Von den Anforderungen der Gesellschaft.

[46] Wer sein Vermögen durch irgend ein Unglück oder einen Zufall verliert, ziehe sich von der Welt zurück, ehe die Welt sich von ihm zurückzieht.[46]

Besitzt man kein Vermögen, oder nicht als Ersatz dafür ein großes Talent oder entschiedene Verdienste, so lasse man sich nicht in der vornehmen Welt vorstellen; denn diese legt in unsern Tagen leider so viel Gewicht auf das Geld, daß selbst der Mann von Geist, Talent oder Verdienst, dem es mangelt, mancherlei Demüthigungen oder doch wenigstens Verlegenheiten ausgesetzt ist.

Der Weltmann ohne Vermögen oder Talent wird für einen Schmarotzer gehalten, selbst wenn er alle Tage am eigenen Tische zu Mittag ißt.

Der verständige Mann, mag er nun reich oder arm sein, kann das Glück in dem engen Kreise seiner Familie und weniger Freunde finden, und sogar leichter und reiner, als die Welt es ihm zu bieten vermöchte, welche ihm mehr Pflichten auferlegt, als Rechte gewährt.

Der Weise weiß das Glück sogar im engen Kämmerlein zu finden, oder sich selbst zu schaffen.

Die Welt stellt an den, welcher sich in ihr bewegt, zahlreiche Anforderungen, welche einzig und allein durch Geld zu befriedigen sind.

Dieser Fehler der Gesellschaft rührt daher, weil es die Mehrzahl ist, welche die Gesetze der gesellschaftlichen Gebräuche erlassen hat, und weil es in der großen Menge der Menschen mehr Thoren und Dummköpfe, als Verständige giebt. In der Welt aber gebietet stets und überall die Majorität.

Da die ungeheure Majorität der Dummköpfe die Gesetze erlassen hat, sind diese in ganz natürlicher Folge zum Nutzen der Dummköpfe im Allgemeinen ausgefallen.

Daher stammen so manche Anforderungen und Gebräuche, die allgemein als lächerlich oder einfältig anerkannt werden, denen sich aber selbst der Gescheidteste nicht ungestraft entziehen kann, wenn er sich ihnen auch nur murrend und mit Widerwillen fügt.

Wie viel Verdienst man auch haben möge, wird man in der Gesellschaft nicht der vollen Achtung genießen,[47] wenn man nicht bei gewissen Gelegenheiten, und namentlich bei dem Spiele, Geld zu verlieren hat.

Ist man heiter, liebenswürdig, geistreich, so darf man darauf rechnen, zum Essen eingeladen zu werden, um die übrigen Gäste zu unterhalten. Das ist eine Folge der Liebenswürdigkeit, der man sich in Geduld unterwerfen muß, wenn man sich auch gewissermaßen nur als Spaßmacher betrachten darf.

Hat man irgend eine Berühmtheit erlangt, so darf man darauf rechnen, eingeladen zu werden, damit der Wirth seinen Freunden die Merkwürdigkeit zeigen könne, etwa so, wie ein Menagerie-Besitzer seinen Besuchern sagt: »Sehen Sie hier den großen Eisbären!« – oder: »Dieß ist das merkwürdige Nilpferd!«

Wenn man kein Geld hat, darf man es nicht wagen, Damen in das Theater, auf die Promenade oder zu irgend einer öffentlichen Unterhaltung oder Festlichkeit zu begleiten, noch irgendwo ihren cicerone oder cavaliere servante zu machen; denn es ist der Gebrauch, daß die Damen nirgends bezahlen, wenn sie einen Cavalier zum Begleiter haben. Dieß gilt selbst dann, wenn die Dame reich und ihr Begleiter arm ist. Die Damen finden durchaus nichts Unpassendes darin, sich von einem Begleiter auf solche Weise beschenken oder freihalten zu lassen.

Wenn man bei irgend einer Partie eine Frau bezahlen läßt, die kostspielige Launen oder Gewohnheiten hat, so zieht man sich den Ruf eines groben Menschen ohne alle Lebensart zu.

Ein Mann von Geist, der sich überall mit Anstand und Klugheit zu benehmen weiß, kann sich dreist überall zeigen, selbst in den höchsten Kreisen.

In einzelnen, aber freilich nur in sehr wenigen Häusern hat man die als verwerflich oder übertrieben er kannten Anforderungen der Etikette unterdrückt, und gerade in solchen Häusern herrscht eben deßhalb der vorzugsweise gute Ton.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 46-48.
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