Wir laden ein

[129] Tun wir das, so müssen wir zu allererst, ob wir viele Gäste laden oder wenige, sie aufeinander abstimmen. Man soll nicht, um es sich bequemer zu machen, alle Menschen, denen man eine Einladung schuldet, wahllos auf einmal zusammenbitten. Wenn es irgendwelche gemeinsame Interessen gibt, kann man wohl ohneweiters Leute verschiedenen Alters und verschiedenen gesellschaftlichen Ranges zugleich zu sich bitten, nicht aber dann, wenn diese durch verschiedene Weltanschauungen und Lebensauffassungen voneinander getrennt sind. Sonst gibt es entweder Zusammenstöße oder es traut sich keiner aus sich heraus, so daß sich alle langweilen. Ein zweites Gebot: Den Rahmen der Einladungen den gegebenen Verhältnissen anpassen. Wer einfach wohnt und lebt, legt mehr Wert auf Gemütlichkeit als auf Repräsentation. Wer es sich leisten kann, sorgt auch für das festliche Gepräge, jedoch ohne Prahlerei! Zum Kaffee oder Tee in kleiner Gesellschaft ladet man nicht schriftlich ein, um der Sache nicht den Nimbus des Großartigen zu geben. Man macht es mündlich ab oder telephonisch. Man deckt dazu auch keine feierliche Tafel, sondern bereitet alles nur so weit vor, daß die Hausfrau unter den Händen hat, was sie braucht. Kaffee und Tee schenkt sie selber ein und gibt dazu belegte Brötchen oder Bäckereien und Süßigkeiten. Jeder Gast bekommt da serviert, wo er gerade sitzt; wenn er zufällig bei Tisch Platz genommen hat, natürlich auch auf dem Tisch. Eine Sitzordnung gibt es aber bei Teegesellschaften nicht, ihr Merkmal ist die Zwanglosigkeit. Der Teegast empfiehlt sich, wenn[129] die Zeit fürs Abendessen herannaht, er soll die Hausfrau nicht moralisch zwingen, ihn auch zum Abendbrot zu bitten.

Gibt es eine größere Festlichkeit, so sind schon die Vorbedingungen an ein strengeres Zeremoniell gebunden. Man bittet die Gäste schon zehn oder vierzehn Tage vorher schriftlich um ihr Erscheinen, gibt auch an, um welche Stunde man sie erwartet, und teilt ihnen ein etwaiges Programm mit, damit sie sich danach richten können. Musik, Gesang, besonders Tanz, mitwirkende Künstler, und nicht zu vergessen die Mahlzeit, zu der man ladet.

Mitwirkende Künstler begrüßt die Hausfrau schon im Vorraum und begleitet sie dann auf ihre Plätze, wenn solche vorgesehen sind.

Ob der Künstler honoriert wird oder nicht, in jedem Falle erfordert es die Höflichkeit, daß der Gastgeber für den gebotenen Genuß dankt.

Auch wenn keine allgemeine Bewirtung der Gäste beabsichtigt ist, ist es zulässig, die näheren Freunde des Hauses und die Künstler zu einer intimen Nachfeier – etwa einem Tee mit Imbiß – zurückzubehalten.

Bedeutend gründlichere Vorarbeit verlangt eine Festtafel. Schon die Zusammenstellung des Menüs zeigt die geniale Hausfrau, denn auch das einfachste Abendessen wird durch richtige Komposition zum Kunstwerk. Vorspeise, Fleischgericht mit Beilage, Nachtisch, das ist das traditionelle Gerippe jedes Menüs. Wenige vorzüglich gekochte und raffiniert zusammengedichtete Speisen sind besser als viele geschmacklos zubereitete und verständnislos kombinierte Gänge. Das Getränk dazu muß mit Verstand gewählt werden. Man nimmt wohl gewöhnlich einen leichten Weißwein zur Vorspeise, einen schweren roten zur Fleischspeise und Süßwein oder Schaumwein[130] zur Nachspeise, doch sind begründete Abweichungen gestattet. Zu einem derben, fetten Braten mag man ohneweiters Bier reichen; wenn es sich aber um seine Geschmacksnuancen handelt, die das schwere Bier verdecken würde, verzichtet man darauf.

Steht die Speisenfolge fest, so geht man an die Tischordnung. Gerne setzt man den Hausherrn an das eine Ende der Tafel, die Hausfrau an das andere. Man kann sie aber auch – und das gilt als noch richtiger – in der Mitte der Längsseite der Tafel placieren. Die Ehrenplätze sind natürlich die neben der Hausfrau und dem Hausherrn, die rechten noch um einen Grad ehrenvoller als die linken. Diese Plätze teilt man nicht nach der Rangstufe des Gastes zu, außer sie wäre ganz hervorragend und für alle Anwesenden zwingend, sondern nach dem Alter. Im übrigen ordnet man die bunte Reihe so, daß womöglich jede Dame einen Ritter zu ihrer Verfügung hat, und zwar nicht ausgerechnet ihren Gatten oder ihren Bruder. Wenn man kann, setzt man die Gäste so, daß jeder seinem Nachbarn etwas zu sagen hat. Irgendein gemeinsames Interesse wird sich oft genug finden lassen. Es ist Sache des Hausherrn, jedem Gast seine Tischnachbarin bekanntzugeben, damit er sie am Arm zu Tisch führen kann. Ist aber die Tischordnung lose, dann haben die älteren Herren das erste Recht, sich ihre Nachbarin zu wählen, und erst nach ihnen die jüngeren.

Am Arme des vornehmsten oder ältesten Gastes betritt die Hausfrau als Erste das Speisezimmer, der Hausherr bildet mit seiner Dame den Schluß.

Wie man eine Tafel deckt, setze ich als allgemein bekannt voraus, nur einige Winke allgemeiner Art seien mir erlaubt. Eine Tafel soll immer einen frohen Eindruck machen, deshalb[131] dürfen Blumen nicht fehlen. Aber alle hohen Aufbauten verhindern dem Gast den Überblick, daher wird man keine stockhohen Arrangements aufbauen, sondern die Blumen in niedere Schalen setzen. Auch soll die Tafel womöglich nicht wie ein Seziertisch aussehen, auf dem die verschiedensten chirurgischen Instrumente bereitliegen. Ich finde es richtiger, zu jedem Gang das dazugehörige Besteck aufzulegen, vorausgesetzt, daß die nötige Bedienung zur Verfügung steht. Legt man Menükarten auf, so soll man trachten, den Gängen ihren ehrlichen deutschen Namen zu geben, damit der Gast doch weiß, was ihm vorgesetzt wird. Da der Gast sich mit der rechten Hand bedient, läßt man ihm die Speisen von der linken Seite reichen – beginnend bei der würdigsten Dame. Beim Servieren wird die Schüssel auf dem linken Unterarm gehalten, der rechte Arm verschwindet hinter dem Rücken – dem eigenen, versteht sich. Nach jedem Gang wird das gebrauchte Geschirr und Besteck von rechts abgetragen. Passiert einem Gast ein Malheur, so macht man darum kein Aufhebens, auch wenn das schöne Damasttischtuch Obstflecken bekäme. Die Schuld trifft die Schüssel, das Glas, den Teller, nie den Gast.

Will jemand, angeregt durch die gemütliche Stunde, eine Rede halten, so muß man ihm dazu Gelegenheit geben und die eigene Unterhaltung so lange unterbrechen. Auch das Essen und das Servieren ruhen so lange.

Damen erwidern Tischreden nicht. Als Dank genügt ihr Lächeln.

Hat die Hausfrau genug Räume zur Verfügung, so läßt sie den schwarzen Kaffee und den Likör in einem andern Zimmer servieren, während das Personal das Speisezimmer wieder in Ordnung bringt. Und jetzt ist der Augenblick gekommen, in dem die Unterhaltung ihren Höhepunkt erreicht. Die gesetzten[132] Herrschaften vereinigen sich gerne zu einem Spielchen, die Jugend tanzt oder musiziert. Und hier hat die Hausfrau wieder eine kitzlige Aufgabe, denn sie muß dafür sorgen, daß jeder auf seine Rechnung kommt. Manche hören sich selber gar zu gern und finden das Ende nicht. Andere wieder wollen nach einem vorzüglichen Abendessen mit Beethoven aufwarten oder Bach oder gar Weisheiten aus »Zarathustra« verzapfen. So schwere Kost fördert die Verdauung nicht, da muß die Hausfrau eingreifen.

Und droht die Unterhaltung sich ins Allzuleichte zu verirren, gibt es schon hie und da eine Frivolität, dann ist es wieder Sache der Hausfrau, den Übermut auf andere Bahnen zu lenken, ohne daß sie gerade bei jedem freieren Worte zusammenzuckt.

Ergeben sich im Laufe der Gespräche Meinungsverschiedenheiten, so darf der Gastgeber nicht Partei ergreifen, denn dadurch kann er einen seiner Gäste verletzen. Er zeigt auch keinen Unmut, vielmehr ist er bestrebt, schlichtend und vermittelnd einzutreten, auch das aber immer so diskret, daß er die Gebote der Gastfreundschaft nie verletzt. Bilden sich im Laufe der Unterhaltung einzelne kleine Gruppen, so werden Hausfrau und Hausherr bei jeder einige Zeit verweilen, damit niemand sich vernachlässigt fühlt und damit der Zusammenhang der Gesellschaft nicht gestört wird.

Empfiehlt sich aus der Gesellschaft einer vor den anderen, so ist es nicht nötig, ihn ins Vorzimmer zu begleiten, außer es handelt sich um einen Gast von besonderer Distinktion. Verabschieden sich alle, so gibt man ihnen das Geleite bis zur Wohnungstüre.[133]

Quelle:
Haluschka, Helene: Noch guter Ton? Graz 1938, S. 129-134.
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