III.

Tölpels Bauernmoral

[1136] 1137. Tölpels Bauernmoral. Der Zufall spielt mir ein altes Buch, »Tölpels Bauernmoral«, in die Hände, dem ich die nachfolgenden Proben entnehme, um zu zeigen, wie man vor 150 Jahren Anstandsbücher schrieb.


Wer zeigt sich Meister Grobian!

Wer nichts dergleichen hat gethan,

Der nehme sich darum nicht an.

Es ist schon längst an allen Orten

Ein Sprichwort und Gewohnheit worden:

Was man befiehlt, das thut man nicht,

Was man verbietet, das geschicht.

Je mehrer Guts wird vorgeschrieben,

Je mehr wirds Gegenteil getrieben.

Gab Sirach nicht und Salomon,

Viel schöne Lehr und Lektion?

Doch pfleget dies die Welt zu hassen

Und thut es fleißig unterlassen;

Wer etwas Kluges haben will,

Befehle nur das Widerspiel.

Drum, weil man nichts mehr Guts will hören,

Will ich anjetzt was närrisch lehren,

Das hinterste zuvörderst kehren.

Mein Jüngling, solches fleißig lies,

Halt alles richtig und gewiß,

Wie die Bauern trag' n ihre Spieß.

Verstehest nicht, so bleib zu Haus,

Kehr' s um, so wird ein Handschuh draus.

Willst deine Sitten auferbauen,

So kannst in diesen Spiegel schauen;

Lies nur das Büchlein oft und viel,

Und thu allzeit das Widerspiel.


Von den Tischregeln, die der Verfasser in seinem Buche giebt, seien die nachfolgenden hier angeführt: Wenn du den besten Wein überlaut gefordert, obwohl du nur umsonst schmarotzest, so mußt du gleich probieren und kosten, als wärest du in deinem Keller. Setze etlichemal nacheinander ab, schlürfe ihn zwischen den Zähnen hinein, daß es jedermann hört; du mußt auch gleich seine Mängel anzeigen und den Hausherrn fragen, was er ihm gekostet. Ist aber der Wein nach deinem Schleckermaul, so setze niemals ab, sondern schlinge die Gläser auf einen Gluck hinein und brich einer Bouteille nach der andern den Hals. Nach jedem Trunk aber suche und hole mit tiefen Seufzern den zurückgebliebenen Atem. In den Gesundheitsgläsern mußt du, ohne Ansehen der Person, vor allen den ersten Anfang machen. Erstlich trinke deine eigene Gesundheit allen miteinander zu, danach das Leben und Wohlsein der ganzen Kompagnie. Fange bei dem letzten an, wie in allen Prozessionen die Vornehmsten zuletzt gehen, und auch die beste Speise und Trank zuletzt aufgesetzt werden. Endlich bringe es auch den gnädigen oder gestrengen Herrn. Du mußt ihm aber keinen anderen Namen geben, als du; denn man weiß ja ohne dich schon eines jeden Titel und du kannst den Leuten keine schöneren Namen geben, als sie in der Tauf bekommen haben. Weil dir unterweilen eine kleine Abkühlung wohlbekommen möchte, so wirst du nicht übel thun, wenn du des vornehmsten Gastes Gesundheit in Bier oder Wasser trinkst, danach aber bleibe bei dem Wein bis zum Ende. Zuletzt begehre ausländische Weine, als Moskat, Champagner, Tokayer und dergleichen, zum Zuspitzen und Verdauen. Hat man keinen im Haus, so kann man schon welchen in den Wirtshäusern haben. Vornehmen Standespersonen beiderlei Geschlechts, besonders geistlichen Herrn und Klosterfrauen, erweisest du eine ganz besondere Ehre, wenn du ihnen von ihren Inklinationen oder Koketten allerhand Gesundheiten zutrinkest, deren man unter den Zechbrüdern in den gemeinen Wirtshäusern eine Menge hören kann: so wird ein Gespaß und Vexation die andere gehen, und du wirst die beste Gelegenheit haben, den Diskurs fortzusetzen. Trinkt eine vornehme Person deine Gesundheit, so bleibe nur sitzen, denn wenn du auch aufstündest, könntest du doch dadurch keinen zu einem größeren Herrn machen. Behalte deinen Schabbesdeckel auf dem Grind, mache keine Komplimente oder Reverenz; denn diese nutzen dir weder für Hunger, Durst, noch Kälte und Wärme. Ergreif gleich dein Glas, halt es eine Elle weit entgegen und sag: »Unsere Gesundheit ist ein fürstlicher Trunk! Auf bald Wiedersehen und öftere Zusammenkunft!« Stoß dein Glas an das andere, und: Topp, du Bruder Kamerad! Diesen Gegentrunk ende noch, ehe der vornehme Mann ausgetrunken. Alsdann wirf aus Freud und Ehrerbietigkeit ihm das volle Glas vor die Füße und schrei öfters: »Juh!« Ist gleich gescheiter, als andere verstellte Weltaffereien und alfanzische Schlosserpossen. Der sonst so scharfe Censor und Reformator aller menschlichen Sitten und Handlungen, der Herr Menantes, ob er gleich unseren Grundregeln durchaus konträr, und ganz widrige Lehrsätze führt, statuiert je dennoch in seinem vermehrten Traktat, von der Höflichkeit heutzutage, auf dem 159. Blatt folgende Grundregel, die vollkommen in unseren Kram taugt. Er sagt: »Du mußt den Braten fein abschälen, das Braune vor dich herabschneiden, die Nieren, Milch und Rogen von Fischen ganz allein vor dich nehmen. Kommen Krebse, Austern oder dergleichen auf die Tafel, lege 20 bis 30 Stück auf deinen Teller, damit andere nichts bekommen; wären sie fein zu Hause geblieben. Bohre mit Füßen und Ellenbogen in deinen Nachbar, kitzle ihn, so er trinkt, stupf ihn in die Seiten, blase den Schnupftabak und die Asche von Pasteten über den Tisch. Stoße volles Trinkgeschirr um; giebst du deine Teller hin und wieder, gieße sie zuvor anderen über die Kleider ab, damit er ein neues Kleid bekomme. Präsentiert man einem etwas, nimm es ihm vor der Nase weg; denn es gehört dir sowohl als ihm, weil beide Gäste sind, und du bist dein eigener Nächster. Das sind lauter ausgesuchte und ausgekünstelte Höflichkeiten. Ein Schelm und Dieb ist jeder, der es anders macht. Siehest du etwa ein Ungeziefer in Schüssel oder Trinkgeschirr schwimmen, mache es wie jener bayerische Bauer bei seinem Oberspitalmeister, nimm den Lichtputzer vom nächsten Leuchter und fische es ganz sachte heraus. Glaube fest, daß die besten Komplimente und Höflichkeiten jene sind, welche jedem seine angeborene Natur und Neigung, Affekt und Passion an die Hand giebt. Hingegen all jene Höflichkeiten sind nichts nutz, die man erst durch mühsame Auferziehung und Abrichtung sich angewöhnt, durch Nachsinnen, Unterweisung, Mühe und Kunst erlernen muß. Was uns nicht angeboren, ist eben schon darum inkommod und beschwerlich.

Verhaltungsmaßregeln, wenn man zu einer Mahlzeit berufen und sich nicht eingeschlichen, sondern von einem vornehmen Herrn eingeladen worden. 1. Du mußt die Einladung, ohne einzige Ceremonie, gleich annehmen, als vor bekannt, dir aber dabei die selbstbeliebigen Bedingungen, so man in Bedienung deiner Person zu beobachten, gleich zum voraus bedingen, damit man hernach keine Entschuldigung habe, noch sich mit der Unwissenheit entschuldigen könne, daß sie deinen Gusto nicht gewußt, oder sich auf einen solchen Gast nicht versehen.

2. Wenn der Hunger nicht gar zu groß, mußt du die Leute ungefähr anderthalb Stunden warten lassen, bis man dir etwa sechs Boten schickt. Hernach erscheine mit einer spanischen Gravität, schütze deine notwendigen Geschäfte vor, oder melde, daß du erst eine Kutsche erwartet, um dir also mehr Ansehen zu machen. Hat man indessen mit dem Essen fortgefahren, so wirst du selbst wissen, wie hoch du deine Empfindlichkeit darüber auslassen, und das Versäumte reichlich einbringen magst.

3. Bei deinem Eintritt, wenn du höflich dich zuerst von anderen hast grüßen lassen, könnte dein Gegenkompliment und Anrede ungefähr also heißen: Weil ihr euch denn die große Freiheit genommen, mich, als euren hochansehnlichsten Gast, anheute einzuladen, so will ich von der ausnehmenden Erzgüte sein, euch die allergrößte Gnad und Her meiner allervortrefflichsten Gegenwart zu gönnen, verhoffend, daß ihr nach eurem besten Wissen, Willen und Vermögen, vorgeschriebener Maßen, eure Schuldigkeit gegen meine hochzuehrende Großmütigkeit in acht zu nehmen wissen werdet. Oder: mein Diener, sein Herr! Ihr habt mich zum Essen und Saufen gebeten, darauf habe ich ohnedem schon lange gewartet, ob ihr mich aber vexieret, weiß ich nicht. Ich will aber Ernst daraus machen.

Allons! Ihr Cujons! Bursch, Flegel, ins Gewehr! Tragt auf und zettelt nicht! Schenkt ein und schüttet nicht. Heute will ich denn zeigen, daß diesem Haus Heil und durch die Deckelgläser Gesundheit widerfahren.

4. Alsdann setze dich, wo du hin willst, und erfülle in der That meine obige Lehren.

Verhalten zu Ende der Mahlzeit und beim Aufstehen. 1. Obschon andere das Besteck niedergelegt und zum Aufstehen sich bereitet, mußt du dich doch daran nicht kehren, genug, daß sich andere müssen nach dir richten, wann du anders noch essen willst. Bleib also nur kecklich sitzen, was gehen dich andere an? Was geht es dich an, was sie thun? Wann also alles schon aufgestanden, kannst du deinen Nachtisch fortsetzen.

2. Löffel, Messer und Gabel laß voller Schmutz und Fett auf dem Tisch liegen oder schiebe sie ein, besonders was von Silber, damit dir nichts entkommen könne. Das Serviett wirf unter den Tisch, damit die Hunde etwas zu zerreißen haben oder schiebe es für ein Schnupftuch ein.

Benehmen auf dem Nachhauseweg. Mit aller sittsamen Manier, behutsamer Vorsicht und anständiger Bescheidenheit gehe etwa um eins zur Nacht heim, mache dich aber unterwegs noch rechtschaffen lustig, singe, jodle, schreie und pfeife. Fange auf der Gasse einen Lärm an, daß jedermann aufwache; redet dir einer zu, dem gieb nicht viel gute Worte. Vergiß doch auch nicht, daß du absonderlich deinen guten Freunden die Fenster einwerfest. Leide kein Licht auf der Gasse, siehest du etwa eine Laterne, falle sie gleich an und schlage sie in viele tausend Stücke. Begegnet dir jemand, so weiche ja nicht aus, denn die Straße ist dir so frei als einem anderen, und du hast ohnedem, als ein voller Mann, das Privilegium, daß dir sogar ein geladener Mistwagen aus Ehrfurcht ausweichen muß; denn der Gescheitere giebt allezeit nach. Will der andere nicht weichen, setze ihn in die Kotlagen, damit er seine Hoffart abkühle, und decke ihn mit Schlägen zu. Kehrt er aber den Flegelstiel um und du trägst das meiste davon, so denke halt, es hat dich ein Hund gebissen. Wenn du nun endlich nach Mitternacht zu Hause angekommen, und deine Zunge in so vielerlei Lebenssaft sich gebadet, daß sie vor Geschwulst nicht mehr lallen kann, deinen Augen alles repliziert und multipliziert vorkommt, so wecke die Leute im Hause auf, treibe alle aus dem Bett, laß dir zu guter Nacht noch Schlaftrunk herbeiholen, und glaube es nicht, wenn man es dir mißratet und sagt: es hätte sich bei so später Zeit der Magen schon geschlossen, denn es kann dennoch ein Glas Wein, Bier oder Met noch zum Schlüsselloch hineinlaufen. Hernach lasse dich, wie schon gemeldet, in das Bett tragen, allda die Humores und Vapores auszuschlafen und das verlorene Uhrwerk deiner sieben Sinne wiederin gehörigen Gang zu bringen. So du des anderen Tages, etwa um 12 Uhr, erwachest, nimm Rosalin oder Aquavit, mit diesem kühle deine lechzende Zunge ab, alsdann fahre nach der gestrigen Diät und Tagesordnung fort, worüber du alle Nacht deine Rechnung und Gewissenserforschung ohne langes Nachdenken also machen kannst: Was habe ich nun diesen Tag gethan? Sechs Stunden gegessen und getrunken, zwei Stunden geschlafen und vier ganze Stunden bin ich nun müßig gegangen.

Quelle:
Baudissin, Wolf Graf und Eva Gräfin: Spemanns goldenes Buch der Sitte. Berlin, Stuttgart [1901], S. 1136-1137.
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