F. Die Treuen Helfer

[129] »Ich bin eine Hausangestellte. Man hat mich gebeten, zu erzählen, wie ich über mich und meine Herrschaft denke. Der Herr, der das von mir verlangt hat, hat gesagt, das kommt in ein Buch, und er hat auch gesagt, daß ich ganz offen reden soll. Und auch, ob ich zufrieden wäre, und wenn nein, warum nicht.

Eigentlich bin ich ganz zufrieden. Ich kam vom Lande, das war vor sechs Jahren, und ich wollte in die Stadt. Meine Eltern haben einen kleinen Bauernhof, aber wir sind sechs Kinder. Da habe ich mich auf ein paar Anzeigen gemeldet. Ich habe mich vorgestellt, aber bei dreien hat mir die Frau nicht gefallen. Die waren wohl vornehm. Die vierte hat mich gefragt, ob ich servieren kann. Da bin ich bei der fünften geblieben.

Als ich mich vorstellte, hat sie mich gefragt, was ich alles kann. Da habe ich gesagt, ich kann kochen und waschen und sauber machen und flicken. Aber natürlich [129] nur einfache Sachen. Aber ich würde es gern lernen. Und mit Kindern könnte ich umgehen, denn ich bin ja schon zweimal Tante, weil meine beiden Schwestern schon Kinder haben.

Die Gnädige hat dann gesagt, ich gefiele ihr ganz gut, und wenn ich lernen wollte, dann könnte ich dort alles lernen, was man so braucht.

Erst wollte sie Zeugnisse sehen, aber ich hatte ja noch keine, weil es meine erste Stellung war. So habe ich dann angefangen.

Zuerst habe ich furchtbare Angst gehabt, weil alles so anders war. Schon bis ich gelernt hatte, wie man einen Tisch deckt. Aber die Gnädige hat mir gleich zu Anfang alles erklärt. Weil ich das nicht im Kopf behalten habe, hat sie mir gesagt: Paß auf, Luise, ich hänge dir einen Stundenplan in die Küche, und danach richtest du dich. Das hat sie dann auch gemacht, und ich habe immer gewußt, welche Arbeit dran war.

Ich muß sagen, daß ich sehr schnell warm geworden bin. Es hat mir auch wirklich Spaß gemacht, wie mir die Frau alles erklärt hat. Die ist schon eine prima Hausfrau. Und kochen kann die. Da habe ich eine Menge gelernt. Servieren auch.

Zunächst mal haben mich die Herrschaften eingekleidet. Erst bin ich mir komisch vorgekommen in dem dunklen Kleid mit der weißen Schürze. Aber dann, wie ich in den Spiegel gesehen habe, habe ich mir ganz gut gefallen. Werden Sie mir bloß nicht eitel, Luise, hat die Gnädige gesagt. Aber sie hat dabei gelacht.

So mache ich jetzt meine Arbeit, und die Gnädige packt immer mit an. Mir ist das jetzt gar nicht mehr recht, denn ich komme schon allein ganz gut zurecht. Sogar mit den beiden Kindern. Erst wollten die frech werden, aber ich bin vom Lande, und da lieben wir schon, daß die Kleinen gehorchen. Die Frau hat den Kindern dann mal eine Standpauke gehalten, und seither geht es.

Deshalb fühle ich mich sehr wohl. Ich habe regelmäßig meine Freizeit, und wenn ich abends ins Kino gehen will und nichts mehr zu tun ist, sagt die Herrschaft nichts. Das Essen ist gut, und ich bekomme immer dasselbe wie die anderen. Neulich habe ich sogar Weinbergschnecken essen sollen, aber da wäre mir beinahe schlecht geworden. Die Gnädige hat gelacht und gesagt: Wenn Sie nicht wollen, brauchen Sie nicht.

Hier kommen viele Gäste; da fällt mir ein, daß jeder Gast Fräulein Luise zu mir gesagt hat. Das erstemal bin ich rot geworden, weil ich dachte, die haben mich verwechselt.

Zu Weihnachten habe ich nachmittags mit der Herrschaft gesessen und meine Geschenke angesehen. Einen Mantel haben sie mir geschenkt und eine Handtasche. [130] Und noch Geld und einen großen bunten Teller. Auch Ostern und Pfingsten habe ich eine Kleinigkeit bekommen.

Geschimpft hat die Herrschaft noch nie. Deshalb gebe ich mir große Mühe, daß es nicht soweit kommt. Deshalb gefällt es mir auch sehr gut. Ich will auch gar nicht weg. Aber der Werner, mit dem ich verlobt bin, will, daß wir bald heiraten. Ich habe ihm gesagt, er soll erst mal seine Meisterprüfung machen, dann ist immer noch Zeit. Denn wie meine Herrschaft ist, das weiß ich, aber der Werner, der ist immer so jähzornig. Bei uns geht alles mit freundlicher Ruhe, und deshalb klappt es auch. Neulich zu meinem Geburtstag hat mir die Gnädige allerlei Sachen geschenkt und hat gratuliert und gesagt: Luise, jetzt sind Sie schon eine richtige Perle.«

Haben Sie, liebe Hausfrau, zwischen den Zeilen dieses schlichten Aufsatzes gelesen? Da ist nämlich mit einfachen Worten alles gesagt, was über den Umgang mit Hausangestellten zu sagen wäre:


Hausangestellte gehören zur Hausgemeinschaft,


sind Menschen und wollen als solche behandelt werden und nicht wie Arbeitssklaven,


wachsen in ihr Arbeitsgebiet hinein, wenn man sie geduldig anleitet und ihnen Zeit läßt,


sollen hinsichtlich des Essens gleichberechtigt behandelt werden,


haben an ihrer Arbeit die gleiche Freude wie andere an ihrem Beruf,


fühlen sich einem Hause um so mehr verbunden, je angenehmer das »Betriebsklima«, d.h. die menschliche Beziehung zur »Herrschaft« ist,


werden nicht plump vertraulich, wenn man sie nicht dazu herausfordert,


sind durchaus lernbegierig,


achten die Hausfrau um so höher, je mehr sie ihnen zeigen kann,


sind dankbar, wenn man sie an den Freuden des Hauses, dem sie dienen, teilhaben läßt,


wissen häufig trotz ihrer Einfachheit sehr wohl zwischen gespielter und wirklicher Vornehmheit zu unterscheiden,


werden nur dann »Perlen«, wenn man ihre Arbeit schätzt und anerkennt,


arbeiten freudiger, wenn man ihnen regelmäßig ausreichende Freizeit gönnt, sind arbeitswilliger, wenn man sie höflich behandelt.


Kürzlich ging eine Notiz durch die Zeitungen, daß irgendwo in Deutschland eine Hausangestellte verstorben sei – wenige Tage vor ihrem einhundertsten Geburtstag. Sie hatte ein Leben lang der gleichen Familie gedient – durch drei Generationen.


[131] Der Staat sieht uns über die Schulter

Wer Hausangestellte einstellt, wird damit juristisch zum »Arbeitgeber« und übernimmt bestimmte Verpflichtungen, die um so weniger vernachlässigt werden dürfen, als sie dem Schutz der Angestellten dienen. Folgende Punkte sind zu beachten:


1. Hausangestellte müssen spätestens drei Tage nach Arbeitsantritt bei der zuständigen Orts- oder Landkrankenkasse angemeldet werden.


2. Die Höhe des Beitrages ist von der Höhe der Bar- und Sachbezüge abhängig.


3. Als Sachbezüge gelten freie Unterkunft und Verpflegung.


4. Die in den Krankenkassenbeiträgen enthaltenen Beiträge für Invaliden- und Arbeitslosenunterstützung werden augenblicklich bei einem Verdienst von DM 65. – monatlich je zur Hälfte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen. Bei geringerem Verdienst trägt sie der Arbeitgeber allein.


5. Zur Abführung der Krankenkassenbeiträge ist der Arbeitgeber verpflichtet. (Ausnahmen sind Ersatzkassenbeiträge, die der Arbeitnehmer selbst trägt.)


6. Jeder Haushaltungsvorstand ist verpflichtet, Betriebsunfälle oder Berufskrankheiten der Hausangestellten innerhalb von drei Tagen zu melden.

Quelle:
Graudenz, Karlheinz: Das Buch der Etikette. Marbach am Neckar 1956, S. 129-132.
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