VI.

(Edelmann engagiret sich als Hofmeister und bleibet 6 Jahre lang in Oesterreich)

[50] § 113. »Endlich engagirte er sich Anno 1725 als Hofmeister bey dem jungen Grafen von Auersberg, mit welchen er nach Nieder-österreich gieng. Er informirte Anno 1748 in den Löscher Köhlischen Hause auf dem sogenannten Hof, und predigte etliche mal bey dem Schwedischen Gesandten, biß er zu dem Hrn. Grafen von Kornfeil kam und in allen zusammen wohl seinen sechsjährigen Aufenthalt im Oesterreichischen gehabt hat.

§ 114. Diese Nachricht ist durch und durch theils falsch und sich selber wiedersprechend, indem ich in allen nur 6 Jahr in Oesterreich zugebracht, und doch Anno 1748 noch in Wien informiret haben[50] soll, theils ist sie den Umständen und Begebenheiten nach, dergestalt unter einander geworfen, das immer das Hinterste zu vorderst, und das vorderste zu hinterst stehet, und weil sich der Verfasser dabey abermal auf meine eigenen Schrifften berufet, insonderheit auf das Evangelium St. Harenbergs p. 22, so kann man daraus deutlich sehen, wie richtig er in seinen Anweisungen sey. Denn am angezogenen Orte habe ich ihm deutlich vor die Nase geschrieben, daß ich mich zu erst beym Herrn Grafen von Kornfeil engagiret. Wenn Er nun in Oesterreich besser bekannt wäre, als Er nicht ist, so würde Er gewust haben, daß ich nicht erst nöthig gehabt, mit dem Grafen von Auersperg, als meinem letzten Oesterreichischen Untergebenen, wer weiß woher, erst nach Niederösterreich zu gehen, sondern daß dieser Herr, sowohl als der Graf von Kornfeil seine Güter und Herrschaften selbst in Niederösterreich gehabt, und daß ich deswegen mit dem Hrn. Grafen von Auersperg keinen Tritt von einem andern Orte (den er ohnedem nicht zu nennen weiß) nach Niederösterreich zu thun nötig gehabt. Doch ich muß wohl dieses Wirrwarr, meinen Lesern zu Gefallen etwas klärer auseinander wickeln, da sich dann, aus denen, von beyden hochgräfl. Häusern erhaltenen Abschieden, klärlich zu Tage legen wird, daß nicht der Hr. Graf von Auersperg, sondern der Hr. Graf von Kornfeil mein erster Herr in Oesterreich gewesen.

§ 115. Als ich gegen Michaelis 1724 von Jena weggieng, begab ich mich zu meinem Vater nach Eisenach, und gedachte die Hofnung desselben, nemlich mich bald als Priester zu sehen, nach meinem besten Vermögen zu erfüllen, ob mir schon mein Herz heimlich sagte, daß ich solches niemals werden würde. Ich ließ mich daher bald nach meiner Ankunft, vom Hrn. Generalsuperintendenten Nicander examiniren und erhielt alsofort die Erlaubniß öffentlich zu predigen, welches ich auch sowohl in der Haupt- und Schloß-Kirche, als zu St. Nicolai, zu verschiedenen Malen nicht ohne Beyfall that.

§ 116. Es wollte aber meinem ehrgeizigen und würcksahmen Naturell gar nicht in den Kopf, daß ich in Eisenach meinem Vater auf der Bärenhaut über dem Halse liegen, nichts zu thun haben, und im dunkeln verfaulen sollte, deswegen bat ich Gott, nach meiner damaligen Art, mit heißen Thränen, Er möchte mir einen Weg zeigen, mich etwas in der Welt zu versuchen.

Diese Gedanken stunden mit mir auf, und gingen mit mir zu Bette, und ob ich schon voraussahe, daß ich meinem lieben Vater, falls ich weit von ihm gehen sollte, ein Stück von seinem Herzen reißen würde, so gedachte ich doch solches, auf eine erquickende Art,[51] wider zu ergänzen, wenn mir Gott auswärts eine gute Versorgung verschaffen, und mir Mittel in die Hände geben würde, Ihm in seinem Alter und bey seiner knappen Besoldung, recht mit Nachdruck unter die Arme zu greifen.

§ 117. Ein viertel Jahr verstrich wohl unter diesen Betrachtungen, und ob mich schon die Liebe durch mancherley schöne Gesichter, die sich mir nicht undeutlich selber anbothen, abermal zu fesseln suchte, so war sie doch diesmal zu schwach. Denn die Begierde Eisenach zu verlassen, es koste was es wolle, nahm von Tage zu Tage bey mir zu, ohne daß ich im geringsten sehen konnte, auf was Weise solches jemahlen würde möglich zu machen seyn.

Einstmals, als ich am wenigsten an diese Dinge gedachte, sondern wo ich mich recht besinne eben beschäfftiget war, eine Predigt auszubrüten, kam mein jüngster Bruder, der damals noch ein Knabe war, und hatte allerhand Biblische Sprüchelchen auf Zeddelchen geschrieben, solche in Form der Lotterie-Zeddel zusammengerollet und präsentirte sie mir, und meinem andern Bruder (der damals auch noch in meines Vaters Hause war) zum greifen. Wir wunderten uns über des Jungen Einfall, doch griffen wir und ich erhielt wider alles mein Vermuthen, doch zu meiner größten Freude, die Worte im 1 Buch Mos. 12, 1. Gehe aus deinem Vater-Lande, und von deiner Freundschaft, und aus deines Vaters Hause, in ein Land, das ich dir zeigen will.

§ 118. Es ist nicht zu beschreiben, was diese unerwarteten Worte in meinem Gemüthe vor einen Eindruck machten; Ich sahe sie nicht anders, als eine göttliche Antwort auf mein brennendes Verlangen an, nach welchen ich schon lange Gott gebeten hatte, mich aus meinem Vaterlande zu führen, und hieng mich recht an diesen Befehl, von Gott in Gelassenheit und freudiger Hoffnung erwartend, wie Er selbigen würde zur Wirklichkeit zu bringen wissen. Denn vor meinen Augen erschienen nichts als die größten Unmöglichkeiten, und ich konnte, natürlicher Weise, an nichts weniger gedenken, als daß mich Gott in ein erz Catolisches Land würde gehen heissen.

Es waren aber kaum 4 Wochen, meines Behalts, verstrichen, so erhielt ich von meinem wehrten Freunde, und gewesenen Stubenpurschen Hrn. Hasserodt, Briefe aus Jena, mit der Nachricht, daß ein Hofmeister zu einer gräflichen Herrschaft nach Oesterreich begehret würde, und daß der Sprachmeister, Hr. Roux, den ich so grob beleidiget hatte, bey Vergebung derselben mit zu thun hätte. So angenehm mir die erste Nachricht war, so sehr schlug mich die letzte darnieder, indem ich mir nimmermehr einbilden konnte, daß Hr. Roux,[52] den ich, ohne die geringste Ursache so empfindlich touchiret hatte, ein Werkzeug meiner Beförderung abgeben würde. Ich schrieb daher meinem Stubenpurschen zurück, daß mir zwar die Condition sehr anständig wäre, daß ich mir aber keine Hofnung dazu machen könnte, da ich vernähme, daß Herr Roux dabei zu thun hätte.

§ 119. Was aber seyn soll, muß geschehen, und sollten auch die Feinde darzu mit helfen müssen. Mein lieber Hasserodt ließ sich durch meinen Brief nicht abschrecken, sondern gieng selber zum Hrn. Roux, und schlug Ihm meine Person vor. Hr. Roux gab Ihm zur Antwort: Ich hätte es zwar nicht um Ihn verdienet, daß Er mich recommendiren sollte, doch wenn ich mich überwinden könnte an Ihn zu schreiben, so wollte Er sehen, was Er bey der Sache thun könnte.

So bald ich diese Nachricht erhielt, schrieb ich Ihm ungefehr folgendes Inhalts. Ich hätte vernommen, daß Er eine Condition zu vergeben hätte. Nun wüßte ich zwar wohl, daß Er mich vor seinen Feind hielte: Ich bezeugte aber, daß ich solches nicht wäre. Allein gesetzt ich wäre es, so hätte ich mir vieles von der französischen Großmuth rühmen lassen, die auch ihren Feinden wohlzuthun wüste, diese wollte ich jetzund auf die Probe sezen.

§ 120. Kaum hatte Hr. Roux diesen Brief von Hrn. Hasserodten erhalten, so erklärte er sich gegen denselben folgender Gestalt. Ich hätte zwar ziemlich spizig an Ihn geschrieben, es thäte Ihm aber nichts, und Er wollte mich beym Hrn. Prof. Beck, der diese Condition eigentlich zu vergeben hätte, bestens recommendiren. Er that es auch wirklich, und ich muste, weil mich der Prof. selber gern sprechen wollte, wieder nach Jena reisen.

Er wollte ein Testimonium meines Verhaltens, zum wenigsten von einem meiner vornehmsten Professorum von mir haben und ich stellte Ihm folgendes von D. Buddeo zu:

Vir juvenis nobilissimus doctissimusque Joannes Christianus Edelmann diligens praelectionum mearum auditor fuit atqe ex iis fundamenta eruditionis theologicae hausit. Idem, quamdiu apud nos commoratus est, honeste vitam egisse perhibetur. Unde non dubito, quin ejus opera, commoda ecclesiae promoveri queant, quod ut fiat, a benignissimo Numine submisse contendo. Dabam Jenae d. XIV Martii Anni 1725.

(L.S.)

Joan. Franz Buddeus. Th. D. et P.P.O.


§ 121. Hierauf erhielt ich sogleich das Jawort, vom Prof. Beck, und reißte mit Vergnügen wieder nach Eisenach. Nun waren aber[53] noch ganz und gar keine Reisekosten vorhanden, einen so weiten Weg mit Gemächlichkeit anzutreten, und als einen umschweisenden Ritter zu Fuße wollte ich mich meiner Herrschaft auch nicht gerne präsentiren.

Ich addressirte mich also nicht allein wieder an meinen Patron, den Hrn. Generalsuperintendenten Nicander, der mir zu dieser Condition gerathen hatte, und stellte Ihm vor: Qui dedit Consilium, ferat auxilium, sondern ich hatte auch dem Hrn. Prof. Beck hinterlassen, daß ich ohne hinlängliche Reisekosten nicht reisen würde. Es cavirte also der Herr Generalsuperintendent beym Herrn Kaufmann Flick vor 30 Rthlr. vor mich, vom Herzog bekam ich 6 Rthlr. und 40 fl. brachte mir Hr. Hasserodt im Namen meiner neuen Herrschaft aus Jena, worauf mich, ohne ferneres Verweilen, nach zärtlichst genommenen Abschied von meinem Vater, auf die Post setzte, und nach Gotha fuhr.

§ 122. Außerdem, daß mich mein Weg ohnedem durch diese Stadt führete, war mir sehr angenehm, meiner geliebten Muhme daselbst Adieu zu sagen. Ich blieb also einige Tage bey ihren Eltern, und hatte das Vergnügen, wohl von ihnen aufgenommen und recht zärtlich bewirthet zu werden. Es kam mir schwer an, eine so angenehme Gesellschaft zu verlassen. Da es aber mein Schicksal nicht anders haben wollte, ergab ich mich drein, und reisete nach einem rührenden Abschiede in Begleitung der ältesten beyden Brüder meiner Geliebten nach Erfurth. Ich kam eben zu Rechte, als der Nürnberger Bothe abfahren wollte, und traf den Accord von 8 Rthlr. bis Nürnberg mit Ihm, wovor ich zugleich bey Ihm in der Kost war, und einen mehr als Centnermäßigen Coffre bey mir hatte.

§ 123. Wir fuhren also in Gottes Nahmen, Tag und Nacht, über Arnstadt, Ilmenau, Eisfeld, Coburg, Bamberg bis Nürnberg, und weil es die schönste Jahreszeit war, hatten wir eine recht erwünschte Reise. Denn ich bekam 2 Reisegefährten, wovon sich der eine nicht zu erkennen gab in Gesellschaft aber doch ganz artig war: der andere hingegen war offenherziger, seiner Geburth nach ein Breslauer, und der Profession nach ein Musikus. Er hieß Meussel, kam von Hamburg und wollte nach Venedig. Er gewann eine Liebe zu mir, und blieb mir zu Gefallen hernach 8 Tage mit in Nürnberg. Ehe ich aber erzehle, wie wir unsere Zeit da vertrieben, muß ich nur mit wenigem melden, was uns unterwegs ungewöhnliches begegnet. Wie wir vor Bamberg kamen, wären wir sowohl beym Hinein- als Herausfahren von Bettelleuten bald umgebracht worden; sie umgaben unsern Wagen groß und klein, zu funfzigen, dergestalt, daß der Kutcher bisweilen kaum fahren konnte, und wir verthaten fast all unser[54] klein Geld, unter diese elenden Leute. Da inmittelst die todten Heiligen in den Kirchen, die wir hernach besahen, von Gold und Silber strotzten, und die Aufwärter derselben in allem Ueberfluß und Wollüsten lebten.

§ 124. Was meine und der Mitreisenden Verwunderung noch mehr einnahm, war, daß wir die dasigen Galgen und Räder, ingleidie Kreuzwege, dergestalt mit todten Körpern und Menschenviertheilen bespickt sahen, daß ich mich nicht erinnere, weder zuvor, noch hernach irgendwo, so viel wiedergebohrne Christen an einem Orte in dergleichen verabscheuungswürdigen Zustande angetroffen zu haben. Ich gedachte aber zur selben Zeit noch an nichts weniger, als an dergleichen Betrachtungen, sonst würde ichs nicht haben lassen können meine Glosen über diese Spektacul zu machen. Denn an einem Orte, wo so viel Heilige anzutreffen waren, die alle den Leuten zum Muster der Tugend vorgestellet wurden, zu gleicher Zeit so viel Bösewichter anzutreffen, die man nicht werth geachtet, daß sie der Erdboden länger trage, war in der That was seltsames, und man konnte, wenn man nur ein wenig darauf reflectirte, unmöglich glauben, daß die Religion, in welcher dergleichen unnütze Erdenlasten anzutreffen waren, die Leute so fromm zu machen capable sey, als sie von sich vorgab.

§ 125. Das seltsamste, das dabey zu betrachten vorgefallen wäre, würde wohl dieses gewesen seyn, daß man alle diese Buben, die ihr Glaube auf Erden nicht hatte tugendhaft machen können, nach einer kurzen Spazierreise, die man sie durchs Fegefeuer thun lassen, zu unserm Herr Gott in den Himmel verwiesen und dadurch den Himmel zu einem Sammelplatz aller christlichen Spitzbuben, Diebe, Räuber und Mörder gemacht.

Gewiß eine Vorstellung, die andern ehrlichen Leuten einen schlechten Appetit machen muß, sich nach dieser christlichen Pflanzstädte zu sehnen, da sie niemand versichern kann, daß die abgeschiedenen Geister dieser frommen Christen (denn sie sterben alle als solche) mit Ablegung ihrer zerfleischten Körper, auch ihre unartigen Neigungen abgelegt.

§ 126. Man kann auch, bey dergleichen schröcklichen Straf-Exempeln nimmermehr sehen, wie es wahr seyn könne, daß der Herr Jesus, als der angegebene Heyland und Erlöser aller Menschen, die Strafen dieser unglückseeligen auf sich könne genommen haben, da sie dieselben selber, als wohl verdiente Früchte ihrer Werke essen müssen, und in Kraft des Verdienstes Christi nicht die geringste Erlassung derselben haben erhalten können.

Diese Betrachtungen würden meinem Bedünken nach, wenn sie[55] den armen Menschen fleißiger eingeschärfet, und ihnen vorgestellet würde, daß sie alle selber ausessen müßten, was sie sich eingebrockt, sie ungleich kräftiger von Lastern und Unthaten abhalten, als das leidige Geschwäz von einer fremden Genugthuung vor ihre Sünden, wovon sie bey den selbst zu erleidenden Strafen derselben nicht die geringste Wirkung sehen. Doch ich muß mich nicht zu weit ins moralisiren vertiefen, sondern wieder zu meiner Reisebeschreibung kehren.

§ 127. Je näher wir der Stadt Nürnberg kamen, je mehr ververgnügte uns die angenehme Landschaft, die um diese schöne Stadt anzutreffen war. Alle Dörfer waren so propre und nett gebauet, daß manche kleine Städte, die ich nach der Hand zu sehen bekommen, nur Drecknester dagegen waren. Wir machten uns daher nicht ohne Grund im voraus schon einen sehr günstigen Begrif von der Sauberkeit der Stadt selber, und fanden sie auch in der That so. Denn je mehr es da regnet, je sauberer sind die Gassen wegen ihrer Abhängigkeit.

Ich und Herr Meussel kehrten im Weißen Roß aufm Heu-Markt ein, und ich kann sagen, daß wir die 8 Tage über, die wir da zubrachten, recht wohl und magnific sind bewirthet worden, und verzehrten doch in allen, beyde zusammen, nicht mehr als 22 fl. und hatten unser eigen sauber meublirtes Zimmer, ein jeder sein apartes wohlgemachtes Bette, und Bier und Wein, Thée und Caffée samt andern guten Speisen, Mittags und Abends, benebst einer guten Aufwartung, recht wie wirs wünschen konnten.

§ 128. Alle Augenblicke kam der Kellner, der ein aufgeweckter Pursche war, und fragte: Was schaffen die Herren? Uns kam diese Redensart anfangs fremd vor, und weil wir selber nichts schaffen konnten, so gaben wir diesem dienstbaren Geiste derweile genug zu schaffen.

Er muste uns nicht allein auf der Stube, nach alle unserer Gemächlichkeit bedienen, und uns zum Zeitvertreib ein Clavier verschaffen, sondern auch in und außerhalb der Stadt die sehenswürdigsten Merkwürdigkeiten derselben zeigen. Wir besahen also die vornehmsten Kirchen, und insonderheit den silbernen Herr Gott bey St. Sebald der sich außerhalb der Kir che in größter Lebensgröße am Creuze zeiget, und den die Nürnberger im 30jährigen Kriege mit einer dunklen Zigeunerfarbe überzogen haben sollen, damit ihn seine Jünger, die Schwedischen oder Kayserlichen Soldaten nicht zum andernmale vom Creuze nehmen, und ohne Ihn zu begraben, in verklärterer Gestalt wider zeigen möchten. Man heißt diese sorgfältigen Herren dieser Ueberschattung wegen noch auf diesen Tag die Herren Gottesschwärzer,[56] und sie haben durch dieses Kunststück wenigstens das Wehe vermieden, daß die Bibel denen drohet, von den ihr Gott gewichen. Denn sie haben ihn noch, und es ist gewis, daß wenn mancher armer Sünder einen dergleichen hätte, ihm wohl auf sein Lebtage geholfen seyn sollte.

§ 129. Man zeigte uns hierauf ferner das Rathhaus, welches viel sehenswerthes hat, das Zeughaus, welches seiner innerlichen guten Einrichtung wegen, und wegen der Menge des schönen Geschüzes; so man allda antrifft, eines der schönsten ist, die ich in meinem Leben gesehen, den prächtigen und mit lauter metallenen Grabmalen prangenden Gottesacker, und die Festung oder sogenannte Burg, die ihrer vielen Alterthümer wegen wohl eine besondere Beschreibung verdiente, wenn es diesmal mein Vorhaben lidte, und ich bei meiner damaligen kurzen Anwesenheit sorgfältiger in Bemerkung derselbigen hätte seyn können.

Etwas davon kann ich doch nicht unberühret lassen. Es wurden uns nämlich daselbst verschiedene Wunder gezeigt, die von der leichtgläubigen Blindheit unserer lieben Vorfahren ein deutliches Zeugniß ablegten. Unter andern war da eine Capelle, in welcher uns ein Pfeiler gezeigt wurde, den der Teufel, um einen einzigen Pfaffen zum Braten zu bekommen, der ihm doch so nicht entgangen seyn würde, mit vieler Mühe aus Rom sollte geholet, aus Unmuth aber, weil er den Pfaffen, der sich ihm verschrieben hatte, nicht kriegen konnte, denselben in die Kirche geworfen und zerbrochen haben.

§ 130. Der Pfeiler war zerbrochen, das war wahr, ob ihn aber der Teufel, dem an Erhaltung der christlichen Kirche so viel gelegen war, daß er um dieselbige mit einer tüchtigen Stütze zu versehen, auch die beschwerliche Reise nach Rom nicht ausschlug, selber zerbrochen habe, um einen lüderlichen Pfaffen, der ihm ohnedem gewiß genug war, etliche Stunden, Tage, oder Jahre eher in seine Gewalt zu bekommen, das will ich andere ausmachen lassen. Genug uns wurde die Historie folgender Gestalt erzählet.

Es habe zur völligen Errichtung dieser Capelle, noch ein Pfeiler gefehlet, den man zwischen der Zeit, da sie eingeweiht werden sollen, nicht zu verfertigen gewust. Ein andächtiger Priester habe sich anheischig gemacht, in Kraft seines Glaubens, durch welche er Berge hätte müssen versezen können, denselben durch ein Wunder zu verschaffen. Er habe sich also, dem Teufel mehr Macht als seinem Glauben zutrauend, mit demselben in ein Bündniß eingelassen, und den Accord getroffen, daß er seine seyn wollte, wenn er aus einer gewissen Kirche in Rom, einen Pfeiler zwischen der Zeit bringen würde,[57] als er Messe läse. Der Pfaff habe aber seine Messe auf der geschwinden Post gelesen, und den armen Teufel um einen fetten Braten geschwänzt. Denn als derselbe mit dem Pfeiler angekommen wäre, da sey der Pfaff schon lange mit seiner Messe fertig gewesen, und deswegen habe er, da er sich betrogen gesehen, den Pfeiler aus Unmuth in die Kirche geworfen, und zerbrochen.

§ 131. Es hat also der arme Teufel, wie gern er auch gewollt, der wackelhaften Christlichen Kirche keinen ganzen Pfeiler verschaffen können, und daran ist, jetzt erzählter Maaßen niemand anders, als ein Pfaff schuld. Es würde wenig daran gelegen gewesen seyn, ob ihn der Teufel etwas früher oder später bekommen hätte, wenn nur die Christliche Kirche mit einem tauglichen Pfeiler wäre versehen worden. Jetzt stehet sie, wie bekannt, auf einem zerbrochenen, und ich glaube schwerlich, daß sich der Teufel noch einmal betrügen lassen und einen tüchtigern anschaffen werde. Wenigstens zeigen die beständigen Klagen, die die gegenwärtige Guarnison des verfallenen Zions, über die schröcklichen Riße dieser sonst so fest gewesenen Burg, in allen Zeitungen erschallen läßet, daß der Teufel selber keinen Pfaffen mehr traue, und daß folglich niemand zu verdenken sey, wenn er sich vor Ihnen auch ein wenig in acht nimmt.

§ 132. Jetzt erwehntes Histörchen wird nach der Verschiedenheit der Evangelisten, die es erzehlen, auch auf verschiedene Art erzehlet. Der Verfasser der monatlichen Unterredungen von dem Reiche der Geister hat in der 16ten Unterredung p. 365 folgende Offenbahrung davon gehabt: die Herrn von Nürnberg, schreibet er, weisen noch heutiges Tages auf ihrem Schlosse, wo die Kayserlichen Insignia verwahret werden, 4 Säulen von solcher Corinthischen Arbeit, welche 15 Schuh hoch sind, und gleichfalls von einem Geist dahin gebracht worden, wovon die Ursache angegeben wird, weil ein Mönch diesem Geiste nicht zutrauen wollen, daß Er solches ins Werk setzen können.

Er bemerket zugleich, daß sich eben dergleichen seltsames Denkmal auch zu Verona vor der Hauptkirche des hl. Zeonis befinde, ja damit alle Wahrheit aus zweyer oder dreyer Zeugen Munde bestehe, so verweiset er seinen ungläubigen Gegner nach Prag, allwo er eine Säule von 16 Schuhen antreffen würde, die ein solcher gewaltiger Geist in Zeit von anderthalb Viertel Stunden von Rom bis auf das Schloß Wischeradt einem Exorcisten habe bringen müssen, welchen Zu fall (wie er dabey setzet) kein vernünftiger Mensch in Zweifel ziehen könnte. Denn da in dem ganzen Königreich Böhmen dergleichen Pfeiler von Corinthischer Baukunst nicht zu finden, so stünde nicht zu begreiffen, wie eben diese in 2 Stück zerbrochene Säule an[58] selbige Stelle müsse gekommen seyn. Hierzu komme noch dieses, daß eben derselbige Pfeiler zu Rom in der alten Kirche der heil. Maria, jenseits der Tiber mangle, die allda befindlichen aber mit der Böhmischen ganz genau übereinkämen.

§ 133. Ich will meine Leser nicht mit Anmerkungen über diese Geister-Histörchen aufhalten, ein jeder kann sie selber nach Belieben machen. Ich wende mich vielmehr zu dem andern Wunder, das uns auf dieser Festung gezeiget wurde. Solches war der dort bekannte Epperle von Gallen. Diesen deutschen Don Quixote zeigte man uns in seinem völligen, wohl polirten stählernen Harnisch in einem Winkel. Ich muß gestehen, daß ich mich vor seiner Gesichtsbildung entsetzte, da er mir ganz unvermuthet ins Gesicht fiel. Denn er hatte viel ähnliches mit dem Baumeister der Christlichen Capelle, von dem ich in Vorhergehenden Meldung gethan, aufs wenigste hätte ich ihn, seiner riesenmäßigen Gestalt nach, eher vor tüchtig gehalten, einen Pfeiler von Rom nach Nürnberg zu tragen, als die kleinen gebuckelten Teufelchen, die man insgemein in die Hölle zu malen pfleget. Er war aber zu ganz andern Wunderthaten bestimmt, denn er sprang einmal in voller Rüstung zu Pferde, von der Burg zu Nürnberg über den Schloßgraben, der wohl 80 Schritte breit seyn mochte, dergestalt glücklich, daß er zu gleicher Zeit mit über ein Fuder Heu wegflog, welches seinem Sprunge gegenüber fuhr, und man zeigte uns noch die Merkmale der Hufeisen, die sein Pferd bei diesem Luft-Sprunge auf der steinernen von Quaterstücken errichteten Brustwehr der Burg eingetreten hatte.

§ 134. Ich glaube ohne Mühe, daß dieselben sichtbarer sind, als die Fußtapfen Jesu, die er bey seiner Himmelfahrt auf dem Oelberge den andächtigen Pilgrimmen zum Andenken hinterlassen haben soll; Ob ich aber die eine oder die andere Begebenheit mehr oder weniger glauben soll, das kann ich eben nicht vor jedermanns Ohren sagen. Aufs wenigste dünkt mir, der Herr Jesus würde besser gethan haben, wenn er in seiner verklärten Menschheit auf Erden geblieben wäre, und durch seine beständige Gegenwart (wo Er auch selbige hätte aufschlagen wollen) verhindert hätte, daß sich die werthe Christenheit nicht in so viele unzehlige Secten hätte zertheilen, und einander ums Glaubens willen die Hälse brechen dürfen, als daß er sich in den Himmel retiriret, wohin, außer den Galgenvögeln und andern armen Sündern, die man Ihm bisweilen nachschickt, so wenig sichere Gelegenheiten gehen, wodurch man sich seines Raths erholen könnte, wenn[59] sich seine Gläubigen auf Erden um den rechten Verstand seiner Werke und Befehle nicht vergleichen können1.

§ 135. Man stehet indessen aus dieses Epperle von Gallen Wunder und Erzehlungen, wie viel seltsames man der leichtgläubigen Einfalt von wirklichen Undingen in vorigen Zeiten hat aufheften können, denn daß dieser so furchtbare Ritter nie in der Natur der Dinge gewesen, erstehet man unter andern aus der sehr gelehrten Abhandlung, die ein ungenannter Verfasser wider die Gründe de existentia Johannae Papissae gehalten. Er wird daselbst Appellias a Gaillingen genannt und der Herr Schellhorn hat uns den Gefallen gethan, diese Disputation seinen Amoenitatibus Literariis T. I. p. 221. sqq. mit einzurücken2.

Es ist kein Zweifel, daß, wenn dies Mährchen mit in der Bibel stünde, man es auf den heutigen Tag noch eben so andächtig glauben würde, als die Himmelfahrt Eliä, der mit seinen feurigen Rossen, noch etwas weiter, als über den Nürnberger Schloß-Graben geflogen, nur ist es Schade, daß der Wind die Spur von diesem Himmelswege gänzlich wieder verwehet hat, und daß man von dieser Wundergeschichte kein weiter Merkmal mehr übrig hat, als noch einen einzigen Radenagel, den uns das gottseelige Alterthum, nebst einer Feder aus des Engel Gabriels Flügel, Goliaths Hosen-Riegel, einem Kasten Aegyptischer Finsterniß und andern dergleichen Seltenheiten, in der Schulpforte noch aufbehalten. Doch ich muß diesen Luftpassagiren nicht zu weit nachkucken, damit mir nicht etwa eine unangenehmere Reliquie in die Augen fallen.

§ 136. In Nürnberg wollte mir die wunderliche Tracht des schönen Geschlechts nicht gefallen. Denn sie zogen auf wie die Gespenster, und verstellten durch die seltsame Verkappung, mit welcher sie sich in die so genannten Regentücher einhülleten, den größten Theil ihrer Schönheit. Ich merkte aber bald aus den verliebten Blicken, die sie in der Kirche auf die verschiedene Gegenstände warfen, daß eben nicht lauter Lucretien unter diesem Nonnenhabite verborgen sein mochten, und daß, wenn ich zur selben Zeit keinen Hieronymum affectiret,[60] es mir nicht schwer gefallen seyn würde, unter so schönen armen Sünderinnen eine Mariam Magdalenam zu finden.

Ich war zu jung den Gedanken Origenis Platz zu geben, aber doch auch zu blöde einen heil. David zu agiren, sonst glaube ich, es würde mir eine Bathseba oder Abigail eben so viel Gelegenheit gegeben haben Buß-Psalmen zu machen, als diesem Herzensmann Gottes. Es ist also nicht meiner Tugend, sondern meiner Blödigkeit zuzuschreiben, wenn ich mich in diesem Puncte weniger menschlich aufgeführet, als die Heil. altes Testaments. Denn ich empfand in der That eben die heiligen Triebe, die sie empfanden: aber ich schämte mich, über eine Sache Buße zu thun, die ich vielleicht, wenn ich sie einmal gekostet hätte, eben so wenig, als diese heiligen Männer würde haben lassen können.

§ 137. Nach genugsam eingenommenem Vergnügen in dem angenehmen Nürnberg (dessen Bibliothequen ich gerne auch besehen hätte, wenn ich theils mit genugsamen Geldern wäre versehen gewesen, theils einen Cameraden gehabt hätte, der vom Studieren Profession gemacht) erschien endlich der Tag, an welchem wir uns scheiden musten. Wir nahmen zärtlichen Abschied von einander, und mein Hr. Meussel gieng über Augsburg nach Venedig: Ich aber über Regenspurg vollends bis an den Ort meiner Bestimmung.

Ich hatte bei dieser Reise eine größere Gesellschaft als von Erfurth bis nach Nürnberg. Denn der Wiener Bote, bey dem ich mich aufgedungen hatte, und dem ich, mit der Kost, bis Kloster Molck 22 Fl. zahlen muste, hatte 2 stark besezte Land-Kutschen, auf welchen theils Kaufleute aus Wien, und Regenspurg, theils andere Passagiers aufgepackt waren, und wir vollendeten unsere Reise bis Regenspurg ohne sonderliche Merkwürdigkeiten.

§ 138. In Regenspurg hielten wir uns anderthalb Tage auf, und besahen auch, was in der wenigen Zeit merkwürdiges zu besehen war, die Stadt an sich, kam in der Schönheit der Stadt Nürnberg lange nicht bey. Denn es ist ein altväterlicher Ort, der außer der schönen Donaubrücke nicht viel außerordentliches von öffentlichen Gebäuden zeiget, doch erzehlte man uns abermals ein Histörchen, welches sich zwischen dem Baumeister des Doms und seinen Lehrjungen zugetragen haben sollte, und nach welchen sich der Baumeister, als er gesehen, daß der Junge seinen Thurm besser gebauet, als Er den seinigen, von demselbigen den Hals abgestürzet haben sollte. Sic sanguine fundata est ecclesia, sanguine crevit, sanguine succrevit, sanguine finis erit, welches ich meinen deutschen Lesern zu gefallen also übersetze:
[61]

Blut gründete die Kirch', Blut wurzelte sie ein,

Durch Blut ward sie auch groß, Blut wird ihr Ende seyn.


Ob dieses Gottselige Sprüchwörtchen der Kirche Christi zum Lobe oder zur Schande gereiche, will ich meine Leser urtheilen lassen, und jetzt nur so viel bey der erwähnten traurigen Mordgeschichte bemerken, daß mir eben dieses Histörchen auch von dem Baumeister des Doms zu Naumburg in Thüringen, mit allen Formalien erzehlet worden, nur mit dem Unterschiede, daß allda nicht der Baumeister sich selbst, sondern den armen Jungen von dem Thurm herabgestürzet haben soll, dessen ausgesprüztes Blutes-Merkmal noch das gottselige Alterthum, zum immerwährenden Gedächtniß der Heiligkeit dieses Orts mit einem hervorragenden und in die Mauer des Thurms eingemauerten Eisen bemercket.

§ 139. Sind beide Histörchen wahr, so siehet man leicht, daß diese heilige Oerter von Mordgeistern erbauet worden, und was ist es alsdann Wunder, wenn die Vorsteher derselben noch von eben diesem heiligen Geiste besessen werden. Stünde es in ihrer Macht, die Freygeister eben so leicht auf die Zinnen ihrer Tempel zu führen, als ehemals der Teufel ihren Gott auf die Zinnen des Jüdischen Tempels geführet haben soll, so glaube ich sie würden sie nicht erst bitten sich hinab zu lassen, und zu zeigen, daß sie unverletzlich wären, sondern sie würden sie eben so gelassen herabstürzen, als der Naumburgische Dombaumeister seinen unschuldigen Jungen. Doch Gottlob, daß diese geistlichen Herren selber etwas schwindlicht sind, und daß die Freygeister die Kunst gelernet haben, sich, nach der Schrift, zu den nidrigen zu halten.

§ 140. Wie die Zeit kam, daß wir uns auf die Donau zu Schiffe begeben sollten, versahen wir uns, weil es ziemlich warm war, mit etlichen, den Cananaischen Wasserkrügen nicht ungleichen Bierkrügen, die wir mit dem besten Regensburger Braun- und Weißbier anfülleten und damit zum wenigsten biß Straubingen zu kommen gedachten: Allein wir fanden an den Ruderern (welches lauter Handwerkspursche waren, die der Bote ums Ruderns willen, ohne Entgeld mit nach Wien nahm) so fleißige Gehülfen, daß unser Vorrath alle wurde, ehe wir noch eine Tagereise gemacht.

Inzwischen war die Fahrt an sich, aus der Maßen angenehm. Denn außerdem daß sie in der schönsten Jahreszeit, nemlich zwischen Ostern und Pfingsten geschahe, so verschaften die angenehmen Landschaften, die zu beiden Seiten des Ufers erschienen, und, so zu reden, alle Augenblicke ein neu Theatrum an Städten, Dörfern, Klöstern, Schlössern, Bergen, Feldern, Wäldern, Auen, Wiesen und Gebüschen[62] zeigten, den Augen ein beständiges und über alle Maßen angenehmes Vergnügen.

§ 141. Ich, der ich außer denen, in der That auch schönen Gegenden meines Vaterlandes, so viel Schönheiten der Natur auf einmal und in so abwechselnder Mannigfaltigkeit nie gesehen hatte, machte mir diese angenehme Gelegenheit besonders zu Nuze, und sezte mich, ungeachtet ich ins Schiff mit verdinget war, doch beständig auf das Verdeck, und überließ einem Andern meinen Platz.

Es fiel mir, bey Betrachtung aller dieser Annehmlichkeiten des Herrn Brockes Irdisches Vergnügen in Gott ein, von welchem mir mein voriger Reisegefährte Hr. Meussel was gesagt hatte, und ich kann sagen, daß ich vielleicht der einzige auf dem Schiff war, der die vortrefflichen Werke Gottes, auf dieser Reise mit einiger Rührung betrachtete, und eine Begierde empfand das schöne Werk des Hrn. Brockes mir näher bekannt zu machen. Ich erhielt es auch hernach, als ich nach Wien kam, von Herrn Lerche, dem damaligrn Schwedischen Legations-Prediger, zum Present.

Inmittelst ging unsere Reise auf der Donau bey dem schönen Wetter und der lustigen Gesellschaft, recht vergnügt von statten. Es waren ungefehr 42 Perfonen auf dem Schiffe, worunter ein gewiß Frauenzimmer war, die sich vor eine Gräfin ausgab, welcher ich einen Dienst that, der mir ihre Gunst erwarb, die sie mir hernach auf der ganzen Reise blicken ließ. Er bestund darinn: Es mochte der guten Person eine Nothwendigkeit ankommen, die sie sich vor der Gesellschaft zu nennen schämte, deswegen simulirte sie eine Uebelkeit, und bat den Schiffer, oder vielmehr den Wiener Boten mit Thränen, das er doch anländen möchte, damit sie sich nur ein wenig eine Bewegung machen könnte.

Dieser so wohl, als die übrige Gesellschaft, hatten ihre Freude an der Qual der armen Creatur, und hätten sehr gerne gesehen, daß sie uns etwas zu riechen gegeben hätte: Ich aber konnte diese Unhöflichkeit nicht vertragen, sondern machte mich mit Ernst an den Boten, und versprach ihm ein raisonnables Trinkgeld, und nöthigte ihn endlich durch vieles Bitten und Vorstellen, daß er anländete. Der Angstschweiß stand der guten Person tropfenweise an der Stirne, und mir war bange, sie möchte in Ohnmacht fallen, und uns hernach auf dem Schiffe mehr Arbeit machen, als der Spaß werth war, den die unbarmherzigen Reisegefährten zu erleben gedachten.

§ 143. Ein anderes schönes Frauenzimmer von Cölln stieg also mit Ihr aus, und verbarg sich mit Ihr, etwa ein paar Vaterunserlang im Gebüsche, und kam hernach frisch und gesund mit derselben[63] wieder ins Schiff. Von dieser Zeit an mußte ich mich von der Gesellschaft scherzweise nur den Hrn. Physicum nennen lassen. Wie wir aber nach Kloster Molck kamen, welches meine letzte Wasserstation war, und ich von der Gesellschaft Abschied nehmen muste, war ein gewisser Baron von Seckendorf, der mit auf dem Schiffe war, curios, von dem Frauenzimmer, im Namen der ganzen Gesellschaft zu wißen, wer sich unter derselben bisher am besten gegen sie aufgeführet, und Er erhielt zur Antwort, der Herr Physicus. Ich merkte, daß mir diese unvermuthete Gefälligkeit eine Eifersucht bey der Compagnie zu wege brachte, die leicht zu Händeln hätte Anlaß geben können, wenn ich vollends bis nach Wien mitgereiset wäre, allein es wurde solchem durch meinen Abschied in Molck vorgebeuget.

§ 144. In Straubingen, Passau und Linz besahen wir, was in der Eil besehen werden konnte. Doch hätte ich eben nicht nöthig gehabt mich in Passau besonders nach dem bekannten Tölpel umzusehen. Denn es waren unter der Gesellschaft schon solche, die weit gröber ausfielen, als dieser unschuldige Stein-Kopff, der nicht weit vom Dom an einer Mauer des Kirchhofes angelehnet war, und den man insgemein den Passauer Tölpel nannte. Weil ich ihn aber, sowohl als seine Brüder umsonst sehen konnte, so nahm ich diese Curiosite auch mit, und sahe hierauf in dem prächtigen Dom, den Bischof Fürsten von Bamberg, zur Messe gehen.

Unterhalb Linz, allwo wir recht wohl accommodiret wurden, kamen die 2 bekannten gefährlichen Stellen in der Donau, die man den Strudel und Wirbel zu nennen pflegt (denn den sogenannten Spielberg, welcher weiter oberhalb ist, hatten wir umfahren). Die ganze Reisegesellschaft stieg ungefähr ein Viertelwegs oberhalb dieser gefährliche Plätze aus und ging zu Fuße, über das, um die Gegend Stain (wo diese Wasserwunder anzutreffen waren) am Ufer liegende sehr hohe Gebirge, und blieb niemand auf dem Schiffe, als der Bote, die Steuermann, dei Ruderpursche und ich.

§ 145. Ich bekenne, daß es eine unnüze Verwegenheit von mir war, denn es hätte nicht viel gefehlet, daß uns der Strudel nicht bedeckt hätte. Das Glück war, daß das Schiff um etliche 30 Mann leichter war, und folglich höher gieng, sonst wir unser Grab gewiß da gefunden haben würden, indem die Wellen sehr stark in das Schiff schlugen.

Ich hätte mich, als bereits gewiziget, billig vor diesen fürchterlichen Wasser-Gegenden in Acht nehmen sollen. Denn ich hatte in Sangerhausen schon einmal versucht, wie es that, wenn man unters Wassers gerieth, und in Jena wäre ich beynahe auch einmal in der[64] Sale ersoffen. Der erste Zufall war zwar nur ein Kinderspiel, indem ich in dem Garten eines meiner Mitschüler, worin ein tiefer Wassergraben war, zugleich mit demselben auf 2 großen Wannen fuhr, und also fahrend mit der Flinte nach dem Ziele schoß. Mein Camerad, Namens Wege, war ein leichtfertiger Vogel, und schien das ganze Spiel nur deswegen angestellet zu haben, mich ins Wasser zu werfen, und nachmals auch brav auszulachen: Es muste aber mit Manier geschehen, sonst würde Er mich nicht dazu gekriegt haben. Er gab mir also anfangs eine breite und niedrige Wanne, die nicht leicht umzuwerfen war: Er selber aber nahm eine hohe und schmale, und fuhr eine Zeitlang, als besser exerciret, mit mir um die Wette. Endlich sagte Er, wir wollten einmal umtauschen, und ich sollte seine, und Er meine Wanne nehmen. Ich wollte mich nicht schimpfen lassen und nahm den Accord an, kaum hatte aber ein jeder seinen Platz eingenommen, als jener auf seiner Wanne allerhand Gaukelsprünge zu machen anfing, und mich nöthigte dergleichen zu thun. Allein ich hatte kaum angefangen, so schlug mein Fahrzeug mit mir um, und begrub mich gänzlich ins Wasser. Ich erholte mich aber geschwind, hub mich, und kam endlich wohlgebadet glücklich ans Land.

§ 146. In Jena hingegen, war meine Verwegenheit nicht zu entschuldigen. Denn da bin ich über die zwischen dem sogenannten großen und kleinen Paradiese und dem Wehre auf der Sale aufgestämten und wohl Stubenhoch über einander von dem Druck des Wassers verschränkten Floß-Scheite, von dem kleinen in das große Paradies gegangen, bei welcher Wallfahrt ich nur einen Fuß hätte unrecht setzen dürfen, so würde ich, wie drey andern Studenten vor mir begegnet, unter die Floß-Scheite dergestalt seyn begraben worden, daß mich auch die Venetianischen Ringfischer nicht würden haben wiederfinden können.

Ich kann auch eben nicht sagen, daß mir mitten auf dem Strome so wohl zu Muthe gewesen, als den Pfarrern auf Hochzeiten und Kindtaufs-Gelagen. Denn wie die ganze Last, der nur ungefähr von dem Wasser über einander geschobenen Hölzer, anfing Ellenhoch mit mir zu schwanken, und mir die Exempel meiner ersoffenen Cameraden einfielen, da hatte ich Mühe meinen Muth zu erhalten, und meine Schritte, wie der Hahn über die Kohlen, nach dem andern Ufer zu verdoppeln, wo ich nicht unversehens mit einem weichenden Scheite untergehen, und mein noch junges Leben sine Lux et sine Crux beschließen wollte.

§ 147. Ich zweifle nicht, daß manche meiner Brüder, die diese[65] Stelle lesen, wünschen werden, daß mich ihr Teufel damals möchte geholt und zwischen den beiden Paradiesen Contrebande gemacht haben, und ich selber bin versichert, daß der alte sowohl als der junge Adam auf die Art weit füglicher und wirklicher, als durch tägliche Reue und Buße würde haben ersäuft werden können. Allein beide kamen damals noch ganz unverletzt davon, und die gütige Vorsicht hat gewollt, daß sie auch in den gefährlichen Wassern der Donau keinen Schaden leiden sollten, auf daß erfüllet würde, was geschrieben stehet: So du durchs Wasser gehest, will ich bey dir seyn, daß dich die Ströme nicht ersaufen sollen.

§ 148. So bald also die letztere Gefahr nach Wunsche überstanden war, fanden sich unsere vorsichtigen Passagiere wieder ein, die ich meiner damaligen Leichtsinnigkeit nach, brav auslachte, daß sie nicht so verwegen, als ich, gewesen waren: Doch je näher ich dem Ziele meiner künftigen Station kam, je demüthiger wurde ich, und das darum. Ich hatte mir in Jena und Eisenach eingebildet, daß ich schon ziemlich perfekt französisch spräche, und diese Sprache war der Hauptbewegungsgrund, weswegen ich nach Oesterreich als Hofmeister war verschrieben worden: Wie ich aber nach Linz kam und allda gewahr wurde, daß die Kellner und Hausknechte auch französisch sprachen, und zwar ungleich fertiger und zierlicher als ich, so daß ich Mühe hatte, sie nur einiger Maßen zu verstehen, da wäre mir beynahe der Muth gefallen, und wenn ich Geld genug gehabt hätte, meine Rückreise wieder anzutreten, so glaube ich, ich würde wieder umgekehret seyn.

Das einzige was mir einigen Trost gab, war, daß ich dachte, diese Sprache wolle eben so wohl, als alle andern eine Uebung haben, und diese habe mir bisher gefehlet. Denn außer dem Sprachmeister, (der zwar eingeborner Franzose war, aber wöchentlich nur 4 Stunden mit mir sprechen konnte) und einig meines gleichen, die eben so schlecht als ich sprachen, war ich noch mit keinem Franzosen umgegangen, und ich glaube wenn mir dieser Zufall unverhofft begegnet wäre, es würde mir nicht viel beßer ergangen seyn, als dem Herrn Holberg, der auch schon einen Sprachmeister agiret hatte, aber in Paris, besage seiner Lebensbeschreibung p. 68 nicht ohne Aergerniß von einer Magd hören mußte: Er rede französich wie ein deutsch Pferd. Indessen da ich leicht vermuthen konnte, daß ich an dem Orte meines Bleibens, wo nicht geborne Franzosen, doch gut französisch sprechende Deutsche antreffen würde, so dachte ich, wenn ich mich nur ein Vierteljahr in dieser Sprache würde üben können, so wollte ich mich eben nicht in selbiger verkaufen lassen. Es geschahe[66] auch, doch konnte ichs nicht eher zu einer rechten Fertigkeit bringen, als biß ich wieder zurück und nach Dreßden kam, allwo mir zwar die Französinn beym Grafen von Calenberg, mit einem französischen Sang froid, gleich bey der ersten Unterredung das Compliment machte, daß ich ziemlich Provinzmäßig spräche, doch hat man mir nirgend, wie dem Herrn Holberg 69 anstatt eines Logis eine Lucie angewiesen, oder wenn ich den Du Chesne begehret den Lucianum präsentiret.

§ 149. So bald wir Kloster Molck erreichet hatten, mußte ich mich um eine Gelegenheit umsehen, mich weiter, und der Herrschaft des Grafen von Kornfeil näher zu bringen. Es fand sich solche bald, und ich fuhr des Tages nach unserer Ankunft in Molck (davon ich des Klosters Kostbarkeiten dießmal noch nicht besehen konnte) mit einem eigenen kleinen offenen Postwagen, aber nicht mit der Post, nach St. Pölten.

In meinem Vaterlande wuste ich nicht was ich aus diesem Heiligen machen sollte: Bey meiner Herrschaft aber erfuhr ich, daß man den heiligen Hippolytum so verstümmelt und aus seinem etwas Pferdemäßigen Namen das Kauderwelsche Wort Pölten gemacht hatte. Wie ich dahin beschieden war, also vermeinte ich auch nicht anders, als daß dieser Ort mit zur Herrschaft meines Grafen gehörete, und daß die Oesterreichischen Grafen ungefähr solche kleine Gottheiten vorstelleten, wie andere mir bekannte Reichsgrafen, die die Ehre der Anbetung gern annehmen würden, wenn sich nur der gedrückte Bauer, ohne dem sie doch nicht vermögen, nicht zu nahe zu ihrem Dunst-Kreise machen müste. Denn sie scheinen zu glauben, der Bauer möchte alsdann gar zu deutlich merken, daß man diesen Göttern nicht ohne Ursache bisweilen räuchern müste.

§ 150. Die Oesterreichischen Grafen waren etwas menschlicher, und eben daher um ein großes liebenswürdiger; Ich wuste aber solches damals noch nicht, sondern bildete mir ein, man müste bey Ihnen eben so wohl, wie bey andern sterblichen Göttern, mit Furcht und Zittern schaffen, daß man glückseelig würde, deswegen begunte ich mich allgemach zu einer solchen Stellung zu gewöhnen. Ich fand aber, daß mirs nicht recht angehen wollte, hatte es auch nicht nöthig, sondern war nunmehr darauf bedacht, mich meinem gnädigen Herrn je eher, je lieber zu präsentiren.

Als ich demnach in St. Pölten im güldenen Löwen abgetreten war, und mich sogut es seyn wollen umgekleidet hatte, fragte ich den Wirth, wo der Weg nach des Hrn. Grafen Schlosse gieng: Allein meine Verwunderung wurde nicht wenig aufgebracht, als mich der Wirth hinwiederum fragte: Nach was vor eines Grafen? Denn ich[67] dachte, man müste in St. Pölten, außer meinem Herrn eben so wenig von einem andern Grafen, als Alexander von einem andern Monarchen etwas wissen wollen. Wie ich aber Nolens Volens endlich sagen muste, daß ich nach dem Schloße des Hrn. Grafen von Kornfeil gedächte, gab mir der Wirth zur Antwort, es liege solches 3 Stunden von St. Pölten und er habe schon Ordre mich dahin zu bringen.

§ 151. Diese Nachricht war mir über die Maaßen angenehm. Denn ich stund noch immer in den Gedanken, St. Pölten, eine ganz artige und wohlgebaute Stadt am Fluße Drasem, wäre ein Theil von der Herrschaft meines Herrn. Es ist nicht zu beschreiben was vor vornehme Gedanken ich mir machte, ein Hofmeister eines vermuthlichen Erben einer so reichen Herrschaft zu seyn, und da derselbe der Lutherischen Religion zugethan war, so war schon nichts gewißers vor mich, als nach etlichen Jahren, zur Vergeltung meiner treuen Dienste eine tüchtige Lutherische Pfarre zu erschnappen.

Allein im Augenblick wurden meine stoltzen Gedanken gedemütiget, als ich nicht allein, zum Fenster hinaussehend, verschiedene, noch nie gesehene Catholische Pfaffenfiguren vorbey patroulliren, und sie von den vorübergehenden aufs tiefste verehren sahe, sondern als auch der Hofmeister vom Grafen von Laßberg, der aus Zörbig war und Hübner hieß, nebst dem Cammerdiener dieses Grafen zu mir kamen, mich freundlich willkommen hießen und mir von der eigentlichen Beschaffenheit der Oesterreichischen Grafen etwas näheren Unterricht ertheileten.

§ 152. Dieser Unterricht war mir so wenig zuwider, daß er mich vielmehr im höchsten Grade erfreuete. Denn ich sahe daraus, daß diese Herren zwar wirkliche Grafen, aber nichts weniger als Großthuer waren, und daß ihre Bedienten und alle, die mit Ihnen zu thun hatten, nicht erst etliche Jahre um ihre Besoldung oder sauer verdienten Lohn betteln dürften, wie mein Vater am Herzoglich Weisenfelsischen Hofe hatte thun müssen, sondern daß sie alle prompt, ja vorausbezahlten, wenn man es verlangete.

Wer war bey dieser ganz unerwarteten neuen Zeitung mehr erfreuet, als ich, der ich aus der betrübten Erfahrung der Umstände meiner armen Eltern, mehr als zu empfindlich hatte erkennen lernen, was vor ein Elend es war, wenn einem viel versprochen, aber wenig oder nichts gehalten wurde. Ich wuste diesen meinen neuen Freunden nicht Höflichkeit genug zu erzeigen, und sie waren auch mit meinem Wesen so wohl zufrieden, daß sie nichts mehr als den Winter wünschten, uns in St. Pölten (wo die umliegenden Herrschaften[68] um diese Zeit zusammen zu kommen pflegten) bald beysammen zu sehen.

§ 153. Ich muste mich also dieser angenehmen Gesellschaft noch eine Zeitlang entschlagen, und denselbigen Tag noch nach Wyrmlingen auf die Güter meines Herrn fahren. Der schönste Tag von der Welt, gab mir aus diesem anmuthigen Orte eine nicht minder angenehme Abfarth, und ich vergnügte mich an der reizenden Landschaft dieser schönen Gegend, und absonderlich an dem fast einem Paradiese gleichenden und mehr als fürstlichen Schloße und Garten zu Wasserburg, welches dem damaligen Commendanten auf dem Spielberge in Mähren, dem Grafen von Zinsendorf gehörete, und seines gleichen in der ganzen Gegend nicht hatte, dergestalt, daß ich kaum gewahr wurde, daß ich zu Wyrmlingen, als meiner damaligen bleibenden Stäte angelangt war.

Der äußere Anblick dieser Gräflichen Residenz stellte nichts prächtiges vor, und es giebt Edel-Höfe in Sachsen, Thüringen und anderweit, die weit herrlicher in die Augen fallen: Allein es herrschete eine gewiße Einfalt, Unschuld und Anmuth in der Lage, und dem Gebäude, die mir mehr Freude erwecketen, als wenn ich unter Marmor und Cedern hätte eingehen müssen.

§ 154. Ich fand meine gnädige Herrschaft nicht zu Hause, sondern sie war zu Wien, und daß kam mir trefflich zu Paße. Denn ich würde in der französischen Sprache gewiß sehr schlecht bestanden seyn, wenn sie gleich wäre zugegen gewesen: So aber lernte ich in den 14 Tagen, die sie ungefehr noch außen blieb, von meiner jungen Herrschaft, die schon ziemlich französisch sprach, so viel, daß ich mich nicht sonderlich schämen durfte, mit Ihr zu sprechen, wie sie widerkam.

Meine Ankunft war inzwischen höchst willkommen, und ich kann sagen, daß mir mehr Ehre erzeiget wurde, als ich werth war. Nichts destoweniger wollte mir doch die einsame Lebensarth auf dem Lande, im Anfange gar nicht anstehen: Ich fand sie aber bey reiferer Ueberlegung, nach einer kurzen Gewohnheit so reizend, daß mir hernach die Gesellschaften, die ohnedem sellten nach meinem Geschmack waren, nicht sonderlich mehr gefallen wollten, zumal da ich das sogenannte schöne Geschlecht da herum bey weiten nicht so reitzend und begeistert fand, als ich solches in Sachsen verlassen hatte. Zwar waren sie eben so verliebt, als jene, und man hätte in Ansehung ihrer unbetrüglichen Gutwilligkeit noch eher eine Gunst von Ihnen erhalten können, als von den erstren, die nicht selten Les precieuses ridicules agiren: Allein ich machte mir mehr ein Vergnügen, die[69] armen Dinger mit meiner guten Gestalt, ohne Hoffnung einiges Genußes, zu martern, als mich in verliebte Tändeleyen mit Ihnen einzulaßen.

§ 155. Es war eben ein Freytag, da ich nach Wyrmlingen kam, und dieser Tag war neben dem Sonnabende bey den Catholicken ein wöchentlicher so genannter Fast-Tag. Ob nun schon meine Herrschaft Lutherisch war, so bequemte sie sich doch in diesem Stücke nach ihren Domestiquen, die, außer mir und einem Heyducken, lauter Catholicken waren. Dieser rühmlichen Condescendenz zufolge fand ich also die gräfliche Taffel eben so wohl, als der Bedienten ihre, mit Fasten-Speisen besezt, als da waren Eyer, Fische, und allerhand mir sonst unbekannte Mehlspeisen. Von allen diesen an sich guten Eßen, war ich kein Liebhaber und ich läugne nicht, daß wenn sie continuiret hätten, ich mich mit den Israeliten bald nach den Fleischtöpfen Egyptens gesehnet haben würde.

Der dasige Pfleger oder Amtmann, merckte mein Mißvergnügen, und fing an mich zu trösten, indem er mich versicherte, daß wir auf die sogenannten Fleisch-Tage schon anders speisen würden, welches auch wahr war, indem ich an selbigen allemahl eine gute Tafel vor mir fand, und nach und nach der dasigen Landesart, mit meinem guten Vergnügen ganz gewohnt wurde. Sauerkraut wird da alle Tage, Jahr aus, Jahr ein, gegeßen, und dieses vom Kayser, biß auf dem Bauer, es ist nebst dem Rindfleische allemal das erste Gerüchte nach der Suppe, und ich habe es alle Tage mit gutem Appetit eßen mögen.

§ 156. Man vergönnte mir sonst alle Freyheit, die ich zu meinem Vergnügen wünschen konnte. Es gefiel mir aber keine Art derselben beßer, als die Jagd, deren ich mich nach meinen Informations-Stunden (so Mondtags, Dienstags, Donnerstags und Freytags in 4, Mittewochs und Sonnabends aber nur in 2 Stunden bestunden) nach meinem Belieben bediente, und sie in den ersten Zeiten, da diese Passion noch neu war, selten versäumte.

In der That war es was angenehmes, wenn ich mit meiner Flinte die nächsten Felder, Weingärten, Wiesen und Wälder ganz allein durchstreifen, und meinen Gedanken in der Stille Audienz geben kunte. Tausenderley Vorwürfe reizten mich alsdann zum Lobe meines Schöpfers, den ich doch damahls noch gar wenig kannte, ob ich schon was fühlte, das mir was weit angenehmeres von Ihm sagen wollte, als mich meine Theologie bisher gelehret hatte. Ich war aber zur selbigen Zeit noch zu fladderhaft, diese Anmuthsvolle geheime Sprache mit gehöriger Aufmerksamkeit anzuhören, sondern[70] blieb an dem Geräusche der Sinnen haften, und war zufrieden, wenn ich meiner Leydenschaft zufolge ein unschuldiges Thier ums Leben bringen, und meiner Herrschaft ein Wildprett in die Küche liefern kunte. Kam's hoch so dankte ich etwa Gott mit einem laulichten Seufzer, vor die Glückseeligkeit, die Er mir vor meinem armen Vater und Geschwister gegönnet hatte, denen ich auch bisweilen, nach meinen Vermögen, etwas zu ihrer Erquickung zusandte, und mich nach meinem Stande so knapp als möglich hielt.

§ 157. Es nahm aber, wie gedacht, die Lust zum Jagen, bald bey mir ab, und ich fing an, mich mit nöthigern und nützlichern Dingen zu beschäftigen. Absonderlich dachte ich meine Studia, die ich in einem Catholischen Lande, besonders was das Predigen betrift, gar nicht treiben kunte, wider hervorzusuchen, und meinem Zwecke gemäßer zu behandeln. Das verdrüßlichste war mir, daß ich extra omne Commercium Literarium, und gleichsam wie ein, aus der gelehrten Welt verbanneter, alle der Nachrichten entbehren muste, die ich in Sachsen in so großer Menge, aus allen Theilen der Welt, sowohl in der alten, als neuen Literatur haben konnte: doch weil mein Herr ein kleines Bibliothekchen hatte, so muste ich mich, so gut ich konnte, in meine damaligen Umstände schicken, und in Ermanglung neuer Bücher, die ich ohnedem nur Auszugsweise, aus den Journalen in Sachsen, kennen lernen muste mich an die alten machen, die in meines Herrn wenigen Bücher-Vorrath vorhanden waren.

Ich hätte mir dieselben beßer zu Nuze machen können, wenn ich damals nur ein wenig freyer von den Vorurtheilen meiner Secte gewesen, nicht thörichter Weise geglaubt hätte, daß selbige allein in allen Stücken recht hätte. Diese Thorheit hat mir viel Zeit verdorben, und wenig Nuzen geschafft. Denn ich legte mich fast auf nichts, als auf die Zanck-Theologie, oder sogenannte Theologiam Polemicam, und dachte Wunder, wer ich wäre, wenn ich einen armen Catholischen Pfaffen, die dasiger Orten, größtentheils, die unwißendsten Tropffen sind, mit ein oder dem andern Brocken aus der Kirchen-Historie, wovon sie gar nichts verstehen, eintreiben kunnte; deswegen waren des Chemnitii Examen Concilii Tridentini, des Heilbrunneri Uncatholisches Pabstthum, der Pater Rempen, Meyers Kriege des Herrn, Cyprians Belehrung vom Ursprunge und Wachsthum des Pabstthums etc. die besten Tröster vor mein damaliges disputirsüchtiges Naturell, und ich muß mich höchlich wundern, daß mir meine Nase-Weisheit mitten unter den Papisten, nicht oft theuer zu stehen kommen. Denn ich ließ mich sogar in schriftliche Controversien mit ihnen ein, und disputirte nicht allein auf die Art ein[71] langes und ein breites, mit einem gewissen Minoriten vor Tulle, der die Mariam vor die Materiam primam ausgab, sondern auch hernach mit dem Vicario von Purgstall beym Grafen von Auersperg, von der Unfehlbarkeit des Pabsts und der Catholischen Kirche, in welchen beiden Controversien, ich meine Gegner sehr heftig herumnahm, aber alles ohne Nuzen, indem ein jeder unter uns gerne alleine Recht haben wollte.

§ 158. Diese Zänckerei hätte bald mir und meiner Herrschaft sehr nachtheilig seyn können, und ich habe mich nach der Hand oft verwundert, daß sie dieselbige meinem damaligen Unverstande nicht mit Ernst untersagt. Denn da sie in ecclesia pressa lebten, und Ihnen nicht erlaubet war Theologos zu Hofmeistern zu halten, so hätte mich diese Disputir-Sucht beynahe, als einen Prädicanten verrathen. Ich muste zwar in politischen Habit aufziehen: Allein die Theologischen Klopfechtersprünge hätten mein wahres Studium bald entdeckt; zum wenigsten muste ich mir einmal von einem Franciscaner-Mönche von Lembach, der mich ungefehr noch in einem schwarzen Kleide antraf, als ich Ihm, auf sein Befragen, zur Antwort gab, daß ich darinnen noch meine Mutter betrauerte, unter Augen sagen laßen: Wir könnens nehmen, wie wir wollen, welches schon genug war, mir zu verstehen zu geben, daß man mich, Catholischer Seits vor einen Prädicanten hielte.

Ich kehrte mich aber nicht dran, und brauchte zur Beschönigung meiner Disputir-Seuche immer den Spruch: Wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinen himmlischen Vater, gerade, als wenn meine Gegner nicht auch Christum vor den Menschen bekennet hätten, oder, als wenn man, um Christum recht zu bekennen beständig mit andern, die ihn auch bekennen, zancken müste. Doch es fehlte mir damals noch gar viel, mit gehöriger Ueberzeugung einzusehen, mit was vor Recht der Mensch Jesus befugt gewesen, andern Menschen, denen Er nicht die geringste Versicherung geben kunte, daß sie um seiner Bekenntniß willen Ewig glückseelig seyn würden, um derselbigen willen zeitlich unglückseelig zu machen, und ich glaube, wenn mich die Catholiquen damals hätten angreifen und hinrichten wollen, daß ich mit Freuden, als ein Märtyrer meines heiligen Eigensinns würde gestorben seyn.

§ 159. Es ist nicht zu beschreiben, was die Verheißungen von einer Cron des Lebens, von der Besizung eines ewigen Reichs, von einer ewigen und über alle Maaßen wichtigen Herrlichkeit, die uns ein Mensch beschieden haben soll, den der Aberglaube für den Sohn des Allerhöchsten Gottes ausgegeben bey ehrgeitzigen: aber nur blindweg glaubenden Gemüthern, vor einen Eindruck machen, so lange[72] sie davor halten, daß an dergleichen Verheißungen im geringsten nicht zu zweifeln sey. Sie rennen da oft recht blind in ihr Verderben, wie wir an sehr vielen der ersten Christen, und an den Aposteln selber sehn, die ja Juden und Heyden, durch die unbedachtsame Verbreitung ihrer seltsamen Einfälle, recht mit Gewalt wider sich reizten, und sie so zu reden bey den Haaren herbeyzogen, sie auf die grausamste Art hinzurichten, ohne daß dadurch Gott im geringsten, ihnen selber und den Nächsten aber nur in etwas wäre gedienet worden, es sey dann, daß man das vielleicht als einen besonderen Dienst des Nächsten angeben will, daß selbiger durch die Exempel solcher Märtyrer, in seiner Hartnäckigkeit bestärket, und zu einem geselligen und der menschlichen Natur gemäßen Leben gänzlich untüchtig gemacht worden.

Gewiß ein schlechter Dienst, den man dem menschlichen Geschlechte auf die Art leistet, und gegen dessen Anwachs eine vernünftige Obrigkeit nicht wachsam genug seyn kann, ob ich schon nicht billige, daß man dergleichen arme verrückte Leute, haufenweise, vor diesen ums Leben gebracht. Man kann ihnen die Pflichten der Menschheit schon auf andere Art beybringen, und wenn das in vorigen Zeiten mit gebührender Klugheit und Bescheidenheit geschehen wäre, so bin ich versichert, das Christenthum würde seinen Wahnsinn nicht so tief in die Gemüther der Menschen haben gründen können.

§ 160. Man siehet, was die Juden noch auf den heutigen Tag, vor Spott und Drangsal, von allen Völckern ausstehen, bloß um der nichtigen Hofnung willen, daß ihr eingebildeter Messias noch gewiß kommen, und ihnen die ganze Welt zum Besitz einräumen werde, da ihnen doch dabey nicht zugemuthet wird, wegen künftigen Besitzes, dieser güldenen Berge, Vater, Mutter, Brüder, Schwestern, Weib und Kinder, ja ihr eigen Leben zu hassen, wie den Christen Luc. 14, 26 angemuthet wird, wenn sie würdige Unterthanen ihres geistlichen Messiä werden wollen, und dennoch wird nicht leicht ein Christ seyn, der nicht sagen sollte, daß die Juden pur um ihrer falschen Einbildung willen lidten, und es beßer haben könnten, wenn sie sich zu Christo bekehren wollten. Ich laße aber einen jeden vernünftigen selbst urtheilen, ob die, an sich nichtige Einbildung der Juden, nach welcher sie sich den Besitz eines immerwährenden weltlichen Reichs vorstellen, und bey welcher ihnen doch die natürliche Liebe gegen ihre nächsten Blutsverwandten und die Neigung zu ihrem eigenen Leben, noch gelaßen wird, nicht ungleich erträglicher sey, als wenn ein Christ, in der thörichten Einbildung, ein ewiges geistliches Reich zu erlangen (wovon sich ein gesunder Verstand gar keinen Begrif machen kann)[73] alle natürliche Liebe verbannet, und zum Mörder an seinem eigenen Leben wird.

§ 161. In der That wenn alle Menschen, in der heutigen Christenheit, wider auf den Wahnsinn der ersten Christen gerathen sollten (der mir selber vor wenig Jahren noch gar nahe war) so würde die Obrigkeit ihre Länder bald von Unterthanen entblößet und sich selber in die armseligsten Umstände versezet sehen.

Es scheinet also das Constantinus der Große, als ein Staatskluger Herr, wohl eingesehen, daß seine Vorfahren darinn einen großen Staatsfehler begangen, daß sie eine so tief eingewurzelte, und schon weit und breit angenommene Hartnäckigkeit der Menschen, mit der äußersten Gewalt auszurotten gesucht. Denn dadurch haben sie, wie die Historien geben, nur Oel ins Feuer gegoßen, und die Menschen in ihrem Wahn immer hartnäckiger gemacht. Daher versuchte er demselben auf andere Art seine Kraft zu benehmen3. Die bisherigen Verfolgungen der Christen abzustellen, den Bischöfen gute Tage zu verschaffen, den Nahmen eines Christen selber anzunehmen, die Heyden mit ihren Götzendienst aufs Land zu verweisen, den Christen dagegen ihre prächtigen Tempel einzuräumen und der schon stark zur Mode gewordenen Verehrung der sogenannten Christlichen Heiligen zu verstatten, daß sie anstatt der von den Heyden vergötterten Menschen, die Bilder ihrer eigenen Götzen aufstellen durften, damit war nicht allein das Wesen des alten heydnischen Gottesdienstes unter dem Christlichen Namen beybehalten, sondern die Christen selbst verloren auch allgemach ihren Unsinn, ums Glaubens willen sich die Hälse brechen zu laßen, und die Christlichen Pfaffen fingen selber nach und nach an, zu erkennen, daß ihnen ein lebendiger Mensch allemal mehr einbringe, als ein Todter. Deswegen finden wir in den Kirchengeschichten dieser Zeiten, je länger, je weniger Ermahnungen zur Beständigkeit im Marterthum, ja, nach den Zeiten Constantini haben die sogenannten Martyrer, die man in Ansehung der Unnothwendigkeit sein eigenes Leben zu hassen, mit beßerem Rechte, unbesonnene Selbstmörder nennen könnte, fast ganz und gar aufgehöret, und dagegen die Christen, die das Menschen-Morden an den Heyden, so sehr verabscheuten, und so viel von Liebe schwazten, sich selber unter einander aufzureiben angefangen, und zwar allemal ums Glaubens willen, den ein jeder Phantast dem andern aufdringen, und doch dabei den Namen eines Jüngers des sanftmüthigen Jesu behaupten wollte.[74]

§ 162. Ich, meines Orts hatte von Glück zu sagen, daß dieser unsinnige Eyfer in Oesterreich nicht so brennend war, als in Spanien. Ich würde sonst unfehlbar ein Brand -Opfer deßelbigen geworden seyn. So aber kann ich mit Wahrheit sagen, daß ich unter dasigen Catholiquen, mehr Liebe, Dienstfertigkeit und Höflichkeit genossen, als unter allen meinen Glaubens-Verwandten. Selbst der Pfarr von Wyrmlingen war mein sehr guter Freund, und wir besuchten einander oft, ohne uns jemals über Religions-Sachen zu zancken. Wenn Er bey meiner Herrschaft speisete, welches nicht selten geschahe, so pflegte er gemeiniglich sein Brevier (das ist, seine von dem Pabst ihm vorgeschriebene, und bey Strafe einer Tod-Sünde nicht zu verabsäumende Gebeths-Formel) auf meinem Zimmer zu bethen, und das ging allemal dergestalt auf der geschwinden Post, daß ich manchmal heimlich lachen muste, wenn ich bedachte, daß dieses Geplappere von den armen verblendeten Leuten, Gott noch als ein Dienst angerechnet wurde.

§ 163. Wie ich den ersten Capuciner zu sehen kriegte, der in guten Vertrauen, unangemeldet auf mein Zimmer kam, eben, als ich meinen jungen Herrn und die älteste Comtesse informirte, so gestehe ich, daß ich mich entsezte, denn meine liebe Mutter hatte mich in Weissenfels, in meinen Kinder-Jahren, wenn ich nicht fromm seyn wollte, mit einer solchen Mönchs-Larve, die die Magd umnehmen muste, zu fürchten gemacht. Diese Idee fand sich, bey dem unvermutheten Anblick dieser bartigen Creatur, wider bey mir ein, und ich hatte Mühe, meine Bestürzung, bey seiner freundlichen Anrede, nicht mercken zu lassen. Wie ich aber sah, wie freundlich mein junger Herr (der damals noch nicht so alt war, als ich, wie man mich in Weißenfels mit einer solchen Figur scheuchte) an denselben ansprung, und wie lustig Er selber, mit der Comtesse scherzte, so wurde ich vertraulicher. Wer mir aber damals hätte sagen sollen, daß ich noch selber einmal einen solchen Bartmann würde vorstellen müßen, dem hätte ichs wohl nicht geglaubt.

Genug, ich wurde mit den dortigen Pfaffen, so viel derselben zu meiner Herrschaft sammlen kamen (denn so sagt man von den Bettel-Mönchen, wenn sie bey den umliegenden Herrschaften zu ihrer Nothdurft etwas Betteln) nach und nach so bekannt, daß ich sie auch in ihren Klostern besuchte, und allemal wohl von ihnen tractiret wurde.

§ 164. Einstmals, als ich, mit meinen jungen Herrn, die Capuziner und Minoriten zu Tulle heimsuchte, gefiel mir bey den ersteren des Pater Guardians leutseliges und ehrliches Wesen sonderbar. Er war ein alter Greiß, Aber so liebreich, gefällig, und geschäftig,[75] daß Er nicht allein uns allenthalben herumführete, und uns die nette Armuth seiner untergebenen sehen ließ, sondern uns auch, mit allen, was er in der Geschwindigkeit nur auftreiben kunte, recht herzlich bewirthete.

Von da gingen wir zu den Minoriten, allwo uns eben der Pater, der die Maria vor die Materia prima ausgab in dem Creuzgange herumführete, und uns in gewißen Bildern das ganze Leben und Wunderthaten des h. Francisci, ungefehr nach der Vorstellung zeigete, wie sie in dem Libro Conformitatum oder dem Alcoran der Cordeliers beschrieben werden. Unter an dern Seltsamkeiten war auch das Fegefeuer abgebildet, so über und über, mit allerhand Seelen, männlichen und Weiblichen Geschlechts angefüllet war. Oben über dem Rauchloche lag der h. Franciscus auf den Knien, und ließ den Strick, mit welchem Er umgürtet war, mitten in die Flammen, und die Seelen hiengen sich an solchen haufenweise, um aus der unbequemen Herberge herausgezogen zu werden. Man hätte dencken sollen, sie müsten Ihn mit hinabreißen. Ich konnte mich nicht enthalten, den Pfaffen, der uns herumführete, zu fragen: Ob denn der Gürtel des heiligen Vaters nicht nach gerade versenget würde. Allein er gab mir lachend zur Antwort: dergleichen Vorstellungen geschähen nur um der einfältigen willen. Ich gehörete damals noch mit unter diese Classe, indem ich mir die Hölle meiner Secte fast auf gleiche Art einbildete: Allein ich dachte Wunder, wie klug ich wäre, wenn ich mich über das Fegefeuer der Päbstler moquiren konnte.

§ 165. Ein ander Mal war ich in dem Franciscaner-Kloster zu Neuen-Lembach, wohin mich die Mönche auf ihren sogenannten Fasching oder Carneval eingeladen hatten. Sie thaten mir alle Ehre an, und ich kann sagen, daß ich niemahls Bettler reichlicher und delicater habe speisen sehen, denn weil sie vermöge ihrer Religion dem Fleische nun auf 6 Wochen Balet sagen musten, so schien es, daß sie sich auch auf 6 Wochen an denselbigen satt eßen wollten. Alles war aufs schmackhafteste und sauberste zubereitet, und ob sie schon wie König Agathocles alle aus irdenen Geschirren speiseten, und ein jeder von den Mönchen, verderblicher Weise sein eigen Schüßelchen, Tellerchen und Trinkgeschirr hatte; so war doch die Tafel, woran der Pater Guardian, der Pater Vicarius, der Pater Kuchelmeister und der Pater Kellner, mit mir und dem Kammerdiener vom Grafen von Kornfeil speiseten, von diesem Gesez ausgenommen, und wir speiseten, was die Geschirre anbetraf, zwar eben so Königlich wie die andern Bettler: Aber ich zweifle, ob es manchen Könige auf seinem Goldenen[76] Service so gut schmecken wird, als es mir und diesen guten Mönchen schmeckte.

Der Pater Vicarius, der etwas schlauer war als die andern, und leicht dencken konnte, daß ich, als ein Ketzer, an den herrlichen Leben dieser reichen Bettler einen Anstoß nehmen möchte, suchte meinen Gedanken zuvorzukommen und wieß mir unter währender Malzeit, wie schon der gute Wein die Geister ein wenig ermuntert hatte, ein, der Tafel gegenüberhangendes Gemälde, auf welchen Christus, weiß nicht, ob auf der Hochzeit zu Cana, oder beym Osterlamme, abgebildet war, und sagte dabey: Wenn sich jemand, da sie arm wären, an ihnen stoßen solte, daß sie dem Fleische auch etwas zu gute thäten, so wolten sie Ihn hiermit auf das Exempel Christi gewiesen haben, der auch arm gewesen wäre, und deswegen doch eine gute Mahlzeit nicht verschmähet hätte.

§ 166. Ich lachte heimlich über die heilige Schalckheit dieses Mönchs. Doch wünschte ich, in Ansehung der Bequemlichkeit, Ordnung und Freyheit von allen Sorgen der Nahrung, in welcher diese Leute, auf anderer Thoren Conto leben und nichts arbeiten, wohl auch ein solcher Bettler zu seyn. Denn was braucht ein Mensch zur Nothdurft dieses Lebens mehr, als Nahrung und Kleider, Dach und Fach. Vor dieses alles darf ein solcher Ordens-Bruder nicht einen Augenblick in seinem ganzen Leben sorgen. Alles wird Ihm, ohne die mindeste Arbeit, nicht nur linlänglich, sondern reichlich und überflüßig gegeben. Wenn er in die Sammlung, oder deutsch zu reden, Betteln geht, so gehet er auf eine so angenehme Art spaziren, daß Er sich in der Welt keinen beßern Zeitvertreib wünschen kann.

Wo Er hinkomt ist Er nicht nur, ohne Geld zu Hause und aufs beste und bequemste accommodiret, sondern Er trift auch immer andere und andere angenehme Gesellschaften an, mit denen Er nach Herzenslust umgehen und seine Zeit sowohl und vergnügt passiren kann, daß man ein solch Bettler-Leben wohl ein recht glückseelig Leben nennen kann. Andere Bettler müssen sich mit Ungestüm und groben Worten, von einer Thür zur andern weisen, und mit einem unwilligen Helf dir Gott, die Thüre vor der Nase zuschlagen laßen; diese aber sind nicht nur allenthalben aufs freundlichste und von dem schönen Geschlechte aufs andächtigste willkommen geheißen; sondern die Hülfe Gottes, die andern Bettlern mehr in Form eines Fluchs angewünschet wird, stehet diesen gleich mit offenen Armen parat, und gratuliret sich gleichsam, daß sie gewürdigt wird, von der Nothdurft so heiliger Hungerleider angenommen zu werden; und da andere ihr Bißchen schimlicht Brod, das ihnen nicht selten, mehr vorgeworfen,[77] als gereichet wird, mit gröster Beschwerde selber auf dem Buckel umhertragen müssen, so haben hingegen die Bettelmönche ihre sogenannten Träger, die das, was ihnen an Korn, Wein, Eyern, Lichten, Flachs, Schmalz, Salz und andern Nothwendigkeiten mit der größten Freundlichkeit und sehr reichlich, von den Leuten gereichet wird, annehmen, und Fuderweise nach ihren Klöstern fahren müssen.

§ 167. Wer sollte wohl Bedenken tragen ein so glückseeliger, geehrter und allenthalben beliebter Bettler zu seyn, wenn der blinde Gehorsam, kraft dessen sich oft das ehrlichste und billigste Gemüthe von seinen feindseeligen Obern aufs infamste scheeren laßen muß, nicht alle die andern, sonst nicht zu verachtenden Vortheile, verbitterte, und edlen Gemüthern diese Lebensart unerträglich machte. Es darf der Guardian oder Bettelvogt eines solchen Klosters nur halbwege mercken, daß es einem seiner Brüder in dem Kloster und der Gegend, wo er sich dermalen befindet, wohl gefällt, so ist es schon genug, wenn Er ihn mortificiren will, denselben in ein ander Kloster zu senden, und an seine Stelle einen andern, von dem fremden Kloster zu berufen, und da müßen sich dann beyde, auf die Art verwiesene, ohne die geringste Widerrede gefallen laßen, sich auf die Füße zu machen, und in eine ganz fremde, oft 50 und mehr Meilen weit entlegene Provinz zu wandern, unwißend, wie lange sie auch da ihr Bleibens haben, oder wenn es ihnen nicht da anstehet, wie lange sie mißvergnügt daselbst zu leben, bestimmt seyn möchten.

Wer demnach gerne in dem Kloster, worin Er einmal ist, länger bleiben, und das Vergnügen des Müßiggangs (welches die meisten Mönche macht) in dasigen Bekannten und ihn auf mancherley Art vergnügenden Gegenden ungestört genießen will, der muß entweder den jedesmaligen Guardian (der alle Jahr wechselt) zu seinen Patron haben, oder sich bey Leibe nicht mercken laßen, daß er nicht gerne den bereits gewohnten Bezirk verlaßen möchte, sonst darf er sich gewiß die Rechnung machen, daß er nicht lange allda hausen werde.

§ 168. Mir wäre bald ein seltsamer Poßen in diesem Kloster widerfahren, denn ein gewißer sogenannter Layenbruder, der Frater Michael, der ein Schneider war, und oft zu uns in die Sammlung kam, da Er merkte, daß ich vom Wein, den mir diese Bettler, auf Gesundheit meiner Herrschaft, tapfer zutrancken, etwas lebhaft wurde, präsentirte mir unvermuthet eine Mönchs-Kutte, mit dem Bedeuten, daß mir solche wohl nicht übel laßen würde, ich möchte sie doch zum Spaß einmal anlegen. Hätte ich diese leichtfertige Masque einmal an meinen Leib gebracht, so würde ich auch so gewiß ein Bettel-Mönch haben bleiben müßen, als gewiß ist, daß sie diesen Sclaven-Habit[78] dergestalt heilig halten, daß sie ihn Keinem erlauben, der sich nicht in seinem Leben, entweder zu ihren Orden bekennet, oder, nach seinem Tode, um eine desto sichere Himmelfahrt zu halten, in selbigen einkleiden läßet. Diese Thorheit begehen sogar Frauenzimmer von Stande, die in ihrem Leben wohl nicht den Hintern an diese schweißigte Schmutz -Küttel gewischt haben würden, und glauben steif und fest, daß sie der Teufel in dieser Verkleidung unmöglich werde Contrebande machen können.

Ich hatte aber noch so viel Verstand übrig, die Folgen von einer solchen Kurzweil einzusehen, lehnte also das höfliche Anerbieten des Frater Michaelis mit gleichmäßiger Höflichkeit ab, und spielte dargegen lieber mit den Mönchen, nach der Tafel, eins im Brete, biß es Zeit war, wider nach meinem Schloße zu kehren, auf welchen ich auch ganz munter, und ohne den geringsten Anstoß gegen Abend, wider anlangete.

§ 169. In den Klöstern dieser Bettel-Mönche, giebt es nicht viel merkwürdiges zu sehen. Sie sind, was die Gelehrsamkeit betrift, die gröbsten Ignoranten die man finden kann; und besitzen, außer dem bißchen elenden Latein, daß sie sprechen, sonst wenig, oder nichts, von höheren Wissenschaften, und ich zweifle, ob einer unter ihnen, wenn ich ihn hätte fragen sollen, einmal so gelehrt gewesen seyn würde, als jener Parlaments-Advocat beym Hrn. Hollberg, der in dessen Leben p. 71 den Titum Livium vor den Zerstörer der Stadt Jerusalem ausgab. Wenn ich ihnen bisweilen aus der Historia politica und ecclesiastica, nur etliche wenige, auch Schülern bey uns bekannte Brocken vorwarf, so sperreten sie schon Maul und Nasen auf, und hielten mich vor einen gelehrten Mann, und diese Stellung half mir doch so viel, daß mich einer, der mich einmal in derselbigen gesehen hatte, nicht leicht mit Religions-Disputen anzapfte.

§ 170. Es ließ sich aber doch nicht überall vermeiden, besonders wenn der Wein der Alleinrechthaberey dieser heiligen Leute die Sporen gab, und ihnen einbildete um ein Paar Stufen höher in den Himmel zu rücken, wenn sie einen Ketzer bekehren würden. Daher, als ich einmal das Kloster St. Andre in meiner Nachbarschaft besuchte, wo Canonici regulares St. Augustini oder sogenannte Herrn-Geistlichen, das ist keine Bettel-Mönche lebten, kunte ich nicht verwehren, daß sich nicht einer dieser Herren, an mich gemacht, und mich zu bekehren gesucht hätte.

Der Prälat, der eben in Erbauung einer neuen Kirche beschäftigt war, empfing mich sehr freundlich, und lud mich, nebst dem Cammerdiener meines Herrn, alsofort ein, im Convent mit zu speisen:[79] Die Herren Conventuales nahmen uns gleichfals mit aller Höflichkeit und Freundlichkeit auf. Denn Oesterreich ist in dem Punct der Gastfreyheit und gesellschaftlichen Betragens, vor allen Ländern die ich gesehen, die Krone. Man kann den Leuten keine größere Gefälligkeit, oder, wie sie zu reden belieben, Gnade anthun, als wenn man sie oft besucht, und niemals wird man gleichgültig oder gar kaltsinnig von ihnen aufgenommen.

Ehe wir zur Tafel giengen, bat ich mir aus, die Bibliothec zu besehen. Der Pater Bibliothecarius war also fort willig, mir solche zu zeigen. Ich hatte gehört, daß diese Bibliothec verschiedene Manuscripte haben solte, die der Curiosité eines gelehrten wohl werth seyn können, wenn man sie mit Aufmerksamkeit hätte betrachten dürfen: Weil ich nun damals noch steif und feste glaubte, daß einmal ein Pabst auf eine gewiße Art überschattet worden, daß Er ein Kind bekommen, so forderte ich mir, um meinen Pfaffen eins anzuhängen das Manuscript de vitis Romanorum Pontificum so man insgemein von Anastasio Bicliothecario verfertiget zu seyn glaubet; man weiß, daß viele wackere gelehrte das Histörchen von der sogenannten Päpstinn Johanna daraus zu erweisen suchen, und ich hätte damals gerne gesehen, daß ich meine geistlichen, die diß Gedichte mit Recht läugnen, von der Wahrheit der Sache aus ihren eigenen Schriften hätte überzeugen können: Allein ich erhielt weder den Anastasium, noch des Martini Poloni Chronicon, noch des Mariani Scoti Historie, ungeachtet ich nach allen dreyen fragte, und es schien, als wenn der Bibliothecarius wißen mochte, warum ich insbesondere nach diesen Schriften so curiös war.

§ 171. Sonst schien mir diese Bibliothec noch so ziemlich ordentlich eingerichtet zu seyn. Aber die Wercke der gelehrtesten und berühmtesten Ketzer neuerer Zeiten, und worunter alle und jede verstanden werden, die sich nicht zur Römischen Kirche bekennen, muß man in dasigen Büchern-Sammlungen nicht suchen, und was historia literaria ist, das ist diesen guten Leuten kaum dem Namen nach bekannt.

Es war mir demnach ganz lieb, daß endlich die Freß-Glocke geläutet wurde. Denn auf der Bibliothec fand ich weder vor dem Leib noch vor das Gemüthe etwas, und meine geistlichen Herren schienen auch froh zu seyn, daß ihrem Fleische Speise und dem Vieh sein Futter gegeben werden solle.

Sie führeten mich also, nebst dem Cammerdiener meines Herrn ins Refectorium, allwo wir eine nette Tafel gedeckt fanden und Hofnung hatten, Leib und Gemüthe bald auf eine vergnügendere Art zu[80] erquicken. Ehe wir uns aber sezten, packte mich ein Pater aus der Geselschaft an, der mich vorher noch nicht gesehen hatte, aber schon von Wein etwas begeistert war. Er fragte mich, ob ich Catholisch wäre, und ich antwortete: Ja; Er frug weiter: ob ich auch Römisch-Catholisch wäre, und ich antwortete auch mit Ja; Er wollte aber nähern Grund wißen, deßwegen, fragte er ferner: Warum ich dann nicht in die Meße gienge, wenn ich Römisch-Catholisch wäre. Ich antwortete aber: Weil der Apostel Paulus in der ganzen Epistel an die Römer, nicht das geringste von der Meße geschrieben hätte. Darauf lachten Ihn seine Cameraden wacker aus, und mein Catechet kriegte mich bey der Hand, und sagte: Du magst mir der rechte seyn. Das Final vom Discourse war dieses, daß Er mir Brüderschaft anbot, und wir trancken solche würklich noch vor der Tafel, vertrugen uns auch die ganze übrige Zeit meines Daseyns, dergestalt wohl, daß ich mich nicht im geringsten über diese Herren zu beschwehren hatte. Denn nach aufgehobener Tafel, die herrlich war, führten sie mich in ihren schönen Garten, wo eine lange Kegelbahn war, auf selbiger zohen sie mich, als beßer geübte, um etliche Gulden, zechten mir aber dabey von dem guten Oesterreicher Wein, so viel zu, daß ich ziemlich catholisch nach Hause kam.

§ 172. Es nennte sich dieses Kloster, wie ich aus des Prälaten eigenen Munde vernommen, ein armes Klösterchen, und ich wuste doch, daß dessen jährliche Einkünfte in 30,000 Gulden bestunden, woraus man leicht abnehmen kann, was die reichen Abteyen, zum Exempel Closter Florian in Ober-Oesterreich, Kloster Molck, Gottweich, Neuburg, und andere in Nieder-Oesterreich vor Einkünfte haben müssen, da sie selber von den Oesterreichern, nämlich Kloster Molck die reißende Metze, oder nach unserer Redensart, der gerüttelte Scheffel, Kloster Gottweich, der klingende Pfenning, und Kloster Neuburg der rinnende Zapfen genennet werden.

Man hat mit diesen Benennungen die Verschiedenheit der Einkünfte dieser Klöster, die alle Benedictiner-Ordens sind, bemerken, und durch die erste Benennungen so viel sagen wollen, daß das Kloster Molck seine meisten Einkünfte vom Getraide hätte, gleich wie Gottweich am baaren Gelde, und Neuburg vom Weine, wie ich denn Anno 1727 erstaunet bin, von einem Mönche aus diesem Kloster, an meines Herrn Tafel zu hören, daß sie dieses Jahr ungefehr 10000 Eimer Zehent zu gewarten. Da nun bekannt ist, daß diese Art Leute, ihren wahren Reichthum eher zu verkleinern, als zu vergrößern suchen, so kann man leicht gedenken, was sie an eigenen Gewächse, in dortigen weinreichen Gegenden erhalten haben müßen.[81] Doch weil ich meinen werthesten Lesern doch nichts von diesem Götter-Trancke vorsetzen kann, ungeacht der beste um die Gegenden Nußdorf und Kloster Neuburg, wegen der vielen, in den Weingärten angelegten Secrete, eben keinen appetitlichen Namen führten, indem man ihn dort herum nur Scheiß-Häusel-Wein nennet, so will ich sie auch nicht länger mit Beschreibung meiner Kloster-Ebentheuer aufhalten. Ich erinnere mich nur bei der Gelegenheit noch, der treuherzigen Ermahnung, die mir einmal der Dechant von Zweetendorf, über meines Herrn Tafel gab, als er mich, nach dem Exempel meiner Herrschaft den Wein mit Wasser vermischen sahe. Ey! sagte er, halb unwillig, Herr Hofmeister, was machen sie? Vina bibant homines, animantia caetera fontes. Ich lachte zwar; doch folgte ich seiner Ermahnung und fand, daß ich mich beym puren Wein beßer, als bey gewässerten befand.

§ 173. Meine liebe Herrschaft war, wie bereits erwähnet, lutherisch, und zufolge dieses Glaubens muste Sie, da Sie keine eigene Priester halten durfte, so oft sie sacramentiren wolte, solches entweder in Wien bey dem Schwedischen oder Dänischen Gesandschafts-Prediger, oder zu Oedenburg in Ungarn verrichten. Diß geschahe gemeiniglich Wechsels-Weise, und dißmal, als das erste Mal meines Daseyns in Oesterreich, gieng unsere Wallfahrt nach Ungarn. Ich kann nicht sagen, wie ich mich freuete, daß ich dieses so schön beschriebene Land sollte zu sehen kriegen: Allein ich fand es um die Gegenden von Oedenburg und Preßburg (wenn man den Strich um den Neusiedler-See ausnimmt) doch lange nicht so reitzend und anmuthig, als viele Gegenden in Sachsen und Thüringen: muß aber demungeacht doch sagen, daß mirs in Ansehung der höflichen und leutseligen Lebensart der Einwohner, und des köstlichen Weins, mit welchen mich die Söhne unsers Hausherrn, die Herren Ebener reichlich bewirtheten, sehr wohl da gefallen, und ich erinnere mich nicht, mich jemals in meinem Leben, mehr an guten Most erquicket zu haben, als damals, ungeachtet das 1725ste Jahr eins der schlechtesten Wein-Jahre, so wohl in Oesterreich als Ungarn war.

Die Herren Ebener, unsers Haus-Patrons Söhne, trugen eine ungemeine Liebe zu meiner Wenigkeit, und suchten mir auf allerhand Art ein Vergnügen zu machen; sie nahmen mich nicht allein auf die Jagd, in die benachbarten Castanien-Wälder, wo es doch aber nichts in die Küche sezte, weil ein jeder alda blänckeln gehet, und die Wildbahn dort herum der Oesterreichischen gar nicht gleich kommt, sondern ich muste auch ihre am Neusiedler See gelegenen Weingärten besehen,[82] und mich an den schönen, bisweilen wohl drey vierthel Ellen langen Trauben ergötzen.

§ 174. Ich war aber in Ansehung der Lebensart, in Anfange etwas schüchtern, denn ich hatte gehört, daß Ungarn der Teutschen Kirchhof sey; weil ich nun mein junges Leben noch lieb hatte, so dachte ich so diät und mäßig zu leben, als mir immer möglich seyn würde. Allein die Söhne unsers Hausherrn sagten: Wenn die Deutschen in Ungarn, wie die Ungarn leben wollten, so würden sie in Ungarn nichts zu befürchten haben. Ich bat um Erklärung dieses Rätzels, und sie sagten mir, ich sollte meinen Ungrischen Wein (versteht sich allemal einen feurigen) wie das Wasser, nach Durst trinken, und meinen Ungrischen Tabac dazu rauchen, und mich vor nächtlichen Erkältungen in Acht nehmen, so würde mir nichts widerfahren. Es kamen mir diese Gesundheits-Reguln anfangs fremd vor: Allein die Erfahrung hat mich gelehret, daß sie sehr heilsam waren. Denn wie ich sie das erste Jahr befolgte, da es doch überhaupt ein ungesundes Jahr war, da that mir keine Ader weh, ungeachtet wir über 4 Wochen in Oedenburg blieben, und ich währender Zeit, auch den stärksten Türkischen Tabac, den man dort Wascha Tohan (oder Bascha Duhan) nennet, zum Ungrischen Wein gerauchet. Wie wir aber Anno 1726 wider nach Ungarn kamen, da hätte mir es bald mein Leben gekostet.

§ 175. Mein Herr, der allerliebste Graf von Kornfeil, der erfahren hatte, daß ich im vorigen Jahr auf gut Ungrisch gelebt, dachte, wenn ich in diesem Jahre, da der Wein ungleich vortreflicher, als im vorigen, und ein rechter Nectar war, wider so leben würde, so möchte ich vielleicht krank werden; deswegen rieth er mir in guter Meinung, daß ich mich des Ungrischen Weins und des Tabacs enthalten solte. Er nahm auch deswegen einen Eymer Oesterreicher mit hinunter, den wir die 4 Wochen über mit einander austrinken wolten.

Ich gehorchte in allen, und außer den wenigen Gesundheiten, die man über der Tafel in Ungrischen Wein zu trinken pfleget, und die in allen, diese 4 Wochen über, keine 2 Maaß ausmachen konnten enthielt ich mich des Ungrischen Weins fast gänzlich, und rauchte auch sehr wenig Tabac. Allein den Tag vor unserer Abreise, wurde ich über der Tafel, da ich mit der Gräfin und der jungen Herrschaft alleine speisete, dergestalt plötzlich krank, daß ich von der Tafel aufstehen muste. Ich bekam eine Hitze, daß ich dampfte, und ein reißen in allen Gliedern, daß ich auf keiner Stelle eine Minute liegen konnte, und mich meines Lebens verziehe.

Meine treue Herrschaft that alles mögliche mich zu erhalten, und[83] wollte mir durchaus zur Ader lassen. Ich bat aber, aus einem, nicht undienlichen Eigensinn, dessen Grund ich damals selber nicht verstund, solches nicht eher zu thun, als bis sie sehen würden, daß ich meinen Verstand verlohren, so lange ich diesen noch hätte, möchten sie mir nicht zur Ader lassen. Man war zwar nicht zufrieden darmit: Allein ich blieb dabei, doch muste ich, um nicht gar zu eigensinnig zu scheinen, einige Tropfen von der Hallischen Artzney einnehmen, und nach einer sehr üblen Nacht, die mich biß um 2 Uhr in grösten Schmerzen schlaflos hielt, begunte ich endlich einzuschlafen, und schlief biß gegen 6 Uhr ganz ruhig, und wie ich wider aufwachte, that mir keine Ader mehr weh.

§ 176. Ich weiß nicht, ob ich diese schnelle Genesung der Kraft der Hallischen Arzney, oder meinem Eigensin, daß ich mir nicht zur Ader lassen wollen, zu danken habe. Doch lernte ich bey der Gelegenheit meine Natur ein wenig kennen, und sahe, daß was mich attaquirte, mich gleich mit der äußersten Force angriff, wenn ich aber der Natur, ohne sie mit vielen Medicamenten irre zu machen, nur ihren Lauf ließ, sich selbige bald wider erholete.

Allem Ansehen nach hatte ich mir diese Krankheit mehr durch nächtliche Erkältung, als durch andere Ausschweifungen zugezogen. Denn wer sich in Ungarn, nach der fast unerträglichen Tages-Hitze, gegen die Nacht, beym Schlafengehn, was zu gute zu thun gedencket, wenn er sich fein bloß zu Bette leget, der komt erschröcklich blind, indem bald auf die große Hitze, eine so schnelle Kälte einfält, daß einem die Zähne klappern, und was kan eine so jählinge Veränderung nicht vor Unheil in unsern Körpern stiften. Ich ließ mir indessen diesen Zufall zur Warnung dienen, und lebte die übrigen Jahre in Ungarn auf gut Ungrisch, wobey ich mich auch sehr wohl befand, und weiter nicht den geringsten Anstoß hatte.

§ 177. In Oedenburg lebten die Lutheraner noch so ziemlich ungekränkt, sie hatten ein eigen Bethaus da, welches zwar viel größer, als manche Kirche war, doch durften sie es keine Kirche nennen, weil sie keine Glocken halten durften: Sie konnten aber dieser Kosten auch leicht entbehren. Denn die Franciscaner, die ihre Schellen ohnedem mehr als zuviel hören ließen, musten ihnen zufälliger Weise, und wider ihren Willen mit zur Kirche läuten.

Es war der Zulauf von Menschen (die von vielen Meilen dort herum zusammenkamen) in diesem Bet-Hause so groß, daß sie einander hätten erdrücken mögen, wobey mir aber damals schon höchst mißfällig war, zu bemerken, daß das Ansehen der Person in unsern Kirchen, ungleich weiter als bey den Catholicken eingerißen war.[84] Denn bei diesen ist's nicht seltsam, daß ein Graf bey der Messe neben einen Bauer kniet. Aber da, muste das arme Bauer-Volck, welches von vielen Meilen her, sich matt und müde gelaufen hatte, ein Geschwätz mit anzuhören, so es auch zu Hause, aus einer Postille, hätten lesen können, die ganze Zeit des sogenannten Gottesdienstes stehen, und bißweilen vor Hitze und Gedränge gar in Ohnmacht fallen; dahingegen die Reichen in ihren weiten und geraumen Kirchen-Stühlen, sich nach aller gemächlichkeit Brüsteten, und eben so sanft in denselben schliefen, als unsanft der sogenannte gemeine Mann in denselben wachen muste.

§ 178. Es waren damals zwey Prediger in Oedenburg, die ungeachtet sie beyde an dem Evangelischen Bet-Hause stunden, und der Gemeine ein Exempel der Eintracht, und der Verträglichkeit hätten geben sollen, doch schienen einander recht entgegen gemacht zu sein. Denn sie thaten einander alles zum Verdruß, was nur irgend mit einigen Schein des Rechten sich thun lassen wolte.

Der Erste, Namens Pilgram war von einen Cholerischen Temperamente, ein Stats-Mann und Politicus und pflegte lieber mit vornehmen Leuten und Standes-Personen, als mit gemeinen oder Mittel-Menschen umzugehen: der andere aber, Serpilius, war ein Sanguineo-Phlegmaticus, und hielt es mit der geringeren Sorte von Menschen, gegen welche Er sich gar leutseelig und freundlich bezeigte, und dadurch eben so viel Liebe, als Pilgram durch seine Hohenpriesterlichen Geberden, Scheu und Furcht erwarb.

§ 179. Nichts war bey ihrer Eyfersucht kentbarer und leichter zu bemerken, daß sie einander zu scheren suchten, als wenn sie predigten. Denn Pilgram, welcher zweymal schiene gegangen zu seyn, wie man Eygenliebe und Selbstgefälligkeit ausgetheilet hatte, redete nach dem Tacte, und mit einer gewissen, nach der Unfehlbarkeit schnappenden Mine, die denen, von welchen Er, nicht ohne Grund, bisweilen Widerspruch besorgen muste, seinen Zorn und Ungnade, zeitlichen Tod und ewige Verdamniß droheten, und in dieser fürchterlichen Positur kunte Er das Ende seiner Predigt oft in zwey bis drittehalb Stunden nicht finden.

Hingegen redete Serpilius sehr hurtig und flissend, und nicht anders, als wenn Er ein Gespräch mit guten Freunden hielte, die Er mit einem leutseeligen und Ehrerbietigen Wesen sich geneigt zu machen gesonnen. Sein Vortrag war angenehm und einnehmend, und wenn man Ihm am besten zuhören wolte, so war die Predigt zu Ende. Man nahm an den Pilgram bey aller Gelegenheit wahr, daß ihm diese Art zu predigen nicht anstund: Allein Er war nicht[85] im Stande es zu ändern, und die Zuhörer fanden endlich bey allen beyden dieser Männer Gottes ihr Conto.

§ 180. Einmal besuchte ich ihre Schul-Bibliothec, die nicht zu verachten war, und der freundliche Serpilius, der eben mit zugegen war, würde mir mit Vergnügen, alle Merkwürdigkeiten gezeigt haben, wenn der stolze Pilgram, der allem Ansehen nach, kein sonderlicher Literator seyn mochte, und doch jenem nicht die Ehre gönnen wolte, seine Geschicklichkeit dißfalls sehen zu laßen, nicht Mittel gefunden hätte, unter allerhand kahlen Discursen die Zeit zu vertändeln und mich dieses Vergnügens zu berauben. Ein eintziges muste er mir doch laßen, so mir aber nach langen Jahren erst gefiel, und damals mehr Schröcken, als Vergnügen bey mir erweckte. Es hätte es Seine Heiligkeit, der Herr Pilgram auch gerne verhindert, wenn der Hr. Serpilius nicht so unvermuthet damit wäre aufgezogen kommen. Es war eine gewiße Dissertation, oder Tractat, wovon mir der Titel und Verfasser desselben wider entfallen ist. Meines Behalts handelte er vom h. Abendmale, und das merkwürdigste, worüber der Hr. Serpilius seine Gedanken gegen mich eröfnete, war, daß der Verfasser dieses Tractats auf 120erley verschiedene Meinungen vom rechten Verstande der Worte der Einsetzung gesammlet hatte. Er schien über die erstaunende Ungewißheit eines der vornehmsten Grund-Articul der christlichen Lehren, seine heimlichen Gedanken zu haben, durfte sie aber in Gegenwart seines Nebenbuhlers, des Hr. Pilgrams, nicht äußern, und ich selber würde zur selbigen Zeit auch noch nicht fähig gewesen seyn, seine etwanigen Anmerkungen über diesen Punct zu faßen, sondern Ihn eher vor einen Schwärmer und Ketzer, als vor einen Freund der Wahrheit gehalten haben, wenn Er eine andere, als die Lutherische Meinung hätte vor Recht erklären, oder wohl gar die Unnothwendigkeit, über diese Ceremonie zu zancken, hätte äußern wollen.

§ 181. Nach Verfließung dreyer Jahre, in welchen ich in den Diensten meiner allerliebsten Herrschaft recht vergnügt gelebt, fieng ich endlich an Calender über meinen Zustand und künftiges Schicksal zu machen. Ich stellte mir vor, daß ich immer älter würde, und daß ich mit der Zeit in meinem Vaterlande, im Punct der Beförderung in Vergeßenheit gerathen, oder als ein Herumläufer wohl gar abund mit Spott und Verachtung denen wider zugewiesen werden möchte, denen ich außerhalb Landes, meine besten Jahre aufgeopfert.

Diese Vorstellung würde ich nicht nöthig gehabt haben, wenn meine liebe Herrschaft nicht in der sogenannten gedrückten Kirche gelebet hätte, und im Stande gewesen wäre, mich selber zu befördern: Allein da diß nicht möglich war, und ich gleichwohl nichts anders,[86] als die geistliche Schwätz-Kunst gelernet hatte, welche ich in den drey Jahren meiner Bedienung gänzlich hatte müßen brache liegen lassen, so fing mir an bange zu werden, daß ich sie, wenn ich noch länger ohne Uebung in derselben bleiben solte, endlich gar vergeßen möchte.

§ 182. Ich schien also gegründete Ursachen zu haben, auf Mittel zu denken, wie ich wider zu einiger Uebung in derselbigen kommen, und mich geschickt machen möchte, ein Predig-Amt mit Ruhm zu bekleiden. Wien war also der Ort, wo ich mein Theatrum aufzuschlagen, und mich durch Predigen bey denen Schwedischen und Dänischen Gesandten, bey auswärtigen Herrschaften beliebt zu machen gedachte, nur wuste ich die Sache noch nicht recht mit Vortheil anzugreifen, ohne meine liebe Herrschaft, von welcher ich in guten Vernehmen Abschied zu nehmen gedachte, vor den Kopf zu stoßen.

Wäre dem Menschen sein künftiges Schicksal bekannt, wozu Er gemeiniglich durch seine eigenen Handlungen Anlaß geben muß, so ist gewiß, daß 1000 Dinge nicht von ihm geschehen würden, die geschehen, weil Er nicht weiß, was seine, oft aufs klügste ausgedachten Handlungen, vor Folgen nach sich ziehen können. Aufs wenigste ist sicher, daß wenn ich vorher gewust hätte, was mir in Wien und in der Folge der Zeiten begegnen würde, ich bey dem Hrn. Grafen von Kornfeil, lebenslang, lieber einen Schreiber oder Kammerdiener abgegeben, und meine Freiheit behalten haben würde, als daß ich mich in Wien unter das pietistische Joch gebeugt, und ein Sklav von dem heiligen Eigensinn einer gestrengen Frau geworden: Allein es traf auch hier das Sprüchwort ein: wenn dem Esel zu wohl ist, so gehet er aufs Eyß tanzen.

§ 183. Nichts trieb mir von meiner gnädigen Herrschaft weg, als die unüberlegte Begierde ein Pfarr zu werden. Sie schien gegründet zu seyn, weil dieser Stand doch gleichwohl der Hauptzweck meines vieljärigen mühsamen Studirens war, den ich in den Diensten meiner Herrschaft nicht erreichen konnte, und solchen mit einem andern zu vertauschen, nicht allein weder Mittel noch Wege wuste, sondern auch zur selben Zeit mir das gröste Gewissen gemacht haben würde, solches zu thun. Ich muste also nicht sondern vielen Verdruß erfahren, daß Gott ganz andere Wege mit mir zu gehen vor hatte, und daß es auch hier hieß: der Mensch denkt, Gott lenkt.

Ich entdeckte das Vorhaben, meine Dienste zu verlassen, dem damaligen Schwedischen Legations-Prediger, Hrn. Lerchen, und bat Ihm, daß er nur zu einer Condition in Wien möchte behülflich seyn. Ehe aber dieses geschahe, hatte ich mich schon vorher, auf vernehmen, daß der damalige Kayserliche Rath und Hofmahler, Hr. Fischer, einen[87] Informatorem verlangte, bey demselben angegeben, und Ihm, bis auf näheren Bescheid, einige Hofnung gemacht, diese Stelle anzunehmen; Wie mir aber der Hr. Lerche, dem ich von diesen allen Part gab, und Ihn bat, mir die Umstände dieser Condition etwas genauer zu beschreiben, meldete, daß ich in derselben, bey einem Salario von etwa 50 Gulden, würde den ganzen Tag angebunden seyn, und meinen untergebenen nimmermehr aus meiner Aufsicht würde kommen laßen müssen, so schien mir ein solch Lumpengeld vor dem Verlust meiner Freyheit, um so viel weniger einiger Aufmerksamkeit würdig zu seyn, jemehr mir der Herr Lerche selbst zu gleicher Zeit eine andere Condition vorschlug, nemlich bey dem reichen Kaufmann oder Niederleger, Hrn. Muhl, der nebst seinem Schwager, dem Hrn. Löschenkohl damals im Löschenkohlischen Hause, auf dem sogenannten Hof wohnete, und mir 120 Gulden Salarium versprach.

§ 184. So bald war dieses nicht richtig, als ich von meiner lieben Herrschaft, mit allen geziemenden Respect, und Vorstellung meiner Umstände den Abschied forderte, und Sie dadurch in nicht geringe Betrübniß und Verlegenheit sezte. Doch fand ich billig, so lange noch meinen Posten zu bekleiden, biß sie wider mit einem andern Hofmeister würde versehen seyn. Dieser blieb aber wohl 2 Monathe aus, und meine Herrschaft fand endlich, bey meinem Stilleseyn, gleichfals billig, mich nicht länger von meiner neuen Bedienung aufzuhalten, sondern ertheilte mir, nebst einem guten Recompense, in allen Gnaden folgenden Abschied.

§ 185. »Ich Hector Wilhelm des H.R. Reichs Graf und Herr von Kornfeil und Weinfelden, Panier und Freyherr auf Würmbla, Grüeb und Erpperspach, Herr des Marckts Spaina-Kirchen im Forst und Amt Mazendorf etc. thue kund und zu wißen, daß vorweiser diß, der Edle und gelahrte Herr Johann Christian Edelmann, aus Meißen von Weissenfels gebürtig sich in meinen Diensten, bey meiner Jungen Herrschaft vor einen Hof-Meister biß drey Jahr hat gebrauchen laßen, wehrend welcher Zeit er sich in solcher Verrichtung dergestalten treu, fleißig und aufrecht verhalten, daß ich jederzeit ob ihme ein sathsambes Vergniegen und alle erfordernde zufriedenheit getragen: hätte ihme derowegen noch gerne lenger in Meinen Diensten sehen und unterhalten mögen: Aldieweilen Er aber sein Glückh und weiteres fortkommen auch anderer Orthen zu versuchen sich resolviret, hat Er mich umb Entlassung seines officii und Zeugniß seines Wohlverhaltens gehorsamst ersuchet, und gebetten: Welches billiges Begehren und Bitten Ich ihme auch seiner mir so Treu und eifrig geleisteten Dienste halber keinesweges verhinderen oder abschlagen können,[88] sondern himit ihme zu desto meherer Beförderung und wohlverdienten recommendation Seiner guet- und wohlverhalten noch diesen urkhundlichen Abschiedt mit meiner eigenen Hant Unterschrift und angebohrnen Adeligen Pettschafts Fertigung ertheilen wollen. Gelange dann anhero an alle Hoch- und Niedere Standts Personen, denen dieses mein Zeuchnuß leistendes Testimonium zu ersehen vorkommt, mein respective dienstfreundliches ersuchen und bitten, Sie geruhen obbemelten Joh. Chistian Edelmann wegen seiner schon öfters gedachten Mir so Treu, Ehrlich und Fleißig erwiesenen Dienste mit aller gewogenen Gunst, Vorschub und Beferderung seiner intention nach verhülflich zu seyn, und Ihnen selbigen jederzeit bestens recommendiret seyn zu laßen, So ich data occasione nach Standesgebühr hinwiderumb zu verschulden Urbietig bin. Geben auf meinen Schloß Würmbla den 18ten Martii An. 1728.

(L.S.)

H.W.G. von Kornfeil.


§ 186. Es erschien also endlich der Tag meiner Abreise, und da gestehe ich, daß mich die zärtlichen Thränen meiner gnädigen Gräfin und meines jungen Herrn beynahe bewogen hätten, die Wiener Condition wider fahren zu laßen, und meine Hofmeister-Stelle wider zu bekleiden. Es würde auch gewiß geschehen sein, wenn mir die unvermuthete Neigung meiner lieben Herrschaft vor Ertheilung meines Worts an Hrn. Lerchen wäre bekannt gewesen: Da ich aber demselben einmal mein Versprechen, die Mühlische Condition anzunehmen gegeben, so fand ich auch vor unbillig, selbiges zu brechen, wenn mirs gleich noch so wunderlich hätte ergehen sollen.

Inzwischen hatte Hr. Rath Fischer erfahren, daß ich mich in Wien, ohne mich weiter an seine Sklavischen Dienste zu kehren (:als welche anzunehmen ich Ihm ohnedem noch mit nichts fest versprochen hatte:) anderweit engagiret hätte, und that Hrn. Lerchen einen förmlichen Einspruch, meinte auch Ihn zu nöthigen, daß Er mich Ihm verschaffen müste: Allein ich überschrieb Ihm meine Meinung deutsch, und daß ich nicht gesonnen wäre meine Freyheit um ein solch Spotgeld zu verkaufen, wobey es dann sein Bewenden hatte, und mir in Antretung meiner neuen Condition, weiter nichts mehr in den Weg geleget wurde.

§ 187. Ich fand mich also in selbiger in der Osterwoche 1728 ein, und sahe gar bald den Unterschied, der sich zwischen einer genädigen und gestrengen Herrschaft zeigte. Denn da ich noch Hofmeister beym Grafen von Kornfeil war, da durfte ich meiner Pflicht, so zu reden, nur halbwege ein Genüge thun, so war ich geliebt und geehrt, und die Genade meiner lieben Herrschaft wich niemals von[89] mir: Hier aber that ich oft mehr, als ich zu thun schuldig war, und muste doch ein unnützer Knecht heißen, der weiter nichts gethan, als was er zu thun schuldig gewesen.

Die Ursache dieses Unterschiedes bestund hauptsäglich darin, daß ich in meiner Condition 2 hallische Mucker zu Vorfahren gehabt hatte. Der eine hieß Wendrich, hatte auf der Schule zu Lauban mit mir studiret, und wurde von Wien zum Kaufmannsprediger nach Venedig berufen, auf diesen folgte einer, Namens Heinsius, der die Comödie von Tartuffe, mit meinen Untergebenen (:deren 4 wohlgebildete und ziemlich erwachsene Mägdlein waren:) unter der scheinheiligsten Masque zwar zu spielen angefangen, durch die Schamhaftigkeit der Kinder aber verrathen und mit der Thür vor den Hintern geschlagen wurde.

§ 188. Letzterer hatte also zwar zum totalen Verderb der Phantasie meiner Principalen (:wovon ich hernach sprechen werde:) wegen seiner gar zu natürlichen Heiligkeit, nichts beitragen können: Hingegen hatte er mir, der ich, ungeacht meiner damaligen Neigung zum Pietismo, doch noch lange den Kopf nicht so tief hieng, als er zu thun gewohnt war, und zur Zeit noch weder seufzen noch Stöhnen gelernt hatte, wegen meines muntern und freien Wesens, ein so gewaltig Ueberbein gemacht, daß ich nicht grämisch und ernsthaft genug gegen meine Kinder seyn kunte, um mich des Verdachts einer gleichmäßigen Näscherei zu erwehren.

Ich sahe wohl, daß hier die Zeit, und mein beständig einförmiges Betragen den besten Ausschlag in der Sache würde geben müßen, und es ergieng auch so, indem man bald erkannte, daß ich zu Löffeleyen mit so heiligen Untergebenen entweder zu frostig oder zu eigensinnig war, und auch den angebohrnen Freundlichkeiten derselben, mit einer vollkommenen Gleichgültigkeit begegnete. Inzwischen war mir doch das muckerische Wesen meiner Principalen, in welches ich mich unmöglich formen konnte, in der Seele zuwider. Denn ich muste mir fast alles, was ich that zur Sünde machen laßen, und darunter waren Dinge, die kein Mensch, dem die Heiligkeit nicht das Gehirn verrückt, vor unanständig halten konnte.

§ 189. Da redete ich zum Exempel, bald zu laut, wenn ich docirte; da sang ich nicht sachte und kläglich genug, wenn ich Bet-Stunden hielt, da trieb mich die Eitelkeit oder der Müßiggang, nachdem ich mich täglich 5 Stunden mit informiren geplackt hatte, zum Spazirengehen in der Stadt, oder zu einen guten Freund; da machte ich mir kein Gewissen in die Caffeehäuser zu gehen, und bey einer Pfeife Tabac und Tasse Caffee die Zeitungen zu lesen, oder (welch' eine Abscheulichkeit) mit einem honetten Manne im Brete zu spielen;[90] da machte ich mich mit dem Gesinde zu gemein, indem ich es zur Verträglichkeit ermahnete, wenn sie einander bisweilen nach den Köpfen sahen; da scherzte ich leichtsinnig, wenn mir etwa ein Wort ausfuhr, das in einem andern Verstande in der Bibel stund. Ich gestehe, daß das letzte, welches mir doch nur einmal widerfuhr, unweislich von mir gehandelt war. Allein wenn ich es gegen die mannigfaltigen Fehler meiner Tadler hielt, so sahe ich, ohne mich schön machen zu wollen, daß sie eben so wohl Menschen waren, als ich, und billig eher den Balcken aus ihren Augen hätten ziehen sollen, ehe sie Splitter in den Augen ihres Nächsten hätten suchen wollen.

Inzwischen muste ich mir mein Schicksal gefallen lassen, und leyden, daß man mich wegen meines sogenannten ärgerlichen Wandels, ein mal über das andere bey Herr Lerchen verklagte. Da dieser gleichsam mein Superintendens seyn sollte, und also von Amtswegen befugt schien, mir den Pelz zu waschen, so muß ich Ihm doch nachrühmen, daß er ihn nicht naß gemacht, indem er an meinen Verklärgern selbst so viel zu waschen fand, daß Er wohl sahe, daß sie der Reinigung noch eher, als ich bedurft.

§ 190. Zwar was meinen Patron, den Herrn Mühl, selber betraf, so konte ich mich über Ihn eben nicht beschwehren. Er war der redlichste, freundlichste und artigste Mann von der Welt, wenn Er seiner Natur mehr, als der Hallischen Gnade hätte folgen dürfen. Denn Er hatte eine sehr angenehme Mischung von Sanguinischen, Melancholischen und Cholerischen Temperamente: Aber seine Melancholie war durch die erschröckliche Genade, die Ihm mein Vorfahr Wendrich verkündigt hatte, dergestalt in Unordnung gebracht worden, daß der arme Mann die meiste Zeit schwermüthig war, und bisweilen dergestalt rasend wurde, daß Er auch die Prediger und Heilsverkündiger, die Ihn in diesen Zustande zu trösten suchten, eben so anspie, wie man etwa ihren Putzemann, den Teufel anzuspeyen pflegt, welchen Umstand mir der damalige dänische Legations-Prediger Herr Hammrich, aus eigener Erfahrung erzehlete.

In der That hatte der gute Herr Mühl keine Teufel, die Ihn mehr quäleten, als diese schwarzen Herren, und es scheinet sein gutes Naturell, habe ohne sein Bewußtseyn seinen Abscheu vor so fürchterlichen Geistern äußern wollen. Denn sie hatten dem armen Mann einen so erschröcklichen Gott in seine Phantasie gesezt, und Ihn hingegen so abscheulich, elend, unvermögend und zu allen guten untüchtig abgemahlet, daß es gar kein Wunder war, wenn Er nach der Redlichkeit seines Herzens, deren Er sich bewust war, und nach welcher Er keinen Menschen, geschweige Gott zu beleidigen im Sinne[91] hatte4, an sich selber irre werden, und in dieser Verwirrung solche heilige Lügner anspeyen muste.

§ 191. Er that alles was er kunte, sich der sogenannten sündlichen Gedanken, die Ihm wider seinen Willen aufstiegen, und seinem Aberglauben zu Folge, Gott beleidigen solten, aus allen Kräften zu entschlagen, und er konnte sich derselben doch nicht erwehren. Man sahe daraus, daß es ihm im Ernst darum zu thun war, seinem Gott gefällig zu leben, und er hätte aus eben dieser Aufführung das stärkste Argument zu seiner Beruhigung nehmen, und sich aufs kräftigste überzeugen können, daß Er gar nicht willens sey, Gott zu beleidigen, und folglich dessen Zorn auch nicht zu befürchten hätte; Allein weil sein verfluchter Aberglaube Ihm beständig weiß machte, daß Er von Natur ein Kind des Zorns sey, daß sich täglich mit Gedancken, Worten und Wercken vielfältig an seinem Gott versündigte, und damit eitel Strafe verdienete, die Er, als ein zärtlicher Sanguineus, doch nicht gerne gewärtig seyn wolte, so kunte es nicht anders seyn, als daß Er, als ein scharf nachdenkender und doch seiner vermeinten alleinseeligmachenden Religion nicht widersprechen wollender Mann, im Kopfe verrückt werden, und in die bejammernswürdigsten Umstände gerathen muste. Denn

An der einen Seite war Er sich unfehlbar bewust, daß Er's redlich mit Gott meinte, und Ihn nicht gerne erzürnen wolte; an der andern aber muste er seinem guten Naturell und eigenem Gefühl zuwider, das Gegentheil glauben, und sich einbilden, daß sein Tichten und Trachten von Jugend auf, nur immerdar böse sey, und durfte doch Gott nicht förmlich die Schuld geben, daß Er ihn in einem so elenden Zustande hatte wollen gebohren werden laßen.

§ 192. Ob diese heillosen Gedanken nicht capable sind, ein armes Gemüth, daß es redlich meinet, und sich aus dem Wirrwarr nicht zu helfen weiß, in die äußerste Verzweiflung zu bringen, wird einer, der nur ein wenig vor dieser Hölle gewesen, sonder Zwang gestehen, und ich habe dergleichen Zustände bey melancholischen Gemüthern noch mehr erlebt. Alles wird hernach von den leydigen Tröstern auf den armen Teufel geschoben, und dieses elende Hirngespinste muß allemal auf sich nehmen, was seine finstern Patronen verdorben haben. Bleiben sie den Leuten mit ihrem verteufelten Geschwätz, von einer, ohne Schuld verderbten Natur, und von einem,[92] dieserwegen erzürnten Gotte, vom Leibe, so wolte ich den Teufel wohl sehen, der von Natur gute und tugendliebende Gemüther in so trostlose Umstände solte versetzen können, als ich diesen ehrlichen Mann gesehen. Er war keiner recht frölichen Stunde fähig, und sein Temperament inclinirte doch zur Frölichkeit: Weil Er aber, nach der stockfinsteren Halenser Theologie glauben muste, daß alle Fröhlichkeit Sünde sey, so durfte Er auch nicht frölich seyn. Inzwischen wäre Ers doch gerne gewesen, wenn Er Gott nicht zu beleidigen geglaubt hätte. Deswegen pflegte Er die Worte: Er gebe uns ein frölich Herz etc. bey den gewöhnlichen Tisch-Gebethen allemal mit der grösten Imbrunst und Tränenvollen Augen zu beten, wie Er sich dann überhaupt mit dem Gebethe nach der Pharisäischen Anweisung seiner blinden Leiter, dergestalt zu martern gelernt hatte, daß Er oft 2 Stunden auf den Knien liegend, und Gott fast alle Augenblicke vorwerfend, daß Er ihn aus sündlichen Saamen habe wollen erzeuget und in Sünden empfangen und gebohren werden laßen, um Gnade und Vergebung seiner Sünden flehete, daß Ihm immer der Angstschweiß am Gesichte herablief.

§ 193. Das seltsamste bey diesen recht kläglichen Umständen war, daß man Ihm in denselbigen nichts von der unermeßlichen Liebe Gottes gegen seine Geschöpfe vorsagen durfte, das hielt Er vor die gröste Leichtsinnigkeit und es war der nächste Weg, sein Vertrauen gänzlich zu verscherzen: Hingegen wer Ihm den Zorn Gottes recht groß, und die Hölle recht heiß machen konnte, der war Ihm recht, und Er nahm daher Gelegenheit sich immer auf andre und andere Arten mit Beten zu martern. Ich gebe meinen Lesern zu bedenken, ob ein Supplicant, der sich eine Gnade von seinem König auszubitten willens ist, dieselbe erlangen würde, wenn er demselben fast übers andere Wort vorrücken wolte, daß Er von Natur durch seines Herrn eigenes Versehen, wäre zu einem Taugenichts und Sclaven seines abgesagten Feindes wäre gemacht worden, der ihn alles Vermögens, Ihn zu lieben und seinen Pflichten genug zu thun, beraubet, und zu seinen beständigen Widersacher gemacht hätte. Würde Er nicht, durch ein solch unbesonnenes Gewäsche den König einer Ohnmacht, Tyrannei und Unbilligkeit beschuldigen, und Ihn als einen Herrn vorstellen, der unmögliche Dinge von ihm forderte? Doch so weit ist es mit der Unart der sogenannten Christen gekommen; ehe sie gestunden, daß diejenigen, die ihnen dergleichen unstatthaftes Teufelszeug von ihrem gütigen Schöpfer vorgeschwatzt Lügner und Betrüger gewesen wären, ehe muß Gott auf sich nehmen, was man sonst einem jeden redlichen Menschen aufzubürden bedencken trägt, und[93] die meisten sogenannten Gebete unsrer heutigen besten Christen sind nicht anders, als auf die Art eingerichtet. Gott muß sich immer vorwerfen lassen, daß sie gerne gutes thun wolten, wenn Er ihnen nur, das Vermögen darzu gäbe, und der leidige Teufel verhinderte, daß er sie nicht nach seinem Belieben reuten könnte.

§ 194. Ich muste selber einmal einer solchen Gebets-Marter-Stunde in Wien mit beywohnen, mit welcher es folgende Bewandniß hatte: Wie Hr. Hammrich, der dänische Legations-Prediger, von Wien weg, und nach Oldesloe berufen wurde, beredte sich Hr. Lerche, der Schwedische, der ein eifriger Halenser war, mit dem neu angekommenen dänischen, Hr. Möllenhoff, daß sie wöchentlich bey dem letztern, nebst dortigen Studiosis Theologiae, zu gewissen Stunden, zum Gebeth zusammen kommen wolten. Ich weiß nicht wie mich mein Schicksal (:da ich eben sonst kein ordentliches Mitglied dieser betenden Gesellschaft war:) den Hr. Lerche auf der Straße antreffen ließ, als er eben in Begriff war, sich bey den andern Himmels-Stürmern mit einzufinden. Er fragte mich, ob ich mit wolte: Ich durfte es, ohne ein Verächter des Gebets zu heißen, und mich, bey meinen Principalen übel recommendiren zu laßen, nicht abschlagen: Allein ich kann mit Wahrheit sagen, daß mir in meinem Leben nicht so bänglich ums Herz gewesen, als in dieser geistlichen Erquick-Stunde. Nicht, daß ich durch das kalte Geplappere dieser heiligen Schwätzer etwa wäre gerühret, und wie man zu reden pfleget, vor Gott, als ein armer Sünder gebeuget worden. Denn ich dachte damals, daß ich doch mit allen Wortgepränge, weiter nichts würde sagen können, als: Gott sey mir Sünder gnädig, sondern mir war nur bange, die Reihe zu beten, möchte endlich, vor Verlauf der Stunde, auch an mich kommen, und da hätte ich entweder eben das, mit andern Worten widerholen müßen, was die andern schon gebetet hatten, welches mir selber den grösten Eckel würde veruhrsacht haben; oder ich würde gebetet haben, daß mich Gott vor der Vielplapperei der Heuchler bewahren wolle, und da würde ich diesen heiligen Leuten nicht recht gebetet haben.

§ 195. Zu meinem Glück aber schlug die Stunde, ehe noch 3 meiner Brüder ausgebetet hatten, nemlich Hr. Lerche, ein Studiosus und Hr. Möllenhoff. Ich wurde dadurch, zu meiner größten Zufriedenheit aus diesem geistlichen Nothstalle errettet, und hütete mich hernach fleißig, daß ich nicht wieder in denselbigen gerieth. Zwar dachte ich, zur selben Zeit, noch an nichts weniger, als daß das sogenannte Gebeth, nicht ein, dem Allerhöchsten Wesen angenehmer Dienst seyn sollte. Vielmehr sahe ich mich vor einen großen Sünder[94] an, wenn ich betrachtete, daß ich die Gabe des Gebets nicht in dem Maaße, meiner Brüder hatte. Denn die Worte stoben ihnen vom Maule, wie schimlicht Brod, und es ging nicht anders, als wenn sie sie alle auswendig gelernt hätten. Allein es regte sich doch schon ein heimlicher Mißfalle über diesen selbst erwehlten, und an sich höchst absurden Gottesdienst bey mir, und ich kunte denselben, wenn ich ihn, nach eingeführter Gewohnheit, bey meinen Untergebenen, aus Noth, noch geschehen laßen, oder selber mitmachen muste, nie mit Zufriedenheit meines Gemüths verrichten.

§ 196. Herr Mühl wurde indessen an seiner Melancholie immer schlimmer, und was die geistlichen Seelen-Aerzte, durch das Bad der Wiedergeburth, nicht hatten an Ihm curiren können, das solte endlich das Pfeffers-Bad in der Schweitz thun, wohin er sich von einem Schweitzerischen Medico, der sein Vaterland gerne, ohne eigene Kosten aufzuwenden, einmal wieder gesehen hätte, schleppen ließ, und mich derweilen der Disposition seiner Frau übergab. Diese war nun der Natur nach, auch keine unebene Frau, außer daß sie um ein gut Theil mehr Hochmuth und Selbstgefälligkeit, als der Mann besaß; Allein die Gnade hatte sie auch erschröcklich verdorben, und ungefehr eine solche Mißgeburth aus ihr gemacht, wie die Madame Glaubeleicht in der Comoedie von der Pietisterey im Fischbein-Rock. Denn sie glaubte alles, was die Heucheley zu ihrem Ruhme sagte, nur das kam ihr unglaublich vor, daß andere Menschen, die nicht nach ihrem Sinn waren, auch Kinder Gottes seyn solten.

197. Ich gehörte mit unter diese Claße, und sahe nach dem Abschiede ihres Mannes, wenig freundliche Gesichter, von ihr, welches mir zwar, an sich, ganz gleichgültig war, indem sich unsere Gemüther gar nicht zusammenschickten: Weil ich aber merckte, daß wir auf die Art in die Länge, doch keine gute Seyde zusammen spinnen würden, indem auch das beste, was ich that, nicht vermögend war, ihren heiligen Eigensinn zu vergnügen, so fing ich allgemach an, auf eine Veränderung zu gedencken.

Ich weiß nicht, ob sie es mercken mochte: So viel aber ist gewiß, daß sie, nach Verlauf einiger Zeit etwas gnädiger wurde. Inzwischen hatte ich an meinen Untergebenen, ob sie schon Mägdlein waren, ziemlich gelehrte Kinder, welches meinen Fleiß an ihnen verdoppelte, je mehr sie mir durch ihr beständiges Fragen und Forschen (:wovon ich in meinem Mose mit aufgedeckten Angesichte ein Exempel angeführet:) Gelegenheit gaben ihnen was neues zu sagen.

§ 198. Endlich erschien auch die Zeit, da ich mich in Predigen solte hören laßen, und es geschahe solches zu dreyen verschiedenen[95] Mahlen, bey dem Schwedischen Gesandten. Diese Uebungen, da sie vor dem criticantesten Auditorio geschahen, das mir in meinem Leben vorgekommen, machten mir wider einen Muth in Wien zu bleiben, und die Zeit abzuwarten, wenn mir etwa Gott durch einen oder den andern, meiner vornehmen Zuhörer, die aus verschiedenen Fürsten, Grafen und Herrn bestunden, einen Weg zu weiterer Beförderung zeigen würde. Allein Gott hatte was anders mit mir im Sinne, und dazu mußte die Frau Mühlinn, die mich gar zu sehr einschränken, und nicht leyden wolte, daß ich nach meinen Informations-Stunden ausgehen solte, Gelegenheit geben.

Ich war beym Grafen von Kornfeil nicht allein durch die Jagd, sondern auch durch andere Leibes-Uebungen, einer starcken Bewegung gewohnt gewesen, die in Wien auf einmal aufhörete, und mir beynahe das Malum Hypochondriacum zugezogen hätte. Denn das Stübchen, welches ich bey Hrn. Mühlen bewohnte, war just drey Schritte lang und etwa eine Spanne über zwey Schritte breit. In diesem, einem honetten Kercker nicht ungleichen Behältniße, hätte ich nun, nach der heiligen Caprice der Madam Mühlinn beständig stecken, und weiter keine Gesellschaft suchen sollen, als meine Untergebenen. Ich wollte oder konnte aber dieses gottselige Anmuthen nicht verstehen, sondern bemühete mich, das Betrachtenswürdige Wien auch außerhalb meinem Kefich kennen zu lernen und darüber erhob sich dann ein continuirliches queruliren, Pimpeln und Pimpeln der Madame, bey dem Hr. Lerchen, daß Er mich doch, als mein Vorgesetzter, und Beichtvater zu einem eingezogenern Leben ermahnen möchte.

§ 199. Wenn ich auf unrechten Wegen gegangen wäre, würde ich mir dessen Ermahnungen mit aller Ehrerbietung haben gefallen laßen, und mich in der That geschämt haben, daß ein Weibsbild Ausschweifungen an mir solte haben entdecken können: da mich aber mein Gewißen überzeugte, daß ich nichts that, was ich mir nicht vor der ganzen ehrbaren Welt, wenn sie nur nicht mit der Heiligkeit inficiret war, zu verantworten getrauet, und einen Ort, wie Wien war, mir auf allerhand Art zu Nuz zu machen gesucht; so wurde ich endlich der unzeitigen Hofmeistereien auch überdrüßig, und faste den festen Entschluß bey mir, lieber in die Türckey zu gehen, als mich länger unter frommen Leuten zu placken.

Ich gieng in diesen Gedancken von Herr Lerchen, der mir eben den Kopf mit dergleichen nichtigen Beschwerden, warm gemacht hatte, nach Hause, und würde der Frau gleich noch denselbigen Tag den Kauf aufgesagt haben, wenn ich nicht, da ich voller Unmuth nach Hause kam, auf meinem Tische die Bibel aufgeschlagen gefunden[96] hätte, aus welcher mir im 37sten Psalm der 3te Vers in die Augen fiel: Hoffe auf den Herrn, und thue gutes, bleibe im Lande und nähre dich redlich.

§ 200. Diese Worte machten einen solchen Eindruck in meinem Gemüthe, als wenn sie Gott selber zu mir gesprochen hätte, und ich änderte meinen Vorsatz, nach Ungarn zu gehen, auf der Stelle, ohne zu wissen, wie das zu verstehen seyn würde, im Lande zu bleiben. Denn die Gedanken, meine Condition zu quittiren, blieben unbeweglich, und das zwar sobald, als mirs immer möglich seyn würde.

Der Dänische Legations-Prediger Hr. Hammrich, ein guter, fauler Bruder muste meine damalige Gemüths-Stellung entgelten. Denn ich sagte Ihm, da ich damals mit ganz andern Dingen beschäftigt, und vor lauter Verdruß auch am Leibe nicht wohlauf war, eine Predigt auf, die ich auf den nächsten Sonntag vor Ihm hätte halten sollen, und gab nunmehro meinen Gedanken, über den Punct meiner bevorstehenden Veränderung, völlig freyen Lauf.

§ 201. Nach langen Hin- und Hersinnen, wie ich meine Sachen am vernünftigsten anzustellen hätte, fiel mir ein, daß der Graf von Auersperg, der meines vorigen Herrn, des Grafen von Kornfeils Schwager war, gegenwärtig einen Hofmeister nöthig hätte. Weil ich nun den jungen Grafen von Auersperg schon beym Grafen von Kornfeil in meiner Aufsicht gehabt hatte, so schrieb ich an Denselben, entdeckte Ihm, daß ich Wien quittiren, und mein Glück weiter suchen würde, bedaurete anbey, daß ich Ihm, und seinen hohen Anverwandten, weiter zu dienen, keine Gelegenheit vor mir sähe, sonst ich mir gratuliren würde, die Stelle eines Hofmeisters (:die dem Vernehmen nach, schon besezt seyn solte:) bey seinen Hrn. Schwager zu bekleiden.

Es erschien kaum der 2te Posttag, so meldete mir der Herr Graf von Kornfeil, daß ich die Hofmeister-Stelle bey dem Grafen von Auersperg haben, und der bereits verschriebene neue Hofmeister wider contramandiret werden solte. Diß war mir nun, wie leicht zu erachten, eine sehr angenehme Botschaft, und ich lernete daraus verstehen, was das Oracul hatte sagen wollen, wenn es mich im Lande bleiben hieß. Denn da der Graf von Auersperg seine Güter auch in Nieder-Oesterreich hatte, so blieb ich freilich im Lande, und nährete mich noch in die drittehalb Jahr bey diesen Herrn redlich.

§ 202. Ehe ich aber Wien verlaße, welchen berühmten und gewiß aller Hochachtung würdigen Ort ich mir, wegen meiner gar zu gebundenen Lebensart gar nicht recht zu Nutze hatte machen können, muß ich auch melden, wie ich von der Frau Mühlin weg kam.[97] Diese hatte sich nichts weniger von mir versehen, als daß ich Ihr die Condition aufsagen würde, und also war sie ganz betroffen, wie ich solches in Ernst that: Doch damit sie sich, wegen eines allzuschnellen Abschiedes nicht über mich zu beschweren haben möchte, sondern Zeit gewinnen, sich wider mit einem andern Informatore zu versehen, so blieb ich noch beynahe einen Monath in meiner Condition, und nahm endlich mit aller Höflichkeit, und einen Recompense von 4 Ducaten, meinen Abschied, nachdem ich etwa 6 Monathe mehr einen honetten Sclaven, als freien Menschen, in dieser schönen Stadt agiret hatte. Ich begab mich also, sonder weiteren Verzug, auf die Reise nach Purgstall zu meiner neuen Herrschaft, besuchte unterwegs den Hrn. Grafen von Kornfeil, und gelangete nach einem Aufenthalt von etlichen Tagen, die ich ganz vergnügt auf seinen Gütern zubrachte, endlich glücklich an meinem Orte an.

§ 203. Hierselbst veränderte sich nur meine bißherige muckerische Lebensart auf einmal wieder in eine natürliche und ungezwungene, und das Vergnügen, welches mir der Wechsel zwischen einer gnädigen und gestrengen Herrschaft verursachte, war so groß, daß ich die unverdiente Gnade meines Schöpfers, mit innigsten Lob und Dank zu preisen, nicht unterlaßen konnte. Ich hatte da alle Freyheit, die ich nach meinem Stande wünschen konnte, und ich bediente mich auch derselben, nach aller Herrlichkeit, ja meine liebe Herrschaft gab mir selber oft, durch allerhand angestellete Ergötzlichkeiten, als Scheiben-Schießen, Billard, Kegelschieben, allerhand Spazier- und Schlittenfarthen, Gelegenheit darzu, und die angenehme Gegend, die ungefehr drey Stunden von dem großen, und über die Wolcken reichenden Hötscher-Berge, gegen Steyermark zu, gelegen war, lud mich aufs neue wider zur Jagd ein, auf welcher ich mich, theils allein, theils mit meinem jungen Herrn, nach aller Möglichkeit erlustigte.

Die angenehmsten Arten dieser Veränderungen waren vor mich, die Wald- Schnepfen- und Marder-Jagd, bey welcher letzteren es gemeiniglich eine ordentliche Comoedie absezte, die uns der listige Marder umsonst spielete, wenn er vor dem verzweifelten Geschrey und Gepoltere einer Compagnie Bauernjungen weichen muste, die ihn aus seiner Retirade (:welches allemal ein Bauernhof war, die in dortigen Gegenden zerstreuet alleine liegen:) durch Ausstöberung aller Winckel, zum Vorschein bringen musten. Ehe er sich da verleiten ließ, von den Gebäuden des Hauses zu weichen, und in die, um und um gestelten Netze zu laufen, die von einer Weite zur andern mit Schützen und Hunden besezt waren, die aber wie die Statuen stehen musten, und sich nicht eher rühren durften, als biß der Marder im Netze[98] war, machte er uns tausend Poßen mit deliberiren, wo er hinaus wolte. Weil er aber, als ein der Stille gewohnter Erdbürger, lieber mit Lebens-Gefahr den lermenden Bauer-Jungen ausweichen als unter solchen Tumulte leben wolte, so geschahe es auch gemeiniglich (:denn einer entwischte uns einmal:) daß er sein Ende unter den Zähnen der Hunde fand, die ihn, sobald er seine Ausflucht durch die Netze suchte, so wohl in Empfang nahmen, daß er mit der Haut bezalen muste.

§ 204. Es fallen mir bei Aufsetzung dieser Stelle meines Lebenslaufs die gelehrten Gegener des Hrn. Morgan ein, deßen dritter Theil seines Moral Philosopher ich eben vor kurzen gelesen. Die guten Leute kommen mir nicht anders als der von den Bauerjungen geängstigte Marder vor, die Herr Morgan mit der Unfehlbarkeit ihrer Bibel, als den kostbaren Balge, den Er ihnen abzujagen gesonnen, durch die einfältigsten und natürlichsten Gründe aus einem Winkel ihrer verfallenen Orthodoxie in den andern jagt.

Sie thun eben wie der Marder alle ihr möglichstes sich in derselben zu erhalten, oder neue Ausflüchte zu suchen, und bey dieser Beunruhigung laßen sie uns oft die seltsamsten und kurzweiligsten Sprünge sehen. Es weiß sie aber der Herr Morgan, der alle ihre Schlupfwinckel besezt, mit solcher Gelaßenheit zu erwarten, daß sie endlich vor Unmuth, die gar zu laut redende Wahrheit länger zu hören, selbst ins Nez laufen, und den vor sie so warmen Pelz der Unfehlbarkeit ihrer Bibel, Preiß geben müssen.

§ 205. Damals dachte ich zwar bey dieser Lust nichts weniger, als daß ich noch einmal dergleichen Betrachtungen darüber anstellen würde: Allein weil sie mir eben unter der Beschreibung derselben einfallen, und an sich gegründet sind, so hoffe ich, meine geneigten Leser werden sie mir zu gute halten, und den ungeneigten nebst mir erlauben, ein Paar Amts-Flüche mehr als gewöhnlich, gegen uns auszustoßen. Muß man doch einem gehezten Marder auch vergönnen, seine Grimacen gegen die Hunde zu machen, die sich aber deßwegen nicht abschröcken laßen, ihn fest zu halten.

Ich könnte mehr dergleichen Betrachtungen über die mancherley Arten des Vogelfangs anstellen, mit welchen wir uns, nebst der Fischerey zur Herbstzeit, bey meiner Herrschaft zu ergötzen pflegten: Allein ich möchte zu weitläufig fallen, und darüber manches vergeßen, was zu den würklichen Begebenheiten meines Lebens gehört.

§ 206. Dieses war, wie bereits erwähnet, ganz erwünscht, und fast gar zu reitzend vor einen jungen Menschen, der in der besten Blüthe seiner Jahre stund, alles vollauf, wenig zu thun, und tausend[99] Gelegenheit zu allerhand Ausschweifungen, nebst noch gar wenig Erfahrung hatte. Denn meine dasige Lebensart nur ein wenig zu beschreiben, so hatte ich täglich (Mittewochs und Sonnabends ausgenommen, wo ich nur 2 Stunden vor Mittags informirte) nicht mehr, als 4 Stunden zu thun, die übrige Zeit war meine, und ich konnte sie entweder vor mich, zum Studiren, oder zu meiner Ergötzlichkeit anwenden.

Ersteres geschahe den Winter über fleißig, doch so, daß ich auch die Winter-Ergötzlichkeiten, und besonders das Schlittenfahren, wovon ich hernach sprechen werde, nicht versäumete. Außerdem bekam meine Herrschaft nicht allein öfteren Besuch von den benachbarten, und bisweilen auch weit entlegenen Herrschaften, sondern sie erwiderte auch denselben, gemeiniglich in meiner und meines jungen Herrn Gesellschaft, da denn leicht zu erachten, daß es an allerhand Lustbarkeiten nie gefehlet haben werde.

§ 207. Unter diesen Arten der Veränderungen gefiel mir keine weniger, als die Bälle und das Tanzen, ungeacht ich selbiges auch in Jena, von einem meiner guten Freunde, Namens Erler vor meinem Abzuge noch gelernet hatte. Eines Theils war die affectirte Heiligkeit Schuld daran, nach welcher ich, den Sätzen meines lieben Buddei zufolge, alles Tanzen vor Sünde halten muste. Andern Theils aber kam mir diese Ergötzlichkeit, auch meinem Naturell nach, etwas Läppisch vor, und ich konnte solche endlich noch wohl Kindern und jungen gemeinen Leuten zu gute halten: Aber wenn sich verständige und erwachsene Standes-Personen an dergleichen Poßen ergötzten, so kam mir's etwas seltsam vor, und ich würdigte die wenigsten von diesen Ergözlichkeiten, meines Anschauens, welches mir bisweilen zwar übel genommen, und vor was Bizarres angesehen werden wolte: Allein ich kehrte mich nicht daran, und folgte in diesem Stücke lieber meiner Neigung, als der Gewohnheit.

Wäre ich ein Tanz-Narre gewesen, so ist kein Zweifel, daß ich in mancherley Arten der Ausschweifung und gefährliche Händel gerathen seyn würde. Denn ich war zur selben Zeit das Idolum, oder der Abgott des Weiblichen Geschlechts, deßen Besiz sich die armen Kinder recht gerne würden haben gefallen laßen, wenn ich mich gefälliger gezeigt hätte, als ich that, und die Gelegenheit zu näheren Bekanntschaften nicht aus einen gewißen Stoltz und Verachtung gemieden hätte.

§ 208. Schon in St. Pölten hätte ich, wenn ich an einer andern Stelle gewesen wäre, mein sogenanntes Glück durch das weibliche Geschlecht auf verschiedene Art machen können, wenn ich den[100] Neigungen, die nicht allein außer einer gewißen reichen Brauers Tochter: zwey wohlhabende Kaufmanns-Töchter, sondern auch Ehe Weiber zu mir trugen, und durch fast tägliche Posten und Nachrichten mir solche zu verstehen geben ließen, hätte Gehör geben wollen.

Die Mädchens gefielen mir, allein da ich keine, ohne catholisch zu werden, erhalten konnte, so war ich viel zu religiös, als das ich meinen Glauben um eines Mädchens willen hätte verläugnen sollen, wenn sie mir gleich ein Königreich hätte zubringen können. Inzwischen war ich doch nichts minder verliebt, nur mit dem Unterschiede, daß ich mich in Ansehung der Kaufmanns-Töchter bloß an dem Anschauen derselben vergnügte, welches allemal entweder in der Kirche bey den gewöhnlichen Passions-Predigten, oder in der Commoedie, oder bei Besuchung der heiligen Gräber, in Gesellschaft vieler Menschen geschahe, da ich hingegen mit der Brauerstochter (:bey deren Vetter ich und mein Camerad, nach geendigten Informations-Stunden, täglich unsere Zusammenkunft hielten, so lange wir in St. Pölten waren:) öfters Gelegenheit hatte, allein zu seyn. Es blieb aber unser Umgang (:wie ich mit Wahrheit versichern kann:) in den Schranken der Ehrbarkeit, und wenn wir ja einander nahe kamen, so begehrte ich niemals mehr, als einen Kuß, den ich auch mit allen Willen erhielt, doch so viel allemal merckte, daß mir keiner angenehmer war, als warum ich mir etwas Mühe hatte geben müßen.

§ 209. In Purgstall hatte ich zwar solche Anfechtung nicht, als in St. Pölte, weil der Ort kleiner, und an Schönheiten, die Gegengunst hoffen durften, ärmer war. Allein dem ungeacht hätten sich Gelegenheiten genug zu Ausschweifungen gefunden, wenn ich in diesem Puncte nicht gar zu delicat gewesen wäre. Denn es muste gewis was rechtes seyn, das mich in Ernst verliebt machen wolte, und alsdann hatte ich viel zu viel Hochachtung vor eine solche Person, als daß ich ihrer Ehre einen Schandfleck anzuhängen hätte suchen sollen.

Die Schlittenfahrten gaben Anlaß zu weitläuftigen Bekanntschaften, mit deren umständlichen Beschreibung ich aber meine Leser nicht aufhalten will. Einer einzigen von diesen Ergözlichkeiten will ich nur erwähnen, die ich alle Jahr einmal in Gesellschaft meiner Herrschaft genoß, wenn wir in einem Gefolge von 8–10 Schlitten, deren Pferde alle mit guten Schellen-Geläute versehen waren, unter Trompeten- und Paucken-Schall nach dem reichen Carthäuser Kloster Gaming fuhren.

§ 210. Dieser Ort lag drey gute Stunden Weges von Purgstall. Wenn nun meine Herrschaft Lust hatte, den dortigen Prälaten zu beschmausen, so ließ sie sich vorher anmelden, daß sie auf den und[101] den Tag, auf Mittag, mit so und so viel Personen bey Ihm speisen würde. Es war auf Seiten des Prälaten nicht die geringste Schuldigkeit vorhanden, die Ihn hätte nöthigen können, uns Ketzer zu tractiren: Allein er schlugs uns doch niemals ab, sondern bewirthete uns allemal mit der größten Magnificenz und Höflichkeit. Ob nun schon diese Ordens-Leute Jahr aus, Jahr ein, kein Fleisch eßen, und in diesen und vielen andern Stücken (:die Paulaner ausgenommen, die auch nichts eßen was vom Fleische komt, und folglich weder Eyer, noch Butter, noch Käse noch Milch genießen) weit strenger, als die Cappuziner und alle Bettel-Mönche leben; so wurden wir doch mit dem köstlichsten Fisch-Wercke und Mehl-Speisen so herrlich bewirthet, daß ich wohl sagen kann, in meinem Leben, auf keiner fürstlichen oder gräflichen Tafel, jemals beßer und schmackhafter zubereitete Fische gegeßen zu haben.

§ 211. Weil auch bey diesen seltsamen Leuten alles Fisch seyn oder heißen muß, was im Wasser zu leben fähig ist, so sind sie zwar keine solche Narren, daß sie auch Schlangen und Kröten mit vor Fische freßen solten: Hingegen wißen sie sich der Biber, Fisch-Ottern und Schildkröten gar wohl zu bedienen, und ich kan sagen, daß das Fleisch dieser Thiere, so, wie es die Carthäuser zuzubereiten wißen, ganz appetitlich zu eßen ist.

Es scheinet also doch, daß sie die Lust zum Fleische nicht gänzlich müßen verschwohren haben; aufs wenigste delectiren sie sich noch mit der Gestalt des selben, indem sie aus klein gehackten Fischen und Mehl, einen mit dem besten Gewürtze durchwürckten Teig zuzubereiten wißen, aus welchen sie hernach, der Form und Gestalt nach alles machen, was sie ehedem in würcklichen Fleische genoßen. Also siehet man da Hasen, Capaunen, Spann-Ferckel und dergleichen, der Gestalt nach, aber alles von Fischen zubereitet, welches mir die Catholiken, als ihre Glaubens-Genoßen selber gesagt. Denn uns, als Ketzern, hat man diese Art der Wollust und Verschwendung nicht sehen laßen, sonder Zweifel die Gloßen zu vermeiden, die wir nach unsrer Art darüber würden gemacht haben, wenn wir Leute, die alles in der Welt verläugnet haben wollen, so leckerhaft hätten leben sehen.

§ 212. Inzwischen ging uns doch an köstlicher Bewirthung nichts ab, und es war insonderheit der Wein so vortreflich, und reitzend, daß wenn derselbe zu Herzog Christians Zeiten, am Weißenfelsischen Hofe gewesen wäre, ich ganz gewiß versichert bin, daß sich dieser vere Christianus, wie ihn die leichtfertigen Pfaffen zu nennen pflegten, um etliche Jahr eher zu Tode gesoffen haben würde, als Er so gethan.[102]

Ich fand daher Gelegenheit, mich bey dem großen Ueberfluße, in welchen diese Leute lebten, mehr über ihre Mäßigkeit zu verwundern, als Ihnen bey der anderweitigen strengen und der Menschlichen Natur fast entgegenlaufenden Lebens-Art, ihre Delicatessen vorzurücken. Denn sie gebrauchten sich der Fülle, die Ihnen die Vorsicht, durch die leichtgläubige Einfalt, ihrer Glaubens-Genoßen gegönnet, so mäßig und ordentlich, daß sehr selten einer unter ihnen krank war, und die meisten ein fast 100jähriges Lebensziel erreichten.

§ 213. Ich hatte mich auch in die reinliche, ordentliche und stille Lebens-Art dieser Mönche dergestalt verliebet, daß wenn der blinde Gehorsam, und das harte Verboth, kein Wort, außer dem bekannten Memento mori, mit einander zu sprechen, samt den übrigen, abergläubischen und höchst beschwerlichen Gottesdienstlichkeiten nicht gewesen wäre, ich wohl gerne ein Carthäuser hätte seyn mögen.

Ein jeder dieser Kloster-Brüder hatte innerhalb der Ring-Mauer des Klosters, sein eigen kleines Häuschen, deßen Vorderthüre in den Creuz-Gang, und die Hinter-Thür in den Garten führete, den ein jeder bey seinem Häuschen hatte; und dieses Häuschen bestand aus einem verschloßenen Vorhause, einem Boden, einer Stube und einer Kammer oder Oratorio, in welcher außer einem wohlgeschmückten Altärchen, zu ihrer Bequemlichkeit ein schönes marmornes Bassin in die Wand gemauret war, deßen Obertheil einen Metallenen Hahn oder Krahn in sich faßete, den sie, nach belieben aufdrehen, und das schönste Felsen-Wasser in Menge daraus zapfen kunten.

§ 214. Es war auch keiner unter ihnen müßig, sondern sie beschäftigten sich, der Jahreszeit nach, theils mit Anbauung ihrer allerliebsten Gärtchen, worin es immer einer dem andern zuvor zu thun suchte, theils mit der Dreherey und andern mechanischen Künsten, theils mit studiren, nach ihrer Art, wie sie dann eine, denen Bänden nach, recht schöne und ziemlich große Bibliothec, und ein nicht unebenes Naturalien-Cabinet, und im übrigen solche Schätze und Reichthümer besaßen, daß sie wohl mit jenem Papste hätten sagen mögen Heu? Quantas nobis divitias peperit fabula ista de Christo5.

Bey Besichtigung der Bibliothec begegnete uns ein lächerlicher Zufall, den ich nicht unangemerckt vorbey laßen kan. Ich hatte mit Erlaubniß und in Begleitung des Catholischen Pfarrers zu Purgstall, meine Comtesse mit dahin genommen, um ihr die verschiedenen Curiosa des Naturalien-Cabinets mit sehen zu laßen. Es ist leicht zu erachten, daß diese heiligen Leute nichts seltsames aus der Zergliederungs-Kunst[103] werden aufbehalten haben, woran sich etwa die Comtesse (:die damals ohnedem kaum 10 Jahr alt seyn mochte:) hätte ärgern oder ergötzen können: Allein ihr Orden brachte mit sich, schlechterdings kein Weibsbild über die Clausur, oder die eigentliche Grentze des Klosters zu laßen, weswegen auch die Prälatur nicht in- sondern außerhalb dem eigentlichen Kloster gebauet war.

Ich weiß nun nicht, ob der Pfarr von Purgstall, und der Pater Kuchel-Meister, die uns auf die Bibliothek führten, geglaubt daß dieser heilige Ort, durch ein unschuldiges Kind, von so zarten Alter eben nicht verunreiniget würde; genug sie scheinen es geglaubt zu haben. Allein sie gaben dadurch den Stuben-Kehrern, und andern einfältigen Leuten des Klosters ein sehr großes Aergerniß. Denn diese Art von Dumköpfen hielt sich genau an die Reguln ihres Ordens, die schlechterdings verbothen, kein Weibsbild über die Clausur des Klosters zu laßen, und es ist kein Zweifel, daß sie alle Tritte, wo sie die Comtesse haben hingehen sehen, mit Besen, ihrer Gewohnheit nach, werden gekehret, und mit Weyh-Waßer gesprenget haben, damit ja nicht das geringste von ihrer Ausdünstung, an diesem heiligen Orte zurückbleiben, und das schon halb erstorbene Fleisch dieser göttlichen Leute wieder lebendig machen mögte.

§ 215. Hätten diese heiligen Esels-Köpfe bedacht, daß sie nicht da seyn würden, wenn keine Weibsbilder gewesen wären, ja daß sie selber dermaleinst nicht in ihren Himmel kommen dürften, und ganz und gar keinen Gott haben würden, wenn die Weibsbilder so unrein wären, als ihnen ihr Aberglaube eingebildet, so würden sie sich etwas menschlicher und ihrer Natur gemäßer aufgeführet haben. Man siehet aber daraus wie viel der Aberglaube über das Gemüth der Menschen vermöge, wenn er einmal rechte Wurzel geschlagen, und durch eine dumme Erziehung gewöhnet worden, der Natur Trotz zu bieten, wie wohl diese, wann sie auch in ihrer gehörigen Stärke ist, sich eben nicht viel Trotz bieten läßt, wo anders wahr ist, was man von einem gewißen großen Heiligen erzehlet.

Dieser, der in einer Wildniß gelebet, und versucht haben soll, obs nicht möglich sey die Begierden des männlichen Geschlechts nach dem Weiblichen gänzlich zu unterdrücken, soll einmal ein Kind, männlichen Geschlechts, das noch keinen Unterschied von beiden Geschlechtern gewußt, in seine Erziehung genommen, und biß zu männlichen Jahren, außer allen Umgange oder Kenntniß des weiblichen Geschlechts auferzogen haben. Es soll sich aber zugetragen haben, daß sich einige wohlgebildete Weibsbilder in der Gegend, wo dieser heilige Menschen-Feind seine Zelte gehabt, verirret, und dem jungen Menschen,[104] der dergleichen liebenswürdige Geschöpfe nie gesehen, zu Gesichte gekommen. Dieser soll sie also fort, voller Freuden, zu seinem unnatürlichen Pflegevater geführet und demselben gefragt haben, was das vor artige Dingerchen wären. Der alte Tockmäuser soll hierauf gesagt haben, es wären Gänse: Allein der junge Mensch, der, unwißend, daß er der beste Gänsert vor diese Gänßchen seyn mögte, soll also fort mit größter Zärtlichkeit von Ihm begehret haben, daß Er doch diese Gänßchen bey sich behalten möchte, woraus der Alte endlich geschloßen, daß die Gesetze der Natur in den Menschen tiefer eingewurzelt, als die Reguln einer sinnlosen Heiligkeit.

§ 216. Es sey dieses ein Gedichte oder wahre Geschichte, so ist gewiß und durch die Erfahrung genug bestätiget, daß sich der Trieb der Natur bey den Mönchen nicht durch Gelübde ausrotten laße. Bey den Carthäusern gehet es noch einigermaßen an, denn sie haben gar keine Gelegenheit sich zu fühlen, indem sie, so bald sie im Kloster sind, die Tage ihres Lebens kein Weibsbild wider zu sehen kriegen: Da hingegen die Bettelmönche, wie der Satan beym Hiob, das Land umher durchstreichen, und mehr auf hübsche Weibsbilder, als auf gerechte Männer acht haben, wo sie es nicht bisweilen um ihrer eigenen Sicherheit willen thun müßen, wenn sie an Männer gerathen, denen es eben nicht gelegen ist, ihre Weiber von diesen heiligen Geistern überschatten zu laßen.

Den Carthäusern sind dergleichen göttliche Verrichtungen unmöglich, indem sie nicht allein nie aus ihrem Kloster kommen, außer wenn sie, wöchentlich einmal, um frische Luft zu schöpfen, Proceßionsweise auf einen nahe gelegenen Berg geführet werden; sondern auch, bey Vermeidung einer Tod-Sünde, ohne Erlaubnis des Prälaten, oder des Pater Vicarii mit niemanden ein Wort sprechen dürfen. Die guten Leute sind also auf die Art schon lebendig todt, und könnten die 6te Bitte, was diesen Punct betrift in ihrem Pater Noster gänzlich übergehen.

§ 217. Der Pater Vicarius, der nebst den Prälaten, dem Pater Kuchel- und Kellermeister und dem Bibliothecario allein Erlaubniß zu sprechen hatten, schien mir ein artiger Mann zu seyn, und ich hätte gern länger mit Ihm gesprochen, wenn ich wäre alleine mit ihm gewesen und länger Zeit gehabt hätte. Wir hielten uns aber nie länger, als etliche Stunden daselbst auf, und die wurden meist über der Tafel zugebracht, die recht fürstlich bestellet war, und nicht nur Sehen, Schmecken und Fühlen, als die drey Haupt-Sinne der Oesterreicher, sondern auch das Hören ergözte, indem sich damals ein Virtuose bey der Tafel, auf der Violine hören ließ, deßen gleichen ich[105] weder zuvor noch hernach, weder in der Kayserlichen, noch einer andern Königlichen oder Fürstlichen Capelle gehöret hatte.

Mancher Leser mag sich vielleicht wundern, daß ich den ehrlichen Oesterreichern hier nur 4 Sinne beylege: Allein sie haben in ihrer Sprache würcklich nicht mehr, ob sie schon die gütige Natur eben sowohl, als andere Menschen mit fünferley Arten der sinnlichen Empfindungen versehen. Sie drücken aber den Geruch allemal durch den Geschmack aus, dahero es in den Ohren eines Ausländers sehr seltsam und lächerlich klinget, wenn sie von Empfindungen reden, die eigentlich den Geruch angehen. Denn einen jeden faulen Wind, den andere nur riechen, den schmecken sie gleich, ohne uns sagen zu können, ob er sauer, bitter oder süße schmecke.

§ 218. Es benimmt aber dieser, nur in der Sprache steckende Mangel, ihrer Redlichkeit und Gemüths-Art im geringsten nichts, und ich habe, wo mir recht ist, schon die Gastfreyheit an ihnen gerühmet, worin sie gewiß alle Völcker, die ich kennen lernen, übertreffen. Sie machen sich ein recht Vergnügen daraus, wenn sie andere bewirthen, und ihnen gutes thun können, und ich konnte den Bürgern in Purgstall nach dortiger demüthiger Redens-Art keine größere Gnade anthun, als wenn ich sie oft besuchte, und mich von Ihnen tractiren ließ.

Ihr Umgang war auf eine recht gefällige und fast gar zu unterthänige Art höflich, und doch dabey aufrichtig, ohne falsch und dienstfertig, ohne Interesse, und ich kann mit Wahrheit sagen, daß ich noch in keinem Lande mehr Spuren der alten deutschen Einfalt und Redlichkeit gefunden, als in Oesterreich. Ich nahm mir damals in Wien (:wohin ich mit meinem Herrn zu sacramentiren gereiset war:) bei dem Kaufmann Herrn Langen, zwey Kleider aus, und der ehrliche Mann hatte mich sein Tage noch nie mit Augen gesehen. Weil Er aber hörte, daß ich von Purgstall kam, allwo sein Bruder Marckt-Richter war, der Ihn durch mich grüßen ließ, so wollte Er mir nicht allein diese Kleider (:mit denen ich in alle Welt hätte gehen können:) creditiren; sondern Er erbot sich auch, wenn ich noch vor 100 fl. Waaren nehmen wolte, mir dieselben gleichfalls auf Conto zu geben. Solchen Glauben habe ich in Israel nicht funden.

§ 219. Wie ich ungefehr ein halb Jahr in Purgstall gewesen war, gerieth ich mit dasigen Vicario in einen Religions-Streit, in welchen wir pro und contra beiderseits etliche heftige Streitschriften wechselten, auch einmal mit Worten, bey dem Hrn. Marckt-Richter Langen, dergestalt hitzig an einander geriethen, daß wir einander bald nach den Köpfen gesehen hätten, wobey ich gewiß den Kürzeren gezogen,[106] und meine Herrschaft und mich selbst in die gröste Ungelegenheit gebracht haben würde. Es legte sich aber der Marckt-Richter und seine Frau, ob sie schon beyderseits Catholiquen waren, darzwischen, und wir wurden hernach wieder gute Freunde.

Hätte ich damals die Einsichten in Religions-Sachen gehabt, die mir Gott nach der Zeit geschenkt, so würde ich mich ganz anders betragen, und meinen Gegner mehr mit einem sittsamen Wandel als mit unnützen Disputiren zu überzeugen gesucht haben. Ich dachte aber, ich müste zancken, wenn ich ein rechtschaffener Lutheraner seyn wolte, und kan mich biß diese Stunde nicht genug verwundern, daß mir diese unreife Aufführung, um welcher Willen ich unter meinen eigenen Glaubens-Genoßen die größte Verfolgung würde zu erwarten gehabt haben, in Ertz-Catholischen Ländern, wo ich in Ecclesia pressa lebte, so ungeahndet ausgegangen. Denn wenn ich meine eigenen Glaubens-Brüder so mit der Nase hätte auf das Buch drücken wollen, wie ich dem guten Vicario that, so zeiget ihre nachfolgende Aufführung gegen mich, zur Genüge, wie glimpflich sie mit mir würden umgegangen seyn.

§ 220. Es fehlte freylich nicht an Gelegenheiten bey welchen sich nicht allein ein Lutheraner, sondern ein jeder vernünftiger Catholic über den eingerißenen Aberglauben und Gauckeleyen des Papstthums solle haben moquiren können: Allein ich muß doch auch dem Vicario zu Purgstall zum Ruhme nachsagen, daß er manche derselben bey seinen Kirch-Kindern abgeschafft. Dergleichen war zum Exempel die vormals gewöhnliche Himmelfahrts-Comödie, mit welcher es also zugieng.

Am Himmelfahrts-Tage nach Mittage wurde in der Kirche, von dem Tauf-Steine, der den Oelberg vorstellen muste, ein hölzerner Herr Gott mit der Sieges-Fahne, vermittelst der Stricke, an welchen er fest gemacht war, allmächtig in den Himmel der Kirchen gezogen, und dieses geschahe durch das runde Loch, so gemeiniglich in der Mitte der Catholischen Kirchen oben am Gewölbe zu finden ist. Der himmlische Vater, der diesen Götzen aufnahm, war der Küster, der währender Auffarth auch zugleich zwey Engel-Gözchen mit brennenden Lichtern in Händen zu beyden Seiten des schwebenden Herr Gotts auf und abfahren ließ.

So bald er durch das Loch, mit seiner Begleitung hindurch war, wurde durch das nemliche Loch, eine weiße Taube in die Kirche gesandt, die den heil. Geist bedeuten muste, dieser fladderte dann in der Kirche hin und her, und begabte wohl manchen Andächtigen oder Andächtige mit einer Gabe, die eben nicht nach Bisam roch: Allein es folgten bald beßere. Denn der Küster warf oben durch das Loch,[107] unter das junge unten stehende Volck, anfangs eine Menge catholische Bilderchen, und bald hernach, indem sich diese Thoren drum rauften, ganze Hände voll welsche Nüße, gebackene Pflaumen, und Birnen etc. worauf dann erst der Lermen unter den jungen Leuten recht anging, von welchen immer einer dem andern über den dritten wegstieß, daß mancher unter ihnen mehr Stöße, als Gaben bekam.

Endlich, um die Ausgießung des hl. Geistes dem dummen Pöbel recht fühlbar zu machen, wurde auf die unten stehenden andächtigen Tumultuanten, die sich um die Pflaumen und Nüße schlugen, vom obbemeldeten himmlischen Vater eine Gelte mit Waßer gegoßen, und dadurch der ganzen Comödie ein lächerliches Ende gemacht.

§ 221. Diese letztere gar zu spöttliche Ceremonie hatte der Vicarius abgeschaft, die übrigen aber muste Er laßen, und konnte nicht verhindern, daß der h. Geist, wenn Er in der weitläuftigen Kirche, nicht wider gehaschet, oder gefangen werden konnte, nicht endlich vor Hunger sollte crepiret seyn. Andere heilige Thorheiten waren alda gleichfals nicht so, wie in St. Pölten oder in Wien zu sehen: Denn ich habe weder Creuzschlepper, noch Geißler allda wahrgenommen. Die sogenannten Oster-Mährlein aber waren noch Mode, mit welchen es diese Bewandniß hatte.

Weil in der Schrift gemeldet wird, daß den Jüngern die Erzehlung von der Auferstehung Jesu, eben als Mährlein vorgekommen wäre, so haben die Pfaffen vor gut gefunden, dem Volcke um diese Zeit würckliche Mährlein von der Canzel zu erzehlen und diese sind bisweilen ziemlich saftig, so daß man wohl den wohlüstigen Geist ihrer Erzehler daraus erkennen kann. Inzwischen habens die abergläubischen Leute gerne, daß sie so betrogen werden, und die leichtfertigen Pfaffen befinden sich wohl dabey und lachen sich die Haut voll.

§ 222. Ich war zur selben Zeit noch nicht fähig, mich selber mit unter diese Art der betrogenen zu rechnen, sondern dachte Wunder, was ich vor diesen Leuten vorauß hatte, wenn ich mich nicht so gar grob und handgreiflich betrügen ließe. Deswegen bildete ich mir auf meine so genannte allein seligmachende Religion recht was großes ein, und that alle mein möglichstes, meine junge sowohl, als alte Herrschaft in der Beständigkeit derselben zu erhalten, wie ich denn eine Hauptursache mit war, daß der Herr Graf von Kornfeil, mein erster Herr, wegen seiner zahlreichen Familie (:die zu meiner Zeit noch minderjährig war, und alle hätten catholisch werden müßen, wenn Er vor ihren vogtbaren Jahren hätte verfallen sollen:) seine Güter in Oesterreich verkaufte, nach Nürnberg zog, und ums gewißens willen, einen sehr ansehnlichen Verlust lidte. In der That verließ er zwar[108] daß große Pabstthum, verbeßerte sich aber allein nichts in dem kleinen; indem er in demselben eben so wohl ein armer Sünder bleiben muste, als er in dem großen hätte seyn können; sondern er verschlimmerte sich auch noch so weit in demselben, daß Er sich alle Kräfte, von Natur etwas gutes thun zu können, bey seiner Secte muste nehmen laßen, die Er in dem groben Papstthum, das so viel von guten Werken hält, hätte behalten können: Aber was thut nicht der Blindglaube, der uns, so zu reden, mit der Mutter-Milch eingeflößet wird.

§ 223. Ich bin zwar durch die Gnade Gottes endlich davon frey worden; Aber ob meine liebe Herrschaft, die meine nachmaligen Schriften, sonder Zweifel, auch wird zu sehen bekommen haben, meinem Exempel gefolget sey, ist mir unbekannt; aufs innigste gönnete ich Ihr die Glückseeligkeit, die mir dadurch zugewachsen, von ganzen Herzen. Denn ich werde gleich, aus eigener Erfahrung ein Exempel erzehlen, in was vor betrübte Umstände, ein armes Gemüth gerathen kann, das sich noch einen erzürnten Gott, und eine ganze Hölle voll Teufel vorstellen muß, die Er wider einen einzigen armen Sünder, oder Sünderin zu seiner Rache aufgeboten.

Es begab sich nehmlich um die Zeit meines etwa anderthalbjährigen Aufenthalts in Purgstall, daß die Schwägerin von meinem Herrn, die eine Schwester des Grafen von Kornfeil war, und den Herrn Baron von Stockhorn zum Gemal hatte, bey einem schweren Kindelbette in melancholische Umstände gerieth, und Troz den beigebrachten Meinungen von der allein seligmachenden Kraft ihrer Religion, an ihrer Seligkeit zu zweifeln anfing. Weil ich nun ein Theologus hieß, so wurde ich theils durch ihren Herrn, theils durch ihren Bruder, den Grafen von Kornfeil berufen, ihr in diesen betrübten Umständen beyzustehen, und der Beruf erfolgte eben, als meine Herrschaft den catholischen Pfarrer, und deßen Vicarium, nebst andern catholischen Cavalliern zur Tafel hatte, die, als Graf und Gräfin, bey Erhaltung der Briefe, in ziemlicher Bestürzung mich von der Tafel zu einem Abtritt in ein Nebenzimmer nöthigten, schon ihr Theil denken mochten.

§ 224. Meine Herrschaft that mir den Antrag, schien aber nicht gerne daran zu gehen, mich zu diesem Apostolate zu gebrauchen, weil dadurch leicht hätte entdeckt werden können, daß sie einen Prädicanten zum Hofmeister gehabt. Sie ließ es also auf mein Gutachten ankommen: Wie ich mich aber erboth, mich Ihnen zu Liebe gerne aufzuopfern, und es vor meine Schuldigkeit hielt, einer beängstigten Person, nach meinem besten Vermögen beyzustehen, so muste ich noch am selbigen Tage, mit dem ältesten Sohne meines Herrn, dem Grafen[109] Moritz, der schon gereiset hatte, die Reise nach Heinreichs, zum Herrn Baron von Stockhorn, über Crems, antreten.

Wir trafen daselbst meinen Nachfolger beym Herrn Grafen von Kornfeil, den Herrn Ehrlicher an, der aber ein Jurist war, und schon das Vorurtheil nicht vor sich hatte, das mir, als einem Theologo zu Statten kam, ungeacht Er, wenn Er hätte sagen dürfen, was Er dachte, beßer als ich, würde im Stande gewesen seyn, der schwehrmüthigen Gräfin ihre heiligen Grillen zu vertreiben. Genug Er that, nebst ihrem Gemahl, nach Maßgebung der Lutherischen Sätze, sein Bestes, Sie wieder auf fröhliche Gedanken zu bringen. Sie musten sich aber beyde von Ihr, mit Unmuth unter Augen sagen laßen, daß sie nicht dazu erschaffen wären, den Teufel, der sie quälete, und den sie immer vor dem Bette stehen sehen wolte, zu vertreiben.

§ 225. Ich armer Stümper war damals eben so wenig darzu erschaffen, als die 2 andern Tröster, und ich glaube, daß ich sehr übel bey ihr angekommen seyn würde, wenn ich diesem Popantz hätte die Larve abziehen, und Ihr zeigen wollen, daß weiter nichts, als das Vorurtheil der Erziehung darunter verborgen: Ich war aber damals selber noch ein sehr starcker Teufels-Patron, und wuste dessen eingebildete List und Macht so groß zu machen, daß ich mich manchmal selber kaum trösten konnte.

Inzwischen mußte ich doch damals mit Gewalt einen Teufels-Banner agiren, und das Vorurtheil, daß ich, als ein Theologus, eher, als andere, zu dieser Gauckeley erschaffen sey, secundirte mich auch in meinem Vorhaben so wohl, daß sich, Zeit meiner Anwesenheit, kein Teufel mehr, vor dem Bette der guten Gräfin presentiren wolte.

§ 226. Ich muste ganze Nächte bey Ihr wachen, und mir die fürchterlichsten Einwürfe von der verwünschten Gnadenwahl machen laßen. Mein munteres Naturell aber, das Gott, nach seiner unermeßlichen Güte, schon damals ganz anders empfand, als ich, nach den heillosen Vorstellungen eines Miltzsüchtigen Pauli, selber glauben durfte, wuste Ihr denselben auf eine so reitzende Art vorzustellen, daß sie nach und nach ganz zufrieden wurde, und endlich sagte, daß sie einen Finger aus der Hand (:eine starcke obligation vor eine vornehme Dame:) drum schuldig seyn wolte, wenn ich bey ihrem ersten Zustande gewesen wäre. Es war mir heimlich lieb, daß ich nicht dabey gewesen war: Denn ich würde kein Mittel gewust haben, den Teufel, den ihre Phantasie, so oft sie wolte, erschaffen kunte, zu vernichtigen, weil ich ihn selber noch im Kopfe hatte, und damals an nichts weniger[110] dachte, als daß Er sich, bey näherer Erkenntniß Gottes, von sich selbst verlieren würde.

227. Nach einem vierwöchichen Aufenthalt allda, wurde sie endlich völlig wider hergestellt, und ich, nebst dem Hrn. Ehrlicher, mit einer guten Erkenntlichkeit wider nach Hause geschickt, nachdem ich auch an diesem Orte, bey angehender Beßerung der Gräfinn, manche Ergözlichkeit genoßen.

Endlich fügte sichs, daß der Herr Graf von Kornfeil, nach Verkaufung seiner Güter, in Begriff stund, nach Nürnberg zu gehen, von welcher Gelegenheit, umsonst bis nach Regensspurg und von daraus wider nach Sachsen zu kommen, ich um folgender Ursachen willen, zu profitiren suchte: Ich hatte, seit einiger Zeit gemerckt; daß man den Grafen Reinhard, als meinen ältesten jungen Herrn, nachdem ich Ihn aus dem gröbsten gezogen, unter der Hand aus meiner Aufsicht spielen, und denselben einem andern, Ihn auf Reisen zu führen, übergeben wolte: Ich hingegen solte zum Inventario und Erziehung der übrigen jungen Herrschaft gebraucht werden, worüber ich mich dergestalt ärgerte, daß ich meinen Abschied mit ziemlicher Ungestümigkeit forderte.

§ 228. Ich erkannte aber meine Uebereilung bald, und sahe wohl ein, daß wenn ich von dem Grafen von Auersperg nicht in guten Vernehmen wegkommen sollte, ich mir keine Rechnung würde machen dürfen, daß mich sein Herr Schwager, der Graf von Kornfeil mit nach Regensburg nehmen würde, wodurch ich doch, da ich einmal Willens war, meine Condition zu quittiren und wider nach Sachsen zu gehen, ein ansehnliches an Reisekosten ersparen kunte6.

Es muste also, um meinen Zweck nicht zu verfehlen, die Sache glimpflicher und mit geziemender Bescheidenheit angefangen, und wenigstens ein anderer Vorwand, als ein Mißvergnügen über meine[111] Herrschaft zum Grunde meines zu fordernden Abschiedes gelegt werden, und dieser fand sich abermal erwünscht in der Beschaffenheit meiner, mit so vieler Mühe erlernten Kunst, die ich endlich ganz vergeßen würde, wenn ich nicht bald wieder in eine Uebung derselbigen solte gerathen können etc. Meine liebe Herrschaft war so gnädig, dieses gelten zu laßen, und ertheilte mir, nebst einem Recompense von 30 Gulden, meinen Abschied, sauber auf Pergament geschrieben, unter folgenden Formalien.

§ 229. »Ich, Wolf Augustin, des heil. Röm. Reichs Graf und Herr von und zu Auersperg, Herr der Herrschaft Neu Schloß Purgstahl, der Röm. Kays. Königl. und Cathol. Majest. Erb-Cämmerer und Erb-Marschall in Crain und der Wündischen March etc. bekhenne und bezeige hiemit, daß Vorzeiger dieses, der Wohledle und Wohlgelährte Hr. Johann Christian Edelmann, von Weißenfels in Sachsen bürtig, mir 2 Jahr und 6 Monath, als Hofmeister bey meiner jungen Herrschaft, treu, fleißig und bescheidentlich gedienet und in allen sich so aufgeführet, wie einen Gewißenhaften, Gott und die Erbarkeit liebenden vorgesezten gebühret.

Gleichwie nun aber seine Umstände, so beschaffen, daß Er, nachdem Er bereits 6 Jahr in Oesterreich sich wohl und christlich verhalten, in seinem Vaterlandt länger vergeßen zu bleiben nicht vor rathsamb erachtet, als hat er mich mit geziemender Hochachtung ganz Unterthänigst ersuchet, ihn dermalen seines Dienstes in Gnaden zu Entlaßen, welchen billigen Begehren denn ich auch in Ansehung mir seiner so emsig, Sorgfältig und aufrichtig geleisteten Dienste, zu entstehen, in keine Wege gesonnen, sondern hiemit und Kraft dieses, obgedachten Herrn Johann Christian Edelmann seines bisherigen Unermüdet abgewarteten Ambtes, in Gnaden Entlaßen wollen, also und dergestalt, daß ich demselben so vill mir bewust, sowohl in der Pflicht gegen Gott, als Bezeugung gegen die Erbare Weldt, niemals etwas ungebührliches nachzusagen weiß. Gelanget demnach an alle und jede, Hohe, mittlere und niedere Standes-Personen, denen dieses, mein aufrichtig Ertheiltes Zeugniß möchte vorgeleget werden, mein Respective dienstfreundliches Ersuchen und Bitten, Selbige geruhen mehr bemelten Herrn Johann Christian Edelmann wegen seiner Treu, Mäßig-und Embsigkeit aller Orten gewogen und seinen Verlangen nach, Möglichster maßen beförderlich zu seyn, solches Erbiete mich bey vorfallender Gelegenheit auf alle Weyß nach Standes Gebühr Wüder zu verschulden. Zu Urkhundt dessen habe gegenwärtigen Abschied mit meiner Eigenen Hand unterschrieben, und mit meinen angebohrnen Gräfl. Pettschaft und Insiegel[112] gefertiget, So geschehen auf meiner Herrschaft Neu Schloß Purggstahl in Nieder-Oesterreich den 30sten Tag des Monats April des 1731sten Jahrs.«

Wolf Augustin Graf und Herr von Auersperg (L.S.).

§. 230. An die Oesterreichische Orthographie muß sich niemand stoßen, denn ihre Orthographie scheinet darin zu bestehen, daß sie keine haben, und zeuget eines Theils mit von ihrem, ohne Dummheit einfältigen und ungekünstelten Wesen, in welchem Punct mir diese Nation vor allen andern gefallen.

Nach erhaltenen Abschied blieb ich wohl noch 7 Wochen in meinen Diensten, weil der Hr. Graf von Kornfeil, mit dem ich abreisen wolte, erst nach Pfingsten aufbrechen wolte. Gegen diese Zeit begab sich meine alte und junge Herrschaft auf die Reise nach Ungern, um alda ihre gewöhnliche Andacht zu halten. Ich beurlaubte mich also von Ihnen sämtlich, und blieb, biß zu meiner Abreise, auf Befehl der Herrschaft auf dem Schloße allein, wo man mich eben so bedienen muste, als wenn die Herrschaft zugegen gewesen wäre.

§ 231. Diese Zeit brachte ich in meiner erwünschten Einsamkeit, wenn ich nicht auf der Jagd oder sonst spaziren war, meistens mit poetisiren und andern guten Betrachtungen, über meinen, theils vergangenen, theils zukünftigen Zustand zu, und verfertigte, nach des beliebten Herrn Schmolkens Art allerhand Lob- und Danklieder über die mancherley unzehligen Wohlthaten, die ich bisher in der Fremde aus der Fülle aller Güte genoßen hatte.

Ich konnte nicht ohne Thränen dran gedenken, wenn ich betrachtete, daß ich diese so angenehme Landschaft zusamt der freyen und unschuldigen Lebensart, ohne zu wißen wie mir es ins künftige gehen würde, auf ewig würde verlaßen müssen. Absonderlich charmirte mich das ungefehr eine Viertel-Stunde von unserm Schloße gelegene Lust-Wäldchen, an deßen einer Seite der Fluß Erlaff zwischen hohen felsichten und mit Schattenreichen Büschen und Bäumen bewachsenen Ufern, über allerhand kleine Waßer-Fälle sich mehr wältzete als floß, und durch sein, bisweilen sehr hoch anlaufendes Waßer, manche natürliche Grotten in die Felsen ausgewaschen hatte, in welchen man sich bei heißen Sommertagen, ohne von jemand gesehen zu werden, nach aller Herrlichkeit baden konnte. Ich habe nach der Zeit oft bedauret, daß ich mich dieses, der Gesundheit so zuträglichen Vergnügens nicht öfter bedienet: Man vermißet aber ein Guth nicht eher, als bis man es entbehren muß.

§ 232. Zu einer desto aufmerksameren Betrachtung aller dieser natürlichen Schönheiten hatte mich des Hrn. Brockes irdisches Vergnügen[113] in Gott nicht wenig ermuntert. Weil ich mich nun dadurch gerühret, weit lebhafter und empfindlicher an den Werken Gottes ergötzen konnte, als ich je in meinem Leben gethan hatte, so hielt ichs vor meine Schuldigkeit, diesem ehrlichen Mann dieserwegen meinen Danck abzustatten, und schrieb daher folgendes an Ihn:


Verzeih, gelehrter Brocks, daß sich zu deinen Schwahnen

Ein unberedte Ganß mit ihren Schnaddern wagt;

Sie sagt nichts mehr, als das, was du so oft gesagt:

Man soll sich, durchs Geschöpf, den Weg zum Schöpfer bahnen.

Diß thu' ich auch, und seh an dir mit viel Vergnügen,

Wie viel des Schöpfers Huld in dich geleget hat;

Ich lese mich auch nie an deinen Schriften satt,

Weil sie mein schläfrig Herz recht aufzuwecken tügen.

Fahr' fort, vergrabe nicht, der Dummheit zu gefallen,

Dein unschäzbares Pfund; wiewohl du thust's auch nicht.

Du weißt, daß oft ein Dorn sein' eignen Rosen sticht.

Und daß es, leyder! heißt: Gott selbst gefält nicht allen,

Genug, du hast den Zweck, den du gesucht, erlanget,

Und hast manch Herz zu Gott, durch deinen Vers geführt.

Was schadts, wenn diese Lust manch menschlich Vieh nicht spürt.

Gold bleibet Gold, wenn gleich die Sau damit nicht pranget,

Ich würde noch weit mehr zu deinem Ruhme sprechen:

Doch dein bescheidner Geist hemmt meiner Worte Lauf,

Ich geb' auch also fort das matte Reimen auf,

Und weiß ein anderer ersetzet mein Gebrechen;

Nur dieses bitt' ich noch, beym Schluße dieser Zeilen,

Schreib mich mit in die Zahl ergeb'ner Diener ein.

Kan ich dies in der That, mehr, als mit Worten seyn;

So glaub' ich werde mich kein' Augenblick verweilen,

Aus Liebe gegen dich, das Herz mit dir zu theilen.


§ 233. Der liebe Mann antwortete mir in ungebundener Schreibart aufs höflichste wieder, und ich hätte damals wohl nicht geglaubt, daß ich Ihn noch einmal zu seiner lezten Ruhe in dieser Welt würde begleiten helfen. Es muste aber zu meinem, obschon ziemlich traurigen Vergnügen, doch geschehen, obschon der dortige wunderliche Hohe-Priester Wagner, in seiner ersten wider mich herausgegebenen Schmähe-Schrifft aus allen Kräften darwieder protestiret, und mit den Hinterlaßenen des Hrn. Brockes eine ordentliche Inquisition angestellet, ob sie auch, als ungezweifelt gläubige, so gottlos hätten seyn können, mit mir, als einem offenbaren ungläubigen so weit Gemeinschaft zu haben, daß sie mich zur Leiche ihres Verstorbenen hätten einladen laßen dürfen? Gerade als wenn einen so wackeren und wohlverdienten Mann sonst niemand mit das Geleite zu seinen Grabe geben dürfte, als wer sich den Gang bezahlen läßet, und das Recht hat, die Seufzer[114] seiner Vorgänger mit einer abgenöthigten Priese Schnupf-Taback zu bewillkommen.

Es waren damals viel 1000 Leute, die dem ehrlichen Mann auf eben die Art, wie ich, mit zu seiner Gruft folgten, und wenn man Zeit meines Aufenthalts in dortigen Gegenden die Welt von der Last des Herrn Wagners, auch mit Hinwegschaffung seines faulen Körpers hätte befreyen wollen, so würde ich ebenfals nicht ermangelt haben, diesem Spectacul mit zuzusehen, wenn mich gleich seine Hinterlaßenen nimmermehr darzu würden haben einladen laßen. Denn wer noch keine öffentliche Leiche in Hamburg mit angesehen, nimt diese Curiosité, vornemlich wegen der lächerlichen Art, die Leichen zu tragen, gerne mit: Denn die Träger (:welches dort die sogenanten reutenden Diener des Raths sind:) taumeln mit dem Sarge dergestalt von einer Seite zur andern, daß wenn die Schritte nicht alle nach dem Tacte gingen, mann mit jenem Holländischen Knechte (:der einen so possirlichen Aufzug auch noch nie gesehen:) wohl sagen möchte: Well: wo hebt sik de Fends besapen.

§ 234. Ich verlaße aber das angenehme Hamburg noch auf eine Zeitlang, biß ich in der Folge meiner Lebensbeschreibung Gelegenheit finden werde, etwas angenehmers davon zu erzehlen. Der Sprung den ich meine Leser von dar wider nach Oesterreich thun laße, ist zwar um ein ansehnliches weiter, als alle Seiten-Sprünge der Hamburgischen Leichenträger. Da er aber nur in Gedanken geschieht, so wird sich wenigstens niemand dabey dürfen auslachen laßen.

Die Zeit meines Abschieds aus diesem gelobten Lande, kam immer näher herbey, und mein Bruder in Chemnitz, der mich ohnedem schon etliche Mal bey sich eingeladen hatte, war dißmal das Ziel, bey welchem ich meine erste Ruhe in Sachsen wider nehmen wolte, ob ich mir schon im Voraus prophezeyte, daß sie eben nicht ewig währen würde. Genug ich konnte mit der Helfte Kosten wider in mein Vaterland kommen, und zwar auf eine so angenehme Art, daß ich mich noch vergnüge, so oft ich daran gedenke.

§ 235. Wir schifften uns eigentlich zu Yys auf die Donau, und zwar in der schönsten Jahreszeit, nemlich zwischen Ostern und Pfingsten ein: Ehe ich aber abfahre, muß ich meinen Lesern noch eine kleine Beschreibung von dem vortreflichen und sehr reichen Benedictiner-Kloster Molck geben, welches ich damals, wegen einiger noch einzuschiffenden Sachen der hochgräflichen Kornfeilischen Herrschaft, die ich zu besorgen hatte, und weswegen ich mich ein Paar Tage allda aufhalten muste, auch seinen innern Schönheiten nach, besahe.

Ich sage nicht zu viel, wenn ich sage, daß dieser, der Selbst-Verläugnung[115] gewidmete Ort, von der Kayserlichen Burg an Größe nicht sonderlich, an Schönheiten aber (:einige, der Majestät besonders eigene Kostbarkeiten, ausgenommen:) gar nicht übertroffen wurde. Seine Lage war so vortheilhaft, daß sie den Augen sowohl gegen die Seite der Donau, als gegen die Landseite, die allerangenehmste Aussicht verstattete, und weil es hart an der Donau auf einen ziemlich hohen und steilen Felsen lag, gegen die Landseite aber starck befestiget war, so konnte es auch in Krieges-Zeiten, nicht leicht überrumpelt werden.

§ 236. Das erste was ich da besahe, war der Wunderschöne Tempel, an welchem die neuere Baukunst ein rechtes Meisterstück dargestellet hatte. Alles glänzete darinnen von Gold und Marmor, zwischen welchen die künstlichsten Malereyen den Augen recht was Ehrwürdiges zeigeten, wenn nur alles wahr gewesen wäre, was sie vorstelleten. Genug sie waren vermögend den Augen der abergläubigen einen recht tiefen Eindruck zu machen, wenn zumal die massivsilbernen Götzen der Heiligen, womit man zu Festzeiten die Altäre auszuschmücken pflegte, und die mit den kostbarsten Edelgesteinen versezte Monstranzen oder sogenannten Sacraments-Häußlein (:die man aber, nach dem Aberglauben dieser Leute mit beßeren Rechte, prächtige Gottes-Kercker nennen könnte:) darzu kamen.

Die aus gediegenen Silber gegoßenen Bilder der Heiligen und Apostel hatten fast Lebensgröße, und fülleten in der Sacristey viel große Schräncke mit ihren Schätzen an, bey welchen Anblick, wenn ihn mancher Meßias sehen solte, ich eben nicht gut davor seyn möchte, daß Er nicht die guten Leute, aufs neue in alle Welt gehen heißen dürfte. Zum wenigsten dürften sie manchen, in solchem Fall ungleich kräftiger helfen, als auf den Altären ihrer Götzendiener.

§ 237. Aus der Kirche wurde ich in die obern Stockwercke des Klosters geführet, allwo ich Gallerien antraf, die so lang waren, daß ich sie mit einer Flinte kaum auszuschießen getrauete. Zu beiden Seiten waren Gast-Zimmer, aufs netteste ausmeubliret, und alle mit kostbaren Weih-Kesseln versehen, der schönen Gemälde nicht zu gedencken, die überall in Menge zu finden waren.

Nach langen Hin- und Hergehen kam ich endlich in die Heilige Kleider-Kammer, wo ich über 50 der köstlichsten mit Perlen auf Sammt und gülden Stück besetzten Meß-Gewandte antraf, die ihrem sehr hohen Werthe nach, schon einen Schaz ausmachten, den eben nicht ein jeder König gleich zu bezahlen im Stande ist. Nichts aber kam an Kostbarkeit einer alten Inful oder Bischofs-Mütze bey, die vor etlichen 100 Jahren, von einem andern Kloster, war dahin versetzet,[116] oder um einen sehr ansehnlichen Preiß verpfändet worden. Denn die bestund aus lauter, Reihenweise an einander gesezten Perlen, worunter die kleinsten, wie Erbsen, die grösten aber, wie ziemliche Bohnen waren. Am Hintertheile derselben hingen 3 massivgoldene Bammelotten eines starcken Daumens lang und dick, die am Ende mit Schmaragden, von der Größe eines halben Guldens, eingefaßet waren.

§ 238. Ich weiß nicht mit was vor Gewißen sich solche reiche Leute arme Sünder nennen können, da sie überzeugt seyn müßen, daß sie auch unter Königen kaum reichere antreffen würden. Es ist zwar wahr, daß keiner unter ihnen vor seine Person sagen kann, daß alle diese Reichthümer seine gehören: Allein Er ist doch ein Glied von der Gesellschaft, die sie besitzen, und da ist es eben so absurd, in dieser Verbindung, sich arm zu nennen, als ungereimt es seyn würde, wenn sich die Bekleideten Glieder unsers Leibes, bloß nennen wolten, darum weil auch keines von denselben, vor sich alleine sagen kann, daß ihm die Kleider, die es bedecken, eigen wären7.

Doch ich will mich dabey nicht aufhalten, sondern nur so viel noch sagen, daß der Pfaff, der mich und Hrn. Vidal, unsern Schiffer, in dem Kloster herumführete, und wohl ein paar Stunden nach einander, mit großer Geflißenheit, alles Sehenswürdige zeigte, beym Abschiednehmen, nicht die geringste Erkenntlichkeit von uns annehmen wollte, ungeacht Er nur ein Sacristan und Küster, und folglich ein sogenannter Layen-Bruder war, der gar wohl ein Trinckgeld hätte nehmen dürfen: Da ich hingegen nach der Zeit in Lübeck, in der Marien-Kirche, wo ich weiter nichts, als eine, vom Schweiß zerfreßene Leinewand-Mütze zu sehen kriegte, die des heil. Johannis Nacht-Mütze gewesen seyn solte, an 12 Schillingen nicht genug Trinckgeld gab. Sieh! was der leidige Geitz nicht thut?

§ 239. Ich hätte gern die Kloster-Bibliothec auch besehen, und den nach dortiger Art gelehrten Pater Peez gesprochen: Allein dieser war damals nicht einheimisch, und der Bibliothecarius hatte andere Verhinderungen, daß ich also das übrige der Zeit vollends zu Besichtigung der öconomischen Bequemlichkeiten dieses treflichen Klosters anwendete, die in der That unvergleichlich waren, indem es innerhalb seines Bezircks alle unentbehrliche Handwercker hatte, daß keiner, der etwas nöthig hatte, seiner Bedürfniß wegen, einen Fuß, in die, gleich unter dem Kloster gelegene Stadt setzen dürfte. O! Ihr glückseeligen[117] Armen! Wie wohl ist euch hier auf Erden! Es ist fast zu viel, daß ihr das Himmelreich noch oben darauf haben sollet, doch ihr mögt sehen, wie ihr euch um den Besitz desselbigen vergleichet. Wenn ich zu wehlen hätte, so kann ich nicht läugnen, daß ich eher nach eurer gegenwärtigen Gemächlichkeit, als nach Eurer zukünftigen Herrlichkeit greifen würde, denn ich kann mir dieselbe, nach der Menge der armen Sünder, die daran Theil haben sollen, eben nicht sonderlich einbilden. Aufs wenigste kann man mir nicht gut davor seyn, daß es nicht unter der unzehlbaren Menge der Prätendenten, die alle ein gleiches Recht zu diesem Reiche zu haben glauben, einen neuen Streit im Himmel setzen solte. Und wer kann mich alsdann versichern, daß eben Fürst Michael, der die Teufel so glücklich aus dem Himmel auf die Erde geworfen, daß sie alda wieder ein neues Reich, Ihm zum Poßen aufrichten können, auf meiner Seite seyn, und meine Mitseeligen auch vor Teufel ansehen werde. Das Beste wird wohl vor mich seyn, daß ich mich in diesen, allem Ansehen nach, gewiß zu vermuthenden Streit, nicht menge, sondern zufrieden bin, mit dem, was mir mein Schöpfer, nach der Unermeßlichkeit seiner Güte, bey dem Hingange aus dieser Zeit, bescheiden wird. Herr, ich warte auf dein Heil!

§ 240. So bald ich in Mölck mit Einschiffung der Sachen meiner lieben Herrschaft fertig war, gieng unsere Farth nach Yps, wo wir noch eine und die andere Nothwendigkeit mitzunehmen hatten. Ich kann wohl mit Wahrheit sagen, daß ich nie eine anmuthigere und vergnügtere Waßer-Reise gehabt, als diese. Denn ob wir schon dem schnellen Strohm entgegen, mit vielen Pferden, ganz langsam, nur am Rande fortgezogen wurden, so war doch eben diese langsame Art der Reise, eine der größten unserer Vergnügungen. Denn wir kamen fort, ohne fast zu wißen, wie? Und kunten die angenehmsten Gegenden, zur rechten und linken Seite der Donau, recht mit Attention betrachten.

Unsere Schiffe waren so bequem gebauet, als man sie wünschen konnte, und wir hatten entweder auf denselbigen schon alles, was wir zur überflüßigen Leibes-Nahrung und Nothdurft nöthig hatten; oder wenn uns ja bey der warmen Jahreszeit an Fleischwerk etwas abgieng, so stieg die Gräfin, des Abends, wenn wir an bequemen Orten vor Ancker lagen, selber aus, und kaufte an Federvieh, Fischen, Wildpret und andern Lebens-Mitteln, was uns nöthig war. Denn Wein hatten wir, nebst andern Geträncken so schon auf den Schiffen.

§ 241. Wir speiseten Mittags und Abends, auf dem Herrschaftlichen[118] Schiffe zusammen, mit solchen Vergnügen, daß ich noch, biß diese Stunde, ohne Ergötzen, nicht daran denken kan. Auf dem Schiffe, wo ich mich befand, war mein ehemaliger lieber Untergebener, der junge Graf von Kornfeil, nebst seinem Hofmeister, dem Hr. Ehrlicher, und dem Cammerdiener des alten Herrn, den ich schon von Purgstall her kannte, als Er noch Cammerdiener beym Grafen Moritz, meines Untergebenen älteren Hrn. Bruder war.

Wir divertirten uns hier auf mancherley Art, theils mit Schießen mit der Flinte, auf die vorüberfliegenden Wasser-Schwalben, theils mit der Flöten-Musik, theils mit dem L'hombre-Spiel, wobey ich aber gemeiniglich das Gelag bezalen muste. Absonderlich war unsere Nacht-Ruhe so anmuthig, daß ich sagen kan, ich habe in meinem Leben, nie sanfter und erquickender geschlafen, als auf dieser Reise. Denn ob wir schon vor Mitternacht nie zu Bette kamen, so waren doch unsere Schlaf-Stellen und Betten so reitzend gebauet, daß sie uns, auch wider Willen, zum Schlaf invitirten.

§ 242. Sie stießen, was die meinige und des jungen Herrn seine betraf, gegen das schöne, und gemeiniglich mit anmuthigen Püschen bewachsene Ufer, auf welchen der liebliche Gesang so vieler, mit einander certirender Nachtigallen, uns ordentlich einzusingen pflegte. Kaum ließ sich die Morgenröthe wider blicken, so machten uns die Schiffer und Zug-Reuter, mit ihren seltsamen, und an sich rauhen Zurufen und Gesängen wider eine andere Music, die unsern Schlummer gar nicht zuwider war, und wir wurden mit samt unsern Betten und Schlaf-Stellen, unter steter Abwechslung anderer und anderer Vogel-Gesänge, halb träumend, noch so lange fortgezogen, biß sich die schöne Sonne völlig am Himmel zeigte. Als dann machten wir uns aus den Federn, stiegen in unserm Nacht-Habit aufs Verdeck, bliesen etwa ein Morgenlied auf der Traverse, und belustigten hernach unsre Augen und Gemüth, an der Pracht des Tages und den schönsten Gegenden, biß es Zeit war Thee zu trinken.

§ 243. In Summa, es wurde diese Reise, die biß Regenspurg ungefehr 11 Tage und so viele Nächte daurete, mit recht erwünschten Vergnügen vollendet, worzu selbst ein fürchterliches Gewitter mit helfen muste, welches uns an einem Abend, da wir uns kaum vor Ancker geleget hatten, mit einem ziemlichen Sturm überfiel. Es daurete aber nicht lange, und wie der Plaz-Regen vorbey war, so machten die noch übrigen kalten Blitze, in den Wellen der Donau, ein so anmuthiges Lustspiel, daß man es nicht ohne Ergötzen mit ansehen konnte.

Wenigstens hatten dergleichen prächtige Offenbarungen Gottes,[119] weit mehr Rührungen vor mich, als wenn wir des Sonntags auf dem herrschaftlichen Schiffe unsern sogenannten Gottesdienst hielten, und uns aus einer alten Postille, die Träume dieses oder jenes Predigers über die Alt- oder Neu-Testamentische sogenannte Offenbarung vorlesen laßen musten. Doch zur selbigen Zeit hatte ich auch vor diese Art der göttlichen Offenbarung, noch alle Hochachtung, ob mir schon einige Redens-Arten des Hrn. Brocks, deßen irdisches Vergnügen in Gott ich fleißig laß, von der herrlichen und keiner Verfälschung unterworfenen Offenbarung Gottes in der Natur, einen solchen Eindruck in mein Gemüthe gemacht hatten, daß ich wohl fühlen kunte, daß sie mir mehr sagen wolten, als ich noch zur Zeit verstehen konnte.

§ 244. Wie wir unter Lintz ankamen, wurden wir von einer ansehnlichen Canonen-Salve bewillkommet: Allein die Ehre galt nicht uns, sondern dem aus Brod erschaffenen Herr Gott der blinden Päbstler, die damals eben ihr sogenanntes Frohnleichnamsfest begiengen, und ihrem verstorbenen Gott zu Ehren solch Lerm machten. Wir nahmen sie indeßen, als uns geltend an, und würden eine angenehme Gesundheit dabey zu trincken nicht unterlaßen haben wenn wir uns eben über der Tafel befunden hätten. Wir speißten unterdeßen doch kurz hernach vergnügt auf unserm Schiffe, und sezten unsere Reise vollends durch Bayern biß Regenspurg, ohne sonderliche Merkwürdigkeiten fort, außer daß wir an einigen Orten in Bayern, am Strande der Donau, die Bauern aus dem angespielten Sande, gediegene Gold-Flitterchen auswaschen sahen, deren etliche von der größe einer Linse waren, aber nicht so dicke. Die Bauern sagten, daß sie dem Churfürsten wöchentlich 4 Gulden vor diese Erlaubniß geben müsten. Daß also scheinet, daß sich diese, in der That mühsame Arbeit, doch der Mühe einiger Maaßen verlohnet haben müße.

§ 245. Ehe ich in Regenspurg aussteige, muß ich noch eine lächerliche Historie von Wien nachholen, an die mich, das erst jetzt erwähnte Frohnleichnams-Fest erinnert. Wer um diese Zeit da gewesen, der wird wißen, daß alle, daselbst vorhandene Zünfte, alsdann mit ihren Fahnen, von St. Stephan aus, Procession-Weise, durch einige der vornehmsten Gaßen, biß wieder nach St. Stephan zu ziehen pflegen, und dieser Zug währet von früh 5 Uhr an, biß zu Mittage, ohn Unterlaß.

Der Kayser wohnet demselben zu Fuße mit bey, und kniet bey den gewöhnlichen Stationen, wo Altäre gebauet sind, und ein hölzernes Pult, mit einem Knie-Brete versehen, gesetzet ist, nicht auf[120] das, Ihm vorgelegte Polster, sondern schiebet es, aus großer Andacht, auf die Seite, und kaubelt, unter einer herrlichen Music, seiner, Ihm begleitenden Hof-Capelle, etliche Corallen, von seinem Rosen-Krantze ab, der Ihm biß auf die Füße hänget, und Corallen, oder Kugeln hat, die, zum wenigsten, ohne zu lügen, so groß, als ein kleiner Kindes-Kopf sind, und denen, die einen so großen Monarchen, von der leichtfertigen Clerisey so herum schleppen sehen, und beßere Einsichten haben, keine kleine Verwunderung veruhrsachen. Doch dieses habe jetzt nur im Vorbeygehen mit berühren wollen.

Das lächerlichste, was bei dieser Procession, wie man mich berichtet, alle Jahr zu geschehen pflegt, ist, daß man unter die Ehrwürdige Schneider-Procession, ehe sie sichs am wenigsten versehen, einen Ziegen-Bock zu practiciren weiß, ohne daß sie jemals ausmachen können, wo er hergekommen. Genug, er wird von der greulichen Menge Volcks, daß so dick auf den Gaßen stehet, daß kein Aepfel zur Erden kann, so lange hin und her gestoßen, biß er mitten unter die Schneider geräth, da es dann, bey aller Andacht, die sie haben solten, nicht an fluchen, und an Seiten der Zuschauer, nicht an Spott und Gelächter fehlet.

§ 246. Ich wende mich aber wieder zu meiner angenehmen Reise-Gesellschaft, von welcher ich, nach glücklicher Ankunft in Regenspurg, und Abstattung unterthänigsten Dancks, aufs zärtlichste Abschied nahm, und in Gesellschaft eines Französischen Kaufmanns, mit der Post weiter nach Nürnberg gieng. Diese Reise hätte mir bald das Leben gekostet; denn ich wurde von dem, Bergunter, über Stock und Steine, mit der grösten Unvorsichtigkeit fahrenden Postillon, dergestalt umgeworfen, daß das unterste des Wagens zu Oberst zu stehen kam, und ein recht Wunder war, daß ich nicht, mit samt dem Franzosen, der neben mir saß, und unter mir zu liegen kam, Hals und Beine gebrochen.

Es ist kein Zweifel, daß mir mancher, meiner Brüder, der mich nach der Hand kennen lernen, eine solche Himmel- oder Höllen-Farth, gerne würde gegönnet haben. Aufs wenigste haben einige derselben, ganz kürzlich noch nicht bergen können, wie angenehm ihnen die Lügen gewesen, die man ihnen, auf gleichen Schlag, von meinem gewaltsamen Tode aufgeheftet. Denn sie sollen sie, dem Berichte nach, in Hanover und Hamburg ordentlich mit auf die Canzel gebracht, und ihren leichtgläubigen Zuhörern, mit vielen Augen verkehren, Schröckens-Blicken und andern Theologischen Ungeberden erzehlet haben, daß ich auf meiner lezten Reise, weiß nicht, wohin? beym Durchgehen der Pferde, hätte aus dem Wagen springen wollen, und da wäre ich,[121] zur Freude aller rechtgläubigen, und zu meiner wohlverdienten Strafe, aus göttlichen gerechten Gerichte, dergestalt gerädert worden, daß sich die Gedärme um das Rad gewunden, und ich also, gleich einem andern Juda, mein Eingeweyde ausschütten, und meinen unseeligen Geist aufgeben müßen.

§ 247. Animula vagula blandula, hospes comesque corporis, quae num abibis in loca? Pallida, rigida, lucrida8, nec, ut soles, dabis jocos. Verzeihe, großer Kayser, der du in Ansehung des unverdienten Haßes, womit dich eine Menge andächtiger armer Sünder, auch nach dem Tode verfolget, mit mir fast in gleichen Umständen stehest, daß dir der arme, durchaus Todt seyn sollende Edelmann, dein Sterbe-Liedchen abborget. Du bist zwar ein Heyde gewesen, und hast, wenn alles wahr ist, was deine mißgünstigen von dir schreiben, eben nicht so gelebet, daß du hättest hoffen können, einmal einen Hochzeit-Gast an der Tafel des Lammes mit abzugeben: Aber der Edelmann sehnet sich nach dieser Ehre auch nicht, und will lieber mit dir, wann es unser Schöpfer so vor uns gut findet, Loca pallida, rigida, lurida durchwandern, und zu scherzen aufhören, als mit den christlichen armen Sündern, auch nach dem Tode noch, nach dem Verderben unschuldiger lebendigen trachten.

Meine Leser werden mir diese Ausschweifung zu gute halten. Denn ich weiß bey den vielen Zeitungen, die mir eine Zeit her, von meinem Tode zu Ohren gekommen, bald selber nicht mehr, ob ich mich unter die Todten, oder die lebendigen mit rechnen soll. Ein einziger Umstand macht mir noch glaubend, daß ich noch am Leben seyn müße, und dieser ist, daß mein Tod, von der Canzel verkündiget worden. Ein jeder weiß, daß dieses ein geheiligter Ort ist, und daß, wenn Gott allemal mit Donner und Blitz drein schlagen solte, so oft eine Lügen von demselbigen erschallet, schon längst keiner mehr in der Welt seyn würde. C'est la ou bien, ou mal, on a droit de tout dire, sagt der Poet, und man kan daraus deutlich genug abnehmen, daß man eben nicht alles, was man von der Canzel höret, vor Oracul annehmen müße.

§ 248. Ich fange also, troz dem Evangelio, das meinen Tod so gewiß versichert, auch wieder an zu leben, und man wird, nach dieser meiner Auferstehung, nach welcher ich mich, sowohl Feinden, als Freunden, in meinem, von den Rädern zermalmeten Cörper, öffentlich wieder gezeiget, ungleich mehr merkwürdige, und von mir selbst aufgezeichnete Begebenheiten zu lesen kriegen, als wenn ich[122] meinen Lebenslauf, gewißen Evangelisten zu beschreiben, hätte anvertrauen wollen.

Ich nahm, zum Preise Gottes, bey meinem glücklichen Falle von der Post, nicht den geringsten Schaden, sondern kam endlich in Erlangen, wo ich mich ein Paar Tage aufhalten muste, und sodann in Nürnberg glücklich an; allda verweilte ich mich diesmal nicht lange, sondern reisete mit der nächsten Post, grade nach Sachsen.

§ 249. Mein Bruder, der damalige Auditeur des Marchischen Regiments in Chemniz, hatte eine große Freude, wie er mich wieder sahe, und wir lebten ungefehr 2 Monathe zusammen, ganz vergnügt. Ich predigte auch daselbst in allen 3 Kirchen mit Applause. Allein meine Gelderchen wurden nach und nach dünne und ich trug Bedenken, meinem Bruder, der selber nicht viel zum Besten hatte, mit meiner Gegenwart länger beschwerlich zu fallen. Ich gedachte also mit dem wenigen so ich noch hatte, nach Dresden zu gehen, und wenn da nichts vor mich zu thun seyn würde, auf der Elbe vollends nach Hamburg zu schwimmen.

In diesen Gedanken fügte sichs, daß mich der Hr. Land-Physicus Schuster, mir unwißend, einem gewißen Land-Priester (dessen Namen ich aus Liebe verschweige9) zum Informator seiner Kinder recommendirete. Dieser kam selber nach Chemnitz, und warb um mich. Wir wurden auch des Handels, um 30 Thaler, jährlichen Salarii, bald einig, und ich zog, nach 8 Tagen, in Begleitung meines Bruders, zu ihm.

§ 250. Seine Pfarre gehörete unter die Freybergische Inspection, und mithin, unter den Hrn. Doctor Wilisch, der mein ehemaliger lieber Director in Altenburg gewesen, nunmehro aber Superintendens in Freyberg war. Ich hatte an demselben einen Patron, der auf alle Weise auf meine Beförderung bedacht war, und sich recht freuete, mich in seiner Inspection zu haben. Ich selber sahe diese günstigen Aspecten vor eine besondere Direction Gottes an (:die sie auch in der That waren, nur nicht in der Absicht, einen Pfarrer aus mir zu machen:) und studirte aufs neue in meiner neuen Condition, dergestalt fleißig, daß ich Tag und Nacht nicht von den Büchern kam, und meinen guten Pfarrer, der sich mehr um die Haushaltung, als um die Bücher bekümmerte, gar bald gegen mich zur Eyfersucht reizete.

Ich kehrte mich aber an nichts, sondern wartete mein Amt treulich ab, übte mich fleißig im Predigen, nicht nur an meinem Orte,[123] sondern auch in den benachbarten Städchen und Dörfern, und befliße mich, vor allen Dingen eines exemplarischen Wandels. Dieses machte mich bey einem Manne, der ein eyffriger Orthodoxus war, und mehr vom Glauben, als vom Leben hielte, gar bald des Pietismi verdächtig. Doch durfte er sichs nicht merken laßen, weil ich ihm schon zu weit in die Karte gekückt hatte, und im Stande war, ihm auf gewiße Maße, den Daumen auf dem Auge zu halten.

§ 251. Dieses machte, daß Er mir mit weit meherer Distinction begegnen mußte, als Er meinen Vorfahrern begegnet hatte, und Er selber wurde durch meine Eingezogenheit, die Ihm ein rechter Dorn im Auge war, von manchen Ausschweifungen abgehalten und zu einer sittsameren Aufführung gebracht. Ich will diese meine damalige Aufführung keine Tugend nennen. Denn sie rührete mehr aus einem heimlichen Stolz her, Kraft dessen ich mich, bei Erblickung der Schwäche, meines ehrlichen Pfarrers, beßer zu seyn bedünken ließ, als Er selber war, da ich doch ein Heuchler, Er hingegen im Grunde ein ehrlicher Mann war, der sich vor nichts beßers ausgeben wolte, als Er war10; nemlich ein armer Sünder, der des Ruhmes mangelte, den Er, als ein Vice-Seligmacher, vor Gott hätte haben sollen.

Mit einem Worte, der gute Mann zeigte sich, nach dem Temperamente seiner Natur, ohne Verstellung. Ich aber affectirte einen Heiligen und widergebohrnen und schlug mich mit Denen, von diesen unnatürlichen Wörtern, hin und her gefangenen Grillen, meiner Lehrer, Tag und Nacht, auf eine recht erbärmliche Art, herum, und suchte alles, was ich nur konnte, zusammen, mir den Kopf vollends damit anzufüllen.

§ 252. Bald laß ich Baxters Tractat: Entweder ein Heiliger oder ein Vieh, ohne zu sehen, daß das Vieh, bey der Dispensation, nicht heilig seyn zu dürfen, tausendmal glückseliger war, als der allerheiligste arme Sünder; Bald fiel ich auf des Marpergers Predigten11 über die erste Epistel Johannis, und besonders auf die Stellen, die von den eigentlichen Beschaffenheiten der Wiedergebohrnen handelten, und wenn ich fand, wie viel mir noch fehlete, ehe ich mich unter einer so übermenschlichen Gestalt würde betrachten können, so betrübte ich mich fast bis zur Verzweiflung, wenn ich erwog, wie schwer das,[124] was man insgemein, und insonderheit unter den Pietisten vor Sünde ausgab, von mir würde unterdrückt werden können12.

Mein, von lauter ehrerbietigen Vorurtheilen, gegen meine Lehrer, benebelter Verstand, erlaubte mir nicht, diese Ehrwürdigen Männer selbst außer dem Catheder und der Canzel zu betrachten. Denn da würde ich bald gefunden haben, daß sie weiter nichts, vor andern natürlichen Menschen, oder so genannten armen Sündern voraus gehabt, als eine gewiße Amtsmäßige Sauersichtigkeit, ein mürrisches und tadelsüchtiges Wesen, und eine fast unerträgliche Herrschsucht über alle, die auf eine oder die andere Art ihrer Gnade leben musten. Dieser Anblick würde mir also leicht haben zeigen können, daß die damals ganz Mode gewordene Lehre von der Wiedergeburth entweder ein übertriebenes Geschwätz miltzsüchtiger Phantasten seyn, oder wenn sie ja Grund hätte, meine Lehrer selbst, noch weit davon entfernt seyn müsten.

§ 253. Doch alle diese Gedanken waren zu derselbigen Zeit noch weiter von mir entfernt, als meine Lehrer von der Wiedergeburth, biß ich nach vielen Hin- und Wiederlesen in dem Marperger endlich die abscheulichen Widersprüche im Punct der Wiedergeburth fand, die mir auf einmal so viel Licht gaben, daß ich sehen kunte, wie diese Herren dißfalls noch selber nicht mit sich einig waren. Denn einmal solte ein Widergebohrner, nach dem Ausspruch Johannis, absolut nicht sündigen können, weil er aus Gott gebohren seyn solte13; das andere Mal aber, muste er wider biß an sein Ende ein armer Sünder bleiben, seinem Catechismo zufolge täglich viel sündigen, und dem h. Beicht-Stuhl zu Ehren sich nie einfallen laßen, die Sünde im ganzen Leben loß zu werden, welches gar zu grob sich widersprechende Zeug, mich bald toll gemacht hätte, und man wird aus der Folge meines Lebenslaufs sehen, wie viel es mich gekostet, mich völlig aus diesem, vor göttlich gehaltenen Buchstaben-Gewirre herauszuarbeiten.

Es verliehe mir aber die göttliche Güte, ganz unvermerkt immer[125] mehr Kraft zu dieser Arbeit, und diese muste, wiewohl mir damals noch ganz unwißend, aus den kraftlosen und ohnmächtigen Gründen erwachsen, mit welchen unsre streitbarsten Theologen wider diejenigen zu Felde zogen, die einen oder den andern von ihren Kirchen-Articuln anfochten14.

§ 254. Weil ich damals an der Theologia Polemica, oder der sogenannten streitenden Gottesgelahrtheit, einen besondern Wohlgefallen hatte, und mich recht freuete, wenn meine Parthey in gewißen Puncten, wider Catholischen und Reformirten das Feld behielt; so fieng ich schon an, halb und halb zu glauben, der stolze Titul der alleinseligmachenden Religion könne wohl mit Recht keiner andern Parthey, als der meinigen zukommen, und in dieser Zuversicht trug ich kein Bedenken, dem Streite unserer Gottesgelehrten, gegen andere kleinere und unansehnlichere christliche Fähnlein auch mit zuzusehen. Denn ehe ich noch erfuhr, wie es in dergleichen Treffen zuzugehen pflegte, war ich von der Gewißheit des Sieges meiner Parthey, so eingenommen, daß ich mir eher des Himmels Einfall, als ihre, manchmal nicht gar zu rühmliche Retirade versehen hätte. Ich muste aber zu meiner unaussprechlichen Bestürzung nach und nach gewahr werden, was ich mir vorher so wenig einbilden konnte, und zwar muste mir ein Propheten-Kind aus der Nachbarschaft, ich meine den ältesten Herrn Sohn des Hrn. M. Vogts von Franckenstein, selber darzu Gelegenheit machen, indem er mir eine gewiße Schrift zustellete, die von dem damaligen Hrn. Licentiat Gaudlitz wider den bekannten Melodium, oder den Hrn. Bernd in Leipzig geschrieben war15. Der Punct, den ich damals vor andern gerne gegründet und festgestellt gesehen hätte, betraf die Materie von der Kindertaufe, deren gar zu absurde Gauckeley, mir schon damals viel Bedencken machte, wegen des allgemeinen Wahns aber, in welchen sich die vornehmsten Secten der Christenheit, in Ansehung dieser Materie befanden, mir nicht erlaubete, einen der einträglichsten Articul meiner Secte, mit gehöriger Freymüthigkeit zu untersuchen.

§ 255. Herr Licentiat Gaudlitz muste also die erste Gelegenheit[126] dazu geben, und ich habe ihn in der That, ob Er schon nichts weniger Willens gewesen, vor den ersten zu halten, der mir die Schwäche meiner Parthey, die ich bisher gegen alle Anfälle, vor unüberwindlich gehalten hatte, auf eine so greifliche Art zu erkennen gegeben, daß ich mir in ihrer bereits so sehr entblößten Festung, selber nicht mehr sicher zu seyn getrauete, zumal da ich gewahr wurde, daß sie nicht mehr auf dem Grund der ersten Christen ruhete, sondern von Leuten, die denselben ganz und gar nicht gleich sahen, zu Vertilgung anderer, die mehr Aehnlichkeit mit ihnen hatten, errichtet war.

Ich weiß nicht, ob der ehrliche Mann einen besondern Beruf gehabt, denjenigen erschröcklichen Riß, den die sogenannten Mennonisten, und andere Buchstäbliche Taufgesinnte, schon seit vielen Jahren, in seinem Zion gemacht hatten, entweder wider neue Anfälle zu vertheidigen, oder, auf eine haltbare Art, wider auszufüllen. So viel aber weiß ich gewiß, daß mir seine Arbeit Plaz gemacht, durch diese Breche durchzugehen, und mich zum wenigsten so weit in Freyheit zu setzen, daß ich sehen können, wie es außerhalb meiner baufälligen Burg, unter andern christlichen Partheyen ausgesehen16.

§ 256. Ich hatte zwar damals noch nichts weniger im Sinn, als mich völlig von meinem angeerbten Aberglauben frey zu machen, denn das Ansehen dieser Jüdischen Secte blendete mich noch gar zu sehr: Weil ich aber gehöret hatte, daß die Wahrheit selten bey dem großen Haufen sey; so fieng ich an dieselbe bey den kleineren Partheyen der Christlichen Schwätzer zu suchen, unter welchen mir, meinen damaligen Gedancken nach, die sogenannten Mennisten, die ächtesten zu seyn schienen, und ich glaube, wenn damals welche in der Nähe gewesen wären, ich hätte mich öffentlich zu ihnen bekannt.

Der Punct der Taufe, worin sie unstreitig gegen alle Kindertäufer den Platz behalten, und dißfals mehr Recht haben, als alle christliche Secten, wurde in meiner damaligen Blödsichtigkeit, noch vor eine Sache gehalten, die ein Mensch, der da selig werden wolte, unmöglich entbehren konnte; und dieses beschäftigte mein Gemüthe fast einzig und allein, und beunruhigte mich dergestalt, daß ich manche Nacht in Thränen fast zerfloßen wäre.

§ 257. Einmal sahe ich nach der damaligen Stellung meines Gewißens, deutlich ein, daß wenn ich, meiner Secte zu gefallen, die Kindertaufe mit vertheidigen helfen müste, ich schon zum Pfarrer unter[127] der selbigen verdorben war, wenn sie mich gleich zum General-Superintendenten in ganz Sachsen hätte machen wollen. Allein was solte ich bei diesen Umständen anfangen? Ich war schon über 30 Jahr, und hatte, ein ander Studium zu ergreifen, weder Muth noch Mittel. Ich hielt das Christenthum noch vor ein unentbehrliches Mittel zur Seligkeit, Ich hätte mich vor die Unfehlbarkeit der Bibel, damals noch Todt schlagen laßen; Ich zitterte wenn ich von sogenannten Atheisten, Naturalisten, Deisten und Freydenckern nur sprechen hörte; Ich hatte keinen Menschen, zu dem ich ein Vertrauen hätte haben können, daß Er mir meine Scrupel, wenn ich sie ihm entdecken würde, zu meiner Beruhigung würde benehmen können; Ich mußte gewärtig seyn, daß wenn mein Pfarr nur das geringste von meiner Ketzerey solte haben entdecken können, Er mir meinen Patron, den Superintendent Wilisch würde zuwider gemacht, und veruhrsachet haben, daß ich auch nicht einmal als Informator mein Bißchen Brod in Sachsen würde gefunden haben.

Was ich in diesen Umständen ausgestanden, ist Gott allein bekannt. Weil mirs aber um was rechtes zu thun war, und ich nichts auf der Welt mit solcher Emsigkeit und Begierde suchte, als die Wahrheit; so empfand ich mitten in den ängstlichen Umständen womit mich meine Phantasie plagte, eine inwendige Zufriedenheit, und eine gewiße Freudigkeit, mich in Untersuchung derselben nichts abschröcken zu laßen, wenn ich gleich darüber zu Grunde gehen solte.

§ 258. In dieser Stellung that ich nicht allein das Amt eines Informatoris17 bei meinen Kindern (deren ich nach einem vierteljährigen[128] Aufenthalt in meiner Condition, achte zu informiren hatte) 7 Stunden, des Tages, treulich; sondern ich studirte auch biß in die[129] Nacht, und hatte mir ganze Schlitten voll Bücher, aus Freyberg und Chemnitz geholt, um in den Materien, über welche ich bey meiner Theologie Scrupel hatte, mich recht umzusehen, und einen festen Grund zu legen.

Je eyfriger ich das that, und anstatt meines bisherigen Blindglaubens, die Sachen meiner Theologie mit eigenen Augen anzusehen begunte, je weniger fand ich Grund: Je weniger ich aber Grund in meinen angeerbten Meinungen fand, je mehr freuete ich mich über den anbrechenden Schimmer des Lichtes der Wahrheit, und überließ mich Gott auf diesem Wege völlig, damals noch an nichts weniger gedenkend, als daß er mich, mit der Zeit, gerade gegen das, was ich bisher vor seine Anstalten gehalten hatte, würde anführen wollen. Genug ich suchte die Wahrheit von ganzen Herzen, und verließ mich in der Stille auf den, der mir alles geben konnte, was mir zu dem Wercke, worzu Er mich bestimmt, von nöthen war.

§ 259. Meine Absicht war damals unter verdeckten Namen, die Frage an die Lutherischen Theologos ergehen zu laßen: Ob einer, der sich im Punct der Kindertaufe ein Gewißen machte, deswegen untüchtig sey, bey seinen anderweitigen Gaben und Gelehrsamkeit, einen evangelischen Prediger abzugeben? Ich fand aber bald, daß ich mich dißfals vergeblich bemühen würde. Inzwischen brachten mich meine Meditationes immer weiter, und weil mich Gott auch im äußerlichen segnete, daß ich die Kinder des dasigen Erbrichters mit in meine Information bekam, wodurch ichs jährlich auf 60 Rthlr. in diesem Dorfe bringen kunte, welches Verdiensts sich keiner meines gleichen, in ganz Sachsen, damals wird haben rühmen können, so wandte ich fast alle diese Mittel auf Bücher, und war in immer eifriger Untersuchung der Wahrheit unermüdet.

Ich hatte zur selbigen Zeit, des berühmten Herrn Arnolds Kirchen- und Ketzer-Historie noch nicht selber gelesen. Weil mir nun vieles pro und contra von derselbigen war gesaget worden, so bat ich mir sie von dem Hrn. Doctor Wilisch aus. Denn mein ehrlicher[130] Pfarrer hatte, außer einer ziemlichen Anzahl Postillen, die sein Tröster waren, eine sehr schlechte Bibliothec.

§ 260. In diesem, mit möglichster Freymüthigkeit geschriebener Wercke, fand ich nun, zu meinem grösten Erstaunen, so viel unanständige und unverantwortliche Dinge, von Seiten derjenigen Geistlichkeit, die sich allein die rechte Meinung des Christenthums vorzutragen rühmte, daß ich einen rechten Abscheu vor der sogenannten Orthodoxie bekam, und mich je länger, je mehr, auf die Seite der so genannten Pietisten zu lencken begunte, weil diese, ob sie schon auch ihre Mängel hatten, doch dem Schein nach, mehr zu einem gottseligen Leben anzutreiben schienen, als die Orthodoxen, die bey alle dem Glauben, den sie vorgaben, fast gar nichts mehr von guten Wercken hören, sondern lieber rechtgläubige arme Sünder bleiben, als rechtlebende Fürbilder der Heerde werden wolten.

Am meisten stieß mich damals, der gar zu plumpe und ungeheure Saz, des Wittenbergischen D. Löschers vor den Kopf, nach welchen auch ein Wiedergebohrner das Sündigen nicht solte laßen können. Wie ich solchen dem ausdrücklichen Ausspruche Johannis 1 Epist. 3, 9 gerade entgegen gesetzt fand, so hätte nicht viel gefehlt, daß ich diesen sogar frevelmüthigen armen Sünder, nach meinem damaligen Eyfer, nicht dem Satan übergeben hätte18. Wie ich aber vollends das elende Hohlhippeln und Achseltragen des D. Marpergers in dieser Materie zu Gesichte bekam, der die unsündlichkeit der Wiedergebohrnen, auf der einen Seite mit der großen Parade verfochte, und auf der andern wieder zu tiefst in den armen Sünder-Prudel fiel, so wäre mir beynahe alle Gedult vergangen, diesen Zweyzüngler weiter zu hören.

§ 261. Ich sahe schon ziemlich deutlich, daß von beyden Partheyen, ein Betrüger wie der andere war: Aber ich wuste noch nicht, wo ich einen redlicheren Mann finden solte, und hielt mich in gläubiger Einfalt an die Worte der Schrift, deren göttlichkeit in Zweifel zu ziehen, ich damals gewiß vor eine unausstehliche Versuchung würde gehalten haben.

Je mehr ich also aus den beständigen Widersprüchen, der berühmtesten Lehrer meiner Secte, wahrnahm, daß in ihrem Munde nichts gewißes war, je mehr hielt ich mich an die Bibel, die ich damals noch, vor meine einzige Regul und Richtschnur hielt, ohne zu sehen,[131] daß die Schreiber derselben, einander eben so sehr zuwider waren, als ihre Ausleger, unter die ich selber mitgehörete, und meiner Sachen eben so wenig gewiß war, als sie alle. Genug ich bildete mir damals ein, es beßer, als einer unter Ihnen zu seyn, und Buchstäbelte mit andern, wohl noch 4 Jahr um die Wette, ehe ich mich unterstehen konte, die Männer, die die Bibel geschrieben hatten, auf eben den Fuß zu betrachten, wie ich alle andere Schriftsteller betrachten muste, wenn ich hinter die Wahrheit kommen wolte.

§ 262. Es fügte sich zur selbigen Zeit, daß ein gewißer Priester, der, wo ich mich recht besinne, Segener hieß und in dem Städtchen Siebeln Pastor war, im Punct des Socinianismi verdächtig, und von dem Amte suspendiret wurde, und da muste ich auf Befehl meines Superintendenten nebst andern Candidaten und Pastoren, derweile die Predigten und übrigen Amtsverrichtungen (:das Sacramentiren ausgenommen:) mit versehen helfen.

Die Ordnung traf mich, über das Evangelium von Vielerley Aeckern am Sonntage Sexagesimae zu predigen; Ich richtete meine Predigt nach den damaligen Umständen ein, und weil ich gehöret hatte, daß die Socinianer, alles mit der Vernunft zu ergrübeln suchen solten, so schmähte ich, nach Erheischung meines Textes, oder vielmehr, meiner eingewurzelten Vorurtheile, auf die unschuldige Vernunft, so gut ichs gelernet hatte, und erwarb mir dadurch, auf Seiten meiner Blindgläubigen Zuhörer, einen solchen Beyfall, daß, wenn es bey Ihnen gestanden hätte, sie mich (:wie ich sichere Nachricht hatte:) auf der Stelle gleich zu ihrem Pfarrer, an des, auf Beßerung nur zurückgesezten Pastoris, würden ernennet haben.

§ 263. Es mochte aber dieser ehrliche Mann, unstreitig schon weiter sehen, als ich damals noch sehen konnte, und es gereuet mich, biß diese Stunde, daß ich seiner freundlichen Einladung, nach welcher Er mich, da Er meine Ankunft beim Cantor vernommen, zu sich, in sein Haus nöthigen ließ, nicht Plaz gegeben. An diesen unholden Betragen war nichts, als meine Bibel schuld. Zufolge welcher ich, mit einem Lästerer (:wovor ich damals alle Socinianer hielt:) und mit einem Manne, der meine angeerbte Lehre nicht mit brächte, nach 1 Cor. 5, 11 und 2 Joh. 10 weder eßen, noch denselben grüßen solte, welche letztere gar zu unmenschliche Unfreundlichkeit19, mir zwar schon damals hart ankam, weil sie aber der Schooß-Jünger Jesu[132] aufgeschrieben haben solte, so trug ich vor diese heilige Flegeley viel zu viel Respect, als daß ich derselbigen zuwider, einem Manne, der mir Troz alle seines vermeinten Irrglaubens, doch mit Ehrerbietung zuvor kam, die schuldige Gegenleutseligkeit hätte erzeigen sollen.

Ich schäme mich dieser unanständigen Aufführung noch diese Stunde. Aber worzu ist man nicht capable, wenn man glaubet, seinem Gott, mit Grobheiten und Ungeschliffenheiten einen Dienst zu thun. In der That, wenn ein jeder, der sich zu dem Namen Christi bekennet, sich so Räckelmäßig gegen widriggesinnte Glaubensgenoßen aufführen wolte, würde nicht alle Artigkeit und Gefälligkeit aus der Gesellschaft der Menschen verbannet, und das Christenthum mit Recht, ein Abscheu aller wohlgesitteten Völcker werden? Nach dem Gefühl der Menschlichkeit hätte ich diesen, ohnedem genug gekränckten und betrübten Mann, durch meine Frostigkeit nicht noch mehr betrüben sollen: Allein da die christliche Religion (:außer welcher ich damals noch keine Glückseligkeit hoffen konnte:) ausdrücklich haben wolte, auch gegen seine nächsten Blutsfreunde, ja gegen sein eigen Leben, hart und unempfindlich zu seyn; so dachte ich, ich könnte gegen einen so genannten Feind Christi (:wovor ich alle Socinianer damals halten muste:) auch nicht hart und unfreundlich genug seyn. Es (ist) mir aber, wie der Leser aus dem Verfolg meiner Geschichte sehen wird, nicht nur mit eben dem Maaße gemessen, sondern noch darzu, ein voll, gedrückt, gerüttelt und überflüßig Maaß in meinen Schooß gegeben worden, und es ist mir Recht geschehen, damit ich auf die Art, die Augen beßer aufthun, und sehen lernen möchte, daß in praxi keine gehäßigere und feindseligere Religion auf der Welt zu finden, als die Christliche, die mit Worten so viel von Liebe plaudert.

§ 264. Mein ämsiges Studiren, und beständiges Schreiben, bey welchen es so genau nicht abgehen kunte, daß ich nicht manchmal im Discurs oder Predigen, einen so genannten heterodoxen Satz, solte haben mit einfließen laßen, erweckte endlich bey meinem Pfarrer den Verdacht, daß es im Punct der Orthodoxie nicht richtig mit mir stehen müste, und ich muthmaße aus einem Briefe, den der Hr. D. Wilisch nachmals an mich schrieb, als ich schon in Dresden war, daß Er in diesem Puncte mit meinem Superintendenten etwas müße gesprochen haben. So viel ist gewiß, daß Er sich mercken ließ, er möchte mich gerne mit Manier wieder loß seyn.

Es hatte aber die Vorsehung schon, ohne mein Suchen, mich zu andern Arbeiten bestimmt. Denn mein Bruder, der damals Amts-Verweser in Chemnitz worden war, hatte sich, ohne mein Wißen, weil Er mich gerne in Dresden hätte haben mögen, bemühet, mir[133] eine anständige Condition auszumachen. Es fanden sich auch unbekannte Freunde, die sich vor mir interessirten, worunter unter andern, der Herr Oberhofprediger Marperger, besonders aber der Herr Ober-Amtmann Essenius war. Beide kannten mich nicht weiter, als aus der Beschreibung meines Bruders, und des Herrn Advocat Wernhers, der mich doch auch nur auf Hörensagen meines Bruders recommendiret hatte. Es kam also darauf an, daß ich selber eine Reise nach Dreßden thun, mich in Person präsentiren, und erwarten muste, was sich weiter mit mir zutragen würde.

§ 265. Kurz vorher, ehe mir dies alles kund wurde, muste ich zu Freyberg im Dome vor den Hrn. D. Wilisch predigen. Der Hr. Archi-Diaconus Janicke hatte sich bey dieser Gelegenheit ausgebeten, daß ich bey Ihm abtreten und mit Ihm vorlieb nehmen möchte. Hätte ich aber gewust, was er mit mir vornehmen würde, so würde es gewiß nicht geschehen seyn. Denn Er suchte mich zu probiren, wie fest ich in meiner Predigt sitzen würde, die ich zu allem Unglück, noch weder halb, noch gar auswendig gelernet hatte, und solches erst in Freyberg, in der Sonnabends-Nacht zu thun gedachte. Der Hr. M. Janicke aber ließ mir dazu keine Zeit, sondern hielt mich mit allerhand Discursen, bey einer Pfeife Tabac, biß fast 2 Uhr, nach Mitternacht auf. Mir war Himmel-Angst, wie es dißmal mit mir ablaufen würde, und durfte mich doch nichts mercken laßen. Denn Er dachte sonder Zweifel, daß ich ein eben so guter Schwätzer seyn würde, als Er selber war, der über ein Wischchen einer Hand breit und lang, anderthalb Stunden nach einander Wind machen konnte. Das war ich aber nicht, sondern ich concipirte meine Predigten alle, von Wort zu Worte, in lauter Rednerischen Putz-Wercke, und folglich muste ich doch etwas Zeit haben, wenn ich alle diesen Kram in meinem Hirn-Kasten so rangiren wolte, daß nicht das Oberste zu unterst kam. Allein es gieng wider Verhoffen, beßer, als ich dachte, und damals war es eben, als dieser ehrliche Mann, nach glücklich abgelegter Predigt, zu mir sagte, man solte mich recht dringen, in dem Weinberge des Herrn mitzuarbeiten, weil ich besonders auch zur Wohlredenheit inclinirte. Allein ich dachte ganz anders, ob ich schon nicht wuste, worauf ich eigentlich denken solte; Genug, der nachmalige Beruf nach Dreßden, wieß mir, nach und nach, mehr als zu viel Gelegenheit an, an Sachen zu gedencken, die weit wichtiger, als alles Predigen waren.

§ 266. Mein Lebens-Beschreiber faßet diesen Umstand in Nr. 8 mit folgenden Worten ab:

Hierauf ward Edelmann, zu dem Herrn Grafen von Callenberg,[134] als Hofmeister recommendiret, und kam also nach Dreßden, wo Er auch mit dem Hrn. Grafen von Zinzendorf in Bekanntschaft geräth, und Anno 1735 anfieng, die unschuldigen Wahrheiten zu schreiben.

In diesen Worten schreibet der Verfaßer die Wahrheit: Ich muß sie aber noch in etwas erläutern. Ehe ich noch nach Dreßden reisete, ließ mir mein Pfarr durch den Schulmeister den Antrag thun, wie ichs wolte gehalten wißen, wann der Richter des Dorfs, (:der seine Kinder nunmehro auf eine gewiße Schule thun wolte:) dieselben von mir nehmen würde, indem Er mir das Salarium, was ich bißher genoßen, vor seine Person nicht mehr geben könnte. Ich ließ Ihm mit aller Höflichkeit zur Antwort wißen, daß der Hr. Pfarr dißfalls ganz ohne Sorge seyn könnte, indem ich mir nächstens die Erlaubniß von Ihm ausbitten würde, eine Reise nach Dreßden zu thun, wo mein Bruder mir, ohne mein Wißen Hofnung zu einer guten Condition gemacht hätte.

Ich merckte, daß diese Antwort meinem Pfarrer eine heimliche Freude erweckte. Denn Er war, seinen armen Sünderstand ausgenommen, den Er bisweilen auf eine etwas unanständige Art blicken ließ, sonst ein grundehrlicher Mann, und hätte mich gerne befördert gesehen. Wie Er also hörte, daß ich dem Ober-Consistorio näher zu kommen Hofnung hatte, so gratulirte Er mir, und wünschte mir eine glückliche Reise, und gute Verrichtung. Ich reisete also mit seiner Genehmhaltung nach Dreßden, und präsentirte mich meinen Patronen.

§ 267. Der Hr. Oberhofprediger hatte 2 Conditiones vor mich im Vorschlage, worunter mir aber keine anstund. Ich gieng also zum Hrn. Ober-Amtmann und dieser recommendirte mich, nach einer kurzen Unterredung, zum Hofmeister beym Grafen von Calenberg. Weder Graf noch Gräfin waren gegenwärtig, sondern hatten einer gewißen Madame von Pistoris, die Vollmacht hinterlaßen, denjenigen zum Hofmeister anzunehmen, den der Hr. Oberamtmann recommendiren würde. Ich wurde also ohne Weitläufigkeit angenommen, und befehliget, meine förmliche Anherreise bestens zu beschleunigen. Mit dieser Resolution reisete ich wider zurück und durch Freyberg, allwo ich meinen Superintendenten die Nachricht brachte, daß ich beym Grafen von Calenberg, vor Hofmeister wäre angenommen worden. Er freuete sich, nebst dem Hrn. Archi-Diacono besonders drob, und beyde recommendirten mir nochmalen, daß ich mich nächstens vor dasigen Ober-Consistorio möchte examiniren laßen, damit sie vor meine Beförderung sorgen könnten. Die guten Leute wusten aber nicht, daß ich schon damals vor alle dergleichen Beförderungen, in meinem Gemüthe[135] ein Creuz gemacht hatte, ungeacht ich gar nicht absehen konnte, auf was Art ich künftig, und sonderlich im Alter, wenn ich nicht mehr würde dienen können, meines armen Lebens Unterhalt würde finden sollen. Genug, ich verließ mich auf Gott, den ich damals noch weiter nicht kannte, als aus den elenden und widersprechenden Beschreibungen, die mir die Bibel von demselben gemacht hatte, wobey mir aber doch schon, die viele und unaussprechliche Güte, die ich von diesem höchst vollkommenen Wesen, in meinem Leben bereits genoßen hatte, nicht zuließ, mir selbigen, mit Ueberzeugung, auf den tyrannischen Fuß vorzustellen, den ich hin und wider in der Bibel von ihm fand.

§ 268. Ich kam also wider zu meinem Pfarrer eröfnete Ihm meine neue Bedienung und nahm mit aller Bescheidenheit von Ihm Abschied. In Dreßden war ich bey der Madame von Pistoris und meiner jungen Herrschaft, willkommen, und erwartete die Ankunft meiner Herrschaft mit Verlangen. Die Gräfin kam zuerst, und war mit mir mehr zufrieden, als ich mit meiner neuen Station. Denn in derselben fand ich die Stille nicht, die ich auf dem Lande gehabt hatte, und sahe mich also, dem ersten Ansehen nach, außer Stand gesezt, meinen Betrachtungen den gehörigen Lauf zu laßen.

Wie ich mich aber in meinem Leben, schon in manche Fälle hatte schicken müßen, und insonderheit der Graf, mein Herr, der damals noch, als Gesandter vom Sächsischen Hose, in Paris stund, und sonst ein sehr schiefriger (?) Herr war, bey seiner Widerkunft mir nicht unfreundlich begegnete; so ließ ich mir auch mein Schicksal gefallen, that mein Amt redlich, quittirte die Abend-Tafel, wandte die Nacht zum Studiren an und ließ Gott für das Uebrige Sorgen.

§ 269. Ich war kaum ein halb Jahr in diesen Diensten, so zeigten sich mir 2 andere Gelegenheiten, bey welchen ich im äußeren besser stehen kunte, als beym Grafen von Calenberg. Denn da hatte ich, wegen Menge der Leute, die man in Dreßden um ein Spottgeld haben kann, nebst meinem freyen Gehalt, nicht mehr, als 50 Thaler Besoldung, und stund also in dieser Königl. Residenz, noch nicht einmal so gut, als ich auf dem Dorfe, bey meinem Pfarrer gestanden hatte. Die eine dieser Gelegenheiten war bey dem Prinzen von Hildburghausen, der damals in Italien stund, und einen Secretarium verlangte, der der Französischen Sprache mächtig war. Ich der ich zur selbigen Zeit, unter der Menge der dortigen Franzosen, mit denen ich täglich umzugehen hatte, ziemlich fertig Französisch Sprach, und auch im Italiänischen bey meines jungen Herrn Maitre, einigen Grund geleget hatte, außerdem aber gerne fremde Länder besehen hätte, ließ[136] mir den Antrag gefallen, und meldete mich deswegen beym Obristen von Zeutsch, dessen Sohn aus Italien, in Qualité eines Lieutenants damals in Dreßden war, und ein solches Subjectum suchte.

§ 270. Ich muste bey demselben meine Specimina in Briefen machen, und es wurden mir 200 Gulden Besoldung versprochen; weil ich aber absolut 300 verlangte, indem ich wohl wuste, wie es in dergleichen Dienstes zu gehen pflegt, so wurde nichts daraus, und es war ein großes Glück vor mich. Denn der, so an meine Stelle kam, und mehr prästirete, als ich hätte prästiren können, indem er ein Juriste war, kam nach Verlauf eines Jahres, in einer elenden Gestalt aus Italien wider zurück, und hatte kaum so viel noch übrig, daß er auf der Elbe vollends nach Hamburg schwimmen, und sein weiteres Schicksal versuchen konnte.

Die andere Gelegenheit beßer zu dienen, zeigte sich bei dem Herrn Land-Cammerrath von Ponickau, dem mich sein Amtmann, oder Verwalter Herr Kretzschmar, ganz ohne mein Wissen recommendiret hatte. Es wurde mir nebst freyen Gehalt, 80 Rthlr. Besoldung geboten, welches gewiß wenig Studiosi Theologiae damals gehabt haben werden: Weil ich aber kaum ein halb Jahr bey meiner Herrschaft gewesen: war, und alle Genade genoß, so hielt ichs theils nicht vor billig, ihre Dienste so bald zu verlaßen, theils achtete ichs meiner eigenen Reputation nachtheilig, wenn ich solches hätte, ohne erhebliche Ursachen, thun wollen.

§ 271. Diese zeigten sich aber von selbst. Denn ich konnte mit den 50 Thalern in Dreßden schlechte Sprünge machen, und also sahe ich diese Gelegenheiten vor ein Mittel an, meine Condition zu verbeßern. Ich stellte demnach meiner Gräfin geziemend vor, daß ich mit einem so schlechten Gehalt, mich unmöglich meinem Character gemäß, würde aufführen können. Wenn Sie also ein gnädiges Gefallen an meiner bißherigen Aufführung trüge, so bäte ich, mir meine Besoldung auf eine namhafte Art zu verbeßern. Widrigenfalls würde Sie mich nicht verdenken können, wenn ich mich auf andere Art zu verbeßern suchte.

Ich läugne nicht, daß dieser Antrag mit einer ziemlichen Drohung verknüpft gewesen: Aber welcher Mensch sucht nicht seine Verbeßerung, wenn er sie haben kann. Meine Herrschaft sahe dieses ein, und weil sie mit meinem Betragen zufrieden war, so legte mir die Gräfin 24 Rthlr. zu, daß ich mit den Weihnachts-Presenten, und denen anderthalb Thalern Bier-Geldern, die ich Monathlich bekam, und die ich (weil ich Waßer zu trinken anfing) in meinem Beutel steckte, auf 100 Thaler dienen konnte, welches mir nach meinen damaligen Absichten[137] trefflich zu Paße kam denn ich wandte fast das meiste von meiner Besoldung an Bücher, die ich in den dortigen Auctionen, nach meinem Wunsch, oft um ein Spottgeld erstehen kunte.

§ 272. Diese Bücher-Kaufferey machte bald ein Aufsehen unter dortigen Studenten. Denn weil ich meistens auf so genannte Ketzer- oder verbotene Bücher bot, so zog ich nach und nach die Augen meiner orthodoxen Cameraden auf mich, die nicht begreifen konnten, warum ich nicht, wie sie, lieber auf Postillen, Leich-Predigten, und verlegene Commentarios bot, als auf solche Bücher, die mir wenig nutzen könnten und mich doch viel Geld kosteten. Ich kehrete mich aber an nichts, sondern war in Aufspürung der Wahrheit unermüdet, getrauete mich aber damals noch nicht weiter zu gehen, als die Grentzen der christlichen Religion reichten. Innerhalb denselben suchte ich alles zusammen, was nur einigermaßen der gemeinen Orthodoxie widersprach; wenn ich aber was fand, das der christlichen Religion überhaupt zu nahe zu treten schien, so laß ichs entweder gar nicht, oder ich wischte ohne gehörige Untersuchung darüber hin, und ließ mich, die damals noch vor die infamesten Schimpf-Namen geachteten Wörter, Deist, Naturalist und Atheist, wenn ein oder der andere Scribent einmal damit beschmitzet war, alsofort abschröcken, etwas gutes bey ihm zu vermuthen.

§ 273. So gieng mirs unter andern, mit dem Wertheimischen Bibel-Wercke, welches ich nicht nur damals, sondern noch lange hernach, vor eine höllische Mißgeburth hielt, ungeacht der Uebersetzer in den meisten Stücken nicht Unrecht hatte, obschon seine Anmerckungen von keiner Erheblichkeit sind. Mit einem Worte, ich war noch mehr, als 3/4 Lutherisch, nur mit dem Unterschiede, daß ich in dieser Secte mehr auf die Seite der Pietisten und halben Separatisten, als auf die Seite der Orthodoxen hieng, welches hauptsächlich von der Liebe herrührete, die ich zu dem ehrlichen D. Buddeo trug, an deßen Leben und Wandel, so weit er mir bekannt war, ich ungleich weniger auszusetzen fand, als an den meisten, die sich vor orthodox ausgaben. An diesen Leuten mißfiel mir nichts mehr, als ihre schlaffe Sittenlehre, Kraft welcher sie alles, was sie leicht selber in den menschlichen Pflichten hätten ausrichten können, auf das Verdienst Christi ankommen ließen, und sichs vor eine sonderbare Ehre rechneten, wenn sie sich fein, nach der Schrift, als arme Sünder aufführen kunten, die des Ruhmes mangelten, den sie vor Gott und der ehrbaren Welt haben solten. Wie sie also, in Kraft dieses heillosen Grundsatzes, durchaus von keiner Vollkommenheit im Christentum reden hören wolten, sondern alles, was sich nur ein wenig ehrbar, eingezogen und sittsam[138] zu leben befliß, gleich mit dem verhaßten Namen der Pietisten, neuen Heiligen und Schwärmer zu beschmitzen suchten: Hingegen diejenigen, die sich so von ihnen schelten laßen musten, nicht allein würcklich einen beßern Schein hatten, sondern auch nach der Schrift auf eine Vollkommenheit drangen; Also fielen sie mir, der ich damals noch unter einem sehr gesezlichen Zustande stund, je länger je mehr, als falsche Lehrer in die Augen, und die Liebe zu den sogenannten Pietisten oder ehrbaren Leuten nahm, so lange ich mich den äußern Schein noch blenden ließ, desto stärker zu.

§. 274. Ich betete, ich fastete, ich beichtete, ich sacramentirte, ich lief eine Kirche aus, die andere wieder ein, und that in Summa in dem ersten halben Jahre meines Dreßdnischen Aufenthalts, alles was man von einem recht strengen Kirchen-Christen nur immer fordern kann: Allein bey alle diesen so genannten Gnaden-Mitteln, die der, nur in den Köpfen der Gläubigen verdorbenen Natur, Einhalt thun solten, blieb meine Natur doch wie sie war, und würde nimmermehr einen milderen Wuchß gezeiget haben, wenn ich nicht, nach langer vergeblich erwarteten Hülfe von der Kraftlosen Schwätzer-Gnade, selber Anstalt zur Ausbeßerung derselbigen gemacht hätte.

In allen Predigten hörte ich vom Verdienste Christi, wenn man sich solches, in wahren Glauben recht zueignen und zurechnen könnte, so viel Wind machen, daß mir, bey dem Ernst, den ich bey dieser vergeblichen Arbeit anwandte, nothwendig endlich die Augen aufgehen, und ich sehen muste, daß ich nur veriret wurde. Denn ich habe mich an diesem vermeinten Verdienste bald unsinnig gerechnet, und zum Narren geglaubet, ohne im geringsten zu spühren, daß mir solches zu einem tugendhaften Wandel was geholfen hätte: vielmehr verhinderte michs daran, weil ich meinen eigenen von Gott geschenckten Kräften nichts zutrauen durfte, und mich immer auf die Kraft des Verdienstes Christi verlaßen muste, die mich allemal, wenn es zum treffen kam, im Stiche ließ.

§ 275. Ich war aber zur selben Zeit noch viel zu starck vor diese, an sich nichts bedeutende Sache eingenommen, als daß ich mir nur hätte einfallen laßen sollen, dieselbe aus dem Grunde zu untersuchen. Inzwischen blieb doch mein Vorsaz, in der That ein rechtschaffener Christ zu werden (:weil ich diese Gattung von Menschen allein vor tugendhaft hielt:) einmal wie das andere unbeweglich, und ich forschte, wo ich nur kunte, nach Leuten, die so aussehen möchten, wie man sagte, daß die ersten Christen ausgesehen haben solten. Ich kann mich aber nicht rühmen, in meinem ganzen Leben, nur einen einzigen gefunden zu haben, der dem Begriff, den ich mir, nach der[139] Schrift, von einem Christen machen muste, nur einigermaßen gleich gesehen hätte. Denn ich suchte den Punkt der christlichen Vollkommenheit, nach Maßgebung der Schrift, in der Gemeinschaft der zeitlichen Güter, und dachte, daß doch gleichwohl Christus, als der Anfänger und Vollender unsers Glaubens, nicht umsonst zu einem, der sonst alle Pflichten des Gesetzes, von Jugend auf erfüllet hatte gesaget haben konnte, daß wenn Er vollkommen seyn wollte, Er alles verkaufen, den armen geben, und Ihm nachfolgen solte20.

§ 276. In der That war ich ein Narr, daß ich so dachte. Denn nach diesen Muster muste ich mich selbst vor keinen Christen halten: Weil ich aber damals noch glaubte, daß es andere in diesen Uebungen wohl weiter gebracht haben könnten, als ich, so war ich sehr begierig dergleichen Leute zu sehen, und bereit, es ihrem Exempel nach zu thun.

Es weiß der, welcher alles weiß, daß ich hier die Wahrheit rede, und daß mir nichts so sehr am Herzen gelegen, als wie ich Gott von ganzen Herzen, nach den Vorschriften der Bibel dienen möchte, nur fehlete mir es an Exempeln, die mich in diesem Vorsatze hätten stärcken können, und dieser Mangel überzeugte mich um so viel mehr, daß diejenigen, die mir den Weg zu Christo weisen wolten, da sie seiner Vorschrift selber nicht folgten, betrügliche Wegweiser seyn müsten.

§ 277. Damals erschallete der Ruf des Grafen von Zinzendorf, und deßen großer sogenannter Selbst- Verläugnung, auch in Dresden. Ich hatte zwar schon, ehe ich noch dahin kam, in Freyberg von meinem ehemaligen Schul-Cameraden in Altenburg, dem M. Trillitzsch, vernommen, daß zu Herrenhut eine besondere Secte entstanden, über welche Er als ein orthodoxissimus, sich im höchsten Grad moquirete, und dieß war schon genug vor mich, von diesen Leuten etwas gutes zu vermuthen. Denn so weit hatten es die Orthodoxen würcklich bey mir gebracht, daß ich alles, was ihnen nicht anstund, eben deßwegen, weil sie es verwarfen, vor gut hielt.

Weil ich aber damals noch keine Seele unter diesen Leuten kannte, und aus Furcht, bey meinem Pfarrer noch mehr verdächtig zu werden, auch nicht weiter nachfragen mochte, so hatte ich die ganze Rede des Magisters wider aus der Acht gelaßen: Es muste sich aber fügen, daß ich nach der Hand, in Dreßden, von ungefehr in Herrn Hilschers Buchladen von deßen Diener, den Grafen von Zinzendorf[140] erwähnen und Herrnhut nennen hörte, und da fiel mir des M. Trillitzschens seine Rede wider ein.

§ 278. Der Eyffer, wahre Christen kennen zu lernen (:die ich an den Herrnhutern, bloß aus der Ursache zu finden verhofte, weil sie von andern sogenannten Christen vor Narren gehalten wurden:) war bey mir so groß, daß ich nicht nachließ, nachzuforschen, ob denn würcklich ein Ort in der Welt wäre, der Herrnhut hieße, oder ob der Name Herrnhüter (wie man diese Leute bißweilen zu nennen pflegte) nur ein Spitz-Name wäre? Man versicherte mich also, daß in der That ein Ort sey, der Herrnhut hieße, und dem Grafen von Zinzendorf zugehörete. Mehr wolte ich damals nicht wißen, und es mag wohl in ganz Dreßden niemand fröhlicher gewesen seyn, als ich über diese unvermuthete Zeitung war. Ich gieng ohne Verzug nach Hause und schrieb einen Brief an den Grafen von Zinzendorf, entdeckte Ihm meine Begierde was rechtschaffenes kennen zu lernen, und bat mir von der Beschaffenheit und den Anstalten der dortigen Gemeine zuverläßige Nachricht aus. Ich erhielt zur Antwort: Komm, und siehe es! Dadurch wurde meine Begierde noch mehr angeflammet, und ich wäre gerne mit erster Post abgegangen, wenn ich mich nicht eben durch einen starken Bücher-Kauf, dergestalt am Gelde entblößt gehabt hätte, daß ich diese Reise nicht sogleich nach meinem Willen thun konnte. Ich ließ mich aber dieses gegen den Grafen nicht mercken, sondern versprach zu kommen.

§ 279. Es kam mir aber eine Ausgabe nach der andern in die Queere, daß ich nicht konnte, wie ich gerne gemacht hätte. Inzwischen sezte ich doch die Correspondenz mit Ihm fort, und ich merckte, daß die Begierde, mich von Person kennen zu lernen, eben so groß bey Ihm war, als sie bey mir war, diesen raren Vogel auch an seinen Federn kennen zu lernen. Um also die Zeit nicht zu verlieren, entdeckte ich Ihm, auf sein inständiges Anhalten, bald zu kommen, aufrichtig, daß mirs dermalen an Gelde fehlete. Er sandte mir mit nächster Post, unangefordert, die Reise-Kosten, und dieses machte mir schon einen sehr vortheilhaften Eindruck von seiner Person: Ich konnte aber, dem ungeacht, doch noch nicht reisen, weil es meine Dienste nicht erlauben wolten. Unterdeßen kam der Hr. Baron von Vatteville nach Dreßden. Dieser, als sein Intimus, muste mich zu sprechen suchen. Er beschied mich in sein Quartier zu einem Mann, den ich mit zärtlichster Regung meines Herzens, über den nachmaligen Verlust eines so raren Freundes, wohl mit Wahrheit den redlichsten unter dortigen, mir bekannten, Frommen nennen kann.

§ 280. Er hieß Buchß, und hatte sich von Hirschberg nach Dreßden[141] gewandt, allwo Er in der Neustadt, beym Töpfer Dober, ganz in der Stille, von seinen Interessen lebte, und, wie ich hernach erfuhr, sich zu den dortigen Gichtelianern hielt. Dieser ehrliche und leutselige Mann trat eben zum Baron Vatteville in die Stube, als ich mir Ihm von Herrnhut und meiner dahin vorzunehmenden Reise sprach. Er grüßte uns zwar beiderseits freundlich, mischte sich aber mit keinem Wort in unsern Discurs; ich hörte ihn auch nichts vom Heylande sprechen, woraus ich zwar wohl erkennen konnte, daß Er kein Herrnhuter war; Aber eben deswegen machte ich mir schon nichts aus Ihm, und hielt ihn für einen unwidergebohrnen kirchlichen Christen. Er sahe mich aber die ganze Zeit meines Daseyns beym Baron, mit unverwandten Augen, und einer gewißen mitleydigen Mine an, daß ich wohl sehen kunte, daß Er eine heimliche Neigung zu mir trug, an der mir aber, weil ich Ihn vor keinen Herrnhuter halten kunte, wenig gelegen war. So unhold ist der Aberglaube, wenn er sich einmal eines Gemüths bemächtiget hat. Was da nicht von der Secte ist, die man nach seiner Phantasie allein vor die wahre Religion hält, dem begegnet er so frostig, daß sichs der andere schon vor eine große Gnade rechnen muß, wenn ihm ein solcher heiliger Stolzling nur die gemeine Höflichkeiten widerfahren läßet.

§ 281. Ich werde in dem Verfolg meiner Dreßdnischen Begebenheiten noch etwas mehr von diesem wackern Manne zu sprechen haben. Jezt will ich nur melden, wie ich mit dem Baron aus einander gekommen. Ich sagte Ihm, daß ich mit nächster Post das Vergnügen haben würde den Hrn. Grafen zu besuchen, und Er meldete mir, daß ich Ihn aldann in seiner Sonntags-Arbeit antreffen würde. Es kann kein Mensch nach der allerangenehmsten Sache so begierig seyn, als ich nach dieser Reise war. Denn ich glaubte vor gewiß, in Herrnhut diejenigen Christen anzutreffen, die ich so lange vergeblich gesucht hatte.

Meiner Herrschaft, von der ich schon Discursweise manche Moqueriren über die Zinzendorfischen Anstalten vernommen hatte, mochte ich nicht sagen, wo ich eigentlich hinreisen wollte: Weil aber meine Marsch-Route durch Bautzen gieng, so nahm ich Urlaub bis dahin. Der Gräfin kam diese Reise verdächtig vor. Denn sie besorgte, es möchte mit derselbigen etwann abermal auf ein anderweitiges Engagement angesehen seyn, wie ich sie aber, bey meiner Ehre des Gegentheils versicherte, und daß ich gar nicht Willens wäre, mich jemals wider in Condition einzulaßen, wenn ich die ihrige einmal quittiren solte, so wurde sie mir erlaubet.

§ 282. Es geschahe dieselbe, wo ich mich recht besinne, gegen[142] Pfingsten des 1735sten Jahres, und ich war nicht sobald in Herrnhut angekommen, als mich der M. Spangenberg, im Namen des Grafen, willkommen heißen, und mir ein bequemes Quartier anweisen muste. Ich hatte diesen Menschen in Jena nicht weiter, als einen sogenannten Fuchs, oder Studiosum Quasimodogenitum gekannt, indem Er eben auf die Universitaet kam, wie ich in Begriff war wegzugehen. Ich hatte Ihn also nie gesprochen, ob ich schon mit zweyen seiner Brüder wohl bekannt war.

Die schmeichelhafte Art, mit welcher Er mich empfing, gab mir aufs neue eine gute Vorbedeutung von der herrnhutischen Sache, ob ich schon gestehen muß, daß ich mehr bemühet war, mir selber eine gute Vorstellung davon zu machen, als daß ich in der That was wesentliches solte empfunden haben. Genug Er präsentirte mich dem herrnhutischen Heylande, der damals in der Person des Grafen von Zinzendorf, zwar alle Sünder ohne Unterschied annahm, die sich seinem Joche blindlings unterwarfen, ihnen aber durch Auflegung desselben keine Ruhe vor ihre Seelen schaffen kunte.

§ 283. Bey der ersten Unterredung gieng in uns beyden etwas vor, das uns ungefehr sagen wolte, daß wir wohl nicht vor einander gemacht seyn möchten. Denn wir sahen einander mit einer gewißen Stellung an, woraus keiner noch recht klug werden konnte. Wie Ihm dabey zu muthe gewesen, weiß ich nicht, mir aber sagte mein Herz schon ziemlich laut, daß wir uns nicht vor einander schicken würden. Ich unterdrückte aber diese Gedancken mit Gewalt, und sezte mich auf eine recht seltsame Weise wider meine eigene Empfindung.

Alles was unter diesen, von mir vor lauter Engel angesehenen Menschen vorgieng, wenn es gleich bisweilen die läppischsten Poßen waren, das sahe ich vor Kindliche Einfalt vor Kennzeichen einer großen Selbstverleugnung und vor Merkmale der allmählig wider hervorkommenden ersten Christen an: Ich stuzte aber gewaltig als ich, bey meinem Wunsche, daß man den Fußtapfen der ersten Christen immer eifriger nachspüren möchte, von einem unter ihnen, mit ziemlichen Unmuth die Gegenrede hören muste, daß das schon wider etwas nachgemodeltes seyn würde, und daß der Heyland bey diesen Anstalten, eine ganz andere Oeconomie im Sinn hätte. Holla! dachte ich bey mir selbst, wenn das so ist, so bist du in Aufspürung der ersten Christen schon widerum erschröcklich blind gekommen: Ich muste aber doch das Ende dieser Scene erwarten, und sehen, wo es mit den Anstalten des neuen Heylandes hinaus wolte, welches ich denn schon mit einiger Schüchternheit that, nachdem ich gehört hatte, daß[143] diese Geister so wenig Lust bezeigten, denen, aus den eigenen Geschichten der Christen, mir vorgemahlten Fußtapfen der ersten Christen, nachzuwandeln.

§ 284. Einen neuen Anstoß bekam ich, als ich sahe, daß sich das Haupt dieser neuen Christen, ganz gräflich bedienen ließ, und das Ansehen hatte, als wenn er gekommen wäre, mehr sich selber dienen zu laßen, als andern zu dienen. Ich fand da eine recht gräflich zugerichtete Tafel, bey welcher aber diejenigen Brüder, die Laquayen und Hayducken vorstellen mußten, ungeachtet einige derselben schon Apostel in America gewesen waren, und weiter, als alle Apostel Christi zusammen gereiset hatten, nur die Ehre der Aufwartung genoßen.

Ueber der Tafel wurde von nichts, als vom Heylande und dessen, durch die neuen Apostel, neu verrichteten Wundern gesprochen, wobey ich, wie ein Heftel-Macher spannete, ob ich nicht auch eine und die andern dieser Wunder konnte vor Wunder erkennen: Allein meine Glaubens-Augen waren so dunckel, daß ich mich bloß an dem Hören-Sagen derer, die sie bekräftigten, und mit dem heil. Geist des hochgräflichen Heylandes gesalbet waren, begnügen laßen muste, und ich hätte nicht ein vieles nehmen wollen, mein Bedencken über manche dieser Wunder zu geben.

§ 285. Keins unter denselben kunte ich weniger faßen, als wenn mit so großer Zuversicht erzehlet wurde, daß die, nach Grönland oder St. Thomas, und St. Crux in America gesandten Apostel, also fort, wenn sie den dasigen Wilden oder Mohren, das Evangelium des herrnhutischen Heylandes hätten verkündigen wollen, eine solche Fertigkeit in der Landsprache erhalten hätten, daß sie den Leuten die größten Geheimnisse des Christentums, wovon diese Völcker gar keine Wörter in ihrer Sprache haben kunten, hatten erklären können, da nicht allein die dänischen Apostel in Malabar mit großer Mühe und vielem Zeitverlust, die dasige Landessprache erst erlernen müßen, ehe sie diesen Völckern nur einigermaßen in derselben vernehmlich werden können; sondern auch die nehmlichen Apostel des neuen Heylandes nicht capable waren, den benachbarten Wenden, unter denen sehr wenige recht deutsch verstehen, in ihrer Sprache nur ein Wort vom Evangelio zu verkündigen.

Ich enthalte mich, Weitläufigkeit zu vermeiden, der Anmerckungen, die über diese sonderbare Aufführung des h. Geistes gemacht werden könnten, und wende mich zu einem andern Wunder, welches sich Zeit meiner Anwesenheit in Herrnhut zugetragen. Ein Waysenknabe lag tödtlich krank, und wäre gerne wieder gesund gewesen; man sagte ihm,[144] daß wann Er Glauben an den Heyland hätte, Er eben so wohl, als der Gichtbrüchige sein Bett aufheben und davon gehen könnte. Der arme Junge, der gerne alles glaubte was ihm seine Seligmacher vorsagten, mochte noch so viel Kräfte übrig haben, ein wenig aufzustehen, und in der Stube, doch ohne sein Bette zu tragen, herumzugehen. Gleich war das Wunder in ganz Herrnhut ausgebreitet, es hieß: Der Bruder sey im Glauben aufgestanden! Allein des dritten Tags darauf begruben wir ihn.

§ 286. Der Herrnhutische Heyland, der den meisten Wind von dieser Auferstehung im Glauben gemacht hatte, gieng nicht in Procession mit den andern Brüdern mit, sondern kam erst nach, wie wir in Begriff waren den gläubigen Bruder einzusencken. Ich dachte, nun wird erst das rechte Wunder angehen, und der Heyland, sonder Zweifel den Bruder Zinzendorf ausrüsten, die Comoedie vom Jüngling zu Nain, noch einmal zu widerholen, und dadurch alle Ungläubigen in der ganzen Gegend, aufs kräftigste zu überzeugen, daß Er noch in seinen Gläubigen lebe, und eben die Wunder zu thun vermögend sey, die Er in den Tagen seines Fleisches gethan haben soll. Allein es erfolgte nichts, und der Bruder, der mit so großer Verwunderung vor ein Paar Tagen, im Glauben aufgestanden war, dem Tode Troz zu bieten, hatte sich, mit samt seinem Glauben, in der That wieder niedergelegt, und das Gebeth der Gläubigen hatte dem Krancken nichts geholfen. Ich unterließ nicht meine heimlichen Betrachtungen über diese Historie anzustellen, und daraus den Schluß zu machen, daß ich die Geister der ersten Christen wohl noch nicht angetroffen haben müste. Hätte ich damals schon so weit, als jetzt sehen können, würde ich mir in Aufsuchung dieser seltsamen Vögel, gar keine Mühe mehr gemacht, sondern leicht erkannt haben, daß die Welt zu allen Zeiten gerne hätte betrogen seyn wollen. So aber muste ich, weil ich die Augen damals noch mit aller Gewalt zudrückte, selber erst noch beßer betrogen werden.

§ 287. Ich sahe die offenbare Heucheley, die der Graf mit den benachbarten Lutheranern trieb, mit meiner grösten Gemüths-Verwirrung an, und konnte mich aus dem Kampfe gar nicht finden. Denn die Herrnhuter, die in Herrnhut ihre eigenen Versammlungen und Kirchenordnungen hatten, giengen doch auch nach Bertholsdorf in die Kirche, und hörten den dortigen Pfarrer, Herrn Rothen, der kein unebener Mann war, eben so lieb als ihren Heyland. Aber wenn sie sacramentiren wolten, so durfte keiner von der Bertholdorfischen Gemeine, wenn er nicht zur Mährischen Brüder-Gemeine mit gehörete, zugleich mit sacramentiren, sondern muste sich an der Ehre[145] genügen laßen, mit zusehen zu dürfen, wenn diese heiligen Sonderlinge sacramentirten.

Ich hatte das Glück dieser seltsamen Ceremonie mit beyzuwohnen. Aber nur als ein Zuseher, wobey ich mich mehr über die Condescendenz des Lutherischen Pfarrers, als über die Andacht der Herrnhuter verwundern muste, als bey welcher ich, in Vergleich mit andern gleichmäßigen Bigotten, weiter nichts außerordentliches fand, als daß einige, die am andächtigsten seyn wolten, die Augen etwas gräßlicher verdreheten, als die andern, und vor dem Genuß ihres halbgebackenen Herr-Gotts, nicht wie die andern armen Sünder vorher beichten musten.

§ 288. Auf diese etwas magere Malzeit folgte bald eine beßere, an der Gräflichen Tafel, und ich glaube die andern Mitgäste, an der Tafel Gottes, werden schon auch gesucht haben einzubringen, was sie an selbiger zu kurz gekommen waren. Nach aufgehobener Tafel gieng eine Ceremonie unter diesen heiligen Leuten vor, die mich Spangenberg nicht mit ansehen laßen wolte. Wie ich ihm aber vorstellete, daß mich dieses Anmuthen sehr befremdete, indem ich ja gekommen wäre, alle Gebräuche, Verfassungen und Anstalten der Gemeine mit anzusehen, so wurde mirs endlich erlaubt mit zuzusehen.

Diese Ceremonie bestund in dem sogenannten Liebeskuß, den diejenigen, die da sacramentiret hatten, zu Bekräftigung der Liebe, mit welcher sie einander verbunden seyn wolten, unter allerhand Gesängen einander ertheileten, und ich kann keine andere vernünftig gegründete Ursache, von Spangenbergs Verweigerung, nur diese Comoedie mit ansehen zu laßen, finden, als weil dieser Liebes-Kuß, wenn sie allein, und ohne Aufmercker gewesen wären, pêle mêle auch dem weiblichen Geschlechte, zum Vorschmack einer baldigen genaueren Vereinigung, würde zu Theil worden seyn. Denn daß Manns-Personen einander küßen, war ja keine solche Sache, die ich nicht, ohne Aergerniß, hätte sollen mit ansehen dürfen. So mochte aber der schlaue Graf wohl mercken, daß sich so was heiliges, von einem, der noch nicht mit unter die Creuz-Luft-Vögelein gehörete, noch die Geheimnisse des Seitenlochs ergründet hatte, eben nicht ganz gleichgültig würde mit ansehen laßen, deßwegen ward die Vermittlung getroffen, daß sich die Manns-Bilder in des Heylandes Zimmer alleine küßen musten; die Weibs- Bilder aber genoßen ihr Brod zu Brod in dem Zimmer der Frau Heylandinn.

§ 289. Ich wuste damals noch nichts vom blauen Cabinetchen, dem Einrichte-Bänckchen und andern dergleichen, zu Erhebung des Amts-Geheimnißvollen Gliedes abzielenden Gebräuchen der neuen[146] Streiter-Gemeine, sonst würde ich nicht ermangelt haben, mein Bedenken darüber zu äußern. Inzwischen schien mich doch Spangenberg unter der Hand zu diesen Geheimnißen praepariren zu wollen, indem Er mir ganz ohne mein Forschen, eröfnete, mit was vor Beugung das Eheliche Werck bey Ihnen verrichtet würde, ungeacht Er selber damals noch nicht verheyrathet war.

Meine heilige Dumheit, die dergleichen Discurse noch nie gehöret hatte, und alles noch an diesen Leuten vor heilig hielt, verstattete mir nicht, meine Gloßen über die Offenbarung dieses Apostels zu machen, sonst würde ich Ihn gefraget haben, worin diese Beugung eigentlich bestände, und ob diese Redensart auch eine Sache sey, die sich zu einen solchen Handel schickte etc. Allein ich war viel zu Consus und Blöde, mich weiter nach diesen Dingen zu erkundigen, hätte aber bald alle Gedult verlohren, wie Er mich versichern wolte, daß durch ihre fleischliche Geburt, auch zugleich die Wiedergeburth mit verrichtet würde21. Denn vor dieses fremde Wort hatte ich zur selben Zeit noch viel zu viel Hochachtung, als daß ich hätte glauben sollen, daß Leute, die sich eine sonderbare Ehre draus machten, des Heylandes arme Sünder zu seyn, vor wiedergebohrne konnten gehalten werden.

§ 290. Inzwischen weil ich aus einigen Discursen dieses neuen Evangelisten gemerckt hatte, daß Er nichts vom Grübeln hielt, sondern Blindweg geglaubt haben wollte; so muste ich noch zur Zeit an mich halten, und sehen was ich weiter sonderbares an diesem Orte zu sehen kriegen würde. Denn noch zur Zeit hatte ich außer den verschiedenen Arten der Erbauungs-Stunden, die ich nicht alle zu nennen weiß, weiter nichts außerordentliches gesehen, als daß die benachbarten Wenden von etlichen Meilen herzueileten, den neuen Heyland zu hören und seine Thaten mit anzusehen.

Dieser Anblick rührte mich, nach meiner damaligen Gemüths-Stellung am meisten, und ich hätte bey dieser Gelegenheit gerne etwas von des Hrn. Grafen seiner so hochgerühmten Beredsamkeit hören mögen. Allein anstatt mir dißfalls meine Begierde zu stillen, stimmete Er auf dem Platze, wo die Wenden um uns versamlet stunden, das Lied an: Mir nach, spricht Christus unser Herr etc. Die Wenden sangen es in ihrer Sprache, und wir Deutschen in der unsrigen:[147] Aber außer dieser Music, die mich, in Ansehung der darin angewiesenen Nachfolge Jesu (:von welcher ich gern lebendige Exempel gesehen hätte:) am meisten in meinem Gemüthe beschäftigte, sahe und hörte ich weiter nichts, als daß die Wenden, hungrig und durstig, entweder ins Wirthshaus giengen, oder den Weg, ohne an Leib oder Seele gesättiget worden zu seyn, wider nach Hause suchten.

§ 291. Die besondern überflüßigen Sonntags-Arbeiten des Hrn. Grafen bestunden darin, daß Er die jungen annoch unverheyratheten Leute des Nachmittags, wann die ordinaire Versammlung, auf dem großen Saale vorbey war, zu gesezten Stunden, in der Gräfinn Zimmer kommen ließ, und nach seiner Art, seinen geistlichen Zeitvertreib mit ihnen hatte; dieses gieng ungesehr also zu. Erstlich kamen die unmündigen Kinder, die noch auf den armen getragen wurden und noch nicht ein Wort sprechen kunten. Diesen muste der Secretarius, der zugleich auch Organist war, etliche geistliche Melodien auf dem Flügel vorspielen, derweile, daß der Graf von einem zum andern gieng, sie bey den Händchen kriegte, in die Bäckchen zwickte und so lange mit ihnen tändelte, als sie es, ohne ungedultig zu werden, leyden mochten.

Diß daurete ungefehr eine halbe Stunde, da erschien ein anderer Auftritt, den die Kinder ausmachten, die unter 10 Jahren waren und schon reden konnten. Diesen wurde, meines Behalts, vorgebetet, oder Catechetische Fragen vorgeleget, die sie nach ihrer Fähigkeit beantworten musten, welches ungefehr wider eine halbe Stunde daurete. Nach diesen kamen die Knaben, die über 10 Jahr alt, bis ins 15te waren. Diese wurden mit Gebeten gemartert, die sie kniend aus dem Kopfe machen musten, welches schon meines damaligen Erachtens nach, Pönitenz genug vor diese Kinder war, indem sie manchmal recht tief nach Worten seufzeten, und mit genauer Mühe eins erwischen kunten, womit sie eine, der Natur ganz unbekannte Sprache auszudrücken, im Stande waren. Nicht beßer gieng es denen Mägdlein von diesem Alter, die nach den Knaben erscheinen, und auf gleichmäßige Art vor dem hochgräfl. Heylande ihre Aufwartung machen musten. Dieses, von Natur, mit genugsamer und oftmals überflüßiger Beredsamkeit, versehene Geschlecht, war da so arm an Worten, daß ich, außer den bekannten Herrnhutischen Sprüchwörterchen: Ach! du guter Heyland, Ach! du süßer Heyland, fast nichts vernehmliches von ihnen verstehen kunte.

§ 292. Endlich kam die Reihe dieser andächtigen Frohn-Dienste auch an die erwachsenen unverheyratheten Manns- und Weibs-Personen, bey welchen ich weiter nichts erbauliches bemerkt, als daß[148] unter den Manns-Bildern, einige, die wohl in der That gern fromm gewesen wären, Geistern ähnlicher, als Menschen waren. Unter den Weibsbildern aber, viele lieber gesehen haben möchten, wenn sie der Heyland in seine Cammer, ins blaue Cabinetchen, oder aufs Einrichte-Bänckchen hätte führen wollen, als daß sie, andern zum Spectacul, ganz heilige und der Annehmlichkeit ihres Geschlechts so unanständige Gesichter machen müßen. Wie ich mir aber damals alle Mühe gab, nicht zu sehen, was sich meinen Augen nicht als heilig präsentirte; also sahe ich auch mehr auf die heiligen Gestalten der Manns-Bilder, als auf die unnatürlichen Stellungen des schönen Geschlechts, unter welchen damals ohnedem keine war, die was reitzendes vor mich hatte, sonst es vielleicht wohl hätte geschehen können, daß mich ein solcher Zug, bey der Gemeine des neuen Heylandes, fester gehalten haben würde, als alle Wunder, die ich noch zur Zeit von Ihm gesehen. Gehört hatte ich derselben zwar genug; Aber sie waren alle über 1000 und mehr Meilen von unserer Gegend, nur von den Aposteln des Heylandes geschehen, und von lauter Leuten überwiefet worden, die besorgen musten, daß sie der Heyland in den Bann thun würde, wenn sie seine Sache nicht, es koste was es wolle, mit unterstützen helfen wolten.

§ 293. Inzwischen hielt ich sie doch damals alle vor wahr, und sperrte Maul und Nasen auf, wenn der Graf in öffentlicher Versammlung ganze Fell-Eisen von Briefen ausleereten, und aus denselben diejenigen Stellen vorlaß, die zu Erhebung der Sache des Heylandes dieneten. Denn wo dessen Apostel angelaufen waren, oder keine Blindgläubige angetroffen hatten, davon wurde nicht ein Wort gemeldet, und diese neuen Apostel-Geschichte unterscheideten sich von den alten hauptsächlich darinn, daß sie sich hüteten, Wunder zu erzehlen, die ihre Beschreiber in unsern Gegenden nicht nachthun kunten. Ob die guten Leute in diesem Puncte mit dem Hrn. Jesu einerley Schicksal gehabt, der nach dem Bericht Marci 6, 5. in seinem Vaterlande auch keine einige That thun kunte, laß ich dahin gestellt seyn. Ich glaube aber daß wann sie bey uns, auch nur wenigen siechen die Hände aufgelegt, und sie geheilet hätten, gleichwie von dem Herren Jesu, am angezogenen Ort gemeldet wird, sie schon solche Thaten verrichtet haben würden, die ihnen vor die Glaubwürdigkeit der ausländischen hätten die Gewähr leisten können, es wäre dann, daß ein ungläubiger Bedencken tragen solte, auch dem Evangelisten zu glauben, wenn Er an der einen Seite berichtet, daß der Herr Jesus, in seinem Vaterlande auch nicht eine einige That habe thun können, und dennoch, an der andern Seite meldet, daß Er nur wenigen[149] Siechen die Hände aufgeleget und sie geheilet habe22. Denn wenn Er auch nur einem einzigen auf die Art geholfen hätte, so würde der h. Geist durch den Evangelisten nicht die Wahrheit gemeldet haben, wenn Er ihm hätte dictiren wollen, daß der Herr Jesus in seinem Vaterlande nicht eine einige That hätte thun können. Denn einen Siechen, durch bloße Auflegung der Hände heilen, ist gewiß eine That, die einem auch der berühmteste Medicus so leicht nicht nachthun wird, und wer eine solche verrichtet, von dem kann man endlich, ohne der Wahrheit zu nahe zu treten, schon sagen, daß Er eine That gethan habe. Doch das mögen die Gläubigen unter einander ausmachen.

§ 294. Wider auf die öffentlichen Versammlungen der Herrnhuter zu kommen, so hatten dieselben wegen der andächtigen Music, insonderheit, wenn die Waldhörner mit in die Orgel stimmten, vor sanguinische Temperamente, gar etwas reitzendes. Man konnte mit Lust andächtig seyn, und bey einer solchen angenehmen Bewegung der Phantasie, ganz ohne Mühe, sich eine Vorstellung machen, wie lustig es einmal auf der Hochzeit des Lammes zugehen würde. Doch diese angenehmen Empfindungen wurden bald wieder unterbrochen, wenn der Heyland in der Person des Hrn. Grafen wider von armen Sündern zu reden anfieng, und den leidigen Teufel aufs Tapet brachte. Denn da verschwand die vorhergehende Fladder-Lust dergestalt, daß der Heyland selber nöthig fand, sie durch eine neue Music wieder zurückzurufen. Denn

Sobald hatte er nicht in seiner Predigt eine Materie berührt, die mit andern Ausdrücken in dem herrnhutischen Gesangbuche stand, als wider georgelt und auf den Waldhörnern geblasen werden muste, um den Vers abzusingen, der sich auf seinen Vortrag paßte, daß man also bey diesen, an sich kraftlosen Geschwätze nicht leicht einschlafen kunte, indem man immer durch eine neue Music aufgewecket wurde. Und solchergestalt bestand dann die Predigt des Hrn. Grafen, in einem beständig abwechselnden Gesänge und Geschwätze, welche Art der Erbauung mir Spangenberg, als was besonders schmackhaft zu machen suchte. Ich kan aber sagen, daß mir noch nichts abgeschmackters vorgekommen war, als dieses, weil man immer in den Materien, die man gerne ausgeführt gesehen hätte, durch das beständige Zwischen-Quinculiren, unterbrochen wurde.[150]

§ 295. Ich durfte mich aber nichts mercken lassen. Denn ich hatte noch zu wenig Einsicht in das Gantze, und zu viel Hochachtung vor Dinge, die mir in der sogenannten Religion als außerordentlich in die Augen fielen. Unter diese gehörte unter andern auch der Töpfer Dober, ein Mann, nach dem Herzen des herrnhutischen Heylandes, und wegen seines geistlichen Hochmuths vollkommen capable mit der Zeit einen Vice-Heyland zu agiren. Dieser Mann, der äußerlich gar kein einnehmendes Ansehen hatte, besaß auch die Gabe zu schwätzen auf, eine ziemlich apostolische Art. Man hörte viel seltsame und der Vernunft unglaubliche Sätze: Aber alle ohne Beweiß. Der Glaube an den Heyland machte da alles aus, und die arme Vernunft (:die freylich beständig wider einen so unsinnigen Glauben fochte:) muste sich bisweilen nicht wenig herunter machen laßen.

Ich bemühete mich damals auch noch, aus allen meinen Kräften, sie unter den Gehorsam des Blindglaubens gefangen zu halten: Alllein ich wuste nicht, daß sie mehr über mich, als ich über sie zu befehlen hatte, und deswegen muste ich leyden, daß sie mir, bey alle dem unnützen Gewürcke, daß ich in Herrnhut sahe, bisweilen was ins Ohr sagte, daß mich leicht von der Nichtigkeit aller dieser Gauckeleyen hätte überzeugen können, wenn ich sie hätte hören wollen. Ich muste aber erst noch beßer geprellet werden, ehe ich zu einer so nöthigen, als glückseligen Aufmerksamkeit gebracht werden kunte, und dieser Töpfer trug durch das Ansehen, zu welchem ihn der neue Heyland erhoben hatte, und auf welchen ich damals mehr gaffete, als auf alles, was in meinem inwendigen passirete, nicht wenig mit, zu dieser geistlichen Kurzweile bey.

§ 296. Es wurden Ihm in den Stunden, die Er wöchentlich, auf bestimmte Tage halten muste, die allerwichtigsten, und einer recht tiefen Betrachtung würdigsten Fragen vorgelegt, die auf verschiedenen Zedduln geschrieben stunden, und auf sein Pult geleget wurden, ehe Er in den Versammlungs-Saal kam. Eine jede dieser Fragen, hätte allein mehr als eine Stunde Nachsinnen erfordert, wenn sie zum Vergnügen der Fragenden hätte sollen beantwortet werden, und vielleicht würde mancher Professor und Doctor Theologiae genug damit zu thun gehabt haben, wenn Er sie ex tempore und aus dem Steigreif hätte beantworten sollen. Allein dieser Mann Gottes Beantwortete sie alle, ohne das geringste Nachdenken, in einer Stunde, sobald Er sie nur gelesen hatte.

Ich kann nicht sagen, daß Er sie würcklich entschieden, und den Fragenden auf ihre Zweifel genug gethan hätte: Allein das geistliche[151] Mengel-Muß, daß Er drüber herschüttete, und dessen Ingredientien Er, allem Ansehen nach selber nicht gekennet, benahm ihnen zum wenigsten die Kraft, die sie sonst auf die Gemüther einiger, noch in etwas forschenden Blindgläubigen hätten haben können, und diese wurden, anstatt überzeuget zu werden, von der Verwunderung über die Fertigkeit eingenommen, mit welcher sie dieser begeisterte Mann von der vorhabenden Materie ab, und auf ganz andere Dinge zu bringen wuste. Ich gehörte damals mit unter diese Claße, und half den armen, so schon genug von sich eingenommenen Mann, durch die Verwunderung, die ich über seine sogenannte Salbung blicken ließ, vollends mit Vergöttern, welches Ihm dann, wie leicht zu erachten, sehr sanfte that, ungeacht Er alles, was zu seinem Ruhm gesaget wurde, mit großer Demuth von sich abzulehnen schien.

§ 297. Ich besuchte hierauf die vornehmsten Mitglieder der dasigen Gemeine, unter denen ich artige Gemüther fand, denen es wohl um was rechtschaffenes zu thun seyn mochte, wie dann aus allerley Volk Leute dahin kamen, theils von dem neuen Heylande Brod zu haben, theils ihre zeitlichen Güter zum Füßen der Apostel niederzulegen, und hernach der Gnade des Heylandes zu leben. Von der ersten Gattung, worunter freylich viel Tagdiebe mit seyn mochten, haben die meisten wider ihren Rückweg genommen, welches ich auch dem Heylande nicht verdenken kann: da Er aber der andern wohlbemittelten, und alle ihr Vertrauen auf des Heylandes Redlichkeit setzenden Gemüther, ihre wohlerworbenen baaren Gelderchen, zu Formirung seines geistlichen Staats mißbraucht, und sie hernach selber Noth leiden läßet, das ist, meinem Bedüncken nach, eine Sache, die sich eher vor einen Spitzbuben, als vor einen Heyland schickt.

Ich bin gar nicht geneigt, alles zu glauben, was ins Gelag hinein von den Intriguen dieses neuen Sünder-Freundes geredet und geschrieben wird. Aber wenn wahr ist, daß der ehrliche Kaufmann Richter, der bey meinem Daseyn mit seiner erwachsenen, und ziemlich wohlgebildeten Tochter, aus Strahlsund dahin kam, und sein ganzes, in etlichen Tausenden bestehendes Vermögen mit dahin brachte, endlich (:wie mir glaubwürdig berichtet worden:) in dem neuen Himmelreiche verarmet ist, so ist die Verblendung der Menschen nicht zu begreifen, wenn sie sich, mit Aufopferung ihrer zeitlichen Güter, noch weiter von einem so offenbaren Betrüger hinters Licht führen laßen.

§ 298. Mich blendeten damals noch verschiedene Gelehrte, die die Sache des hochgräfl. Heylandes mit unterstützen halfen, unter welchen, außer Spangenberg, noch der M. Oettinger aus Tübingen, der M. Klein, noch ein anderer Magister, und der berühmte Professor[152] Müller, damaliger Director der Zittauischen Schule, war, der mich auch hernach in Dreßden besuchte, als Er würcklich in Begriff stund, nach Herrnhut zu gehen; Alle diese, nach ihrer Art nicht ungelehrte, und auch nicht eben blindgläubig scheinende Männer, die es alle damals noch mit dem herrnhutischen Heylande hielten, zusamt dem Blendwercke, daß Er mir selber von den Zeugnißen der Stralsundischen und Tübingischen Gottesgelehrten, in Ansehung seiner Rechtgläubigkeit, vormachte, brachten mein Gemüth in eine Art der Verwirrung, woraus ich mir selber nicht gleich zu helfen wuste, und ich glaube, ich würde mich auf das Ansehen obbenannter gelehrten Männer, dem Joche des Heylandes blindlings unterworfen haben, wenn Er Verstand genug gehabt hätte zu erkennen, daß Er mit Zeugnißen Lutherischer Theologorum, seiner Orthodoxie wegen, mehr bey mir verderben, als gut machen würde.

Hierdurch vergönnete mir der politische Heyland einen sehr hellen Blick in seine geistliche Tückmäuserey, den ich zwar, wegen meines noch anklebenden Blindglaubens, nicht auf der Stelle gleich verfolgen durfte, aber der mir doch, bey zunehmenden Lichte, die stärckste Ueberzeugung gab, daß Er mit Tücken umgieng, und nicht redlich verfuhr. Denn in der That war Er weit weniger orthodox, als ich damals war, und wolte doch ehrlichen Leuten weiß machen, daß Er völlig orthodox sey, welches mir, der ich eben deswegen mich mit Ihm eingelaßen hatte, weil ich glaubte, daß Er an der gemeinen Orthodoxie, eben einen so großen Abscheu hätte, als ich, überaus viel zu schaffen machte, und beynahe, meinen ganzen Blindglauben ruiniret hätte.

§ 299. Es hatte aber derselbe noch eine gar haltbare Stütze an dem, von meiner Kindheit an eingebläueten Ansehen der Bibel, zu welchem ich alle Zugänge, mit Eigensinn, Dummheit, Aberglauben und Leichtgläubigkeit dergestalt verrammelt hatte, daß denselben auch von den listigsten Feinden nicht leicht beizukommen war. Weil also Bruder Zinzendorf in dieser Verschanzung noch bey mir zu halten schien, ungeacht ich schon hätte sehen können, daß Er unter der Hand sein eigen Ansehen, dem Ansehen der Bibel entgegen sezte, so trauete ich lieber selber meinem eigenen Gesichte nicht, als daß ich mich hätte unterstehen sollen, Ihn vor einen Feind der Wahrheit zu halten.

Ich wurde endlich, nachdem ich alle, zu sehen vergönnete Gauckeleyen dieser armen Sünder mit angesehen hatte, von dem Vornehmsten derselben befragt, wessen sich dann die Gemeine nun zu mir zu versehen hätte? Diese Frage übereilte mich in etwas, und ich hätte gerne gesehen, daß man mich was anders gefragt hätte. Weil[153] ich also nicht im Stande war, dieselbe mit genugsamer Ueberlegung zu untersuchen, und doch auch nicht gerne vor einen puren Spion angesehen seyn wolte, so gab ich zur Antwort, man hätte sich alles zu mir zu versehen, was man von einem rechtschaffenen Nachfolger Jesu hoffen könnte. Man schien damit zufrieden zu seyn, und der hochgräfliche Heyland fieng an sich mercken zu laßen, daß Ihm an seinen neuen Jüngern nichts lieber sey, als wenn sie sich nach besten Vermögen bemüheten, Christo Seelen zu gewinnen.

§ 300. Ich war damals noch viel zu einfältig, als daß ich hätte mercken sollen, daß diese Redensart im Grunde nichts anders sagen wolte, als dem Hrn. Grafen unter der Hand immer mehr blinde Anhänger zu verschaffen, sondern ich nahm sie in ihrem Unschuldigsten Verstande, von den Bemühungen andern, noch nicht mit zu diesen geistlichen Schaafstall gehörigen Schöpfen, Appetit zu machen, sich nebst denen bereits vorhandenen, auch mit auf die Trift des neuen Heylandes treiben zu laßen, mit einem Worte einen Apostel zu agiren, und andere in ihren angeerbten Meinungen irre zu machen.

Die Wahrheit zu bekennen, so schickte ich mich zu einem so heiligen Amte noch weniger, als zum Pfarr-Amte. Denn ich war weder tollkühn noch unverschämt, und gestehe offenherzig, daß wenn ich einmal meiner Predigten wegen den Staubbesen hätte kriegen sollen, ich mich sehr besonnen haben würde, ein so schlecht lohnendes Handwerck weiter zu treiben, wie sehr ich mir auch noch damals einbildete, nicht nur diese Kurzweil, sondern noch etwas mehreres um des Namens Jesu willen auszustehen. Indeßen schien doch der herrnhutische Heyland, auf meine heilige Verwegenheit großen Staat zu machen, indem Er mich, wie mir Spangenberg nachmals in Dreßden eröfnete, zum Apostel, nach America bestimmt hatte.

§ 301. In der That wäre dieses das beste Mittel gewesen, mich entweder auf eine beständige Art in die weit aussehenden Händel dieses neuen Pabsts mit einzuflechten, oder mich auf ewig zu verhindern, kein so wachsames Auge auf seine Intriguen zu haben, als Er, aller meiner Einfalt ungeacht, schon mercken mochte, daß ich hatte. Denn wir waren in dem Punct der Kin der-Taufe, die Er, als ein unentbehrlich Mittel zu Ausbreitung seines Reichs, noch beizubehalten vor nöthig fand23, gar nicht mit einander eins, und ob Er schon all sein möglichstes that, mich von der Göttlichkeit derselben zu überzeugen, so merckte Er doch wohl, daß ich mehr aus Gefälligkeit als Ueberzeugung nachgab, und daß ich Ihm, über kurz, oder[154] über lang, leicht neue Sprünge in dieser Sache würde machen können.

Diesem Zufall hätte Er in der That vorbeugen, und mich auf immer, an allen meinen nachherigen Arbeiten verhindern können, wenn Er sich meiner ersten Hitze und Verblendung hätte zu bedienen gewust. Damals hätte Er aus mir machen können, was Er nur selber gewolt; ich würde allemal geglaubt haben, es sey der Wille des Heylandes, und in Kraft dieser Verblendung würde Er mich aus einem Winckel der Welt, in den andern haben schleudern, ja gar, mit guter Manier, aus dem Wege räumen können: Wie Er mir aber Zeit ließ, mich zu besinnen, und seine unlauteren Absichten reiflicher zu untersuchen, so hatte Er auch schon, mehr als halb, verspielt.

§ 302. In Herrnhut selbst konnte ich zwar zu keinen festen Schluß kommen. Denn meine Sinne wurden immer mit neuen Gauckeleyen betäubt, und wenn sich gleich in meinem inwendigen ein beständiges Mißfallen dawider regete, so bemühete ich mich doch, mich gegen mich selbst zu setzen, und mirs zur großen Sünde zu machen, wenn ich nicht den Geschmack dran finden konnte, den andre dran zu haben vorgaben. Unter andern sahe ich da ein sogenanntes Liebes-Mal, welches ein gewißer Magister, deßen Name mir entfallen, den dasigen Waysen-Kindern gab.

Ich meinte Wunder, was ich da sonderliches zu sehen kriegen würde; Allein ich sahe weiter nichts, als daß die Kinder eine frische Milch, nebst Butter, Brodt und Kayse verzehreten, und wie sie fertig waren, dem Magister allerhand Catechetische Fragen, mit Ja und Nein beantworten musten, vor welches Wohlverhalten, sie aus dem Hallischen Spruch-Kästchen, etliche Sprüchelchen von ihm geschenckt bekamen. Der Graf selber war bey dieser Solennität nicht allein nicht zugegen, sondern ich merkte auch Ihm, daß Er eben so wenig, als ich, drauf machte, und die heilige Einfalt des guten Magisters heimlich belachte.

§ 303. Endlich kam die Zeit meiner Abreise herbey, und ich nahm von dem Heylande, und seiner Gemeinde, unter der Versicherung, daß ich mich nächstens förmlich bey Ihnen wider einstellen, und biß an mein Ende gutes und Böses mit ihnen theilen würde, halb fröhlich und halb traurigen Abschied. In der That versprach ich mehr, als ich, nach meinem inwendigen Gefühl, zu halten im Stande war: Allein auf dieses wurde, wegen der äußerlichen Beschäftigung meiner Phantasie, damals wenig geachtet; vielmehr wandte ich noch alle meine Kräfte an, die Vernunft nach Maßgebung der[155] Bibel, unter dem Gehorsam meines neuen Glaubens gefangen zu nehmen und eben deswegen gieng es so langsam mit meiner Erleuchtung zu. Der Graf ließ mich mit dem Nürnberger Kaufmann Hrn. Weisen, durch sein eigen Fuhrwerck biß Bautzen fahren, und bezahlte mir die Post von da aus, vollends biß Dresden, welches mir abermal von dem unabsichtlichen Wesen deßelben einen guten Eindruck machte. Der Apothecker aus Herrnhut, Hr. Thier, begleitete uns zu Pferde. Wie Er aber ein schlechter Reuter war, und gerne mit Hrn. Weisen noch einige geheime Affairen des Heylandes beredet hätte, so bot Er mir sein Pferd an, welches ich mit allen Freuden annahm, weil ich nicht allein dadurch des continuirlichen Stöhnens des Hrn. Weisens loß wurde, der den Heyland fast alle Augenblick mit den Herzbrechendsten Seufzern bombardirte, und mich par Compagnie auch mit darzu verleitete, sondern auch, weil ich dadurch Gelegenheit gewann, meinen Gedancken, über alles, was mir bereits begegnet war, und was ich, zufolge meines Vorsazes, noch zu erwarten hatte, desto freyer und ungehinderter Audienz zu geben.

§ 304. In den Calendern, die ich damals machte, kamen sehr wunderliche Aspecten vor, mit welchen ich meine Leser nicht aufhalten will. Genug ich kam, unter dieser Arbeit, nebst meinen neuen beyden Brüdern, glücklich in Bautzen an. Ich beurlaubte mich von Ihnen, und fuhr, nach einer kurzen Commission, die ich im Namen der Gräfinn von Calenberg, bey der Frau von Glitzing auszurichten hatte, mit der Post vollends zurück nach Dreßden, nunmehro auf nichts anders gedenckend, als wie ich, meinem Versprechen zu Folge, meinen Abschied bald von meiner Herrschaft fordern, und dem Herrnhutischen Heylande unter die Flügel kriechen möchte.

Aber o Himmel! Wie eitel und übereilend sind unsere Gedancken, wenn sie der Vernunft den Rücken kehren, und blindlings einen schwärmerischen Triebe folgen? Und was hat diese unselige Passion nicht vor eine Macht über ein Gemüth, das sich derselbigen einmal überläßt? Die Vernunft, die getreue Leiterin unserer Handlungen, wird da gar nicht gehöret, wenn sie sich gleich noch so kräftig meldet, und uns oft, ohne unser Suchen, einen Weg zeiget, wodurch wir einem, ins offenbare Verderben führenden Abwege entgehen könnten.

§ 305. Ich kanns biß diese Stunde noch nicht begreifen, wie es möglich gewesen, den Vorsatz, nach Herrnhut zu gehen, fest zu behalten, nachdem mir Gott, bey der unermüdeten Aufspührung der Wahrheit, bereits die unaussprechliche Genade gethan hatte, mich Dinge einsehen zu laßen, von denen ich, vernünftiger Weise, nimmermehr mit Grunde hoffen kunte, daß der neue Heyland drüber mit[156] mir eins werden würde. Die Kindertaufe war das wenigste, worin wir von einander abgiengen, und ich hätte aus der Correspondenz die der Graf selber, unter dem Namen des M. Kleins, noch eine lange Zeit, über diese Materie mit mir führete, leicht sehen können, daß wir keine gute Seyde zusammen spinnen würden, wenn ich erst in seiner Gewalt gewesen wäre, seiner Gnade leben müßen, und mich außer Stand gesezet hätte, sein Joch, mit meinem Vortheil wider abzuschütteln.

Allein alle diese Ueberlegungen, wie oft sie mir die Vernunft auch vorstellte, fanden, gegen die Verblendung, womit mich seine affectirte Demuth, und der Eyfer Christo Seelen zu gewinnen, die Er nie verlohren hatte, bezaubert hielt, keinen Plaz bey mir, und ich schäme mich recht, zu bekennen, daß ich, nach dem Lichte, das mir Gott bereits, ziemlich helle, in meiner Finsterniß hatte scheinen laßen, derselben grade wider in den Rachen zu laufen willens gewesen. Denn

§ 306. Meine geehrtesten Leser müßen allhier wißen, daß ich, mitten unter den Gedancken, mich mit dem Grafen von Zinzendorf bekannt zu machen, schon die Unschuldigen Wahrheiten zu schreiben angefangen hatte, mit welchen Geschäfte es folgende Bewandniß hatte. Ich sahe, wie bereits gemeldet, daß aus mir nimmermehr ein Pfarr werden würde, was aber Gott sonst aus mir machen würde, da ich keine Mittel hatte, etwas anders anzufangen, war mir gänzlich verborgen. Inzwischen verließ ich mich auf seine Güte, des festen Entschlußes, der Wahrheit auch bis in den Tod getreu zu bleiben.

In diesen Gedancken, die mich sehr beruhigten, gieng ich eine ziemliche Zeit, ganz gelaßen, meinen ordentlichen Berufsgeschäften nach, ohne weiter an etwas zu schreiben zu gedencken. Denn alles, was ich bey meinem Pfarrer geschrieben hatte, fand ich zu weitläuftig und impracticable es drucken zu laßen. Es ruhete also meine Feder gänzlich, so viel die Theologischen Materien betraf: Weil ich aber nicht müßig seyn konnte, so beschäftigte ich mich derweile mit Uebersetzung der Italiänischen Opera Fabricio, die ich in reine Deutsche Verse brachte, und meinen Maitre, da die Arien, alle nach der Italiänischen Composition gesungen werden konnten, nicht wenig dadurch vergnügte.

§ 307. Ich konnte aber dieses Geschäfte, ungeacht der Maitre zu mir sagte: Meriterebbe esser impresso, nicht vollenden. Denn Gott wieß mir eine andere Arbeit an. An einem Morgen, da ich aus dem Schlafe munter wurde, und nach verrichteten Morgen-Lobe[157] der Süßigkeit der Ruhe noch eine Zeitlang genoß, und an, weiß nicht was, gedachte, war es, als wenn einer, ganz vernemlich zu mir spräche: Schreib unschuldige Wahrheiten. Diese so unvermutheten, als ungewöhnlichen Gedancken, machten einen starcken Eindruck in meinem Gemüthe, und brachten mich, ohne zu wißen, was oder wovon ich schreiben solte, also fort aus dem Bette, und an meinen Schreibtisch.

Alda wolte ich erstlich an dem Titul künsteln, und denselben unter der Aufschrift: Gespräche im Reiche der Wahrheit auftreten laßen. Allein es muste mir eben eine bereits gedruckte Schrift vors Gesichte kommen, die fast eben diesen Titul führte, und in welcher doch wenig zuverläßige Wahrheiten waren. Um also die meinige nicht mit dieser zu vermengen, blieb ich bey dem Titul, von dem mir dünckte, daß er mir wäre ins Ohr gesaget worden, und schrieb sonder weiteren Anstand, das Erste Stück von der Gleichgültigkeit der Religionen.

§ 308. Es mag mit diesen meinen damaligen Gedancken, insofern sie mich zum Schreiben gebracht, zugegangen seyn, wie es will, so ist gewis, daß sie der Grund zu meiner ganzen nachmaligen geistlichen und leiblichen Glückseligkeit gewesen, und daß, wenn ich denselben nicht so willig gefolget hätte, ich nimmermehr die theuren Freunde würde haben kennen lernen, die mir, bey meiner gefährlichen Arbeit, und Mittellosen Umständen, meine äußere Versorgung und ehrlichen Unterhalt verschaffen müßen24.

Damals zwar, als ich zuerst zu schreiben anfieng, kunte ich in der Welt noch an nichts weniger, als an etwas solches gedencken. Denn außer mir allein, wuste noch kein Mensch auf Erden, daß jemand in der Welt war, der Unschuldige Wahrheiten schrieb; ja ich selber wuste noch nicht einmal, wie und auf was Art ich meine Arbeit wolte gedruckt kriegen, und wie würcklich schon 4 Stücke davon gedruckt, und in anderer Leute Händen waren, wuste ich eine lange Zeit noch nicht, ob der, an welchen ich meine Manuscripte nach und nach gesendet, dieselben auch bekommen hatte, und wenn Er sie bekommen hätte, ob Er sie auch des Druckes werth geschäzt, oder zu einem andern Gebrauch verworfen hätte. Mit einem Worte, es muste meine Beständigkeit in diesem Geschäfte, durch gar viele und harte Proben gehen, ehe ich nur einigermaßen sehen kunte, wo Gott damit hinaus wolte.

§ 309. So bald ich das erste Stück dieser Arbeit fertig hatte, schickte ichs, ohne mich im geringsten zu nennen, nach Leipzig an[158] Hrn. Walthern, von dem ich wuste, daß Er gute Sachen zu befördern pflegte: Wie ich Ihm aber weder meinen Namen noch den Ort meines Aufenthalts gemeldet, noch die geringste andere Addresse an mich aufgegeben hatte, so war es auch unmöglich, anders, als durch den würcklichen Druck dieser Sachen, zu erfahren, ob sie Hr. Walther bekommen, und zum Druck befördert hatte, oder nicht.

Es ist leicht zu erachten, daß ich mich in Dreßden bey allen Buchführern, nach einer Schrift, unter dem Titul Unschuldiger Wahrheiten werde erkundiget, und alle Catalogos durchsucht haben, ob ich nichts von dieser Neuen Geburth möchte zu sehen bekommen. Allein alle mein Nachfragen und Forschen war vergebens. Ich ließ mich aber diese anscheinende Verächtlichkeit nicht gleich irre machen, sondern dachte: Vielleicht will Hr. Walther warten, biß er einige Stücke beisammen hat, ehe Er sie zum Druck befördert, deswegen säumte ich auch nicht, Ihm die 4 ersten Stücke, eines nach dem andern, bald zuzufertigen, und dachte, wenn Er sie des Druckes würdig fände, so würde doch nothwendig bald eins oder das andere zum Vorschein kommen müßen: Allein ich betrog mich. Denn es vergieng wohl ein halb Jahr, und ich kriegte nicht das geringste davon zu sehen.

§ 310. Bei diesen unerwarteten Umständen fieng ich nach gerade an, mich selber zu fragen: Aber wem zu gefallen schreibst denn Du, da Du offenbar siehest, daß Deine Arbeit, ob Du sie gleich umsonst weggiebest, nicht einmal so viel gewürdiget wird, daß ein Verleger, dem Du sie schenkest, nur die wenigen Drucker-Kosten dran wage? Wäre Gott dabei mit im Spiele, wie Du Dir einbildest, warum solte Er Deine guten Absichten, von denen Du nicht allein kein Interesse, sondern noch Gefahr und Schaden zu erwarten hast, nicht eben so wohl gelingen laßen, als Er tausend andere Dinge gelingen läßet, die den Menschen mehr Schaden als nutzen? Allein meine Gedancken waren zu voreilig, wie wir bald weiter hören werden.

Ich zweifelte nicht an den Wahrheiten, die ich bekennet hatte. Denn von denselben war ich, nach meiner damaligen Einsicht überzeugt, nur machte ich mir allerhand Bedencken, ob ich auch der Mann seyn möchte, den Gott, solche zu bekennen, bestimmet hatte; Ich wollte nicht dran, den ersten Antrieb zu dieser Arbeit, vor eine unmittelbare göttliche Einsprache zu halten, und gleichwohl konnte ich auch nicht glauben, daß der leidige Teufel, von dem ich mich zwar, meinem sauberen Glauben zufolge, noch starck muste plagen laßen, als ein Vater der Lügen, mich zu Bekanntmachung, ihm schädlicher Wahrheiten hätte antreiben sollen. Es war also, nach meiner damaligen[159] noch sehr duncklen Erkänntniß, nichts weiter übrig, als daß ich die Schuld meiner bisherigen Unternehmungen, auf meinen eigenen Geist schieben, ihn vor einen Verführer und Betrüger halten und mich vor seinen ferneren Eingeben in Acht nehmen lernen muste. Aber damit war auf einmal alle meine Activité gehemmet, meine besten Gedancken, wenn sie nicht mit dem Wahn der damals mir bekannten Frommen harmonirten wurden vor einen schädlichen Selbstbetrug gehalten, und ich würde vielleicht keine Feder wider angesetzet haben, wenn mich Gott nicht aus diesem recht beweinungswürdigen Zustande, durch unvermuthete Darreichung der 4 ersten Stücke der Unschuldigen Wahrheiten wider ermuntert, und zu neuer Wirksamkeit angetrieben hätte.

§ 311. Damit gieng es also zu: Hr. Walther, der bisher noch nicht gewust hatte, wer der Verfasser dieser Sachen war, es auch nimmermehr erfahren haben würde, wenn ich mich selber nicht verrathen hätte, hatte meine Manuscripte, so wie er sie von mir erhielt, nach Franckfurt am Mayn, an Hrn. Andreas Groß geschickt, der damals, so zu reden, das Haupt der dortigen Separatisten war, und in dem 2ten Theile, dieser meiner Lebensbeschreibung mit mehrern vorkommen wird. Dieser ehrliche Mann, der zur selbigen Zeit eben so wenig, als Hr. Walther von mir wuste, ließ die Sachen in Büdingen auf seine Kosten drucken, und machte sie im Reiche eher bekannt, als sie nach Sachsen kamen, und daher kam eben der lange Verzug, der doch nach der weisen Fügung Gottes darzu dienete, daß ich mich selber verrathen, und dadurch den Grund zu meinen weiteren Fortkommen legen muste. Denn

Wie ich in so langer Zeit nicht das geringste, von meiner Arbeit in Druck zu sehen kriegte, und doch gerne gewust hätte, wie es damit stünde, mit keinem, meiner damaligen Freunde aber, nur im geringsten in dieser Sache communiciren wolte, weil mich ihre mystische Schläfrigkeit sattsam versicherte, daß sie sich meinem Vorhaben, aus allen ihren Kräften würden widersetzet, und wohl gar vor der Zeit verrathen haben; so sahe ich, um einigermaßen hinter den Grund des langen Ausbleibens des Drucks zu kommen, mich genöthiget, selber unter meinen wahren Namen, doch mit sehr verstelter und verzogener Hand an Herrn Walthern zu schreiben, und Ihn zu fragen, ob Er mir nicht die Unschuldigen Wahrheiten verschaffen könnte. Denn heimlich war mir doch immer, als wenn mich jemand versicherte, daß sie gedruckt wären.

§ 312. Ich mochte aber meine Hand, um nach, wie vor verborgen zu bleiben, verstellen wie ich wolte, so war ich doch schon[160] verrathen, weil ich vielleicht der erste war, der nach diesen Sachen frug, ehe sie noch in Druck erschienen. Inzwischen ließ sich Hr. Walther gegen mich nichts mercken, sondern antwortete nur ganz höflich, daß Er noch zur Zeit nichts von dieser Schrift wüste; Wenn aber etwas dergleichen zum Vorschein kommen solte, würde Er nicht ermangeln, mir damit aufzuwarten. Hiermit war ich so klug, als zuvor, und bedauerte nichts mehr, als daß ich mich auf die Weise, selbst unbedachtsamer Weise, wie die Spitzmäuse verrathen hatte. Hätte ich damals sehen können, daß mir dieses, in meinen Augen sehr groß scheinende Versehen zu meinem künftigen Glück dienen würde, so würde ich mich leicht zufrieden gegeben haben: Weil ich aber, um desto ungehinderter der Wahrheit nachzuspühren, durchaus verborgen seyn wolte, und ganz und gar nicht aus Interesse oder zeitlichen Absichten Schrieb; so konnte ich mirs nicht verzeihen, daß ich meiner Curiosité nicht beßer Einhalt gethan hatte, und blieb nach Maaßgebung der § 310. erwähnten Gedancken, noch eine ziemliche Zeit in meiner mystischen Taubsucht, und Unwürcksamkeit, ohne weiter dran zu gedencken, meine angefangene Arbeit fortzusetzen.

§ 313. Endlich erschien die erfreuliche Zeit, die mich aus allen meinen bisherigen Wundern und Ungewißheiten bringen, und mein Gemüths aufs neue ermuntern solte, in dem angefangenen Laufe, freudig fortzugehen, ohne mich sehen zu laßen, wie sauer es mir auch auf demselben werden würde, als welches mich gewiß dergestalt niedergeschlagen haben würde, daß ich mir keinen Schritt weiter zu gehen getrauet haben würde. So gut ist es, daß die Vorsicht unser künftiges Schicksal verbergt, welches, wenn wir es wüsten, uns an tausend edlen Handlungen, und nicht selten an unserm eigenen Glück und Wohlsein hindern würde.

Ich dachte nunmehro fast an nichts weniger, als an den Druck meiner versendeten Manuscripten, und wäre, aus dem Stillschweigen, das Hr. Walther dißfals gegen mich äußerte, fast auf die Gedanken gerathen, daß Er sie gar nicht erhalten haben müße. Allein ehe ich michs versahe, fand ich sie bey Hrn. Hasen, dem damaligen Königl. Cammer-Copisten, gedruckt. Dieser ehrliche Mann, der mein sehr lieber und werther Freund war, und wenn Er noch lebet, auch noch ist, hatte sie, unter andern, in damaliger Neu-Jahrs-Meße herausgekommenen neuen, und mehrentheils mystischen Sachen, von Hrn. Walthern geschickt bekommen, und zeigte sie mir mit einer recht fühllosen, verächtlichen und vollkommen mystischen Stellung, welche ich ihm aber so wenig vor übel hielt, daß ich mich äußerst bemühete, mich Ihm in derselben gleich zu stellen.[161]

§ 314. In der That hatte ich, bey dem so gar unvermutheten Anblicke dieser Sachen, alle meine Verstellung von nöthen, um mich nicht mercken zu laßen, daß ich Theil daran hatte, und wenn der gute Hr. Hase nur halb so viel natürlichen Witz, als heilige Einfalt beseßen hätte, so würde Er aus der Veränderung meiner Gesichtsfarbe, leicht haben sehen können, daß mir diese Schrift nicht gleichgültig seyn müste, zumal da ich in den bisherigen Discursen mit Ihm, in Hofnung, daß Er diese Sachen wohl nimmermehr zu sehen kriegen würde, ganze Passagen aus denselben hatte mit einfließen lassen. Es war also mein Glück, daß ich mit einem geistlichen Schläfer zu thun hatte, dem zur selben Zeit nichts gefiel, als was Ihm aus den Träumen anderer, in veränderter Gestalt wider träumte, und welches alle Annehmlichkeit vor Ihm hatte, wenn Er es nicht verstehen kunte.

Ich bat ihn, mir diese neuen Sachen mit nach Hause zu geben, und er fragte mich, was ich mit dem Zeuge machen wolte? Ich erwiderte, man müße nichts ungeprüfet verwerfen, und begab mich, vor Freuden, mit meiner Geburth nach Hause, mich nicht genug über die geistliche Taubsucht meines Freundes verwundern könnend, und zugleich sehend, wie schlecht ich angekommen seyn würde, wenn ich Ihn, oder seines gleichen, bey diesem Handel hätte zu Rathe ziehen wollen. Ich werde in dem Verfolg meines Lebens noch etwas umständlicher von diesen geistlichen Schlaf-Mützen zu reden kriegen, Jezt will ich nur melden, was sich weiter, in der Hauptsache mit mir zugetragen.

§ 315. Das Lob, das ich meinen Schöpfer, wegen des glücklichen Fortgangs meiner angefangenen Bekenntniß der Wahrheit opferte, ist Ihm allein bekannt, und ich will alhier nur so viel sagen, daß ich, um meine bisherige Schläfrigkeit zu verbeßern, mich aufs neue verband, an dieser Arbeit, mich nunmehro nichts hindern zu laßen, wenn gleich alle Frommen in der Welt dazu scheel sehen solten, welches ich in der Folge derselben auch genug erfahren. Vor dißmal fertigte ich also das 5te Stück unverzüglich und hatte das Vergnügen es eher als die ersten viere gedruckt zu sehen.

Mittlerweile gerieth ich mit dem ehrlichen Hrn. Buchs, dessen ich oben, bey der ersten Unterredung mit dem Baron Vateville erwähnet, in nähere Bekanntschaft, und durch Ihn erhielt ich Dippels Schriften, die mir in dem Punct des Verdienstes Christi, und deßen unzulänglicher Zurechnung ein solches Licht gaben, daß ich mich über die muthwillige Blindheit der Orthodoxen nicht genug verwundern konte, und mich recht in der Seele freuete, wenn ich sahe und hörte, wie[162] spielend Er den streitbarsten Helden derselben, als Hrn. Wagnern, Peter Hansen etc. ihre Waffen abzunehmen und dem Spott der Kinder darzustellen gelernet hatte. Diese Dreustigkeit verdoppelte meinen Muth, und brachte alles was nur eine orthodoxe Mine machte, dergestalt in Verachtung bey mir, daß ich mich kaum enthalten kunte, mich selber anzuspeyen, wenn ich bedachte, daß ich mich von diesen und dergleichen Wahnsinnigen Leuten so lange hatte bey der Nase herum führen laßen.

§ 316. Herr Buchs merckte meinen Eyfer, und suchte ihn durch seine Lindigkeit zu mäßigen. Aber umsonst. Denn ich fand tausendmal mehr Vergnügen an einer einzigen lebhaften Redensart Dippelii als an allen unnatürlichen Dämpfungen des sogenannten Naturfeuers, wozu mich Hr. Buchs ermahnete, der von Natur doch auch keine Schlaf-Mütze war, nur daß Ihn sein Schicksal unter die Gichtelianer gerathen laßen, die, in Kraft des geistlichen Schlags, der sie gerühret, keine Gesellschaft lieber haben, als die eben so schlaff und kraftlos, als sie selber aussiehet. Das ehrliche Gemüth dieses werthen Freundes, und die unverdiente Neigung, die Er zu mir trug, samt den stillen und sittsamen Wesen, das in seinem ganzen Wandel herrschete, brachten mir nicht allein eine wahre Hochachtung gegen Ihm bey, sondern machten auch, wie ich sahe, daß die Gichtelianer eben so wenig mit der gemeinen Orthodoxie zufrieden waren, als ich, daß ich nach und nach den Hauptsatz Gichtels, von Vermeidung des Ehestandes und der Unempfindlichkeit gegen das Weibliche Geschlecht, in reifere Ueberlegung nahm, und mir denselbigen, wider das Gefühl meiner Natur, schmackhaft zu machen suchte.

Diß war nun ein Weg, der demjenigen, auf welchem der herrnhutische Heyland die seinigen zum Himmel zu führen suchte, gerad entgegen stund, und ich glaube, wenn mir die Gichtelianer, eben so, wie jener, versprochen hätten, mir meinen zeitlichen Unterhalt unter ihnen zu verschaffen, ich würde mir, einen Engels-Bruder zu agiren, nicht haben mißfallen laßen. Denn der sittsame und stille Wandel dieser Leute hatte mich eingenommen, ob mir schon ihr verstecktes und hinterhaltendes Wesen nicht allerdings anstund. Weil ich aber dem Grafen, nachdem Er mir, um meinen ehrlichen Unterhalt zu besorgen, versprochen hatte, daß ich in Herrnhut, bey dem D. Grotthaus Medicinam studiren solte, auch zugesaget hatte, daß ich zu Ihm kommen wolte, so blieb ich auch bei diesem Entschluß, ohne die heimliche Hochachtung, die ich gegen die Gichtelianer trug, deswegen bey Seite zu setzen.

§ 317 Ungefehr um diese Zeit, und eben, da ich im Begriff stund, meinen Abschied bey meiner Herrschaft zu fordern, begab sichs,[163] daß mein Bruder in Chemnitz, seiner Ehrlichkeit wegen, weil Er als Amtsverweser, die unverantwortlichen Bauer-Plackereyen des dasigen Amtspachters, bey der Königl. Cammer entdeckt hatte, in allen Gnaden seine Demission bekam, und mit Weib und Kind, ohne Brod, der göttlichen Vorsehung überlassen wurde. In dieser dringenden Noth wandte sich der arme Mann zu mir, und bat mich vor Gott und nach Gott, daß ich Ihm doch 150 rthlr. verschaffen möchte, damit Er in Licentiatum promoviren könnte, und nicht mit Weib und Kind an den Bettelstab geriethe. Denn unter seinen Seelsorgern, war kein einziger, der sich die Sorge vor seinen armen Leib, durch ein so geringes Darlehn, von ihrem Ueberflusse hätte unterziehen wollen.

Mir hätte bey diesen betrübten Umständen das Herz im Leibe der Jammer brechen mögen. Denn ich hatte selber kaum noch einige Thaler, die ich zu meiner bevorstehenden Reise nach Herrnhut von nöthen hatte, und wo solte ich einen Menschen finden, der mir pur auf mein ehrliches Gesicht 150 rthlr. vorstreckte? In diesen höchst bekümmerten Gedancken fiel mir der neue Heyland ein, von dem ich glaubte, daß es Ihm ein geringes seyn würde, mir auf die Art eine Probe seiner reellen Hülfen sehen zu laßen: Allein ich betrog mich. Denn der Heyland hatte noch keine förmliche Casse angelegt, aus welcher er mit den Geldern seiner Blindgläubigen Wunder thun konnte, und also wurde mir dieses blendende Geschäfte allein überlaßen.

§ 318. Ich probirte meine Kräfte, so weit sie reichen wolten, und that in der That ein Wunder, das dem Heylande, und allen seinen Aposteln, zu thun unmöglich war. Ich machte mich an meinen redlichen Buchs, stellte demselben die Noth meines armen Bruders vor, und bat Ihn, daß Er mich zum Bürgen vor Ihm annehmen, und mir die verlangten 150 rthlr. vorstrecken möchte. Ich erhielt sie, ohne Weitläufigkeit, mit der größten Leutseligkeit, sonder Intereße und mit der großmüthigen Versicherung, daß, wenn ich auch gleich nimmermehr in den Stand kommen solte, Ihm solche wider zu bezalen, Er mich doch deswegen im geringsten nicht mahnen würde. Ein so edelmüthiges, uneigennütziges und Menschenliebendes Betragen konnte nun nicht anders, als mich auf das allerzärtlichste und innigste rühren, und die Liebe gegen ein so liebreiches Herz vollends aufs Höchste treiben, zumal da nach der Hand darzu kam, daß Er, als ich Ihm, bey meinem vorhabenden Abzuge nach Herrnhut, alle meine Bücher, Kleider, Wäsche und andere Sachen, zum Pfande anbot, solches nicht allein großmüthig ausschlug, sondern mich, auf eine recht einnehmende Art fragte: Vor was ich Ihn denn hielte? Ob ich glaubte, daß Er mein Freund, oder mein Räuber sey?[164]

Diese, in meinem Leben, noch nie erlebte Stellung, hätte in der That verdienet, daß ich mich eher einem so hülfreichen Bruder, als einem ohnmächtigen Heylande hätte zum Knechte untergeben sollen. Allein ich hatte mich mit dem Letzteren schon zu weit eingelaßen, und, wo ich mich recht besinne, auch meinen Abschied schon von meiner Herrschaft gefordert, daß ich, ohne erhebliche Ursachen nicht wieder zurück konnte. Mein redlicher Buchs wolte zwar seine Beistimmung zu diesem meinem Abzuge gar nicht geben, sondern bat mich sehr inständig, die Sache wohl zu überlegen, und mich nicht zu übereilen, und in der That brachte mich die treu gemeinte Vorstellung dieses liebenswürdigen Mannes zu einigen Nachdenken. Ich sahe, daß Er die Herrnhuter, als Menschen liebte, und wo Er kunte, Ihnen Dienste that: Aber mit dem Grafen und seinem Gewürcke, wolte Er nichts zu schaffen haben.

§ 319. Ich hätte den Grund dieser Mißhelligkeit leicht einsehen können, wenn ich betrachtet hätte, daß Er, als ein Gichtelianer, unmöglich an den geistlichen Stutereyen der Herrnhuter ein Belieben tragen können: Allein diese Art das Reich des Heylandes zu vermehren, war mir zur selben Zeit noch gänzlich unbewust, und man hatte sie, bey meiner Anwesenheit in Herrnhut sorgfältig vor mir verborgen gehalten, ob schon Spangenberg nicht unterlaßen können, mir weiß zu machen, daß sie durch ihre fleischliche Geburth, auch die Wiedergeburth zu wege bringen könnten, welcher unerwartete Vortrag, mich eben zuerst, gegen diese arme Sünder stutzig machte: Wie ich aber vollends etwas von ihren vermaladeyten Verkuppelungen durchs loß erfuhr, und ich in diesen Puncte weit delicater war, als die Bullen des Heylandes, denen eine jede gerecht seyn muste, so war das eben eine Hauptursache, weswegen aus meinem Abzuge nach Herrnhut nichts wurde.

Inzwischen war ich doch, ehe ich dieses erfuhr, fertig und bereit darzu, und Spangenberg ermunterte mich darzu noch mehr, als Er, in Qualität eines, nach America bestimmten Apostels zu mir nach Dreßden kam und mich versicherte, daß ich ihn, nach drey Jahren ablösen solte. Ich war damals noch in meinen Diensten, und eben in Begriff, meinen jungen Herrn auf das Schloß in die Opera zu begleiten. Wie ich aber diesen heiligen Beruf erhielt, dachte ich, ich würde meinem Apostel-Amte einen häßlichen Schandfleck anhängen, wenn ich mit in die Opera hätte fahren sollen. Ich stuzte aber nicht wenig, wie ich Spangenberg sagen hörte, daß die Weltleute beßer thäten, wenn sie auf die Redoute, oder in die Opera giengen und spieleten, als wenn sie beteten. In der That hatte Er recht. Ich[165] kunte aber seine Rede damals nicht reimen, und dachte Wunder, was vor ein Verdienst mir zuwachsen müste, wenn ich mich des Vergnügens beraubete, ein unschuldiges Schauspiel mit anzusehen.

§ 320. O! Ihr heiligen Thoren, was seyd Ihr vor Narren, daß Ihr, in Hofnung euch zu Zuschauern einer himmlischen Opera würdig zu machen, euch ein Gewißen machet, eine irdische mit anzusehen. Wahr ist, es wird euch in demselben keine Hochzeit eines Lammes vorgestellt, es wird euch auch keine Tafel gedeckt, an welcher ihr mit Abraham, Isaac und Jacob zu Tische sitzen könnet, ihr sehet auch keine kreißende Weiber alda, noch Seelen, die unter dem Altar, um Rache wider ihre Mörder schreyen, ihr höret auch keine Engel posaunen, oder Donner reden, und der leidige Teufel hat in diesen Lustspielen gar nichts zu thun; Aber ist euch dann an diesen, mit Vernunft nie zu hoffenden Ebentheuern, mehr gelegen, als an einem gegenwärtigen euch nichts kostenden, und doch unfehlbar, auf eine oder die andere Art ergötzenden Vergnügen?

Doch was will ich mich viel über Andere moquiren, der ich selbst eine lange Zeit in diesem Narren-Hospital kranck gelegen, und schwerlich würde curiret worden seyn, wenn mir Gott nicht, zur besonderen Gnade gezeiget hätte, das alle die Menschen, die ich damals vor besondere Heiligen hielt, entweder dumme Grützköpfe, oder erst noch suchende rechtschaffene, oder Spitzbuben waren; die letzteren haben mir zur Erkenntniß der Wahrheit die meisten Dienste gethan, und ich lernete nach vielen und oft wiederholten Streichen, die sie mir spielten, und wodurch ich allemal treflich geprellet wurde, nach und nach ein wenig vorsichtiger werden.

§ 321. Die erste Probe machte ich an dem Heylande zu Herrnhut, von dem mir verschiedene Dinge zu Ohren kamen, die mich vors erste zum wenigsten etwas Halte machen hießen; ehe ich mir, wie ein Ochse, das Seil über die Hörner werfen ließ. Denn so viel ist gewiß, daß, wenn Er mich einmal in seiner Gewalt gehabt hätte, ich mehr als doppelte Kräfte würde von nöthen gehabt haben, mich wieder loß zu reißen, und wer wüste, ob ich alsdann starck genug gewesen seyn würde, alle Fall-Stricke, in die ich einmal über das andere gerathen seyn würde, zu zerreißen. Die Vorsicht spielete bey diesem Handel recht wunderbar mit mir. Denn sie ließ mich wider die Neigung meiner Natur, auf eine Zeitlang, einen Geschmack an den Gichtelischen Lehrsätzen finden, um mir einen Abscheu vor denen unnatürlichen Verkuppelungen des Hochgräflichen Heylandes zu machen, deren ich mich nicht würde haben erwehren können, wenn ich einmal unter seine fruchtbare Heerde gerathen wäre.[166]

Wie ich aber, nach den übertriebenen Phantasien der Gichtelianer, die ich alle, weit gesezter und redlicher fand, als die fladderhaften Zinzendorfer, alle fleischliche Vermischung vor einen Greuel und Fluch halten muste, um meine Sele, als eine reine Braut einem verstorbenen Menschen zuzuführen, den ich damals noch mit unter die Götter rechnete, so muste der zusammenfügende Heyland mit seinen Anstalten das Nachsehen haben. In der That wären dieselben der menschlichen Natur ungleich gemäßer gewesen, als die unnatürlichen und fast Gotteslästerlichen Gedanken der armen verblendeten Gichtelianer, wenn sie nur der Natur keinen Zwang angethan hätten mit ihren verdammten Loosen. Denn mir durch das Loß eine Frau anhängen laßen, zu der ich keine Neigung tragen können, fand ich viel abscheulicher als ich es ausdrücken konnte, ja ich sahe einen solchen Ehestand für eine wahre Hölle an, und habe es lediglich der göttlichen Vorsicht zu dancken, daß sie mich durch die damaligen Engels-Brüder daraus errettet.

§ 322. Man siehet daraus, daß alles zu seiner Zeit seinen Nutzen hat, und denen nichts schadet, die redlich vor Gott gesinnet sind. Mit mir sahe es nun, da ich keinen Appetit mehr nach Herrnhut hatte, in Ansehung meiner äußerlichen Umstände, recht verzweifelt verworren, und so wunderlich aus, als es in meinem Leben wohl nicht gesehen hatte. Meinen Abschied hatte ich, in der Absicht nach Herrnhut zu gehen, bereits gefordert, nun konte und wolte ich nicht einmal mehr daran gedencken; eine neue Condition anzunehmen hatte ich mir den Weg verschlossen, indem ich meine Gräfin, beym Abschiede als ein ehrlicher Mann versichert, daß ich, nach Verlassung der ihrigen, keine wider annehmen würde, welches ich auch gehalten. Inzwischen wuste ich nicht, was ich anfangen solte, und auf was Weise ich in Dreßden, als einem theuren Orte, meinen ehrlichen Unterhalt würde finden können; die Arbeit der Unschuld. Wahrh. Lag mir auf dem Halse, und ich muste zu Fortsezung derselben einen sollen Ort haben, und ohne Aufmercker seyn; die Zeit meines würcklichen Abschieds kam heran, und wenn die Wundervolle Vorsehung zwischen derselben nicht ein Mittel zu meinem Verborgenen bleiben und Unterhalt in Dreßden versehen hätte, so hätte ich in der That weder aus noch ein gewust.

Aber, was geschahe? Der Königl. Medailleur, Herr Grosskurth hatte in den bisherigen Auctionen wahr genommen, daß ich Ihm, die sogenannten Ketzer- und verbotenen Bücher, die Er auch gern gehabt hätte, allemal vor der Nase weggekauft. Diß war Er an den Dreßdner Candidatis Theologiae nicht gewohnt, und urtheilte[167] daher, ich müste mich mit was mehrern, als mit bloßen Postillen-Lesen beschäftigen. Er war also curios, mich näher kennen zu lernen, und invitirte mich zu sich auf einen Caffee. Ich weiß nicht, was ihm an nur gefallen haben mochte, genug er bekam eine Neigung mich im Hause bei sich zu haben, und meiner Gesellschaft zu genießen. Ich wuste von diesen allen nichts denn Er ließ sich gegen mich nichts mercken, und es vergangen wohl drey Wochen, daß wir einander nicht wider sahen. Während dieser Zeit machte ich erschröckliche Calender, was ich anfangen wolte, wenn ich nun meine Condition würcklich würde quittiren müßen, und mir stunden die Haare zu berge, wenn ich alles vor und hinter mir, um und neben mir, so finster erblickte, und nirgend einen Ausweg sahe.

§ 323. Ich weiß nicht, durch was vor einen Canal der ehrliche Grosskurth erfahren haben mochte, daß ich meine Condition quittiren und nach Herrnhut gehen wolte. Denn ich hatte mich, nach der ersten Visite, weiter nicht an ihn gekehret, weil ich damals genug mit mir selber zu thun hatte, und nur darauf bedacht war, wo ich eine kleine Retirade haben möchte, wenn ich von meiner Herrschaft (:die fest glaubte, daß ich nach Herrnhut gienge:) meinen Abzug nehmen würde. Ich hätte nur meinem redlichen Buchs alle meine Umstände offenherzig entdecken dürfen, so würde Er mich, weil ihm meine Gesellschaft anstund, mit allen Freuden aufgenommen, und mir auch meinen Unterhalt willigst gereichet haben: Allein diß war theils meinem Naturell zuwider, daß ich einem Mann, dem ich so schon mehr schuldig war, als ich bezalen kunte, noch mehr hätte incommodiren sollen; theils würde ich bey Ihm die Unschuld. Wahrh. unmöglich, ohne seine Beobachtung, haben fortsetzen können und da wüste ich schon, seinem doucen Naturell nach, daß Er zu dieser Arbeit nimmermehr seine Einwilligung gegeben haben würde.

Es hatte mir also die Vorsicht ein ander Winkelchen darzu ausersehen, und das muste Hr. Großkurth hergeben. Denn an einem Nachmittage, da ich eben mit Einpackungs-Gedancken schwanger gieng, und willens war, wenn ich vollends von meiner Herrschaft Abschied nehmen würde, mich vor das Willsdruffer-Thor, zu einen Freund, Namens Fleißner zu retiriren, den ich auch bei meinen Pfarrer hatte kennen lernen, schickte Herr Großkurth seine Frau zu mir, und ließ mir melden, daß Er vernommen hätte, daß ich meine Condition aufgeben wolte. Wenn ich Ihm nun, da Er sonst keine Gesellschaft hätte, die Liebe thun, und ihm Gesellschaft leisten, und in seinem Hause, mit dem, was Ihm Gott verliehen, vorlieb nehmen wolte, so solte ich Ihm sehr willkommen seyn, und er bäte sich auf den[168] Abend die Ehre meines Besuches aus, um weiter von der Sache mit mir zu sprechen.

§ 324. Wer jemals in Umständen gewesen, wo er sich selber weder zu rathen, noch zu helfen gewust, der wird wißen, wie einem bekümmerten Gemüthe zu Muthe sey, wenn es so augenscheinliche Proben der Aufmerksamkeit seines Schöpfers vor sein Bißchen Staub, in seinem Leben gewahr wird. Ich hatte den ehrlichen Großkurth, in meiner Verwirrung gänzlich aus der Acht gelaßen, und mir eher des Himmels Einfall versehen, als daß ich mir im mindesten hätte denken sollen, daß ich noch bey Ihm einen ansehnlichen Theil meiner Arbeit würde zu Ende bringen müßen, und also ist leicht zu erachten, daß mich dieser, so gar unvermuthete Antrag, ganz ungemein erfreuet, und zu meiner unter Händen habenden Arbeit, aufs neue kräftigst ermuntert haben müße: Hätte ich aber gewust, was vor eine Distel sein Weib war, so würden mich auch 100 Pferde nicht zu ihm gezogen haben.

Inzwischen gieng ich des Abends zu Ihm, und wurde sowohl von Ihm als ihr, mit der grösten Freundlichkeit empfangen. Er wohnte im 5ten Stockwerck, und sie zeigten mir, mein künftiges Stübchen, in welchen noch ein verschloßenes Cabinetchen war, das zu meinem Apartement dienen solte. Darinnen stund ein wohlgemachtes Bett, ein Repositorium, oder Bücher-Bret, ein sauberer Tisch, Stuhl und Leuchter, so daß sich der Prophet Elisa selber, der nach 2 Buch der Kön. 4, 10. nicht beßer gewohnet, nicht hätte schämen dürfen, dieses stille und von allem Geräusche entfernte Eckchen zu beziehen. Mit einem Worte, es schien vor meine Umstände recht gemacht zu seyn. Ueberdem war oben auf dem Hause, nach Dreßdnischer Bau-Art noch ein ander kleines Haus, welches das angenehmste Sommer-Stübchen von der Welt in sich faßte, indem es an allen 4 Ecken, mit lauter Fenstern versehen war, und auf dreyen Seiten die Aussicht über die ganze Stadt, auf der vierdten aber, die über den Wall am Pirnischen Thore gieng, nach dem großen Königl. Garten, und biß nach der Festung Königstein verstattete.

§ 325. Auf diese Sommer-Eremitage freuete ich mich besonders, und es ist wahrscheinlich, daß ich mich, in diesem reitzenden Gefängniße begraben haben würde, wenn der ehrliche Großkurth kein Weib gehabt hätte. Denn Er war der ehrlichste Mann von der Welt: Aber nicht vermögend der schmeichelnden Bosheit seiner Frauen zu widerstehen, welches mir aufs neue einen starcken Abscheu, vor einem so unerträglichen Joche machte. Ein kleines Glück vor mich war es, daß ich diese Herrschaft der Frauen, über den Mann, nicht gleich anfangs wahr[169] nahm; denn Er würde mich sonst mit allen seinen Höflichkeiten und recht freundschaftlichen Erbieten, nimmermehr in sein Haus gebracht haben.

Ich nahm sie aber an, weil sie im Anfange beiderseits eine recht vertrauliche Zuneigung zu mir blicken ließen, die auch Bestand gehabt haben würde, wenn die Frau die Einsicht in Religions-Sachen gehabt hätte, die der Mann hatte. Da sie aber eine Stock-Lutherische Christin war, und mich, meiner Eingezogenheit und stillen Wesens halber, vor einen Pietisten und Verführer ihres Mannes hielt, so kriegte ich nicht allein vor mich, mein Fegefeuer an ihr, sondern es muste es auch ihr Mann erfahren, wie wir bald mit mehrern hören werden.

§ 326. Die Abrede wurde inzwischen genommen, daß ich, sobald ich meine Condition völlig quittiret haben würde, meiner Vorschrift nach, dergestalt bey Ihm einziehen, und im Verborgenen allda leben solte, daß auch meine besten Freunde nicht wißen solten, daß ich noch in Dresden wäre, und ich hatte ein viel zu starckes vertrauen auf die Verschwiegenheit dieses Hauses und der Kinder und Domestiken, als daß ich hätte dencken sollen, daß sie mich verrathen würden. Ich muste aber bald, jedoch nicht mit meinem Schaden erfahren, daß ich mich betrogen hatte, und daraus erkennen lernen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müßen.

Am schwersten gieng mir ein, daß ich meinen redlichen Buchs mit Lügen berichten, und Ihm, bey meinem Abschied-Nehmen weiß machen muste, daß ich noch würcklich nach Herrnhut gehen würde: Allein da meine Absicht war, im Verborgenen zu leben, und alle meine übrigen Freunde, auch nicht anders wißen musten, als daß ich nun nicht mehr in Dreßden sey, so wuste ich mir, wenn ich nicht gar ohne Abschied von ihnen gehen wolte (:welches mir unmöglich war:) nicht anders zu helfen. Er nahm aufs zärtlichste von mir Abschied, und ob Er schon nichts sagte, was mich an meinem Vorhaben hätte verhindern können, so merckte ich doch wohl, daß es Ihm innigst nahe gieng, daß Er mich auf solche Abwege solte gerathen sehen. Er überließ mich also Gott, ohne die geringste Erinnerung, wegen der, ihm schuldigen 150 rthlr. zu thun, von denen Er, wenn ich ein Apostel worden wäre, doch nicht das geringste würde wider bekommen haben.

§ 327. Ich bezog also meine Einsamkeit, bey Herr Großkurthen, mit Vergnügen, und brachte die ersten vierzehntage auch in seiner Gesellschaft recht erwünscht zu. Er blieb gemeiniglich bis Mitternacht auf meiner Stube, hinderte mich aber an meiner Arbeit im geringsten[170] nicht, sondern laß vor sich in der Stille, allerhand Ketzer-Bücher, absonderlich Dippelii Schriften, über welche wir uns hernach mit einander besprachen. Der Mann war also recht sehr mit meiner Gesellschaft zufrieden, und ich hatte auch nicht im geringsten über Ihn zu klagen. Aber das böse Weib konnte unsre Einigkeit nicht leiden, sondern wandte alle Kräfte an, unsre Freundschaft zu trennen, die außer dieser Xantippe wohl ewig würde gedauret haben.

Ich war Ihr in meinem Thun und Wesen nicht frech genug, und sie hätte wohl lieber gesehen, daß ich mit ihr, der Tochter und andern dahin kommenden Mädchens wacker geschäckert hätte, als daß ich oben bey ihrem Mann geseßen und die Betrügereyen der Pfaffen mit entdecken helfen. Wir kehrten uns aber an nichts, sondern ließen das junge Volck, unter uns, machen was sie wolten, und lebten in unserm Ober-Parlamente, wie ein paar Mönche, zu denen kein Mensch kommen kunte, den sie nicht vor sich laßen wolten.

§ 328. Eine solche Einsamkeit war nun recht nach meinem Wunsche, und ich gieng keinen Abend zu Bette, da ich Gott nicht innigst vor diese gnädige Führung solte gedanckt haben. Es war, als wenn ich im Himmel wäre. Denn ich durfte nicht allein vor nichts sorgen, wovor andere Leute sorgen müßen, sondern ich kunte auch meine Arbeit, die damals mein einziges Vergnügen war, ununterbrochen abwarten, und durfte mich von keinen hochgräflichen Sause-Winden in derselben stöhren laßen. Mit einem Worte, das abgeschüttelte Informations-Joch, die Entfernung von dem Geräusche des Hoflebens, der, auf ewig von mir verbannet zu seyn scheinende Natur-Zwang des eitelen Ceremoniels und sogenannten Wohlstandes, die Vertauschung meiner prächtigen Sklaverey, mit einer natürlichen Freyheit, der Genuß einer ungestörten Stille, und Einsamkeit, die Abnahme aller Nahrungs-Sorgen, der Besitz eines redlichen und zuverläßigen Freundes, ein gutes Gewißen und gesunder Leib, waren lauter solche Sachen, die mein Gemüth nicht anders, als in höchste Zufriedenheit setzen kunten, wenn man mich der Beständigkeit des Genußes aller dieser unschätzbaren Güter hätte versichern können.

Da dieses nicht seyn konnte, bediente ich mich doch derselben, so lange ich sie genoß, nach Möglichkeit, zu meiner Hauptabsicht, und verfertigte in den 4 Wochen, die ich bey Hrn. Großkurthen zubrachte, das 9te und 10te Stück der Unsch. Wahrh. Weil der gute Mann täglich vertrauter mit mir wurde, so kunte ich Ihm, da Er mich beständig schreiben sahe, ohne Ihn gegen mich mißtrauisch zu machen, nicht wohl verbergen, daß ich der Verfaßer dieser Arbeit sey, und er freuete sich darüber recht herzlich, insonderheit daß Er sich, als ein[171] Werkzeug mit betrachten kunte, durch deßen Beyhülfe eine so nüzliche Arbeit kunte fortgesetzet werden. Allein die Freude währte nicht lange, wie wir gleich hören werden.

§ 329. Seine Frau, die einmal nicht leyden konnte, daß Er seine übrige Zeit mit mir zubrachte, that alles mögliche, Ihn von meinem Umgange abzuziehen, und ich muß ihr nachsagen, daß sie es am rechten Orte angriff. Sie merckte, daß mir nichts kostbarer, als meine Zeit war, und daraus schloß sie, daß, wenn sie mir diese, so viel möglich verderben helfen würde, ich schon von selbst weichen würde. Sie paßte also die Zeit ab, wenn ihr Mann bei mir auf der Stube war, und sich mit Lesen zu erquicken suchte, derweile, daß ich in meinem Cabinetchen stack, und an meinen Sachen arbeitete. Da kam sie, unter dem Vorwande, uns die lange Weile mit vertreiben zu helfen, und schwäzte uns die Ohren mit so vielen nichtsnuzigen Fratzen voll, daß ihr Mann weder etwas lesen, noch ich schreiben konnte.

Wie mir in meinem Winckelchen (:das außer dieser Schlange ein Paradieß vor mich war:) bey den boßhaften Absichten dieses Weibes, zu Muthe gewesen seyn müße, da ich offenbarlich sahe, daß alles, was sie that, lediglich, darauf abgezielet war, daß sie mich, aus dem Hause haben wolte, indem ich sie immer von Ehe-Teufeln schwatzen hörte, die das gute Vernehmen zwischen Eheleuten, durch ihre Scheinheiligkeit zu stöhren suchten; kann sich wohl Keiner vorstellen, der sich nicht in meinen Umständen befunden, und versucht wie es thue, sich wider die bittersten Stichelreden, die man vor seinen Ohren, mit der grösten Frechheit, ausstoßen hören muß, aus liebe zu einen Freund, dem man Obligation schuldig, und dessen Hausfrieden man nicht gerne stöhren möchte, nicht einmal mit einem Worte verantworten zu dürfen, sondern alles, als ungehöret vorbeystreichen zu laßen.

§ 330. Hier erforderte aber die Klugheit, einen Stoicum zu agiren, und mich gegen alle Unfälle dieses Satans unempfindlich zu stellen. Denn wenn ich mich demselben nur im geringsten widersetzet hätte, so wäre Er capable gewesen, mich nicht nur bey dem Gott der dasigen Lutheraner, dem Superintendenten Löscher, als einen Verächter der Kirchen, und Verführer ihres Mannes zu verklagen; sondern auch, zufälliger Weise, mich, als den Verfaßer der Unschuld. Wahrh. zu verrathen. Denn ob sie schon durch mich, nicht das geringste von diesem Geheimniße wuste; so war ich doch, nachdem ich die Schwäche des Mannes gegen sie erblicket, nicht mehr sicher, daß sie Ihm, durch ihre Schmeicheleyen, solches nicht solte abgelocket[172] haben: Denn er war auf keine Weise im Stande, sich diese Stöhrerin seines Vergnügens vom Halse zu schaffen, ob Er sie schon oft, wann sie nicht mehr plaudern kunte, sondern sich vor Müdigkeit, mit dem Kopf, neben Ihm, auf den Tisch legte, mit der grösten Höflichkeit und Zärtlichkeit zu Bette gehen hieß. Denn sie gab allemal zur Antwort: Wenn mein Engel mitgehet, dann werde ich auch gehen, das währte so lange, biß der arme Mann um nur mir ein wenig Ruhe zu gönnen, sich bequemen muste, dieser Syrene zu folgen.

War mir das Joch des Ehestandes, durch die Gichtelischen Grund-Sätze schon verhaßt worden, so wurde mir es durch die leichtfertige Aufführung dieser Frauen, noch mehr. Denn ich sahe, daß der Mann, in allen, nach der Pfeife der Frauen tanzen muste, wenn er sie in keine Furie verwandeln, und Gelegenheit zu den grösten Zänckereyen und Weitläufigkeiten geben wollte. Inzwischen war mir bey dem allen sehr übel geflucht. Denn ich wuste nicht allein, aufs neue nicht, wo aus noch ein, wenn ich diese meine, bey dem ersten Eingange, so erwünscht scheinende Retirade, wider verlaßen wolte: sondern ich muste auch besorgen, daß mein Großkurth, wenn ich nicht in guten vernehmen von Ihm wegzöge, mein Verräther werden, und bekannt machen würde, daß ich der Verfaßer der Unsch. Wahrh. sey, die schon bis zu dem siebenden Stück in Dreßden bekannt waren, und mir leicht sehen ließen, was vor ein Trinckgeld ich würde bekommen haben, wenn man mich entdecket hätte.

§ 331. Mein gröster Trost, bey alle diesen, nie vermutheten Stürmen, war noch der, daß ich glaubte, in Dreßden so verborgen zu seyn, daß auch meine besten Freunde nichts von mir wißen würden; Allein ehe ich michs versahe, muste ich erfahren, daß ich schon dergestalt entdecket war, daß ich auch von Leuten, die ich mein Tage nicht gesehen, wider zu Hofmeister-Bedienungen aufgesuchet wurde. Es ist nicht zu beschreiben, wie mich dieses erschröckte, und ich kunte diese Entdeckung niemand anders als meinem Hausteufel zuschreiben, sahe aber aus der Folge, daß das Weibliche Geschlecht, auch wider seinen Willen, unser Glück befördern muß und deßwegen trage ich auch vor dasselbige, es mag sich gut oder Böse gegen mich anstellen, noch alle Hochachtung. Wäre die Fr. Großkurthinn eine holdseelige Abigail, oder eine gefällige Bathseba gewesen, so würde ich dem ehrlichen Hrn. Großkurth eben nicht haben gut davor seyn können, daß ich nicht einen Mann nach dem Herzen Gottes würde agiret haben, wenn ich Ihm gleich nichts an seinem Leben geschadet haben würde. Und in diesem Fall würde ich nicht allein in seinem Hause, allen Willen gehabt haben, sondern man würde auch gegenwärtig[173] schwerlich etwas mehr, als einige Buß-Psalmen von mir zu sehen bekommen haben, und da bin ich gewiß, daß man mich eher unter die Heiligen, als unter die Ketzer und Ungläubigen gerechnet haben würde. Es war aber im Rathe der Götter etwas anders beschlossen, und deswegen muste mich ein Weib, das mich, wenn sie artig gewesen wäre, leicht auf ewig, vor der Welt hätte unsichtbar machen können, aus meiner Verborgenheit wider aufstöbern, und auf einen Schauplaz stellen, auf den ich hernach manchen Heiligen zum Schröcken werden müssen.

§ 332. Ich kann sie, in gewisser Maaße, vor die Stifterin meines nachfolgenden Glücks ansehen. Denn nimmermehr würde ich einen Schritt aus Dreßden gethan haben, wenn sie mich nicht bey sich ausgebißen, und mir dadurch Gelegenheit gegeben hätte, mich der Welt wider öffentlich zu zeigen, und diejenigen Freunde kennen zu lernen, die mir nach der Hand, so kräftig, in meinem Vorhaben beystehen müßen. Ob sie dadurch der christlichen Kirche denjenigen Dienst gethan, den sie ihr zu thun willens gewesen, werden die am besten wißen, die bisher gewünschet, daß man mich im ersten Bade hätte ersticken mögen. Ich kan keinen andern Grund zu diesem christlichen Verlangen finden, als weil die Heiligen, die sich dessen geäußert, nicht gerne gesehen, daß das Bad ihrer Widergeburth so schlechte Wirkung bey mir gethan. Wer schämt sich nicht wenn er als ein Betrüger ertappt wird?25

Ich war eben in Ausarbeitung dieser Materien begriffen, und hatte des Tags über ziemlich vor meinem Hausübel Friede, und war, unter dem Entschluße, diese widerwärtige Creatur mit Gedult zu ermüden, resolviret, alles zu leyden, wenn ich nur, wie bisher, verborgen seyn könnte: Allein diese Gedancken verschwanden plötzlich, als an einen Morgen, der Herr Land-Cammerrath von Börnewitz, zu mir schickte, und mich bitten ließ, auf ein Paar Worte zu ihm zu kommen. Es ist leicht zu gedencken wie ich bey diesem Complimente gestutzet haben müße, da ich glaubte verborgen zu seyn. Wie ich aber alle dergleichen unvermutete Begebenheiten, als Merckmale einer göttlichen neuen Fügung anzusehen pflegte, so gieng ich zu Ihm, um zu vernehmen, was Er mir zu sagen hätte.

§ 333. Ich hatte von diesem Herrn, mein Tage noch nichts, Er[174] aber wohl von mir gehöret, und wie ich zu Ihm kam, so bat Er mich höflichst, es nicht übel zu nehmen, daß Er mich hätte rufen laßen, vielleicht könnte Er mir worinnen dienen. Ich danckte geziemend vor die unverdiente Neigung, und äußerte meine Verwunderung, über einen so unvermutheten Antrag, indem ich gar nicht sehen könnte, wodurch ich mir das Glück seiner Gunst hätte erwerben können, da ich heute das erstemal die Ehre hätte, Ihn zu sehen. Ich müste aber im Voraus sagen, daß, wann die Gefälligkeit, die Er mir zu erzeigen gedächte, etwa darinnen bestehen solte, mich wider mit einer neuen Condition zu versehen, ich mich nicht im Stande fände, etwas dergleichen anzunehmen.

Es kann seyn, daß sich meine Leser, in Betracht meiner bisherigen Fatalitäten mit der Fr. Großkurthinn, noch mehr über diese abschlägige Antwort verwundern werden, als der Herr von Börnewitz. Denn eine Erlösung aus einem solchen Fege-Feuer zu finden, wie ich bisher hatte ausstehen müßen, hätte man ja wohl alles ergreifen sollen, was nur einigermaßen einen Weg dazu gezeigt: Allein es war einmal fest bey mir beschloßen, mich nicht wieder in Dienste einzulaßen, es koste auch was es wolle. Und ungeacht ich mich in der Welt, lediglich auf nichts zu verlaßen hatte, auch nicht im geringsten sehen konnte wo ich mich würde hinwenden sollen, wenn ich meine bisherige Retirade würde verlaßen müßen, welche Veränderung ich schon klar voraus sahe; so herrschte doch eine gewiße Freudigkeit in meinem Gemüthe, die mir nicht undeutlich zu verstehen gab, daß mich Gott, auch ohne gewiße Dienste würde zu versorgen wißen. Denn der Trieb, meine angefangene Arbeit zu vollenden, wurde bey mir immer stärcker, und die Hofnung, daß mich Gott nicht umsonst arbeiten laßen würde, alle Tage gewißer.

§ 334. Der Hr. von Börnewitz stuzte gewaltig, wie Er hörte, daß ich Ihm seine gute Absicht mit mir, vor der Faust zu Waßer zu machen schien, und vielleicht war ich der einzige damals in Dreßden, den Er auf eine so ungewöhnliche Art gestellet fand. Aber eben diese seine Stellung zog seine Aufmerksamkeit noch mehr auf mich, und Er sagte mir, daß Er mich vor ungefehr anderthalb Jahren, aus einem Billet hätte kennen lernen, und daß Er davor hielt, daß ein Mensch schuldig sey, seinem Nächsten mit der Gabe zu dienen, die Er von Gott empfangen hätte. Diese Erinnerung war mir gar nicht entgegen, vielmehr nahm ich sie vor ein neues Oracul an, durch welches mich Gott ermuntern wolte, die Gabe, die Er mir zu Ausbreitung der Wahrheit verliehen, meinen, nach selbiger begierigen Nebenmenschen nicht vorzuenthalten. Deßwegen erwiderte ich, daß[175] Er nicht von mir glauben solte, daß ich meine Tage in Müßig gange zuzubringen gedächte, es gäbe 1000 Gelegenheiten, wodurch man seinen Nächsten, mit seinen Gaben dienen könnte, wenn man gleich keinen Hofmeister agirete, und vielleicht sey ich zu den ersteren geschickter, als zu dem letztern. Zudem wäre ja in Dreßden gar kein Mangel an geschickten Leuten, die eine solche Stelle eben so gut, und beßer als ich bekleiden könnten.

Diese Antwort sezte Ihn in einen kleinen Unwillen, daß Er heraus fuhr, und sagte: Ja, alle diese Leute haben viel vornen und wenig hinten. Da ich also höre, daß Sie gar nicht gesonnen sind, sich förmlich wider zu engagiren, wäre es denn nicht möglich, daß sie einer Herrschaft, die gegenwärtig, wegen der Kranckheit ihres Hofmeisters en paine ist, nur ad interim, täglich etliche Stunden schencken könnten, damit dero junge Herrschaft nur nicht in Ausschweifungen gerathe? Dieses inständige Anhalten brachte mich zu einigen Nachsinnen, und ich erwiderte, daß ich ihm hierauf morgen, unfehlbar eine entscheidende Antwort bringen würde, wenn Er mir die Herrschaft nennen würde, der ich diesen Liebes-Dienst erzeigen solte; und siehe! Es war der Herr Land-Cammerrath von Ponickau, der mich schon gern in seinen Diensten gehabt hätte, als ich noch beym Grafen von Calenberg stund.

§ 335. Mein Haus-Gemurre, wie sie hörte, was passiret war, fieng an, ein wenig mehr Consideration für mich zu bezeigen, als sie bisher gethan hatte, und gratulirte mir ganz freundlich zu der angebothenen Ehren-Stelle: Ich merckte aber gleich, daß es in keiner andern Absicht geschähe, als weil sie sich heimlich freuete, mich auf die Art, mit guter Manier loß zu werden. Wie sie sich aber dißfals betrogen sahe, da hatte ich den Plage-Teufel gedoppelt auf dem Halse, und ihr unschuldiger Mann muste es mit entgelten. Denn des andern Tages gieng ich, nach reiflicher Ueberlegung meiner Umstände, genommener Abrede nach zum Hrn. von Börnewitz, und eröfnete Ihm, daß ich, in Betracht der Verlegenheit, in welcher sich der Herr von Ponickau dermalen wegen eines Hofmeisters befände, und in Ansehung des Vertrauens, daß diese liebe Herrschaft auf meine Wenigkeit gesetzet hätte, erböthig wäre, dero junge Herrschaft, so lange, biß ihr Hofmeister wider gesund seyn würde, täglich 2 Stunden vor Mittag, und 2 Stunden nach Mittag, umsonst zu informiren, um Ihnen die Erkenntlichkeit, die ich gegen das Vertrauen hegete, so sie zu mir trügen, einigermaßen zu erkennen zu geben, doch wolte ich mir die Tafel bey Ihnen ausgebeten haben, welches ich darum that, damit ich meinem Syrachs-Weibe über Tische nicht im[176] Wege seyn möchte, denn wenn sie zornig wurde, welches gemeiniglich über Tische geschahe, so verstellete sie ihre Geberde, und wurde so scheußlich wie ein Sack.

Der Herr von Börnewitz war über meinen Entschluß recht gerührt, versicherte mich aber zugleich, daß der Herr von Ponickau, ob ich schon nichts fordern wolte, dennoch meine Dienste raisonnable erkennen würde. Ich trat sie also, mit großer Zufriedenheit meiner neuen Herrschaft an, und konnte gar bald mercken, daß ich Ihr nicht gleichgültig war, und daß, wenn ich nur gewolt hätte, ich alle Augenblick zu derselbigen hätte ins Haus ziehen, und meinem Hausteufel die Feigen zeigen können. Allein meine Arbeit, die ich, dem Teufel zu Troz, doch noch mit mehrerer Stille, bey Hrn. Großkurthen verrichten konnte, als wenn ich den ganzen Tag 2 muntere Junckers hätte auf dem Halse haben müßen, lag mir gar zu sehr an, und ich wehrete mich, was ich konnte, mich nicht wider in andere Geschäfte einzuflechten.

§ 336. Meine Junckers, die mehr Hofmeister über ihren Hofmeister gewesen seyn mochten, als Er über sie, goß ich gleich in den ersten 8 Tagen, in eine ganz andere Form, und zeigte ihnen, wer ich dermalen sey, und was sie für Personen vorstellen müsten, wenn wir gute Freunde bleiben wolten, und dieses gefiel meiner Herrschaft so wohl, daß sie ihre Zufriedenheit gegen mich nicht genug an den Tag legen kunten: hatte ich aber, außerhalb meiner Wohnung Ehre und Vergnügen, so fand ich gewiß, wenn ich wider nach Hause kam, so viel Verachtung und Mißvergnügen, daß ich mich endlich genöthiget sahe, auf eine Veränderung zu dencken.

Aber wohin, mit leerer Hand, und ohne mich bey meiner Herrschaft bloß zu geben, daß ich ihrer Hülfe nicht entbehren könnte? Das Böse Weib hatte ihren Mann, wenn ich nicht zu Hause war, dergestalt wider mich eingenommen, daß ich, je länger, je greiflicher mercken kunte, daß sein Angesicht gegen mich, nicht war, wie gestern und ehegestern. Ohne nun dißfals um die Ursache dieser Veränderung zu fragen, die ein Buch seyn muste, welches ich dem Hrn. Großkurth, aus einer Auction heimlich solte haben aufkaufen laßen, um solches vor mich zu behalten, woran aber kein wahres Wort war, sagte ich Ihm mit meiner gewöhnlichen Freymüthigkeit, daß ich wohl sähe, daß ihm meine Gesellschaft nicht mehr anstünde; ich würde also, um Ihn nicht beschwerlich zu fallen, meine Wohnung verändern, und mir ausbitten, mir meine Rechnung zu machen, von allen, was ich bißher bey Ihm verzehret hätte.

§ 337. Ich merckte, daß Ihm dieser Vortrag nahe gieng: Allein[177] er war nicht im Stande, seiner natürlichen guten Neigung zu folgen, doch kunte Er sie auch nicht gänzlich unterdrücken, sondern sagte zu meiner grösten Consolation, daß ich Ihm nichts schuldig wäre. Denn ich würde in der That, nicht gewust haben, womit ich ihn hätte befriedigen sollen. Hiermit sahe ich mich also genöthiget, meinen Stab weiter zu setzen, und da kunte ich in ganz Dreßden kein Pläzchen finden, wo ich nur meinen Coffre, biß zu Miethung eines ordentlichen Quartiers, hätte hinsetzen können. Selbst Hr. Hase, einer meiner zuversichtlichsten Freunde, versagte mir diese Gefälligkeit, und Herr Buchsen konnte und wolte ich nicht damit beschwehren. Weil ich theils voraussehen kunte, daß ich meine Arbeit nicht ohne seine Aufmercksamkeit würde haben verrichten können, theils weil mir der Weg, von der Neustadt, wo Er wohnete, biß nach Dreßden zum Hrn. von Ponickau, täglich 2 mal hin und wider zu gehen, im Winter ein wenig zu beschwerlich war, wiewohl ich endlich doch in diesen sauren Apfel beißen muste.

Ich war also, wegen eine mir bequemen Quartieres recht sehr verlegen, und wuste gar nicht, wohin ich mich wenden solte, sondern gieng, wie ein verschüchtert Rehe, etliche Tage hin und wider, nicht ohne Bekümmerniß, wo ich doch endlich meinen Fuß wider würde ruhen laßen können. Endlich fiel mir ein, daß ich vor diesen beym Kunst-Töpfer Dober, der damals auch einer von den frommen Separatisten war, und zugleich neben Hrn. Buchsen wohnte, ein Stübchen gesehen hatte, das sich vor meine Umstände schickte. Ich gieng also auf Gerathe wohl zu Ihm, und fragte Ihn, ob dieses Stübchen nicht zu vermiethen stünde, indem mich ein guter Freund, der gegenwärtig um ein Quartier verlegen wäre, gebeten hätte, ihm eins zu verschaffen.

§ 338. Er empfing mich besonders freundlich, und schätzte sich, wie Er sagte, glücklich, daß ich Ihm auch einmal hätte besuchen wollen, sagte aber, daß das verlangte Stübchen schon wider vermiethet wäre. Hierdurch wurde ich in etwas betroffen, indem ich nun vollends gar nichts mehr zu erdencken wuste, wohin ich mich wenden solte. Ich brach also, unter dem Vorwande, meinem Freunde ein ander Quartier auszusuchen, meine Visite (die Er gerne länger gewünschet hätte) kurz ab, und war eben im Begriff, wegzugehen, als Er mich fragte, ob Er nicht wißen dürfte, wer der gute Freund wäre, der ein Stübchen suchte? Ich war Anfangs nicht Willens seine Curiosite zu vergnügen, indem ich Ihn, die Wahrheit zu bekennen, ganz verächtlich hielt, und Ihn meines Zuspruchs kaum würdig achtete: Wie Er aber anhielt den Freund zu wißen, und[178] darzusezte, daß sich vielleicht ein ander Stübchen in seinem Hause finden möchte, das sich vor Ihm schickte, so sagte ich Ihm, daß ich dieser gute Freund selber wäre.

Ich konnte es Ihm an seiner ganzen Stellung ansehen, daß Ihm diese Antwort über die Maaßen erfreulich war, denn Er erwiderte sogleich: Sie sollen ein Stübchen haben. Ich habe mir längst die Ehre Ihrer Bekanntschaft gewünscht, indem ich gerne in der Lateinischen und Französischen Sprache noch etwas (von) Ihnen profitiren möchte. Wenn es Ihnen also gefällig ist, mir täglich ein Paar Stunden, wenn ich von meiner Arbeit abkommen kann, Lection zu geben, so will ich Ihnen nicht nur freye Stube, Tisch, Bette, Licht und Holz, sondern auch monatlich 4 rthl. zu ihrer Discretion geben, und sie können einziehen, wann sie wollen.

§ 339. O! wie sehr wurde ich gebeugt, wie ich diesen unvermutheten Antrag, von einem jungen Menschen hörete, den ich in meinem geistlichen Stolz kaum über die Achsel angesehen? Ich wuste in der That nicht, ob ich seine Reden vor Ernst, oder vor Scherz annehmen solte, und kunte gar nicht reimen, was ein Töpfer mit der Lateinischen Sprache machen wolte. Wie ich aber seinen Ernst sahe, und seine Jugend betrachtete (:indem Er damals nur 22 Jahr alt war:) so kunte ich Ihm die Curiosite noch etwas zu lernen, nicht allein nicht vor übel halten, sondern ich muste auch die wunderbare Vorsehung meines Schöpfers, bey meinen höchst verworrenen und trübseeligen Umständen, aufs neue mit tiefster Verehrung erkennen. Denn ich sahe mich durch die, ganz unverdiente Neigung, die dieser Mensch, der mich kaum ein Paar Mahl bey Hrn. Buchsen gesehen, auf mich geworfen hatte, nicht nur aus dem Fegefeuer errettet, das ich bisher im Großkurthischen Hause hatte aushalten müßen, sondern es war auch dadurch vor meinen künftigen Unterhalt gesorgt, wenn meine Interims-Information, beym Hrn. von Ponickau zu Ende gehen würde.

So betrübt ich also zu diesen, meinen neuen Wohlthäter hinausgegangen war, indem ich, auf den Fall, daß das verlangte Stübchen nicht mehr ledig seyn solte, gar nicht wuste, was ich weiter anfangen solte, wenn ich nicht zum Hrn. von Ponickau ziehen wolte; so fröhlich und getrost, kam ich wider von Ihm zurück, und machte nun alle Anstalten, meine neue Retirade mit völliger Zufriedenheit meines Gemüths, zu beziehen, unwißend daß auch diese nur eine kurze Zeit dauern würde.

§ 340. Ehe mir der boshafte Sinn meiner Hausfrau völlig bekannt wurde, und da ich noch völlige Hoffnung hatte, bey dem Hrn.[179] Großkurth meine Tage in der Stille und Verborgenheit bey meiner Arbeit zuzubringen, ich auch bey dem Herrn von Ponickau noch nicht eingetreten war, that der Heyland in Herrnhut noch einen Versuch an mich, ob Er mich nicht noch bereden möchte, mich mit zu seiner Heerde zu bringen. Er sandte 2 Apostel an mich, die vernehmen solten, ob ich noch zu ihnen kommen wolte, oder nicht. Wären die guten Leute nur eine Woche später gekommen, so weiß ich nicht, ob mich nicht der Verdruß und meine weit aussehenden Hausumstände, genöthiget haben würden, mich dem Herrnhutischen Heylande aufs neue zu ergeben, und vielleicht würde ich die Widerwärtigkeiten, die mir außer dieser Gemeinschaft begegneten, vor eine gerechte Züchtigung des Himmels, wegen meines Wanckelmuths angesehen haben.

Wie aber alles, dem Ansehen nach, noch wohl um mich stund, und ich die stärckste Hofnung hatte, daß ich, in meiner Verborgenheit, zum wenigsten so lange, als Hr. Großkurth lebte, würde bleiben, und meine Arbeit, ungestöhret abwarten können, so musten die Apostel des Heylandes mit einer langen Nase abziehen. Denn ich sagte Ihnen, daß es meine Umstände nun nicht mehr litten, Herrnhut zu betreten. Sobald war dieser Entschluß nicht von ihnen vernommen, als diese heiligen Leute aufstunden, mir den Rücken kehrten, und wenn es die Jahreszeit erlaubt hätte, so glaube ich, sie würden den Staub, der sich an ihre Füße gehangen in meine Stube abgeschüttelt haben.

§ 341. Ich war aber froh, daß ich diese Sectirer loß wurde, und sahe aus ihrer Aufführung ganz deutlich, daß sie keinen Menschen liebeten, der sich nicht zu ihrer Secte bekennen wolte, welches mir, der ich schon ein klein wenig weiter sahe, noch einen größeren Abscheu vor Ihnen machte, als ich bereits hatte. Inzwischen passirten die Comödien mit meinem Haus-Teufel, dem Hrn. von Ponickau und Hrn. Dobern, zu welchen ich, nach freundlich genommenen Abschied von Hrn. Großkurthen und seiner Xantippe, würcklich zog, und sehr wohl und freundlich von Ihm aufgenommen wurde.

Er räumte mir sein eigen, an dem Garten gelegenes Stübchen ein, in welchen eine seine Bibliothec von auserlesenen Ketzer-Büchern stund, die alle zu meinem Gebrauche waren, wenn Er mir nur denselben, auf eine freye und ungestöhrte Art hätte vergönnen wollen: So aber ließ Ihm seine angebohrne Curiosité nicht zu, mich mit denselben, nach meiner Absicht bekannt zu machen. Denn Er lag mir fast beständig auf dem Halse, um zu sehen, was ich machte. Wie ich nun nicht Willens war, Ihm mercken zu laßen, daß ich etwas zum Drucke fertigte, so sahe ich mich aufs neue, in meiner[180] Arbeit, recht sehr gehindert. Denn es war Ihm recht peinlich, wenn Er mich, außer den wenigen Stunden, die ich mit Ihm zu thun hatte, immer schreiben sahe, und wolte durchaus wißen, was ich dann schriebe, welches Er aber nicht erfuhr.

§ 342. Sonst hatte ich recht gute Sache bey diesem jungen Heiligen, denn Er war generös, und machte sich ein Plaisir, wenn Er einen obligiren konnte, wie Er mir dann kurz nach meinem Einzuge, ein ganz Stück der feinesten Laußnitzer Leinewand zu Oberhemden schenckte, und ungeacht Er manchmal kaum 4 Stunden des Monaths Lection bey mir nahm, mir dennoch nicht das geringste an dem, was Er mir versprochen hatte, abzog; mit einem Worte, ich hätte über nichts zu klagen gehabt, wenn ich nur ein eigen Stübchen gehabt hätte, wo ich ohne Ausmercken hätte schreiben können. Endlich verschafte die gütige Vorsicht auch dieses. Denn Hr. Dober, der selber gerne bisweilen auch alleine gewesen wäre, wieß mir, da ichs am wenigsten dachte, ein sehr bequemes Quartierchen in seinem Hause an, so aus einem verschloßenen Flurchen, einer kleinen Küche und Holz-Stälchen und einem feinen Stübchen bestund. Da nun war ich völlig alleine, speißte mit Hrn. Dobern, der mir redlich hielt, was Er versprochen hatte, und durfte lediglich vor nichts, als meine Arbeit sorgen, die ich dann auch, nach aller Treue abwartete, und in meinem Herzen dachte, mein Lebelang in dieser erwünschten Situation zu bleiben, wenn Hr. Dober seinen Sinn nicht ändern würde.

§ 343. Nach Verfließung eines Monaths, von dem Dato an zu rechnen, da ich bey Hrn. Großkurthen die Interims-Information beym Hrn. von Ponickau angetreten hatte, wurde dessen Hofmeister so weit wider hergestellt, daß Er sich zu informiren getrauete. Deswegen that man mir solches mit aller Höflichkeit kund; bedanckte sich vor meine bisherige Mühe, und frug zugleich, was man mir schuldig wäre. Ich blieb bey meinem Anfangs gethanen Versprechen, daß ich dißmal nicht um Lohn, sondern aus Liebe zur gnädigen Herrschaft informiret hätte, und mich recompensiret genug schäzete, wenn sie mit meinen wenigen Diensten zufrieden wäre: Es half aber da weder complimentiren, noch protestiren, sondern der Herr von Ponickau nöthigte mich mit einer Art, der ich, ohne unhöflich zu werden, nicht widerstreben kunte, 10 Thaler von ihm anzunehmen, und mir zu seinem Andencken ein brauchbar Buch davor zu kaufen.

Nunmehro dachte ich vor alle Ansprüche zu weiteren Herrschaftsdiensten auf ewig gesichert zu seyn, ich verkroch mich in meine Clausen, und war recht in mir selbst vergnügt, wenn ich in derselben die Wahrheit, die ich suchte, immer heller erblicken konnte. Es verstrichen[181] aber kaum 14 Tage, so schickte der Herr von Ponickau wider zu mir, und ließ mich inständig ersuchen, zu Ihm zu kommen. Wie ich kam, eröfnete Er mir, daß sein Hofmeister wider schlimmer, und zu ferneren Diensten untauglich worden wäre: Weil Er nun sein Vertrauen auf mich gesetzet hätte, so bäte Er mich, das ich doch seine jungen Herrn in meine Aufsicht nehmen, und versichert seyn möchte, daß Er solches raisonable erkennen würde.

Auf diesen unvermutheten Antrag wuste ich kaum mit Höflichkeit etwas zu antworten. Denn ich hatte an dieser lieben Herrschaft nicht allein im geringsten nichts auszusetzen, sondern war auch versichert, daß ich, nebst meinen völligen freyen Gehalt, 100 Thaler Besoldung würde bekommen haben, wenn ich mich nur hätte engagiren wollen. Aber die Ausführung meiner Arbeit, bey welcher mir Gott täglich mehr Licht schenckte, und die ich, bey neuen Amtsgeschäften, entweder nur obenhin hätte abwarten, oder gar liegen laßen müßen, lag mir gar zu sehr am Herzen, ungeachtet ich von alle meiner bisherigen Mühe, nicht nur noch keinen Pfenning Genuß gehabt, sondern auch auf keine Weise sehen kunte, wer mir inskünftige etwas davor geben würde. Ich arbeitete aus ganz uninteressirten Absichten, bloß, weil ichs vor meine Schuldigkeit hielt, meinem Nächsten mit der Gabe zu dienen, die mir Gott verliehen hatte, und zu welcher ich mich geschickter fand, als zu einer Hofmeister-Stelle.

§ 344. Um also, ein vor allemal, vor eine Bedienung einen Riegel zu schieben, nach welcher 1000 andere, mit beyden Händen gegriffen haben würden, wenn sie ihnen wäre angeboten worden, so muste ich dem Herrn von Ponickau nur klaren Wein einschencken, und Ihm sagen, warum ich seine Condition nicht annehmen könnte. Ich versicherte Ihn also, mit geziemender Ehrerbietung, daß wenn ich je noch gesonnen wäre, mich weiter in herrschaftliche Dienste einzulaßen, ich gewiß die seinigen wegen des Vertrauens, so Er zu mir trüge, allen andern vorziehen würde. Ich müste aber offenherzig bekennen, daß ich mich nicht mehr im Stande befände, in der Theologie nach dem gemeinen Schlendrian zu informiren, indem mich Gott bey der gewöhnlichen Orthodoxie verschiedenes hätte einsehen laßen, worzu mein Gemüth nicht ja sagen könnte.

Auf diese Antwort stuzte der gute Herr nicht wenig, und möchte wohl gerne gewust haben, was das vor Puncte wären, die ich nicht mehr vor wahr halten können, wenn Er getrauet hätte, daß ich Ihm gradezu beichten würde. Um aber in meinen Discurs einigermaßen einzuschlagen, so sagte Er: Es wäre freylich nicht zu läugnen, daß an der gemeinen Orthodoxie, gar vieles zu verbeßern wäre: Aber[182] es war eine epinöse Sache, wer sich daran wagen wolte? Ich versezte, das würde wohl nichts zu bedeuten haben, indem Gott da schon Werkzeuge finden würde, die sich an diese kitzliche Sache würden wagen müßen. Er sagte, Ja, das glaube Er wohl: Ehe aber diß geschähe, müste man die Sachen doch noch bey dem alten laßen. Ich erwiderte: Wohl! aber eben deswegen werden auch Ihro Excellenz wohl thun, wenn sie sich nach einem Hofmeister umsehen, der an diesen Dingen nicht zweifelt.

§ 345. Meine Fermete frappirte Ihn, und wie Er sahe, daß auf diese Weise nichts von mir zu erhalten war, so demittirte Er mich mit aller Höflichkeit. Wie ich weg war, dachte ich erst nach, daß ich mich gegen einen gut Lutherischen Herrn zu weit bloß gegeben, und daß ich, wenn Er meine Discurse weiter sagen würde, leicht unter die Inquisitores haereticae pravitatis gerathen, und mit einem unangenehmen Consilio abeundi versehen werden könnte. Es würde auch endlich gewiß darzu gekommen seyn, wenn mir Gott nicht einen rühmlichern und angenehmeren Weg gezeiget hätte, ohne dem geringsten Rumor von Dreßden wegzukommen. Denn

Die Fr. Schwiegermutter des Hrn. von Ponickau, die Fr. Geheim-Räthin von Zehmen, welcher der Hr. von Ponickau, sonder Zweifel die Ursachen eröfnet, warum ich die Hofmeister-Stelle bey Ihm nicht angenommen, und die eine sehr eifrige Lutheranerin war, unterließ nicht, mich meiner Ketzereien wegen, beym Oberhofprediger Marperger zu verklagen, und Ihn zu vermögen mir zuzureden, und auf beßere Gedancken zu bringen. Allein dieser moderate Theologus, den die ächten Lutheraner mit dem plumpen Namen eines Heuchlers zu beschmizen pflegten, ließ mich nicht einmal vor sich fordern. Hingegen der Lutherische Renomist und Verfechter D. Valent. Ernst Löscher, den die Spötter seines heiligen Eifers wegen, durch Mißbrauchung der Anfangsbuchstaben seines Namens, nur den Duellanten zu nennen pflegten, kriegte mich in die Kluppe.

§ 346. Ich weiß nicht, durch was vor einen Canal Er etwas von mir gehöret haben mochte. Genug es war Ihm hinterbracht worden, daß Hr. Dober seit geraumer Zeit, nicht zur Kirche und Abendmal gegangen war, und daß ich vielleicht, weil ich bey Ihm wohnete, und man auch seit ungefehr anderthalb Jahren, keinen Tribut, vor die Vergebung der Sünden von mir erhalten hatte, sein Verführer seyn möchte. Er ließ mich also zu sich kommen und stellte mir, unter kläglichen Seufzen und Hände-Ringen vor, wie Er mit Betrübniß hätte vernehmen müßen, daß sich Hr. Dober von der allein selig machenden Lehre zu trennen suchte. Er wolte also, da ich bey[183] ihm wohnete, nicht hoffen, daß ich auch auf diesen verkehrten Wegen gehen würde, sonst Er sich, in Kraft seines Amtes genöthiget sehen würde, solches beym Ober-Consistorio anzubringen.

Ich hätte des armen blinden Mannes lieber gelacht, wenn ich sonst nichts, als seine geistlichen Grimaçen und kalten Seufzer hätte zu befürchten gehabt. Denn diese heiligen Ungeberden können einem, dem Gott nur ein wenig Licht verliehen, nicht anders, als höchst lächerlich vorkommen. Weil Er mir aber mit dem geistlichen Halsgerichte drohete, von welchen ich schon wuste, daß ich eben so wenig Recht vor demselbigen behalten würde, als ein Jude vor der Spanischen Inquisition; so fand ich nöthig, an mich zu halten, und sagte ihm, daß, was Hrn. Dobern beträfe, ich mich um denselbigen nicht zu bekümmern hätte; Was aber mich angienge, so sey ich knapp 4 Wochen bey Ihm, und es sey bekannt, daß ich, als Hofmeister vom Grafen von Calenberg sowohl zur Kirchen, als zum Abendmale gegangen wäre, wornach sich der Hr. Superintendens nur erkundigen könte.

§ 347. Hiermit ließ sich der gute Mann abweisen, und ich sagte die Wahrheit, obschon nicht ganz, weil ich nicht darum gefragt wurde: Hätte Er aber absolut wißen wollen, wie lange ich nicht sacramentiret hätte, so würde ich Ihm nichts verhalten haben, wenn ich gleich gesehen hätte, daß ich der geistlichen Inquisition nicht würde haben entgehen können. Es solte aber noch nicht seyn. Denn ich hatte noch nicht Licht genug, und muste noch durch viele und sehr rauhe Wege passiren, ehe ich darzu kommen konnte, und würde einen harten Stand bekommen haben, wenn der ehrliche Mann hätte wißen sollen, daß ich Verfaßer von den Unschuld. Wahrh. sey, von denen bereits das siebende Stück in Dreßden bekannt war.

Herr Dober freuete sich, daß ich mich sowohl verantwortet hatte: Ehe Er sichs aber versahe, so kam die Reihe auch an Ihn. An einem Sonntage, da ich, und einige andere seiner Hausgenoßen, bey Ihm auf der Stube waren, und von ganz indifferenten Dingen discurirten, wurde uns verkündiget, der Hr. M. Zahn käme, den Hrn. Dober zu besuchen. Dieser Mann hieß Pastor in der Neustadt bey Dreßden, wo Hr. Dober wohnte. So bald wir den Schwarz-Rock kommen sahen, so stoben wir auseinander, wie die Schaafe, wenn der Wolf unter sie geräth. Er rief uns zu, wir solten beysammen bleiben, wenn wir was gutes vor hätten. Er wolte auch dabey seyn: Aber wir kannten seine Stimme nicht, und ein jeder verlief sich in das seine: Hr. Dober aber muste aushalten.

§ 348. Er verschlang ihn zwar nicht: Aber er muste Angst[184] genug unter seinen Klauen ausstehen, und hatte von Glück zu sagen, daß Er noch so ungerupft davon kam. Es blieb dermalen nur bey bloßen Drohungen: Aber davon starb Hr. Dober nicht, und wir andern hatten das Vergnügen, Ihm zu gratuliren, daß Er noch mit ganzer Haut davon kommen war. Er warf uns zwar vor, daß wir schlecht bey Ihm ausgehalten hätten: Wir sagten Ihm aber, daß Schaafe gegen Wölfe, mit keinen Waffen versehen wären, und daß wir denselben doch allemal würden das Waßer getrübet haben müßen, wenn wir gleich noch so unschuldig gewesen wären.

Nach diesen Comödien lebten wir eine Zeitlang recht vergnügt, und ich hätte nun fast darauf schwören sollen, daß mich, nach der Erklärung, die ich dem Herrn von Ponickau gethan, kein Mensch mehr zu einen Aufseher über seine Kinder würde haben verlangen können. Allein eben diese Erklärung hatte den Bruder des Herrnhutischen Heylandes aufmerksam gemacht, und er hatte sich sowohl bey der Gräfin von Calenberg, seiner Schwägerin (allwo Er mich hatte kennen lernen) als dem Hrn. von Ponickau, und dem Appellations-Rath von Burgsdorff, alle Mühe gegeben, daß sie mich bereden möchten, die Hofmeister-Stelle bey Ihm anzunehmen.

§ 349. Erstere beyden hatten es Ihm rund abgeschlagen, und Ihm deutlich zu verstehen gegeben, daß Er sich diese Gedancken nur vergehen laßen möchte. Er meinte aber Er müste mich haben, und deswegen muste der Hr. von Burgsdorff sein Heil an mir versuchen, dem ich dann ebenfals kurzen Bescheid gab, und insonderheit die Motiven, weswegen ich des Hrn. Grafen von Zinzendorf Dienste nicht annehmen könnte, wenn ich gleich weiter zu hofmeistern gedächte, nach der Länge anführete. Solche waren z. Er. daß mir die Kinderzucht des Hrn. Grafen, von der ich vernommen hätte, daß Er die Kinder den ganzen Tag mit Lernen plackte, und hernach den jüngeren Herrn (der ein Esprit fort zu seyn schiene), wenn Er sein Pensum nicht gelernt hätte, auf den Esel reuten, am Pfahle stehen, auf Erbsen knien, und auf allerley andere Art martern ließe, ganz und gar nicht anstünde.

Wenn ich also Hofmeister da seyn solte, so müsten die jungen Herren, lediglich meiner Zucht überlaßen, und mir in derselbigen keine Queer-Sprünge gemacht werden, mit der Theologie müste ich gar nichts zu thun haben; das Reglement der Studien der jungen Herrn müste auf mich ankommen, und überdiß, dürfte man gar nicht dran gedencken, daß ich mich unter 100 Thaler, jemals wider engagiren würde.

§ 350. Hiermit hofte ich alles gesagt zu haben, was einen Commissarium hätte abschrecken können, in seiner Commission weiter ein[185] Wort zu verlieren: Allein der Hr. von Burgsdorf ließ sich nicht abschröcken, sondern sagte, was die 100 Thaler beträfe, so würden diese wohl die wenigste Hinderniße in der Sache machen, und wegen der übrigen Conditionen, so glaubte Er vor gewiß, daß sich der Hr. Graf nach meinen Sinn bequemen würde, wenn ich ihm nur versprechen wolte, daß ich seine Dienste annehmen wolte. Ich hätte mir eher was anders, als eine solche Antwort versehen, und sahe, ohne ein plumpes Nein, in der That nicht, wie ich mich mit Höflichkeit loswickeln solte. Ich muste Ihm erlauben, dem Hrn. Grafen von unserer Unterredung Bericht abzustatten, und versprechen, Ihm nicht entgegen zu seyn, wenn der Hr. Graf eine mündliche Unterredung verlangen würde.

Ich konnte das leicht thun, weil ich doch im Geiste schon voraussahe, daß aus dem ganzen Handel nichts werden würde. Denn es hatte sich vor einiger Zeit eine ganz andere Scene vor mich eröfnet, deren hellere Erleuchtung ich nur noch abwarten muste, ehe ich sie würcklich betreten konte. Hr. Walther aus Leipzig, bey dem ich mich, wie oben gemeldet, als Verfaßer der Unsch. Wahrh. bereits vor einen halben Jahre verrathen hatte, fieng unter der Hand an, nach mir zu fragen, und erkundigte sich besonders bey Hrn. Hasen nach meinen Umständen. Dieser konnte nicht errathen, warum Hr. Walther nach mir fragte, doch meldete Er Ihm, was Er von mir wuste.

§ 351. Nicht lange darnach erhielt ich von Hrn. Walthern selber Briefe, nebst der Anfrage, ob ich wohl Lust hätte, auf honorable Conditiones mich im Reiche zu engagiren? Das Herz im Leibe hüpfte mir vor Freuden bey dieser Anfrage. Denn ich sahe, daß meines Bleibens in Dreßden doch nicht lange seyn würde, wenn ich fortfahren solte, so zu schreiben, wie ich angefangen, und also wäre mir es freylich ein gefundener Handel gewesen, wenn ich mit guter Manier meine Umstände hätte verändern können. Weil ich aber nicht wuste, auf was vor Conditiones ich mich engagiren solte, und besorgte, es möchten wider neue Informations-Vorschläge seyn, so antwortete ich Hrn. Walthern, daß ich bereit wäre, auf alles was billig wäre, mich einzulaßen, nur in keine Informations-Geschäfte mehr.

Er schrieb mir hierauf mit nächster Post wider zurück, und communicirte mir 2 Briefe, der eine war von Hrn. Andreas Groß, aus Frankfurt am Mayn, an Hrn. Walthern, und der andere von Hrn. Joh. Friedrich Haug, dem damaligen Uebersetzer der Berlenburgischen Bibel, an Hrn. Großen geschrieben. Beyde ließen mir durch Hrn. Walthern ihren Gruß entbieten, bezeugten ihren Wohlgefallen über[186] meine Begierde, die Wahrheit mit ausbreiten zu helfen, und erkundigten sich, ob ich wohl Lust hätte, mit an der Uebersetzung des Neuen Testaments mit arbeiten zu helfen, und zu Hrn. Haugen nach Berlenburg zu ziehen? Sie könnten mir nichts gewißes versprechen, wenn ich es aber auf die göttliche Providenz mit Ihnen wagen, und mit Hrn. Haugen, in seinem Hause vorlieb nehmen wolte, so solte ich Ihnen, je eher je lieber willkommen seyn, und Hr. Walther solte mir die benöthigten Reisekosten vorschießen.

§ 352. Das war endlich ein Beruf, wie ich ihn wünschte, und ich kann die Freude die ich über diese unvermuthete neue Zeitung in meinem Gemüthe empfand, nicht genugsam ausdrücken. Nunmehro sahe ich, daß meine bisherige Arbeit, auch in Absicht auf mich, nicht vergebens gewesen war und warum ich alle, mir auf so mancherley Art angebothene Vortheile mit beständiger Zufriedenheit des Gemüths hatte ausschlagen müßen. Der allererste Befehl oder Ermahnung, oder Ermunterung oder Antrieb (wie mans nennen möchte) Unschuldige Wahrheiten zu schreiben, lag mir immer im Sinn, und schien mich auf die gegenwärtigen angenehmen Folgen, meiner damaligen Bereitwilligkeit zu weisen. Denn

Ich kunte ganz deutlich sehen, daß wenn ich die Gedancken daran, die mir damals, als eine zurufende Stimme vorkamen, als ungefehrig, oder nichts bedeutend hätte vorbey streichen laßen, ohne sie auf der Stelle zu befolgen, ich nicht allein nimmermehr in die Bekanntschaft dieser meiner neuen, und so vieler folgender Freunde würde gerathen seyn, sondern ich würde auch, da ich mich weder zum Pfarrer noch Schulmann mehr schickte, und keine Mittel hatte, mich auf andere Art aus dem Staube empor zu schwingen, ganz gewiß in der Dunkelheit der sogenannten Stillen im Lande, verfaulet seyn, und mein Leben unter 1000 kleinen Päbsten, und unendlichen Gewißens-Scrupeln, sine lux et sine crux kümmerlich haben endigen müßen: So aber hat mich die Bereitwilligkeit, dem damals in mir sprechenden Wesen, ohne vieles Einwenden zu gehorsamen, auf einen Plan gestellet, den ich nicht allein biß diese Stunde noch nicht übersehen kann; sondern sie hat mich auch aus dem Staube der Vergeßenheit erhoben, und tausend und hunderttausend Priester neben mir zu Grabe tragen laßen, derer man in Ewigkeit nicht wider gedencken wird, da man hingegen meiner Wenigkeit so lange noch ein Blat in der neueren Kirchen-Geschichte vorhanden, biß an das Ende derselben gedencken wird.

§ 353. Es liegt mir gar nichts dran, daß ich in diesen Blättern, unter der Person eines tollkühnen, rasenden, unwißenden, Gott und[187] Ehrvergeßenen Ketzers, Religions-Spötters und Atheisten vorgestellt werde. Denn wer die Sprache dieser heiligen Leute kennet, der weiß, daß das lauter Ehren-Titul vor mich sind, die die Augen aufmercksamer und Wahrheit liebender Gemüther ungleich mehr auf mich und meine Schriften ziehen, als wenn mich die guten Leute unter der lächerlichen Masque der Retter Zions, der Eyferer um das Haus des Herrn, der unüberwindlichen Streiter wider die Machten der Finsterniß, und anderer dergleichen geistlicher Don Quirotte hätten vorstellen, oder in der völligen Paulinischen Rüstung Ephes. 6, 13 sqq. auftreten laßen wollen.

Ich würde in dieser unbequemen Equipage eine eben so lächerliche Figur gemacht haben, als David in den Waffen Sauls, und doch keinen Philister einen Schröcken damit haben einjagen können: So aber, da ich als ein, Religions-Spötter, Atheist und Ignorant ausgepuzt bin, läuft alles zum Gewehr, was unter dem gelehrten Troß nur Beine hat, und sie können zur Ermunterung ihrer streitbaren Cameraden nicht lerm genug blasen, Blind-Schüße thun und Wachtfeuer anzünden, um sie aufzubringen, vor den Riß zu treten, der sich schon von langen Zeiten her, in ihrem geistlichen Zion gezeigt, nach Maßgebung der ungeschickten Arbeit, die sie zu Ergänzung desselben, mit dem Gemülbe ihrer Schulweißheit vornehmen, alle Tage größer wird. Würde ich so viel gelehrte und fleißige Leute wohl im mindesten haben in Bewegung bringen, und an die Widerausfüllung der Riße Zions nur denckend machen können, wenn ich, als ein rechtgläubiger Priester, unter der Rüstung Pauli erstickt wäre, und nie die Figur eines unwissenden Religions-Spötters angenommen hätte? Und würde mir diese Ehre wohl zu Theil worden seyn, wenn ich den Gedancken, Unschuldige Wahrheiten zu schreiben, kein Gehör gegeben hätte?

§ 354. Man mag diese Stelle in meiner Lebens-Beschreibung vor Enthusiasterey, vor Schwärmerey, oder vor was man sonst will, ansehen, so ist einmal gewiß, daß aus dem Befolg der Gedancken, die mich zum ersten Male zu verfertigung der Unsch. Wahrh. ermuntert, alle die glückseligen Folgen gefloßen, deren Wirklichkeit ich noch auf den heutigen Tag zu genießen. Und ob ich schon durch tausend rauhe, nicht selten, mit Lebensgefahr verknüpfte Wege durchgehen, und manche Proben dabey aushalten müßen, davon ein commoder Catechismus-Heiliger, hinter seinem Ofen, oder im seinem Bet-Stübchen, sein Tage nichts erfähret; so bin ich doch dadurch immer getroster, und zu weiterer Untersuchung der edlen Wahrheit immer muthiger geworden, und durch die Gnade Gottes ist mir es[188] endlich gelungen, den Satan, als den ächten Vater aller armer Sünder, um dessen Untertretung dieselben, auf eine fast unnatürliche Art, jährlich noch an ihren Bußtagen, in ihren Litaneyen bitten, als ein nichtiges Pfaffen-Gespenst, völlig unter meine Füße zu treten, und Gott, meinen Schöpfer, alles in allen in mir seyn zu laßen.

Eine so selige und höchst beruhigende Folge, einer Sache, die Anfangs nichts weniger, als etwas dergleichen gezeiget, und bey der mir so viel tausend Hinderniße, die manchmal unübersteiglich schienen, in den Weg geworfen wurden, mich auf eine oder die andere Weise, gänzlich davon abzuziehen, verdienet auch wohl, daß man auf den allerersten Ursprung derselben, ein aufmercksames Auge richte, und sehe, ob er, unsrer eingeschränckten Redensart nach, göttlich oder menschlich sey. Nach meiner gegenwärtigen Erkänntniß, weiß ich wohl, daß alle menschliche Handlungen, auch von Gott ihren Ursprung haben, und in dieser Absicht könnte ich die meinigen, auch ohne Bedencken göttlich nennen, wenn ich gleich meinen zeitlichen Untergang dadurch hätte befördern müßen, wie Christus und alle seine Heiligen.

Nachdem es aber der göttlichen Weißheit beliebet, eine ganz andere, und weit glückseligere Person durch mich vorzustellen, und ich zum Grunde dieser, meiner gegenwärtigen Glückseligkeit, die ich mit allen Schätzen der Welt nicht vertauschen wolte, keinen andern Ursprung weiß, als meinen Gehorsam, gegen das, auf eine so rührende Art in mir redende Wesen; so mag man davon urtheilen, was man will, es wird meiner Glückseligkeit nichts nehmen, und ich glaube nicht, daß ich zuviel thun werde, wenn ich mir einbilde, daß Gott diese Gedancken in mir gewürcket.

§ 355. Habe ich, auf das bloße sagen, ungewißer und vor mehr als 5000 Jahren verstorbener Menschen, lediglich auf die Versicherung anderer, um so viel jüngerer, die sie gar nicht gekannt, ehedem glauben müßen, daß Gott unmittelbar durch sie geredet, ungeachtet ihre eigenen, von ihnen selbst beschrieben seyn sollenden Geschichte, schon den Augen klärlich zeigen, daß sie theils vorsetzliche Betrüger, theils arme betrogene Phantasten gewesen, die grösten Theils ein schändliches und höchst unglückseliges Ende genommen: Warum soll ich meinem eigenen Gefühl, das sich auf eine ungleich glückseligere und beruhigendere Art, bey mir legitimiret, und allen heiligen und unheiligen armen Sündern, zu Troz, unter tausend Stürmen, immer mehr Zufriedenheit geschenckt, und täglich größere verspricht, nicht ungleich mehr trauen als allen, von Unwissenheit, Aberglauben und Betrug canonisirten Lügen.[189]

Ich kan freylich in dieser Sache keinen näheren Beweiß anführen, als mein eigenes Gefühl: Aber das ist mir, vor meine Person schon genug, und ich kann es mit einem ganz kalten Geblüte vertragen, wenn andere glauben und behaupten, daß ich nichts empfinde, und mich in der That betröge. Denn ich habe noch ein Paar Zeilen mehr Recht, das von ihnen zu dencken, als sie haben, das von mir zu thun, und ich kann es, ohne mich zu bewegen, geschehen laßen, daß sie mich, meiner, Gottlob, noch ungebrochenen Natur wegen, ihrem Teufel übergeben, und demselben, bey Verlust seines Dienstes, anbefehlen, mich in den tiefsten Abgrund zu versperren, wenn ich nur in dem Gefühl meiner Glückseligkeit ungestört bleibe.

§ 356. Ein Kind, das die Süßigkeit der Milch seiner Mutter, auf derselben Schooße würcklich genießet, fragt ja nichts darnach, wenn gleich die ganze Welt glauben wolte, daß es, aus Mangel des Beweises, Wermuth genöße. Wie solte dann ich, der ich mehr als zu fühlbar empfinde, daß mir Gott gnädig ist, mich an das eitle Geschwätz meiner widerwärtigen kehren, die mir die Würcklichkeit meiner Empfindung, bloß darum abzusprechen suchen, weil sie selber nichts davon empfinden? Macht euch, meine lieben, deswegen lustig, so viel, als euch beliebet, ihr werdet mir doch dadurch, nicht das mindeste von meiner Zufriedenheit nehmen, und das Herzeleyd vor euch, noch oben drauf haben, daß ihr euch von euren eigenen, selbst ausgeheckten Teufeln, denen allen ich die Feigen zeige, Troz alle eurer Erlösung, mehr müßet plagen laßen, als mich gegenwärtig die Mücken und Wantzen plagen.

Damals zwar war ich zwischen Gott und dem Teufel, noch eben so ein Fange-Ball, als ihr, bald hatte mich der eine, bald der andere, und keiner von beiden war mir doch damals weiter bekannt, als so weit ich durch meine Brüder, die sie eben so wenig kannten, etwas von ihnen gehöret hatte. Weil mir nun, aller fürchterlichen Vorstellungen, die man mir von Gott machte, ungeacht, mein Gefühl ganz etwas anders von Ihm sagte, so war die Freude, die ich durch den Beruf erhielt, deßen vermeintes Wort, auf eine freyere, als Pfarrmäßige Art zu erklären, unaussprechlich.

§ 357. Ich fieng unter der Hand an, zu meinem Abzuge einige Vorbereitungen zu machen, und es war in der That hohe Zeit, denselben zu beschleunigen, weil mir einige meiner Freunde schon ins Gesicht zu sagen begunten, daß niemand anders, als ich der Verfaßer der Unsch. Wahrh. sey. Ich ließ das zwar auf keine Weise an mich kommen, sondern lehnete dergleichen Zumuthungen allemal mit einer verdrüßlichen Mine und der Frage ab, daß ich wüste, was[190] sie mir damit sagen wolten: Allein ich mochte meine Verstellung so hoch treiben, als ich wolte, so konnte ich meinen Freunden ihren Verdacht doch nicht ausreden.

Inzwischen muste keiner unter Ihnen das geringste von meiner vorhabenden Abreise, eher wißen, als biß ich alle meine Sachen in Ordnung gebracht und den Tag derselben würcklich bestimmt hatte. Alles schien dieses Vorhaben zu begünstigen. Denn ich erhielt nicht nur vor eine gute Quantität meiner Bücher, die ich ehedem in den Auctionen erstanden hatte, wie ich sie wider in dieselben gab, mehr als zweymal so viel, als ich davor gegeben hatte, sondern es sandte mir auch Hr. Walther aus Leipzig 10 Thaler, und beschied mich nach Naumburg in die Peter Paul-Meße, alwo Er mir mehr zu zahlen versprach, und endlich ließ sich auch Hr. Dober ganz willig finden, mir noch 10 Thaler vorzuschießen, wie ich Ihm meldete, daß ich eine notwendige Reise zu meinem Bruder, nach Chemnitz zu thun hätte.

§ 358. In der That nahm ich meine Tour über diesen Ort, um von meinen Bruder, den ich in diesem Leben das lezte Mal zu sehen vermuthete, Abschied zu nehmen, und keine Seele in Dreßden wuste, daß meine Reise weiter gieng. An Hrn. Walthern waren indessen frische Briefe von Hrn. Großen und von Hrn. Haugen eingelaufen, die das Vergnügen dieser Freunde zu erkennen gaben, welches sie über meinen Entschluß zu Ihnen zu kommen, geschöpfet hatten, und Hr. Walther wurde beordert, meine Reise möglichst beschleunigen zu helfen, welches aber nicht nöthig war, indem ich Trieb genug in mir selber empfand.

Herrn Dober hinterließ ich vor seine 10 Thaler, wohl vor 50 Thaler Bücher, und verschiedene andere Sachen, von denen ich mein Tage nichts wider gesehen, hierauf fieng ich endlich an, von meinen Freunden nach einander Abschied zu nehmen, und sparete meinen lieben Buchs, biß auf die lezte. Er empfing mich als von meiner Reise schon Nachricht habend, mit thränenden Augen, und mir war selbst das Herz sehr beklemmet, und schien mir, mitten unter der Freude, die ich über meinen Beruf, an sich, hatte, einen Vorschmack von der Betrübniß zu geben, die ich in kurzen wider zu gewarten haben würde. Hier war aber keine Zeit mehr, mich über dergleichen Betrachtungen aufzuhalten, sondern ich muste unter der Begleitung eines guten Gewißens, meinen Schicksal nunmehro getrost entgegen gehen.

§ 359. Herr Buchs, der, allem Ansehen nach, wohl mercken mochte, daß meine Reise etwas weiter, als zu meinen Bruder gehen[191] würde, und den vielleicht auch ahnden mochte, daß wir einander vor dißmal, das lezte Mal in diesem Leben sähen, war voller Betrübniß, und ich merckte, daß Er etwas auf dem Herzen hatte, welches Er mir nicht gerne verschweigen möchte, und doch kam es Ihm auch sehr hart an, mir solches zu entdecken. Endlich ließ Ihm doch die Liebe nicht zu, mich ungewarnet von sich zu laßen, und Er brach sein Stillschweigen mit großer Zärtlichkeit auf folgende Art:

Mein lieber Herr Edelmann, sagte Er, es liegt mir was am Herzen, und die Liebe nöthiget mich, Ihnen solches nicht zu verhehlen. Wofern Sie Author von einer gewißen Schrift sind, so bitte ich Sie herzlich, wohl zu bedencken was sie thun etc. Weil ich mir nun halb und halb schon einbilden konnte, daß Hr. Buchs, entweder durch Hrn. Hasens Canal, oder durch Hrn. Walthern selbst, von dieser Sache etwas wißen könnte, so frappirte mich sein Discurs nicht so sehr, als er gethan habe würde, wenn er mir unvermuthet gekommen wäre, deswegen antwortete ich Ihm ganz gesezt: Was dessen Muthmaßung wegen einer gewißen Schrift beträfe, von welcher Er glaubte, daß ich Verfaßer seyn möchte, so könnte ich Ihm, zur Zeit, noch weder mit Ja, noch Nein antworten: Ich bedankte mich aber vor seine wohlmeinende Erinnerung und versicherte, daß, so etwas darin wäre, das mich angehen könnte, ich solches, als aus eines wahren Freundes Herzen kommend, mit der grösten Hochachtung verehren würde etc. etc.

§ 360. Hier hat der Leser ein Exempel, wie viel in Sachen von Wichtigkeit auf die Gewißheit seines eigenen Gefühls ankomme, und wie man es bey dergleichen Gelegenheiten nicht darauf ankommen laßen müße, was ein anderer davon empfindet, solte Er auch unser bester Freund seyn, sondern was uns unser eigen Herz saget. Die Warnung eines Freundes, wie Hr. Buchs war, vor einer so gefährlichen Sache, als ich unter den Händen hatte, wäre capable genug gewesen, mich davon abzuschröcken, und ich glaube selber, daß wenn sie mir zu Ohren gekommen wäre, ehe ich noch würcklich eine Feder darzu angesetzt, ich die Stimme meines Freundes, außer mir, eher vor eine Stimme Gottes gehalten haben würde, als was ich in mir selber hörete.

Damals aber kam der liebe Mann zu spät bey mir. Denn mein ehemaliges allererstes Gehör hatte sich schon durch solche Folgen, als richtig, bey mir legitimiret, daß nun nichts mehr vermögend war, mich in meinem Geschäfte zu stöhren. Inzwischen siehet man leicht, daß, wenn ich den gut gemeinten Erinnerungen meiner stillen Brüder, mehr Gehör hätte geben wollen, als meinen eigenen Gedancken,[192] nimmermehr ein Buchstabe von mir zum Vorschein gekommen seyn würde. Ob das nun, gleich tausend und hunderttausend meiner schlaftrunckenen Brüder herzlich gerne gesehen hätten, so hätte ich doch meinen munteren Brüdern keinen Dienst damit gethan, und folglich würden mir diese auch keinen dagegen haben thun können.

Ich nahm also ganz zärtlich von Herr Buchsen vollends Abschied. Er entließ mich meiner Bürgschaft; ich sezte mich auf die Post, und machte mit diesem meinem Dreßdnischen Abzuge auch dem Ersten Theile meines Lebens-Laufs, ein stilles und zufriedenes Ende.


Finit d. 5. December 1750. Berolini.

Finivi d. 15. May. Noctu horae 12. 1759 Hamburgi.

Fußnoten

1 Man siehet wie der arme Edelmann aller christlichen Erkenntniß ermangelt und begreift nicht recht wie er sich je hat zu den Pietisten zählen können.


2 Edelmann scheint nicht eben genau zu citiren, bei Schellhorn l.c. wird nicht gesagt, daß jene Dissertation von Appellius (nicht Appellias) sey, sondern es heißt dort: Monstrantur Norimbergae arma et alia vestigia famosi illius Appellii a Gaillingen, sed quis ideo affirmabit, ea, quae de ipso narrantur, vera esse, ac istum unquam extitisse: Vielmehr erklärt Schellhorn ausdrücklich, daß er nicht wisse wer der Verf. dieser Argumenta sey.


3 Man siehet zu welcher Verkennung der Geschichte ein verblendeter Haß gegen das Christenthum den sogenannten gesunden Verstand führen kann.


4 Das ist einer der gefährlichen Irrthümer Edelmanns, daß er nicht einsieht, daß man Gott durch jedes Böse, jede Sünde beleidigt, mag sie sich nun direct auf ihn oder auf seine Creaturen beziehen.


5 Leo X.


6 Wenn Edelmanns Ehrgeiz gekränkt ist, so vergißt er alle genossene Liebe und Güte, und auf der andern Seite weiß er doch dieses Gefühl der Kränkung so gut zu verbergen, damit nur seine Berechnungen auf Vortheil nicht fehl schlagen, das Ganze aber sieht er für gesund an und das Letztere für zu empfehlende Klugheit. – Uebrigens hat Edelmann auch von hier aus sich an Pastor Neumeister in Hamburg gewandt; in den handschriftlichen Anmerk. zu Pratje p. 20 heißt es: Daß Er, als Er nach diesen zum Grafen von Auersperg kam, von da aus an Hrn. Neumeistern geschrieben, und um Beförderung gebeten, wie Hr. Pratje p. 20 meldet, läugnet Er nicht; Es beweiset aber so wenig seinen dortigen schlechten Gehalt, wie Hr. Pratje meint, daß vielmehr dessen Begierde, bald ein Prediger zu werden, noch sehr merklich daraus erhellet. Denn wenn Er mit dem Predigt-Amte nicht schwanger gangen wäre, würde Er wohl nimmermehr aus dieser allerliebsten Herren Dienst gegangen seyn.


7 Dem Edelmann scheint der Ausdruck: arme Sünder so verhaßt gewesen zu seyn, daß ihm die dummste Erklärung desselben die liebste ist.


8 Muß heißen lurida.


9 Es war ein Prediger zu Bockendorff, wie aus einem gleich anzuführenden Briefe erhellt.


10 Es scheint als wenn Edelmann immer in Gegensätzen sich hatte entwickeln müssen, so mußte zu seiner äußerlichen Ehrbarkeit die Schwäche dieses Pastoren dienen, dabei setzte sich dann aber auch eine Härte und Lieblosigkeit fest, die ihn unfähig machte die Bibel zu verstehen.


11 Marperger war Oberhofprediger in Dresden. † 1746


12 Edelmann ist es nicht darum zu thun rein von Sünden zu werden, er will nur überall eine Rolle spielen, Ehrgeiz und Eitelkeit verhindern ihn fromm zu seyn und weil er sich nicht selbst ausgezeichnet fromm machen kann, so wirft er das ganze Christenthum von sich.


13 Der Ausspruch steht 1 Joh. 3, 9. Edelmann kann sich nicht auf den idealen Standpunkt des Johannis stellen und bedenkt nicht, daß die Wiedergeburt nicht gleich den ganzen Menschen in Besitz nimmt, sondern der neue Mensch noch während des ganzen Lebens mit der Sünde, mit dem alten Menschen zu kämpfen hat, der Christ aber allerdings in so weit er wieder geboren ist, nicht sündiget.


14 Edelmann fängt nun an unsicher zu werden, nicht allein in der Dogmatik, sondern auch im Glauben und sich immer mehr zum Zerstören hinzuwenden.


15 Adam Bernd geb. 1676 zu Breslau ward 1711 Prediger zu Leipzig, schrieb 1728: »Einfluß der göttlichen Wahrheiten in den Willen und das Leben der Menschen;« weil er aber in diesem Werke Neigung zur Römischen Kirche zeigte, ward er suspendirt, schrieb Bücher und starb 1748. Gottlieb Gaudliz ward 1741 Prediger zu Leipzig und starb 1745, er schrieb unter dem Namen Christ. Friedr. Taube gegen Melodium.


16 Statt daß Edelmann nun anfängt bauen zu helfen, will er entweder eine gänzlich fertige Burg in Besitz nehmen oder auch die baufällige Burg ganz und gar niederreißen.


17 Wir besitzen auf der hiesigen Stadtbibliothek einen Brief Edelmanns an V.E. Löscher aus dieser Zeit, den ich hier einfügen will, man wird daraus ersehen, mit welcher Klugheit er sich die Ideen der Leute anzupassen wußte und daß es ihm wohl wichtiger war die Wahrheit zu suchen als sie zu verbreiten:

Magnifice

Hochwürdiger und hochgelahrter Herr

Insonders hochzuverehrender Patron,

Weder Vorwitz noch Eigennutz geben mir anjetzo die Feder in die Hand Ew. Magnificenz gegenwärtiges vorzulegen, sondern, ein, von Jugend an, in mir verspürter Trieb, die weise Allmacht unsers gütigen Schöpfers, wo nur möglich, immer besser einzusehen, und folglich seinen allerheiligsten Nahmen von Tage zu Tage höher zu preisen, nöthiget mich dermahlen Ew. Magnificenz mit aller ergebensten Bescheidenheit meine Gedanken zu eröffnen, gehorsamst bittend, daß ein, Ihnen biß dato zwar noch unbekandter seine dißfalls genommene Freyheit bey dero beruffenen Leutseligkeit entschuldigen dürfe. Es ist mir nehmlich vorgestern als d. 29. Dec. a.p. ungefehr zu Ohren kommen, wes maßen Ihro Königl. Majestät unser allergnädigster Landes-Vater, sonder Zweiffel nicht ohne göttliche Direction, sich großmüthigst entschloßen, eine, aus unterschiedenen geschickten Personen bestehende Gesellschaft, nach Ost- oder West-Indien, zu Untersuchung, derer uns biß dato noch unbekandten Curiosorum, auf Dero Kosten reisen zu laßen, worzu sich auch alle darzu benöthigte Personen bereits sollten eingefunden haben biß auf den Theologum. Allermaßen ich nun durch Gottes Gnade 5 Jahr diesem Studio in Jena, aus Mangel benöthigter Subsistenz im Chur-Sächsischen, obgelegen, auch gleich nach absolvirten Cursu Academico nach Oesterreich als Hofmeister beruffen worden, in welcher Station ich auch bey denen Herrn Grafen von Kornfeil und Auersperg 6 Jahr gestanden, von diesen lieben Herrn auch, wenn anders den Zweck meines Studii von Ihnen in Ecclesia pressa hätte erhalten können, nimmermehr würde kommen seyn, so hat es doch die Göttliche Vorsehung gefüget, daß als erstgedachter Herr Graf von Kornfeil, aus Trieb seines zarten Gewißens um seiner lieben Kinder willen Babel völlig verließ, und sich mit seiner gantzen Familie nach verkaufften Gütern, nach Nürnberg begab, ich mich, nach gnädigst erhaltenen Abschiede von meinem damahligen Herrn Grafen von Auersperg, in Gottes Nahmen entschloß, mein Vaterland wieder zu besehen, und mich in meinem Haupt-Studio, der Theologie, aufs neue so zu sagen, täglich fester zu setzen, weßwegen auch die wunderbare Fügung Gottes mir bald darauf beym Hrn. Pastori in Bockendorff Freybergscher Inspection das Amt eines Informatoris, seiner Kinder aufgetragen, so auch biß dato noch unter Göttlichen Seegen bekleide. Da nun, wie gedacht, gantz unvermuthet vernommen, daß unter so viel bereits examinirten Candidaten und Exspectanten, sich biß daher noch keiner sollte gefunden haben, der Gott zu Ehren und Ihro Königl. Majest. zu Liebe und Dienste, seine Gemächlichkeit auf etliche Jahr hintan setzen gedächt, ich aber bey diesen höchst gloriösen Vorhaben seiner Königl. Maj. nicht undeutlich Gottes Wunder-Hand spüre: Als spreche ich hiermit nach wohlangestellter Prüfung meiner Leibes-Constitution: hier bin ich, Herr, sende mich, und überlaße Ew. Magnificenz die gantze Sache. Ich bin zwar ein gebohrnes Landes-Kind aus Weissenfels, da Ihro Durchl. der regierende Herzog selbst mein hoher Pathe seyn, und könnte vielleicht, wenn ich hätte rennen wollen, längst Beförderung haben, da ich zumahl eben nicht der jüngste, sondern durch Gottes Gnade das 33ste Jahr vor einem halben Jahre zurückgelegt: Allein Gott kennt mein Hertz, und weiß daß ich mich nicht nach der Kappe reiße, sondern ich gestehe frey und offenhertzig gegen Ew. Magnificenz, daß wenn auch gleich, die, dem mitzugehenden Theologo versprochene unfehlbare Beförderung, im Fall ihn Gott wiederum gesund zurückbringen sollte, wegfällt, ich dennoch im Nahmen meines Gottes mich entschloßen, in dieser Königl. Gesellschaft, wo anders meine Wenigkeit einem hochlöblichen Ober-Consistorio anständig, die großen und wunderbaren Werke des Herrn zu meiner und meines Nächsten desto kräfftiger Ueberzeugung und Wachsthum in der Erkenntniß Gottes, mit zu beschauen. Ew. Magnif. beliebe demnach, wo ich anders nicht zu spät komme, diese meine redliche Absicht gehöriges Orts, nach Dero Wohlvermögenheit vorzutragen, und auf sich begebende gnädigste Resolution, weiter gütigst zu befehlen. Solte aber die allerhöchste Göttliche Majestät mich hierzu nicht ersehen haben, so werde mit Gelassenheit erwarten, wann und worzu dessen Weisheit meine Unwürdigkeit brauchen will. Indessen empfehle Ew. Magnificenz bey dem Anfange des Jahres Göttlicher unveränderlicher Huld und Gnade, auch meine Wenigkeit in Dero beständige obgleich noch zur Zeit unverdiente Gewogenheit mit aller ersinnlichsten Ergebenheit verharrend

Magnifice

Hochehrwürdiger und hochgelahrter Herr

Insonders hoch zu verehrender Patron

Ew. Magnificenz

gehorsamst-verpflichteter

Joh. Christian Edelmann.

Bockendorff d. 1. Jan. 1732.


18 Wie wenig muß doch Edelmann die Schrift vor Augen gehabt haben, daß er Löschers Anspruch für schriftwidrig halten konnte und jenen scheinbaren Widerspruch nicht zu lösen verstand.


19 Je inniger man dem Herrn angehört, um so weniger wird man mit den Lästerern desselben auf einem freundschaftlichen Fuße stehen können, bloße Höflichkeitsformeln aber haben die Apostel nicht geben wollen.


20 Die Stelle zeigt wieder wie Edelmann immer nur auf Aeußerlichkeiten sein Augenmerk richtet und nicht im Stande ist die Besinnung nach ihrem wahren Werthe zu schätzen.


21 Hier hat Edelmann die Herrnhuter offenbar nicht verstanden, oder nicht verstehen wollen, wie er denn wohl am wenigsten geeignet war sich einem Zinzendorf anzuschließen und ihre sentimentale tändelnde Manier ihm widerwärtig gewesen seyn muß, dagegen dann aber auch sein gemeines argwöhnisches Gemüth recht an den Tag legt.


22 Edelmann hätte nur den griechischen Text vergleichen sollen, da steht nicht That, sondern δύναμις Macht: Er konnte durchaus keine Macht äußern mit der Ausnahme (εἰ μὴ), daß er wenigen Siechen die Hände auflegte etc.


23 Wie argwöhnisch und egoistisch sind diese Raisonnemens.


24 Edelmann glaubt offenbar, daß dieser Gedanke ein von Gott inspirirter ist.


25 Kaum kann man so etwas wiedergeben. Dem armen Manne fällt auch gar nicht einmal der Gedanke ein, ob die Schuld der schlechten Wirkung nicht an ihm gelegen habe. Sein Hochmuth führt ihn in solche Sicherheit, daß er jede Rechtgläubigkeit für Lüge hält.


Quelle:
Edelmann, Johann Christian: Selbstbiographie. Berlin 1849 (Faksimile-Nachdruck Stuttgart, Bad Cannstatt 1976), S. 193.
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Joh. Chr. Edelmann's Selbstbiographie Geschrieben 1752: Herausg. Von C. R. W. Klose (German Edition)
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