Fünftes Kapitel.
Mitteilungen meines Vaters. I.
[43] Goethe als Direktor (1791–1799): Gastspiel in Lauchstädt. – Christiane Neumann. – Goethe als Lehrer. – Eckhof und Schröder. – Gastspiel Ifflands. – Neu-Aufführungen unter Goethe: »Don Carlos«, »Wallenstein« usw.

Bevor ich weiter in meiner Lebensbeschreibung fortfahre, komme ich zunächst auf die Zeit zurück, in der Goethe die Leitung des Weimarischen Hoftheaters übernahm und mein Vater vom Jahre 1793–1817 unter ihm als Regisseur fungierte. Es ist viel Unrichtiges, selbst Unwahres über die Goethesche Schule geschrieben worden. Aus dem Nachstehenden kann der Leser ersehen, ob das Goethesche Prinzip und dessen Ausführungen falsch waren. Ich habe treu, was mir mein Vater mündlich und schriftlich darüber mitgeteilt, hier niedergeschrieben und führe ihn dabei selbsterzählend ein:


Goethe hatte im Jahre 1791 das neu errichtete Hoftheater in Weimar übernommen; die erste Vorstellung unter seiner Leitung waren Ifflands »Jäger«, mit einem von ihm selbst verfaßten Prolog. Von den Mitgliedern der Belluomoschen Gesellschaft waren geblieben: Dameralius, Demmer und Frau, Malcolmi mit drei Töchtern, von denen die jüngste, Amalie, die treffliche Wolff wurde, und Christiane Neumann mit ihrer Mutter. Neu hinzugetreten waren: Amor und Frau, Becker, Benda, Einer, Fischer (der Regisseur[43] wurde; und Frau, Krüger, Fräulein Rudorf und ich. Aus Norden, Süden, Westen und Osten waren wir zusammengekommen. Da die neu engagierten Mitglieder in der ersten Vorstellung teilweise auch untergeordnete Rollen übernehmen mußten und doch für erste Fächer in Schauspiel und Oper engagiert waren, so ließ Goethe auf den Zettel setzen: »Da die Gesellschaft meistenteils neu zusammengetreten ist, so sind die Anfangsrollen nicht als Debüts zu betrachten, sondern es wird jedem einzelnen noch Gelegenheit gegeben werden, sich dem Publikum zu empfehlen.« Diesem Versprechen kam Goethe mit großer Gewissenhaftigkeit nach, und weil jedem Schauspieler zwei Debütrollen zugesagt waren, so mußte man sich in der ersten Zeit an ältere Stücke und Singspiele, in welchen die Neuhinzugetretenen einstudiert waren, halten. Iffland, Kotzebue, Jünger und Spieß, Mozart, Dittersdorf und Paesiello beherrschten das Repertoire.

In den Kontrakt, den bereits Belluomo mit der Merseburger Regierung abgeschlossen hatte, daß die Weimarsche Gesellschaft während der Sommermonate in Lauchstädt Vorstellungen geben sollte, trat jetzt die Weimarsche Hoftheaterdirektion ein, und demnach ging die Gesellschaft am 10. Juni schon nach Lauchstädt, einem kleinen Badeorte in der Nähe von Merseburg, Halle und Naumburg, der vom sächsischen Adel und Leipziger Patrizierfamilien stark besucht wurde.

Ich war von Prag gekommen, und schon das kleine Haus in Weimar hatte mich frappiert; wie erstaunte ich aber, als ich in Lauchstädt gar eine große Scheune zum Theater hergerichtet fand! Auch Goethe fühlte darüber, als er zum Besuch dahin kam, ein großes Mißbehagen, und es wurde der Beschluß gefaßt, ein wenn auch noch so kleines Theater auf eigene Kosten zu bauen; die Erteilung der Genehmigung aber und die schenkweise Überlassung eines passenden[44] Grundstücks mußten erst von der Merseburger Regierung erwirkt werden; außerdem waren auch die nötigen Gelder nicht schnell zu schaffen, und so kam der Bau erst im Jahr 1802 zur Ausführung.

Von Lauchstädt reiste die Gesellschaft nach Erfurt, welches damals noch kurmainzisch war und ungefähr 50000 Einwohner zählte. Auch hier wurden gute Geschäfte gemacht, was auch sehr notwendig war, denn der Herzog gab, außer der Kapelle, dem Theater jährlich nur einen Zuschuß von 7000 Talern.

Freilich waren die Gagen der Einnahme entsprechend; die höchste für Schau- und Singspiel betrug wöchentlich 8–9 Taler. Malcolmi mit seinen drei Töchtern erhielt wöchentlich 10 Taler; dafür spielte er den Oberförster in den »Jägern«, sang den Sarastro in der »Zauberflöte«, und seine beiden älteren Töchter wurden als Soubretten und Liebhaberinnen verwendet. Aber dennoch konnte ein sparsamer Mann bei solch geringer Gage anständig leben, so beispiellos billig waren die Lebensbedürfnisse; ich z.B. zahlte in einer Familie für Logis, Frühstück, Mittagessen und Bedienung wöchentlich l1/2 Taler.

Das erste neue Stück, das zum Schluß in Erfurt gegeben wurde, war »Don Carlos«, auf Goethes Befehl während des Aufenthalts in Lauchstädt von der Gesellschaft einstudiert. Goethe soll, wie man sagte, dieser Vorstellung inkognito beigewohnt haben, aber sehr unzufrieden mit der Darstellung gewesen sein; er ließ das Stück vorläufig in Weimar nicht wiederholen, wie er überhaupt keine Sympathie für dies Werk zeigte. Dessen ungeachtet nahm er es zu Anfang des Jahres 1792 wieder vor und am 28. Februar kam es unter seiner Leitung in Weimar zur Aufführung.

Goethe besuchte wohl öfters die Proben, namentlich von anerkannten guten Stücken, und sprach da seine Meinung[45] über die Auffassung der Charaktere aus, gab wohl auch das Tempo der Rede im Lustspiel wie in der Tragödie an, aber speziell beschäftigte er sich nur mit der vierzehnjährigen Neumann und widmete der Ausbildung dieses wunderbaren Talents seine freien Stunden. Christiane Neumann war mit ihren Eltern im Jahr 1784 zur Belluomoschen Gesellschaft nach Weimar gekommen. Schon als fünfjähriges Kind zeigte sie so viel Talent für die Bühne, daß sie in Venloo, wo ihr Vater eine eigene Direktion hatte, der Liebling der Stadt und ihren Eltern eine große Stütze war. In Weimar trat sie 1787 zum erstenmal als Julie im »Räuschchen« auf und gewann sich auch da alle Herzen. Die Herzogin Anna Amalia nahm sich ihrer mit mütterlicher Sorgfalt an und die vielbegabte Corona Schröder übernahm ihre fernere geistige Ausbildung.

Ich sah sie zum erstenmal in den »Jägern« als Bärbel und war erstaunt, was dies schon zur Jungfrau erblühte Kind aus der an sich unbedeutenden Rolle schuf. Diese Faulheit im Ausdruck des Gesichts, im Sprechen und allen Bewegungen war unbeschreiblich charakteristisch; ein Sturm von Applaus erhob sich, als sie die Bühne verließ, nachdem sie dieselbe mit unnachahmlicher Trägheit aufgeräumt hatte.

Wie sich dies wunderbare Talent unter Goethes spezieller Leitung immer glänzender entwickelte, bewies der Eindruck, den sie auf jeden machte. Gotter fand sie der Ackermann, der berühmtesten Schauspielerin jener Zeit, vergleichbar. Wieland sagte von ihr, daß, wenn sie nur noch einige Jahre so fortschritte, Deutschland nur eine Schauspielerin haben würde. Iffland, welcher im Jahre 1796 in Weimar Gastrollen gab, tat den Ausspruch: sie könne alles, denn nie würde sie in den künstlerischen Rausch von Empfindsamkeit, das verderbliche Übel unserer jungen Schauspielerinnen, versinken. – Ihre erste bedeutende Rolle war der Artur[46] in »König Johann«. Goethe hatte besonderes Interesse an diesem Stück und setzte es selbst in Szene.

Zu den vortrefflichsten Darstellungen der Neumann gehörten: Ophelia, Emilia Galotti, Amalie in den »Räubern«, Louise in »Kabale und Liebe«. Ebenso vollendet waren auch ihre munteren Charaktere, wie die Minna von Barnhelm, und selbst Knabenrollen spielte sie mit einer Vollendung, daß sie ein ganzes Publikum über ihr Geschlecht täuschen konnte, wobei ihr umfangreiches Organ sie trefflich unterstützte.

In ihrem vierzehnten Jahre war sie ein vollkommen ausgebildetes, bildschönes Mädchen; in diesem Alter heiratete sie den talentvollen Schauspieler Becker und gebar ihm in ihrem 16. Lebensjahre eine Tochter. Als Jakob in »Alte und neue Zeit« trat sie nach ihrem Wochenbette zum ersten Male wieder auf und wurde mit unendlichem Jubel vom Publikum begrüßt. Goethe hatte ihr dazu einen Monolog geschrieben, worin folgende Stellen vorkamen: »Jakob soll ich heißen? Ein Knabe sein? Das glaubt kein Mensch. Wie viele werden mich nicht sehen und kennen, besonders die, die mich als kleine Christel mit ihrer Freundschaft und Gunst beglückt!« – »Erst ist man klein, wird größer, man gefällt, man liebt – und endlich ist die Frau, die Mutter da, die selbst nicht weiß, was sie zu ihren Kindern sagen soll.« – Im Jahre 1795 verlor sie ihre Mutter an einem auszehrenden Fieber; 1796 gebar sie abermals eine Tochter und kränkelte von da an. Die viele aufregende Beschäftigung rieb ihre Kräfte vollends auf. Im Jahre 1797 reiste sie zwar noch mit der Gesellschaft nach Lauchstädt, erkrankte aber dort so heftig, daß Karl August ihr den bequemsten Reisewagen schickte, um sie nach Weimar zurückzubringen. Sofort wurden[47] aus Jena die berühmten Ärzte Hufeland und Starke geholt, aber alle Kunst war hier verloren; sie starb am 22. September im noch nicht vollendeten zwanzigsten Lebensjahre. Die Trauer um sie war allgemein; auf dem Theater wurde Totenfeier gehalten, deren Ertrag zunächst den Fonds zu einem Denkmal bildete, das von Meyer entworfen und von dem Bildhauer Telle ausgeführt wurde. Dieser einfache Obelisk mit einer Tafel, worauf der Name Euphrosyne eingegraben ist, wurde im Rosengarten errichtet.

Wer gedächte bei diesem Namen nicht jener wundervollen Elegie Goethes, durch die er die Verstorbene verherrlichte!

Es ist wohl nicht uninteressant, hier eine Stelle des Gedichts zu erklären, welche dem mit den damaligen Verhältnissen weniger Vertrauten unverständlich sein dürfte: »Drohtest mit grimmiger Glut den armen Augen.«

Bei der Hauptprobe von »König Johann« zeigte Christiane nicht genug Entsetzen vor dem glühenden Eisen; ungeduldig hierüber riß Goethe dem Darsteller des Hubert das Eisen aus der Hand und stürzte mit solch grimmigem Blick auf das Mädchen zu, daß dieses entsetzt und zitternd zurückwich und ohnmächtig zu Boden sank. Erschrocken kniete nun Goethe zu ihr nieder, nahm sie in seine Arme und rief nach Wasser. Als sie die Augen wieder aufschlug, lächelte sie ihm zu, küßte seine Hand und bot ihm dann den Mund; eine schöne und rührende Offenbarung der väterlichen und kindlichen Neigung beider zu einander.

Obgleich Goethe vom Jahre 1793 bis zu Anfang des neuen Jahrhunderts mehrere junge Talente, die ihm der Ausbildung wert erschienen, engagiert hatte und sich selbst mit ihnen beschäftigte, so war doch im Ensemble ein störender Zwiespalt fühlbar. Goethe wandte seine größte Aufmerksamkeit der Plastik und einem edleren Pathos zu, doch[48] die älteren Schauspieler konnten das gespreizte Wesen und den bombastischen Ton, welcher damals noch auf allen deutschen Bühnen sein Wesen trieb, nicht genügend abstreifen. Die jüngeren waren wieder zu verzagt, die neue Bahn kühn einzuschlagen, welche Goethe ihnen vorzeichnete. Dazu gehörte allerdings, was sein praktisches Vorbild anlangte, einiger Mut; absichtlich trug er, seinen Schülern gegenüber, sehr grell auf, weil er aus Erfahrung wußte, daß selbst die begabtesten unter ihnen zu schüchtern waren, sein Maß zu erreichen; aber eben dieses Auftragen, verbunden mit seinem äußerst kräftigen Organ, welches seine Sprache noch besonders markig werden ließ, machte, namentlich in gebundener Rede, seinen Vortrag beinahe übertrieben.

Erst als mehrere Lücken im Personale eintraten und durch Talente wie Graff, Haide, Vohs, die Jagemann und im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Dlle. Maas, Karl Unzelmann, Oels, Wolff, Demoiselles Eisermann und Engels, Lortzing und Deny ausgefüllt wurden, rückte er dem erstrebten Ziele näher, und es kam nun Einklang und Harmonie in das Ganze. Seine Schüler lernten das Prinzip verstehen und auffassen, und so erreichte die Weimarsche Bühne, vorzüglich in der Tragödie, ein Ensemble, wie es damals in Deutschland nur selten zu finden war und dessen Ruhm sich überall hin verbreitete. Wohl besaßen Berlin, Hamburg, Wien und Mannheim in Künstlern wie Itsland, Schröder, Brockmann, Böck, Beil usw., Größen, wie sie Weimar nicht aufzuweisen hatte, allein zu jenen Größen bildeten damals noch die übrigen Schauspieler mit dem widerlichen Bombast, der ihnen von der französischen Tradition anhing, kaum den genügenden Hintergrund; von ihnen sich gänzlich abhebend, stand im Vordergrund die eine künstlerische Notabilität und beherrschte das Bild.

Der erste Reformator der damaligen Unnatur war Eckhof;[49] er suchte durch einfache Wahrheit auf das Publikum wie auf seine Kollegen zu wirken; dabei war seine Rhetorik nicht ohne poetischen Schwung. Allein seine Darstellungen streiften doch mehr an das gewöhnliche bürgerliche Leben, das Ideale ganz vermeidend. Nach Weimar wurde er aus Gotha von Karl August, der ihn dort gesehen, eingeladen und spielte daselbst im Jahre 1777. Reichen Beifall zollten ihm der Hof und Goethe. Eckhof wäre der Mann gewesen, bei einem längeren Zusammenleben mit Goethe dessen Intentionen in der Heranbildung eines deutschen Schauspiels zu erfassen.

Schröder, Eckhofs Nachfolger in der Reformation, zerbrach ganz und gar die moralischen Stelzen, mit denen die Schauspieler jener Zeit auf der Bühne einhergingen, und strebte unermüdlich darnach, einen Einklang in die Darstellungen zu bringen, aber er ging zu weit. Rhetorik und Plastik drückte er in das alltägliche Leben herab. Konversationsstücke und bürgerliche Dramen gelangen daher seinem Ensemble am besten, die Tragödie aber entbehrte allen Schwungs und aller Poesie. Das war die sogenannte Schrödersche Schule.

Goethe dagegen strebte in Rhetorik, Plastik und Mimik der Antike nach und führte so, im Gegensatze zu Schröder, zum Idealismus. Das Bild, das Ganze gewann an Kraft und Schönheit, und in dem poetischen Hauch, der die Darstellung durchwehte, lag ein Zauber, der den anderen Bühnen größtenteils abging. Mit dem Wachsen und Gedeihen der Anstalt wuchs auch die Liebe Goethes zu seiner Schöpfung. In früheren Jahren hatte er die Proben nur bei besonderen Stücken besucht, nun aber wohnte er denselben fast regelmäßig bei. Und mit welcher Rücksicht verfuhr er da bei seinen Anordnungen! Nie gab er seiner Unzufriedenheit strenge Worte; sein Tadel war immer so, besonders gegen die älteren[50] Schauspieler, daß er nicht verletzen konnte, z.B.: »Nun, das ist ja gar nicht übel, obgleich ich mir den Moment so gedacht habe; überlegen wir uns das bis zur nächsten Probe, vielleicht stimmen dann unsere Ansichten überein.« Den jüngeren gegenüber war er weniger rücksichtsvoll; hier hieß es oft: »Man mache das so, dann wird man seinen Zweck nicht verfehlen.«

Es ist Goethe von vielen Seiten der Vorwurf gemacht worden, daß er die Bühne wie ein Schachbrett betrachtet habe, dessen lebendige Figuren nur nach seinem Willen sich stellen und ihre Plätze wechseln dürften. Wann wäre ein hohes geistiges Streben nicht von der Gewöhnlichkeit angegriffen worden? Allerdings bekümmerte sich Goethe auch um Gehen und Stehen der Schauspieler, und stets mit richtigem und seinem Sinn. Höchst störend war es ihm, wenn zwei Personen oder gar drei und vier, ohne daß es die Handlung nötig machte, dicht beieinander auf einer oder der anderen Seite, oder in der Mitte vor dem Souffleurkasten standen und dadurch leere Räume im Bild entstehen ließen; da bestimmte er genau die Stellung und gab durch Schritte die Entfernung von der einen zur anderen Person an. Er wollte in dem Rahmen ein plastisches Bild haben und behauptete, daß selbst zwei Personen ein solches, das dem Auge wohl tun müßte, durch richtige Stellung schaffen könnten. Ebenso mußte der Schauspieler, an den die Rede eines andern gerichtet war, einen Schritt vortreten, damit der Redende sich auf natürliche Weise mehr zum Publikum wenden konnte, eine Regel, die freilich jeder vernünftige Schauspieler von selbst einhalten sollte, der nicht sein liebes Ich, sondern das Ganze im Auge hat.

Shakespeares »König Johann«, nach Eschenburgs Übersetzung, war das erste bedeutende Werk, welches Goethe selbst in Szene setzte; sein Verdienst war es überhaupt, dies[51] Meisterwerk auf die deutsche Bühne gebracht zu haben, und ein bedeutender Erfolg krönte seine Bemühungen und seinen Eifer, mit welchem er das Studium dieses Werks geleitet hatte. Der Beifall war allgemein. Ein merklicher Unterschied leuchtete allerdings gegen die früheren Darstellungen, wo Goethe weniger die Hand im Spiele gehabt hatte, hervor. Nach solch günstiger Aufnahme schritt Goethe zur Aufführung eines eigenen Werkes, und der »Großkophta« wurde am 17. Dezember 1791 zum ersten Male gegeben; mit den besten Kräften war das Stück besetzt und das Studium mit großem Eifer und Fleiß vollendet worden, obgleich man voraussah, daß es keinen großen Anklang finden würde. Und so war es auch. Eine achtungsvolle Aufmerksamkeit begleitete ohne besondere Beifallsbezeugung die Darstellung. Der Stoff war ursprünglich zum Operntext bestimmt und Reichardt hatte schon einige Nummern davon komponiert.

Um hier chronologisch zu verfahren, bemerke ich, daß »Hamlet« nun an die Reihe kam, der allerdings schon unter Belluomo neunmal in der Schröderschen Bearbeitung gegeben worden war und bei dem Publikum große Anerkennung gefunden hatte. Goethe schien mit dieser Bearbeitung nicht einverstanden zu sein und gab auch hier, mit Hinweglassung der letzten Szene, die von Eschenburg.

Am 28. Februar 1792 kam, wie schon erwähnt, »Don Carlos« zum erstenmal in Weimar zur Aufführung. Das war für Goethe eine mühevolle Arbeit. Die alten Schauspieler konnten durchaus keine fließende Rezitation der Schillerschen Jamben zustande bringen; die langen Silben dehnten sie so ungebührlich, daß man glaubte, eine Sägemühle zu hören, und trotz einer Menge Leseproben, welche Goethe hielt, hoben sie immer noch den Vers mit schwerfälliger Absichtlichkeit hervor. übrigens erlitten auch außerhalb Weimars die Schillerschen Verse arge Behandlung;[52] war es doch sogar anerkannten Schauspielern wie Opitz, Reinecke, Schirmer usw. (bei der Franz Secondaschen Gesellschaft) nicht möglich, eine rhythmisch geschriebene Rolle auswendig zu lernen; dieselbe mußte immer erst in Prosa geschrieben und hinter jeden Vers ein dicker Strich gemacht werden. Das Stück wurde wegen seines außerordentlichen Erfolges bis zum Jahre 1797 häufig wiederholt und zog stets das Publikum in großen Massen herbei.

Als Schiller selbst vom Jahre 1799 an bei der Feststellung des Repertoires tätig war, legte er den »Don Carlos« ganz beiseite, und erst im Jahre 1802 wurde er mit einigen Verkürzungen und Abänderungen, auf Anregung Goethes und um dem allgemeinen Wunsche des Publikums zu genügen, in Lauchstädt wieder aufs Repertoire gebracht. Überhaupt widerstrebte Schiller stets, wenn Goethe ein Stück seiner früheren Periode zur Darstellung bringen wollte, und namentlich war ihm der »Fiesko« widerwärtig, der denn auch bei Schillers Lebzeiten nicht mehr auf der Weimarschen Bühne erschien. Er selbst sprach einst die Absicht aus, denselben umzuarbeiten und zu versifizieren; aber er gab diesen Gedanken wieder auf und wandte seine Zeit neuen Werken zu.

Nach »Don Carlos« brachte Goethe beide Teile »Heinrichs des Vierten« zur Aufführung, und zwar wurde der erste am 14., der zweite am 21. April 1792 gegeben. Obgleich der Übersetzer auf dem Zettel nicht angeführt war, so wußten doch alle Schauspieler, daß Goethe selbst nach Eschenburg die Einrichtung des Stückes gemacht hatte. Die erste Leseprobe davon war höchst amüsant. Der Schauspieler Krüger, welcher den Falstaff spielte, konnte nach Goethes Intention den Ton nicht treffen, der zu diesem Charakter gehört, und nun las Goethe selbst einige Szenen mit so sprudelndem Humor und so überaus treffender Charakteristik vor, daß wir alle[53] vor Lachen kaum zu lesen imstande waren. Krüger, ein höchst talentvoller Schauspieler, folgte Goethes Anleitung in Ton und Gebärde, ohne ihn sklavisch nachzuahmen, und wurde ein trefflicher Falstaff. Im Ganzen fand das Stück keine besonders beifällige Aufnahme beim Publikum, und beide Teile wurden nur einigemal wiederholt; das Publikum war eben noch nicht reif genug, solche Werke zu verstehen. Goethe ließ sich aber dadurch nicht irre machen und wußte, daß man durch solche Experimente die Menge heranbilden würde. In diese Zeit fiel das Engagement von Vohs, einem unserer bedeutendsten Schauspieler, auf den bei Besprechung der Schillerschen Meisterwerke zurückzukommen sein wird. Überhaupt gingen am 1. April 1793 große Veränderungen im Personale vor: die Ehepaare Fischer, Gatto und Mattstedt, Herr Damaratius und die beiden älteren Damen Malcolmi verließen uns. Frau Malcolmi, Herr und Frau Porth mit ihrer talentvollen, bildschönen Tochter (späteren Vohs) traten neu hinzu. In Herrn Fischer hatten wir auch unseren bisherigen Regisseur verloren, und Goethe traf nun eine neue Einrichtung. Er wählte drei Schauspieler, Vohs, Becker, Genast, welche unter der Benennung »Wöchner« die Anordnung der Dekorationen, Kostüme, Statisten usw., von Woche zu Woche abwechselnd zu besorgen hatten; die Leitung des artistischen und ästhetischen Teils der Anstalt lag allein in Goethes Händen.

Am 2. Mai 1793 wurde zum erstenmal »Der Bürgergeneral« gegeben; Goethe war auf dem Theaterzettel nicht als Verfasser genannt. Das Stück gefiel ungemein; diese Persiflage betrachtete man als eine kleine Schlacht, die Weimar Frankreich lieferte, und sie wurde bis zum Jahr 1805 oft[54] wiederholt; von da ab verstummte dieses Wortgefecht wohlweislich, denn das Urbild rückte uns mit anderen Waffen auf den Leib, und solange es die eiserne Rute über Deutschland schwang, kam das Stück nicht wieder auf das Repertoire.

Bis zum ersten Gastspiel Ifflands hatten wir, außer den genannten Novitäten von klassischen Werken, nur Wiederholungen der schon unter Belluomo einstudierten Stücke, wie: »Räuber«, »Emilia Galotti«, »Clavigo«, »Minna von Barnhelm«, »Geschwister« usw. Hauptsächlich beherrschten das Repertoire Iffland, Kotzebue, Jünger und zum Teil auch Schröder. Als beliebteste Opern hatten wir drei Mozartsche: »Die Entführung aus dem Serail« (schon unter Belluomo 1785 aufgeführt), »Don Juan« und »Die Hochzeit des Figaro«, außerdem einige von Dittersdorf, Grétry, Martini und Paesiello. Da die italienischen Texte meist erbärmlich übertragen waren, so wurde Vulpius von Goethe beauftragt, dieselben zu überarbeiten; einige davon übernahm auch der bekannte Kammerherr von Einsiedel.

Deutsche Sänger waren sehr selten, und Opern mußten doch gegeben werden; darum wurde fast kein Schauspieler engagiert, der nicht auch eine leidliche Stimme hatte und in der Oper in kleinen Partien oder in Chor mitwirken konnte. Erst nach dem Engagement der Jagemann, die bei einem italienischen Meister im Gesang gebildet worden, war man darauf bedacht, ausreichendere Kräfte herbeizuziehen.

Bis zum Jahre 1796 hielt Goethe jedes Gastspiel von der Weimarschen Bühne fern; nur solchen Schauspielern, die man zu engagieren gedachte, wurden ein oder zwei Proberollen zugestanden. Später fiel auch dies weg und einer der Regisseure reiste nach dem Ort, wo man ein passendes Subjekt für das erledigte Fach zu finden hoffte.

Als Vohs zu Ende 1802 unsere Bühne verließ und nach Stuttgart ging, sandte mich Goethe nach Nürnberg, um[55] Eßlair, von dem er viel Rühmliches gehört hatte, zu engagieren. Man gab, als ich ankam, das »Unterbrochene Opferfest« von Winter; für den anderen Tag war »Don Carlos« mit Eßlair als Posa angesetzt. Sehr vergnügt, es so glücklich getroffen zu haben, hörte ich mir das »Opferfest« an. Da fiel mir unter den spanischen Gefangenen einer auf, der durch enorme Körpergröße weit über die anderen hervorragte. Ich fragte meinen Nachbar nach jenem Riesen, für den Friedrich Wilhelm I. viel Geld bezahlt haben würde. »Wohl nicht allein wegen der Körpergröße, wenn Seine Majestät einen Begriff von der dramatischen Kunst gehabt hat,« war die Antwort, »denn das ist Eßlair.« Ich erschrak, denn ich dachte an unsere ungewöhnlich kleine erste Liebhaberin, Fräulein Maas. Am anderen Abend kam sie mir aber nicht mehr in den Sinn, denn Eßlair entzückte mich als Posa. Ich schrieb an Goethe, daß Eßlair noch viel bedeutender sei als sein Ruf; aber freilich, die reichlichen 6 Fuß rheinisch seiner Körperlänge durfte ich auch nicht verschweigen. Die Antwort von Goethe auf mein Schreiben lautete: »Sehen Sie sich anders um; ich kann keinen Liebhaber brauchen, dessen Geliebte ihm nur bis an den Nabel reicht.«

Im Jahre 1796 endlich berief Goethe Iffland zu einem Gastspiel nach Weimar. Zu diesem Zweck hatte Schiller die Redaktion des »Egmont« übernommen. Vor Beginn des Gastspiels war eine Leseprobe des »Egmont«, welche fünf Stunden dauerte und die Goethe mit einer Anrede eröffnete, die dem Sinne nach folgendes sagte: »Es wird bald ein Meister unter uns stehen, den ich hauptsächlich berufen habe, um euch durch ihn zu beweisen, wie gut Kunst und Natur sich vereinen lassen. Lauscht seiner Darstellung mit aller Aufmerksamkeit; aber seid nicht schüchtern als Mitwirkende, zeigt ihm, daß unser Streben ebenfalls ein hohes, edles ist, und seine Zufriedenheit wird uns nicht fehlen.«[56] Nun las er jedem Schauspieler einige Stellen der darzustellenden Rolle vor, um durch Ton und Haltung den Charakter anzudeuten, wie er ihn aufgefaßt wünsche. Die Becker-Neumann und Vohs als Klärchen und Brackenburg trafen schon im Lesen das Richtige und waren in der Darstellung selbst ausgezeichnet. Beck als Vansen war trefflich. Goethe las den Egmont, und abgesehen davon, daß sein Vortrag etwas zu markiert war, habe ich nie den Egmont so darstellen sehen, wie er ihn las; Iffland stand weit hinter der Auffassung Goethes zurück. Noch am stärksten verkörperte in späterer Zeit Oels Goethes Intention.

Iffland trat in dreizehn Rollen der verschiedensten Gattung auf. Der bedeutende Künstler bekundete sich in jeder seiner Leistungen, doch war das Schauspiel sein eigentlich günstiges Feld. Zur Tragödie hatte ihm die Natur manches versagt, vor allem ein umfangreiches, sonores Organ.

Das Ifflandsche Gastspiel trug in Wahrheit dazu bei, unser Ensemble nach Goethes Prinzip immer mehr auszubilden; hatte nun doch jeder der Schauspieler selbst erfahren, welch zauberhaften Einfluß die künstlerische Wahrheit und Einfachheit, gegenüber dem hohlen und übertriebenen Bombast, ausübte.

So kam das Jahr 1798 heran, in welchem das Theater durch Baumeister Trouet aus Stuttgart renoviert wurde. Am 12. Oktober begannen die Vorstellungen wieder, und mit den »Korsen« von Kotzebue, auf die der Prolog – von Vohs im Kostüm des Max Piccolomini gesprochen – und dann zum ersten Male »Wallensteins Lager« folgten, wurde das neuhergestellte Haus eingeweiht. Goethes Tätigkeit bei der Inszenierung war unermüdlich. Hofrat Meyer mußte alle möglichen Holzschnitte, welche Szenen aus dem Lagerleben des Dreißigjährigen Krieges darstellten, herbeischaffen, um die Gruppen auf der Bühne darnach zu stellen; sogar[57] eine Ofenplatte worauf eine Lagerszene aus dem 17. Jahrhundert sich befand, wurde einem Kneipenwirt in Jena zu diesem Zweck entführt. Goethe leitete das Studium der Schauspieler und stattete an Schiller (nach Jena) genauen Bericht ab; bis zur letzten Probe veränderte Schiller noch dieses und jenes. Mir war der Dragoner zugeteilt worden. Eines Tages jedoch ließ mich Goethe zu sich rufen und teilte mir mit, daß Schiller gesonnen sei, noch einen Kapuziner in das Lagerleben hineinzubringen, der den Soldaten predigen sollte; da Schiller dabei um Rat frage, so habe er ihm einen Band des Abraham a Santa Clara gesandt und mich zum Darsteller der drastischen Figur, welche der Kapuziner abgeben würde, vorgeschlagen. »Da Ihr,« sagte er, »viel mit solchen Kuttenmännern in Berührung gekommen seid, so werdet Ihr gewiß den Ton treffen, der zu einem solchen Feldpfaffen gehört. Schickt Euren Dragoner in meinem Namen an Benda.«

Bestimmte Rollenfächer durften die Schauspieler unter Goethe nicht beanspruchen, und selbst die ersten durften sich nicht weigern, wenn es zum Besten des Ganzen war, eine Anmelderolle zu übernehmen. Er verlangte von jedem, daß ihm die Kunst höher stände als sein liebes Ich. Ein Beispiel möge hier folgen.

Meinem Kollegen Becker hatte Goethe den zweiten Holkschen Jäger zugeteilt. Obgleich Becker von Anfang an mit dieser untergeordneten Rolle sehr unzufrieden war und weit lieber den Wachtmeister gespielt hätte, getraute er sich doch nicht, die Annahme derselben zu verweigern, solange ich im Besitz einer ähnlichen war; kaum hörte er aber von dem mir übertragenen Kapuziner, so erklärte er mir auch schon, daß er den Jäger nicht spielen würde, und beauftragte mich, als fungierenden Wöchner, dies dem Herrn Geheimen Rat zu melden. Mir war nicht wohl bei der Kommission, und[58] ich kleidete sie wenigstens in die etwas gefälligere Form einer Bitte meines Kollegen. Nichtsdestoweniger geriet Goethe in den heftigsten Zorn, bestand darauf, daß Becker die Rolle spielen müsse, und setzte hinzu: »Sagen Sie dem Herrn, wenn er sich dennoch weigern sollte, so würde ich die Rolle selber spielen.« Becker weigerte sich aber nicht mehr.

Erst am 8. Oktober traf die Kapuzinerpredigt ein, aber noch dreimal hat Schiller dieselbe überarbeitet, ehe sie im Druck erschien. Für den Charakter des Wachtmeisters hatte Goethe ein ganz besonderes Interesse und war bemüht, dem Darsteller dieser Rolle die steifen Bewegungen, den schwerfälligen Gang und den bombastischen Ton beizubringen. Mit der Exposition war er nicht einverstanden; sie erschien ihm nicht wirksam genug. Er veranlaßte deshalb Schiller, noch ein Soldatenlied als Einleitung zu schreiben; da dieser aber nur vier Verse einsandte, so schrieb Goethe noch einige dazu und dies Lied wurde nach einer Melodie aus »Claudine von Villa Bella« gesungen. Den ersten Vers sang man, ehe der Vorhang aufgezogen wurde:


Schiller.


Es leben die Soldaten,

Der Bauer gibt den Braten,

Der Gärtner gibt den Most,

Das ist Soldatenkost,

Trada la la la la la.


Den Bürger muß man packen,

Den Adel muß man zwacken,

Sein Knecht ist unser Knecht,

Das ist Soldatenrecht!

Trada la usw.


Goethe.


In Wäldern gehn wir pirschen

Nach allen alten Hirschen

Und bringen frank und frei

Den Männern das Geweih!

Trada la usw.


Heut schwören wir der Hanne

Und morgen der Susanne,

Die Lieb ist immer neu;

Das ist Soldatentreu!

Trada la usw.


Schiller.


Wir schmausen wie Dynasten

Und morgen heißt es fasten;

Früh reich, am Abend bloß,

Das ist Soldatenlos!

Trada la usw.


Wer hat, der muß uns geben,

Der nichts hat, der soll leben.

Der Eh'mann hat das Weib

Und wir den Zeitvertreib.

Trada la usw.[59]


Goethe.


Es heißt bei unsern Festen:

Gestohlnes schmeckt am besten,

Unrechtes Gut macht fett,

Das ist Soldateng'bet!

Trada la usw.


Der vierte und fünfte Vers wurden hinter den Kulissen gesungen, um dadurch anzudeuten, daß sich das Lager auf beiden Seiten noch ausdehne; dann wurde immer der Refrain auf offener Szene wiederholt, wodurch großes Leben in das Ganze kam. Zur Hauptprobe kam Schiller selbst von Jena herüber und änderte dabei noch manchen Vers. Über die Inszenierung war er entzückt, und mit Recht, denn sie war vollkommen charakteristisch und entsprach ganz dem, was er beabsichtigte; namentlich auch die Gruppierungen, deren sich Hofrat Meyer besonders angenommen hatte, überraschten allgemein. Die Vorstellung wurde als vortrefflich bezeichnet und der Beifall des Publikums war ein enthusiastischer.

Bei dieser Vorstellung war es, wo nach Goethes Befehl auf dem Komödienzettel zum erstenmal die »Herren«, »Madames« und »Demoiselles« vor den Namen der Mitglieder wegfielen. Ich fragte Goethe um den Grund dieser Anordnung; er meinte: der Name des Künstlers sei genügend; Herren und Madames gäb es sehr viele in der Welt, aber Künstler sehr wenig. Doch gab diese Eigenheit zu manchem Irrtum Anlaß, namentlich wenn Frauen in Männerrollen auftraten.

Noch eine Eigentümlichkeit Goethes will ich hier erwähnen. Er ging mit den Namen seiner Mitglieder gar willkürlich um, wenn dieselben ihm nicht gefielen oder zu prosaisch klangen. Einem Fräulein Petersilie strich er den »Peter« weg und nannte sie Silie. Den Herren Lortzing und Moltke, wie auch Fräulein Estermann strich er das »t« aus[60] ihren Namen, dagegen gab er dem Fräulein Engel ein »s« am Schlusse zu.

Zum Geburtstag der regierenden Herzogin wurden am 30. Januar 1799 »Die Piccolomini« zum erstenmal gegeben. Durch häufiges Unwohlsein zu Ende des vergangenen Jahres war Schiller in der Arbeit daran gehemmt worden. Am 4. Januar kam er selbst nach Weimar, wir mußten mit großer Eile studieren, und die Aufführung war, diesen Umstand in Erwägung gezogen, eine ziemlich gelungene zu nennen. Die Wiederholung am 2. Februar verdiente unbedingtes Lob.

Die Einteilung der »Piccolomini« wie des »Wallenstein« war eine andere als die, welche im Druck 1800 bei Cotta erschien. Die ersten vier Akte der »Piccolomini« waren in zwei zusammengedrängt, der fünfte bildete den dritten; der vierte begann mit dem astronomischen Turm, der fünfte mit den Worten Wallensteins: »Mir meldet er aus Linz.« Demnach waren zwei Akte von »Wallenstein« zu den »Piccolomini« gezogen worden.

Am 20. April hatten wir »Wallensteins Tod« zum ersten Male. Das Stück begann mit den Worten der Gräfin Terzky: »Ihr habt mir nichts zu sagen, Base?« Diese drei Akte waren in fünf eigeteilt, die folgendermaßen schlossen: der erste: »Jetzt secht' ich für mein Haupt und für mein Leben!« der zweite mit der Szene des Max; der dritte mit dem nachgeschriebenen Monolog des Buttler, der sich in der ersten Ausgabe von »Wallenstein« nicht findet; der vierte mit dem Monolog der Thekla; der fünfte in seiner Ursprünglichkeit. Von 1799–1800 wurde jedes von den Stücken fünfmal gegeben und zwar stets im Repertoire aufeinanderfolgend. Solange dies geschah, war diese Einteilung nicht nachteilig für das Ganze; später freilich wurde »Wallenstein« in dieser Einrichtung öfter allein gegeben und die wirksamen Szenen mit Wrangel, der Terzky und der Monolog fielen[61] weg; damit man aber die Erzählung des Traums nicht auch vermissen sollte, wurde diese in die siebente Szene mit Terzky nach dem gedruckten Buche eingeschoben. Nur in Lauchstädt gab man den »Wallenstein«, wenn nicht »Die Piccolomini« vorausgegangen waren, ganz nach dem gedruckten Buche; eine Konzession, die man schon den beiden Universitäten Halle und Leipzig machen mußte.

Über den enormen Erfolg des »Wallenstein« ist nichts weiter zu sagen; der Andrang des einheimischen wie des auswärtigen Publikums war so groß, daß man die Preise der Plätze teils um die Hälfte, teils um ein Dritteil erhöhte. Die Aufführung war namentlich in den Hauptrollen trefflich zu nennen. Graff (Wallenstein) erhielt nach der ersten Darstellung der »Piccolomini« folgenden Brief von Schiller:


»Sie haben mir gestern durch Ihr gehaltenes Spiel und Ihre treffliche Rezitation sowohl des Monologs, als auch der übrigen schweren Stellen eine große Freude gemacht. Kein Wort ist auf die Erde gefallen, und das ganze Publikum ging befriedigt von der Szene. Empfangen Sie dafür meinen innigen Dank. Sie haben einen großen Triumph erlangt und dürfen nicht zweifeln, daß Ihrem großen Verdienst um diese Rolle auch öffentlich vor dem Publikum Gerechtigkeit erzeigt werden wird. Nicht so leicht soll es einem andern werden, Ihnen den Wallenstein nachzuspielen, und nach dem Beweis, den Sie gestern von Ihrer Herrschaft über sich abgelegt, werden Sie bei künftigen Vorstellungen Ihre Kunst noch vollkommener entwickeln.«


Ein Fehler von Graff war die große Unruhe seiner Bewegungen, durch die er oft seine vortrefflichen Darstellungen benachteiligte und auf welchen Schiller hier hindeutet; daß er sie diesmal mit Erfolg zu beherrschen gesucht hatte, war hauptsächlich den steten Ermahnungen Goethes bei den Proben zuzuschreiben.

Vohs, obgleich man ihn einen guten Max nennen konnte, gab doch den lyrischen Stellen einen zu starken sentimentalen Anstrich, womit Schiller nicht einverstanden war, und entwickelte überhaupt zu wenig jugendliches Feuer in dem[62] ersten Teil seiner Rolle; in dem Abschied von Thekla und dem Zuruf an die Soldaten jedoch war er meisterhaft. Konnte man somit aus seiner Darstellung eben nur ausgezeichnete Momente herausfinden, so gab hingegen die Jagemann als Thekla ein vollendetes Ganzes.

Dies geniale und vielseitig gebildete junge Mädchen war im Jahr 1797 für unsere Bühne gewonnen worden. Sie kam von Mannheim, und Iffland, der ihr Lehrer dort gewesen war, hatte sie Goethe dringend empfohlen mit dem Bemerken, daß sie ein würdiger Ersatz für die Becker-Neumann sein würde. Sie trat am 18. Februar in Weimar auf und entzückte allgemein. Ihre gleichbedeutende Befähigung für die Oper, wie für das Schauspiel wurde durch eine liebenswürdige Persönlichkeit unterstützt. Sie brachte als Thekla ihr weiches, wohlklingendes Organ so schön zur Geltung und ihre Auffassung war so hochpoetisch, daß Schiller mit Recht über ihre Leistung hocherfreut war. Das einzige, was ihr bei dieser Rolle im Wege stand, war ihre kleine Gestalt.

Bis zu der Zeit, wo Schiller nach Weimar übersiedelte, was am 3. Dezember 1799 geschah, datiert sich also die erste Epoche des Weimarschen Hoftheaters unter Goethes Leitung. Mit dem Jahre 1800 trat die zweite ein, wo Goethe und Schiller vereint für das Gedeihen der Anstalt wirkten, und die Schauspieler, die das Glück hatten, unter der Leitung solcher Männer zu stehen, werden gewiß diese Zeit noch in ihrem hohen Alter als die glücklichste ihres Lebens betrachtet haben.

Quelle:
Genast, Eduard: Aus Weimars klassischer und nachklassischer Zeit. Erinnerungen eines alten Schauspielers. Stuttgart 1919, S. 43-63.
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