Die Unterhaltung der Gesellschaft.

[91] An solchen zwanglosen Abendgesellschaften ist es jeden Teilnehmers Pflicht, für Unterhaltung der Gesellschaft nach Möglichkeit zu sorgen. Wem also Gaben eigen sind, die er bei solcher Gelegenheit im Interesse der allgemeinen Fröhlichkeit verwenden kann, der mag damit ncht zurückstehen.

Da ist zunächst die Musik, die in der Gesellschaft sich stets als beliebtes Mittel zur Anbahnung einer fröhlichen Stimmung bewährt. Selbstverständlich ist hierbei nicht jene Tafelmusik' gemeint, die wir bei großen Essen hinzunehmen[91] gewöhnt sind; sondern wir meinen die musikalischen Einzelvorträge durch die Mitglieder der Abendgesellschaft, mögen sie nun in Gesangs- oder in Klaviervorträgen bestehen.

Ist der Vortragende Musiker von Beruf, so muß er die Auswahl seiner Vorträge nicht lediglich von seinen eigenen künstlerischen Anschauungen abhängig machen. In der Gesellschaft tritt der Künstler hinter den Menschen zurück, das heißt, der Künstler darf nicht nur das tun, was die Grundsätze seiner Kunst ihm als wahrhaft schön bezeichnen, sondern er hat dem Geschmack der Gesellschaft Rechnung zu tragen und muß bei Auswahl seiner Vorträge in erster Linie darauf bedacht sein, die Gesellschaft zu unterhalten, zu erfreuen. Nun gelingt das, wie jedermani, weiß, dem wahren, gottbegnadeten Künstler stets, denn die wahre Kunst wird immer eifrige Bewunderer finden; deshalb gilt der vorhergegangene Rat, den Geschmack der Zuhörer nicht unberücksichtigt zu lassen, auch lediglich für Anfänger, unter denen es Kräfte gibt, die geradezu fanatisch nur darauf bedacht sind, ihr Licht leuchten zu lassen, obwohl ihre Fähigkeiten sich durchaus nicht mit ihrem Streben, sich vorzudrängen, decken. Heutzutage muß selbst der Nichtfachmann schon auf einer ganz besonderen künstlerischen Stufe stehen, wenn er die Gesellschaft durch seine Vorträge zufrieden stellen will; deshalb prüfe jeder vorher sein Können und das Verständnis der übrigen Anwesenden genau, ehe er sich der Kritik aussetzt, die heimlich zwar, aber deshalb nicht weniger streng, über ihn gefällt wird.

Hierbei wollen wir einen Rat der Beherzigung empfehlen: der Vortragende lasse sich nicht durch Ängstlichkeit oder Unsicherheit veranlassen, stecken zu bleiben! Wem ein Fehler vorkommt, der gehe darüber hinweg und suche nicht dmch Wiederholung der betreffenden Stelle die Anwesenden noch besonders auf den kleinen Unfall aufmerksam zu machen. Möglicherweise haben die Wenigsten ihn bemerkt – wenn der Fehler eben nur leicht war –, und das allgemeine Urteil bleibt dem Vortragenden günstig.

Wird jemand in der Gesellschaft aufgefordert, etwas vorzutragen, so tue er dies, ohne sich lange bitten zu lassen, sofern er eben überhaupt leistungsfähig ist. Wir setzen allerdings voraus, daß derlei Aufforderungen nur an solche[92] ergehen, von denen die Gesellschaft bereits weiß, daß sie etwas vorzutragen imstande sind. Pflicht der Anwesenden ist es dann, sich für den Vortrag durch Beifallsäußerungen dankbar zu erweisen, selbst in Fällen, wo der Vortragende, sofern er eben sich nicht selbst ›hervordrängte‹, den gehegten Erwartungen nicht ganz entsprochen haben sollte.

Daß übrigens dem Vortragenden seitens der Anwesenden vollste Aufmerksamkeit geschenkt werden muß, braucht eigentlich nicht erst besonders hervorgehoben zu werden. Die Unterhaltung der Gäste untereinander muß also schweigen, solange der Vortrag währt, und wenn jemand aus der Gesellschaft die Rücksicht soweit beiseite setzte, daß dutch sein lautes Sprechen die Aufmerksamkeit der übrigen Anwesenden gestört würde, so steht der Frau des Hauses das Recht zu, den Störenfried durch ein Zeichen oder durch Worte zu ersuchen, während des Vortrags sich still zu verhalten. Eine derartige, wohlverdiente Rüge übel zu nehmen, hat niemand ein Recht. –

Aber nicht nur die Musik wird in den Dienst der Gesellschaft gezogen, um sie aufzuheitern; auch Vorträge, Aufführungen von Theaterstücken, lebende Bilder, sind vielbeliebte Mittel zur Erweckung des Frohsinns.

Vorträge ernster und heiterer Richtung werden meist nur dmch Herren aufgeführt; Damen werden gut tun, nur im engsten Kreise sich hören zu lassen, denn da die allgemeine Aufmerksamkeit sich in solchem Falle ganz besonders einer einzigen Person zuwendet, kann es einer Dame doch nicht angenehm sein, in so hervorragender Weise die Augen aller auf sich zu lenken.

Beliebt sind in der Gesellschaft besonders deklamatorische Vorträge heiteren Inhaltes. Bei der Auswahl erwachst dem Vortragenden die Pflicht, peinlich darauf bedacht zu sein, alles wegzulassen, was das Gefühl der Damen verletzen kännte. –

Theaterstücke werden in der Gesellschaft meistens nur bei besonders festlichen Gelegenheiten, bei Geburtstagen, Polterabenden oder Jubiläen, aufgeführt. Hierbei liegt für den Zuschauer immer die Gefahr nahe, Vergleiche anzustellen zwischen den Leistungen der mitwirkenden Spieler und denen der Schauspieler von Beruf. Das ist aber stets[93] ein Fehler, denn der Zweck der theatralischen Aufführung in Privatkreisen ist nur der, in harmloser, zwangloser Weise zu unterhalten, ohne Anspruch darauf, Kunstleistungen zu bieten. Der Zuschauer mag also das Gebotene von diesem Standpunkt aus annehmen und sein Urteil abgeben; er wird dann den Leistungen der Mitspielenden seine Anerkennung nicht versagen.

Wem eine Rolle in einem in der Gesellschaft aufzuführenden Theaterstück angeboten wird, der sage nicht sogleich unbedingt zu, sondern prüfe sich erst, ob er ihr auch gerecht zu werden die Fähigkeit besitzt; hat man sich aber zur Durchführung einer Rolle entschlossen, so darf man nur durch zwingende Ereignisse – Krankheit, notwendige Abreise oder dergleichen – sich veranlaßt sehen, die zugesagte Mitwirkung rückgängig zu machen. Jede übernommene Rolle stellt Anforderungen an unsere Zeit, ja häufig auch an unseren Geldbeutel; überdies sind wir dadurch verpflichtet, uns allen Anordnungen dessen willig zu fügen, der die Leitung der Darstellung übernommen hat, selbst wenn die betreffende Persönlichkeit im Range unter uns stände. Daß niemand sich darüber beklagen darf, nur eine kleinere oder eine Nebenrolle zuerteilt erhalten zu haben, ist wohl selbstverständlich. Auch kleine Rollen müssen so wirksam wie möglich dargestellt werden – deshalb ist es in erster Linie geboten, die übernommene Rolle so bald wie möglich vollständig auswendig gelernt zu haben.

Zur Aufführung in privaten Kreisen sind nur kleine Lustspiele geeignet; alle tragischen Stücke sind zu vermeiden, von ersteren aber auch solche, in denen Damen in Herrenkleidern erscheinen sollen.

Seltener aufgeführt werden in Gesellschaften lebende Bilder, weil es ohne größere Vorbereitungen geradezu unmöglich ist, diese dem künstlerischen Vorbild entsprechend zur Darstellung zu bringen. Wird ein im Laufe des Abends aufgetauchter Wunsch durch Stellung lebender Bilder befriedigt, so wird die Mangelhaftigkeit der Kleidung, der Beleuchtung usw. vielfach zu Kritteleien Veranlassung geben, die man aber sorgfältig im Busen bewahren mag, will man nicht bei den anderen anstoßen und sich den Ruf eines unliebenswürdigen Gesellschafters zuziehen.[94]

Die Wahl der zu stellenden Bilder wird meistens durch gesellschaftliche Beziehungen oder durch die äußeren Veranlassungen der Festlichkeit bestimmt und es wäre unpassend, wollte man beispielsweise bei einem Polterabend tragische Szenen wählen. Alles in allem entspricht der Erfolg lebender Bilder selten den Erwartungen der Darsteller.

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 91-95.
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