Die Hochschule.

Freiburg im Breisgau mit seinem berühmten Münster und seiner alten Universität war damals ein Städtchen von etwa 25,000 Einwohnern. Die Industrie, die heute sich dort so mächtig entwickelt, lag noch in ihren Anfängen. Man konnte dort gut, billig und fröhlich leben und darum hatte ich diesen Platz gewählt. Ich wollte Philologie studieren. Der berühmte Philologe Baumstark las den kommenden Winter über Tacitus, Mendelssohn-Bartholdy trug alte Geschichte vor. Mit diesen beiden wollte ich beginnen.

Ich mußte nunmehr reiflicher über meine Zukunft nachdenken, als vorher, und ich fand, daß diese Zukunft recht nebelhaft aussah. Zum Arzt taugte ich nicht, zum Theologen auch nicht, die Juristerei stieß mich ab; die Kameralwissenschaften desgleichen. Darum suchte ich mir die Philologie aus. Aber ich war auch überzeugt, daß ich zum Gymnasiallehrer nicht taugte. Es blieb also nur der Privatdozent übrig. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, daß diese akademische Episode durch irgendeinen Zwischenfall werde beendigt werden.

Was mich wie so viele Studenten in den ersten Semestern mehr anzog als die Studien, das waren die Reize des Studentenlebens. Ich genoß die »akademische Freiheit« in vollen Zügen und stürzte mich mitten in den Strudel des studentischen Treibens hinein. Dabei gab es sich ganz von selbst, daß ich mich einer Korporation anschloß.

In Freiburg gab es damals zwei alte Korps, die »Rhenania« und die »Suevia«; sodann eine Burschenschaft »Teutonia«. Die Korps und die Burschenschaft hatten sich gegenseitig in »Verschiß« (Verruf) gesteckt, d.h. sie verkehrten und »paukten« nicht miteinander. Außerdem gab es noch zwei Landsmannschaften, »Helvetia« und »Brisgovia« – »Schweizer« und »Breisgauer« – die Satisfaktion gaben. Die katholischen Studentenverbindungen begannen damals mit dem Farbentragen; eine solche Verbindung hieß die »Blauen« von der Farbe ihrer Mützen. Die übrigen Studenten hieß man einfach »Bummler«, auch »Wilde« und »Nachtstühle«; die freien akademischen Vereinigungen gab es damals noch nicht und der S. C. war im Studentenleben tonangebend.

Also trat ich in das Korps Rhenania ein, dessen Farben die rheinischen: Blauweißrot waren und das rote Mützen trug. Der Korpsbursch Wilhelm Löffler nahm mich auf und wurde nachher mein Leibbursch.

Alle Mitglieder des Korps waren Badener im Gegensatz zu den Heidelbergs Korps, die entweder in der Mehrzahl oder ganz aus Norddeutschen bestanden.

Das speziell badische Korpsleben war damals ganz anders geartet als das heutige. Seit dem Jahr 1870 sind in dieser Sphäre große Veränderungen[45] vorgegangen. Diese zu behandeln liegt außerhalb meiner Aufgabe. Ich habe das Korpsleben nur zu schildern, wie es damals war.

Korpshäuser gab es damals nicht mit einer Ausnahme; die Heidelberger Vandalen hatten ein solches an der alten Neckarbrücke zu Heidelberg. Infolgedessen waren die Korpsstudenten nicht so vom Publikum resp. »Bürgertum« und »Volk« abgeschlossen wie heute. Wir hatten dreimal in der Woche offizielle Kneipe in unserm Lokal; sonst saßen wir beim Früh-und Abendschoppen im gewöhnlichen Wirtslokal. Der Bierkomment wurde streng gehandhabt; indessen wurde der Fuchs, wenn er zu stark sich »anzuheitern« sich erlaubt hatte, vom Leibburschen auf Ehrenwort nach Hause geschickt. Wenn er unterwegs doch einkehrte, so konnte er cum infamia exkludiert werden.

Auch die »Paukerei« trug einen anderen Charakter als heute. Es wurde mehr auf kunstgerechtes Fechten, als auf »Renommierschmisse« gesehen. Die Manier a tempo anzuschlagen, welche alle Kunst im Fechten zuschande machen kann; kam erst nach dem Kriege auf.

Von der Politik wurde das Korpsleben damals gar nicht beeinflußt. Es hatten sich in der Rhenania die Söhne ultramontaner Adelsfamilien mit den Sprossen liberalen und demokratischen Bürgertums ganz gut vertragen.

Unter den »alten Herren« gab es viel interessante Persönlichkeiten. Ich kannte noch den weißlockigen alten Seemann, der 1815 bei den Gründern des Korps gewesen, sowie Courtin aus Mannheim, der es 1856 wieder aufgetan, nachdem es eine Zeitlang »aufgeflogen« gewesen. Der wuselige und vielsprechende Hofrat und Gymnasialprofessor Weißgerber war 1840 aktiv gewesen. 1848 hatte er als Major der Bürgerwehr für die Freiheit geschwärmt und war mit dem Schleppsäbel in die Klasse gekommen. Wenn das heute ein Reserveleutnant täte! 1849 kam er auf kurze Zeit hinter die schwedischen Gardinen. Als Napoleon III. sein Thronerbe Lulu geboren wurde, sandte Weißgerber dem Staatsstreichkaiser ein schwulstiges französisches Huldigungsgedicht, das erst später in die Öffentlichkeit kam. Aber er konnte interessant erzählen.

Es gab unter den alten Herren nicht wenige Demokraten; ich nenne den Bürgermeister Huetlin von Konstanz, der bei dem Rückzuge der Revolutionsarmee in die Schweiz sich so charaktervoll benahm, den alten Gantert in Birkendorf und den Rechtsanwalt Barbo, der während der Revolution von 1849 Zivilkommissär in Freiburg gewesen war. Er mußte dafür im Zuchthaus zu Bruchsal zwei Jahre lang Zigarrenkisten anfertigen. Übrigens war auch der bekannte badische Republikaner und Revolutionär Friedrich Hecker Korpsstudent gewesen; er war bei den Heidelberger Rhenanen.1[46]

Im Reichstage fand ich die alten Rhenanen Franz von Bodman und Rudolf von Buol-Berenberg vor, die beide zum Zentrum gehörten und dort meine Heimat – Wertheim-Tauberbischofsheim – vertraten. Bodman war Präsident der ersten badischen Kammer, Buol war eine Zeit lang Präsident des Reichstags. Er bemühte sich, unparteiisch zu sein, und da er ein schlechtes Gehör hatte, so hörte er nicht, was er nicht hören wollte.

Auch die beiden badischen Minister Reinhardt und Buchenberger gehörten zu den alten Rhenanen. Buchenberger, ein mit Geist und Kenntnissen hervorragend ausgestatteter Mann, war zu gleicher Zeit wie ich auf dem Gymnasium zu Wertheim gewesen. Er suchte mich vor etwa zehn Jahren im Reichstage auf und wir plauderten von der Jugendzeit; politische Dinge berührten wir nicht.

Auf unserer Kneipe sahen wir auch fast regelmäßig Offiziere, die damals, vor dem Kriege, wenig anderen Anschluß hatten. Unter ihnen befand sich Theodor Leutwein, der spätere Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika.

Literarische Beziehungen, nach denen ich mich sehnte, in Freiburg anzuknüpfen, gab es keine Gelegenheit. Der einzige Schriftsteller von Ruf, der in Freiburg hauste, war Alban Stolz. So klein das Männchen körperlich war, so groß war sein klerikaler Fanatismus. Sonst war als literarisches Element noch der Ritter von Buß vorhanden, aus dem Frankfurter Parlament als klerikaler »Buß-Prediger« bekannt. Diese beiden frommen Eiferer verfinsterten die Freiburger geistige Atmosphäre, die zwanzig Jahre zuvor so freiheitlich hell erstrahlt war.

Aber was kümmerte das uns junge Leute! Wir genossen unsere Jugend, die »akademische Freiheit« und die Annehmlichkeiten der alten behaglichen Stadt Freiburg mit ihrer prächtigen Umgebung. Es wurden viele Ausflüge gemacht, an den Rhein, auf den Schwarzwald und vor allem in das berühmte Höllental. Bei solchen Gelegenheiten war ich viel mit einem sehr lustigen alten Herrn namens Boni zusammen. Er mußte irgend etwas pekziert haben, denn er hatte es nur bis zum Aktuar gebracht. Wahrscheinlich hatte er 1848 oder 1849 dem Trieb zum »Revoluzzen« nicht widerstehen können, denn er erzählte viel von dem Heckerzug von 1848 und von den Barrikadenkämpfen in Freiburg. Aber er kannte auf viele Stunden im Umkreis die Wirtschaften, wo es guten Wein und Forellen gab, und ich habe mit ihm sehr vergnügte Stunden zugebracht. Wir gingen namentlich einem nicht weit von Freiburg wachsenden vortrefflichen Wein nach, dem Glotterthäler, in dem ein Kobold sein Wesen treibt. Dieser böse Geist rührt sich nicht; so lange man beim Glotterthäler sitzt; begibt man sich aber auf den Heimweg, so wird man von dem niederträchtigen Kobold gern in den Straßengraben geworfen.[47]

Nun – ich kann wohl wie Kinkel sagen:


»Im Freundesreigen stand ich stark

Beim Becher und in Fehde« –


ich konnte nämlich, wie man sagt; »einen guten Stiefel« vertragen und avancierte bald zum »Fuchsmajor«. In diesem »trinkbaren« Amt mußte ich die Füchse manchmal einen Salamander auf Bismarck reiben lassen, nicht seiner Politik wegen, sondern weil er Ehrenmitglied bei unserem Kartellkorps, den Göttinger roten Hannoveranern; gewesen war.

Was das Fechten anbelangt, so war ich auf dem Fechtboden anfangs recht nachlässig. Mein Leibbursch Löffler und mein Freund Bräunig, nachmals Bürgermeister zu Mannheim und Rastatt, gaben sich viele Mühe mit mir, aber zunächst ganz umsonst. Auf drei oder vier Mensuren ward ich bös zugerichtet; ein kleiner Schweizer aus Lausanne schlug mir beide Lippen durch, die schlecht zusammengenäht wurden, so daß ich einen etwas schiefen Mund bekam. Nun erst lernte ich eine flinke Terz und eine recht gefährliche »Durchgerissene« schlagen. Mein späterer Freund Weckherlin von den Schwaben ward von mir »glänzend« abgeführt, indem ich ihm die Nase vollständig durchschlug, und der nationalliberale badische Abgeordnete Pfefferle trägt auf seiner linken Wange eine von mir herrührende ausführliche Inschrift. Auf meiner letzten Mensur mit einem geschickten Gegner wurde keiner von uns geritzt und wir erhielten viel Anerkennung wegen »schönen Fechtens«. Auf diese »Erfolge« bildete ich mir selbstverständlich damals nicht wenig ein.

In den ersten Osterferien zeigte ich mich in Breitenbronn, wo ich den Doktor ganz gebrochen fand. Eine Zeitlang tummelte ich mich in Heidelberg umher, wo der schon erwähnte Jung mich gegen einen Vandalenfuchs G. hetzte, der heute preußischer Oberlandesgerichtsrat ist. In der bekannten Wirtschaft vom »Seppel« tranken wir miteinander »Bierjungen«, bis dem Kampfe auf natürliche Weise ein Ende bereitet wurde. Die zusehenden alten Korpsburschen wollten sich halbtot lachen. Damals schloß ich auch Freundschaft mit John Mürisier aus Genf, der bei den Freiburger Schwaben war und die Ferien mit seiner schönen schwarzlockigen Schwester in Heidelberg verbrachte. Als wir wieder in Freiburg waren, mußten wir »auf Bestimmung« miteinander fechten. Erst waren wir beide bestürzt, dann ließ er mir sagen, ich sollte nur zuschlagen, und ich ließ ihm das gleiche melden. Nachdem ich ihn gleich im ersten Gang mit einer grimmen Doppelterz auf den Kopf getroffen, erwachte in uns beiden die »Bestie« und wir schlugen mit einer Wut auf einander los, daß die Funken stoben und die Klingen sprangen. Beide traten wir blutüberströmt ab.

Die Rhenania hatte oft Korpsbesuch, namentlich von der mit uns im Kartell stehenden Tübinger Frankonia. Da ging es lustig zu und es kam vor, daß wir beim Frühschoppen in der bekannten Weinkneipe von Hummel auf dem Münsterplatz auszogen, in jeder Hand einen Schoppen, und[48] uns zu den Marktweibern dort begaben. Jeder suchte sich einen »Schatz« aus, präsentierte der Dame seinen Schoppen und nahm neben ihr auf der Bank Platz. Die Bauernweiber und namentlich die Bauernmädchen gingen auf solchen Spaß mit Vergnügen ein; die Stadtfräulein auf dem Markte aber ließen uns ihre ganze Verachtung fühlen.

Mit den Tübinger Freunden fuhren wir eines Tages nach Neubreisach ins Elsaß, das damals noch französisch war. Wir verkehrten oft mit den Straßburger Studenten; wenn diese uns besuchten; so waren sie erstaunt über das viele Bier, das wir tranken, und die Paukereien kamen ihnen unbegreiflich vor. Sie trugen eine Art Jockeymützen, Jacken und enge Hosen; dazu Stiefel, wie sie heute die Bedienten tragen. Diesmal trafen sie in Neubreisach mit uns zusammen und führten uns nach dem Fort Mortier, wo uns die dort liegenden französischen Offiziere erwarteten. Wir wurden galant bewirtet und von Turkos bedient. Die Stimmung ward so schön; daß wir eine große Verbrüderungsakte »im Namen des deutschen und französischen Volkes« verfaßten und sie in einer Flasche in den Rhein warfen. Sie kam nicht mehr zum Vorschein.[49]

In Neubreisach wurde mit großer Anstrengung der Kartellbruder Sch. von Tübingen auf den Kutschbock gehoben. Er hatte die merkwürdige Eigenschaft, daß er absolut sicher kutschierte, auch wenn er noch so stark »angeraucht« war. Nur mußte er erst auf den Kutschbock gehoben werden.

Ein Jahr darauf donnerten die badischen Vierundzwanzig-Pfünder gegen das Fort Mortier und schossen es vollständig zusammen.

Im Sommer 1869 machten zwei Korpsbrüder und ich den Tübinger Franken einen Gegenbesuch. Mein erster Gang in Tübingen war nach dem Grabe von Ludwig Uhland und es brachte mich dahin mein Freund Alexander Weiß von Neckargemünd, der mit mir in Breitenbronn gewesen und bei den Tübinger Rhenanen aktiv war. Der arme Mensch war schwindsüchtig und machte doch, um sein Elend zu vergessen, das Korpsleben mit. In Freiburg hatte er auf unsre Waffen mit einem Schwaben gepaukt und ich hatte dabei als »Schleppfuchs« fungiert. Der Schwabe war enorm stark und es war schrecklich anzusehen, wie er auf dem todkranken Gegner »herumtrommelte«. Weiß starb bald nachher.

In Tübingen machte ich die Bekanntschaft von Kurt Mook, der nachher Sozialdemokrat wurde. Er nahm mich von einem »Bierhock« mit nach Hause und las mir die Nacht hindurch seine Gedichte vor. Ich fand die Gedichte mäßig, aber Mook gefiel mir und wir schlossen eine Freundschaft, die nachher für mich allerlei Folgen haben sollte. Bei einem Ausflug auf den Hohenzollern sahen wir die historischen Zeugen des Schwabenstreichs von 1866, zwei Geschütze mit Schlamm überzogen. Als der Hohenzollern während des Krieges »erstürmt« wurde, stürzte die preußische Besatzung die zwei Geschütze in die Zisterne, um sie zu retten. Nun hatte man sie wieder herausgeholt und sie harrten der Säuberung. Über diese Affäre wurde damals viel gelacht und gespottet.

Sonst ging es in Tübingen recht lustig zu und wurde recht viel gekneipt. Eines lustigen Vorfalls muß ich erwähnen. Wir drei Freiburger Rhenanen wohnten im »Ochsen«. Es war Hochsommer und wir konnten eines Nachts vor Hitze nicht schlafen; darum standen wir auf, zündeten unsere Pfeifen an und gingen im Hemde auf den Korridor auf und ab. Es mochte vier Uhr morgens sein. Plötzlich ertönte hinter uns ein Geschrei von weiblichen Stimmen, aus dem man »shocking« heraushören konnte. Wir drehten um und befanden uns einer englischen Familie mit erwachsenen Töchtern gegenüber, die einen Morgenausflug unternehmen wollte. Wir rannten an den »Beefsteaks«, wie bei den Studenten damals die Engländer hießen, vorbei in unsere Zimmer und konnten eben noch schließen, als die gefürchtete Ochsenwirtin, ein veritabler Drache, erschien, einen furchtbaren Skandal machte und die Türen einzutreten suchte. Sie widerstanden indessen.

Damals war man eben in der »Nacktkultur« noch nicht so weit wie heute. Während wir drei abwesend waren, hatte es im Freiburg im Pfauengarten eine fürchterliche Schlägerei zwischen Rhenanen und Burschenschaftern gegeben. Alle Zeitungen waren voll davon. Eine große Paukerei[50] auf krumme Säbel sollte folgen; sieben Paare waren bestimmt. Ich war bei dem dritten Paar. Als schon das erste Paar im Walde bei Staufen sich in der Paukwichs gegenüberstand, kam die Polizei, die ein um das Rhenanenblut besorgter Herr avisiert hatte. Der Pauksack wurde konfisziert, aber wieder freigegeben.

Ich trieb in jener Zeit schon mannigfache historische Studien. Solche sind zeitlebens meine Lieblingsbeschäftigung gewesen. Damals zog mich ganz besonders das Nibelungenlied an; nachdem ich dessen geistvolle Behandlung in der Literaturgeschichte von Vilmar gelesen. Die Gedichte Ulrichs von Hutten begeisterten mich für jenen fahrenden Ritter. Besonders gefiel mir das Epigramm, das er dem bei der bekannten Affäre von ihm getöteten Franzosen gewidmet; und in dem ich, nach einer erhaltenen Notiz, »edle stolze Männlichkeit und Heldensinn« fand. Ich studierte die historischen Werke von Schlosser, Häusser, Gervinus und anderen und diese eignen Studien zogen mich mehr an, als die historischen Vorlesungen an der Universität, wo wenig mir Zusagendes geboten wurde. Auch das Buch: »Spanisches für die gebildete Welt« von Alban Stolz amüsierte mich sehr wegen der vielen darin enthaltenen treffenden und witzigen Bemerkungen.

In den Herbstferien verbrachte ich einige schöne Tage bei den Eltern meiner Freunde Karl und Wilhelm Köhler – der erstere ist jetzt Oberamtsrichter in Waldshut – im Forsthause zu Badenweiler und beneidete die beiden Freunde um ihre gütigen Eltern. In Oberweiler zeigte man mir den alten Venedey, der dort eine Pension, »Rasthaus« genannt, errichtet hatte. Ich betrachtete ihn mit um so größerem Interesse, als ich damals gerade Heines Spöttereien über ihn gelesen hatte.

Das Korps wählte mich zum dritten Chargierten, aber ich gab das Amt bald wieder ab, denn die schönen Tage meiner Studentenzeit waren nunmehr vorüber.

Wie schon erwähnt, hatte ich mich an das Amtsgericht Eberbach zu wenden, wenn ich Geld brauchte. Mein Vermögen war in den Händen des Stiefvaters geblieben. Das Amtsgericht tat seine Schuldigkeit und wies mir die gewünschten Summen prompt an. Der Stiefvater überwies die Beträge an meine Mutter, um sie mir zu übermitteln. Ich habe nie erfahren können, was da alles vorgegangen; aber die Geldsendungen blieben oft sehr lange aus, so daß ich in Verlegenheit kam. Mit der Zeit wurden diese Verlegenheiten immer größer und ich war in der peinlichen Lage, Schulden machen zu müssen, während ich doch noch im Besitz von Geldmitteln war. Meine Freunde rieten mir, doch einmal mit meiner Mutter über die Sache zu sprechen. Dem widerstrebte ich natürlich und hielt in Freiburg aus, so lang ich konnte. Endlich entschloß ich mich, nach Pfullendorf zu reisen; vor dem Stiefvater fürchtete ich mich nicht im geringsten. Als ich mich von meinem Freunde und Korpsbruder Köhler verabschiedete und von baldigem Wiedersehen sprach, sagte er: »Du wirst so bald nicht wieder kommen!« – Er sollte recht behalten.[51]

Fußnoten

1 Sozialdemokratische alte Korpsstudenten – abgesehen von solchen, die sozialdemokratisch gesinnt waren, aber damit nicht hervortraten – gab und gibt es verschiedene. Wilhelm Liebknecht war Marburger Hasso-Nassove und Gießener Rhenane; Wilhelm Eichhoff war Bonner Vandale und Hallenser Altmärker; die Brüder Friedrich und Kurt Mook waren Tübinger und Münchner Franken; Louis Viereck war Marburger Teutone; Bruno Schönlank war Hallenser Borusse; Sigmund von Haller war Erlanger Onolde und Karl Fulda war Gießener Teutone. Dazu kommt noch meine Wenigkeit. Viereck hat sich von der Sozialdemokratie wieder abgewendet.


Quelle:
Blos, Wilhelm: Denkwürdigkeiten eines Sozialdemokraten. 2 Bde, 1. Band. München 1914, S. 53.
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