Vom Pfarramtskandidaten zum Professor an der Berliner Akademie.

(1804–1809.)

[72] Meine, durch die Selbstwirtschaft des Oheims völlig zum Schluß ihres Handelsbetriebs gezwungene Großmutter, die wiederholt das Versprechen von mir herausforderte, Dorfpfarrer zu werden in der Gegend, wo als solche einst Vorfahren lebten, starb am 18. April 1804 plötzlich durch Hinabsturz in ein Kellergewölbe. Wenige Wochen nachher war ich Kandidat, und in der Überlegung beharrte ich dabei, der Abgeschiedenen das Versprechen halten zu wollen. – Wegen ihrer Hinterlassenschaft mußte mein Vater selber im Amt Suhl sich stellen, was er nur in Begleitung der Mutter vermochte. Die Erbschaft wurde durch allerlei Ansprüche und Dunkelheiten sehr gering, und das Unterhandeln zog sich dermaßen in Dehnung, daß die Eltern nach Berlin zurückreisten,[72] mir die weitere Klärung verblieb. Währenddem hatte ich in Weimar und Gotha zu einer Landpfarre mich gemeldet und erwartete die Entscheidung bei Martini, der die Kanzel aufgeopfert hatte, weil er durch das Ableben seiner Schwiegermutter wohlhabender Gutsbesitzer geworden war.

Mitten in diesen Wendungen erhielt ich von Firmin Didot in Paris für meine derzeitigen Zustände erwerbreichere Aussichten, wenn ich zu ihm kommen und seiner Druckerei nützlich werden wolle mit dem Holzschnitt; ich hatte keineswegs Lust dazu, erwähnte aber den Antrag brieflich meinem Freunde Reimann in Berlin, der nun eine vollständige Sammlung meiner Kunstversuche in Abdrücken besaß. Reimann antwortete: er habe dem Kurator der Akademie, Minister v. Hardenberg, diese Nachricht mitgeteilt, und sei beauftragt, meine Arbeiten ihm vorzulegen, doch wünsche er (Reimann) dazu eine Erklärung von mir. Meine dem Freunde schuldige Verpflichtung machte mir seinen Wunsch zum Gesetz, und bald darauf erhielt ich folgende Zuschrift:

»Ich habe die mit dem, am 14. d.M. empfangenen Schreiben des Herrn Gubitz mir jetzt übergebenen Blätter, wie Ihre vorigen Kunstwerke mit vielem Vergnügen erhalten, indem Sie mir den schönen Beweis davon gegeben haben, welche Fortschritte Sie in Ihrer Kunst machen, und sie zur Vollkommenheit zu bringen sich angelegen sein lassen.

Das mir durch den Herrn usw. Reimann zugekommene complette Exemplar Ihrer Holzschnitte sende ich, nach Ihrem Verlangen, hierbei zurück, und werde ich, wenn Sie demnächst als Mitglied der Academie ein solches[73] Exemplar zu deren Sammlung hingeben wollten, solches mit vielem Dank für dieselbe annehmen, da es zur Geschichte der Kunst und zum Unterricht der Zöglinge in diesem Fache gleich wichtig ist, so wie ich auch Ihre ferneren Arbeiten und damit Ihre weiteren Fortschritte in dieser interessanten Kunst stets mit Vergnügen betrachten werde. Je mehr diese noch für unsern Staat und unser Vaterland Nützliches verspricht, destomehr würde ich bedauern, wenn Sie dasselbe verlassen und Sich in das Ausland begeben wollten. Sie haben zwar darin Ihre freie Wahl, allein ich muß für Sie selbst und für uns wünschen, daß Sie sich wenigstens nicht für immer im Auslande fesseln lassen, und Sich eine Lage bereiten, die äußerlich zwar glänzend scheint, die Ihnen aber alle Ihre Kräfte lähmen und zu leicht alle Selbstständigkeit benehmen könnte.

Was ich außerdem dazu beitragen kann, um Sie von diesem Entschluß abzubringen, und Sie zum Hierbleiben im Vaterlande zu bestimmen, das würde ich mit Freuden thun. Ich würde Ihnen, sobald sich bei der Academie Gelegenheit findet, gern einige Pension zufließen lassen, und im Fall des Hierbleibens Sie sofort als Mitglied der Academie aufnehmen lassen, und mich gern mit dem General-Fabriquen-Departement Ihretwegen in Verbindung setzen, und vernehmen, ob für Sie, Seitens desselben, da Sie den einländischen Fabriquen vornemlich nützlich werden können, etwas Weiteres geschehen kann, um durch alles das Ihnen zu zeigen, daß man Ihre Verdienstlichkeit und Ihre vorzügliche Geschicklichkeit anerkennt, und solche auf alle Weise zu belohnen und hervorzuziehen geneigt ist. Ich wünschte also darüber Ihre nähere Erklärung mit den Vorschlägen zu erhalten, die Sie etwa[74] Selbst Ihretwegen zu thun haben möchten, worin ich sowohl bei der Academie als dem Fabriquen-Wesen von Nutzen zu seyn, und worin Sie daben unterstützt zu werden wünschten.

Berlin, den 27. October 1804.


Hardenberg.«


Da kam ich nun in verstärkten Zusammenstoß mit den Verhältnissen, wußte mir nicht zu raten, so daß mir Reimann unter anderem schrieb: »Aus eigner Macht werde ich wohl Ihr Vormund sein müssen.« Noch im Ordnen der kargen Erbschaftsangelegenheit eilte ich mit dem bisherigen Ertrag nach Berlin, abwechselnd als mustergültiger Läufer und unpäßlicher Postsitzer, wurde dem Minister Hardenberg vorgestellt, und offenherzig enthüllte ich ihm meine Lage und ihren inneren Zwiespalt. Er überhäufte mich mit Güte, ließ mich aber unentschlossen, um so zweifelvoller, da zu dem, was ich mit der Holzschneidekunst bezweckte, seine Auffassung der meinigen nicht ganz ähnlich war, und endlich sagte er lächelnd: »Ich meine, wir begegnen uns noch!« – Ihm und Reimann war es jedenfalls zu danken, daß ich bei dieser Anwesenheit in Berlin, wo ich durch meine zu jeder Kunstausstellung eingesandten Arbeiten andenklich blieb, dem Könige auf sein Begehren in einem Bändchen die Abdrücke von meinen vermehrten Platten persönlich überreichen konnte. Wenn ich mir jene halbe Stunde ins Gedächtnis zurückrufe, ist es mir, als fühlte ich immer wieder des mildereichsten Königs Hand, die auf meiner Schulter lag bei den Worten: »Noch so jung, so geschätzt, nicht eitel werden!« – Nach wenigen Tagen hatte ich zu lesen:[75] »Seine Königliche Majestät von Preußen usw. haben das Ihm von dem p. Gubitz überreichte Exemplar seiner sämmtlichen Holzschnitt-Arbeiten mit Wohlgefallen aufgenommen und demselben zum Beweise Ihres Beifalls über seine fleißigen Fortschritte beikommende dreißig Stück Friedrichs'dor als ein Geschenk übersenden wollen.

Berlin, den 20. Octbr. 1804.


Friedrich Wilhelm.«


Nächstdem sagte mir Reimann: es sei am Hofe gewünscht worden, die Entstehung und Druckart der Holzschnitte, die, in derzeitigen Tagen mißachtet, nun Aufsehen erregten, kennenzulernen; es frage sich: ob dies im Königspalais tunlich sei. So fügte es sich, daß ich an einem der ersten Januartage des Jahres 1805 bei der Oberhofmeisterin Gräfin v. Voß, wohnend in einer Hälfte vom unteren Stockwerk des damals sehr schlichten, kaum Palais zu nennenden Königshauses, inmitten einer das Herrscherpaar umstehenden Versammlung von Prinzen, Prinzessinnen und vornehmen Hofamtlichen etwa eine Stunde arbeitete, und mit der nötigen Hilfshandhabe das Verfahren bis zum Abdruck erläuterte. Auf einer zweckdienlichen Handpresse druckte ich ein preußisches Wappen, und da die Zuschauenden sahen, daß die Vervielfältigung nicht schwierig sei, machten mehrere den Versuch, selber zu drucken. Stets erweckte sich abermals Freude, wenn wieder ein Abdruck aus dem Preßchen kam, jedoch auch volles Gelächter, als die Oberhofmeisterin in einem andern Zimmer Dienende mit Seifenwasser anstellen mußte, zum Teil sehr zarte Hände von der anhänglichen Druckschwärze zu befreien. Diese konnte sich um so zudringlicher am unrechten Ort einfinden vermöge des Auftragens[76] der Farbe mit gepolsterten Ballen; denn im Jahre 1805 war die leichter bewegliche Walze noch nicht im Gebrauch.

Bei der erwähnten Versammlung sah ich zum ersten- und später noch zweimal, wie sich im Vorschreiten aus der Vergangenheit erörtern wird, die Königin Luise, hörte sie in Lebhaftigkeit sprechen. Eine zureichende Schilderung dieser Fürstin ist noch keinem gelungen, kann nicht gelingen; denn je mehr der Worte, je bestimmter fühlbar wird das Unbeschreibliche eines Gesamteindrucks solcher Gesamtanmut im Verein des bewundernswerten Äußeren mit dem klaren Geist im herzgewinnenden Redeklange. Die schönste Gestalt und die höchste Würdigkeit im bildungsreinen Denken wie im harm- und prunklosen Empfinden, dort wie hier gleichsam Durchsichtigkeit der Seele, als ob sich Überirdisches verkörpere durch überirdisches Wohlwollen – es ist anwendbare Sprachmalerei, die aber meiner Erinnerung nach länger als fünfzig Jahren noch bezeugt, daß sich ein Urbild weiblicher Hoheit, wie es die Natur aus ewig frischer Allmacht himmlischer Schöpfung empfangen zu haben schien, in keiner Weise vollendet schildern lasse. –

Wiederholend, daß ich in Weimar und Gotha mich zu einer Dorfpfarre gemeldet hatte, kam ich, von Jena geschieden, zum Freunde Martini, bei dem ich meinen Überallshelfer Böschel erkrankt fand, als er eben in einem Dorfe, unsern von Goldlauter, predigen sollte. »Das mußt du mir unweigerlich abnehmen, es kann dir gar nicht schaden!« sagte der Leidende, und Martini war gleicher Meinung. Auszuweichen wäre undankbar gewesen, auch gab die Örtlichkeit eine Genugtuung für den Wunsch der zum Frieden eingegangenen Großmutter: ich überwand mein Zagen und stand im Februar 1805 einmal vorund[77] nachmittags auf der Kanzel. Nach der Vorschrift hatte ich an dem bezüglichen Sonntage zu predigen über die Versuchung des Heilands in der Wüste, nicht die angenehmste Aufgabe; ich erwählte hauptsächlich die Bibelsprüche: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jeglichem Wort, das durch den Mund Gottes geht« (Matthäi, Kapitel 4, Vers 4), und: »Was hat die Gerechtigkeit für Genieß mit der Ungerechtigkeit? Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis?« (Epistel an die Korinther, Kapitel 6, Vers 14). – Verstanden hat man mich gewiß, denn ich habe eine mitunter zu kräftige Stimme, und in jedem anderen Betracht wurde ich mit bereitwilliger Zufriedenheit beurteilt.

Vom Gothaer Konsistorium hatte ich den Bescheid, der mir den Rechtsanspruch auf eine Pfarre bestätigte, und nun wartete ich bei Martini, war fleißig an meinem Kunstwesen, und abends wurde gelesen, so daß ich endlich ein paar Wochen gemütlich sorglos lebte, meine friedblütigen Träume sich jedoch auch wieder farbenreicher ergingen durch den Einzug des Frühlings. Da kamen wir nun an einem der ersten Maitage vom Felde, als es bereits dunkelte, auf dem Tisch in meiner Stube erblickte ich ein Päckchen, erkannte es noch als Postabgebung, und eilte damit nach dem erleuchteten Zimmer. Die Eltern hatten es gesandt, und was zeigte sich bei der Eröffnung neben anderem? Ich war am 13. April 1805 zum ordentlichen Mitglied der Königlich-Preußischen Kunstakademie ernannt; zugleich meldete man mir, ich solle Lehrer der Holzschneidekunst werden, schon vorläufig dessen Gehalt beziehen, was mir die Anweisung auf einen nachzuzahlenden Vierteljahrsteil bezeugte. – Mit mir kämpfend stand ich am Wendepfad meiner Zukunft! In schlafloser Nacht[78] sah ich ein, die Familienzustände müßten es andringlicher machen, meine ganze Zeit und Kraft dorthin zu lenken, wo das am Wege Gebotene unzweifelhaft ergiebiger wurde, als wenn ich, auch bei fortdauernder, gewiß nicht so umfangvoll möglicher Beschäftigung mit dem Holzschnitt, Inhaber einer erst in Aussicht gestellten Dorfpfarre wäre. Die innere Anmahnung mischte sich aber dennoch mit innerster Trauer! – Am nächsten Morgen lief ich durch Wald und Schlucht, zuletzt bergan, mich mit Gott und mir zu beraten, kann es auch nicht leugnen, daß ich bitterlich weinte, ehe ich die Entscheidung errungen hatte. Doch lernte ich sie, zuweilen freilich das Sonstige ersehnend, allmählich segnen, nachdem wachsende Welterfahrung mich begreifen ließ, wie wenig meine Gesinnung, die bei inniger Christlichkeit doch manchem Glaubensbefehl widerstrebte, mir die Lebensbahn geebnet hätte: denn eine hierin erläuternde Richtung war mit der Dorfpfarre und dem mir eingeschwärmten Dorf-Eden gradhin nicht zu vereinen. Jene Neigung tröstete sich in der Folge zuweilen mit einer geschriebenen Predigt, zum Beispiel: »Luther an die evangelischen Christen« (gedruckt in »Luthers Leben, Sterben und vollständige Geschichte der Reformation«. Berlin, Vereinsbuchhandlung), wobei ich mir die Brust aus dem Ernst erleichtern wollte, wie es aus spöttischer Lustigkeit geschah durch die »Glut- und Wutrede vom Geiste des Paters Abraham a Santa Clara« (in »Lachender Ernst und Stacheln der Laune.« Berlin, Vereinsbuchhandlung). Zu dichterischen Versuchen trieb mich mein Jugendzwiespalt auch, ich nenne nur die »Epistel an mein Tagebuch«, könnte aber in meinen Schriften noch gar viele Spuren des Kirchlichen nachweisen. Es geht daraus hervor, es sei mir erstens nicht möglich, Übersinnliches zu entbehren,[79] das vermag niemand; zweitens aber hüte ich mich, offenbar Übersinnliches mit weisheitlicher Schrauberei im Irdischen bannen zu wollen, was mancher Redefertige eben nur so vorspiegelt, daß er bei aller Redekünstelei sich doch nicht aus der Sinnlichkeit herauswindet und nur das Unbegreifliche vermehrt.

Zurückschauend auf meinen Schul- und Universitätsgang, verbunden mit der Kunst-Lehrzeit, ergründet sich, daß bei seltsam zerspaltenen, zuweilen sich abenteuerlich überstürzenden, gänzliche Verwirrung drohenden Verhältnissen, oft mit Schicksalslasten im Kampf, meine Bahn vielfach durchkreuzt und verschoben war. Bis zum neunzehnten Jahr wurde ich eigentlich nirgends heimisch, was mich in trüben Stunden schmerzlich ergriff, auch meinen Gesichtszügen sich anprägte, wie dies ein, vom geschickten Philipp Frank Jahre 1805 auf seinen Wunsch gemaltes Bildnis verrät; es offenbart unzweifelhaft Vergrämelung, von der ich erst lange nachher mich möglichst loszuwinden suchte. – Ersichtlich ist jedenfalls aus den erzählten Begebenheiten: ich habe das Glück der ersten Jugend, das Unbewußtsein über Weh- und Drangwogen des Lebens, fast völlig entbehren müssen; doch war dies wohl erforderlich, um meine heißblütige, zum heftigen Ausbruch des Denkens und Empfindens geneigte Eigentümlichkeit dem Gleichmut, der Vernunft im Ertragen des Törichten und Nichtvermeidlichen zu nähern. – Daß mir indes aus den Tagen der mancherlei Kümmernisse auch lichte Stunden in der Erinnerung gefolgt sind, geht aus dem Geschilderten hervor ohne nachdrückliche Hinweisung, und nur noch eine erheiternde Begegnung will ich bezeichnen. – Sie leitet meinen Rückblick auf eine Wittenberger Obsthändlerin, von uns Schülern »Mutter Trudchen« genannt. –[80] Bei dem unzulänglichen Gelde war, wie ich schon berührte, im Sommer meine Nahrung neben zuweiligen geschenkten Mittagsessen in Familien, wo ich auf verschiedene Art mit meinen geringen Fertigkeiten diente, Brot und Obst. Wenn es an die letzten Dreier ging, mußten Brot und Quelle genügen, und ich hütete mich, dort vorbeizugehen, wo Mutter Trudchen ihren Kram verlockend anbot. Eines Abends lief sie mir nach, hielt mich fest und fragte barsch: weshalb ich ihr kein Obst mehr abkaufe? Ich stotterte, wollte nicht heraus mit der Sprache, mich auch loswinden. Jetzt schrie sie mich an: »Schöpschriftel Er, ich werd's ihm sagen, wo's hängt; ihm fehlen die Batzen, das verschlägt aber nischt!« Dabei zog sie mich fort, hin zu ihren Körben, packte mir Obst in die Jackentaschen, gab mir einen Stubs und sagte heftig: »Nu marsch! 's ist ein Jammer mit Ihm, er wird mir aber nischt schuldig bleiben, und wenn Er wieder Umwege sucht, fährt Ihm's Wetter über'n Nischel!« – Von da an sah ich mich stets von ihr beobachtet, mußte mitunter auf Borg Obst von ihr nehmen; wenn ich dann meine Schuld tilgte, schien mir der Betrag sehr gemindert, und da ich ihn einmal berichtigen wollte mit meinem Zettelchen in der Hand, jagte sie mich von dannen nach der trotzigen Abfertigung: »Behalt' Er seinen Wisch und stopf' Er sich's Maul mit 'ner Birn', statt sich einzureden, ich hätt' was zu verschenken!« – Als ich nun im Jahre 1804 mit dem Buchhändler Gräff nach Leipzig fuhr und lief, bereits minder arm, und in der Hoffnung war, Mutter Trudchen lebe noch, hatte ich ein Säckchen mit Teltower Rüben – damals in jener Gegend sehr annehmenswert – und Kattun zu einem Kleide von Berlin mitgenommen, beides der Alten zu bringen. – Sie lebte noch, war höchlichst erstaunt, in der Meinung, daß ein Unbekannter[81] sie beschenke, und indem ich nun ihr Gedächtnis auffrischte, rief sie bei Freudentränen: »I Herr Je, der Kleene! – Du meine Güte, wie ist der aus sich 'rausgewachsen!« – was übrigens nur sehr bedingt aufzufassen ist, denn die Kleinheit wollte nicht sonderlich von mir weichen. – Da wir Januar und Schneegestöber hatten, gab sich Mutter Trudchen nicht eher zufrieden, bis wir ein »Schälchen Kaffee« von ihr annahmen; dann, als wir weiterfuhren, trabte sie, im dreiundsiebzigsten Jahre noch jugendlich flink auf den Beinen, unablässig dankend bis zum Tor neben dem Wagen her, und ihr bebender Abschiedsruf: »Gottes Segen auf Weg und Steg!« hallte in mir erschütternd nach.

Mit dem Vergangenen, mit der Schwärmerei für die Seligkeit in ruhsamer Freistätte, eine Schwärmerei, die aus allem Getümmel der Zukunft immer wieder emporstieg, einen leidlichen Vertrag abschließend, hatte ich vom Mai 1805 an in Berlin meine feste Werkstätte. Da förderte ich meine Arbeit noch an demselben Fenster, wo mich Reimann und sein fürstlicher Zögling beschäftigt sahen, gegenüber dem Garten, an den sich rasch verflogene Stunden des jugendlichen Leichtmuts während kurzer Aufenthalte bei den Eltern den Gedanken wieder anknüpften. – Der Friede war aber nicht mit mir eingezogen in meine bescheidene Räumlichkeit, ich hatte im Kunststreben nun noch verstärktere Anfechtungen als ehedem zu erleiden, mußte mich abermals waffnen. In mehreren Zeitschriften eröffnete sich mit gesteigertem Grimm der erneuerte Kampf gegen mich, wobei der Holzschnitt angewöhnter- und nachschwatzenderweise stets für anmaßend erklärt wurde, wolle er neben dem Kupferstich soweit geltend werden, daß er den vervielfältigenden Künsten mit Beachtung anzureihen sei. Den[82] Widersachern voran stritten ältere Mitglieder der Akademie, Rektor Daniel Berger und Professor Freidhof, nächst ihnen des Vize-Direktors Meil verschollener Neffe, der ohne gerechten Anspruch nach einer Stellung bei der Akademie trachtete, sie aber nie erlangen konnte. Alle drei waren Kupferstecher, die mich vom Jahre 1804 an unablässig öffentlich befehdeten, sich nun eifriger erhitzten, als man es nicht hatte hintertreiben können, daß ich in meinem neunzehnten Jahre ordentliches Mitglied der Akademie geworden und nach kurzer Vorbereitung im Frühjahr 1806 im Lehramt tätig war. Nun verzögerte man mit jedem Mittel das Patent zu dem mir verheißenen Professors-Titel, und obgleich ich von jeher über äußeres Anhängsel sehr kühl denke, die Zusage mußte mir erfüllt werden. Da jedoch die Kriegsrüstungen und der unheilvolle Krieg plötzlich dazwischenkamen, erhielt ich das Patent wirklich erst 1808 von Königsberg aus, wo das vom Schicksal schwer geprüfte preußische Fürstenpaar noch bis zum Ende des November 180!9 verweilte. – Während voller vier Jahre mußte ich ungezählte Mal mich wehren, es geschah in Merkels »Freimütigen«.

Wenn jetzt ein solcher Hader gegen den Holzschnitt kaum aufzuwühlen wäre, ist es ratsam, ihn nicht wieder breit werden zu lassen in Worten. Wie leidenschaftlich aber meine Gegner sich benahmen, das sei in ein paar Zügen aus dem Jahre 1806 und 1808 versinnlicht. – In mein Lehramt eingeführt, sah ich im Versammlungs-Zimmer der Mitglieder noch die altväterischen Stühle mit mannshohen Lehnen und Lederpolstern; auf einen derselben hinweisend, sagte ein Lehrer im Kupferstich zu mir: »Hier ist Ihr Platz; 's ist nur ein schlichter Stuhl, aber Schnitzwerk können Sie sich ja selber machen!« Schon gereizt durch die bisherigen,[83] mir Zeit und Ruhe schmälernden Befeindungen, entgegnete ich in jugendlicher Raschheit: »Ich bin kein Freund unnützen Zierrats, Ungehobeltes kann ich aber allerdings nicht leiden!« Von den uns Umstehenden ließ sich ein leises Gelächter vernehmen, womit anscheinend dieser? Nebenstreich des Grolls zurückgeworfen war.

Hatte ich bei meinen ersten Holzschnitt-Versuchen von Mißgünstigen viel zu leiden, es mangelte, wie bereits erwähnt, auch nicht an Wohlwollenden, die mich ermutigten. – Dies bezeugt – zum Beispiel – der im Kunstbereich geschätzte Böttiger, dessen betulich Wesen sein hier folgender Brief ein wenig mitschildert:


»Dresden, d. 11. August 1805.


Mein teuerster Herr und Freund!


Dank für den schönen Genuß, den mir Ihre für Cottas Taschenbuch geschnittenen zwei herrlichen Blätter verschafft haben. Die Landschaft nach Repton ist wirklich in Absicht auf Helldunkel und Abstufung der Töne, was der Franzos faire l'impossible nennt. Und doch können Sie sehr recht haben, daß der wahre Effekt erst auf einem größeren Raum herauszubringen sein dürfte. Ich freue mich daher außerordentlich, daß Ihr Freund Herr Bohm mir sagt, daß Sie an einer größeren Landschaft nach Genelly arbeiten und dadurch auch Ihrem Gegner das Maul zu stopfen gedenken. Sie haben allerdings einen kundigen und vielseitigen Gegner und jedermann wird auf den Ausgang nur um so begieriger sein. An Neidern kann es Ihnen bei der Auszeichnung, die Ihr braver König Ihrem Verdienst widerfahren ließ, gewiß auch nicht fehlen. Aber wie schön ist's, so beneidet zu werden!

Ich wünsche, daß meine Erklärungen zu Ihren Hochoder[84] Holzschnitten im Cottaischen Taschenbuch Ihren Beifall haben mögen. Sie sind mir darum doppelt merkwürdig, weil Sie auch ein wackerer Zeichner sind, und nun wissen, was Sie sich in der Vorschrift zumuten können. Ohne diese Fertigkeit ist der Holzschnittkünstler nur in einer mechanischen Sphäre. Mögen Sie nun auch die Grenze Ihrer Kunst immer ermessen! Zur Darstellung von Körpern en ronde bosse, von Drapierung im historischen Felde halte ich Ihre Kunst weniger geschickt. Ihnen, dem Meister, darf ich nicht erst sagen warum? Es ist aber die größte Meisterschaft, seine Grenzen anzuerkennen und nicht auf der Flöte Harmonikatöne zu verlangen. Gewiß mußten Sie bei der Arbeit nach Rehbergs Belisar noch größere Kunst anwenden als in der Landschaft nach Repton. Es ist erstaunenswürdig, was Sie auch in diesem historischen Stück geleistet haben. Aber jedermann greift doch zur Landschaft, auf welcher die Figuren wohl nie die Grenze der Staffage überschreiten dürfen.

Verzeihung, daß ich Ihnen so offen und herzlich meine Meinung schreibe. Aber ich bin stolz darauf, in Ihnen einen deutschen Landsmann zu achten und ihn den stolzen Briten keck entgegenstellen zu können, was ich vor wenigen Tagen auch in einem nach London geschickten Aufsatz getan habe.

Sie werden mir eine wahre Freude machen, wenn Sie mir Ihre sämtlichen Werke, insofern Sie noch Abdrücke davon besitzen, zur Einsicht mitteilen wollen, da ich nur einzelne Blätter davon, die in Journalen erschienen, gesehen habe. Und wo ich Ihnen sonst meinen herzlich guten Willen beweisen kann, sagen Sie mir's. Ich will von meiner Bereitwilligkeit nicht erst viel Worte machen.[85]

Leben Sie wohl! Geachtet vom Inlande und Auslande werden Sie nie stillstehen. Mit wahrer Hochachtung Ihr

ergebenster Diener und Freund

Böttiger.«


Der Zwischenzeit wieder zugewendet, war es mir erfreulich, daß mein erweitertes Hinleiten des Holzschnittes veranlaßte, dem Königspaar abermals in kleinem Kreise die Behandlung der Platten durch eine Landschaft nach Klengel in der Tusch-Art, dann durch das Heilandsbild nach Lucas Cranach im Farbendruck deutlich zu machen, was sich an zwei Abenden in erster Hälfte des Jahres 1806 ereignete. Die Königin Luise zeigte sich dabei sehr teilnehmend und einsichtsrasch, ich mußte erstaunen, wenn sie zuweilen meiner Erklärung schon voraus war, was heitere Laune erregte. Bei aller Ehrfurcht verließ mich doch beide Male immer mehr die Befangenheit, wenn sie bezaubernd lächelte über das derzeit noch fast gänzlich unbeherrschte Offene meines Wesens. Es konnte das Ungewandte einer meist im Einsamen bei rastlosem Fleiß durchjagten Jugend, die Unbekanntschaft mit dem Weltschliff nicht verhüllen, und darf ich mich überhaupt der Geschicklichkeit im Förmlichen nicht rühmen, gestehe ich doch auch, mich um einen solchen Ruhm nie bemüht zu haben: er ist mir ebenso unerreichbar als unbegehrt.

An einem der beiden Abende, die mich noch bei dem traulichen Königspaar ermutigten, wurde es von Reimann verraten, daß ich in Erholungsstunden zuweilen Verse schriebe, seine Höflichkeit sprach von Gedichten. »Da wird sich der Pastor Luft machen!« äußerte der König, und als ich darauf mich nur verbeugte, setzte die Königin schnell hinzu: »Es ist nicht bös', es ist gut gemeint!« Durch[86] diese Wendung des Gesprächs kam die Königin zu der Bemerkung: sie liebe noch immer Gellert; die mitanwesende Oberhofmeisterin Gräfin v. Voß lobte aber allerlei Französisches, unter anderem ein kleines Gedicht, was der französische Flüchtling Antoine Rivarol im Jahre 1799 bei einem Larvenfest, wo er als »Fledermaus« erschien, der Königin überreichte. Die alte Gräfin meinte, diese »pièce«, so »ravissant«, würde im Deutschen »absurd« klingen. Ihr Brieftäschchen bewahrte die Urschrift, aus der sie den Vers vorlas; auf mein Ersuchen erhielt ich das Geschriebene auch zur Ansicht, und las nun mir selbst diese sechs Zeilen:


»Puisque le sort m'a fait chauve-souris,

Je vois en Vous le belle astre des nuits;

Il faut des sa metamorphose

Que chaque être garde le ton:

Car si j'etois un papillon,

Je Vous prendrois pour une rose.«


Als Deutscher von den Äußerungen der Gräfin von Voß gekränkt und gestachelt, wagte mein Bleistift, nach der Bitte um Erlaubnis, die hier mitgeteilte freie Übertragung:


»Weil Fledermaus ich ward durch Schicksalsmacht,

Erblick' ich dich als schönsten Stern der Nacht;

Doch wenn ich, jetzt die Wandellose,

Ein ander Wesen nun empfing',

Und würde dann zum Schmetterling,

Dich grüßt' ich als die schönste Rose.«


Die Königin, das Schnellgereim sehr freundlich anhörend, sagte nachher zu der Oberhofmeisterin: »Wenn Ihnen die französische Flatterie des Aufhebens wert ist, legen Sie gewiß das Deutsche hinzu!« – und Reimann besorgte sogleich eine Abschrift. – Solche Einfachheit, bei der auch ein Schüchterner offenmütig wird, hatte sich damals im Königshause eingewohnt.[87]

Von einem neuen Kampf, in anderer Richtung als der erwähnte, ist aber auch zu berichten; er begann in erster Hälfte 1805 und zog sich hin bis zum Mai 1806. Wieder hatte ich es mit einem Kupferstecher zu tun, der durch Kunstblätter in Aquatinta sich auszeichnete. Der Streit betraf das erste bekannte preußische Papiergeld, indem nun der Minister von Stein die einst seinen amtlichen Vorgängern nicht gestatteten »Tresorscheine« in den Verkehr brachte. – Über deren beabsichtigte Anfertigung erfuhr ich nichts, bis jener Kupferstecher Frick zu uns kam, meinen Vater für den Stahlstich, mich für den Holzschnitt zu dingen auf Grund eines Plans, den er dem Minister v. Stein vorgelegt, den dieser auch bereits in aller Form gebilligt, und Frick beauftragt hatte, sich mit uns zu verbinden. Augenblicklich erkannte ich, man hatte uns eigentlich überhaupt wegschieben wollen; das wäre allenfalls zu dulden gewesen. Ich fand aber den mir vorgelegten Plan und das daraus Entstehende unzweckmäßig, die Nachahmung selbst bei den damaligen Mitteln leicht, und erklärte: auf diese Vorschriften könne ich nicht eingehen, weil sie für das Wichtigste und gegen das Gefährlichste dem Volk keine Sicherheit verbürgten, während ich zugleich mit dem größten Teil der Arbeit beansprucht, also, ohne über deren Anordnung eine Stimme zu haben, dennoch verantwortlich würde. Frick hatte nur ein in Art der Aquatinta entstandenes, für die Buchdruckerpresse zugerichtetes Ätz-Wirrsal einzufügen, und verhärtete sich in seinem, dem Minister v. Stein mit Nebenhilfe beigebrachten Glauben: weil solch Anhängsel ein zufälliges Erzeugnis sei, müsse es auch unnachahmlich sein. Auf gleichem Wege war freilich das gleiche nicht zu erzielen, aber Fricks Einseitigkeit bedachte nicht und wollte[88] nicht darauf hören, daß die Kunst Zufälliges und Regelloses beherrsche, dies bei dem Prüfen einer Nachahmung keinen festen Halt biete, nächstdem aber jedenfalls alles, was in solcher Unbestimmtheit von der Buchdruckerpresse erlangt wird, durch den Holzschnitt sich herstellen lasse. Der von dem Minister schon soweit Begünstigte, daß seine Selbsttäuschung unbedingte Geltung haben sollte, blieb bei der Antwort: sein Plan müsse ohne Abändern befolgt werden. – Den Vortrag bei Stein hatte der Geheimrat Alberti, an diesen wandte ich mich mit Darlegung dessen, was ich dem Unternehmen als nützlich erachtete; er war meiner Ansicht, wünschte ein schriftliches Erläutern: ich gab es, und wurde abschlägig beschieden. Nochmals weigerte ich mich, unter so abgeschwächter Vorsicht mittätig zu werden, und erbot mich zur Nachahmung der Muster-Vorlagen: sie wurde bewilligt, dann verhindert, und endlich hatte meine Beharrlichkeit im Recht nur bewirkt, daß auf mir die Schuld lasten solle, »könnten nicht die Tresorscheine aller Kategorien spätestens bis zum 1. Juli 1806 ausgegeben werden«. Dieser Drohung mußte ich nachgeben, da ich Seitenwege nicht betreten mochte, dies auch nicht verstehe; mit den besten Kräften tat ich dann, was mir innerhalb der Einengung möglich war, wurde nun aber sogar von der mir vertragsgemäß zugesprochenen Aufsicht bei dem Druck entfernt, wodurch dieser ebenfalls litt.

Noch mitten in so empfindlicher Zwistigkeit war ich an einem Februarabend 1806 Gast des achtungs-und liebenswürdigen Kabinettsrat Beyme, der die ersten, dem Könige vorgelegten Abdrücke der Tresorscheine höherer Beträge mit Belobung meiner Arbeit dem auch anwesenden General v. Köckritz zeigte. In meinem noch heißen Eifer konnte ich mir nicht zumuten, das mir Widerfahrene und mein[89] Urteil zu verschweigen; mein Verdruß machte sich ohne Rückhalt Luft. Wie mir später Beyme mitteilte, hatte der bei dem Fürstenpaar sehr beliebte und heimische Köckritz dem Könige gesagt: ich erkläre die Tresorscheine für leicht nachahmlich; der besorgliche Friedrich Wilhelm III. wollte darüber beruhigt sein, und dies hat denkbar veranlaßt, daß der Minister v. Stein an meinen Vater – nicht an mich Zwanzigjährigen, der mutmaßlich noch als Bevormundeter betrachtet wurde – schrieb:

»Da ich höre, daß Sie geäußert haben: es sei sehr leicht, diejenigen Verzierungen, womit die Tresorscheine, außer den von Ihrem Sohne verfertigten Holzschnitten, bedruckt worden sind, vermittelst des Holzschneidens nachzuahmen, und Ihr Sohn würde dieses leicht bewerkstelligen: so fordere ich Sie hiermit auf, sich darüber bestimmt zu erklären, und mir über diese Behauptung einen Beweis zu liefern.

Berlin, den 3. März 1806.

Stein.«


Darauf entgegnete ich in aller vorschriftlichen Form:


»Hochwohlgeborner Herr,

Hochgebietender Herr Minister,

Gnädiger Freiherr!


Ew. Exzellenz Schreiben vom 3. März d.J. habe ich zu beantworten, berufe mich auf die mannigfachen früheren Erörterungen, und ist jetzt nur zu bestätigen, daß nach dem vorhandenen seichten, von mir ohne Erfolg abgewehrten Plan, bei bestem Willen meiner seits, die Tresorscheine doch nur ein verfehltes Resultat ergeben konnten. Den Beweis zu liefern, war ich zu rechter Zeit erbötig, jetzt, da die Tresorscheine bereits in Umlauf sind, ist zwar[90] die Nachahmung ohne Zweck, doch will ich sie beschaffen, vorausgesetzt, daß man mich für die aufgewendete Zeit und Auslagen entschädige.


In Ehrfurcht

Ew. Exzellenz

untertäniger

F.W. Gubitz.«

Berlin, 8. März 1806.


Ein schriftlicher Bescheid wurde vermieden, ich mußte persönlich bei Stein mich einfinden; er behandelte mich, da ich zu einer anderen Meinung ungefügig blieb, mit etwas derber Rede, was ich mir nicht gefallen ließ, sondern meinen Worten die Untertänigkeit entzog, wonach er mir nur mit einer Handbewegung die unholde Entlassung bemerklich machte. Dann wurden mir, während man Frick merkwürdig reichlichst belohnte, von 1200 Talern 220 gestrichen, wogegen ich wiederholt Einspruch tat, der jedoch im nahenden Waffensturm verscholl. – Zu meiner Rechtfertigung, wenn sie nötig würde, gab ich aber versiegelt an zwei Behörden eine schriftliche Schutzgewähr, um für den Fall, wenn falsche Tresorscheine sich einfänden, an bezüglicher Stelle ohne Verzug die Auslieferung geschehen zu lassen. Nach dem Tilsiter Friedensschluß und Wiederbeginn der preußischen Verwaltung kam nun der auch als Dichter namhafte Geheime-, nachherige Staatsrat Stägemann, mit bei den Bankgeschäften beteiligt, zu mir und sprach von schon längst entdeckten falschen Tresorscheinen. Mir stieg begreiflich das Blut, Stägemann aber sagte: »Nur ruhig, wir kennen schon Ihre Verwahrung, und ich will Sie nur ersuchen, mir zur öffentlichen Bekanntmachung Unterscheidungszeichen zu ermitteln.« – Ausgleichend ist in Betracht des Ministers[91] v. Stein zu erwähnen, daß ich von ihm während der Kriegszeit, hinsichtlich meines schriftstellerischen Bemühens gegen die Schmähung Preußens, anerkennende Briefzeilen empfing. Als er dann auf Antrieb Napoleons weichen mußte, und erkrankt ein paar Tage im Bankgebäude Berlins bei Stägemann wohnte, ließ dieser mich freundlichst rufen, und jetzt gab mir Stein Genugtuung, indem er gestand, er hätte auf meinen Widerspruch in jener Angelegenheit mehr achten sollen. – Wenn ich nicht verhehlte, daß meiner Erinnerung die Tresorscheine keine Schatzpapiere sind wegen des damit verknüpften Leids, habe ich doch bei mehr erhellter Umsicht die Bedeutsamkeit des mitunter freilich allzu herben Staatsmannes zu ehren gelernt.

Die geschichtlichen Ereignisse verwickelten sich bald nach dem Einführen des ersten preußischen Papiergeldes zum gemeinsamen Unheil; meine Anstellung half mir bis dahin nur wenig, um so weniger, weil durch sie auch die Anforderungen sich steigerten. Da ich viele Besuche empfing, in die Gesellschaftlichkeit hineingezogen wurde, mehr, als mir geübten Stundensparer erwünscht war, ich vor allem mit dem uns möglichen Aufwande an umfassenderen Kunstbetrieb durch Schüler dachte, hatten wir uns in besserer Wohnung auch besser eingerichtet, und nun überstürzten uns 1806 die Kriegswirren. Sie ließen plötzlich den habgierigen Feind zum Gebieter werden und belasteten alle Zustände, was mich hart betraf. Die Gehaltszahlung blieb aus, und in dem von napoleonischer Gewaltherrschaft unterjochten Deutschland wagte man sich einstweilen gar nicht an Unternehmungen, die künstlerischer Beihilfe bedurften. – Bei den wieder ausgedehnteren Sorgen blieb mir aber im Gottvertrauen,[92] mir schon oft bewährt, der Mut aufrecht, und die von Bestellungen im Holzschnitt nicht ausgefüllte Zeit verwendete ich zu schriftstellerischen, teilweise etwas einträglichen Versuchen, auch in der Bühnendichtung, die meine Neigung zu sich hinlenkte.

Bekanntschaften, die mich weiter in die Bücherwelt und zur Einsicht in buchhändlerische Verhältnisse führten, fehlten mir bald nach meiner dauernden Einwohnung in Berlin keineswegs. Sie breiteten sich vom Jahre 1805 an zuerst aus im Kreise der Berliner Buchhändler, ich nenne voran Nicolai. Der Zweiundsiebzigjährige, auf einem Auge Erblindete, war noch so berührig und kampfbereit, wie man ihn kennt aus seinen streitvollen, ebenso viel belobten als befehdeten Schriften. Mir war Nicolai freundlich gesinnt, auch hatten wir Berührungen in unsern Denk-und Glaubensrichtungen. Vor allem habe ich ihm das Unterstützen meines Lerndranges nachzurühmen, indem er mir seine allsachlich wertvolle Büchersammlung unbeschränkt zur Nutzung anwies. In meiner – tatsächlich völlig wahren, nur hinsichts der Verbindung ersonnenen – Erzählung: »Aus den Aufzeichnungen eines Buchbinders« (»Volkskalender für 1858«) gehören die Begegnisse mit Nicolai zu meinen eigenen, und sind ganz einzuschalten als mir zutulicher Ausdruck väterlichen Wohlwollens des Alterfahrenen:

»Erfreut über meinen Eifer, mich in den Mußestunden zu belehren, hat er mir oft erlaubt, mit seiner reichen Bibliothek mich bekannt zu machen. Nicht selten stand ich da auf der Leiter, die hochgereihten Schriften mir anzusehen, und stets hat er die Bitte gewährt, mir dieses oder jenes Buch zu leihen, wobei er dann in Gütigkeit die Mahnung hinzufügte: nicht flüchtig zu lesen, sondern das[93] eigene Nachdenken zu stärken, ohne nur im geringsten die Tätigkeit für die notwendigen Lebensbedürfnisse zu beeinträchtigen. ›Die geistige Geschäftigkeit darf die der Hand nicht stören‹, sagte er, als ich Moses Mendelsohns ›Phädon‹ von ihm erhielt; ›das Gleichgewicht zwischen Geist und Körper, das richtige Verhältnis beider stärkt die gegenseitigen Kräfte; die Hand ruhen lassen und daneben sich nur in Ideen vertiefen, führt dahin, daß Herz und Seele Grillen fangen, die selbst ein guter Kopf manchmal nicht zu beseitigen weiß; fühlt man sich aber zufrieden durch sein Tagesgeschäft, ist es innen am hellsten, um das Geistige in gesunder Würdigkeit aufzunehmen.‹« – »Es fügte sich, daß wir einmal über Goethes ›Leiden des jungen Werther ‹ Worte wechselten, wobei er mir erlaubte, aus einem Briefe Lessings folgende Stelle abzuschreiben: ›Bei dem Unheil, welches dies warme Produkt leicht stiften könnte, wünschte ich, Goethe hätte Winke gegeben, wie Werther zu einem so abenteuerlichen Charakter gekommen, wie ein anderer Jüngling mit ähnlichen Anlagen sich davor bewahren könne. Ein solcher dürfte leicht die poetische Schönheit für die moralische nehmen und glauben, daß gut gewesen sein müsse, der unsere Teilnahme so stark beschäftigt, und gut war Werther doch wahrlich nicht.‹« – Als ich mich einst unterstand, Nicolai zu beklagen über die vielen Angriffe, die er öffentlich von sich abwehren mußte, sagte der alte Herr lachend: »Ich rate jedem, den modischen Philosophen nicht so viel Zeit zu opfern als ich; da will immer eine Philosophie die andere verschlingen, und am Ende weiß man nur, es sei wohl das beste, sich die Seele zu nähren aus dem größeren oder geringeren Schatz seiner eigenen Anschauung und Erfahrung.« – Hatte dies offenbar deutlichen[94] Bezug auf Fichte, ist doch in Billigkeit anzufügen, daß, trotz öffentlicher Kämpfe und noch lebhaften Zorns gegen dessen »Wissenschaftslehre«, Nicolai den Gesinnungswert seines Gegners nicht schmälerte, ohne die verfochtene Ansicht einzuschränken, wonach ihm der neue Denk- und Lehrbau Zeugnis von ausschweifender Selbstüberschätzung der Jugendweisheit war.

Eine andere, buchhändlerische Bekanntschaft schon von 1805 an wurde Friedrich Maurer, der mich nicht nur künstlerisch und schriftstellerisch beschäftigte, sondern auch in das Gesellige seines Familienkreises einführte. Er war begieriger Sammler meiner Holzschnittabdrücke, aber auch mannigfacher, zum Teil sehr wertvoller und nicht leicht zu beschaffender Gegenstände. Gemälde, Kupferstiche, Münzen, Muscheln, Steinarten und Versteinerungen, seltsame Waffen bis zum vergifteten Pfeil der Wilden, dies, nebst noch allerlei Erzeugnissen der Natur, Kunst und Völkereigenheiten, fand man bei ihm angehäuft; etwas Neues vorzuzeigen und in seine Schränke einzuordnen gedieh ihm zur genugtuendsten Festtagsfreude. Für Einzelnheiten hätte ich aus jener Zeit viele habselige Sammler zu nennen: das Tummeln irgendeines Steckenpferdes mit wissenschaftlichem oder künstlerischem Anstrich gehörte, wenn die Barschaft reichte, zur gemütlichen Unterhaltung in den Familien; daß sie aber mitunter auch dabei litten, laßt sich nicht leugnen, denn in Liebhabereien ist der Bestand des Maßhaltens sehr schwierig. Meine Neigung lenkte mich zu Gemälden und Blumen, ich sah aber bald ein, daß hierzu weder meine Zeit noch mein Geld hinreichen würde, verkaufte ein paar Gemälde, die ich schon erworben hatte, beschränkte zugleich die Blumenpflege wechselnd auf ein Gewächs, und hat man sich in Verlockungen nur erst[95] einmal überwunden, bleibt uns die Versuchung fern. Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts war jedoch die Luft des Sammelns wahrhaft ansteckend, und bei überschwenglichen Mitteln durfte man es loben, so – zum Beispiel – in bezug auf einen sehr alten und sehr reichen Bankier Daun, der, von seinem Handelsgeschäft zurückgezogen, das derzeit stattlichste Haus in Lützow bei Charlottenburg bewohnte. Da hatte ich noch das Glück, die umfangsvolle Kupferstichsammlung zu sehen, namentlich auch Rembrandts Radie rungen in vollständigster Zahl, und mir wurde erzählt: die Kaiserin von Rußland, Katharina II. habe einst dem Besitzer dafür hunderttausend Dukaten geboten. Das ward für den schon sehr greifen Daun die Ursache einer schlaflosen Nacht, am Morgen sagte er sich dann: »Hunderttausend Dukaten habe ich auch und die Rembrandts dazu; die Kaiserin hat nur die Dukaten, die vollzähligen Rembrandts aber nicht; folglich muß ich diese behalten, um von einer Kaiserin beneidet zu werden.« Dieser Entschluß mag zugleich einen Begriff geben von Dauns Reichtum. Seinen Erben muß dann die Liebe zu Kunstschätzen gefehlt haben: sie wurden in öffentlicher Versteigerung davon befreit, und Rembrandts Radierungen erwarb der Buchhändler Maurer bis zum äußersten wohlfeil. So umgestalten sich Zustände und Verhältnisse! – was dem übervollen Anerbieten einer Kaiserin verweigert worden war, das erhielt ein Bürgersmann für einen, im Vergleich kaum nennenswerten Geldbetrag.

In bescheidenem Verlangen nach Vergnügen und Erholung hatten Nicolai und Maurer sehr einfache Sommerwohnungen in Stadtgärten, sahen dort zuweilen Gesellschaft bei sich. So veranlaßte sich im Juli oder[96] August 1806 bei Maurer mein einziges Zusammentreffen mit Ignatius Feßler, und mein erstes mit dem überspannten Zacharias Wer ner. Jener, nicht nur in verschiedener Richtung als bedeutsamer Schriftsteller, sondern auch in gefährlichem Schicksalswechsel als mannhafter Kämpfer bekannt, war im Gespräch zwar ruhiger, doch scharfer Art. Vom Katholischen und dem Mönchstum zu tätigem Widerspruch übergegangen, hatte er Werners am 11. Juni 1806 zum erstenmal auf dem Berliner Theater dargestelltes Schauspiel: »Die Weihe der Kraft« mit dem wunderlich behandelten Luther nicht behaglich gefunden, und warf allerlei Spitzrede in die Unterhaltung. Werner war leicht aufzuregen, wurde aufgeregt, und obwohl der Ansicht Feßlers anhänglicher, nahm ich teils des Friedens wegen, teils aus jugendlichem, durch Beliebtheit allmählich etwas verwöhnten Übermut anscheinend Partei für Werner, der darüber im mißverständlichen Überschätzen meiner Einmischung außer sich geriet und zu mir eilte, mich zu umarmen. Da erhob sich Gelächter, der mitanwesende Professor Fischer, vertrauter Freund Feßlers, und mit diesem Herausgeber der Monatschrift »Eunomia«, rief aus: »Nichts als Neckerei, Herr Werner; wir wissen es, über Ihre ›Weihe der Kraft‹ ist der junge Schalk unserer Meinung!«– und jetzt verriet er, daß ich wenige Tage zuvor mit folgendem Reimsprudel belustigt habe:


»Frömmelnde Demut,

Tändelnde Wehmut,

Sinnlich Verhimmeln

In Wortgewimmeln –

Bilden in Reihe

Mystische Weihe.
[97]

Wirriges Toben,

Selbstisches Loben,

Zwiespalt der Dichtung

Schwebelnder Richtung,

Geist, der erschlafft,

Das ist die Kraft!«


Dieser gesellschaftliche Scherz des Augenblicks ließ sich nicht ableugnen; den mindestens sehr unzeitigen Verrat zu verhindern, war mir mißlungen, und ich begriff, daß sich Werner mit Recht verletzt finden konnte. Er verhehlte dies nicht, und fruchtlos blieb einstweilen mein Bitten: er möge einen vorlauten Einfall so unschwer nehmen, als er ausgeschwatzt wurde. Werners bewundernswerte rednerische Fähigkeit befeuerte sich nun abermals an den ätzenden Bemerkungen Feßlers über den »wieder katholisch gewordenen Luther«, und ich, in meinem einundzwanzigsten Jahr noch erfüllt von meinem Hirngespinst kirchlicher Umschaffung, stand endlich ganz auf der Seite Feßlers, wobei ich stets die dichterische Macht Werners hervorhob, ohne jedoch zu verschweigen, daß, soweit ich Neuling in der Geisteswelt überhaupt zu urteilen vermöge, und urteilen dürfe, auch in seinem dramatischen Gedicht: »Die Söhne des Thales« Annäherung zum Katholischen erkennbar wäre. Mir wurde beigestimmt, Werner stritt eifrigst dagegen, wie es schien aus innerer Beglaubigung; jedenfalls schien er darüber noch ohne klares Selbstbewußtsein, konnte aber doch die Erkenntnis seiner Anfechter nicht erschüttern, und ich meine, mir haben sich – später zu besprechende – Zeugnisse geboten zum Befestigen der Wahrnehmung: Werner sei schon damals mitten im Abfall von Luther gewesen. Dies ward nach der öfteren Darstellung des Schauspiels: »Die[98] Weihe der Kraft« fast ein allgemeines, ob auch nicht vollauf deutliches Empfinden, und die noch im Sommer 1806 von Offizieren auf Rollwagen veranstaltete Schlittenfahrt, wobei man die Gestalten der Wernerschen Dichtung als Spottbilder veröffentlichte, war unzweifelhaft Ausdruck des Volksgefühls. Iffland, der sich in Verlarvung dieses, von ihm eigentlich veranlaßten »Luther« sehr gefiel, beschwerte sich über den verwegenen Schlittenschwank, die Veranstalter mußten ihn dann auch mit leichter Hast büßen.

Habe ich hinsichtlich Maurers in der Nachzeit Begegnisse einzutragen, ist hier, um meine Kenntnis über den sonstigen Buchhandel zu bevorworten, noch des Buchhändlers de la Garde zu gedenken, mit dem ich mehr in gesellige als geschäftliche Verbindung kam, der aber seinen Beruf mit geistigem Zweck verband, Verlagswerke nicht nur wie gelderwerbende Ware, sondern auch der Nützlichkeit verpflichtet erachtete. Überhaupt hielt sich der Buchhandel damals meist würdig, was heut offenbar minder allgemein zu sagen wäre. Dies verschuldete ursprünglich die sich weit ausbreitende Hausiererei, wodurch man mit einzelnen Bogen und dünnen Heftchen für Weniges, von einem Groschen an, der Menge nicht selten Greuelhaftes in die Familien treibt. Frönend ist dabei eine wegelagernd lungernde Schriftstellerei, die vielen das Sinnige in Sinnliches verkehrt, der Lauheit gefällig, indem man ohne Prüfung nur liest, was zur Tür hereingereicht und aufgedrängt wird; oft vermöge einer an Un- und Mißbildung haftenden Dreistigkeit, deren sich die wahre Bildung schämt. Als de la Garde den Urbeginn dieses Überganges spürte, wurde er bedenklich, überlegte, ob er von dem, was er hatte, ohne Prunk mit den Seinen[99] leben könne; da »Soll« und »Haben« leidlich stimmte, zog er sich zurück, überließ die Buchhandlung seinem Schwiegersohn, der damit aber alsbald nach Leipzig auswanderte. Mir war de la Garde noch deswegen anregend, weil er bei geläufigst französischer Sprache das altfranzösische Wesen ebenso mit kluger Gewandtheit wie mit seinem Schliff und unverletzend einströmendem Witz an- und durchschaulich ausprägte. Der Verein dieser Eigenschaften bewirkte ihm dann auch die willig übernommene Last, während der französischen Erpressungen in Berlin »Präsident des städtischen Comité administatif« zu sein, eine Stellung, die ihn jedenfalls von der Beliebtheit entfernte.

Berlins Zustände vor und nach der Schlacht bei Jena sind oft geschildert worden, es scheint mir nicht ratsam, mich darüber in Umständlichkeit des einzelnen auszubreiten; eingefügt sei nur, was meine Auffassung des Geschichtlichen bezeichnet, dabei noch bevorwortend, daß ich bis zu Ende 1806 allerdings in den Staatshändeln ein Uneingeweihter, mit den Zeitungen aber ziemlich vertraut war von da an, als ich ihrer habhaft wurde. Wie fast sämtliche strebende Jugend hatte ich in den Kindesjahren für die Pariser Umwälzungen oberflächlich geschwärmt, schauderte aber bald zurück vor der mordwütigen Vielherrschaft, begrüßte Bonaparte als vermeintlichen Retter, um so lebhafter, weil ich ihm recht gab in bezug auf die ehemals noch ungebändigteren Schiffahrts- und Handelsanmaßungen Englands, verbunden mit dessen vorteilsdienlichen Aufhetzereien innerhalb der Festlande. Nachdem mit dem Kaiserprunke und Allbeherrschungspläne in Bonaparte sich der gewaltsamste Volksbedrücker ausbildete, während er in seiner eroberten Machtstellung das Außerordentlichste für die[100] Menschheit hätte tun können, wandte sich meine Neigung von ihm ab, und ich dachte fast ausschließlich nur an Deutschland. – Keineswegs hatte sich mir jedoch im Zusammenfluß meiner verschiedenen, schwer ineinander zu bindenden Tätigkeit eine solche staatskluge Kenntnis angeeignet, um mir klare Beurteilung zutrauen zu dürfen. Indem sich aber mein Denken nie vom Gefühl trennte, bildete sich mir im Jahre 1805, da der deutsche Kaiser Franz gegen das stets habgierige Franzosentum wieder zu den Waffen rief, die Meinung: Preußen müsse, als eben auch das russische Bündnis sich anbot, sogar zum Abschluß gedieh, unverzögert Österreich zu Hilfe kommen. Sei es doch gleich hier – ich schrieb dies im Jahre 1864 – nicht verhehlt, daß mir ein dauernd einiges Deutschland, soweit es überhaupt möglich, nur dann als erreichbar vorschwebte, wenn Österreich und Preußen von ihrer Vorrangshaderei sich gründlich heilten. Mit dem Freunde Reimann hatte ich zuweilen Abendgespräche über die verworrenen Zeithändel, war mit ihm einverstanden in Friedenswünschen, nicht aber in dem, was Hemmnis werden könne gegen das Voraussichtliche, das Unvermeidliche, wenn es nicht abgewehrt würde durch treu verbundene Kräfte, die manchen Krieg und manches Unheil für Deutschland unmöglich gemacht hätten.

Nach dem Frieden zwischen Osterreich und dem französischen Umsichgreifer wurde von diesem Preußen noch ungezähmter und höhnischer mißhandelt als bisher, und in Berlin kreiste ein meistseitig irrlichterndes Gewirbel der Ansichten. Unterstützt vom Prinzen Louis Ferdinand – der seine sämtlichen Fähigkeiten schwächte durch die Unfähigkeit, Maß zu halten, dies aber mit dem Tode auf dem Schlachtfelde gesühnt haben mag – gaben viele Offiziere[101] übermütig stürmische Zeichen, daß man Krieg gegen Napoleon verlange. Die leicht in jedem Lärm ungleicher Richtung einzutummelnde Menge, bei der die Mut-oder Freudenschreier stets die Schwachhirnigsten sind, benahm sich nun, als wäre man in volksfestlichem Aufschwunge, und von der Bühne her beförderte man die Reizflut der Aufregung. Dort wurde durch Vermittelung des Livländers Merkel, der vor dem Einmarsch der Franzosen aus Berlin nach seiner Heimat flüchtete, gesungen: »Der Krieg ist gut, im Reiben seiner Kräfte ist für die Welt Gewinn!« und solche Klatschlustige, die bei derben Händen matte Köpfe haben, waren äußerst schußfertig. Das Theater mischte sich fortdauernd ein; »Wallensteins Lager« mußte sich neue Kriegslieder gefallen lassen, »Graf Dunois, der Bastard von Orleans« wurde mit überlaut getrennt hervorgehobener Rede Aufrufer gegen Frankreich bei jauchzendem Zustimmen, ohne zu bedenken, daß man Bruchstücke der Schillerschen Dichtung in verdrehtester Weise anwendete. – Sogar Holbergs Posse: »Der politische Zinngießer«, mit dem die Regiersucht eines übermütigen Narren bespöttelt wird, mußte zur Aufwühlung behilflich sein. Im Schlafrock, nachtmützlich bedeckten Hauptes verlautbarte der Spaßmacher Unzelmann einen Kampfschrei, der mit dem Gesang »Heil dir im Siegerkranz« schloß. Die Toblustigen unter den Zuschauern kriegsdonnerten mit Hals und Hand, sie gerieten außer sich, nur um von der Besonnenheit und Überlegung weiter abzukommen, und dies wurde langstreckigst erreicht, als der Zinngießer versicherte: »er kenne den braven Mann, der die zerrissene Karte von Deutschland wieder zusammenfügen werde.« – Ich kannte und liebte den braven Mann, werde den Verewigten lieben bis an das Ende der Gefühle;[102] aber die sinnverwirrende Aufwühlerei, womit man ihn, für derzeitige Umstände jedenfalls ein Jahr zu spät, außer und in den Theatern wider seine Erkenntnis und Willensäußerung hindrängte zu einem Wagnis, bei dem gegen einen so kriegskundigen Feldherrn mit sieggewohntem übermächtigen Heere das Mißlingen unvermeidlich war, diese, alle Vernunft überschreiende Anmaßung fand ich ebenso töricht als entsetzlich. Obenein wirkten auf mich vor der Bühne willkürlich den dichterischen Gebilden eingezwängte Prunkzwecke angeblicher Vaterlands- und Heimatsliebe von jeher abstoßend, zum Teil auch deshalb, weil ich hinlängliche Gelegenheit hatte, zu erkennen, daß Gesinnung eben bei Schauspielern – versteht sich nicht ganz ohne Ausnahme – eine seltene Eigenschaft ist; der nächste Vorteil wird ihnen ohne Unterscheidung zum besten, und sie stellen sich jeden Beifallsklang, gleichviel wie er erworben ward, in Rechnung, damit er in Zulage klingenden Zins anlocke.

Wahr und wahrhaftig edel und erhaben ist die Begeisterung eines Volkes, wie in späterer Zeit sie erfolgreich wurde; was aber damals in Berlin hochfahrend um sich wütete, war nur schauspielerische Fieberhitze, ansteckender Dünkel, der nichts besiegt als Einsicht und Selbsterkenntnis, oft aber mit starrem Wahn sich dennoch einen Anhang zusammenfaselt. So war es auch in dem Unheilsjahr 1806, und Besonnene, die nicht fehlten, doch übertäubt wurden, blickten mit schweren Sorgen in die Zukunft. Mein Gefühl und Vorausblick mußten sich dem Tummelstrom teils irrgläubiger, teils absichtlicher Überschätzung gegenüber schweigsam beobachtend verhalten, obgleich man schon damit in Gefährlichkeit kommen konnte bei den wortdonnernden Steckenpferdsrittern der Leidenschaft oder[103] Wühlerei. Einen von ihnen, den ärgsten, sah ich wenige Tage nach dem Einmarsch der Franzosen mit dem dreifarbigen Hutzeichen, hörte und las völlig umgestimmte Äußerungen, und daß ich diese Nichtswürdigkeit ohne Hehl so nannte, verschlimmerte mir nachher bedrohliche Verhältnisse.

Unzweifelhaft war Preußens Ehre gekränkt, sie war es aber französischerseits zumeist schon 1805 vermöge des frech eigenwilligen Verletzens der vertragsmäßigen Nichtbeteiligung am Kriege zwischen Österreich und Frankreich; der unvermeidlich andringende Kampf wäre damals in voller Rechtfertigung gewesen durch die schnöde Herausforderung und günstige Zeit. – Diese war im Jahre 1806 verloren, bei dem Unterlassungsfehler Napoleon obenein doch gereizt worden mit dem preußisch-russischen Bündnis. Wie dem sei, offenkundig mehrten sich die Zeichen, daß nicht nur neue Beleidigungen, sondern auch bezweckte Verluste für Preußen im Anlauf waren. Was sich bei den Umständen der Sachlage und ihrer Wendung sagen läßt ist in unzähligen Schriften erörtert; genug, das zu ängstlich und schwankend vermiedene Wagespiel mit Geschützkugeln wurde ohne umfassende Vorbereitungen plötzlich begonnen, zu raschem Unglück für Preußen. Noch am 14. Oktober 1806 brüsteten sich in Berlin die Mundhelden mit Siegesgerüchten: sie verflogen in Stunden; bald überstürzten sich Flüchtlinge mannigfachster Herkunft auf allen Wegen, am 24. Oktober sah man den ersten Kriegstrupp der Franzosen, und am 27. ritt ihr Kaiser durch das Brandenburger Tor herein. Aus eigener Anschau kann ich darüber nicht sprechen; meine einstige Neigung für Bonaparte hatte sich in Bitterkeit gegen Napoleon verwandelt, ich gab mir das Wort, ihn, dessen[104] Äußeres ich ja durch viele Bildnisse zureichend kannte, in seiner Selbstheit nicht sehen zu wollen, und blieb darin beharrlich. Man mag dies Eigensinn nennen, mag es tun mit dem schlimmsten Beiwort: ich wehre mich nicht im geringsten; meiner Empfindsamkeit war es zusagend, und daß ich wegen Anblicks der Persönlichkeit des Ruhm- und Gewaltsüchtigen keinen Schritt ging, ist mir noch im Alter nicht nur recht, auch wohltuend. – Was ich hinsichtlich des Allgemeinen hier in Betrachtung zog, soll übrigens nur andeuten, daß ich nicht völlig im Unbewußten war, als ich staatsmännischer Schriftsteller werden mußte.

Zerstörend wirkten begreiflich auf meine Verhältnisse die im Waffengewühl entstehenden Umwandlungen. Ausbleiben des Gehalts, Stocken des künstlerischen Beanspruchs, Einlagerung ungebetener Gäste, Kriegssteuern und Erhöhung der bisherigen Abgaben, dieser Verein von Übeln, nachdem ich eben erst im Vertrauen auf meine neue Stellung mit der Familie bei gesteigerter Miete mich räumlicher und behaglicher eingerichtet hatte, ist in aller Kürze so umfänglich lastschildernd, daß Zusätze Wortverschwendung wären. Der nächste Hilfsgriff war die Schriftstellerei; ich wurde Mitarbeiter an der Spenerschen Zeitung, und da mit dem Jahr 1807 das »Morgenblatt« begann, kam mir auch der stets achtsam um sich blickende Cotta freundlich entgegen. Die neuere Bücherkunde für Unterhaltung, Erscheinungen auf der Bühne, Ereignisse außerhalb der land- und machtgierigen Zwiste, das waren die Bereiche meiner Aufgabe; mit den Staatshändeln hatte ich nichts zu tun, war aber dabei dennoch bald anderweitig verwickelt.

Von der Eidesleistung der Beamteten am 9. November[105] 1806, wonach man der französischen Oberverwaltung geschworen hatte, »weder durch Briefwechsel noch irgendeine andere Art mit den Feinden der Franzosen sich zu verbinden«, blieb ich nach meiner Weigerung, mich den akademischen Abgeordneten beizugesellen, verschont, mir eine werte Beruhigung. Auch fiel mir nicht ein, daß ich von denen, die nur Feinde der Deutschen und ihres Heimatswohls waren, noch ein anderes als das gemeinsame Drangsal zu erwarten habe, wurde nun aber unangenehm überrascht. An einem der ersten Tage des Dezembers 1806 bestellte mir ein französischer Offizier höflichst die Einladung, sogleich zum Gouverneur General Clarke zu kommen, und ich mußte eilend von dem Boten mich nach dem Königlichen Schlosse begleiten lassen. Dort führte mich der Offizier zu Clarke, und bei ihm war der gelderpressende Minister Estê ve. Jener sprach etwas Deutsch, Estêve nur Französisch, das mir nicht geläufig war; denn was ich davon erlangte, hatte ich mir auf verschiedene Weise eingesammelt und selbst gelehrt, weil mein Schul-Unterricht die Umgangssprachen fast gänzlich ausschloß. – Estêve erklärte mir ohne Umschweif, anfangs in seinem Schliff: man habe preußischerseits von der Bank fünfzehn Millionen Taler bürgerliches Eigentum mitgenommen, und es sei notwendig, zur Schadloshaltung der Beteiligten und zum Vorteil des Geldumflusses, die Tresorscheine, als Anweisung auf das widerrechtlich Entführte, in solcher Summe zu vermehren, wobei ich, als »Fabricateur«, möglichst rasch beförderlich sein sollte. Betroffen, ja erschreckt, zögerte ich mit der Antwort bei abweisender Gebärde, wonach mir Estêve sehr redselig einleuchtend machen wollte, es wäre »irremissible et irrefragable«, dem Handelsverkehr besagte fünfzehn Millionen wieder zuzuwenden. Etwas gefaßter[106] erwiderte ich: daß ich vom Handelswesen gar keine Kenntnis habe, nicht alleiniger »Fabricateur«, auch alles, was zur Beschaffung der Tresorscheine notwendig, an die bezügliche Regierungsbehörde abgeliefert sei. Befangener wurde ich im Erstaunen, als ich erfuhr, daß Estêve Kenntnis hatte von dem Erbieten, die Nachahmlichkeit der Tresorscheine beweisen zu wollen, und nun blieb mir nur übrig, unumwunden auszusprechen: erstens wäre doch eine Nachahmung an sich sehr zeitraubend, zweitens müsse ich entschieden verweigern, bei einem verbrecherischen Geschäft Mithelfer zu werden. Estêve schnaubte mich heftig an, Clarke, bis dahin wortkarg, äußerte sich jetzt besänftigend, was mich ermutigte; endlich hatte Estêve die gnädige Unverschämtheit, mich mit 20000 Talern oder mehr für seinen Zweck erkaufen zu wollen, und mir im glatten Nebenspiel einschüchternder Drohungen vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit zu geben. – Ich verbrachte einen düstern Tag mit schlafloser Nacht; der Gedanke an Flucht vor Gewaltsamkeit mußte verschwinden in der Familiensorge und bei dem Mangel an Geldmitteln; auch schöpfte ich Hoffnung aus dem Benehmen Clarkes, und alles Überlegen endete mit dem Ausruf: Zwang ist hier unmöglich! – Da man für eine zweite Zusammenkunft keine Stunde bestimmt hatte, erwartete ich das Kommende, wurde wieder höflichst nach dem Schlosse geholt, und Clarke fehlte nicht, was mir die innere Beklemmung etwas milderte. Kaum aber war notgedrungen mit aller Entschlossenheit meine Weigerung erneuert, da zeigte Estêve schrankenlose Hitze, erlaubte sich auch, von unkluger Jugend zu reden; ich wurde angesteckt vom Aufbrausen, und als er zwischeninne fragte: wenn ich nicht wolle, wer es dann könne? fiel mir unzeitig das im vorigen Monat veröffentlichte[107] »Bloc kade-Dekret« Napoleons gegen die Britischen Inseln ein. Vorschnell erwiderte ich: »Künstler in London könnten es, da aber ihr Kaiser England so verschlossen hat, daß nichts hinein noch heraus kann, so ist dieser Weg nicht empfehlenswert.« Durch mein unbehilfliches Französisch wurde vielleicht der Sinn dieser Worte stachlichter, als ich wußte, und indem Clarke lachte, geriet Estêve in so flammende Wut, daß er »wegen Beleidigung des Kaisers« meine sofortige Verhaftung befahl. Das schien für Clarke empfindlich, er winkte mir lebhaft, seitwärts zurückzutreten, verhandelte mir unverständlich eine Weile mit Estêve, und achselzuckend verurteilte mich dann Clarke bei fühlbarem Wohlwollen zu eintägiger Haft. Noch im Beisein des Zornsprühenden wurde ich durch einen erklingelten Kriegsmann abgeführt nach einem nicht gerätlosen Zimmer, von dessen vergittertem Fenster ich den dritten Schloßhof übersah. Dort sperrte man mich ein in der zweiten Stunde nachmittags; der Schall des Auf- und Abgehens machte mir bemerklich, daß man mich trotz des Verschlusses draußen noch bewachte. – Die Dom-Uhr hatte bereits fünf geschlagen, da besorgte ein Gendarm Erleuchtung durch zwei Wachslichte, ein geschürzter Küchendiener trug ein reichliches Mahl auf, dem bald auch der Wein nicht mangelte. Von dem Gendarmen wurde ich gefragt: ob ich »Lektüre« wünsche, und als ich ja gesagt hatte, erhielt ich ein Heft französischer Schlachtberichte, die mich in der Sprachübung beschäftigten. Es war dann wieder eine ruhelose Nacht, besonders weil ich die Familie ohne Nachricht lassen und immer an ihre Angst denken mußte. Am Morgen gleich nach neun tischte man mir ein verschwenderisches »Dejeuner« auf, das ich nicht berührte; wenig später, nachdem meine Gefangenschaft ungefähr einundzwanzig Stunden[108] gedauert hatte, führte man mich in gestriger Weise nochmals zu Clarke, der mir wegen übereilter Rede, mehr freundlich als herrisch, einen mäßigen Verweis verlautbarte, den ich ohne Widerspruch annahm, auch nicht vergaß, für die, an offenbarer Vermittelung Clarkes erkenntliche, von ihm betonte »bienveillance« mich zu bedanken; denn eine »précipitation«, wie sein Ausdruck war, hätte ich vermeiden sollen, obschon sie mir vielleicht vorteilhaft war zur schnellsten Abweisung eines frechen Antrags. Mit Estêve habe ich weiter nichts erlebt, mich aber seines Verfahrens erinnert, als ich hörte, daß Napoleon einmal falsche englische Banknoten anfertigen ließ, und übrigens mußte ich hinsichtlich jenes Bedrängnisses mich damit trösten, daß ich des Ärgers über die Tresorscheine schon gewohnt sein konnte.

Unser Teil an den allgemeinen Lasten hatten wir reichlich zu tragen; ich wünschte gar oft, wir wären noch in der engeren und wohlfeileren Wohnung, sie hätte den Einfluß der Anforderungen vermindert. Leidlich durchhelfend, obschon ich freilich einmal – aber nur dies eine Mal – der Zwangseintreibung einer städtischen Kriegssteuer durch Abpfändung mich unterwerfen mußte, war meine mehrfache Tätigkeit, bei der ich schriftstellerisch dem Beurteilen staatlicher Wirren entfernt blieb und bleiben wollte. – Bald wurden jedoch Briefe Reimanns und anderer Freunde in der Umgebung des Fürstenpaares am Königsberger Hoflager anmahnend, auf die kriegerische Tagesgeschichte mich einzulassen, wonach mein deutsches Gemüt und Dankgefühl mich nötigten, eine Zeitschrift herauszugeben gegen die vielen gedruckten Schmähungen, mit denen man Preußens Zustände übertrieben entwürdigte, die höchsten, herzgütigen, von mir mit vollster Anhänglichkeit[109] verehrten Personen greuelhaft mißhandelte. Der Buchhändler Friedrich Maurer kam mir mit zwar sehr geringen, jedenfalls aber etwas einträglichen Anerbietungen entgegen, und ich ging darauf ein, ohne die Schwierigkeiten meines Unternehmens mitten unter den zu Gewalteingriffen sehr bereiten Feinden hinlänglich überschauen zu können. – »Das Vaterland« nannte sich meine Zeitschrift, und inbezug auf Cöllns »Feuerbrände« hatte der Umschlag die Bezeichnung »Feuerschirme«; sie erschien, nicht an bestimmte Lieferungstage gebunden, in den Jahren 1807 bis 1809, und endete plangemäß sogleich bei der Wiederkehr der jubelfreudig empfangenen Königsfamilie. Das erste Heft – nach der Vorrede gedruckt im Oktober 1807 – beantwortet auf hundertachtundzwanzig Druckseiten in Mittelgröße die Frage: »Sind die Vorwürfe gegründet, welche dem Preußischen Staate von auswärtigen Kabinetten und in mehreren Schriften gemacht wurden?« Die Beantwortung schildert den Preußischen Staat nach innen und außen von Friedrich dem Großen an bis zu den Schlachttagen von Jena und Auerstädt, und wenn ich jetzt dies Erzeugnis wieder anschaue, begreife ich kaum, wie ich damals Einundzwanzigjähriger bei den verschiedenen Lerngängen anderer Art mir doch eine Anfügung von Kenntnis staatlicher Ereignisse eingesammelt hatte. Begreiflich wendet sich meine Abhandlung vorherrschend zu Rechtfertigungs-und Verteidigungsgründen für Friedrich Wilhelm III., und um mein derzeitiges Einschreiten und Schreibwesen zu bezeichnen, erneuere ich nur den Schluß:


»An unsere Mitbürger.


In den vorstehenden Kapiteln dieser Schrift haben wir darzustellen gesucht, unter welchen Umständen Friedrich Wilhelm der Dritte den Thron seiner Vorfahren bestieg, welche schwere Aufgaben zu lösen ihm[110] diese hinterließen, mit welcher Festigkeit er die einmal angenommenen, aus der bisherigen Existenz der Monarchie entsprossenen Staatsgrundsätze befolgte, welche Hilfsmittel zu Erreichung seiner Zwecke ihm zu Gebote standen, durch welche Ereignisse er von der Bahn, die er seit dem Anfange seiner Regierung betrat, abzuweichen gezwungen ward, und endlich, wie Schicksal und Menschen sich vereinigten, um die unglückliche Katastrophe, unter der wir dulden, herbeizuführen. Wer dies alles mit unbefangenem Sinn erwägt – erwägt, wie weit die Kräfte des einzelnen, stehe er auch auf der höchsten Stufe des bürgerlichen Vereins, reichen können – erwägt, wie die Basis des Staatsgebäudes beschaffen war, und worin seine Schwäche bestand, der wird dessen Sturz dem Monarchen nicht beimessen, der, was von ihm abhing, zehn Jahre lang tat, um es zu stützen, zu verstärken und aufrechtzuerhalten. Nichts verrät mehr Kurzsichtigkeit, nichts ist unnützer und verdient mehr Tadel als eitele Klügelei über das, was geschehen könnte oder sollte, ohne in Betrachtung zu ziehen, ob dies oder jenes ausführbar, ob es unter gewissen Umständen ausführbar war, ohne zu wissen, ob solches der Aufmerksamkeit der Regierung entgangen sei oder sie beschäftigt, und was sie bewogen habe, das Vollbringen entweder zu unterlassen oder zu vertagen. – Friedrich Wilhelm der Dritte hat uns unausgesetzt bewiesen, das Wohl seiner Untertanen sei das Ziel seines Strebens, seines redlichen Willens. Wir haben ihm viel zu verdanken, und es gab eine Zeit, wo wir dies erkannten, wo die Nation ihn dafür segnete, wo unsere Herzen ihm entgegenschlugen. Er gab uns Beispiele mancher Tugenden, die wir uns hätten aneignen sollen, – Beispiele weiser Sparsamkeit, Nutzen bringender Opfer, Verachtung eines verderblichen Luxus. Wer ist einfacher in seinen Sitten, anspruchsloser, humaner im wahren Sinne des Wortes als er? Wer als Gatte, als Familienvater ehrwürdiger, wer wohltätiger da, wo Hilfe nötig ist, wo sie fruchten kann? Jetzt in dieser trauervollen Periode, gab er nicht Proben von Unerschrockenheit, unerschütterlicher Standhaftigkeit, von Treue in Erfüllung seiner Pflichten? Mitbürger! – und dieser König sollte von uns verkannt – im Unglück verkannt werden? Er, der unendlich bedauernswürdiger ist als wir, er, dessen Leiden nicht bloß persönlich, nicht auf eine Familie eingeschränkt sind, sondern der für Millionen leidet! Diesen König wollten wir bekritteln, anklagen, vergessen, was Pflicht und Treue von uns heischen? Nein, dies kann kein edles Gemüt, kein Volk, das Ansprüche auf Bürgertugenden, auf Gemeinsinn[111] macht, das hinlänglich aufgeklärt ist, um die Wahrheit zu kennen und ihrer Stimme zu folgen. – Mitbürger! wir sind von der gefährlichen Höhe, auf der wir standen, gefallen, unser Sturz war unerwartet, schauderhaft: er betäubte uns, aber zu Boden darf er uns nicht schlagen. Wir waren vielleicht übermütig im Glück und zogen uns dadurch Unwillen, Feindschaft, jetzt Spott und Schadenfreude zu. Mutvoll müssen wir uns wieder erheben, mit festem Blick unsere Lage durchschauen, und mit noch festerem Willen unsre Regeneration bewirken. Schwere Opfer, Verleugnungen, Entbehrungen wird es kosten. Jede Klasse der Nation muß sich ihnen unterwerfen, soll der Staat gerettet werden. – Laßt uns jeder Art von Egoismus – sei es individueller oder Kasten- oder National-Egoismus – entsagen. Es gilt nicht das Interesse dieser oder jener Körperschaft, sondern das des Ganzen! Laßt uns genau und ohne Dünkel untersuchen, welchen Grad der wahren Aufklärung, der echten sittlichen Kultur wir erreicht haben, und finden wir, daß wir uns bisher Täuschungen hingaben, so entferne sich dieser Dünkel von uns. Ist es unleugbar, daß alles, was einem Volke Glückliches oder Unglückliches begegnet, daß sein Steigen und Fallen, sein Wohl und Weh stets von ihm selbst ausging, wie vieles haben wir uns dann vorzuwerfen! Aber fehlen, irren ist menschlich; erkennen, bessern, gebiert Achtung und trägt Früchte. Laßt uns nie vergessen, daß wahre Aufklärung, reiner Patriotismus nicht im Räsonnieren, in leerem Geschwätz, in heftigen Deklamationen, in indiskretem Ratgeben, sondern im Handeln, in der Vereinigung geprüfter Kräfte zum Besten des Ganzen besteht. Diese Vereinigung, wie kann sie aber statthaben, ohne inniges Anschließen an den Thron, ohne auf Grundsätzen ruhende Anhänglichkeit für den Monarchen, ohne Vertrauen zu ihm? Der Unsrige verdient beides. Schon hat er dargetan, wie sehr, selbst in diesem Zeitpunkte, die Wiedergeburt des Staates ihm am Herzen liegt. Der erste Schritt zur Veredlung der zahlreichsten, nützlichsten Volksklasse ist bereits geschehen: er hat sie von der Leibeigenschaft befreit. Möge derjenige Teil unter uns, dem Verhältnisse, Stand und Talente Mittel darbieten, auf jene Klasse wohltätig zu wirken – möge er sie anwenden, diese Mittel, um moralische und intellektuelle Kultur unter sie zu verbreiten. Das Niedrigerstehende zu heben zeigt von weit rühmlicherer Hochherzigkeit als das Höhere herabziehen zu[112] wollen. – Wir haben viel, viel verloren, liebe Mitbürger, aber dennoch einen großen Vorteil für unsere leichtere Regeneration erlangt, den – von einer Menge heterogener Stoffe gereinigt zu werden. Künftig können wir, wenn wir es ernstlich wollen, ein Volk sein, das sich durch Nationalsinn auszeichnet, und durch seinen Charakter Achtung, Zutrauen und Liebe einflößt. Unglück gibt dem Seelenadel, wo dessen vorhanden ist, Schwungkraft; ihn zu pflegen sei unser Ziel, ihn zu besitzen unser künftiger Stolz. Dann wird alles gedeihen, alles wieder aufblühen, und der Staat mit verjüngter Energie aus seinen Ruinen emporsteigen.«


Bin ich mit meinem, damals noch der fremdsüchtigen Schulzucht anhänglichen Miß- und Mischdeutsch jetzt nicht einverstanden, und könnte ich mich meinem Bildungswege gegenüber eher mit dem Einfließen des Predigens verständigen, den guten Willen und Weckruf zur wohlfahrtlichen Gesinnung liest man hoffentlich auch bei dem Mangelhaften heraus. In bezug auf Sprache sei jedoch zusätzlich bemerkt, daß man mich später wegen »Purismus« getadelt hat, vielleicht auch, obschon mir Zustimmung mitunter nicht fehlte, noch tadeln wird. Dergleichen lasse ich aber ohne Widerrede, und bestreite keineswegs die Untunlichkeit, jedes Fremdwort mit treffendem Deutsch abzuweisen: dann muß man sich freilich dem Gebrauch unterwerfen. Zu bedenken wäre indes, man habe nicht wenigen Fremdwörtern nur übereinkömmlichen Sinn eingeflößt und die Angewöhnung sei dabei zuweilen sehr irrtümlich mitwirkend. Von vielen Fremdwörtern ist der deutschtümliche Ausdruck, obwohl er anfangs befremdete, allmählich bei uns heimisch geworden, und es wird auch noch andern Übertragungen geschehen, denen man nicht augenblicklich Geltung zugesteht. –

Dieser Einschaltung, schriftstellerischem Bequemwesen in der Sprache gewiß unbehaglich, schließe sich nach dem Bruchstück aus dem ersten Hefte über die folgenden der[113] erwähnten Zeitschrift ebenfalls nur eine kurze Hinweisung an. Sie geben Aufsätze mit Erläuterungen wider schmähende Gegner Preußens und Berichte über Tagesereignisse aus ursprünglichen Zusendungen. Ich hatte Gelegenheit erkundet, mich mit Schill, mit dem Freikorps des Leutnants v. Hirschfeld, des Rittmeisters v. Krockow, mit den Heeres-Abteilungen des Oberstleutnants v. Borstel und v. Zieten in Verbindung zu bringen, von Königsberg kamen ebenfalls Beiträge. Ohne Scheu ließ ich in geziemender Anständigkeit mitten unter den Franzosenmancherlei drucken, was diese nicht angenehm berührte. In meiner sehr erfahrungsarmen Unbefangenheit erachtete ich nicht für gefährlich, was mir als in sittlicher Schranke gehaltene Wahrheit erschien; Macht, Gewalt und Vorteilsdrang finden aber oft das Begründetste strafbar, dies haben auch mir die handlangerischen Mitschuldigen der Napoleonschen Willkür bestätigt. –

Am 11. Mai 1808 morgens zwischen sechs und sieben, als ich mit der Familie bei dem Frühstück saß, wurde ich verhaftet; zur Untersuchung meiner Papiere blieben Beauftragte in meiner Wohnung, und mich brachten zwei Gendarmen, höflicherweise in einer Kutsche, nach der Kommandantur. Dies Unheil traf mich, wie mir später einleuchtete, in bezug auf Angebereien eines Söldlings-Beamteten bei der französischen Kolonie. Er war geborener Preuße, ließ sich aber im Dienste der Franzosen als Zensor gebrauchen, und ich hatte ihm darüber meine abfällige Meinung klar ausgesprochen, obgleich er nichts zu tun hatte mit meiner Zeitschrift. Bei dieser mußte ich mich der Vorbeurteilung eines als französischer Amtsdiener mitgekommenen Deutschen unterwerfen: es war Wiedemann, nachmaliger Mitanordner bei der Cot-[114] taschen »Allgemeinen Zeitung«, im Jahre 1808 noch verliebt in seine Bewunderung Napoleons, was ihn jedoch nicht verleitete, überstrenger Zensor zu sein. Jener Söldling aber rächte sich nun an mir wegen meiner freilich wieder nicht weltklugen Offenheit; er übersetzte sehr verfälscht mehrere, aus dem Zusammenhange gerissene Einzelheiten, die allerdings in ihrer Richtigkeit keine Schmeicheleien für die »große Nation« sind, und seine Böswilligkeit wirkte für mich schlimm genug, würde noch schlimmer gewirkt haben, wenn nicht die Vorsehung eingegriffen hätte.

Nach meiner Verhaftung durchforschten die französischen Sendlinge alle zu entdeckenden Papiere, vorher aber hatte meine wackere Schwester Wilhelmine, mit meinen sämtlichen Verbindungen vertraut, die Geschicklichkeit, eine gefährliche Mappe zu entfernen, deren Inhalt sie in ihrer Angst auf dem Feuerherd verbrannte. Leider verlor ich dadurch viel mir Wertvolles, dennoch habe ich die Tat meiner Schwester zu preisen. – Aus dem zweiten und dritten Heft der Zeitschrift »Das Vaterland« läßt sich schon deutlich ersehen, daß ich von den Führern der verschiedenen Freikorps, auch aus Königsberg und Memel, Nachrichten mußte empfangen haben; das meiste Schriftliche dorther hatte ich vernichtet, doch geschah es nicht mit allem: das argsinnige Trachten hätte noch genugsamen Stoff gefunden. – Als ich zwischen den beiden Gendarmen im Wartezimmer der Kommandantur stand, wußte ich nichts von Beseitigung jener Mappe, sehr viel aber von den Gewalttaten der Unterdrücker deutschrechtlicher Gesinnung; – ich konnt' es mir nicht verbergen, daß ich unrettbar sei, waren meine Papiere sämtlich in Feindeshand. Begreiflich erschütterten mich schwer belastende Gedanken: der Gang des drohungsvollen Ereignisses ließ mich je doch[115] in seltsam zusammentreffenden Einflüssen die Allmacht höchster Leitung tief empfinden.

Eben veränderte sich das französische Beamtentum, und die Kommandantur hatte nur einstweilige Oberverwaltung, wobei ein Abfinden nötig war, was ich nicht deutlich erfahren, überhaupt diesen Umstand nebenher fast nur erraten habe. Während ich nun auf Weiteres im Widerwärtigen harrte und mir möglichst den Mut zusammensuchte, trat aus einem Seitenzimmer ein glänzend bekleideter Mann auf mich zu und sagte hastig: »Sie sind mir Herr Gübiß genannt, sind Meister im Holzschnitt, Christian von Mecheln hat mir Abdrücke nach Paris geschickt; – wodurch sind Sie in Anklage?« Mit Dank für die günstige Meinung erwiderte ich: es sei mir völlig rätselhaft, weshalb man mich verhafte. Schweigend zog er einen der Gendarmen ein paar Schritte mit sich fort, sprach eine Minute mit ihm, und ging dann zurück. Derselbe Gendarm brachte mir jetzt einen Stuhl, ich fragte ihn: »Wer ist der Herr?«, und er antwortete: »Herr Staatsrat Bignon!« – der in jenen Tagen leitender Machthaber war. Mutmaßlich eine ganze, entsetzlich lange Stunde saß ich da, bis sich dieselbe Tür wieder öffnete und ich die Bitte vernahm: daß ich eintreten möge. Sich selber nennend sagte er dann: »Ich habe mich in Kenntnis gesetzt, habe wenigstens bewirkt, daß ich mich über Ihre ›Affäre‹ unterrichte«, und, mir beschriebene Blätter zureichend, fragte er: »Sind Sie Verfasser dieser, ›Expectorations?‹« – Ich sah das Empfangene eine Meile an, erkannte bald die absichtlich boshafte Zusammenstellung, und rief empört aus: »Das ist schändliche Übersetzung, so lautet es, so verbindet es sich im Deutschen nicht!« – Bignon zuckte die Achseln und entgegnete: »Also, Sie[116] bekennen sich zum Verfasser? – das wäre sehr übel, denn die Ordre zu Ihrer Verhaftung ist streng!« Seine sich anfügenden Erörterungen machten mir begreiflich, daß ich der Schmähung des französischen Kaisers und Heeres bezichtigt sei; zufolge der mir eingehändigten schriftlichen Vorlagen war eine solche Absicht auch kaum zu bestreiten. – In der genannten Zeitschrift befinden sich viele Züge der Tapferkeit preußischer Krieger, und daß dabei »der Feind« nicht die Ehre davontrug, versteht sich von selbst. Über Gewaltherrschaft ist ebenfalls allerlei bemerkt, und vermöge der trügerisch gewendeten, mit den gesteigertsten Ausdrücken behafteten Übertragung allgemeiner Bezüglichkeiten in persönliche, schien vom französischen Standpunkt aus die Anklage gerechtfertigter als sie sein konnte nach richtigem Maße. Für den Augenblick blieb mir aber nur das in solcher Bedrängnis sehr schwache Mittel des entschiedenen Einspruchs gegen verleumderische Fälschung dessen, was ich drucken ließ, und obwohl ich zu entdecken glaubte, Bignon wolle mir nützen, konnte ich doch auch wahrnehmen, daß er verlegen wurde. Da eben kam die Hilfe, die ich immerdar als weltgebietenden Einfluß betrachtet habe und betrachten werde.

Ein Bündel des aus meinem Arbeitszimmer Entnommenen wurde gebracht – die gefürchtete Mappe sah ich nicht, schon dies verminderte die Gefährlichkeit. Zugleich wurde Herr v. Mecheln gemeldet, mit dem ich nicht nur in geschäftlicher, auch in freundschaftlicher Verbindung war, und da ich unter dem Erplünderten die Hefte meiner Zeitschrift erblickte, rief ich Bignon an: »Oh, wenn Sie erlauben möchten, daß dieser Schweizer, der unfehlbar beider Sprachen mächtig ist, eine der mißhandelten Stellen übersetze, das würde Ihnen die arge Tücke gegen[117] mich enthüllen!« Bignon gewährte diesen Wunsch und ließ den Angemeldeten – nach meiner jetzigen Ansicht Herbeigerufenen – eintreten. Der damals Einundsiebzigjährige, rasch meine Verwickelung begreifend, zeigte sich – ohne unsere traulichen Verhältnisse zu berühren – dem Geschäft eilend bereit, wobei er, eifrigst seinen dreieckigen Hut und langen Stock ablegend, meines Lobes voll war, besonders auch in Hinsicht auf meine, »ihm durch die öffentliche Stimme bekannt gewordene Familiensorge«. Ich ergriff ein Heft der Zeitschrift und bezeichnete den Schriftsatz, wo gegen die auf Friedrich Wilhelm III. hinweisenden Äußerungen der »Vertrauten Briefe« des Kriegsrats v. Cölln gesprochen ist, hauptsächlich gegen die Worte:

»Ich fragte nie danach, ob der Regent ein Herz habe, aber wohl, ob ein Geist und die aus ihm hervorgehende Kraft in ihm war.«

Darauf hatte ich (»Vaterland«, drittes Heft, Seite 104) geantwortet:

»Nur Einklang des Gemüts und des Kopfes bringt das wahre, Glück verbreitende Gleichgewicht im Leben hervor, und da dies der Zweck eines Regenten sein soll, so muß er selbst sich auch in diesem Gleichgewicht befinden: mit dem größten Kopf von der Welt wird er eine Geißel der Menschen sein, wenn er bei dem Ausbruch der schaffenden Kraft seine armen Untertanen vergißt; wenn er herzlos jedes Zeichen des Mißvergnügens nicht bemerkt, oder mit eisernem Zepter zu unterdrücken sucht; wenn der Unschuldige, den die schaffende Kraft der Günstlinge seiner Güter beraubt, seiner Familie entriß, seine Stimme erhebt, und jede seiner Klagen von dem Throne zurückprallt, auf welchem ein Mann glänzt, der, eben über ein[118] großes Unternehmen sinnend, an solche Kleinigkeiten nicht denken kann: Glücklich preise ich den, der noch nie nötig hatte, das Herz eines solchen Regenten in Anspruch zu nehmen, sonst würde er, wenn die schaffenden Kraft ihn ungehört vom Throne hinweggeschafft hätte, durch Erfahrung belehrt, nicht eine solche Abscheulichkeit als Grundsatz aufgestellt haben. – Das fortlaufende Gemälde der Geschichte zeigt uns fast zu allen Zeiten Männer, welche in den angeführten Worten charakterisiert sind, ihre Namen werden, wie bei uns, so auch bei künftigen Geschlechtern glänzen, aber die damals Lebenden? Sie werden die schaffende Kraft ihres Gebieters teuer, vielleicht mit ihrem ganzen Lebensglück bezahlt haben: dies wird und kann dem Forscher nicht entgehen! Wohin sollen alle dergleichen Behauptungen führen? Soll die Menschheit, welche ohnehin dem Ehrgeiz nur als Mittel erscheint, noch mehr herabgewürdigt werden?«

In der rachsüchtigen Übertragung waren nun noch ein paar an Cölln gerichtete Zeilen (viertes Heft, Seite?3) dicht herangezogen:

»Fühlen Sie denn nicht, daß man gerade jetzt das Übergewicht des Geistes nicht als das verkündigen muß, was einzig den Herrscher ziert!«

Indem diese im untreuen Französisch mit mehreren Ausrufungszeichen begabte und leicht zu lenkende Äußerung sich dort anschloß, wo sie in meinem Schriftstreit gegen Cölln nicht auffindbar ist, hatte der Verfälscher alles Vorherige unbedingt auf Napoleon bezogen, seine ganze gehässige Anfechtung auch noch durchgiftet mit greuelhaftem Überbieten der Beiwörter.

Hatte der Ankläger nur verschwärzende Farben gebraucht, Mecheln mischte sie in seiner Übersetzung reichlichst[119] mit Weiß, ohne auffallend abweichend zu sein von dem mir Eigentümlichen. Nachdem Bignon, der sich anderweitig beschäftigte während der emsigen Bemühung des alten Herrn, aus dessen zitternder Hand die beschleiernde Schrift empfangen, sie still gelesen und zuweilen mit der des Angebers verglichen hatte, sagte er, wie es mich anmutete in heiterem Erstaunen: »Ah, der Unterschied ist unzweifelhaft sehr überraschend, sehr bedeutend!« »Ah, la difference est sans doute très surprenant, très signifiant!« zugleich umfaßte er Mecheln und führte ihn bis zum Fenster. Dort sprachen beide leise mehrere Minuten miteinander, bis Bignon sich wieder zu mir wandte, dabei Mecheln stark betont zurufend: »Sie bürgen also dafür, daß Herr Gübiß ein abgefordertes Wort, die Stadt nicht zu verlassen, halten würde?« und tief erschütterte mich die Antwort des sehr aufgeregten Mecheln: »Ich verbürg' es mit meiner Ehre und meinem Leben!« – Ich gab mein Wort; danach – es war nun schon der Mittag vorüber – sagte Bignon zu mir: »Erwarten Sie mich heut abend acht Uhr in Ihrer Wohnung und halten Sie sich dort vorsichtig ›cachê‹.« – Nicht nur an diesem Tage kam Bignon, er kam noch an zwei Abenden, um mir Ratgeber zu sein für Verhöre, die ich überstehen mußte vor fünf Personen, von denen drei Offiziere waren. – Daß ich ganz ohne widrige Endfolge dem Unheil entkommen könne, hatte mir Bignon verneint; man verurteilte mich zu sechswöchentlicher Hausvogteihaft, die man mir aber zeitweise, auf mein Versprechen, mich wieder zu stellen, vertagte, sie dann gar nicht mehr beachten wollte, so daß ich, zusammengerechnet, höchstens vier Wochen Gefangener war in einer lichten Stube, wo ich bei steter Tätigkeit selten gestört wurde.[120]

Gewiß machte sich eine solche Wendung der Gewalttat zum erträglichen Ausgange nur möglich durch Bignons Teilnahme und mithilfliches Zusammentreffen seltsam glücklicher Fügungen, die meine Überzeugung von einer geheimnisvollen Schicksalsmacht befestigten: eine Überzeugung, mit der ich oft mich standfest erhielt bei schwer belastenden Verhältnissen, die meist zuweilen deshalb am schwierigsten werden, wenn man sich den Lebensweg beharrlich gradaus wählt. – Meinen Dank habe ich dem Kunstfreunde Bignon, der mit Mecheln längst geschäftlich in Verbindung war, dadurch zu bezeugen versucht, daß ich ihm bis zu seinem Tode Abdrücke meiner Arbeiten zusandte.

Wenn ich mich hier trenne von den schwierigen Händeln mit den französischen Bedrängern, sei doch nicht vergessen, daß ich zwischeninne von Clarke eine, obwohl etwas herausgeforderte Nachgiebigkeit erlangte. – Der Professor Theodor Heinsius, als fleißiger Sprachforscher rühmlich zu nennen, war schon früher in Hast; er mußte wegen einer Äußerung in seiner Wochenschrift: »Der Hausfreund« auf vierzehn Tage in die Hausvogtei, und dort sollte niemand ihn besuchen. Seiner Frau war bekannt, daß ich bei dem Widerstand gegen Estêve vergleichungsweise Clarkes Benehmen menschlich gefunden hatte, und sie bat mich mit Tränen, einen Gang zu wagen, um Milde für den kränkelnden Gatten zu vermitteln. Gern tat ich es nicht, mir aber das Mißliche aus dem Kopf zu jagen, betrieb ich die Angelegenheit ohne Zögern. Es war spät nachmittags, als ich im Vorzimmer mit einem Adjutanten sprach, der mich schnöde abfertigte. Durch meine Empfindlichkeit ward der Wortwechsel laut und jetzt trat Clarke ein; nach französischer Angewohnheit[121] hatte er eine Serviette im Halstuch befestigt, er war also noch bei dem »Diné«. – »Ah! Monsieur Cidevant!« rief er aus; »was führt Sie her?« – Der Adjutant antwortete, ich schwieg aber auch nicht, und Clarke fiel sehr bald ganz vergnüglich ein: »Besorgen Sie Schemas, man wird nicht leicht mit ihm fertig!« – Ich mußte sehr lange warten, hatte endlich sechs gedruckte Erlaubnisscheine, denen nur die Namen der Besuchenden einzufügen waren, brachte fünf der Frau Heinsius, und den sechsten behielt ich für mich. – Als ich gegen Abend eines der nächsten Tage den Gefangenen in der engen Klause besuchte, fand ich bei ihm seinen reichen Gönner Marcuse und den Professor Friedrich Buchholtz, der immer sprach wie vom Lehrstuhl, und diesmal für einen Augenblick belustigte. Ein zäher Feind des Erbadels und der Juden, eiferte er, vielleicht ohne zu wissen, daß ein Anhänger des mosaischen Glaubens anwesend war, auch jetzt ausfälligst gegen den Talmud, als ein Gesetzbuch, das jede gute Eigenschaft vertilge. Da konnte sich Marcuse, der im Hintergrunde des Gemachs auf dem Bett saß, nicht länger bezähmen, er entgegnete dem ihm den Rücken zukehrenden Redner: »Nu nu, es gibt auch gute Juden!« Sich langsam wendend erwiderte Buchholtz in trockener Entschiedenheit: »Ein guter Jude ist eine hölzerne Pelzmütze!« und natürlich erhob sich schallendes Gelächter, dem der achtungswürdige Marcuse gehörig beistimmte.

Buchholtz hatte bekanntlich der Lesewelt im Zeitgeschichtlichen manches Geistreiche gegeben, zum Teil als Ungenannter; ich mag nicht darüber urteilen, ob es in Wert bleiben kann. Als er jedoch – ebenfalls verhüllt – mit der Lästerschrift: »Galerie preußischer Charaktere« sich in handgreiflichster Eigensucht den die Wahrheit mit der[122] Verleumdung stachelnden Schmähern anreihte, kam ich in die Notwendigkeit, dagegen zu schreiben. Seinen Haß teilte der in seinen häuslichen Verhältnissen hilfsbedürftige Buchholtz, wie schon angedeutet, zwischen Erbadel und Judenschaft, von denen er behauptete, sie hätten verwandte Bestrebungen; Bewunderung und Liebe hegte er für Napoleon und steifte sich in der Ansicht, Preußen könne nur im Bündnis mit jenem Gewaltigen bestehen und gedeihen, was ich als Verrat an Deutschland erachtete. Er wurde bekannt mit dem Obersten v. Massenbach, dessen Meinungen waren die seinigen mit eigener Überzeugung und Entwickelung; auf dem gleichen Gedankenwege hoffte Buchholtz im gesteigertsten Selbstschätzen durch den in einflußreichen Kreisen verkehrenden Massenbachzu hohen und ergiebigen Ehrenstellen zu kommen, und geriet hinsichtlich des Glaubens an sich allein in die wunderlichste Überspannung, von deren Maßlosigkeit viel zu erzählen wäre. Dennoch wüßte ich auch heut nicht zu sagen: ob seine Eitelkeit oder sein Scharfsinn vorherrschte; daß er beides in hohem Grade besaß, eines aber immer das andere störte, ist unzweifelhaft, und ich war gern sein Zuhörer, ohne jemals mit ihm einig oder vertraut sein zu können.

Einfügen will ich hier noch, daß ich Mitglied des »Tugedbundes« gewesen bin, doch ist es nur flüchtig zu erwähnen; denn in Berlin begann statt des Begründens ein rascher Zerfall. Von Königsberg aus zum »Sekretär« gewählt, war ich bei zwei oder drei Versammlungen zugegen, ohne daß Eintracht über Zweck und Ziel erreicht werden konnte; diesen Zusammenkünften verdanke ich jedoch den unverletzt durchgeführten Entschluß, mich niemals einer »Partei« oder irgendeinem staatsumschaffenden Bunde anzuschließen, welches Aushängeschild[123] dieser oder jene haben möge. Als einzelner tat ich stets für Allgemeines, was meinen Ansichten und Kräften gemäß war, darf hoffen, man werde mir dies Zeugnis nicht versagen bei fortschreitender Darlegung meiner Erlebnisse, habe aber jedenfalls festzustellen: mein Entschluß sei sehr oft gestärkt worden durch widerwärtige Verwandlungen, die vermöge der Mehrheit-Sippschaften sich beobachten ließen.

Mit den feindlichen Behörden kam ich nicht mehr in Bedrängnis während der sechs oder sieben Monate, in denen die Franzosen noch Berlins Beherrscher waren, und unbelästigt blieb die Verbreitung meiner Zeitschrift. Auf sie bezüglich hinterlasse ich Dankschreiben vom Könige, der Königin, dem Minister v. Stein, Beyme, dem nachmaligen Staatskanzler v. Hardenberg und anderen in der Zeitgeschichte hervorragenden Personen. Davon sei nur eines der Andenken mitgeteilt, das letzte Schreiben der Königin Luise an mich:

»Mein Herr Professor Gubitz! Ich habe das sechste Heft Ihrer Zeitschrift ›das Vaterland‹ erhalten, und mit Wohlgefallen daraus ersehen, daß solche die bei ihrem Entstehen sich vorgesetzten edlen Zwecke treu verfolgt; recht sehr danke ich Ihnen für Überreichung desselben, und verharre Ihre wohlaffectionierte Königin.

Königsberg, den 30. August 1809.


Luise.«[124]

Quelle:
Gubitz, Friedrich Wilhelm: Bilder aus Romantik und Biedermeier. Berlin 1922, S. 72-125.
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