Wein

[404] Wein (Vinum) ist im engern Verstande eine Art versüßter Gewächssäure mittelst der ersten Gährung (w.s.) bei etwa 60° Fahr. aus Weinbeersafte (Moste) entstanden, einer Flüssigkeit, die aus Wasser, Zucker, Weinsteinsäure, und thierischem Leime, nebst einigen minder wesentlichen Substanzen, zusammengesetzt ist. In vollkommenem Zustande ist er leichter als destillirtes Wasser (z.B. Burgunder von 0,932). Nur dann, wenn er mehr Extraktiv- und Zuckerstoff enthält, vermehrt sich seine Schwere (z.B. rother Portwein von 0,993), und wird beim Uebergewichte des leztern selbst schwerer als Wasser (z.B. Kanariensekt von 1,033). Er ist von erquickendendem Geruche und kräftigem, belebendem Geschmacke, immer im Verhältnisse der in ihm befindlichen eigentlichen Weinsubstanz, der der südlichern Länder mehr als der der nördlichen. Letztere enthalten gewöhnlich ein größeres Verhältniß Weinsteinsäure und Wasser. Alle unverdorbnen Weine enthalten Luftsäure; aber die schaal gewordenen nicht. Einige enthalten auch wohl ein Uebermaas an Luftsäure (wegen künstlich gehemmter Gährung), wie Champagnerwein. Die Farbe der rothen Weine beruht auf[404] einem adstringirendem Harze, aus der rothen Schale der Beeren durch die Gährung gezogen. In vollkommenem Weine die Säure vom Weingeiste sehr vollkommen gebunden, dergestalt, daß lezterer nicht, wie in freiem Zustande, schon bei einer niedrigen Temperatur sieden, aufsteigen und entweichen kann; vielmehr bedarf der vollkommene Wein, um den Weingeist aus ihm in der Destillation zu scheiden, die volle Hitze des siedenden Wassers. Junger Wein giebt in der Destillation mehr Weingeist, als der alte. Der vollkommene und ganz helle Wein, hält sich in reinen, völlig luftdicht verschlossenen Gefäßen viele Jahre lang unzersetzt und in voller (auch wohl erhöheter) Güte; nur beim Zugang der atmosphärischen Luft, bei stärkerer Wärme (über 65° Fahr.) und unter Bewegung wird er trübe, und geht in die zweite, die Essiggährung über, w.s.

Ausser der Abziehung des Weingeistes daraus, hat man sich auch einiger Weine zu arzneilichen Aufgüssen der Gewächse (Kräuterweine, vina medicata) bedient, welche den geistigen Tinkturen sehr nahe kommen Tinkturen. Wegen der in ihnen befindlichen Säure hat man sich ihrer zur Auflösung des Spießglanzglases bedient, um, (z.B. durch Aufguß des spanischen Weins mit lezterm) Brechweine zu bereiten; ein sehr unsichres Verfahren. bei Spießglanzglas unter Spießglanz. In Rheinweine läßt man Eisen zu einer in der Bleichsucht kräftigen Eisentinktur auflösen, und in eben demselben löset man Krebssteine auf, um ein harntreibendes Mittel hervorzubringen.

Vor sich und allein als Arznei gebraucht, rühmt man von guten Weinen mit Recht eine ermunternde, Lebenskraft erhöhende, und den Puls beschleunigende Eigenschaft und findet ihn im zweiten Stadium der Faulfieber und im Typhus als eine der hülfreichsten Arzneien, sonst auch zur Belebung in Asphyxien, bei Erschöpfungen von Hunger, u.s.w. Aeusserlich unterstützt er die stärkenden Bähungen, bei Quetschungen, kaltem Brande, u.s.w. Die schnellen Folgen von seinem Misbrauche, Sinnlosigkeit, Trunkenheit, Schlagfluß können zuweilen durch einige Tropfen Kirschlorbeerwasser gehoben werden.

Doch steht seinem freien Gebrauche auch die nicht seltne Verfälschung mit mancherlei schädlichen Ingredienzen im Wege. Die Entdeckung des (um die Säure der schlechtern Weine zu versüßen) zugefügten Bleies geschieht am besten durch das angesäuerte schwefelleberlufthaltige Wasser ( Hahnemanns Weinprobe unter Schwefel); die Anmachung des geringern Weins mit Weingeist (um ihm Stärke zu geben), entdeckt man durch Destillation des verdächtigen Weines im Wasserbade, wobei der Gehalt an freiem Weingeiste übergeht, während der durch die Gährung gebundene, zum Weine selbst gehörige Weingeist bei diesem Hitzgrade nicht übergehen kann. Die Verfälschung des Weines mit Alaun entdeckt man vorläufig durch die Weißtrübung bei Zutröpfelung des aufgelöseten Potaschlaugensalzes, dann[405] aber, um die Menge des Alauns zu bestimmen, durch Abdampfung desselben bis zur Hälfte und Vermischung mit einem doppelten Gewichte des wasserfreiesten Weingeistes; worauf sich der Alaun in krystallinischkörniger Gestalt binnen 24 Stunden absetzt. Auch der allzu sehr mit Schwefeldampf durchzogene (geschwefelte) Wein (um sein Umschlagen, das Schaalwerden und die Essiggährung zu verhindern) und der Zusatz der Muskatellersalbei oder der Schwarzholderblumen (um den Geschmack des natürlichen Muskatellerweins nachzuahmen) kann in mehr als einer Rücksicht der Gesundheit nachtheilig werden.

Der weiße Franzwein, der Pontack, der Rheinwein und der weiße spanische Wein sind die zu arzneilichen Absichten gewöhnlichsten.

Die Weinhefen (faeces vini) sind der unter dem abgeklärten, gegohrnen Weine abgesetzte Bodensatz, welcher noch Wein, und Luftsäure, am meisten aber Gewächsleim und Weinstein enthält. Sie dienen zur Destillation des Franzbranntweins in Weinländern, in verschlossenen Gefäßen gebrannt, zur Bereitung der Kupferdruckerschwärze und ganz eingeäschert zur Erlangung eines ziemlich reinen Laugensalzes.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 404-406.
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