II.
Rheinreise. – Köln. – Mein Conflict mit der Invalidenprüfungscommission in Köln.

[106] Graf Loeben hatte mich bei Reiseanstalten angetroffen. Ich wollte am andern Morgen nach Manheim, wo die Hermannschlacht mit großem Pomp aufgeführt werden sollte. Noch heute verschmähe und verkenne ich nicht das Schöne, was im deutschen Aufschwung gegen die Bedrückung des fremden Jochs waltete; aber es war ein Fieber, die Genesung davon war schlimmer als das Uebel.

Nie war die männliche Jugend so ernst, so würdig, so großartig, als zu jener Zeit. Es vergingen keine zwei Jahrzehnde, so erschien sie mir abgespannt und vernüchtert. Gewaltigen Zeiträumen folgt gewöhnlich Erschlaffung. Auch edle Naturen nehmen verkehrte Richtungen, um dem Bedürfniß nach Kämpfen Genüge zu leisten, Ruhe ermüdet sie. Bloße Tugend ohne Gewürz genügt den Verwöhnten nicht; um sich zu betäuben, zugleich sich aufzuregen, greifen sie nach den Bechern der Sinnlichkeit und schwelgen in süßen Giften. Statt die Jugend anzuwenden, suchen sie dieselbe davonzujagen,[107] und eilen auf der Eisenbahn zu Siechthum und Grab. Es liegt ja nichts mehr jenseit des Grabes, mit dem Tode ist ja alles aus. »Bethörte! mit dem Tode fängt ja das Leben erst an.«

O wie fern lagen mir damals diese und ähnliche Vorstellungen, besonders nach einem so herrlichen Frühlingsabend, ganz der Poesie geweiht! Graf Loeben sollte am andern Morgen früh nach dem Rhein. Ich verhieß ihm, von Manheim aus nach Heidelberg zu gehen, wo wir uns wieder treffen wollten. Schon grünte und blühte der Frühling überall mit allen seinen Bezauberungen. Selbst die Sandfläche zwischen Darmstadt und Manheim war in einen Blumenwald umgezaubert. Die »Hermannschlacht« entsprach meinen Erwartungen übrigens nicht, denn diese waren zu überspannt. Es entriß die Zuschauer nicht aus der gleichmüthigen Stimmung, die ich überhaupt schon bemerkt hatte, und die mich unangenehm überraschte. Alles sollte so fühlen wie ich, und es gab dort so viel Menschen, welche die Dinge nicht durch ein Prisma betrachteten. Waren sie glücklicher als ich? Ich glaube es nicht.

Graf Graimberg hatte eine wahre Freude uns in Heidelberg wiederzusehen. Ich fand ihn wieder, wo ich ihn verlassen hatte, an seiner Staffelei. Die Schloßruine, und die Gegend von Heidelberg waren ihm, was einem frommen Rittersmann die Dame seiner Gedanken, seine Welt, sein Leben, sein Einziges und Alles. Es hatte ihm wol nicht geahnt, daß er, als er als junger Emigrant in Gesellschaft mehrerer Freunde von England zurückgekommen, eine Nacht in Heidelberg zubringen wollte, vom mächtigen Reiz des Anblicks der Ruine ergriffen, sich nicht mehr von hier losreißen würde, daß hier seine braunen Locken silberweiß werden sollten, daß er hier[108] vergessen würde, wie unglücklich Frankreich und wie erschüttert die Welt. Wer für etwas Großes lebt, der vernichtet die Wirklichkeit und waltet in seiner eigenen Schöpfung.

Isidorus traf nach einigen Wochen in Heidelberg ein. Hier hafteten die reizendsten Erinnerungen seines Lebens, hier war sein Herz heimisch geworden. Heidelberg hatte noch nichts von seinen frühern Reizen eingebüßt. Man merkte noch fast nirgends, daß dort etwas anderes waltete, als der Zauber großer Erinnerungen und der Reiz der schönen Natur. Es schien durchaus nichts dem Bedürfniß zu gehören, sondern alles dem freien verkümmerten Genuß. Auch der Garten der Clara von Detten prangte noch in seiner wilden Schönheit, mit seinem quellbeperlten Schmuck, den rieselnde Bächlein ihm spendeten. Mit Freuden an der Gefahr kletterten wir über bemooste Steinstücke und schwankende Wurzeln bis zur Schloßhöhe, wo Freund Graimberg zeichnete und meinen Kindern Papier und Bleistift gab, damit sie ruhig wären, indeß wir plauderten. Wir durchstrichen nach allen Richtungen die Ruine, die jetzt in ihren schönsten Theilen hermetisch verschlossen ist. Da wo die Großen und Mächtigen der Erde Rath gepflogen oder lärmende Feste begangen hatten, rauschten und säuselten hohe Bäume, dufteten Waldblumen, grünten Rasenstücke, leuchteten aus der Tiefe wasserreiche Cisternen. Am liebsten weilten wir in Otto Heinrich's Bau, dem Graf Graimberg liebevollen Fleiß gewidmet. Das Blatt, das ihn vorstellt, ist ein Daguerreotyp von Menschenhand. Jetzt kommen so viele ehemals verborgene Kräfte der Kunst zu Hülfe, die Sonne braucht nur wenige Minuten, um auf der Platte das Bild hervorzubringen, zu welchem der geübteste Künstler unerhörten Fleiß und lange Jahre bedurfte,[109] und dabei noch nicht so treu wie sie. Doch ist dieser ungeheuere Fortschritt mehr zum Nachtheil der Menschen, er vernichtet das Verdienst der Kunst, die Seligkeit des Strebens, des Schaffens, des Gelingens, auf Erden die höchste und süßeste. Nur das Errungene hat Preis und Werth, nicht das Geschenkte; das ausgenommen, was Himmel und Natur schenken. Edler Graimberg, welch ein Heil für dich, daß es zu deiner Zeit noch keine Daguerreotypien, keine Photographien gab. Ich glaube mein Auge täuscht mich nicht, wenn ich auch in den gelungensten dieser Bilder die Seele vermisse, die vom Menschen aus seine Schöpfungen durchströmt. Die Daguerreotypen verhalten sich nach meinem Gefühl zu den Werken genialer Künstler, wie das Spiel einer Wanduhr zur Musik. Die entzückendsten Tage, die wir im Kreis herrlicher Menschen zubrachten, entschwanden unaufhaltsam, noch heute beseelt mich ihre Erinnerung.

Graf Loeben schied mit dem Versprechen baldiger Wiederkehr. Ihm wurde eine Wohnung gemiethet. Meine ahnende Seele sagte mir, daß er sie nie beziehen würde, und so geschah es. Mich rief mein Herz nach Belgien, um einige Zeit lang in der Nähe meines Bruders zu sein, der dorthin beordert worden. Die Reise den Rhein hinunter über Köln und Aachen war einladend und gar nicht kostspielig. Der Dom von Köln war, wie alles Werdende, von eigenthümlichem Reiz des Entstehens. Als Kind liebt der Mensch zu zerbrechen, um zu sehen wie ein Spielwerk gemacht ist; als Erwachsener hat er einen Schritt voraus, wenn er verfertigen sieht. Wir besuchten den Dom in des würdigen Wallraf Begleitung. Das Gemälde von Wilhelm Kalv erfreute mich sehr, es gewährte mir einen Blick in eine neue Welt der Schönheit hinein. Ich habe es noch[110] manches Jahr nachher oft und lange betrachtet und immer neue Lieblichkeiten darin entdeckt. Wilhelm Kalv hat keinen Vorgänger gehabt und keinen Nachfolger gefunden. In seinem Meisterwerke im Dom von Köln waltet noch das byzantinische Princip der symmetrisch-pyramidalischen Gruppirung vor; nicht aber wie bei den älteren Byzantinern in der ängstlich symmetrischen Unordnung, sondern im Gesetz ist Freiheit, und ich möchte hinzusetzen, Bewegung in der Unbeweglichkeit. Rafael hat gleichfalls dies Princip der Gruppirung anerkannt und beibehalten. Die Madonna di Foligno, die heilige Cäcilie, die Transfiguration, die Madonna in Dresden, selbst die kleine Madonna del silentio, die del pesce, und andere herrliche Darstellungen zeugen von Rafael's Anhänglichkeit an diesen uralten Stil voll Feierlichkeit, Pracht und Würde, für welchen Rafael die Vorliebe aus Perugino's Werken schöpfte. Gleichzeitige Meister, wie z.B. Correggio, wichen beinahe unmerklich von dieser Darstellung ab und suchten ihre Gestalten nach dem Leben zu gruppiren. Für heilige Darstellungen war dieser neue Weg eine Abirrung, durch welche die Kunst einen Rückschritt that. Der Menge gefiel sie, weil ihr alles Neue gefällt.

Wilhelm Kalv's heilige Ursula steht unter den aus der Vorzeit geretteten Bildern durchaus einzig da, weil es zeigt, wie unerschöpflich die Natur in der Gestaltung Schönheit sei. Wie Rafael in seinen Bildern die Grundzüge der antiken Schönheit beibehielt, so waltet die der echt deutschen in Wilhelm Kalv's Gemälde vor: runde Gesichter, hohe Stirnen, Nasen die durchaus der deutschen Gesichtsbildung eigen, geschwellte Lippen von zartestem Rosenpurpur, die noch keinen ersten Kuß empfunden, deren Brennen noch der Sehnsucht gehört,[111] runde Augen, deren feuchter Blick noch von himmlischer Rührung zeigt! Ich möchte das deutsche Princip der Schönheit einen frischen Urgedanken der Natur nennen, beim griechischen hat sie sich besonnen. Das deutsche Antlitz der Frauen ist wärmer, ohne deshalb sinnlicher zu sein. Eine Deutsche ist liebefähiger, inniger. Ich kann nicht beurtheilen, ob nicht bei dem Gemälde von Wilhelm Kalv eine leichte Uebermalung stattgefunden hat. Die Gesichtsfarben sind blühend, jedoch nicht transparent. Ich unternehme nicht, das Gemälde hier zu beschreiben, Friedrich Schlegel's »Europa« enthält das Schönste und Wahrste, was darüber gesagt werden kann; ich füge nur hinzu, daß ich in König Ludwig's Pinakothek, der die Boisserée'sche Sammlung daselbst vereinigt hat, kein Bild gefunden, das ich diesem von Wilhelm Kalv zur Seite stellen könnte, wiewol sich dort viele dieser Richtung und Schule angehörende Gemälde befinden. Bewunderungswürdig ist die große Mannichfaltigkeit des Ausdrucks und die Wahrheit der Charakteristik bei der Menge der Gesichtsbildungen, die alle den Stempel der deutschen Volksthümlichkeit tragen, den ich vorhin bezeichnet, und der sich immer mehr vom deutschen Boden verliert.

Wallraf war eine höchst eigenthümliche Erscheinung. Um sein bleiches Antlitz ringelten sich schneeweiße Locken von der hohen Stirn herab, seine azurnen Augen überglänzten ruhig und hell wie Sterne seine edle Gesichtsbildung, seine Gestalt war hoch, schlank, harmonisch in allen ihren Bewegungen, ein schöner Ernst leuchtete aus seinem ganzen Wesen hervor. Wallraf war Priester; stille Kämpfe und freudige Siege hatten in dem Friedenslächeln des Mundes ihr Spur zurückgelassen. Er war einer der seltenen Menschen, die Altar und Tempel eines[112] großen Gedankens sind und der Welt nicht bedürfen, um des Lebens zu genießen. Er wurde von allen Edeln und Guten verstanden und anerkannt, sein Andenken wird nie erlöschen und auch außerhalb seines Vaterlandes blühen. Es gibt in Köln viele Kunstliebhaber, die man näher oder entfernter ihm zur Seite stellen kann. Vergleichungen sind etwas sehr Undankbares und können nur selten richtig sein, weil Gott und Natur jedem Ausgezeichneten sein Gebiet angewiesen und dessen Grenze gesteckt hat.

Rector Fochner war ein sehr schätzbarer Kunstfreund. Die Bettendorff'sche Sammlung enthielt vieles mit Recht Gepriesene. Ich könnte manche rühmlich bekannte Namen hinzufügen, mir fehlt es an Raum, auch wol an Gedächtniß zur richtigen Bezeichnung. Sulpice und Melchior Boisserée, mit ihnen ihr verbrüderter geistvoller Freund Johannes Bertram, hatten den Impuls zum Sammeln der alten Kunstwerke gegeben, die seit den Zeiten mannichfaltiger Zerstörung unbeachtet in allen Winkeln umherlagen, und von denen man viele, nämlich diejenigen, die verwüstlich waren, bereits zertrümmert hatte, um sie (nützlich) zu verwenden. Fensterladen, Tischplatten und andere Gegenstände dieser Art bestanden aus werthvollen Gemälden, die theils durchbohrt, theils durchklopft waren, manche konnten noch gerettet werden. Mir wurde in Köln von einem Manne erzählt, den sie nur den Kappesbauer nannten, dieser sei, sagte man, ein durchtriebener Kauz. Er habe viel schöne rare Gemälde aus Klöstern, Kirchen und alten Schlössern heimlich erstanden und aufbewahrt, doch er zeige sie niemand. Ich bereue, daß ich mich abschrecken ließ, Namen und Wohnung des Kappesbauern zu erforschen. Ein anderes Original stieß uns auf unsern Wanderungen auf, es war ein Freiherr[113] von Meering. Sein Wappen war viel poetischer als er und seine Kunstsammlung. Eine Taube mit einem Ring im Schnabel zieht über das Meer. Der brave Mann von altadelicher Abkunft, reich, abgemagert und genau, war sehr stolz auf seine Ahnen und führte sie immer im Munde. Nun gab es einige lose Gesellen, von denen einer das Bildniß eines Ehepaars aus alter Zeit befaß, auf dem die Frau mit weißen Fingerspitzen eine Citrone emporhielt, am Halse ein Brillantkreuz und Porzellanblumen in dem gepuderten Haarbau trug, der Gemahl aber einen grauen Papagei wohlgefällig beäugelte. Auf diese Bilder in den alten vergoldeten Rahmen ließen die lustigen Gesellen das Meering'sche Wappen malen, und beredeten einen Trödler, die frisch gefirnißten Bilder unter seinem übrigen Kram aufzustellen. Baron Meering, der täglich auf der Bilderjagd umherstreifte, bemerkte die weiße Taube, und frug hastig danach, wo die Bilder her wären? Der Trödler nannte »Amsterdam«, und wußte dem Alten sie für einen hohen Preis aufzuhängen. Er nahm theil an der Beute, welche die lustigen Gesellen unter tausend Spötteleien verzechten. Baron Meering erfuhr später den Zusammenhang; doch er begnügte sich damit, die beiden Gemälde auf seinen Speicher hin zu relegiren, und hütete sich von dem Schwank zu sprechen, weil er sich schämte.

Beim Durchstreifen der Kirchen traf auch die Reihe die zierliche Kirche von St. Gereon, die man für eine versteinerte Blume halten könnte, und die der heiligen Ursula mit ihrem Berge von Schädeln aus den Reihen ihrer 11000 Begleiterinnen, die hier den Martertod fanden. Als sie nach Köln zogen, läuteten (so spricht die Legende) von allen Kirchen die Glocken ihnen entgegen. Köln war aber auch heidnisch. Wenn es christlich war,[114] und Kirchen hatte, wie durften die Jungfrauen darin gemartert werden? Als ich die Schädel sah, empfand ich den widerwärtigen Contrast zwischen ihnen und den entzückenden Gebilden von Wilhelm Kalv, die ich tags zuvor erst gesehen hatte; fast kam es mir vor, als hätten sich diese verwandelt. Welch schaudervolles memento mori! Das kirchenbestreute Köln war nicht bigot. Der rüstige Niederrheinländer schien mir heiterer, als der Bewohner des Ober- und Mittelrhein. Er hatte sich in seine kirchlichen Pflichten aus alter Gewöhnung ruhig hineingefunden, sie waren ihm theuer, er hing daran ohne Fanatismus, ohne Haß gegen die Reformirten. So war es damals. Ich schied von Köln, begleitet von schönen Erinnerungen, und hoffte es bald wiederzusehen. Ungern hatte ich Eberhard und Joseph von Groote dort vermißt. Auch Friedrich und Dorothea Schlegel waren schon fort nach Wien. Köln hat einen Lichtpunkt, die Aussicht vom Rhein nach dem Siebengebirge, welches die Sehnsucht mächtig anlockt, und den alten Steinhaufen gleichsam zuruft: »Blickt auf uns, wir sind Gottesbau der Andacht, wir sind treu. Euch hat Menschenhand aufgethürmt; unsere Thäler hegen Blumen, Waldungen, Wiesen und Gebüsch! Euer Inneres füllt hinwelkender Tand; uns bringt der schöne Frühling unablässig unsern Duft und den leuchtenden Schmuck zurück!« Ich habe im Anblick des Siebengebirgs schwelgen können, wie im Schos des herrlichsten Thals. Sind es doch Sehnsucht und Phantasie, welche der Erde den schönsten Schmuck verleihen.

Wir gelangten auf raschem Fuhrwerk nach Aachen. Damals saß das Geripp Karl's des Großen noch verborgen in einer Nische des Doms, wo es, ich weiß nicht wie, warum, noch wann, eingemauert worden.[115] Scheint es doch, als sei er wie eine Mahnung der alten Zeit wieder erschienen, wo der Begriff von Größe ganz ein anderer ist als der damalige; wo das Christenthum, für welches er kämpfte in der Gestalt unkenntlich geworden und nur noch in des Herzens stillen Räumen lebt. Wir durften Aachen nur flüchtig besehen und gelangten nach Lüttich, wo wir die Begriffe der Einwohner so finster fanden, wie seinen Boden von Kohlenstaub. Man fragte uns im Ernst, weil man erfuhr, wir seien Protestanten: ob wir an Gott glaubten, ob wir verpflichtet seien zu beten? Was ließ sich darauf antworten? Schweigen war das Beste. Nicht ohne Befremden sahen wir die Damen im größten Staat, weiß beschuht durch den Kohlenstaub der Gassen gehen, sie beschmuzten sich nicht. Mir fiel dabei Mignon's Eiertanz ein. Als wir eine Kirche besuchten, lasen wir an der Kirchthür einen Zettel folgenden Inhalts: »Die heilige Kirche hat ihrer liebsten Tochter, der frommen Stadt Lüttich, die unschätzbare Wohlthat des vierzigtägigen Gebets, welche ihr lange entrissen war, auf wiederholtes Flehen wiedergeschenkt. Nun aber gibt es Gläubige, welche theils wegen Erkrankung, theils wegen überhäufter Geschäfte abgehalten sind, diese Andacht zu begehen, und somit aller ihrer Wohlthaten verlustig bleiben. Diesen Mangel zu ersetzen, erbieten sich fromme Christinnen, gegen eine angemessene Gabe die vierzigtägige Andacht an der Stelle derjenigen abzuhalten, welche daran verhindert sind, diese in Person zu begehen. Indem wir dies anzeigen, ersuchen wir sie, nach der Sakristei zu kommen und daselbst ihre Gaben zu entrichten.«

Wir verließen Roms geliebteste und frömmste Tochter, um unsere Reise fortzusetzen, und bestiegen ein bequemes Fahrzeug, um unser Ziel zu erreichen.[116] Wir gelangten nach Verviers, wo wir meinen Bruder antreffen sollten. Eine Wohnung auf dem Platz der Märtyrer nahm uns auf. Die Aussicht von unsern Fenstern beherrschte eine Reihe von nackten Hügeln, unlieblich, ja widerwärtig. Das Laub der Bäume auf dem Platze hatte keine Transparenz, kein freundliches Grün. Das Volk lief in Lumpen umher, die Bettler zogen scharenweise durch die Gassen und Plätze. Die Kirchen, die wir uns ansahen, staken voll Bettler und strotzten vom überladenen Schmuck und von Heiligenbildern, die nichts Heiliges an sich hatten. Sonntags fanden wir dieselben Bewohner, die hier zerrissen umherliefen, in stattlicher Kleidung und mit gewaschenen Gesichtern. In allen Küchen standen hohe Tonnen, angefüllt mit einer Flüssigkeit, die man bei uns wegzuschaffen bemüht ist, hier aber von den Fabrikanten sehr gut bezahlt wird; sie färbt das Tuch müllerblau. Die Atmosphäre in den Küchen gewann dadurch keineswegs an Wohlgeruch, doch die Bewohner niederer Klasse kümmerten sich nicht darum, denn sie kochen nur auf ihren gegossenen Oefen im Zimmer und nähren sich meist mit Kaffee. Auch die Aermsten besitzen den schönen blanken messingenen Kaffeekessel, der früh und abends auf ihrem Eßtisch prangt. Wenn das Wasser auf dem kohlenerfüllten Untersatz kocht, wird für eine ziemlich zahlreiche Familie ein Eßlöffel voll Kaffee genommen, dann mit Salz lange durchsiedet, dann abgeklärt und mit dünner Milch genossen. Man ißt dazu Brotschnitte mit Birnenmus bestrichen. Sonntags und Feiertags wird etwas Fleisch genossen; doch die Kinder und jungen Leute sind kräftig, rothbäckig und fidel. Mein Bruder war ungern hier, wiewol sein Quartiergeber viel Aufmerksamkeit für ihn hatte. Er sehnte sich sehr nach seiner Familie. Es[117] lagen viele Preußen in Garnison in Verviers, wir sahen sie auf Spazierfahrten. Die Volksunterhaltung bestand hauptsächlich in einem geschickten Werfen nach einem bestimmten Zielpunkt, gegen welche hölzerne Schinken geschleudert wurden. Die Leute tranken dort schlechtes Bier und genossen dazu geschrotenes Brot, Käse und Würste, steinhart mit ranzigem Fett und Fleisch gefüllt. Unsere Offiziere saßen am Spieltisch. Wehe aber dem, den es in der freien frischen Luft zu hungern anfing! Ein Adjutant bestellte sich in der Kneipe frische weichgesottene Eier, man brachte ihm vier, die er nach kurzer Untersuchung auf die Erde warf. Vier andere hatten dasselbe Los. So ging es fort und in kurzer Zeit stand ein See von Eiern um seine Füße her, eine Flut von Verwünschungen kam dazu, wonach ihn der Hunger nach seinem Quartier rief, und er ihn stillte. Wir machten fast jeden Abend eine Spazierfahrt. Zuweilen war »Spa« unser Ziel, von welchem ich vor mehreren Jahren in den Zeitungen gelesen hatte, daß es nun in schönster Blüte stände. Damals wuchs Gras in den Straßen vor den prachtvollsten Hotels. Fast alle Fensterladen waren geschlossen, die Gasthöfe waren leer, die Quellen unbesucht, nur die Waldseite war von mehreren englischen Familien bewohnt.

Mein Bruder wurde endlich von Verviers abberufen. Meinen armen Max befiel ein Wechselfieber, denn die Luft war ungesund in Verviers. Bei Mangel an Regen trockneten die Flüßchen und Bächlein ein, welche die Maschinen trieben, dann belud sich die Luft mit Miasmen. Das schöngebaute Verviers mit breiten Straßen und freien Plätzen wurde dadurch in ungesunder Ort. Höchst wahrscheinlich sind durch die Fortschritte der Industrie jetzt alle Uebelstände verschwunden. Wir konnten endlich[118] nach Heidelberg zurückkehren, brachten einige genußreiche Tage in Köln zu, dann in Koblenz, wo wir bei Görres eingeladen waren. Wie herzig war der Empfang, wie reizend Görres' Besitzung, wie schön und liebreich seine junge Frau, wie geistvoll seine Kinder! Es waren entzückende Tage, die wir dort verlebten. Wir waren meist im Garten oder oben auf der Karthause, die damals einer verwitterten Ruine glich, nun aber gewaltig, fast wie eine Drohung die reizende Gegend überthront. Ich möchte die Inschrift darauf sehen, welche, ich weiß nicht wer, auf das schöne Schwert zu setzen vorschlug, welches die gute Stadt Paris dem kleinen Grafen von Paris verehren wollte: »Möge er es niemals brauchen!« Die sinnreichsten Worte, welche man auf ein Schwert setzen kann. Vielleicht bleibt der fromme Wunsch nun erfüllt.

Damals sah man noch eine Menge Ruinen am Rheinufer. Die alten Raubschlösser, die der Rheingegend einen so melancholischen Schmuck verliehen, sind nun fast alle in heitere Lustsitze umgewandelt. Vielleicht sind schon jetzt ganz neue Gebäude gleicher Art auf den weit ausschauenden Felsenhöhen um und um entstanden. Trauern wir nicht darüber, daß mit der Schale der alten Zeit ihr Kern nicht wieder gewachsen ist, denn er war bitter. Wie beinahe alles Schöne auf Erden war auch das Ritterthum entartet, nachdem es seinen höchsten Blütepunkt erreicht hatte. Die Burgschlösser wurden Raubschlösser. Nach ihrer Zerstörung zog der Wanderer im Thale friedlich seine Straße. Jeder Misbrauch wird vertilgt, sobald der Wehrlose zum Bewußtsein seiner eigenen Kraft gelangt und sie anwenden lernt. Ich will nicht unerwähnt lassen, daß gegen Ende des Jahres 1814 die Odenwälder eines Morgens bei der Behörde zu[119] Protokoll gaben, daß der Rodensteiner wieder eine wilde Jagd begonnen habe und zwar mit ungewöhnlichem entsetzlichen Getümmel. Ich hatte damals noch wenig Erfahrungen dieser Art gemacht, doch ich glaubte an diese Vorbedeutung, und die Folgezeit bewies, daß ich recht gehabt.

Es war ein sehr milder Winter gewesen, am Fuße des heiligen Berges waren Centifolien aufgeblüht. Wir bewohnten ein kleines Haus über der Brücke, umrauscht von den Wogen des Neckars. Lüfte wehten milde und die Waldungen hauchten Duft. Nur kurze Zeit hatte der Winter seine Strenge geübt. Der Frühling war entzückend, sorglos blickte ihm alles entgegen. Da kam die Kunde von Napoleon's Landung von Elba, die anfangs blos überraschte; der Stadtdirector von Heidelberg, nachheriger Minister Winter, äußerte bei einem Besuche: »Es ist ein bloße Waghalsigkeit, es muß bald damit ein Ende nehmen. Aber ich wollte die Katastrophe verzögerte sich noch eine Zeit lang, damit man doch einigen Spaß davon hätte!« Ach, nur zu sehr ging sein Wunsch in Erfüllung!

Nun wurden vor allen die Schneider und Nähterinnen in Anspruch genommen, die Gesinnung war da, aber das Kleid fehlte. Männer, Jünglinge, Frauen, Mädchen und kleine Kinder trugen altdeutsche Tracht. Charpie wurde gezupft, ehe noch eine Wunde klaffte. Kühlende Getränke wurden bereitet, als sich noch kaum die Früchte geröthet hatten. Millionen saftige Citronen wurden bitter gemacht, weil man sie tonnenweis zu Limonade zerdrückte. Schinken und Zungen wurden eingesalzen und verdarben zu allem Glück. Ich selbst bereitete vielerlei, davon mir jedoch nur mein Himbeeressig verdarb. Meine Charpie, zu deren Bereitung ich eine[120] Menge junger Mädchen verwendete, meine Socken und Hemden, wollene Leibbinden, gebackene Kirschen und getrocknete Lindenblüten bewährten sich als zweckmäßig. Die Subscription für meine auserlesenen Schriften ging ein, wenn auch nicht wie die von Johanna Schave für die Negersklaven eröffnete, dennoch erfreulich, edle menschenfreundliche Gesinnung beurkundend. So ausgerüstet und mit einer Cabinetsordre meines Königs beglückt, trat ich meine Reise nach den Lazarethen von Belgien und vom Niederrhein an. Es war am 14 Juni 1815. Wir suchten den Commandanten von Mainz, Herrn von Haxthausen auf, der uns eine Marschroute stellte und uns mit wahrer Herzlichkeit empfing.

Ich war nicht die einzige Frau, die in gleicher Absicht nach den Niederlanden ging und von Sr. Majestät dem König selbst ermächtigt war, sich dort der Verwundeten anzunehmen. Freund Niclas Müller, der frühere Dichter dieses Namens, empfing uns wie bei einem vormaligen Besuche mit frischherziger Güte. Er war noch jung, an der Seite einer lieblichen Gattin, von hoffnungsvollen heitern Kindern umgeben. Er zeigte uns einige seiner Arbeiten und führte uns in das Museum, wo er uns mit dem Vorsteher, Professor Lehne, bekanntmachte, in dem wir eine schöne, offenherzige, süddeutsche Natur, voll Leben kennen lernten. Abends wollte ich noch Heinrich Frauenlob's Denkmal wiedersehen. Wären doch lieber die Frauentadler Stein und hätte der edle Frauenlob warmes Blut! Wie zierlich und sorglich tragen ihn die mainzer Frauen zu Grabe, die Gruppe ist seelenvoll! Vom mainzer Dom ist mir noch ein dunkles Bild der Erinnerung geblieben. Mainz ist die heiterste befestigtste Stadt, die ich je erblickt. Der breite klare Spiegel des entzückenden Rheines gibt ihr gleichsam zwei Himmel; das Gebirge[121] liegt umher wie ernste Gedanken des Weisen, es stört nicht durch Nähe, sondern rundet das freundliche Gemälde ab. So oft ich daran denke, liegt Mainz freudig vor mir und ruft: »Komm wieder!« Als ich Mainz zum ersten mal sah, war der Handelsstand dort sehr verdrießlich über Napoleon. Er hatte andere Dinge im Kopfe als die mainzer Angelegenheiten, und beachtete ihre Wünsche nicht. Die Einwohner waren daher auch geneigt, als er zur Reise nach Rußland über die Schiffbrücke fuhr und wie eingezaubert in eine Herde von Schweinen dort beinahe zwei Stunden ausharren mußte, diesen Vorfall für eine böse Vorbedeutung zu nehmen. In der That gibt das, was man Zufall heißt, zuweilen einen Fingerzeig des Geschicks. Die Heerde der garstigen Thiere war schon auf der Brücke, als der kaiserliche Kutscher, in Begleitung der Wagen des Gefolges noch schnell hinüber nach dem andern Ufer zu gelangen glaubte. Die Treiber hatten sich bemüht die Heerde zurückzudrängen, doch diese wüthend über die kräftigen Peitschenhiebe, die auf sie hagelten, waren nur desto unaufhaltsamer vorangeeilt, und drängten sich um die Wagen her, welche sie hemmten; fast hätten sie die Pferde angefallen. Sie grunzten und schnobten schaudervoll zu Tausenden; man war gezwungen halten zu bleiben, und abzuwarten bis sie besänftigt waren. Beide Ufer waren gedrängt von Zuschauern, welche dies unwillkommene Drama theils kichernd belachten, theils als unheilbringend beurtheilten. Man hörte sagen: »Der kommt nicht glücklich wieder zurück!« Es war auch so. Als ich später nach Mainz kam, fand ich die Bewohner noch lebhaft mit diesem Vorfall beschäftigt, es wurde noch überall davon erzählt. Die Empfindung des Volks über die Vorbedeutung war halb Schmerz, halb Freude. Man ersehnte eine Veränderung, sah aber[122] voraus, daß diese nur durch Blut und Flammen ihren Weg nehmen könnte.

Bei der furchtbarsten Hitze schifften wir uns damals auf der Wasserdiligence nach Köln ein. Das Fahrzeug blieb in Koblenz kurze Zeit liegen. Ich eilte mit meinen Kindern zu Görres, um ihn auf eine Viertelstunde zu begrüßen, und konnte nicht verhindern, daß uns eine Chocolade gemacht wurde. Wir glaubten noch zu rechter Zeit das Schiff zu erreichen und mußten fünf Gulden zahlen, weil es eine Strecke voran war. Meine rechtschaffene Babet war beim Gepäck zurückgeblieben. Nachmittags gelangten wir nach Köln, nachdem wir in Bonn bei einem wackern Gastwirth, Namens Coirty, gespeist hatten. Bonn war damals von den herrlichsten alten Baumalleen umgeben; bei einer spätern Reise nach dem Rhein waren sie alle fort und gewaltige Gebäude säumten beinah das ganze Ufer ein. Köln fanden wir, wie wir es vor einem Jahre verlassen hatten. Wir eilten am Morgen nach unserer Ankunft nach dem Dominicanerkloster, wo ein großes Militärhospital errichtet war. Die Chirurgen des alten braven Görcke versahen daselbst noch den Dienst. Ich ging mit meiner Schreibtafel an die Betten und glaubte, ich würde dem medicinischen Personal sehr willkommen sein. Doch so gut wie es Literaten gibt, die keiner Schriftstellerin noch Dichterin hold sind, gibt es auch Chirurgen, die weiblichen Beistand bei Kranken und Verwundeten nur ungern sehen. Ich schrieb eben die Bitten derjenigen Kranken auf, welche deren an mich gerichtet hatten, als zwei Chirurgen sich mit hastigen Schritten dem Bette näherten, wo ich stand. »Was thun Sie hier, Madame?« rief mir der eine mit großer Lebhaftigkeit zu. Ich erwiderte ihm gleichmüthig: »Ich bin gekommen, Beistand zu leisten und die Kranken zu[123] erquicken.« »Erlauben Sie mir Ihre Schreibtafel, Madame!« fuhr der Chirurg fort. Ich reichte ihm diese, und während er die Seite las, welche ich voll geschrieben hatte, nahm ich die königliche Cabinetsordre aus meiner Tasche. »Sieh einmal her«, rief mit finsterer Miene der Feldarzt seinem Gefährten zu, »da sieh einmal, Hemden, Binden, gedämpftes Obst, kühlende Getränke, ei, da soll doch der Teufel drein schlagen, was fällt den unverschämten Kerlen ein, das alles zu verlangen? Madame, wir sind Ihnen für Ihren guten Willen sehr verbunden, müssen Sie aber höflich bitten, unser Lazareth nicht ferner mit Ihren Besuchen zu beehren. Jeder Soldat empfängt hier seine nöthige Wäsche und keinem geht etwas ab, was es sei. Wenn Sie den Kranken milde Gaben bestimmen, so behändigen Sie uns dieselben, wir werden sie verwalten.« Ich fand, daß der Mann in gewisser Hinsicht recht habe und begnügte mich, ihm statt meiner Antwort die königliche Cabinetsordre zu überreichen. Nachdem er diese gelesen, mochte er glauben, auch ich habe meinerseits recht. Er zeigte sie seinem Collegen und richtete die Frage an mich, ob er mich durch das ganze Lazareth führen sollte. Ich nahm seinen dargebotenen Arm an und besah mir alles in den Sälen recht aufmerksam. Er führte mich zu den am gefährlichsten Kranken, und bat mich, ihnen Erquickungen zuzuwenden. Ich fand die Säle reinlich und wohl gelüftet, die Suppen wohlschmeckend, die Kranken sanft und geduldig, den Arzt gütig gegen sie.

Zu Hause erwartete mich ein Frauenzimmer, welche mir eine Einladung für den Abend vom edeln Frauenverein brachte; ich nahm sie dankbar an und ließ mich zu einer der Vorsteherinnen hinführen. Hier kam mir Joseph von Groote entgegen und geleitete[124] mich in den glänzenden Kreis eleganter Damen, welche Charpie zupfend um eine längliche Tafel her versammelt waren. Ich wurde sehr herzlich bewillkommt. Das Gespräch unterbrach die Arbeit nicht, die am Abend vor einer Schlacht nicht eifriger hätte betrieben werden können. Die eine dieser Damen äußerte sich ungefähr folgendermaßen: »Es ist sehr lobenswerth von Ihnen, daß Sie gekommen sind, uns Hülfe zu bringen, wir bedürfen derselben sehr, denn wir haben viel zu versorgen und unsere Zuflüsse fangen an einzutrocknen.« Hier machten viele dieser Damen Chorus und ich konnte aus ihren Reden entnehmen, daß man mein Opfer nicht verschmähen würde, wenn ich die mitgebrachten Gelder und Vorräthe dem edeln Verein übergeben wolle; das war nun sehr gütig, und wenn ich einige Ueberlegung besessen hätte, würde ich das gethan haben, was mir so nahe gelegt wurde. Es war bequem und zweckmäßig, ich konnte bald nach Heidelberg zurück. Statt verleumdet und verkannt zu werden, durfte ich glänzender Belobung entgegensehen. Der Luisenorden, vielleicht gar eine Pension, waren so gut wie in meiner Hand. Ich weiß nicht, was ich gethan hätte, wenn ich dies erwogen, wenn ich nur von weitem her geahnt hätte, welche Unbilden meiner warteten, welche großen Verluste aller Art ich erleiden würde und wie wenig ich meinem Unternehmen gewachsen sei. Die Begebenheiten in Darmstadt bei Ankunft der Gefangenen von Hanau hatten sich meiner Phantasie und meines Gemüths bemächtigt. Ich hatte in meinen damaligen Drangsalen und Mühen himmlische Süßigkeit empfunden. Wer jemals gelitten und erkannt hat, daß der höchste Trost in nagenden Leiden zu finden ist, wenn man Unglücklichen helfen kann; wer in seinem Herzen das Wort des Erlösers trägt:[125] »Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen«, der wird verstehen, daß ich mich sehnte, Werke des Erbarmens zu üben. Ich glaube, daß einige Damen des Frauenvereins verstanden, warum ich vermied, den Sinn ihrer Anerbietungen zu durchdringen, denn sie bezeigten mir Liebe und zärtliche Hochachtung. Ich nenne von diesen sympathisirenden Frauen nur die seelenvolle Frau Hirn und die vortreffliche Frau Windek; ich könnte diesen Namen noch manchen andern beigesellen.

Ich wurde in alle Hospitäler geführt und angemahnt, den berühmten Generalstabschirurgen Geheimrath Gräfe zu besuchen, der bestimmt war, an Görke's Statt die oberste Leitung des Lazarethwesens zu übernehmen. Ich fuhr mit meinen Kindern dahin. Für die Tage meines Aufenthalts war mir von der Behörde das Haus einer geistvollen edeln Frau, Namens Karstanien, angewiesen, wo ich die seelenvollste Aufnahme fand. Da ich erst Tags nach meiner Ankunft den Geheimrath aufsuchen wollte, benutzte ich einige Stunden, um Justus Gruner, den Polizeioberdirector Schnabel und andere ausgezeichnete Männer kennen zu lernen. Den Abend brachte ich in einer großen Gesellschaft bei Frau Karstanien zu. Bis jetzt ging mein Weg noch über lauter Rosen. Geheimrath Gräfe, ein schöner Mann von etlichen dreißig Jahren, auf dessen noch so jugendlicher Brust viele Orden prangten, empfing mich wohlwollend und wies mir das Dominicanerhospital als das höchst bedürftigste an, ohne jedoch meine Wirksamkeit hierauf beschränken zu wollen. Er klagte mit feurigem Ton und Blick darüber, daß die Lazarethbedürfnisse vergantet seien, belobte meine Aufopferung und ermahnte mich, Muth zu fassen und Beharrlichkeit zu üben. Ich bat ihn, mit meiner gewohnten Aufrichtigkeit, mir einen andern Wirkungskreis[126] als Köln oder Deutz mir darbot, anzuweisen. »Ich will an den schlimmsten Ort«, erwiderte ich zu ihm, »Köln und Deutz sind versorgt, sie haben dort den edeln Frauenverein.« »Das ist richtig«, sagte Gräfe, »Löwen und Namur sind verwaist; wenn Sie wollen, so gehen Sie an einen dieser beiden Orte, wir wollen die Sache noch überlegen.« Beim Abschied besann ich mich darauf, daß der Dirigent eines der Hospitäler mich ersucht hatte, dem Geheimrath wissen zu lassen, daß es an Charpie zu fehlen anfinge. Er ließ mir ein mächtiges Packet in den Wagen werfen. Ich besuchte noch die Frau Generalin von Clausewitz und ihre Freundin, die Gräfin von Dohna, Scharnhorst's Tochter, beide feurige Wohlthäterinnen der Verwundeten und Kranken. Auch Hofrath Dr. Bischoff lernte ich kennen. Nie werde ich das geliebte Düsseldorf vergessen.

Der Geburtstag des Königs wurde mit einem großen Ball, dessen Ertrag den Verwundeten bestimmt war, gefeiert. Ich nahm auch ein Billet, ging aber nicht hin, weil ich mir keinen Ballanzug anschaffen wollte. Ich zog es vor, in einige Hospitäler zu gehen, wo alle Kranken und Verwundeten vom edeln Frauenverein köstlich bewirthet werden sollten, um sich am Lebenstage des Monarchen zu freuen. Dies war ein schöner Gedanke. Selbst meinen liebsten Pflegling, den geduldigen Lucas, der eine Kugel in der Lunge trug, fand ich heiter. Er bezeigte großen Appetit nach Salat, ich fürchtete, diese Speise möchte ihm übel bekommen und ließ den wackern Oberarzt Hellwig herbeirufen, damit er es ihm verböte, dieser erlaubte den Salat; der Leidende sah mich triumphirend an. Hellwig flüsterte mir zu: »Man braucht ihm nichts mehr zu verbieten, er kann nicht mehr lange leben!« Nichtsdestoweniger genas Lucas.[127]

Geheimrath Gräfe erfüllte meinen Wunsch, nach Namur zu gehen. Man kommt von Lüttich die Maas entlang, der Weg ist reizend. Als ich andern Tags früh mich nach dem Hospital begab, entsetzte ich mich heftig, die Verwundeten waren vom Schlachtfelde dorthin gebracht worden. Jeder schmachtete auf einem Marterlager, jeder litt an den entsetzlichsten Verwundungen, mit deren Aufzählung ich den Leser verschone. Sie waren bleich und eingefallen wie Leichname, die sich noch ein wenig regen können; sie sprachen nur mit Mühe einige Worte und konnten beinahe nichts genießen, auch waren ihre Nahrungsmittel nicht einladend. Alles, was für sie bezogen wurde, war von schlechter Qualität. Ich beklagte mich darüber beim Dirigenten, einem Geheimrath Brennicke, den Gott in seinem Zorn zu diesen Unglücklichen hinbeschieden hatte. Er gab mir folgenden Bescheid: »Wir müssen schweigen und dulden, um die belgischen Behörden nicht zu erzürnen.« »Aber ich habe Geld mitgebracht und Sie, Herr Geheimrath, haben in der Lazarethkasse 12000 preußische Thaler liegen, die unser edler König zur Erquickung dieser Kranken, der bejammerungswürdigsten des ganzen Feldzugs, bestimmt hat.« Herr Brennicke nahm eine wichtige Miene an und sagte halbleise: »Diese 12000 Thaler will ich, sobald das Lazareth aufgehoben wird, dem Geheimrath Gräfe zu Füßen legen.« »Ei«, rief ich zürnend, »Gräfe kümmert sich viel um ihre 12000 Thaler, für ihn hat sie der König nicht hergeschickt.« Doch es war nicht möglich, bei diesem Unmenschen etwas auszurichten. Mir blieb nichts übrig, als ihn anzuzeigen. Dies fruchtete, es kam Untersuchung, er wurde wegberufen und ein Ehrenmann, Dr. Seegert, kam als Dirigent an seine Stelle.

Ehe diese Veränderung vor sich ging, hatte ein Vorfall[128] der empörendsten Art das ganze Lazareth in Aufruhr gebracht. Eines Morgens früh trat der zweite Inspector des Lazareths, ein gutmüthiger Mann, todtenblaß in mein Zimmer und bat mich, zu Hülfe zu kommen. »Die Kranken«, sagte er, »geberden sich wie wahnsinnig, da sehen Sie her!« Er zog ein halbes Brot aus der Tasche. »Solch Brot ist ihnen geschickt worden.« Als ich einen Finger daraufdrückte, drang Wasser heraus; es war schwärzlich grobes, geschrotenes Brot. Ich ließ mich sogleich zum Commandanten, Freiherrn von Arnim, führen, das Brot in der Hand; kaum konnte ich reden. »Unsern Todkranken und Verwundeten solche Kost«, rief ich aus, »ist das die Meinung unsers Königs?« »Nein«, sagte lächelnd Arnim. »Begeben Sie sich in das Lazareth, wackere Frau, ich werde sogleich dort erscheinen.« Mein Händedruck, meine stillen Thränen dankten dem Ehrenmanne. Wie geflügelt eilte ich in das Lazareth, wo nur eben ein neuer Transport der schaudervollen Nahrungsmittel angelangt war. Ich gebot dem Bäckergesellen mit seinem Karren sogleich umzuwenden und vorschriftmäßiges Brot herbei zu bringen. Er zuckte die Achseln und meinte, die Direction allein habe ihm Befehl zu geben. Ich weiß nicht, was aus meiner Verordnung geworden wäre, wenn der Bäckergesell nicht den Commandanten erblickt hätte, der ihm mit funkelnden Augen auf der Stelle befahl zu thun, wie ich ihm gesagt hätte, und mir den Arm bot, um mich zu den Kranken zu führen. Er befahl sogleich, gutes weißes Brot herbeizubringen und zwar 11/2 Pfund für den Mann, weil der zweite Inspector ihm geklagt hatte, daß auch die Reconvalescenten nur 1 Pfund Brot bekämen. Er verlangte nun nach Brennicke; dieser hatte sich im Lazareth verkrochen. An seiner Stelle erschien[129] der erste Inspector mit seiner frechen Stirn. Er warf sich in die Brust, fragend, was denn den Herrn Commandanten so früh am Tage hierherführe. Mit einem Blick donnerte ihn der Major nieder und drohte ihm mit der Festung, er würde in seinem Bericht nach Berlin dahin antragen. Der Unmensch suchte noch Frechheit zu üben und erklärte auf des Commandanten Befehl, den Reconvalescenten 11/2 Pfund Brot zu geben, er würde es nicht thun; doch eine zweite ernste Drohung bewirkte, daß der Herr Inspector andere Saiten aufzog. Das Brot wurde in Gegenwart des Commandanten ausgetheilt, und mit Thränen in den Augen dankten die Empfänger. Er wendete sich zu ihnen: »Meine Kinder«, sagte er mild, »heut soll euch die Strafe geschenkt sein, die euch eigentlich zukäme, weil ihr Rebellion gemacht habt. Ziemt es euch, dem guten, zweiten Inspector das Brot an den Kopf zu werfen? Es ist unsers Königs Wille nicht, daß man euch hungern läßt; wenn ihr zu klagen habt, so schickt zu mir; ich werde euch bald wieder besuchen.« Er entfernte sich von Segenswünschen begleitet. Als er fort war, heftete der erste Inspector einen wüthenden Blick auf mich und murmelte eine Drohung, die ich nicht verstand.

Wenige Tage hierauf erschien der neue Dirigent. Ich brauchte ihn nicht auf die Uebelstände, die im Spital herrschten, aufmerksam zu machen, denn man hätte blind sein oder keine Nase haben müssen, um sie nicht stracks zu erkennen. Bei den Schwerkranken floß an den Betten ein handbreiter gelber Bach von Eiter ihrer Wunden durch den ganzen Saal; schlechte grobe, starre Verbandstücke ließen diese verderbte Masse ungestört durchsickern. Vergebens hielten die Wäscherinnen, sowie die Chirurgen, um ordentliche Binden an. Sie sowol als die Kranken wurden durch Drohungen zum Schweigen[130] gebracht. Ich ließ mit Hülfe meiner Babet vier mal des Tags eine Räucherung mit Braunstein und Vitriolsäure vornehmen, auch zu gehöriger Zeit lüften; dies half aber nicht hinreichend. Ich führte den Dirigenten zu den Wäscherinnen hinunter. Wir fanden diese Armen in einer furchtbaren Atmosphäre, Arme und Hände voll dicker Beulen; sie wuschen die schmalen groben Verbandstücke, die nicht rein wurden und starr blieben. Man führte uns in die Vorrathskammern für die chirurgischen Instrumente und die Wäsche, die mir schon einmal gezeigt worden waren. Da lagen die herrlichsten Binden handbreit, glänzten von Reinlichkeit und von der feinsten Leinwand. »Warum werden diese Sachen nicht für die Kranken benutzt?« fragte der Dirigent mit strengem Blick. Ihm wurde sehr ernsthaft, mit wichtiger Miene geantwortet: »Diese schönen Vorräthe müssen aufgespart werden; was hätten wir denn aufzuweisen, wenn Untersuchung kommt?« Es ging nämlich mit den Untersuchungen folgendermaßen zu: sie sollten überraschend vorgenommen werden, allein die Verwaltungen hatten viele zärtliche Freunde, die nicht ermangelten, geheime Untersuchungen auf Tag und Stunde voraus anzuzeigen, sodaß alles auf ihre Ankunft vorbereitet wurde. Die Suppen wurden kräftiger gekocht, das Fleisch war von besserer Qualität, die Verwundeten bekamen weiche und feine Verbandstücke, minder grobe Hemden und Betttücher, die Säle wurden gehörig gereinigt und gelüftet u.s.w., und den Kranken wurde bei scharfer Ahndung befohlen, freundliche Gesichtern zu zeigen und den Untersuchungscommissarien zu betheuern, daß ihnen nichts abgehe. Der Dirigent Hofrath Seegert kannte diese Umtriebe und ließ sich von dem schönen Anschein nicht blenden. Ihm war nicht unbekannt geblieben,[131] daß es hier und da an Charpie fehlte, und daß sich Kranke wegen Mangel an guten Instrumenten beschädigt hatten. Ein Verwundeter war zum Beispiel durch Ermangelung eines Tourniquets in einer Nacht verblutet und gestorben. Die hohen Kisten, in großer Anzahl mit den feinsten Instrumenten aus England angefüllt, standen in den Vorrathskammern so fest zugenagelt und verschlossen, wie sie über das Meer gekommen waren. Hofrath Seegert bezeigte sein Erstaunen, daß man diese Instrumente unbenutzt stehen ließe. Ihm flüsterte jemand zu: »Wenn das Hospital erst aufgehoben sein wird, so werden alle diese Sachen vergantet; sie werden zwar spottwohlfeil losgeschlagen, aber es kommt doch eine schöne runde Summe heraus. Die Charpie wird an die Papiermühlen verkauft; ich weiß Orte, wo der Dirigent 20 Centner und mehr auf diese Weise zu Geld gemacht hat.« Hofrath Seegert verhehlte sein Entsetzen, seinen Unwillen nicht. Es ist mir versichert worden, daß er allen diesen empörenden Uebelständen abgeholfen hat und mehreren, die ich übergangen habe, ein Gleiches that, und daß unsere verwundeten Krieger der 12000 Thaler, welche der edle König zu ihrer Erquickung bestimmt hatte, theilhaftig geworden sind. Vielleicht kann ich, wenn meine Augen geheilt sein werden, in meinen Papieren die Hefte finden, die über diese wichtigen Gegenstände das Nähere enthalten. Ich schreibe jetzt aus dem Gedächtniß, werde dann aber nicht ermangeln, einen Band darüber herauszugeben. Wenn meine Leser erstaunen, daß ich 40 Jahre lang geschwiegen habe, so mögen sie bedenken, welche Abhaltungen mich an dieser Herausgabe verhindert haben. Es eilte nicht damit, es war ja Frieden. Jetzt aber muß ich eilen, denn ich stehe am Grabesrande. Da ich durch die Betheiligten viel Ungemach[132] erlitten hatte, so wäre es leicht gewesen, zu glauben, daß ich Rache nehmen wollte. Jetzt sind die einen todt, die andern alt, aus allen frühern Verhältnissen hieraus. Kein Einsichtsvoller kann bei diesen Enthüllungen eine andere Absicht voraussetzen, als die einzige, die Wahrheit zu verbreiten, die noch in Zukunft nützlich angewendet werden kann. Ich verfahre dabei mit höchster Schonung; dies werden die Betheiligten, die etwa noch leben, erkennen. Dem innern Richter ihres Bewußtseins entgehen sie nicht; dem dort oben ebenso wenig. Auch die öffentliche Meinung hat schwere Richtersprüche über sie ergehen lassen. Man lese nur die vielen Artikel über meine Rechtsangelegenheit in den angesehensten deutschen Zeitschriften von 1816 und 1817.

Gegen Ende des Sommers erkrankte ich bedenklich. Unter den Achseln verhärteten sich Drüsen, die bei einem heftigen Fieber eiterten; der Arzt wollte schneiden, ich zog es aber vor, mich einer langsamen Cur zu unterziehen, die Hofrath Seegert mir vorschrieb und ihm auch gelang. Ich hatte den Trost, daß meine Pfleglinge wohl versorgt waren. Einer derselben, der acht Tage nach der Schlacht von Bellealliance ohne Erquickung, mit Maden in den Wunden gelegen hatte, genas. Ich traf ihn noch in Köln wieder, wo ihm der Invaliden-Versorgungsdirector, der würdige Graf von Schlieffen, viel Gutes that. Der Commandant von Namur, Freiherr von Arnim, stellte mir unaufgefordert ein ehrenvolles Zeugniß über meine Wirksamkeit im Lazareth aus; ebenso handelte das ärztliche Personal. Nach Köln zurückgelangt, hielt ich mich noch lange dort auf, um eine Untersuchung wegen der Lazarethverwaltung zu ermitteln. Ich verlangte nichts als einige Protokolle vom Major von Ende, auf welche wahrscheinlich ein Stein gelegt wurde;[133] denn ich hörte nichts weiter davon. Ich benutzte die Zeit meines Aufenthalts in Köln, um dort und in den umliegenden Lazarethen mich nach den Kranken umzusehen und bestmöglichst für sie zu sorgen. Auch kamen viele der Genesenen, mir von ihrem Befinden Nachricht zu bringen. Ich konnte nicht mehr viel für sie thun, denn längst schon mußte ich meine eigenen Mittel zu Hülfe nehmen, um Gutes zu thun; davon erfuhr niemand etwas, ich selbst dachte nicht einmal daran. Ich und meine Kinder waren gewöhnt, einfach zu leben, wir ließen beim Gastwirth Dekotte unser frugales Mittagsbrot holen, tranken morgens und abends Thee, und beschränkten uns in allen unsern Bedürfnissen auf das Nothwendigste. Es war in Köln wohlfeil leben.

Ich fand für nöthig, auch einmal nach meinen Pfleglingen in Aachen zu sehen. Die Nähe des Schlachtfeldes und eine große Umwandelung und Versetzung der Leidenden verursachte, daß viele schwer Verwundete nach Aachen gebracht wurden. Mehrere hatten sich durchgelegen, lebten daher im jammervollsten Zustande. Ungefähr einen Monat lang blieb ich bei ihnen, dann mußte ich wegen der sogenannten Untersuchung meiner eigenen Verfahrungsweise nach Köln zurück. Ich hatte auf das kraftvollste diese Untersuchung erheischt, und sie war mir endlich nach langem Aufschub zugestanden worden. Ich hatte gehofft, die Spitze gegen meine Widersacher zu kehren; binde aber einmal jemand gegen die Behörden an! Der Parteigeist wird sie zusammenbringen wie einen Bund Pfeile. Ich erlangte, wie oben gesagt, nichts als einige nichtssagende Protokolle, die mir nicht einmal zur Unterschrift vorgelegt wurden und nie wieder zum Vorschein kamen. Ich würde aus mehreren Gründen bis zum Frühling in Köln geblieben sein, wenn nicht eine[134] unerwartete Wendung meiner Sache mich bewogen hätte, nach Berlin zu gehen, um die Wahrheit vor den Thron zu bringen, und mein gutes Recht geltend zu machen. Fügender Brief an Se. Excellenz, unsern großen Feldherrn, Grafen von Gneisenau, wird diese Angelegenheit in das hellste Licht stellen.


»Köln, den 10. Januar 1816.


Von herber Sorge um die tapfern Krieger, die bei Ligny und Wavre sanken, ganz niedergebeugt, ruft mir ein Genius Ihren Namen zu, vaterländischer Held und Retter, und ich hoffe wieder. Von den zu Gott emporschreienden Ungerechtigkeiten, welche hier gegen diese wackern Soldaten, jetzt, da sie invalide abgehen, begangen werden, ist in Köln keine Hülfe zu hoffen; ich rufe zu Ihnen, der sie in Tod und Sieg geführt, Sie werden mich hören.

a) Eine mir selbst dem Namen nach unbekannte Commission untersucht die zerschossenen, wenigstens brustkranken Reconvalescenten, welche derselben von den Dirigenten der Lazarethe als halbe oder ganze Invaliden angezeigt werden. Alsdann befragt man sie, ob sie sich ernähren können. Bei der verneinenden Antwort wird ihnen gedroht, man wolle sie nach Jülich schicken.

b) Diesem Ungemach ziehen die meisten den Bettelstab vor und entsagen den zwölf Thalern Gnadengehalt. So gehen sie trostlos mit sechs oder drei Thalern Reisegeld aus der Lazarethkasse dem gewissen Elende entgegen, das ihrer wartet. Ihr Körper ist siech und entkräftet, irgendeines ihrer Glieder hat durch den Schuß seine Thätigkeit verloren; sie sind ausgeplündert und nur nothdürftig bekleidet; man gibt ihnen abgetragene knappe Mäntel und Leinwandhosen, sie gehen hin mit dem herben Gefühl, daß sie alles für das Vaterland hingegeben und nicht einmal Dank dafür erhalten, und dies ist schmerzlicher[135] als das Elend selbst, das ihrer wartet. Zehn Thaler bekommt ein Verstümmelter, sechs Thaler und drei Thaler ein Krüppel; Verstümmelten ist der Gnadenthaler noch nicht versagt worden, wol aber vielen Verkrüppelten.

Von einem Transport von 150 Mann habe ich die Ehre, Ew. Excellenz diejenigen Namen beizulegen, die ich in Erfahrung gebracht, die alle theils verkrüppelt, theils brustverletzt sind und alle ganz invalid und denen der monatliche Gnadenthaler versagt worden ist, weil sie nicht nach Jülich wollten. Da hat die Commission denn aufgeschrieben, sie könnten sich selbst ernähren und verlangten ihn nicht; aber diese Unglücklichen sind trostlos heimgegangen am 7. Januar. Noch über funfzig Invaliden waren bei diesem Transport in demselben Fall, allein die Zeit drängte und ich konnte ihre Namen nicht mehr aufnehmen. Alle diese Menschen sind siech, entkräftet und arm; viele haben Frau und Kinder. Die Transporte geschehen im nassen Wetter auf Karren, die nicht einmal mit Leinwand bedeckt sind, viele sind leicht bekleidet, viele müssen unterwegs in Spitälern liegen bleiben; viele Wunden müssen wieder aufbrechen. Von solchen Transporten Reconvalescirter aus Namur, die mit Sorglosigkeit bestellt gewesen, liegen jetzt viele recidif in den Spitälern zu Köln und einige sind gestorben.

c) Vor vierzehn Tagen wurden aus dem Lazareth zu Deuz 35 Reconvalescenten, welche vom edeln Frauenverein zu Mühlheim eigenhändig mit etlichen 60 Thalern beschenkt worden, entsendet. Der Dirigent zu Deuz machte von diesem Geschenk Erwähnung, welche zugleich mit dem Transport nach Köln an die Commission gelangte. Zwei Pommern vom Regiment Kolberg, Martin Wilke und Joachim Tiede, ersterer amputirt am rechten Arm, wollten mit der Sprache des Geschenkes[136] nicht heraus, als die Commission sie befragte. Sogleich ließ der Oberstlieutenant die beiden in Arrest werfen. Den übrigen 33 wurde bei Heller und Pfennig von den ihnen zukommenden sechs oder drei Thalern das abgezogen, was der Frauenverein schon gegeben hatte. Der Musketier Tiede kam aus dem vierundzwanzigstündigen Arrest nach Deuz und erzählte den dortigen Einwohnern, welche sich an ihm gütig bezeigt, die an ihm und dem Wilke verübten Elendigkeiten. Er setzte hinzu, daß sein Kamerad, über die unwürdige Handlung empört und als Amputirter immer noch reizbar, eine Entzündung am abgenommenen Arm bekommen habe und nun im Hospital Cäcilienkloster an den Folgen des Arrests liege. Dem Joachim Tiede war gleichfalls von seinem Reisegeld, das der Frauenverein gegeben hatte, abgezogen worden. Scharnhorst's edle Tochter, Frau Gräfin von Dohna, hatte mir den Wilke ganz besonders empfohlen und die vereinte Sorgfalt des Stabsarztes Lehmann (vom Hauptfeldlager Nr. 1) und des Wohlthätigkeitsvereins hatten ihn, der in Gefahr war, gerettet. Wie sehr es empört, wenn die Frucht langer Sorge, Pflege und Aufopferung durch solche Mishandlungen zerstört wird, werden Ew. Excellenz leicht ermessen. Der Herr Pfarrer Mühlinghausen in Mühlheim und ich haben uns überzeugt, daß der gute Mensch wieder auf das Krankenlager zurückgeworfen ist. Sie werden auch wissen, ob es dem Kriegsrecht gemäß ist, einen braven verstümmelten Krieger von unbescholtenem Ruf um eine Kleinigkeit in Arrest thun zu dürfen. Mir ist das Kriegsrecht unbekannt, aber die Rechte der Menschheit erkenne ich klar, und dies gibt mir den Muth, sie zu vertreten, da, wo Hülfe zu hoffen ist.

d) In trostlosem Jammer gehen in ihre Hütten die Schmerzensopfer nach siebenmonatlichen Leiden im Hospital[137] mit ihren kaum vernarbten Wunden, hinausgestoßen in das sorgenvolle Leben wie ungerathene Kinder, nachdem sie alles aufgeopfert haben. Das will unser König nicht, das wollen die edeln Führer der Heere nicht; doch ist nicht jedes Wort überflüssig, nachdem ich diese Angelegenheit in Ew. Excellenz Hand gelegt?«

Diesem Briefe an Se. Excellenz, Grafen von Gneisenau, füge ich hier noch nachstehende Anmerkungen bei:

a) Es ist mir entfallen, warum die armen Invaliden es für ein Unglück hielten, nach Jülich zu müssen; wahrscheinlich wartete ihrer dort schwere anstrengende Arbeit, wie man sie Missethätern auflegt, und sie, welche das Vaterland retten halfen, würden in eine Reihe mit dem Abschaum der Menschheit gestellt worden sein. Ihr Widerstreben war natürlich und gerecht. Was würde aus einem Kriege, in welchem der Soldat nicht von Ehrgefühl beseelt wäre? Er ist kein Schachbauer aus Holz geschnitzt, er tritt als beseelter Mensch in die Reihen der Krieger. Er strebt nicht nach Beförderung, nicht nach Beute noch Gold. Keine Gedenktafel an seiner Ruhestätte bezeichnet seine Thaten. Er ist Sache geworden und hat beim Eintritt in das Feld auf alles verzichtet, was ihn als Mensch beglücken könnte. Der, welchen der Tod verschont, hat nichts von der Zukunft zu erwarten, als Verkrüppelung, Verstümmelung, die mehr als einmal überflüssig wäre, und ein Stück hartes schwarzes Brot für den Rest seiner Tage.

b) Es war harter Winter, wo diese Maßregeln barbarisch zu heißen waren.

c) Alle diese schaudererregenden Thatsachen könnte noch heute beglaubigt werden. Bei den Acten meines Processes liegen Namen der Individuen und ihrer Aufenthaltsorte, die ich als Zeugen meiner Aussagen angegeben[138] hatte. Das Kammergericht, der Informationscommissär Theodor Amadäus Hoffmann, welcher kein anderer war, als der berühmte Schriftsteller dieses Namens, selbst Sr. Majestät Friedrich Wilhelm III. und der Fürst Staatskanzler kannten alle diese Thatsachen. Es galt keine Kleinigkeit: nicht allein der gute Name einer unbescholtenen Frau, die keine Opfer gescheut hatte, um für die gute Sache zu wirken und welcher von einer Rotte Unmenschen Gefängniß und Geldbuße zugedacht war, hing von der Erläuterung dieser Angelegenheit ab; auch die Invaliden hätten Schadloshaltung erlangen sollen. Doch meine Widersacher hatten eifrige Freunde, und man wird sehen, daß es auch hier unvermeidlich war, dahin zu wirken, daß der Pelz gewaschen wurde, ohne daß man ihn naß machte. Geheimrath Gräfe, dessen Herz feurig gegen Unbilden aufgebracht war, hielt noch den esprit de corps gegen mich aufrecht. Sein Personal hatte viel Geist, es war geschickt und schrieb Protokolle, gegen deren Kalligraphie nichts auszustellen war. Die Aerzte des alten Görcke, Dirigenten und Inspectoren hatten mehr Gemüth, kümmerten sich wenig um äußere Form, mehrere davon waren beibehalten worden.

d) Das bittere Gefühl war es, welches alle Herzen unserer wackern Krieger bluten machte; es konnte mir nicht geahnt haben, welches schwere Geschäft ich übernahm, als ich mich ihrer Pflege widmete. Die Sorge für die Gefangenen und Verwundeten von der Schlacht bei Hanau war eine Bemühung voller Anstrengung, allein der Augenblick belohnte sie, und sie blieb stachellos; wogegen in den Lazarethen alle Bestrebungen für die Linderung der Leiden verkümmert wurden. Es war ein Kampf mit lauter Feinden. Man konnte Gott danken,[139] wenn man Edelmüthige unter ihnen traf. Dieser Feindseligkeit lag kein persönlicher Haß zum Grunde, sondern meist bei allen das System und im allgemeinen die Gewinnsucht. Den Soldaten sollte von den Summen, die unser großmüthiger König für sie erlegt hatte, das Meiste abgezogen werden, um es nach dem Ausdruck Brennicke's dem Geheimrath Gräfe zu Füßen zu legen, oder auch unter dem nicht minder nichtigen Vorwand, Ersparnisse für den Staat zu erzielen. Dies hieß ebenso wenig im Sinne des Königs handeln, als in dem des würdigen Geheimrath Gräfe. Bei genauer Untersuchung würde es sich herausgestellt haben, daß die saubern Herren dabei nur an sich gedacht, wäre es auch nur in der Absicht gewesen, für vortreffliche Staatsausgaben-Ersparer zu gelten und auf Belobung und Beförderung Anspruch machen zu können. Die Bessergesinnten mußten zu den verübten Greueln schweigen. Selbst der Geheimrath wurde durch die Umtriebe getäuscht, die gegen mich im Werke waren; er lieh sein Ohr erfundenen Märchen, die zu empörend sind, um ihnen hier eine Stelle zu geben und die ich nicht gerügt, sondern blos verachtet habe. Er sagte mir auch unter anderm: »Wir handeln nach Principien, die wir nicht umstoßen können noch wollen; wir gehen verfassungsmäßig zu Werke und üben Menschlichkeit nach allgemein anerkannten Grundsätzen. Wir können nicht die Individuen nach ihren einzelnen Bedürfnissen und Wünschen befriedigen, wir haben es mit den Massen zu thun. Da erscheint mit einmal ein weiblicher Geist, tadelt uns und will alles umgestalten, was wir für nothwendig anerkannt haben, und Sie, gnädige Frau, verwundern sich, daß wir dies nicht hingehen lassen wollen!«

Ich hörte solche Reden stillschweigend an, es war in[140] Köln kein Ort und keine Zeit, um mich darüber zu erklären; mir ahnte, daß ich nach Berlin kommen müßte; es geschah. Dort ging die Sache schon besser, und Gräfe hat mir dort vollkommene Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Im Brockhaus'schen Conversationslexikon, wo unter andern unrichtigen Umständen auch angeführt wird, daß ich nach dem Tode meines Mannes wieder Paris bewohnte, steht wie eine Rüge, daß ich bei meiner Behandlung der Lazarethangelegenheiten nicht weiblich zu Werke gegangen wäre. Schlimm genug, daß kein Mann aufgetreten ist, die Rechte der Menschheit zu verfechten, Dr. Frowein allein ausgenommen, der mit Kraft und Muth Unbilden aufdeckte, und die Wahrheit vor das Forum des Publikums brachte. Er hat unter andern Zeugen auch mich aufgeführt, und ich habe seiner gerechten Erwartung gewissenhaft entsprochen. Herr Professor Daniel Voß in Halle, damals Herausgeber der Zeitschrift »Die Zeiten«, hat verschiedene Aufsätze in meiner Angelegenheit daselbst abdrucken lassen und später das Erkenntniß des königl. Kammergerichts dort aufgenommen. Es steht im Octoberheft des Jahres 1817. Nach vielen Lobeserhebungen meiner Handlungsweise äußert der Professor, »daß ich vollkommen im Rechte war, die Mängel in der Verwaltung der Lazarethe zu tadeln, daß man aber einsehen muß, daß diese Mängel verfassungsmäßig waren«. Er würde in große Verlegenheit gekommen sein, wenn man ihn aufgefordert hätte, eine solche Behauptung zu rechtfertigen. Er saß zwischen zwei Stühlen; alle gewichtigen öffentlichen Stimmen vereinigten sich, die Unbilden der Behörden gegen unsere wehrlosen Vaterlandsvertheidiger zu tadeln. Auch er konnte nicht anders als der Wahrheit die Ehre geben, und überbot sogar[141] die andern Publicisten in der Anerkennung meines redlichen Wollens und Handelns; er ließ sogar meinen Brief an den Grafen von Gneisenau drucken, allein er wagte zu behaupten, daß die Mängel, über die ich klagte, verfassungsmäßig wären, und diese Behauptung widersprach der gesunden Vernunft und der Wahrheit. Professor Daniel Voß beging noch ein Unrecht gegen mich im Laufe des Sommers 1817. Ich hatte ihm eiligst einiges mitzutheilen, dictirte den Aufsatz an eine Freundin, Fräulein v.H., die schon mehrere hübsche Sachen in Zeitschriften gegeben, und schickte ihn Herrn Voß für sein Journal, da mir nicht im Traume einfiel, daß orthographische Fehler darin stehen könnten. Nicht lange darauf erschien mein Aufsatz mit der Bemerkung, er sei mit diplomatischer Genauigkeit abgedruckt. Der Herausgeber konnte genau wissen, daß dieser von Fehlern wimmelnde Aufsatz nicht von meiner Hand war, er konnte sich erinnern, daß ich ihm nur ein untadelhaftes Manuscript geschickt, und brauchte mich nicht vor der ganzen Lesewelt lächerlich zu machen. Ich blieb ihm nichtsdestoweniger dankbar für den bisher bewiesenen Eifer und guten Willen, und begnügte mich mit einer Rüge seines Benehmens.

Ich erwartete schweigend die Wirkung meines Briefes an Graf von Gneisenau. Ich bemerkte öfters hämische Blicke, triumphirende Mienen; doch ich kümmerte mich nicht darum. Ein Offizier, der einen Transport heimkehrender Invaliden befehligte, sah mich mit bekümmerter Miene am Rheinufer stehen und rief mir höhnisch zu: »Ach, da ist ja die barmherzige Pflegerin unserer Soldaten; sie wird wohlthun, sich nach Hause zu begeben, denn sie hat hier nichts zu suchen; sie will wahrscheinlich bei nächster Gelegenheit auf Pelzmäntel für die[142] Invaliden antragen und Tuchhosen für sie verlangen; über die Wagen soll gewiß eine Plane gezogen werden.« Ein Blick von mir hieß ihn verstummen. Ich nahm noch Abschied von unsern guten Kriegern, die im Begriff waren, die Fuhrwerke ohne Stroh und Decke zu besteigen, und ging mit schwertrauerndem Herzen zu Hause. Einige Tage darauf erschien derselbe Offizier in meinem Zimmer, doch mit ganz veränderter Miene. Er bezeigte mir Kummer wegen der zugefügten Kränkung und bat mich um Erlaubniß, mir etwas eröffnen zu dürfen. Es sei nämlich gegen mich etwas im Werke, er dürfe nicht sagen was; doch er wolle das einzige Mittel ergreifen, das ihm übrig bliebe, sein neuliches Betragen wieder einigermaßen gut zu machen und mir rathen, den Abfahrplatz der Invaliden beim nächsten Transport nicht zu besuchen, denn er selbst sei nicht im Stande, mich zu beschützen. Er sei durch Verleumdungen gegen mich verhetzt worden, habe aber nun sein Unrecht eingesehen und bäte mich von ganzem Herzen um Verzeihung. Ich sicherte ihm diese gern zu und überlegte in meinem Herzen, was nun zu thun sei. Mein reines Bewußtsein hob mich über alle Umtriebe meiner Verfolger hinaus, doch ich stand schutzlos in Köln am Rhein, man konnte mich gewaltsam aufheben, in ein Gefängniß bringen und mich auf eine lange Zeit von meinen Kindern trennen. Diese Vorstellung überwog jeden Hang der Gefahr zu trotzen und ich beschloß, mich mit Klugheit zu waffnen, da ich Gott und mein gutes Recht zu Beschützern hatte. Wenige Tage nach diesem Vorfall kam ein Gerichtsdiener, der mir einen Zettel überbrachte, Feder und Tinte verlangte, ein Wort auf den Zettel schrieb, ihn dann auf den Tisch legte und sich schleunigst entfernte, ohne nur ein Wort hervorzubringen. Ich las, es war ein Mandat,[143] am dritten Tage nach Empfang desselben vor dem Zuchtpolizeigericht zu erscheinen.

Andern Morgens früh begab ich mich mit meinem Zettel zum Präsidenten von Lambert, den ich früherhin als einen Ehrenmann hatte rühmen hören. Er empfing mich mit sichtlicher Bewegung und ersuchte mich, ihm mitzutheilen, was mich zu ihm führe. Ich trug ihm meine Angelegenheit der strengsten Wahrheit gemäß kurz unausführlich vor. Er sagte mir sanft und herzlich: »Sie haben in ein Wespennest gestochen. Hören Sie jetzt den Rath, den ich Ihnen geben darf. Bemühen Sie sich nach der Kanzlei und verlangen Ihre Anklageacte zur Einsicht, wie auch nicht minder alle übrigen Papiere, die auf Ihre Sache Bezug haben. Will man sie Ihnen verweigern, so bestehen Sie darauf und berufen sich auf mich, dann wird man sie Ihnen unweigerlich aushändigen. Lesen Sie die Acten aufmerksam und machen Sie sich Auszüge daraus; mit diesen begeben Sie sich zu Ihrem Advocaten. Sie haben doch einen?« Ich nannte ihn; ich weiß nicht, welcher Mann von Ehre und Gefühl ihn mir zugewiesen hatte. Der Präsident rief aus: »Da sind Sie an den rechten Mann gekommen, der wird Ihnen einen Rath geben, den ich Ihnen vermöge meiner Stellung nicht geben darf, diesen befolgen Sie, Gott wird Sie schützen!« Mit tiefgerührtem Herzen nahm ich von dem würdigen Greise Abschied und eilte zum Advocaten Wilhelmi, den ich schon bei meiner Ankunft in Köln wegen der Untersuchung, die ich betreiben wollte, zu Rath gezogen hatte. Sein erstes Wort war: »Da ist leicht zu helfen, gehen Sie nach Berlin, da fürchten sich die Canaillen.« Ich dankte von ganzem Herzen, ich hatte mir diesen Rath schon selbst gegeben; allein ich hatte kein Geld. Nach einiger Ueberlegung begab[144] ich mich zu Herrn Bernhard Boisserée, dem ältern Bruder meiner Freunde Sulpitz und Melchior, welcher schon einigemal Geld aus Paris für mich bezogen hatte. Ich trug diesem würdigen Manne mein Anliegen vor, schrieb drei Wechsel, deren Betrag er vom 1. März bis zum 1. Mai beziehen konnte, und schickte mich zur Abreise an.

Die Vorladung an mich war auf den 24. Februar feststellt. Ich schrieb dem Präsidenten des Zuchtpolizeitribunals, Herrn Begasse, daß er kein Befugniß habe, mich vor sein Gericht zu ziehen, daß ich nach Berlin eile, um meine heilige Sache vor den Thron zu bringen.

Während der Tage, die zwischen meiner Vorladung lagen, wurden andere Sachen abgehandelt, und da ich noch unschlüssig gewesen war, ob ich nicht vor meiner Abreise selbst erscheinen wollte, so wollte ich einer solchen Verhandlung beiwohnen, um so mehr, da die angezeigte sehr interessant sein mußte. Ein würdiger Greis, Advocat Eschenmeier, sollte erscheinen, um sich wegen der Anklage, den Generalgouverneur Sack beleidigt zu haben, vertheidigen. Dieser Rechtsfall hatte Aehnlichkeit mit dem meinigen. Eschenmeier war vorgeladen, weil er im Namen und Auftrag mehrerer Bauern eine an Se. Majestät den König selbst gerichtete Vorstellung aufgesetzt hatte, in der sich die Bauern über Bedrückungen beklagten und um Abhülfe baten. Diese Bittschrift wurde als Anklagestück vorgelesen. Ich erinnere mich, daß der Ausdruck incriminirt war: der Generalgouverneur Sack schiene ganz besonders in der Absicht, seinen Sack zu füllen, in dies Land gekommen zu sein. Dieser allerdings unzeitige Ausfall wurde als Hauptgrund der Verurtheilung aufgestellt. Uebrigens war die Vorstellung ernst[145] und würdig. Eschenmeier vertheidigte sich in einem meisterhaften Vortrage gegen die Anklage des Generalprocurators von Sandt; er hob zugleich noch besonders hervor, daß es nicht gesetzmäßig wäre, einen Brief an Se. Majestät den König zu einem Beweisstück für eine Injurienklage zu benutzen. Er sprach kräftig über das schwere Unrecht, welches den Bauern nachweislich durch Erpressungen geschähe, und wie wenig eine solche Behandlungsweise geeignet sei, Vertrauen und Liebe für die neue Regierung zu gewinnen. Die Rede des alten Rechtsgelehrten ging den wenigen Zuhörern im Saale durch Mark und Bein. Es wurde nun zur Erwägung der Gründe, der Anklage und der Vertheidigung, sowie zur Abfassung es Urtheils geschritten. Jedermann war auf das Urtheil gefaßt. Eschenmeier wurden fünf Jahr Festungstrafe und 5000 Francs Geldbuße zuerkannt, weil er Se. Excellenz den Generalgouverneur in Ausübung seiner Functionen beleidigt habe. Ich hielt es für angemessen, dem Greise mein Gefühl zu bezeigen und ihm von meiner Angelegenheit, welche soviel Aehnlichkeit mit der seinigen hatte, zu sprechen. Er lächelte wehmüthig. »Mir war schon alles bekannt, was Sie angeht, Ihre Sache ist auf allen Lippen, man ist empört und beklagt Sie allgemein. Personen wie Sie und ich müssen condemnirt werden, um die Behaglichkeit ihrer Ankläger nicht zu stören. Auch Ihnen ist Gefängniß und Geldbuße zugedacht.« »O, das sollen sie nur thun«, rief ich flammend aus, »sie werden es schwer büßen.« Eschenmeier lächelte wieder bitter und wehmüthig. »Es wird denen kein Haar gekrümmt werden. Sie sind verloren, edle Frau, wenn Sie dem Schlage nicht ausweichen. Bedenken Sie Ihre armen Kinder, Ihre Gesundheit, die Kerkerluft, die grobe Kost, welcher im Nothfall[146] leicht noch ein Beisatz gegeben werden könnte.« Ich sah ihn mit Erstaunen an. »Verstehe ich Sie recht?« fragte ich. Er rief: »Ja, man wird suchen, Sie auf alle Weise aus dem Wege zu räumen; doch Sie haben das Recht, sich der Gewalt zu entziehen. Sie haben noch keine sechs Monate Domicil in Köln, gehen Sie nach Berlin, Ihrer Vaterstadt, Sie haben sich für die gute Sache verwendet, niemand kann Ihnen etwas anhaben. Ueberlegen Sie die Sache, sie hat Eile.«

Ich blieb gedankenvoll zurück, nachdem mich der edle Greis verlassen hatte; ein brennendes Verlangen, den Kampf durchzukämpfen, am 24. Februar selbst zu erscheinen und mich und die Sache der Menschheit zu vertheidigen, kreuzte sich in mir mit der Besorgniß, vor Gericht kraftlos zu verstummen, zermalmt vom Gewicht meines Schmerzes, erdrückt vom Andrang meiner Empfindungen. Aus diesem bittern Kampfe mit mir selbst ging zuletzt der Entschluß hervor, dem Rathe erleuchteter Männer zu folgen und nach Berlin zu eilen. Ich schrieb dem Präsidenten Begasse, wie schon gemeldet, und zahlte meine Rückstände, die nicht gering waren, weil ich meine eigenen Einnahmen meinen Wohlthaten widmete und meine Bedürfnisse auf Credit nahm. Im Frühling, wo ich meine besondere Einnahme zu erwarten hatte, wollte ich alles wieder ausgleichen; doch es kam nicht dahin, weil ich fortmußte. Ich nahm schmerzlichen Abschied von meinen Pfleglingen, die nach ihren verschiedenen Ländern abgetheilt waren. In welche Station ich auch kam, glaubte ich, diese sei die beste, so lobenswerth war eine jede. Freilich ists möglich, daß die langen Leiden dieser Verwundeten so heilsam auf ihr Gemüth gewirkt hatten, das ursprünglich wacker war. Zu den bedauerungswürdigsten gehörten die Augenkranken. Die Aerzte äußerten, das Uebel sei endemisch, epidemisch[147] und contagiös. Besserung gehörte zu den seltensten Fällen; man sah im Gegentheil einer bedeutenden Menge unheilbarer Erblindungen und an Schwäche der Sehkraft Leidenden entgegen. Ich habe nicht erfahren, welches ihr Schicksal war, wiewol ich mich viel mit ihnen beschäftigt hatte. Auch das ärztliche Personal widmete ihnen besondere Sorgfalt. Ich erwähne noch im Vorübergehen, daß ich beim Verwalten der Gelder manchen Misbrauch wahrnahm; doch ist hier der Ort nicht, ausführlicher auf diesen Punkt einzugehen. Halb scherzhaft, halb wehmüthig war mir dabei zu Muthe, als mir ein Entrepreneur der Spitalkost, von welcher mir Geheimrath Gräfe mit Entrüstung klagte, daß sie vergantet worden sei, mit ernster Miene versicherte, er liebe die Soldaten wie seine Kinder, und wenn welche stürben, so litte er nicht, daß sie in schlechte Tannenholzsärge kämen, sondern er ließe jedem einen Sarg von Eichenholz machen. Ich verschwieg ihm meine Ansicht nicht, daß es mir lieber wäre, sie bekämen kräftigere Suppen und weicheres, saftigeres Fleisch. Schon früher hatte ich erfahren, daß man sie allerdings in eichenen Särgen zu Grabe führe, aber im tannenen Schnepper in die Erde senkte. Von den Damen, die sich speciell mit den Kranken befaßten, kann ich wenig sagen, weil ich verhindert war, sie aufzusuchen, sie waren weit weg umher verstreut, ich weiß nicht mehr wohin. Ich erinnere mich noch, daß eine mir aus Berlin bekannte Witwe, Frau Hauptmann von Tuchsen, in Löwen war, von wo aus sie mir öfters schrieb. Die Briefe enthielten interessante Data; ich erinnere mich noch einiger Worte aus dem einen: »Mich lassen die Herren gewähren und machen mir keine Chicane. Ich kenne meine Soldaten, wasche ihnen die Hände und das Gesicht, bringe ihnen gute Bissen, wo[148] ich kann, schaffe ihnen ihren Kaffee wenigstens an Sonntagen und besorge ihnen, wo es mir möglich ist, feine Hemden, weil die Commißhemden den schwer Verwundeten wehe thun. Uebrigens lasse ich fünf gerade sein, probatum est!« Die Pfleglinge der Frau von Tuchsen, deren ich viele sah, als ich in Berlin war, lobten sie sehr. Sie ist dieselbe, die einen großen Brillantring von hohem Werth, den ihr der Kaiser Alexander verehrt hatte, ausspielte, um die 1000 Thaler, welche die Lose eintragen sollten, Sr. Majestät dem König zu Füßen zu legen. Auch ich nahm ein Los, werde es aber wol schwerlich gewonnen haben, denn ich habe von der ganzen Sache nichts mehr gehört.

Quelle:
Chézy, Helmina von: Unvergessenes. Leipzig 1858, Band 2, S. 106-149.
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