7.


[304] In »König Ottokar's Glück und Ende« war die Episode des Heinrich von Liechtenstein durch einen jungen Schauspieler besetzt, der seit August 1824 Mitglied des Hofburgtheaters war.

Ein kaum reifer Jüngling, aber mit voller Seele für seine Kunst begeistert und für seine Laufbahn mit einer äußeren Erscheinung ausgestattet, wie sie nur selten vorkommt. Klein und bescheiden fing er an, um bald so groß zu werden.

Carl Fichtner! welchen Klang hat nunmehr dieser Name!

Ich kann mir nicht versagen, meinem jüngeren Collegen hier ein aufrichtiges Hoch auszubringen. Solchem rastlosen Eifer, solchem redlichen Streben, solch' felsenfester Glaubenstreue für die Kunst konnte der Kranz nicht fehlen. Man muß Fichtner vom Anfange seiner Laufbahn beobachtet haben, um vollständig zu würdigen, wie consequent er von Stufe zu Stufe gestiegen ist. Er hat keinen salto mortale gemacht,[304] wie Kraftgenie's und Virtuosen, er ging ruhig und besonnen vorwärts, weil ihm sein Ziel gewiß war. In Fichtner's ganzer Laufbahn ist kein Moment der Darstellung zu finden, der nicht auf innerster Ueberzeugung ruht. Fichtner trifft mit seiner Auffassung fast immer das Ziel und meistens »Rein Schwarz«, und selbst wo er irrt, versöhnt er durch die Consequenz, womit er doch immer ein Ganzes schafft, das er in jeder Nuance des Tones, der Miene und Bewegung bei der hundertsten Vorstellung unverrückt gibt wie bei der ersten. Er ist eben vom Wirbel bis zur Zehe durch und durch ein Künstler in des Wortes edelster Bedeutung und die Kunstgeschichte, wenn sie gerecht ist, schreibt den Namen Fichtner mit goldenen Lettern in ihr Buch.

Wer aber noch weiter in das Auge faßt, mit welchen Opfern Fichtner die größere Hälfte seiner Laufbahn erkauft hat, der muß zur Erkenntniß gelangen, daß solch' hingebender Fleiß und solche Ausdauer nur dem Künstler möglich ist, der seinen Kunstzweck und seine Ehre über Alles setzt.

Fichtner, dessen Gedächtniß niemals ein leichtes gewesen war, kämpfte nach einer Reihe von Krankheiten, die ihn beinahe das ganze Jahr 1840 der Bühne entzogen, und worunter der Typhus ihn fast schon dem Grabe vermählt hatte, mit einer Schwächung des Gedächtnisses, die ihm für jede Wiederholung einer Rolle Anstrengungen des Memorirens auferlegte, wie sie andere Schauspieler nicht bei neuen Rollen anzuwenden brauchen. Außer der Ferialzeit memorirte Fichtner in der Regel von 9 bis 3 Uhr, um den Anforderungen seines Dienstes genügen zu können. Da in den letzten sieben[305] oder acht Jahren auch noch etwas Schwerhörigkeit hinzutrat, muß man wahrhaft staunen, daß es Fichtner's ausdauerndem Ehrgeiz gelungen ist, den vollen Blütenkranz seines Ruhmes mit sich in das Privatleben hinwegzutragen, dessen wohlverdiente Ruhe er angetreten hat, wenn diese Blätter das Licht der Oeffentlichkeit erblicken.

Glück und Friede begleite Dich, mein wackerer College. Ein Stück Schauspielkunst geht mit deinem Rücktritt unter.


»Hier ist ein Andrer, mächtiger als Jener.«


Wer sich für das deutsche Theater interessirt, hat ihn gekannt, gesehen und ihm gehuldigt – Ludwig Löwe.

Löwe hat keinen Vorgänger und keinen Nachfolger, Löwe ist ein Unicum.

In einen kaum mittelgroßen, untersetzten Körper mit edel geformten, aber von den Blattern zerrissenen Gesichtszügen haucht die freigebige Natur den belebenden Götterfunken des Prometheus. Mit dieser Glut des Innern, mit diesem ewig prikelnden und lodernden vulkanischen Feuer wirft sich der Gotterkorene auf die Bahnen der Schauspielkunst. Er flammt am Horizonte auf und unwillkürlich wendet sich Alles dem magischen Glanze zu. Löwe gehört zu jenen Erscheinungen, die nicht nöthig haben, einen Platz durch längere Belagerung einzunehmen. Er lief Sturm und siegte. Wo Andere überzeugen müssen, da überwältigte er durch den Zauber seines pulsirenden Naturells, selbst in Fällen, wo man mit ihm nicht ganz einverstanden war. Er hatte in dieser Hinsicht etwas Verwandtes mit Ludwig Devrient, so wenig sie sich im Uebrigen ähnelten.[306]

Mehr als jeder Andere war Löwe in seiner Blütenzeit der Darsteller seiner eigenen Individualität; diese war aber eine so biegsame und vielseitige, daß man sie kaum noch als die seinige erkannte. Mit seiner reichen inneren Natur beseelte er die Helden der romantischen Tragödie, aber er war nicht auf sie beschränkt wie seine Nachfolger. Sein bewegliches Temperament schloß den Ausdruck für Geist, Witz, Humor, Freude und Schmerz und vor Allem für edle, aber sinnliche Liebe mit gleicher Mächtigkeit in sich, und Dr. Heinrich Laube, dieser geistvolle Schriftsteller, der, wie begreiflich, großen Scharfblick für das Seltene beweist, hatte wohl vor Vielen Löwe's herrliches Talent in seiner ganzen Bedeutung erkannt, als er in dessen Album lange nach dem Erfolge Monaldeschi's in Wien die denkwürdigen Worte zeichnete: »Ich sage nicht, Gott erhalte uns die Helden, sondern Gott erhalte uns Löwe.«

Wer Löwe's Correggio gesehen hat, dem genügt schwer ein Späterer; sein Heißsporn Percy steht vereinzelt in der Geschichte des Theaters; in seiner Darstellung des Fiesco lebten Züge von Größe, Geist und Anmuth, wie sie eben nur dieses Naturell ausdrücken konnte. Löwe's immenses Repertoire bildet eine Gedenktafel, die den Grabstein einst entbehrlich macht.

Auffallend war mir, daß sich Löwe nie für die Antike interessirte. Aber ich kann es mir aus seinem Wesen erklären.

Löwe bekam von der Natur als Wiegengeschenk die ewige Jugend der Empfindung; mit einem solchen Temperamente[307] ist es ebenso schwer rein reflectirende Darstellungen zu liefern, als das ruhige und gemächliche Alter nachzuahmen.

Ich wohnte seit Ostern 1825 im Hause »zum Kegel« in der Wienstraße. In einem Hintergebäude befand sich die Haykul'sche Buchdruckerei, die ich zur Belehrung meiner Kinder öfters besuchte.

Eines Sonntagmorgens wurde mir gemeldet, daß ein junger Mann aus der Druckerei mich zu sprechen wünsche.

Als er eintrat, erinnerte ich mich sogleich, die Persönlichkeit im Haykul'schen Etablissement bemerkt zu haben.

Nach wenigen Begrüßungsworten theilte mir der junge Mann seinen Wunsch mit, die bisherige Berufsbeschäftigung mit dem Schauspielerstande zu vertauschen und bat mich um meinen Rath und meine Unterstützung.

Ich unterbrach ihn sogleich mit der Bemerkung: »Ich rathe Niemanden, einen Stand aufzugeben, um einen anderen zu ergreifen, am wenigsten aber gebe ich den Rath, diesen Tausch für die Bühne einzugehen, ich scheue mich vor der Verantwortung.«

Er wollte mir das nicht glauben, und wiederholte seine Bitte.

»Ich kenne Sie ja nicht,« fuhr ich fort, »weiß nichts von Ihnen, als daß Sie eine schlanke, imposante Gestalt und ein ausdrucksvolles Gesicht haben; auch scheint Ihr Sprachorgan nicht ohne Klang zu sein. Ob Sie aber Talent für die Bühne besitzen, vermag ich nicht zu entscheiden.«

Er wollte mir etwas vorsprechen.

Ich lehnte das ab: »Das kann kein Urtheil begründen.[308]

Wenn Sie die Möglichkeit vor sich sehen, in Ihre Stellung zurückkehren zu können, so machen Sie lieber einen öffentlichen Versuch. Wenn Einer schwimmen zu können glaubt, so kann er es nur im Wasser erproben.«

»Aber Sie könnten mir vielleicht einige Anleitung geben.«

»Lieber junger Mann,« erwiederte ich, »die Schauspielkunst läßt sich nicht lehren, sie läßt sich bei angebornem Talente durch unermüdliche Beobachtung und Uebung nur erlernen. Ich wenigstens habe diesen Weg eingeschlagen und halte ihn für den einzig richtigen. Jeder, der sich zum Lehrer oder Professor der Declamations- oder Schauspielkunst aufwirft, betrügt sich und Andere um die Zeit und wenn er sich den Unterricht bezahlen läßt, nimmt er dem Schüler nur das Geld ab. Was ist die Folge eines solchen Unterrichts? Daß der Schüler ein halb Dutzend Rollen hersagen kann; daß er unwillkürlich die Aeußerlichkeiten seines Vorbildes abmerkt, den Tonfall und gewisse Accentuirungen nachmacht. Den Geist des Lehrers saugt er nicht ein, sondern wie er sich räuspert und wie er spuckt, das heißt seine Manier oder Unmanier. Hierdurch muß er einseitig werden, während er im Theater Gesammtdarstellungen beobachten, und prüfen kann, was Diesem und Jenem Geltung schafft, was man an Jenem schätzt und verwirft. Die Eleven der sogenannten dramatischen Lehrer werden selten mehr als abgerichtete Dilettanten, und haben, wenn sie vor die Oeffentlichkeit treten, nichts Dringenderes zu thun, als sich von den eingesogenen Manieren wieder frei zu machen.«[309]

»So will ich Ihrem Rathe folgen und lieber gleich in die Oeffentlichkeit treten.«

»Wie heißen Sie?«

»Carl Lucas.«

In diese Zeit fallen die Gastbesuche August Klingemann's und Ludwig Tieck's. Daß ich mit beiden in persönlichen Verkehr zu kommen suchte, war natürlich. Namentlich fesselte mich die Gesellschaft des Letzteren um so mehr, als ich die Erfahrung machte, mit welcher Wärme er sich für meine künstlerische Thätigkeit interessirte. Diese persönlichen Beziehungen zu Tieck sollten nicht vorübergehend bleiben. Bei meinen öfteren Gastspielen in Dresden hatten sie einen näheren geistigen Verkehr zur Folge. Ich verdanke dem Urtheilsspruche Tieck's über meine schauspielerische Befähigung unendlich viel. Er erhöhte mein Selbstvertrauen und trug vielleicht das Meiste bei, daß mein Name allgemein bekannt wurde.


Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 304-310.
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