19.


[427] Der Tod des Oberstkämmerers Grafen Czernin im Jahre 1845 und die Uebernahme der unmittelbaren Leitung des Hofburgtheaters durch den nachfolgenden Oberstkämmerer Grafen Moriz Dietrichstein hatten einen Systenmwechsel in den Kunstzuständen nicht zur Folge. Ein siebzigjähriger Greis ändert seine Ansichten nicht mehr und die Eindrücke, die er von der Hofbühne als Jüngling und Mann empfangen hatte, wurden auch für seine neuerliche Geschäftsführung maßgebend. Holbein's Persönlichkeit und Administration waren ihm mißliebig; er ignorirte den Director vollständig, der eigentlich nur noch den Titel führte. Graf Dietrichstein war von jeher ein persönlicher Freund des Hofschauspielers und Regisseurs Korn gewesen und jetzt fing er an mit diesem gemeinschaftlich die Angelegenheiten des Theaters zu berathen und auszuführen. Das Repertoire wurde zum großen Theil nach dem veralteten Standpuncte eingerichtet, welcher in den früheren Lebensperioden beider Männer gegolten hatte. Iffland, Kotzebue, Weissenthurn, Babo, Bretzner, Jünger kamen wieder in Aufnahme.

Von einem neuen Aufschwunge konnte unter solchen Verhältnissen nicht die Rede sein. Der einzige Vortheil, den[427] die Mitglieder des Hofburgtheaters in der kurzen Periode von Dietrichstein's erneuerter Wirksamkeit genossen, war der persönliche Antheil des Oberstkämmerers an dem Schicksal der Schauspieler, welcher sich im Jahre 1848 in der väterlichsten Fürsorge manifestirte.

Alt-Oesterreich neigte sich seiner letzten Abendstunde entgegen und gleich diesem hatte auch das Hofburgtheater seinen Wendepunct vor sich.

Koch, Krüger, Costenoble, Schwarz, Sofie Müller, Louise Weber, Sofie Koberwein, Johanna Weissenthurn waren aus dem Leben geschieden, Heurteur, Koberwein, Julie Löwe, Magdalena Poller hatten sich in das Privatleben zurückgezogen und eine neue Generation mußte auch im Bühnenleben der alternden naturgemäß folgen. Bei der allgemeinen Stagnation österreichischer Zustände bis zum Jahre 1848 ging auch der nothwendige Wechsel in den Theaterverhältnissen nur sehr schwerfällig vor sich und Bauernfeld war ziemlich der einzige Vertreter der modernen Ideen, die er für die damaligen Verhältnisse ziemlich kühn und ungebunden in seinem »deutschen Krieger« und in »Großjährig« niederlegte.

Da brach der Morgen des 13. März herein. Die politische Umwandlung, welche mit den Ereignissen der drei Märztage erfolgte, mußte sich alsbald auch beim Hofburgtheater fühlbar machen. Die Censur war aufgehoben, der Import freier Geistesgedanken sanctionirt und Doctor Heinrich Laube war der Glückliche, der die erste Frucht vom Baume der jungen Freiheit brechen sollte. »Die Carlschüler,« von der Censur[428] seit Jahresfrist verpönt, gingen am Ostermontage des Jahres 1848 in Scene. Ein neues Drama von dem Verfasser des »Monaldeschi«, von einer bekannten politischen Persönlichkeit, von einem Märtyrer nach den damaligen Begriffen! ein neues Drama, dessen Held Schiller war, der vorgezogene Liebling des deutschen Publicums und – der Jugend! ein neues Drama, welches den Kampf des gefesselten Geistes gegen tyrannischen Druck als Vorwurf und den Sieg der neuen Zeit als triumphirenden Abschluß bot! Wenn auch den »Carlschülern«, als einem geistreich gemachten und höchst bühnengerechten Stück, jederzeit Anerkennung zu Theil geworden wäre, so mußte unter den gegebenen Verhältnissen der Erfolg ein ganz außerordentlicher sein. Jede Anspielung auf Schiller, auf Freiheit und Recht, jeder Ausfall auf Gewalthaber, auf Adelswillkür und Adelsschwächen, jede Illustration des Bürgerthums wurden der Gegenstand schrankenlosen Jubels, und Laube, Fichtner und Schiller wurden auf eine Weise gefeiert, daß man kaum unterscheiden konnte, wer eigentlich den beiden anderen am meisten zu Dank verpflichtet sei.

Die »Carlschüler«, der erste Honigtrank aus dem Freiheitsbecher, wurden schnell populär und dieses lockende, so leicht zugängliche, so leicht verständliche Product der Muse erschwerte dem ehernen Geiste, der aus Hebbel's »Maria Magdalena« sprach, und dem oscillirenden Inhalte der Freitag'schen »Valentine« nicht wenig den Eingang beim Publicum.

Am 2. December 1848 erfolgte der Regentenwechsel auf dem österreichischen Throne.[429]

Der bisherige Oberstkämmerer Graf Moriz Dietrichstein trat seinen Posten an den Grafen Carl Lanckoronski ab. Allenthalben bedurfte man zeitgemäßer Persönlichkeiten. Auch ein neuer Director des Hofburgtheaters sollte ernannt werden, da Holbein als überlebt erschien. Doctor Heinrich Laube hatte seit dem Erfolge der »Carlschüler« sein Augenmerk auf diesen Posten gerichtet. Er suchte und fand Fürsprecher und die wärmsten unter dem älteren Personal des Theaters, aus welchem sich mehrere mit großer Anstrengung und in ziemlich hohen Kreisen für den freisinnigen Verfasser des »Monaldeschi« und der »Carlschüler« verwendeten. Die Bemühungen des Dichters und seiner Gönner blieben nicht ohne Erfolg, denn am Sylvestertage 1849 verbreitete sich die officielle Nachricht, daß Doctor Heinrich Laube zum artistischen Director des Hofburgtheaters ernannt worden sei.

Dieser Zeitpunct ist mir unvergeßlich, denn er schloß ein bedeutungsvolles Künstlerfest in sich.

Am 10. Jänner 1850 trat Korn, dieser große Schauspieler, in einer seiner glänzendsten Rollen als Giulio Romano in »Correggio« unbesiegt vom Kampfplatze ab.

Man hatte kurz zuvor Beneficevorstellungen der Schauspieler beim Hofburgtheater principiell abgeschafft und Seine Majestät Kaiser Franz Joseph entschädigte den scheidenden Veteran durch einen kostbaren Brillantring.

Am andern Tag versammelte sich das Personal und in Ermanglung eines Directors (der neue Director war noch nicht eingetroffen) fiel mir als dienstthuendem Regisseur die[430] Aufgabe zu, dem Scheidenden im Namen der Collegen Lebewohl zu sagen.9

Die theatralischen Osterferien dieses Jahres fesselten mich an den Studiertisch. Otto Ludwig's »Erbförster« war erschienen[431] und sollte mit Beschleunigung zur Darstellung gelangen. Die Titelrolle kam an mich, und welchen Schauspieler hätte diese Aufgabe nicht zur Anstrengung aller seiner Kräfte angespornt? Dieses herrliche Bild einer rein ursprünglichen Menschennatur, deren ganzes Unglück darin ruht, daß sie in naiver Beschränktheit die Formen der Welt nicht beachtet, weil sie sie nicht begreift.

Ulrich ist in Waldeinsamkeit aufgewachsen. Er hat eine harte Erziehung und keine andere Bildung genossen, als der Stand erfordert, für den er bestimmt war. Seine Väter bekleideten bereits denselben Posten und man nennt ihn den Erbförster, weil es eine »Uebung« geworden ist, daß die Försterei vom Vater auf den Sohn übergeht.

Sein Name hat guten Klang und Ansehen, er selbst ist ein erfahrener Weidmann und man ist gewohnt, seinen Fachkenntnissen und seinem rauhen Wesen nachzugeben. Durch letzteres herrscht er auch ziemlich despotisch in seiner Familie. Niemand widerspricht ihm und hartnäckiger Eigensinn, wohl auch Rechthaberei, bildet sich in ihm aus. Aber er ist auch religiös erzogen. Von Büchern kennt er nur die Bibel, in der er als Protestant sehr bewandert ist, und die in Ermanglung anderweitiger Bildung sein Gesetz ist. Ein fast brüderliches Verhältniß verbindet ihn mit dem Gutsbesitzer. Dieser schätzt die Erfahrungen und treuen Dienste Ulrich's und läßt den wunderlichen Alten, der in seinem Fache gewöhnlich Recht hat, gewähren. Ulrich hat dadurch nie kennen gelernt, was es heißt, einen Herrn zu haben. Aber auch Stein ist heftig und aufbrausend und beide kommen in Streit, so oft sie zusammentreffen.[432] Nun will Stein zum Nachtheile des Forstes »lichten« lassen. Ulrich ist mit seiner Weigerung im vollen Rechte, aber sein rauhes Wesen entbehrt der nothwendigsten Form und verletzt in Stein das Bewußtsein des Herrenrechtes. Der Befehl des letzteren macht Ulrich beinahe lachen, denn er muß es ja besser verstehen, daß nicht »durchgefor stet werden darf«. Die Drohung, daß er gehorchen, oder sein Amt an den Buchjäger abgeben soll, ignorirt er, denn er ist ja der Erbförster, ihn kann man gar nicht absetzen. »Recht muß Recht bleiben.« Er widersetzt sich der Vollmacht des Buchjägers, denn er ist überzeugt, daß Stein das Unzweckmäßige der Forstschädigung einsehen muß. Daß darüber das Liebesglück seiner Marie und Robert Stein's in Frage geräth, ist ihm Nebensache, denn wo sich's um den Forst handelt, kennt er keine Rücksicht. Er gibt nun einmal nicht nach, wo seine Ansicht die richtige ist.

Der unselige Conflict zwischen Andres und dem Buchjäger ist für ihn die Aufforderung: »Gewalt gegen Gewalt.« Die Erfahrung, daß sie in der Stadt zweierlei Recht haben, erbittert ihn, statt ihn zu belehren, denn er ist ja der »Erbförster!« Da bringt Weiler die scheinbaren Beweise von Andres' vermeintlichem Tode. »Aug' um Auge, Zahn um Zahn,« so steht's in der Bibel und das allein ist Recht. Er grollt mit der Tochter, die ihn weich zu machen droht, denn seine Gedanken stählen und verhärten sich bereits zu dem furchtbaren Vorsatze: »Robert für Andres!« Aus der Flasche trinkt er den Muth dazu und eilt mit der Büchse nach dem »heimlichen Grunde«. Als Mörder kommt er zurück. Scheußliche Bilder grinsen ihn an. Aber »Recht muß Recht bleiben; er hat[433] Andres erschlagen, dafür hab' ich Robert erschlagen.« Da naht bereits die furchtbare Enttäuschung. Andres steht lebend vor ihm. Er wünscht den eigenen Sohn todt, damit er nicht Unrecht habe. Aber ach, das hämische Schicksal verspottet ihn noch einschneidender. Der lebende Robert führt ihm die Leiche seiner von ihm erschlagenen Marie zu und es bleibt dem Vernichteten kein Trost, als durch die Gerichte zu seinem Kinde zu gehen.

Der Erbförster ist eine der furchtbarsten Illustrationen über das Sprichwort: »Kleine Ursachen, große Wirkungen.« Es ist vielleicht der einzige Uebelstand dabei, daß diese Tragödie den Zuschauer niederschmettert, ohne ihn am Schlusse zu erheben und zu versöhnen.

Ich war so glücklich, mit dieser Rolle mir die günstige Meinung der Kunstfreunde in ungewöhnlichem Grade zu erwerben, und ich trete diesen Erfolg vollständig an den heimgegangenen Dichter ab. Christian Ulrich ist mit so kräftiger, sicherer Hand gezeichnet, die Phasen und Uebergänge des Charakters sind so streng logisch und psychologisch angeordnet, daß der begabte Schauspieler in der Auffassung kaum irren wird. Ein schwierigerer Punct ist die Durchführung und hierin liegt das Hauptverdienst und die Bedeutung des Darstellers. Natur und Wahrheit, hier fordern sie mit Ungestüm ihre Rechte. Wer hier um Haaresbreite von der Wahrheit abweicht, der bringt ein unförmliches Bild hervor, wie ein Photograph, wenn sich der Sitzende zur Unzeit bewegt. Der Erbförster fordert aber auch die feinste Behandlung; hier ist es mit der gewöhnlichen Theaterroutine nicht abgethan und vieleicht[434] liegt hierin ein Hauptgrund, daß das prachtvolle Walddrama nicht mehr Verbreitung gefunden hat. Eine andere Schwierigkeit liegt in der Anstrengung, welche die Rolle erfordert. Sie bedingt ein sehr kräftiges Organ und ein ausdauerndes Naturell für die drei letzten Acte. Endlich fordert die Rolle überhaupt ein bestimmtes Naturell und wer dieses nicht besitzt, der wird die Aufgabe immer nur theilweise lösen. Ich besaß eben das »Zeug« für den Ulrich und so ist es gekommen, daß das Stück beinahe mein alleiniges Eigenthum geblieben ist.

Aber auch ich würde die Aufgabe nicht zu solcher Zufriedenheit gelöst haben, ohne die Unterstützung meiner Collegen. La Roche, als Holzknecht Weiler, Dawison, als Andres, Auguste Koberwein, als Marie, stellten preiswürdige Gestalten hin.

Ein Gegenstand meiner freudigsten Theilnahme waren die zahlreichen Gastspiele und Erfolge der mit Recht gefeierten Marie Bayer-Bürk. Wie selten werden heutzutage die Bühnenerscheinungen, die uns so recht künstlerisch anziehen und so dauernd fesseln. Marie Bayer-Bürk reiht sich unmittelbar an die hervorragendsten Schauspielerinnen der besseren Theaterperioden, namentlich in sentimentalen und sogenannten elegischen Rollen.

Ich habe wenige Darstellerinnen der Louise, der Prinzessin Leonore gesehen, die mir solch' einen vollständig harmonischen Eindruck verschafft haben. Da war Alles wie aus einem Guß. Geradezu preiswürdig ist ihre bekannte Darstellung der Hero in den ersten vier Acten und der vierte Act an[435] sich ein Meisterstück. Für den letzten Act wird mehr tragische Gewalt erfordert. Auch Julie und Johanna d'Arc waren, mit Ausnahme der unvermeidlichen Kraftstellen, hervorragende Kunstleistungen.

Am unbedeutendsten schien mir ihre Stuart. Nicht ganz so glücklich war sie mit ihrem Uebergang in ältere Rollen. Sappho, Phädra und Iphigenia waren schwankende Leistungen und Orsina, Milfort und Lady Marlborough mehr Schöpfungen der Routine, als der innersten Künstlernatur; es fehlte diesen letzten Rollen gerade das, wodurch Marie Bayer-Bürk ihre größten Siege in Wien erfocht, die Einfachheit und anspruchlose Wahrheit. Hier störte mitunter etwas Gemachtes, Gesuchtes, Absichtliches, was sonst weit ablag von dem Wege dieser trefflichen Künstlerin.

Marie Bayer-Bürk ist wiederholt aufgefordert worden, in den Verband des Hofburgtheaters bleibend einzutreten Sie hat es abgelehnt und dieser Umstand ist zugleich die Aufklärung für die jährlichen Wiederholungen dieser Gastspiele und für die auffallende Thatsache, daß man in der Folge die besten und bedeutendsten Repertoirestücke gar nicht mehr von Einheimischen spielen, sondern sie immer bis zum nächsten. Gastspiele der Gefeierten liegen ließ.

Dasselbe Jahr brachte die Rachel als neue Erscheinung nach Wien. Seit ich die Ristori gesehen hatte, konnte ich nie umhin, diese beiden Vühnenerscheinungen mit einander zu vergleichen und ich fand nach meinen Eindrücken als beste Bezeichnung für Beide: Genie und Talent. Rachel war in[436] der That ein Genie. Sie schleuderte Blitze und Donnerkeile, sie fesselte mit einer Art magnetischer Kraft, aber was diese vulcanische Glut nicht vertrug, das zerbröckelte unter ihren cyclopischen Hammerschlägen. Während ich vor ihrer Roxane, Phädra, Hermione in bewunderndes Entzücken gerieth, mißfiel sie mir als Stuart und ließ mich als Paulina im »Polyeuct« gleichgiltig. Reizend war sie als Adrienne Lecouvreur in den vier ersten Acten. Das Kunststück des marternden Gifttodes mit allen pathologischen Zuthaten an Verzerrungen und Zuckungen stieß mich ab. Das mag für einen Professor der vergleichenden Pathologie und Anatomie Interesse haben, gehört aber nimmermehr auf die Bühne, oder höchstens heutzutage, wo man noch mehr zu sehen bekommt.

Das Talent der Ristori, diese wundersame Frauenbegabung, durchglühte nicht wie die flammensprühende Französin, aber sie erwärmte bis zum reinsten geistigen Genusse und der Eindruck, den sie mir als Stuart, als Pia dei Tolomie, als Medea machte, war ein weit reichhaltigerer, tieferer.

Während die Rachel wie eine Bacchantin wirkte, wie ein rasender Ajax oder Achill in Frauenkleidern, überwältigte der Eindruck weiblicher Anmuth und Würde in den Bühnengestalten der Ristori. Die Rachel mußte stets mehr hinreißen, je mehr südliche Natur im Publicum vorhanden ist, die Ristori muß allen Völkern der Erde gefallen, die für Bühneudarstellung zugänglich sind.

Eine nicht uninteressante Erscheinung war Ernst Rossi, dessen Othello und Essex mir einen nicht gewöhnlichen Grad[437] schauspielerischer Befähigung und Bildung zu verrathen schienen und namentlich in ersterer Rolle befriedigte er mich ungleich mehr als sein schwarzer College, Ira Aldridge.

Wäre Ira Aldridge nicht, wie man erzählt hat, ein entsprungener Regersclave und seine Erscheinung nicht in eine Zeitperiode gefallen, wo die civilisirte Welt bereits bis an das Herz erfüllt war von dem Abscheu vor Sclaverei und hatte man nicht staunen dürfen, daß ein Geschöpf aus dieser verkommenen Menschenclasse eines solchen geistigen Aufschwunges fähig war, wer hätte wohl von seiner Existenz als Bühnendarsteller Notiz genommen? Mag dieser Othello, Shylok, Macbeth Jenen gefallen, die nichts Besseres gekannt haben. Ich kam über den Eindruck nicht hinaus, daß ich gekommen war, einen Maler in seinem Atelier zu belauschen und mich in die Werkstätte eines Anstreichers verirrt hatte. Wenn ich noch an die Würgungen Jago's und Desdemona's, an die affectirten Ausdrücke der Wehmuth in »Othello«, an die widerlichen Wuthausbrüche und Mätzchen in Shylok, an die rothgetünchten Hände und das Kunstreitergefecht in »Macbeth« denke, so muß ich über den Beifall lächeln, welchen die Zuschauer diesen Abirrungen vom ästhetischen Geschmack, dieser Mahlzeit aus groben Brocken ungekochter oder halbgekochter Speisen darbrachten. Auch habe ich heute noch die Ueberzeugung, daß Ira Aldridge schonungslos verurtheilt worden wäre, wenn er ein deutscher Schauspieler gewesen wäre. So aber sprach er englisch und sang als Mungo in »the padlok« in ganz widersinniger und fast unverständlicher Weise: »Dich hab' ich im Herzen, dich hab' ich im Sinn,« und aus war's. Man zerfloß in Rührung[438] und die Nebensachen und Auswüchse des Schauspielers wurden zur Hauptsache.

Ich gehe nun zu einem Namen über, welcher in der neuesten Theaterwelt einen seltenen Klang genießt.

Daß Dawison eine geniale Natur ist, kann ich mir ersparen, der Mitwelt zu enthüllen, darüber sind die Zeitgenossen einig. Dawison vereinigt in sich die Talente und Eigenschaften zweier Volksstämme. Die geistige Beweglichkeit und Phantasie, sowie die zähe Ausdauer des Orientalen und Slaven. Es hat gleich anfangs zu dem Interesse, das Wien, die Wiege seines Ruhmes, an dem Ankömmling nahm, nicht wenig beigetragen, daß Dawison, von polnisch-jüdischer Abkunft und als Mitglied des polnischen Theaters, den gewaltigen Entschluß faßte, sich die deutsche Sprache so anzueignen, um deutscher Schauspieler in Deutschland zu werden. Mich dünkt jedoch, Dawison's Verdienst liege weniger darin, daß er seinen Vorsatz ausgeführt hat (gerade in linguistischer Beziehung sind Juden und Polen besonders begabt), es liegt vielmehr darin, in welchem Grade binnen kurzer Zeit er durch Fleiß und Beharrlichkeit sein Ziel erreicht hat. Bis in die zweite Hälfte der Vierziger Jahre polnischer Schauspieler finden wir ihn schon 1847 als Mitglied des Hamburger Thaliatheaters, und schon 1849 ist er seiner Sache gewiß genug, um ein Gastspiel am Hofburgtheater zu eröffnen, nach dessen günstigem Erfolge er sogleich in ein ehrenvolles Engagement tritt.

Während Dawison in einigen Liebhaber- und jugendlichen Heldenrollen wenig befriedigt hatte, fielen schon damals seine Leistungen als Harleigh und Hamlet durch geistreiche[439] Züge und eine charakteristische Schärfe angenehm auf. Wenn auch schon damals ein ausgesprochener Hang zur französischen Schule in Dawison vorwaltete, so war er doch zu sehr Verstandesmensch, um nicht einzusehen, daß er seiner Umgebung im Hofburgtheater bis zu einem gewissen Grade sich anschließen mußte, um nicht durch schroffe Isolirung zu seinem eigenen Nachtheil aus dem Rahmen des ganzen Bildes herauszufallen. Indem die Anerkennung dieser Nothwendigkeit Dawison's Richtung gewissermaßen zügelte, rief sie während seiner Wirksamkeit am Hofburgtheater jenes glückliche Gleichgewicht zwischen französischer und deutscher Schule hervor, das die Gestalten des Künstlers in dieser ersten Zeit so anmuthend belebte. Andres im »Erbförster«, Carl V. in der »Königin von Navarra«, Carlos in »Clavigo«, der Jesuit in »Rococo«, einzelne Züge in Franz Moor und Mark Anton deuteten schon den hohen Flug seines Talentes an, das während seiner Wiener Epoche im »Mephistopheles« und in »Richard III.« gipfelte.

Unvergeßlich sind mir aus dieser Zeit auch mehrere episodische Leistungen: »Der Spielwaarenhändler,« Habakuk in »Royalisten« und vor Allen »Riccaut de la Marliniere«.

Aber auch Dawison konnte der Zeitströmung nicht widerstehen. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich den Triumphzug der Rachel nach Deutschland und ihren Erfolg in Wien als die erste Veranlassung bezeichne, welche in Dawison das Bedürfniß nach einer Veränderung seiner Verhältnisse hervorrief. Der Drang nach materiellem Gewinne, welcher in unseren Tagen immer lebhafter wird und allerdings nicht ohne Berechtigung[440] ist, entfaltete auch vor Dawison seine lockenden Bilder. Er fühlte eine der Rachel verwandte Kraft in sich und kam zu der Ueberlegung: Was ihr gelungen ist, was Emil Devrient in Deutschland erreicht hat, das kann auch Dawison erzielen. Warum soll Bogumil Dawison nicht auch als Rentier vom Schauplatze abtreten?

Daß auch Dawison zu dieser Fahne geschworen hat, thut mir leid, denn er hatte Alles, um dieser Richtung fernbleiben zu können.

Wer aber kann mit ihm rechten, in einer Zeit, wo der reiche Patrizier einer freien deutschen Stadt, auf die Bemerkung, daß ein gewisser Kaufmann X ein recht anständiger Mann sei, zur Antwort gab: »Was anständig! Wenn Sie den Menschen um und um wenden, so fallen noch keine 200.000 fl. heraus.«

Als eines der letzteren künstlerischen Ereignisse meines Lebens erwähne ich des Münchener Gesammtgastspieles im Sommer 1854. Es war mein zweites Gastspiel in Baierns Hauptstadt und hat für mich die besondere Denkwürdigkeit, daß es mein letztes Gastspiel war. Es umfaßte bekanntlich »Minna von Barnhelm,« »Nathan,« »Emilie Galotti,« »Faust,« »Egmont,« »Clavigo,« »Braut von Messina,« »Maria Stuart« und »Cabale und Liebe«. An mich fielen Nathan, älterer Chorführer, Shrewsbury, Musikus Miller und einige Nebenrollen.

Die freundliche, fast herzliche Aufnahme, welche ich in München abermals gefunden hatte, begleitete mich als eine wohlthuende Erinnerung in mein Greisenalter. Namentlich war[441] es der Musikus Miller, welcher mir diese Sympathieen in so hohem Grade erworben hatte.

Der verstorbene König Max von Baiern setzte auf diese Erinnerungen den schönsten Kranz durch die huldvolle Herablassung, mit welcher er uns behandelte. Nicht nur daß er uns in Privataudienz empfing, um uns persönlich kennen zu lernen, er verschmähte es nicht, bei dem Bankett, das Intendant Dingelstedt seinen Gästen gab, zu erscheinen, sich zwischen uns zu setzen und uns zuzutrinken, wobei der Enthusiasmus der Gesellschaft rauschend und stürmisch wurde.

Uebrigens habe ich bei diesem Gastspiele wieder die Erfahrung gemacht, daß der Künstler in seiner gewohnten Umgebung am freiesten und besten wirkt und daß nicht nur in hervorragenden Talenten, sondern zum größten Theil in einem guten Ensemble die eigentliche Wirkung der Bühnendarstellung liegt. In München war eine Reihe glänzender Theaterpersönlichkeiten versammelt, es kamen prachtvolle Talentproben zur Anschauung, aber alle Schauspieler, die mir bekannt waren, habe ich in ihrem heimischen Musentempel dieselben Rollen weitsicherer, abgerundeter und zwangloser darstellen sehen. Und es kann nicht anders sein. Auf der heimatlichen Bühne kennen ich und meine Collegen gegenseitig jede Nuance, jede Bewegung und Stellung; nichts Unerwartetes, Fremdes überrascht und stört mich, ich kann unbesorgt mich der geistigen Entfaltung des Charakters, dem Traum des Abends hingeben. Auch der größte Schauspieler wird mit einer oder zwei Proben in einer völlig fremden oder ungenügenden Umgebung diese Sicherheit nicht erreichen. Er steht immer auf der Lauer, ob[442] nichts Widriges eintritt und dankt zuletzt Gott, wenn Alles leidlich abgelaufen ist.

Auch bedarf der bedeutende Schauspieler mehr als jeder andere seiner gewohnten Umgebung, denn gerade er hat die meisten Eigenheiten an sich, die einen Theil seiner Wirksamkeit ausmachen und die gekannt und unterstützt sein wollen.

Diese Eigenheiten wachsen natürlich mit den Jahren und werden mit dem Alter nicht selten das, was man Manier nennt. Um dieser Zeitperiode zu entgehen, ist es für den Schauspieler am wohlthätigsten, wenn er von der Bühne abtritt, bevor ihn das Alter überrascht. Ich habe es leider nicht gethan, und nur meinem ungewöhnlich ausgerüsteten Organismus habe ich es zu verdanken, daß ich bis an das Ende meiner Wirksamkeit die Schwächen des Alters wenig zur Schau getragen habe. Wenn man mich nun fragt, warum ich diesen Rücktritt verschoben habe, bis die zusammenbrechende Natur Halt gebot, so habe ich Folgendes zu erwiedern:

Ich hatte ein vor Vielen angenehmes Künstlerleben hinter mir, mir hatte die Göttin fast immer gelächelt. Ich hatte das Bittere, ich hatte die Nachtseiten des Theaterlebens an meiner Person nie kennen gelernt, wohl aber habe ich schon frühzeitig Anerkennung gefunden, und als ich die Stufe in meiner Kunst erreicht hatte, wo man den Schauspieler auszeichnet, ward mir diese Ehre in hohem Grade zu Theil, und hat mich, immer wachsend, bis zu dem Augenblicke begleitet, wo hinter meiner abgeschlossenen Laufbahn sich der Vorhang für immer senkte.

Ich hatte das Glück, bis in die Mitte der Siebzigerjahr[443] das Alter nicht zu empfinden und man hatte mich oft versichert, daß man dasselbe auch an meinen Darstellungen nicht unangenehm bemerkte.

So überraschte mich mein Künstlerjubiläumam 16. September 1857. Ich wurde, der erste Schauspieler, dem eine solche Gnade zu Theil geworden ist, von meinem Herrn und Kaiser durch Verleihung des Franz Josephordens, ich wurde vom Publicum, von Kunstgenossen und Kunstfreunden in der Nähe und Ferne ausgezeichnet, wie noch kein Mitglied des Hofburgtheaters vor mir. Durch die Ehren, die mir widerfahren waren, erschien mir mein Stand in erhöhtem Lichte. Ich war stolz darauf, ein Schauspieler zu sein, und noch stolzer darauf, daß mich die Oberste Hoftheaterdirection als Mitglied des Institutes zu erhalten wünschte.

In diesem Augenblicke zu scheiden wäre allerdings vortheilhaft und klug gewesen. Aber wenn ich auch die moralische Selbstüberwindung hierzu gefunden hätte, so sprachen noch andere Gründe dagegen, die dem Leben und meiner Häuslichkeit angehören.

Ich halte es für meine Pflicht, der Obersten Hoftheaterdirectian öffentlich zu danken für das Wohlwollen, für die Theilnahme und für den Schutz, wodurch sie mein Dienstverhältniß in den letzten Jahren mir so freundlich erleichtert hat.

Ich habe meiner jüngeren Collegen bisher mit keinem Worte gedacht. Meine letzten Worte sollen ihnen gewidmet sein, ihnen, für die ich ein unauslöschliches Gefühl der Dankbarkeit[444] bewahre, weil sie mit einer herzlichen Anhänglichkeit, die ich aufrichtig erwiedere, mein anrückendes Alter und meine sinkenden Kräfte so liebevoll unterstützt haben, während ich ihnen nicht viel mehr sein konnte, als eine halb verschwommene Erscheinung, deren eigentliche Bedeutung sie nur aus mündlichen Ueberlieferungen kennen gelernt haben.

Ihr Lieben, die ich alle meine Freunde nenne, von Euch und von dem Publicum, das mich mit so ehrenvoller Theilnahme bis an das Ende begleitet hat, nehme ich hier für immer Abschied, und schließe diese Aufzeichnungen aus meinem Leben mit den letzten Dankworten bei Gelegenheit meiner Jubelvorstellung:

»Laßt mein Andenken Eurem Wohlwollen empfohlen sein.«

Fußnoten

1 Diese Angabe weicht von den Vormerkungen auf der Hofburgtheater-Kanzlei ab. Dort ist der 25. Mai und die Rolle Don Manuels in »Braut von Messina« bezeichnet.


2 Der Schauspieler Duprée hatte viele Jahre vorher Pensionsansprüche erhoben, welche die Direction des Hofburgtheaters negirte. Duprée processirte mit dem Hofärar. Das Aerar verlor den Proceß und mußte an Duprée 20.000 fl. Pensionsrückstand bezahlen. Diese Angelegenheit stand beim Kaiser in frischem Andenken.

Der Herausgeber.


3 Es dürfte die Leser interessiren, den Inhalt des Briefes kennen zu lernen, welchen Eduard von Schenk aus Anlaß dieses Erfolges an den Darsteller seines Helden gerichtet hat und welcher hier folgt:


München, den 2. März 1827.


Als ich vor einigen Monaten mein Trauerspiel »Belisar« nach Wien sandte, war ich, ohngeachtet aller Urtheile. welche in Wiener Blättern von Prag aus dagegen kämpften, eines wenigstens nicht unglücklichen Erfolges jener Tragödie auf dem k. k. Burgtheater gewiß, weil mir mein Freund Freiherr von Hormayr versprochen hatte, daß Ew. Wohlgeboren die Hauptrolle übernehmen würden. Denn in Deutschland leben gegenwärtig nur zwei Künstler, deren geistige und physische Kraft, deren Herz und Gemüth, Stimme und Gestalt diese Aufgabe zu lösen im Stande ist: Anschütz und Eßlair.

Meine Erwartung hat mich nicht getäuscht, sie wurde nur bei weitem übertroffen. Sie müssen in der Darstellung Belisar's noch größer gewesen sein, als Eßlair. Denn Sie haben in derselben ein Publicum begeistert, welches den Verfasser nicht kannte, an ihm keinen Theil nahm, vielleicht gegen die Dichtung gestimmt war; Sie haben nach dem Zeugniß aller meiner Freunde in Wien und aller öffentlichen Berichte in einzelnen Theilen und Stellen des Werkes, welche Eßlair fallen läßt, eine von mir nicht geahndete Wirkung hervorgebracht und wenn sich Belisar in der alten Stadt der Cäsaren einige Kränze des Beifalls errungen, so muß ich dieselben größtentheils auf Ihr Haupt zurücklegen.

Nehmen Sie dafür, edler, trefflicher Mann, – den ich auch ohne ihn zu kennen und aus der Ferne meinen Freund nennen darf, – nehmen Sie dafür meinen innigsten Dank und haben Sie die Güte, denselben Dank auch den übrigen Darstellern meines Werkes, insbesondere Madame Schröder und Demoiselle Müller, deren Spiel ich schon in München bewunderte, in meinem Namen auszudrücken. Die Größe der erstern und die rührende Anmuth der letztern dieser beiden Künstlerinnen hat ohne Zweifel sehr viel zum glücklichen Erfolge meines Werkes beigetragen. Bei diesem Erfolge bleibt mir überhaupt nur ein Wunsch übrig, nämlich der: bald selbst Zeuge jener herrlichen Darstellung zu sein und Sie persönlich jener ausgezeichneten Hochachtung versichern zu können, mit welcher zu beharren ich die Ehre habe

Ew. Wohlgeboren

ergebenster

Eduard von Schenk,

Ministerialrath.


4 Mit Bewilligung des Verfassers folgt dieser Nachruf des geistesverwandten Nekrologen:


Indem wir hier an dem Grabe dieses Verblichenen stehen, sind wir gleichsam die Repräsentanten einer ganzen Nation, des deutschen gesammten Volkes, trauernd über den Fall der einen, hochgefeierten Hälfte dessen, was uns übrig blieb von dem dahingeschwundenen Glanz heimischer Kunst, vaterländischer Geistesblüte. Noch lebt zwar – und möge er lange leben! – der Held des Sanges in deutscher Sprach und Zunge, aber der letzte Meister des tönen den Liedes, der Tonkunst holder Mund, der Erbe und Erweiterer von Händel und Bach's, von Haydn und Mozart's unsterblichem Ruhme hat ausgelebt und wir stehen weinend an den zerrissenen Saiten des verklungenen Spiels.

Des verklungenen Spiels! Laßt mich so ihn nennen! Denn ein Künstler war er, und was er war, war er nur durch die Kunst. Des Lebens Stacheln hatten ihn tief verwundet, und wie der Schiffbrüchige das Ufer umklammert, so floh er in deinen Arm, o du des Guten und Wahren gleich herrliche Schwester, des Leides Trösterin, von oben stammende Kunst! Fest hielt er an dir, und selbst als die Pforte geschlossen war, durch die du eingetreten bei ihm, und sprachst zu ihm; als er blind geworden war für deine Züge, durch sein taubes Ohr, trug er noch immer dein Bild im Herzen, und als er starb, lag's noch auf seiner Brust.

Ein Künstler war er, und wer steht auf neben ihm? Wie der Behemoth die Meere durchstürmt, durchflog er die Grenzen seiner Kunst. Vom Girren der Taube bis zum Rollen des Donners, von der spitzfindigsten Verwebung eigensinniger Kunstmittel bis zu dem furchtbaren Puncte, wo das Gebildete übergeht in die regellose Willkür streitender Naturgewalten, Alles hatte er durchmessen, Alles erfaßt. Der nach ihm kommt, wird nicht fortsetzen, er wird anfangen müssen, denn sein Vorgänger hörte nur auf, wo die Kunst aufhört. Adelaide und Leonore! Feier der Helden von Vittoria! und des Meßopfers gläubiges Lied! Kinder ihr der drei- und viergetheilten Stimmen! Brausende Symphonie! »Freude, schöner Götterfunken,« du Schwanengesang! Muse des Liedes und des Saitenspiels! stellt euch rings um sein Grab, und bestreut's mit Lorbeeren.

Ein Künstler war er, aber auch ein Mensch. Mensch in des Wortes vollkommenster Bedeutung. Weil er von der Welt sich abschloß, nannten sie ihn feindselig und weil er der Empfindung aus dem Wege ging, gefühllos. Ach, wer sich hart weiß, der flieht nicht. Gerade das Uebermaß der Empfindung weicht der Empfindung aus! – Wenn er die Welt floh, so war's, weil er in den Tiefen seines liebenden Gemüths keine Waffe fand, sich ihr zu widersetzen; wenn er sich den Menschen entzog, so geschah's, nachdem er ihnen Alles gegeben und nichts zurückempfangen hatte. Er blieb einsam, weil er kein Zweites fand! – Aber bis zum Tode bewahrte er ein menschliches Herz allen Menschen; ein väterliches den Seinen, Gut und Blut aller Welt.

So war er, so starb er, so wird er leben für alle Zeiten.

Ihr aber, die Ihr unserem Geleite gefolgt bis hieher, gebietet eurem Schmerz. Nicht verloren habt Ihr ihn, Ihr habt ihn gewonnen. Erst wenn die Pforte des Lebens hinter uns sich schließt, springen auf die Pforten zum Tempel der Unsterblichkeit. Dort steht er nun bei den Großen aller Zeiten unantastbar, für immer. Darum scheidet trauernd, aber gefaßt von seiner Ruhestätte, und wenn Euch je im Leben wie der kommende Sturm die Gewalt seiner Schöpfungen übermannt, wenn eure Thränen fließen in der Mitte eines jetzt noch ungeborenen Geschlechts, so erinnert Euch dieser Stunde und denkt: Wir waren dabei, als sie ihn begruben, und als er starb, haben wir geweint.


5 Die vormals Seelig'sche Weinhandlung »zur Stadt Triest«, Ecke der Himmelpfort- und Rauhensteingasse.


6 Ein chevaleresker Zug des längst vorher von der Direction zurückgetretenen Grafen Moriz Dietrichstein soll hier Erwähnung finden Sofie Müller hielt sich den Theaterzettel. So oft eine ihrer Rollen mit einer Andern zur Darstellung kam, ließ der Graf, um ihr einen schmerzlichen Eindruck zu ersparen, für sie einen aparten Zettel drucken, worauf ein gleichgiltiges Stück angekündigt erschien.

Der Herausgeber.


7 Dieser wahrhaft herzliche Brief hat sich vorgefunden und folgt hier nach:

Lassen Sie sich, mein lieber, alter Freund, durch dieses Blatt die Erinnerung an einen Bruder Breslauer erwecken, der Ihrer und der guten Zeit, da Sie der Unserige waren, noch immer vorzüglich gern und freudig gedenkt und der sich überhaupt um so mehr an die Vergangenheit zu halten hat, da ihm die Gegenwart viel und schwer zu leiden gibt, so daß er von der irdischen Zukunft kaum noch Erfreuliches für sich zu hoffen wagt. Mein Ihnen aus alten Zeiten bekanntes Asthma ist nämlich leider in den letzten Jahren nach und nach zur Wassersucht geworden und diese böse Krankheit hat sich im vergangenen Winter so bedenklich ausgebildet, daß ich gewaltige Kämpfe mit ihr zu bestehen hatte und noch habe. Es fehlt nicht ganz an gegründeter Hoffnung, sie im Laufe des Sommers zu besiegen, aber ich muß doch auch sehr darauf gefaßt sein, diesen Sieg nicht zu erringen, und ich bin es. Wie Gott will! Nur keine langen Krankheitsqualen! Doch diese Jeremiade ist nicht der Zweck dieses Schreibens, sondern es soll Ihnen dadurch der Ueberbringer desselben, Herr Hausmann, ein gar wackerer Mann und Komikus, der Ihnen gewiß sehr zusagen wird, bestens empfohlen sein. Helfen Sie dem Wackeren, der das verdient, so viel Sie es vermögen, mit Rath und That zur Erreichung seiner dortigen Zwecke, darum bitte ich Sie freundlichst.

Man spricht hier davon, Sie würden im kommenden Sommer hier gastiren und wer kann die Freude, die diese Nachricht erregt, mehr empfinden als ich. Möcht' ich dann nur im Stande sein, sie vollständig zu genießen.

Mit den besten und schönsten Grüßen an Ihre Frau

Ihr treustergebenster

Carl Schall.

Breslau, den 1. Mai 1833.


8 Dieser Brief Ludwig Tieck's dürfte nicht ohne Interesse sein, und wird daher mitgetheilt.


Geehrter Herr und Freund!


Seit ich Sie, Geehrtester, im Jahre 1825 kennen lernte, habe ich Ihrer und Ihres großen Talentes oft mit Freude und dem Wunsche gedacht, Sie einmal wieder zu sehen. Meine Bitte ist, dieses Blatt mit Freundschaft aufzunehmen, welches Ihnen ein junger Künstler, Herr Devrient, von hier überreicht, mit dem ich fast fest zehn Jahren in freundschaftlichen Verhältnissen stehe. Er schreitet in seiner Kunst mit jedem Jahre bedeutend vor, und hat uns vor einigen Monaten sogar den »Lear« mit großem Succeß und vieler Einsicht, Kraft und Innigkeit vorgeführt. Nun ist sein freudiger Wunsch, den Meister Anschütz in dieser Rolle zu sehen und von ihm zu lernen. Ich bitte, wenn es irgend möglich ist, ihm diesen Wunsch zu erfüllen, da ein Mann wie Sie doch gewiß Einfluß auf das Repertoire haben wird. Die Rolle der Cordelia da das Fräulein Müller noch krank ist, kann ja wohl Jemand anders, nach meiner Einsicht Ihre liebenswürdige Frau selbst, spielen. Können Sie auf meine und Herrn Devrient's Bitte Rücksicht nehmen, so thun Sie es gewiß, da das Publicum Ihnen ja auch Dank schuldig ist, wenn Sie ihm diesen großen Genuß wieder verschaffen. Ich bin in Briefschuld bei Herrn Costenoble – und bei wem nicht! und auch Sie, Verehrter, müssen dieses eilige, zu flüchtige Blatt verzeihen

Ihrem

L. Tieck.

Dresden den 23. Mai 1829.


9 Diese Abschiedsworte folgen nach dem Inhalte des vorgefundenen Brouillons.


Lieber Korn!


Ich hätte eigentlich jetzt die schönste Gelegenheit, Ihnen eine recht wohlgestellte Rede in bester rhetorischer Form zu halten, aber erstens bin ich nicht darauf vorbereitet, zweitens sind wir Alle viel zu herzlich gestimmt, um unsere Gefühle in kalte, wenn auch feierliche Formen zu schmiegen. Lassen Sie mich Ihnen daher in ganz ungekünstelten Worten sagen, daß wir hier versammelt sind, um Ihnen unsere freundschaftliche und innige Theilnahme an Ihrem Schicksale zu bezeigen. Zwei widersprechende Gefühle sind es, welche in diesem Augenblicke uns're Herzen erfüllen: das der Trauer und der Freude. Wir trauern und trauern tief, daß der Künstler, eine der festesten Säulen unseres Tempelbaues, aus unserem Kreise scheidet; wir freuen uns und freuen uns herzlich, daß der Mensch, der Freund uns unverändert nahe bleibt. Ein gütiges Geschick lasse Sie nach mühevollen Tagen die wohlverdiente Ruhe in ungestörter Heiterkeit genießen und in dem befriedigenden Bewußtsein, daß Sie den Besten Ihrer Zeit genug gethan und so gelebt für alle Zeiten.

Schließlich empfangen Sie noch meinen herzlichen Glückwunsch zu der ehrenvollen Auszeichnung, welche Ihnen gestern van Sr. Majestät, unserem geliebten Kaiser, zu Theil wurde. Es ist dies ein Ereigniß von der höchsten Wichtigkeit für uns Alle, denn wir schöpfen daraus den Beweis, daß sein hohes Antlitz unserer Kunstanstalt huldvoll zugewendet ist und daß sie auch künftig keine schutz- und vaterlose Waise sein wird. Gott erhalte ihn! Er lebe hoch!


Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866.
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