§. [122] 52.

Unmöglich kann ein verständiger Arzt nach jenen sonnenklar einleuchtenden Beispielen noch in der gewöhnlichen, alten Medicin fortfahren, mit (allöopathischen) Arzneien, welche keinen directen, pathischen (homöopathischen) Bezug auf die zu heilende Krankheit haben, den Körper, wie bisher geschah, in seinen am wenigsten kranken Theilen anzugreifen durch Ausleeren, Gegenreizen, Ableiten, u.s.w.58 und so mit Aufopferung der Kräfte einen, dem ursprünglichen ganz heterogenen und unähnlichen Krankheits-Zustand zum Verderben des Kranken herbeizuführen durch starke Gaben von Gemischen meist ungekannter Arzneien, deren Gebrauch dann keinen andern Erfolg haben kann, als der sich nach ewigen Natur-Gesetzen in den oben erzählten und so in allen übrigen Fällen in der Welt zeigt, wo eine unähnliche Krankheit zu der andern in den menschlichen Organism geräth, nämlich, dass nie[122] in Krankheiten eine Heilung dadurch, sondern stets eine Verschlimmerung dadurch erfolgt, – also keinen andern Erfolg haben kann, als dass entweder (weil nach dem Vorgange in der Natur, bei I., die ältere Krankheit im Körper die hinzutretende unähnliche schwächere abweiset) die natürliche Krankheit bei milder allöopathischer, selbst noch so lang dauernder Cur, unter Schwächung des Kranken, bleibt, wie sie war, oder (weil nach dem Vorgange in der Natur, bei II., die neue stärkere die schon vorhandene, schwächere, unähnliche nur auf kurze Zeit unkenntlich macht und suspendirt) dass durch heftigen Angriff auf den Körper mit starken, allöopathischen Arzneien das ursprüngliche Uebel auf einige Zeit zu weichen scheint, um wenigstens in gleicher Stärke wieder zu kommen, oder auch wohl (weil nach dem Vorgange in der Natur, bei III., zwei sich unähnliche Krankheiten, wenn beide langwieriger Art und gleich stark sind, neben einander im Organism Platz nehmen und sich compliciren) dass in solchem Falle, wenn die der natürlichen chronischen Krankheit vom Arzte entgegengesetzten, unähnlichen Krankheitspotenzen und allöopathischen Arzneien in heftigen Gaben und lange angewendet werden, solche allöopathische Curen, ohne jemals die ursprüngliche (unähnliche) chronische Krankheit aufheben und heilen zu können, nur noch neue Kunst-Krankheiten daneben erzeugen und den Kranken, wie die tägliche Erfahrung lehrt, um vieles kränker machen und unheilbarer.[123]


Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Dresden, Leipzig 51833, S. 122-124.
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