuern zu schützen. Am Morgen wurde das Regiment abgelöst und Abends darauf das zweite Regiment beordert. Diesmal fielen der mitleidlosen Winternacht gegen achtzig Mann zum Opfer. Entsetzen herrschte unter den Italienern. Nun ließ Rapp in den Casernen durch Tagesbefehl verkünden, daß sich diese Maßregel so oft wiederholen werde, als in Danzig eine Gewaltthätigkeit durch Soldaten vorfalle. Das drakonische Mittel hatte die schlagendste Wirkung; selbst die französischen Soldaten wurden artig und leutselig. Ordnung herrschte in Danzig. Nunmehr wälzten sich die kriegerischen Gewitterwolken näher. Vierzigtausend athmende Skelette, denn Soldaten konnte man diese buntschekigen Schatten nicht nennen, flüchteten durch Preußen vor den Rächerhänden der russischen Scharen.

York, der Befehlshaber einer Abtheilung des preußischen Hilfscorps im russischen Feldzuge, hatte in der Poscherunger Mühle mit dem russischen General Diebitsch die wichtige und folgenreiche Capitulation abgeschlossen und sich ohne Ermächtigung der preußischen Regierung mit den Russen vereinigt. York, der, wenn sein eigenmächtiger Schritt durch die späteren Verhältnisse nicht gerechtfertigt worden wäre, ohne weiters[134] den Hals verwirkt hätte, verließ sich mit instinctivem Vorgefühle auf die allgemeine Gährung im preußischen Volke, auf dessen Gefühl der Schmach und Erniedrigung und auf den wüthenden Haß gegen die Unterdrücker. Der beflügelte Lauf der Weltereignisse hat bewiesen, wie richtig seine Voraussetzungen waren.

Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 128-135.
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