die Tanzgesellschaft.

[289] Eine Tanzgesellschaft – ein Ball – und nun gar ein erster Ball! Bezaubernde Bilder umgaukeln das Backfischchen, das diesem großen Ereignis entgegensieht; ja, und bezaubernde Bilder auch tauchen aus dem Schoß der Vergangenheit vor dem Auge der Matrone auf, wenn sie auf jene Episode ihres Lebens zurückblickt. Und in der That, die Freude am Tanz ist eine sehr berechtigte; der Tanz ist das in die Bewegung übertragene Gedicht, der Rhythmus der Glieder, statt der Worte.

Es gibt öffentliche Bälle und Privatbälle; die letzteren werden, wenn weniger groß, auch Soiréen genannt, das Wort »Tanzgesellschaft« paßt für alle. Wer eine solche geben will, sollte vor allem sich fragen, ob er auch genügenden Raum dafür hat, denn die Tortur, sich in einem mittelgroßen Zimmer wie ein Kreisel um sich selbst zu drehen, in einem kleineren zusammengedrängt zu sitzen oder mit Lebensgefahr ein Gelée vom Büffett zu erlangen, – diese Tortur sollte keiner seinen Gästen auferlegen! Doch wir nehmen an, der Gastgeber besitzt die erforderlichen Räume oder hat solche in einem öffentlichen Lokal gemietet, die[290] Einladungen sind zur rechten Zeit erlassen und die Gäste, in eleganten Toiletten, bei denen für die Damen die hellen Farben und die dekolletierten Taillen mehr vorherrschen, als bei anderen Gesellschaften, versammeln sich in den hell erleuchteten, schön geschmückten Sälen.


Tanzgesellschaften

Es ist für einen neutralen Zuschauer eigentümlich zu sehen, wie dort die Ballmütter mit ihren Töchtern umherwandern, prüfende Blicke auf die Herren werfend, von denen mehr noch, als sonst, das Vergnügen des Festes für die Damen abhängt; wie die Kavaliere sich in Gruppen zusammenhalten, die Tänzerinnen beschauen (oft durch das Lorgnon, was sehr häßlich aussieht!), sich der einen oder andern derselben vorstellen lassen, und zu beobachten, welch' glückliches Lächeln das Antlitz so mancher Ballnovize erhellt, wenn sie einen Namen in ihre Tanzkarte eintragen kann! Bei einer beliebten Tänzerin ist diese Karte bald gefüllt, oft schon vor Beginn des Balles; zuweilen kommt dann später noch ein Tänzer, mit dem sie lieber als mit einem der acceptierten tanzen möchte, und sie versucht das eingegangene Engagement unter irgend einem Vorwande rückgängig zu machen. Das ist natürlich eine unerlaubte Unart, die ihr den berechtigten Unwillen des Zurückgesetzten zuzieht und nicht selten ernstliche Unannehmlichkeiten, wohl gar ein Duell, zur Folge hat. Wünscht sie aus triftigen Gründen mit einem der Herren, die sie engagiert haben, nicht zu tanzen, so kann sie den betreffenden Tanz unter dem Vorwande, sich zu ruhen, überschlagen, nicht aber ihn einem andern geben.

Kein Herr darf eine Dame engagieren, welcher er nicht vorgestellt ist. Da der Hausherr aber unmöglich alle Gäste miteinander bekannt machen kann, – denn die Einladungen zu einem Balle erstrecken sich über den gewöhnlichen Kreis hinaus, – so darf der Herr einen beiderseitigen Bekannten[291] bitten, ihm diesen Dienst einer Dame gegenüber, die er engagieren möchte, zu leisten. Er fügt mit abermaliger Verbeugung die Bitte hinzu, ihm die Ehre dieses oder jenes Tanzes zu schenken. Sie erwidert darauf: »Sehr gern« oder »mit Vergnügen«, oder aber sie bedauert, schon engagiert zu sein. Zu danken, daß er sie aufforderte, kommt wohl nur bei einem Backfischchen vor; die Ehre und folglich der Dank ist ja immer auf der Seite des Herrn.

Sowie die Musik den betreffenden Tanz anstimmt, hat der Herr sich zu der von ihm engagierten Dame zu begeben, um sie abzuholen. Sie wird schon selbst Sorge tragen, sich nicht weit zu verirren, um sich nicht suchen zu lassen. Das Boukett, das ihr beim Tanzen hinderlich wäre, übergibt sie ihrer Ballmama, das Taschentuch kann sie in der Hand behalten, doch pflegt man es jetzt meist fortzustecken. Während der Pausen in einem Rundtanze bleiben die Paare meist in Reih und Glied stehen, bis die Reihe wieder an sie kommt; ist die Dame sehr müde, so holt der Herr ihr auch wohl einen Stuhl und bleibt selbst neben ihr stehen. Nach beendetem Tanz führt er sie auf ihren Platz, meist neben ihren Angehörigen, zurück, wo sich beide mit einer Verbeugung verabschieden, oder er macht wohl noch einen Rundgang mit ihr durch den Saal.

Das Tanzen selbst kann man nicht aus Büchern, sondern nur vom Tanzmeister resp. der Tanzlehrerin erlernen, und Eltern sollten nie versäumen, ihre Kinder in dieser hübschen und für das gesellige Leben unentbehrlichen Kunst unterrichten zu lassen. Daß das Vergnügen daran nicht in eine Sucht ausartet, daß das Zuviel vermieden wird, darauf zu sehen ist dann ihre Sache. Mahnen möchten wir nur, daß zu rasches Tanzen häßlich ist, ebenso aber das nachlässige Gehen, das man in der Quadrille oft zu beobachten Gelegenheit hat; daß der Herr die Dame nicht[292] zu fest an sich halten, die rechte Hand nur auf, nicht um ihre Taille legen darf, beim Sprechen sich nicht tief zu ihr herabbeugen soll. Ueberhaupt haben beide bei diesem Vergnügen, das ihnen an und für sich mehr Freiheiten gewährt, als irgend ein anderes, besonders zurückhaltend zu sein, sich nicht durch das Berauschende, das in der Bewegung, der Musik, der nahen Berührung liegt, hinreißen zu lassen. Das junge Mädchen denke doch nicht, man würde sie für spröde halten, wenn sie solche Vertraulichkeiten zurückweist, sondern sage sich im Gegenteil, daß der Herr sie sich nur da erlaubt, wo das Benehmen der Dame ihn dazu berechtigt; sie ist es, welche ihn in den notwendigen Schranken zurückzuhalten hat. Eine unerlaubte Vertraulichkeit des Herrn ist stets ein Beweis von Nichtachtung gegen die Dame.

Die Gastgeber haben natürlich dafür zu sorgen, daß eine genügende Anzahl von Tänzern für die geladenen Tänzerinnen da ist; denn grausam wäre es, die jungen Damen, die so hübsch geputzt und so tanzlustig kommen, zum Wändeschmuck zu verurteilen! Mögen sie beim Zuschauen immerhin ein sauersüßes Lächeln auf den Gesichtern festzuhalten suchen, oder sich scheinbar angelegentlichst mit der Mama unterhalten, zu der sie in dieser peinlichsten aller Ballsituationen ihre Zuflucht genommen haben, der Verdruß ist deshalb nicht geringer, und es gehört mehr Selbstbeherrschung dazu, als die achtzehn Jahre meist zu ihrer Verfügung haben, um ihn zu verbergen. Die Hausfrau wird deshalb, sobald sie ein solches »Wandblümchen« erblickt (wallflover, eigentlich »Goldlack« nennen es die Engländer), sogleich einen der nicht tanzenden Herren bitten, – selbstverständlich ohne daß jene es bemerkt – sie aus der unangenehmen Lage zu befreien. Junge Herren, die eine Einladung zu einem Balle annehmen, sollten ein für allemal sich klar machen, daß, wenn sie nicht zu ihrem[293] Vergnügen tanzen, sie die Pflicht haben, es zu thun, und daß es ihnen schlecht ansteht, als elegante Statue an einem Thürpfosten zu lehnen, oder das Büffett zu ihrem Lieblingsaufenthalt zu wählen, statt des Tanzsaales. Wollen sie sich bei ihren Wirten beliebt machen, so kommen sie obiger Aufforderung der Hausfrau zuvor; daß sie die Töchter vom Hause um einen Tanz bitten müssen, versteht sich von selbst.

Während der ersten Stunden des Balles wird Thee und Backwerk herumgereicht; etwa um zehn Uhr findet gewöhnlich das Souper in der im vorigen Kapitel beschriebenen Weise statt. In einfacheren Kreisen, bei kleineren »Thés dansants« begnügt man sich mit einem Büffett. Der Eßtisch im Speisezimmer ist dann mit allen möglichen zerlegten kalten Fleisch- und süßen Speisen besetzt, Teller, Messer, Gabeln u.s.w. stehen und liegen bereit, Wein und Bowle fehlen nicht. Da kann man natürlich nicht auf eine direkte Aufforderung der Wirte warten, vielmehr hat jeder Gast die Pflicht, jene zu unterstützen. Die Herren zumal fragen die Damen, was sie zu genießen wünschen und bedienen sie; ist das Eßzimmer groß, so gibt es kleine Tische, an denen jene sich niederlassen können, sonst wird der Imbiß stehend verzehrt. Bei einem Privatball mag sich jedes junge Mädchen von ihrem Kavalier zum Büffett führen lassen, denn sie darf annehmen, daß ihre Wirte niemand eingeladen haben, der eines solchen Vertrauens nicht würdig wäre; bei öffentlichen Bällen würde sie nur mit einem Bekannten gehen.

Das Eis wird erst später gereicht und darf für den Rest des Balles, der mit jeder Stunde einen Zuwachs an Staub und Hitze erleidet, nicht ausgehen. Doch wollen wir im Interesse der Wirte wie der Tänzer und besonders der armen Ballmütter hoffen, daß um vier Uhr morgens[294] das ganze Haus, das natürlich für das Ereignis auf den Kopf gestellt war, in tiefem Schlafe liegt.

Bietet der gewöhnliche Ball schon ein großes Vergnügen, so läßt der Maskenball die jugendlichen Herzen noch höher schlagen. Die Karnevalszeit ist es, welche diese Feste ins Leben gerufen hat, und das Vergnügen am Verkleiden, das bei der Jugend so allgemein ist, erhält sie. In der That, was kann unterhaltender sein, als einmal etwas anderes darzustellen, als sich selbst, eines jener Gebilde zu verkörpern, die unsere Dichter, unsere Märchen erschaffen, oder Gestalten, die wir auf der Bühne bewundert haben? Aber freilich, Geschmack und Selbstkenntnis gehören dazu, um das Richtige zu wählen und schön auszuführen. Dabei sollten junge Mädchen bedenken, daß manche Kostüme, die an und für sich sehr elegant sein mögen, z.B. das altdeutsche Ritterfräulein mit seinen schleppenden Gewändern, oder eine Jeanne d'Arc mit Helm und Fahne sehr wenig zum Tanzen geeignet sind, auf das sie wahrscheinlich doch nicht verzichten möchten.

Die Freiheit des Maskenballs ist noch größer, als die einer andern Tanzgesellschaft. Jede Maske redet die andere mit »du« an, die männlichen die weiblichen meist mit »schöne Maske«. Da hat man also doppelt vorsichtig zu sein, um keine Indiskretion zu begehen, die später, wenn die Verhüllung fällt, doch auf uns zurückzuführen wäre. Denn schließlich hat Fräulein Müller doch dafür einzustehen, was »Aschenbrödel« gesagt und gethan, und der elegante »Bühnen-Don Juan« entpuppt sich zuweilen als ein wirklicher. Also, mein liebes Fräulein, tanze, amüsiere dich, aber verliere dein Herz nicht im Ballsaal; es läuft Gefahr, mit den verlorenen Blumen und Bändern unter die Füße getreten zu werden!


Quelle:
Calm, Marie: Die Sitten der guten Gesellschaft. Stuttgart 1886, S. 289-295.
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