Anno 1692
§ 17

[54] Nun dies war ein Übergang, der nicht lange dauerte. Gegen Michael [29. Sept.] aber geriet ich in eine neue Verdrießlichkeit, die mich ein halbes Jahr nicht wenig gequälet, und mortificiret, und zwar bei eben diesem Prediger, der mir zwar nach Pfingsten die Famulatur aufgesaget, aber auf großes Bitten meines Bruders mich vor diesmal noch im Hause behalten hatte. Ohngeachtet er nun eine Frau hatte, so mietete er doch das Gesinde selbst. Er brauchte eine junge Magd, oder sogenannte Schleußerin [Hausmädchen]. Seine Mutter, die alte Acoluthin, hatte ihm eine ausgesucht. Ehe sie aber anzog, erfuhr ich an dem Orte, wo[54] mein Bruder diente, daß sie eine Erz-Canaille, und daß sie mit einem Kerl nacket im Bade, und an einem gewissen Orte in der Tat wäre angetroffen worden. Ob es Calumnien, und nur übele Nachreden gewesen, weiß ich nicht. Gar zu viel Redliches mochte wohl nicht an ihr sein; denn, wenn sie nach der Zeit mit mir auf der Stadt-Vogtei vorstehen [vor Gericht erscheinen] sollte, so trieb sie solchen Unfug haußen im Atrio mit den jungen Juristen, und andern Anwesenden, daß es ein Greuel zu hören und zu sehen war, und ich beinahe aus ihrer Aufführung ein Argument wider sie zu meiner Defension vor dem Richter hätte machen können. Ich erzählte in des Predigers Hause der andern Domestiquen, was ich von ihr gehöret. Die Sache kam vor den Herr Magister. Dieser ließ mich bald vor sich kommen, und mußte ich ihm alles sagen, was ich von ihr gehöret hatte. Ich sagte es ihm in Vertrauen und Meinung, er würde etwan [irgendwann] schon ein Mittel zu erfinden wissen, bono modo [unauffällig] ihr den Dienst wieder aufzusagen. Aber das tat er nicht, sondern sagte seiner Mutter: Das Mensch, so sie ihm zuweisen wollte, und ihm gemietet hätte, wäre eine Hure, da und da, wäre sie in der Tat ergriffen worden, und sein Famulus wüßte Specialia [Genaueres] von ihr. Die Mutter höchst entrüstet, daß sie die Schande haben soll, ihm eine solche berüchtichte Magd gemietet zu haben, krieget das Mensch vor sich, und sagt ihr den Dienst wieder auf, animirt sie aber, sie solle solchen Schimpf nicht auf ihr sitzen lassen, sondern ihren ehrlichen Namen zu retten suchen. Was geschieht? In kurzem läßt sie mich vor den Stadt-Vogt citiren, nachdem sie erst zwei Männer an mich abgeschickt, und hören lassen, ob ich dessen, was ich geredet, noch geständig. Nun gehörten wir Gymnasiasten wohl nicht vor die Vogtei; und, wenn ich auch ein Primaner gewesen wäre, so mußte man mich doch bei dem Rector verklagen; Allein dieses wußte ich nicht; ich war auch in secundo Ordine [Sekunda] in großem Ansehen, worinnen ich schon drittehalb [11/2] Jahr gesessen: Die Præceptores stellten mich den andern Schülern zum Exempel vor: man hatte noch nichts Böses jemals von mir gehöret: Ich hätte mich zu Tode geschämet, wenn diese Sache, und Klätscherei vor die Præceptores und Commilitones gekommen wäre. Darum gieng und erschien ich vor dem Stadt-Vogt, und suchte diese Affaire in der Schule zu verbergen, so lange es möglich war. Ich würde töricht sein, wenn ich mich bei dieser Klätscherei lange aufhalten wollte, so viel Angst sie mir auch gemacht, daß ich oft des Nachts nicht schlafen können. Ich gestund[55] alles, was ich dem Herr Magister erzählet hatte; da ich aber nicht zu sagen wußte, oder nicht sagen wollte, von wem, und wo ich es gehöret, so kam es einst so weit, daß ich der Klägerin ein Ehren-Versorg [Erklärung], zwei Taler heiligen Christ, zwei Taler Lohn, und sechs Taler Kost-Geld geben, oder in Ermangelung dessen, in den Stock [Gefängnis] gehen sollte. Hier mußte ich nun, da ich vor Erschrecknis halb tot war, in einen sauren Apfel beißen, und schnelle ein Briefgen an den ersten Collegen secundi Ordinis [ranghöchsten Lehrer der Sekunda] schicken, und ihn um Rat und Hülfe anflehen. Dieser schickte gleich an den Herrn Gräfe, der diesmals des ordentlichen Stadt-Vogts Curæi, so krank war, Vicarius [Stellvertreter] war, und protestirte wider alles Verfahren: ich gehörte nicht vor die Vogtei; hätte man was wider mich, so sollte man die Sache dem Herrn Rectori hinterbringen.


Anno 1693

Der närrische Process währete bis gegen Ostern; und da ein neuer Stadt-Vogt, der Herr von Riemberg, gesetzt, und ich vor solchem von neuem verklaget wurde, und mich stellte, so ließ ich mich den Stadt-Vogt, um der Plage einmal los zu kommen, bewegen, dem Menschen sowohl einen Ehren-Versorg [Erklärung] zu geben, als 13 Gr. Unkosten zu erstatten.

Warum ich aber diesen Plunder erzählet habe, macht der merkwürdige Traum, den ich eine kurze Zeit zuvor hatte. Ehe noch die Händel mit dieser Magd angiengen, und ich noch nichts wußte von allen diesen Dingen, träumete mich des Nachts, als ob mich eine unbekannte Magd anfiele, die ich im Traume vor eine Spitzbübin ansahe, und ich mich mit ihr balgete. Der Traum währete sehr lange, und ich rang, und wehrte mich aufs beste, so gut ich kunte. Endlich ward sie nach langem Ringen meiner doch mächtig, grieff mir mit Gewalt nach dem Schübsack [Tasche in Kleidung], und nahm mir das Geld heraus, so ich bei mir hatte. Der Traum hätte nicht besser eintreffen können, nur daß er mir wenig genutzet, und ich nicht sehen kann, wie ich dessen Erfüllung hätte hindern können. Die ganze Sache brach in der Stadt aus [wurde ... bekannt], wie zu geschehen pfleget, wenn in den Häusern der Prediger etwas vorgehet, und gereichte dem Prediger mehr, als mir, zur Schande, weil er nicht vorsichtiger und klüger in allem verfahren.

Doch muß ich bis diese Stunde diesem Prediger alles Gutes[56] nachsagen, so viel übeln Nachreden er auch unterworfen war: und das vor geringe Fehler und Schwachheiten halten, was ihm andere hoch anrechnen wollen. Inzwischen kann ich doch nicht leugnen, daß mir viel in der Jugend an meinem Christentum geschadet, und nicht wenig zu meinem folgenden unordentlichen Leben beigetragen, daß ich in so früher Jugend zu einem Prediger ins Haus gekommen, und folgentlich, weil ich dessen Famulus gewesen, auch andere Prediger, an die er mich oft geschicket, hatte lernen kennen, und also erfahren müssen, daß Prediger, die ich mir zuvor stets, wie halbe Götter, oder wie ganze Engel eingebildet, Menschen, wie andere Menschen wären: zum Teil so hochmütig wie andere Menschen, so zanksüchtig wie andere Menschen, so geizig wie andere Menschen, so unverständig und unweise wie andere Menschen, ja öfters auch noch schlimmer, als andere Menschen. Es ist besser, die Leute glaubens, und wissens, daß Prediger Menschen sind, als daß sie es wissen, und zugleich sehen. Und wenn ich noch so reich und vornehm wäre, und hätte einen Prediger, der mein Herze rühren, und mich durch Gottes Wort auf die kräftigste Weise erquicken könnte, ich würde Bedenken tragen, ihn öfters zu mir zu bitten, oder ihn zu Hause zu besuchen, um mit ihm familiair zu werden, es mußte denn mich eine gewisse geistliche Seelen-Not darzu antreiben, und ich von einem großen Maße seiner Gottseligkeit überzeuget sein. Major e longinquo reverentia, mag es auch hier heißen. Sie tragen ihren Schatz in irdenen Gefäßen [2. Kor. 4,7]; und wenn mancher im Umgange, und bei Gastmahlen mit seinen Kirch-Kindern sich noch so lange zwinget, und verstellet; so redet, oder tut er doch um ein leichtes etwas, über welches man die Überschrift machen und sagen möchte: & homo factus est. Ich habe mich auch darnach in meinem Predigt-Amte gerichtet; und, weil ich in gemeinen [gewöhnlichen] Dingen dieses Lebens wenig, oder gar keine Erkenntnis, vollends auch keine Gabe zu conversiren hatte, so habe mich von Gastmahlen derer, die mich als Prediger gerne damit ehren wollen, und von ihrem öftern Umgange enthalten, so viel ich gekonnt. Denn so bald der Respect, und der Estim [Achtung] eines Predigers bei den Zuhörern geschwächet wird, so verlieret auch die Erbauung und ihr Glaube ein großes Teil seiner Stärke. Eine gewisse Frau wünschte einst nur gar zu sehr, mich oft bei sich zu Gaste zu haben. Denn weil ich auf der Kanzel manchmal allerhand Argutien, und Scharfsinnigkeiten machte, so meinte sie, ich sollte auch dergleichen bei ihr zu Hause tun, und sie mit allerhand bons[57] mots und Possen divertiren [unterhalten]; fing zu dem Ende [Zwecke] mit mir an zu hetzen, und zu railliren [verspotten]; da ich aber sahe, daß ihr Endzweck nur fleischlich, und sie ohnedem schon einen kleinen Harlequin am Tisch sitzen hatte, so dachte ich in meinem Sinn: basta un matto per casa, ein Haus hat an einem Narren genug, und kam nicht wieder. Sed hæc obiter [Aber das nur nebenbei].

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 54-58.
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