Einige Rathschläge.

[11] Will man einem Manne von Lebensart gleichen, so befreunde man sich mit einem Manne, der wahre Lebensart besitzt; denn das Sprüchwort hat vollkommen Recht, welches sagt: Gleich und gleich gesellt sich gern.

Besonders weiche man nie von der Regel ab, sich höflich gegen Damen nicht nur, sondern gegen das ganze weibliche Geschlecht zu zeigen.

Man lasse nie in seiner Gegenwart ein Frauenzimmer beleidigen oder gar beschimpfen, und eher lasse man seinen Arm verdorren oder erstarren, als daß man sich selbst so weit vergißt, sich die Mißhandlung eines Frauenzimmers zu erlauben. Denn das Weib ist das Heiligste, was es auf Erden für uns geben sollte; es verbindet uns mit der Gottheit und hält überdieß das Scepter der Bildung und Gesittung in Händen. Ohne das Weib darf kein Mann hoffen, zur Vollendung zu gelangen. Sich der Heiligkeit des Weibes vollkommen bewußt zu werden, bedarf es nur des einen Gedankens:

»Deine Mutter war ein Weib!«[12]

Man sei indeß gegen das weibliche Geschlecht im Allgemeinen weder zu gefällig, noch zu eifrig, noch zu galant, sondern nur höflich und artig; besonders aber benehme man sich demselben gegenüber natürlich.

Man verbanne aus seiner Sprache alle gesuchten Wendungen, alle sogenannten neuen Ausdrücke, man befleißige sich einer reinen, natürlichen Sprache. Man vermeide sorgfältig alle Paradoxen und beinahe ebenso eifrig den Umgang von Dummköpfen und Schwätzern.

Man sei weder neugierig, noch allzu spaßhaft; man spiele nicht den Freigeist und noch mehr hüte man sich, den Atheisten zu machen; man sei religiös, ohne bigott zu sein und vermeide mit der größten Sorgfalt jeden Streit über religiöse Gegenstände oder Meinungen. Man scheue sich nicht, Almosen zu spenden, aber man werfe dabei nicht das Geld an Unwürdige weg.

Man vermeide jeden Streit, behaupte nie etwas leichtfertig oder obenhin, fliehe Heuchelei und Verleumdung, vertheidige aber mit bescheidener Festigkeit seine Ueberzeugung.

Nur selten spreche man von Politik, denn dieß ist ein so schwieriges Thema, daß man darüber nur zu urtheilen vermag, wenn man eine gewisse Höhe erreicht hat; besonders aber spreche man von Politik nie mit Frauen, aber auch ebensowenig von der Toilette; man könnte sonst sehr leicht anstoßen oder bei ihnen in den Verdacht kommen, ein Modehändler zu sein.

Man wisse stets, mit wem man spricht. Es läßt sich mit einer gewissen Zurückhaltung so ziemlich Alles sagen; aber wer spricht, ohne zu wissen, an wen er seine Worte richtet, ist ein Thor oder ein Dummkopf. – Dieß findet natürlich nur bei dem Umgange mit der Welt Anwendung; denn unter manchen Umständen, z.B. auf Reisen, müßte man sich zu der Rolle eines Stummen verurtheilen, wollte man sich strenge an die so eben aufgestellte Regel halten; indeß muß man hier jedenfalls[13] mit seinen Reden sehr vorsichtig sein, weil man sich sonst leicht Unannehmlichkeiten mancherlei Art zuziehen könnte.

Im Allgemeinen darf man sagen, die Welt sei von Vorurtheilen so sehr angefüllt, daß man sich um so mehr Freunde macht, je weniger man spricht; denn es ist oft außerordentlich schwer, durch das, was man spricht, nicht gegen irgend eine Meinung zu verstoßen, irgend ein Vorurtheil zu verletzen.

Man suche hinter den Worten Anderer nie einen verborgenen Sinn und vermeide diesen bei den eigenen Reden; man sei kurz in seinen Aeußerungen und begleite sie so wenig als möglich mit Geberden.

Man blinzele oder lächele andern Personen nur in den vertrautesten Kreisen zu. Nichts giebt leichter zu falschen Auslegungen Veranlassung, als diese Telegraphie der Blicke. Man werfe sich den Leuten nicht an den Hals, sei aber auch nicht abstoßend, sondern bescheiden.

Von sich selbst spreche man nie ohne ganz besondere Veranlassung oder directe Aufforderung, und zwar eben so wenig im Guten, wie im Bösen: Denn von sich selbst zu sprechen, bedeutet entweder übertriebene Eitelkeit oder Albernheit; jedenfalls aber beweis't es einen schlechten Ton.

Man streue dem goldenen Kalbe keinen Weihrauch, sondern arbeite: Arbeit ist Unabhängigkeit!

Der leichtgläubige Mensch ist ein Dummkopf, aber der, welcher an Allem zweifelt, ist ein Grobian.

Man suche nicht etwas darin, durch Wortspiele oder gar durch Zweideutigkeiten zu glänzen.

Man erfülle streng seine Versprechungen und sei pünctlich, nicht nur in wichtigen Angelegenheiten, sondern auch in Nebendingen: Je zuverlässiger ein Mann unter allen Umständen ist, um desto allgemeiner wird die Achtung sein, die er sich erwirbt.

Man strebe nicht danach, originell sein zu wollen; man gewinnt sich dadurch nur Neider oder Spötter. Besitzt man irgend ein körperliches Gebrechen, so erröthe[14] man darüber nicht, mache aber auch eben so wenig damit Parade: Man muß wegen eines solchen Unglücks weder Andere, noch sich selbst verspotten. Es giebt Buckliche, die nicht so witzig sind wie Aesop, und nicht alle Lahmen besitzen das Talent Lord Byron's.

Selbst wenn man Gesellschaft bei sich sieht, darf man nicht die Unterhaltung beherrschen wollen, obgleich es die Pflicht des Wirthes ist, ohne auffallende Einmischung das Stocken derselben zu verhindern.

Man sei nicht verschwenderisch, aber man fliehe auch den Geiz, denn dieser ist der Vater des Egoismus und wird sehr bald auch zu dem der Rohheit.

Vor Allem strebe man danach, den Geist seines Alters zu haben, und bezeige denen Aufmerksamkeit und Achtung, die durch den Rang, das Alter oder das Vermögen über uns stehen. Man sei offen und freundlich gegen Alle, selbst gegen die eigenen Dienstboten.

Gegen Frauen benehme man sich nie ungeschickt, besonders aber rechtschaffen in der vollsten Bedeutung des Wortes, sowohl in Reden als in Handlungen.

Beachtet man dieß Alles, so wird man seinen Weg in der Welt machen, denn man darf überzeugt sein, überall Beifall zu gewinnen.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 11-15.
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