Anno 1723
§ 121

[296] Und wenn auch ein Lehrer in allen dergleichen jetzt angeführten Dingen nichts versiehet, und man ihn keiner Sünde zeihen, und überführen kann, dadurch er seinem Amte einen Anstoß, und der Erbauung eine Hinderung setzte, so ist der Teufel doch so ein listiger Schalk, daß er siehet, wie er einen von des Predigers Domestiquen zu Falle bringen, und dadurch den Lehrer in Verdacht setzen könne, als ob er selbst diejenige Missetat begangen, und solche nur auf sein Gesinde lege. Die Welt-Kinder unter den Zuhörern sind nur allzu leicht dazu zu bringen, daß sie das, was sie gerne wünschen, daß es wahr sein möchte, um einen Trost bei ihrem sündlichen Leben zu haben, und in der Bosheit sich zu stärken, den Augenblick glauben, daß dem also sei. Gleichwie dieses schon manchem redlichen Lehrer begegnet, so habe ich solches auch erfahren müssen. So ungegründet, und unwahrscheinlich die Schlüsse zu solcher Zeit bei den Leuten sind, so gewöhnlich sind sie doch. Siehe da, um ein Gleichnis zu geben, in einem gewissen Hause ist einer von den Dienst-Boten dem Herrn über den Wein gegangen, und hat solchen ausgetrunken. Auf zwei Personen fällt der Verdacht, daß einer aus ihnen solches müsse getan haben. Den einen hat man noch niemals sehen Wein trinken: er hat jederzeit beständig vorgegeben, daß er den Wein nicht aestimire, daß er ihm auch wegen seiner Leibes-Beschaffenheit nicht wohl bekommen würde. Der andere trinkt seinen Wein, obschon nicht solchen kostbaren, und delicaten, wie sein Herr; ja er hat so gar seine Bouteille, und sein Fäßgen, wie vornehme Bedienten, zugleich mit im Keller. Ich frage dich, auf welchen von beiden wird nun wohl der größte Verdacht fallen, daß er dem Herrn über seinen guten Wein geraten: auf den, der gar keinen Wein trinkt, den man niemals trinken gesehen, dem man zuweilen in einer Stadt den besten Wein angeboten, und ihm damit eine Ehre antun wollen, und er solchen doch nicht annehmen wollen; oder auf den, der ohne Wein nicht leben kann, der seinen Wein im Keller hat, und wo nicht täglich, doch öfters davon trinket? Du wirst ohnfehlbar den letzten in Verdacht ziehen, daß er einmal lüstern geworden, und auch von dem Weine trinken wollen, den er vor delicater, als seinen gewöhnlichen gehalten.

Aber so klug sind die Leute nicht in gleichen Fällen. Wenn eine Junge-Magd in dem Hause eines Haus-Wirts, der sein Ehe-Weib[297] hat, ein Kind kriegt; ihr Haus-Herr ist nicht Vater dazu; warum? Er hat ja sein eigen Weib, das schönste Weib von der Welt, er wird das ja nicht tun, er müßte nicht klug sein, weil an der Junge-Magd nichts Schönes ist. Quasi vero [nur beinahe wahr], gleich als ob die Menschen allemal nach der Vernunft, und nicht vielmehr nach ihren Passionen lebten. Hat aber der Haus-Herr kein Weib, und ist dem Vorgeben nach noch ein Junggeselle, den Augenblick muß er es, und kein anderer getan haben. Und wenn er schon niemals die geringste Neigung zum andern Geschlechte spüren lassen, die allervorteilhaftesten Heiraten beständig ausgeschlagen, und noch dazu wegen kränkliches Leibes mit seinem blassen, und gelblichten Angesichte einem Toten ähnlicher, als einem Lebendigen siehet; Das tut alles nichts, er muß Vater dazu sein, und niemand anders. Ich weiß wohl, daß man auch Haus-Väter gar leicht bei dergleichen Fällen in Verdacht hält, denen man sonst wegen vieler Umstände in puncto sexti [des 6. Gebots] nicht viel Gutes zutrauet, sie mögen verheiratet, oder nicht verheiratet sein; doch dafern der Haus-Wirt ein Prediger ist, so fällt aller Verdacht bei dergleichen Fällen auf denselben, wo er noch unverheiratet ist. Der unsägliche Durst und Verlangen, das die Welt-Kinder haben von ihrem Prediger, insonderheit wenn er berühmt und beliebt ist, zu hören, daß er diese, oder jene Sünde begangen, macht sie zu solchen Zeiten ganz blind, daß sie zwischen dem Wahrscheinlichen, und Unwahrscheinlichen gar keinen Unterscheid zu machen fähig sind. Ich glaube zwar, daß einige, damit sie nur in Gesellschaften sich auf dergleichen Dinge was zu gute tun, und einander lustig machen können, manchen Lehrer im Herzen alsdann vor unschuldig halten, ob sie gleich mit den andern, so ihn verdächtig halten, in Worten und zum Schein einstimmig sind; es sind aber auch deren genug, die das expedit nobis hoc esse verum, Ergo est verum [es ist uns gelegener, daß das wahr sei, also ist es auch wahr], als das gemeine Vorurteil, wozu die Passionen die Menschen verleiten, zum Grunde ihrer Schlüsse und Urteile machen.

Da der bekannte Casus Anno 1723 in meinem Hause vorgieng, da raseten, lärmeten, und tobeten die Leute in Häusern, und in Compagnien, nicht anders, als ob sie vom Satan besessen wären. Die mich kannten, und nahe um mich waren, und sonst meinen Leibes- und Gemüts-Zustand wußten, hielten mich gerne vor unschuldig; doch mochten unzählige andere sein, die aus jetzt angeführten Ursachen alles Ärgste von mir zu glauben[298] höchst bereit und fertig waren. Du wirst mir vielleicht gern zugestehen, daß, wenn dergleichen geschiehet, bei solchen eingenommenen Gemütern die Erbauung in Predigten gar sehr gehindert werde; ich aber habe stets geglaubet, daß die damaligen Bewegungen gegen mich, mit denen man es doch wohl gut mag gemeinet haben, ein weit mehrers zur Verhinderung der Erbauung bei den Zuhörern beigetragen. Ich werde, wahrlich, das vor kein Versehen anrechnen, was man damals vor gut befunden, mit mir zu reden, und vorzunehmen, sondern ich erzähle nur, was mich damals dabei gedeuchtet. Die Zuhörer sollten ihren Lehrer aus allem Verdacht lassen; und doch wurde derselbe vor Gerichte gefordert, und ihm verwiesen, daß er mit solchen Leuten Bekanntschaft gehalten, deren Kind seinem Domestiquen ein Stein des Anstoßens gewesen. Auf solche Weise müßte ein Prediger alle Conversation mit allen Häusern aufheben, oder verhüten, daß kein einiges von seinem Haus-Gesinde zu den Leuten geschickt würde, oder hinkäme, mit welchen er Conversation, oder Umgang hat. Man ließ mich sehr frühe, um 6 Uhr damals vorstehen [vor Gericht erscheinen], mit ausdrücklicher Versicherung der guten Meinung, daß dies geschehen, damit solche Verhörung nicht allzu sehr eclatirte, und kund würde. Aber auch darinnen war ich ganz anderer Meinung. Ich dachte, und wenn ihr mich um Mitternacht vorgefordert, so würde eben die ungewöhnliche Zeit noch einen größern Spock [Spuk] und Argwohn unter den Leuten gemacht haben, die doch zeitlich [zeitig] genug von den Beisitzern, und von den vielen Bedienten derselben davon Nachricht würden bekommen haben. Ja was noch mehr, man verbot mir so gar das Haus, allwo der Casus sich zugetragen. (Denn das gemeine Volk weiß in solchen Fällen zwischen einem Rate, und einem Verbote keinen Unterscheid zu machen, insonderheit wenn einer Freiheit behält, einem wohlmeinenden Rate zu folgen, oder nicht zu folgen, sondern wegen verschmähetem Rate aufs neue zur Verantwortung gezogen wird.) Ich zeigte damals demjenigen Theologo, der deshalben mit mir reden mußte, wie dieses Verbot vollends mich um allen Credit und Renommée brächte, und erläuterte solches mit einer Parabel, und Gleichnis. Ich sagte: Ein gewisser Prediger, der zehen Jahre jünger als ich, und der wie Milch und Blut im Gesichte, und dem der ungarische Wein, und Knaster-Tabak zun Augen heraus siehet, ist im Geschrei [Ruf], daß er mit der allerschönsten Kaufmanns-Frau auf eine ungebührende Weise conversire. Jetzt murmeln die Leute nur davon; man verbiete ihm aber nur das[299] Haus, so soll die ganze Stadt zu glauben anfangen, daß dem also sei, was sie bisher nur schwach vermutet, oder woran, sie noch aus christlicher Liebe gezweifelt. Ich sage nochmals, ich critisire jetzt nicht, was man damals mir zu raten, oder zu befehlen vor gut befunden; denn was ich auch zur selben Zeit darwider einzuwenden zu haben bei mir vermeinte, so hielt solches die Probe doch nicht aus. Denn als ich dies einst einem andern weisen Manne einwendete, was ich jetzt nur angeführet, so wußte er mir dermaßen drauf zu antworten, daß ich endlich das alles, was wider mich ergangen war, vor weislich, und wohl ausgesonnen erkennen mußte, was es auch etwan vor einen Anstoß meinem Amte mochte gesetzet haben; und hätte ich gewünschet, daß ich diese Antwort derjenigen vornehmen Frau mitzuteilen Gelegenheit gehabt hätte, die sich kurz zuvor in einer Compagnie verlauten lassen: wo sie M. Bernden vollends das Haus verböten, so käme sie hernach nicht mehr zu ihm in seine Kirche.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 296-300.
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