Siebzehntes Kapitel

Wichtige Tagungen – Endlich mündig!

Neue Organisationsform

[105] Eine Reihe wichtiger Tagungen, an denen auch die sozialdemokratischen Frauen hervorragend beteiligt waren, fielen in die letzten beiden Jahre meiner Tätigkeit. Eine der bedeutsamsten war die erste internationale sozialistische Frauenkonferenz, die im August 1907 nach Stuttgart einberufen wurde. Diese Konferenz war ein erster Versuch, die sozialistische Frauenbewegung aller Länder zusammenzufassen und sie geschlossen in Reih und Glied der großen sozialistischen Internationale zu stellen. Um das Gelingen der Tagung waren die Einberuferinnen in Sorge. Liefen doch erst kurz vor der Tagung die meisten Anmeldungen ausländischer Delegierter ein. Es war aber schließlich doch ein ungemein buntes und interessantes Bild internationaler Frauentypen. 15 verschiedene Nationalitäten waren vertreten, außerden nahmen als Gäste Vertreterinnen des jüdischen Frauenbundes in Rußland, der Petersburger Sozialdemokratie, der organisierten Weberinnen von Lodz und eine indische Frau aus Bombay an den Beratungen teil.

Die Konferenz hat die sozialistische Frauenbewegung aller Länder in der Frage der Erkämpfung des Frauenstimmrechts auf den Boden einer scharf abgegrenzten grundsätzlichen Auffassung gestellt und feste Richtlinien gegeben. Die Wahlrechtskämpfe waren in allen Ländern immer mehr in den Mittelpunkt des politischen Lebens gerückt, und damit bekam auch das Frauenwahlrecht zunehmende praktische Bedeutung für die sozialistischen Parteien.

Als weiteres Ergebnis der Konferenz wurde eine internationale Zentralstelle geschaffen, in der die Korrespondenzen der auswärtigen Genossinnen sowie die Berichte zusammenlaufen und veröffentlicht werden sollten. Als diese Zentralstelle ist die Redaktion der »Gleichheit« ausersehen worden.

Der Internationale Sozialistenkongreß, der im Anschluß an die Frauentagung[106] stattfand, hat der Wahlrechtsresolution, die wir vorgeschlagen haben, zugestimmt. So hatten wir in allen Ländern die erfreuliche Tatsache zu verzeichnen, daß die Parteigenossen überall zu der Frage des Frauenwahlrechts grundsätzliche Stellung zu nehmen hatten.

Vielleicht ist bei dieser ersten internationalen Konferenz mancher Fehler gemacht worden, wie es ja auch bei einer solchen Veranstaltung, die einen ersten Versuch zu einer prinzipiellen Verständigung zwischen den sozialdemokratischen Frauen der verschiedenen Länder anstrebte, nicht anders zu erwarten war. Wenn man aber bedenkt, welche Sprachschwierigkeiten allein zu überwinden waren, so konnte man wohl, wie allgemein geäußert wurde, mit den Ergebnissen dieser Konferenz zufrieden sein. Das Hauptverdienst an dem guten Gelingen hatte entschieden die Genossin Clara Zetkin.

Eine andere wichtige Tagung war von der Zentralvertrauensperson als außerordentliche Frauenkonferenz im November 1907 nach Berlin einberufen worden. Sie betraf die noch junge Bewegung der Dienstboten. Dank der Agitation der Nürnberger Arbeitersekretärin Helene Grünberg und mit Unterstützung des Gewerkschaftskartells hatte im Jahre 1906 in Nürnberg eine Dienstbotenbewegung eingesetzt, die einen klassenbewußten Charakter trug und zur Gründung eines Vereins führte, der von vornherein, den modernen Gewerkschaften gleich, sich auf den Boden des Klassenkampfes stellte. Das Nürnberger Beispiel hatte bahnbrechend gewirkt. Es mehrten sich rasch die Städte, in denen Dienstbotenvereine entstanden. Überall waren es die Genossinnen, die den Hauptteil der Arbeit leisteten, die die Agitation unter den Dienstboten und ihre Zusammenschlüsse in Organisationen erforderte. Häufig wurden sie dabei von den Gewerkschaftskartellen unterstützt.

Mit dem Wachsen der Bewegung unter dieser ganz besonders rechtlosen Arbeiterkategorie machte sich aber eine gemeinsame Aussprache derjenigen notwendig, welche die Agitation im Fluß hielten. Fragen waren aktuell geworden, die eine Verständigung über eine einheitliche Behandlung erforderten. So waren es z.B. die Fragen des Dienstvertrages, die Errichtung eines eigenen Stellennachweises, die Beschaffung eines eigenen Organs für die Dienstbotenvereine, vor allem aber die Frage der Anbahnung einer Zentralisation aller klassenbewußten Dienstbotenorganisationen.

25 Delegierte, meistens Leiterinnen von Dienstbotenorganisationen,[107] waren erschienen. Vertretungen des Parteivorstandes, des Verbandes sozialdemokratischer Wahlvereine Groß-Berlins und der Gewerkschaften zeigten die Bedeutung der Konferenz. Der Verlauf der Verhandlungen brachte uns noch mehr zum Bewußtsein, wie dringend notwendig die Konferenz für die weitere Entwicklung war. Die Berichte aus den verschiedenen Gegenden Deutschlands ließen klar erkennen, daß die Dienstbotenbewegung nur dort Aussicht auf Erfolg versprach, wo die allgemeine sozialistische Frauenbewegung bereits eine bestimmte Höhe erreicht hat.

Daß die Stellenvermittlung von den Dienstboten selbst in die Hand genommen werden müsse, um ein Rückgrat der Bewegung zu werden, wurde allgemein anerkannt.

Auch der Dienstvertrag fand seine Würdigung zunächst als wirksames Agitationsmittel, des weiteren aber auch als Mittel, die Gesindeordnung auszuschalten und die Lage der Dienenden zu heben.

Die Dienstbotenbewegung drängte nach einheitlichem Zusammenschluß, nach einer Zentralisation. Die Konferenz wählte daher eine fünfgliedrige Kommission mit dem Sitz in Hamburg, der die Aufgabe zugewiesen wurde, die Zentralisation sowie den Anschluß an die Generalkommission in die Wege zu leiten.

Beschlossen wurde ferner, ein einheitliches Organ für die Dienstbotenbewegung zu schaffen. Schließlich stimmte die Konferenz der Anregung zu, die »Gleichheit« durch Zufügung eines bestimmten Teils so auszugestalten, daß sie auch den besonderen Ansprüchen der Dienstbotenorganisation Rechnung trage und das so ausgestaltete Blatt als deren Organ einzuführen.

Eine immer festere Form nahm allmählich auch die Eingliederung der Frauen in das Gesamtgefüge der Partei an.

Für 1907 war keine Frauenkonferenz einberufen worden, aber vor dem Parteitag in Essen fand auf besonderen Wunsch der Genossinnen des Ruhrgebiets eine Besprechung statt, deren Zweck die bessere Regelung der Agitations- und Organisationsarbeit des Ruhrgebiets war. Die Bildungsvereine des Ruhrgebiets hatten seit Jahren unter dem rigorosen Vorgehen der Behörden besonders zu leiden. Auflösungen, Anklagen, Geldstrafen folgten in ununterbrochener Reihe. Man beschloß deshalb, diese Bildungsvereine aufzulösen und an ihre Stelle lose Organisationen zu setzen; Diskutier- und Leseabende sollten die nötige geistige Verbindung unter den Frauen erhalten. Die Genossinnen[108] haben den Anregungen gemäß gehandelt, und mit gutem Erfolg. Eine Konferenz der weiblichen Vertrauenspersonen in Bayern führte zur Ernennung der Genossin Greifenberg als Landesvertrauensperson. Eine Provinzialkonferenz für Schleswig-Holstein bestimmte die Genossin Baumann als Provinzialvertrauensperson. Für das niederrheinische Agitationsgebiet wurde die Genossin Wilhelmine Kähler mit dem Amt betraut.

Die Genossinnen nahmen auch mehr und mehr an den Landes- und Provinzialparteitagen teil. So hielt auf dem Landesparteitage für Sachsen-Meiningen, der in Saalfeld tagte, Genossin Selinger ein Referat über Agitation und Organisation der Frauen.

Mit dem Beginn des Jahres 1908 setzten in Preußen die scharfen Wahlrechtskämpfe ein, an denen wir Frauen einen besonders regen Anteil nahmen.

Als am 10. Januar das Geldsackparlament wieder eröffnet wurde, nahmen Tausende von Männern und Frauen an einer Demonstration für ein allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht teil. Nicht nur die Frauen aus dem Berliner Stadtbezirk, auch die Genossinnen aus den Vororten kamen in ganzen Trupps vor das Abgeordnetenhaus. Welche Freude war es, wenn die einzelnen Trupps sich bei mir meldeten: »Wir sind die Rixdorfer; wir die Schöneberger; wir aus Friedrichsberg usw. usw.« Als der Reichskanzler Bülow aus dem Wagen stieg, riefen wir ihm unsere Forderungen zu. Er ging mit gesenktem Kopf wie ein Schuldbeladener durch unsere Reihen. Auch bei der Demonstration am »Roten Sonntag« waren unsere Genossinnen nicht weniger auf dem Posten.

Bei den Wahlen für das preußische Dreiklassenparlament haben auch die Frauen wieder eifrige Arbeit geleistet. Auch am Tage der Wahlmännerwahlen standen sie vielfach mit Stimmzetteln vor den Wahllokalen; sie waren in den Wahlbüros der Partei tätig, aber auch in amtlichen Wahlbüros führten sie die Listen. Schlepperdienste leisteten sie und haben manchen Zaghaften, Ängstlichen durch ermutigende Worte an den Wahltisch gebracht. Unsere Arbeit wird sicher ein wenig dazu beigetragen haben, daß es der Sozialdemokratie zum erstenmal gelungen ist, unter einem so korrumpierten Wahlsystem, wie es das Dreiklassenwahlrecht im Preußischen Landtag war, einige Abgeordnete in den Landtag zu bekommen.

Das einzige Wahlrecht, welches die Frauen hier besaßen, war das zu[109] den Vertretungen in den Krankenkassen. Es mußte ihnen aber durch immer erneute Hinweise vor Augen geführt werden, wie wichtig die Ausübung dieses Rechtes ist. Vor allem galt es, mehr Fürsorgeeinrichtungen für die weiblichen Krankenkassenmitglieder durchzusetzen. Das Jahr 1908 bedeutet einen Wendepunkt in der Geschichte der politischen Frauenbewegung. Das Reichsvereinsgesetz war endlich im Reichstag durch die letzte Lesung gehetzt und angenommen worden. Der einzige Fortschritt, den dieses Gesetz brachte, war die Gleichstellung der Frau mit dem Mann. Sie war für mündig erklärt worden. Für uns bedurfte es dessen kaum noch, denn die proletarische Frauenbewegung hatte sich in einem zähen Kleinkrieg eine politische Bewegungsfreiheit erkämpft, mit der sie auch ohne formales Recht auskam. Wir konnten deshalb auch keine besondere Freude empfinden über ein Gesetz, das auf der anderen Seite so schwere Schäden aufwies. Wir erinnern nur an den berüchtigten Sprachenparagraphen, der den in Deutschland lebenden polnischen Arbeitern, der aber auch den reichsangehörigen Dänen und Elsaß-Lothringern das Recht nahm, Organisationen zu bilden und in Zusammenkünften ihre Muttersprache anzuwenden, sowie an die Entrechtung der Jugendlichen.

Das neue Gesetz ließ es uns sozialdemokratischen Frauen aber doch notwendig erscheinen, die Frage zu prüfen, ob die veränderte rechtliche Lage nicht auch andere Organisationsformen erfordert. Eine eingehende Beratung darüber mußte Sache der Frauenkonferenz sein, die für den September 1908 nach Nürnberg einberufen wurde. Das Resultat der Vorbesprechungen war ein Vorschlag zur Neuorganisation der Genossinnen. Er wurde zunächst den Organisationen, dann aber auch der Frauenkonferenz zu Nürnberg zur Beratung unterbreitet. Das letzte Wort in der Frage hatte natürlich der Parteitag zu sprechen. Der Vorschlag hatte folgenden Wortlaut:


1. Jede Genossin ist verpflichtet, der sozialdemokratischen Parteiorganisation ihres Ortes beizutreten.

Politische Sonderorganisationen der Frauen sind nicht gestattet. Über das Fortbestehen besonderer Frauenbildungsvereine entscheiden die Genossen und Genossinnen der einzelnen Orte. Die Mitgliedschaft in solchen Vereinen enthebt jedoch die Genossinnen nicht der Verpflichtung, den sozialdemokratischen Parteiorganisationen anzugehören.

2. Unabhängig von den Vereinsabenden der Männer sind für die weiblichen[110] Mitglieder Zusammenkünfte einzurichten, welche ihrer theoretischen und praktischen Schulung dienen.

3. Die Festsetzung der Beiträge für die weiblichen Mitglieder bleibt den einzelnen Organisationen überlassen. Empfehlenswert ist, die Beiträge für die weiblichen Mitglieder niedriger zu bemessen wie für die männlichen.

4. Die weiblichen Mitglieder sind im Verhältnis zu ihrer Zahl im Vorstand vertreten. Doch muß diesem mindestens eine Genossin angehören.

5. Den weiblichen Mitgliedern des Vorstandes liegt es ob, die notwendige Agitation unter dem weiblichen Proletariat im Einvernehmen mit dem Gesamtvorstand und unter Mitwirkung der tätigen Genossinnen zu betreiben.

6. Solange betreffs der Beschickung der Parteitage durch die Parteiorganisationen noch das gegenwärtige Provisorium gilt, bleiben auch für die Delegierung der Genossinnen die jetzigen Bestimmungen des Parteistatuts in Kraft.

Das Zentralbureau der Genossinnen bleibt bestehen. Die Vertreterin der Genossinnen wird dem Parteivorstand angegliedert.

Die fünfte Frauenkonferenz zu Nürnberg 1908 war stärker besucht als je eine zuvor. 72 Delegierte, unter denen nur vereinzelte Genossen waren, nahmen teil. Wir erkannten außerdem jetzt auch die Parteitagsdelegierten als Delegierte der Frauenkonferenz an, die kein formales Mandat, sondern nur den Auftrag ihrer örtlichen Genossinnen zur Teilnahme hatten, um später Bericht erstatten zu können.

Der Punkt der Tagesordnung: »Die sozialistische Erziehung der Jugend; die Erziehung im Hause« wurde in vorzüglichen Darlegungen von der Genossin Dunker behandelt. Der Vortrag gab so viele Anregungen, daß die Konferenz die Drucklegung beschloß, um ihn für die Agitation zu verwenden.

Auch das Referat der Genossin Zetkin über die Jugendorganisation war ausgezeichnet. Wohl jeder Zuhörer ist dadurch von der Wichtigkeit der Jugendorganisation überzeugt worden.

Das größte Interesse galt dann der Organisationsfrage. Die Darlegungen von Luise Zietz zu diesem Punkt der Tagesordnung waren überzeugend. Unser Organisationsvorschlag wurde angenommen und dem Parteitag überwiesen.

Das Amt einer Zentralvertrauensperson war jetzt überflüssig geworden.[111] Die Vertreterin der Frauen mußte dem Parteivorstand eingefügt werden.

Ich aber hatte das Empfinden, daß mein Können für die weitere Förderung der Frauenbewegung an leitender Stelle nicht mehr ausreiche. Und so wurde denn auf meinen Vorschlag Luise Zietz in den Parteivorstand gewählt.

Quelle:
Baader, Ottilie: Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen einer Sozialistin. 3. Auflage, Berlin, Bonn 1979, S. 105-112.
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