Auf Reisen.

[166] Nirgend zeigt sich der Mann von wahrer Bildung mehr und augenscheinlicher, als auf Reisen; denn während Schein- oder Afterbildung sich hier ohne Scheu ihren gemeineren Neigungen, ihrem ungebildeten Benehmen überlassen, weil sie meinen, wo man sie nicht kennt, könnten sie sich dem Zwange der Etikette ungestraft entziehen, thut der Mann von wahrer Bildung ganz einfach das, was ihm durch lange Uebung zur andern Natur geworden ist.

Der Ungebildete, der in seinen gewohnten Verhältnissen, oder wenn er sich in feineren Kreisen bewegt, oft kaum den Mund aufzuthun wagt, wenigstens aber für bescheiden gilt, wird auf Reisen nicht selten zu einem prahlerischen, schreienden Schwätzer.

Wer zu Hause vielleicht keinem Burschen etwas zu befehlen hat, der commandirt auf Reisen, als wäre er gewohnt, ein ganzes Heer von Dienern unter sich zu haben.

Auf Reisen Speisen und Getränke, Bedienung, Einrichtung, kurz Alles und Jedes fortwährend zu tadeln, selbst wenn daran entweder gar nichts auszusetzen ist, oder das Gebotene doch den Verhältnissen und Umständen vollkommen entspricht, ist entweder ein Zeichen mangelnder Bildung, oder jener Großsprecherei, von welcher viele junge Männer der höheren Stände nicht freizusprechen sind, da sie in unsern Tagen oft einen gewissen Ruhm darin zu suchen scheinen, sich recht roh und ungeschliffen zu zeigen, als hätten sie gegen Niedrigergestellte durchaus keine Rücksichten zu nehmen.

Wer stets nur auf seine eigene Bequemlichkeit bedacht ist, ohne sich um die seiner Reisegenossen zu bekümmern, die er vielleicht arg incommodirt, der ist ungebildet, von welchem Stande oder Range er auch sein mag.[167]

Auf der Reise hat ein galanter Mann mehr als je die Pflicht, sich der Damen anzunehmen, ihnen kleine Dienstleistungen zu reichen, sie gegen Anmaßung und Zudringlichkeit anderer Reisegenossen in Schutz zu nehmen und diese im Fall der Noth sehr ernst zurechtzuweisen.

Damen, welche allein zu reisen gezwungen und dabei vielleicht an das Reisen nicht gewöhnt sind, fühlen sich oft rath- und schutzlos; man muß ihnen daher mit Rath und That beistehen, ohne jemals zudringlich zu werden, oder seine Dienste über die Grenzen hinaus auszudehnen, welche die Dame zu stecken für gut befindet. Geckenhaft wäre es, für seine Dienstleistungen durch Gunstbezeigungen einen Lohn beanspruchen zu wollen, den die Dame zu gewähren nicht geneigt ist. Zudringliche Dienstleistungen verlieren jeden Werth.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 166-168.
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