§ 163

[396] Nun Himmelfahrt und Pfingsten war wiederum die gesegnete Zeit, da Gott mein Gebet erhörete, und mir Kraft und Stärke gab, viel Dinge nun nach meiner Freiheit zu ändern, und mich nicht mehr vor denselben zu fürchten. Da aber noch ein großes Teil, das mich gefangen hielt, übrig blieb, so fiel mir um das Ende des Sommers und zu Ende des Augusti, da ich Gott um Vermehrung der Kraft und Stärke angerufen, gleichsam als wie ein neues Gesetze ein, ich sollte alle Dinge, die mich noch gefangen hielten, und worinnen ich keine Freiheit hätte, in der Ordnung aufschreiben und numeriren, und darnach von dem letzten anfangen bis zu dem ersten, und jeden Tag die Veränderung eines gewissen Stückes in der Ordnung wagen. Und siehe, es gieng an. Es hat nicht ein einziges gefehlet, noch ein einziges Ding mich beunruhigen, oder meine Nacht und Schlaf stören können, so daß mein Vertrauen und Hoffnung, die ich bei meinem Kar-Freitags-Wahlspruche hatte, noch vor der Zeit erfüllet wurde: Ich rief an den Herrn in meiner Not, und er antwortete mir, und errettete mich aus aller meiner Furcht [vgl. Ps. 120,1; 34,5]

In Wahrheit, es ist mir manchmal diese Zeit über ziemlich[396] bange gewesen; insonderheit da nach und nach im Beten, Singen, und bei Anhörung des Wortes Gottes sich die durchdringende Kraft und Süßigkeit, und der himmlische Trost und geistliche Freudigkeit verlor, die ich doch in meinem Leben, auch wenn ich in dem Joche der Sünden gezogen, und nach meiner wahren Freiheit geseufzet, und Gott um Erlösung aus dem schnöden Sünden-Dienst inbrünstig angerufen, reichlich geschmecket habe. Ob ich gleich viel und manches von der sogenannten geistlichen Dürre auch in gutem Verstande genommen, gelesen; so habe ichs doch nicht in so großem Maße erfahren, noch mir so einbilden können, als wie diese Zeit über. Doch hatte diese Dürre noch lange nicht den höchsten Grad erreicht, weil doch Gott nach seiner Güte mir noch die Gabe zu beten, obwohl nur mit kurzen Sprüchelgen, und Reimgen, übrig gelassen, ich auch noch Liebe, Hochachtung, und alle gute Affecten gegen Gott in meiner Seele fühlte, nur daß dieselben nicht mit so süßen Tränen, und mit solchem frohlockenden Jauchzen der Seelen, wie sonst, verknüpfet waren. Ich wußte nicht, ob in meinem Alter alle Feuchtigkeiten vergangen wären, daran ich die Zeit meines Lebens keinen Mangel gehabt, oder was es bedeuten sollte. Manchmal gab ich mich auch in diesem Stücke deshalben zufrieden, weil mich die Erfahrung ehedessen schon gelehret, daß, wenn der Mensch nicht viel Feuchtigkeiten hat, und er, es mögen nun göttliche oder irdische Dinge sein, durch dieselben zu Vergießung vieler Tränen bewogen wird, er dadurch sein Haupt nur schwäche, und Krankheiten, so von dickem Geblüte kommen, eher vergrößere, als mindere. Ich war also lange Zeit mit einigen Brosamchen zufrieden, welche Gott gleichsam bei Anhörung seines Wortes von seinem Tische fallen ließ, bis Gott endlich an einem Sonnabend vor Mariä Reinigung auch diesem Kummer abgeholfen, und mich, wahrlich, nicht nur mit Brosamen, sondern mit Manna und himmlischer Speise erquicket. So viel mich die vorige Sklaverei niedergeschlagen und gedemütiget, so freudig war ich hernachmals, als ich von derselben erlöset wurde. Wo ich in meinem Hause und Kammer hinsahe, da fand ich lauter neue und große Wohltaten Gottes, nämlich so oft ein Stück mir vorkam, welches ich sonst zu ändern und anders zu setzen, kein Herze, noch Freiheit gehabt hatte.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 396-397.
Lizenz: