VII. Winter in Rosette. Kapitulation Kairos, Aufenthalt dort (1801).

[98] Mein Aufenthalt in Rosette nahm nun einen einförmigen Ton an. Ich verwendete in den nächsten vierzehn Tagen meine Zeit auf die Lesung von Tausendundeiner Nacht, auf Besuche, Besehen von Gassen und Märkten und auf die Beobachtung ägyptischer Sitten und Gebräuche.

Wenn in diesen vierzehn Tagen die Aufzeichnungen in meinem Tagebuch nicht erwähnenswert sind, so sind es um so mehr die der nächsten vier Wochen, die ich als Gast General Doyles im englischen Lager verbrachte. Nachdem Rahmanije gefallen war und die Armee auf dem linken Nilufer[98] gegen Kairo vorrückte, schiffte ich mich am 18. Mai in eine Dscherme ein, die volle drei Tage nach Elkan brauchte, da sie allnächtlich am Ufer anlegte. Auf dieser Fahrt sah ich zwei mir unvergeßliche Naturereignisse. Das eine waren wiederholte, kleine Sandhosen, welche am Ufer unmittelbar vor meinen Augen entstanden, so daß ich klar sehen konnte wie der Wind von oben auf die Erde stürzend, den Sand in einem kleinen Wirbel zu drehen anfing, der sich allmählich wie eine Düte vergrößerte, zu einem auf seiner Spitze stehenden Kegel erhob und nach fünf bis zehn Minuten in sich zusammensank. Die zweite Naturerscheinung war durch das fast unglaubliche Zusammentreffen der Umstände höchst merkwürdig. Eine schöne, große Wasserlibelle hatte sich auf den Mast der Dscherme gesetzt und wurde mit einem Tuche gefangen. Ich durchstach sie mit einer langen, starken Stecknadel und heftete sie so an den Deckel meines aufgeschlagenen Pultes. Sie machte sich los und flog mit der Nadel im Leibe auf. Im selben Augenblicke stürzte ein kleiner Raubvogel auf sie, verschlang sie und strich knapp über den Nil. Im Streichen wurde er von einem auftauchenden Fisch verschlungen. Alles war das Werk eines Augenblickes und ich war darüber ebenso erstaunt und ergriffen wie die Araber, die laut ›Allah – – Allah!‹ ausriefen.

Ich wäre noch nicht von Rosette aufgebrochen und hätte dort die Kapitulation Kairos erwartet, wenn mich nicht ein Brief Sir Sidneys mit einem heiklen, ihn persönlich betreffenden Auftrage betraut hätte. Er hatte von Lord Keith erfahren, daß seine Zurückberufung an Bord des ›Tiger‹ durch ein Schreiben des General Hutchinson veranlaßt worden war, das sich auf eine Note General Craddocks begründete, welchem der Kapudan-Pascha anvertraut hatte, daß ihm die längere Gegenwart Sir Sidneys auf dem Lande unangenehm sei. Sir Sidney wünschte, daß ich die Sache ordne und bat mich, sie mit beiden zu besprechen. Dem Kapudan-Pascha sollte ich sein Versprechen in Erinnerung bringen, demnach er sich freimütig gegen Sir Sidney äußern wollte, wenn ihm das Geringste an ihm mißfiel. Dem General, welchem ich den Brief als meine Vollmacht zu zeigen befugt war, legte er die Notwendigkeit nahe, als ehrlicher[99] Mann die volle Wahrheit zu sagen. Ich übernahm diesen kitzlichen und gefährlichen Auftrag aus Freundschaft für Sir Sidney. Ganz klar war es nicht, von welchem der drei Oberbefehlshaber der erste Anstoß zur Entfernung Sir Sidneys vom Kriegsschauplatze, auf dem er sich bisher so mutig ausgezeichnet hatte, herrührte.

Als ich ins Lager von Elkan kam, hörte ich, der Kapudan-Pascha sei den Nil hinaufgefahren, ich begab mich noch am selben Abend zu ihm. Meine Verhandlung hatte einen so guten Erfolg, daß ich nicht nur die Fäden dieser Ränke offenbar machte, sondern auch vom Kapudan-Pascha, der Lord Keith als die einzige Ursache angab, ein von mir selbst aufgesetztes Schreiben erhielt, durch dessen Inhalt er sich selbst Lügen strafte, indem er sich auf sein Sir Sidney gegebenes Versprechen berief und ihn bat, zu einer mündlichen Aufklärung des Mißverständnisses zu ihm ans Land zu kommen.

Dieser siegreiche Erfolg meiner Unterhandlung war nicht geeignet, mich beim Kapudan-Pascha in größere Gunst zu setzen, vielmehr dazu, die bisherige zu verlieren. Es handelte sich aber um das Interesse meines Freundes und nicht um mein eigenes, so nahm ich darauf keine Rücksicht. Das hatte ich freilich nicht geahnt, daß der Kapudan-Pascha sich hinter den englischen Oberbefehlshaber stecken würde, um einen so unbequemen und lästigen Zeugen seines zweideutigen Benehmens zu entfernen. Er befolgte hiebei genau dieselbe Taktik, derentwegen ich ihn in betreff Sir Sidneys zur Rede gestellt hatte.

Eines Tages wurde ich für den nächsten Morgen neun Uhr in das Hauptquartier General Hutchinsons berufen. Ich dachte, es handle sich um die Übersetzung eines Geschäftsschreibens ins Englische oder Türkische und war höchlichst erstaunt, als ich ins große Zelt geführt wurde, wo ich den ganzen Generalstab um den Oberbefehlshaber versammelt fand und mir diesem gegenüber am untersten Ende der Tafel ein Stuhl angewiesen wurde. Fast erschien mir diese Art Kriegsgericht komisch.

Der General erklärte mir, daß er sich als Oberbefehlshaber veranlaßt sehe, mir den Befehl zu erteilen, binnen[100] drei Tagen das Lager und binnen einer Woche Ägypten zu verlassen. Obwohl er mir über seine Handlungen keine Rechenschaft schuldig sei, erklärte er doch, daß nicht die geringste Ursache persönlichen Mißfallens gegen mich vorliege. Der Blitz kam aus heiterem Himmel. Obwohl ich sehr betroffen war, antwortete ich kurz und gefaßt: Beruhigt durch die Versicherung, daß keine persönlichen, sondern nur politische Rücksichten diesen unerwarteten Befehl herbeigeführt, werde ich demselben auf der Stelle Folge leisten und das Lager nicht erst in drei Tagen, sondern in den nächsten drei Stunden verlassen, jedoch nur auf so lange, als Kairo nicht jedem Reisenden zugänglich. Denn die Macht des englischen Befehlshabers, einem Österreicher das Reisen in den Staaten der Hohen Pforte zu verbieten, könne ich keineswegs anerkennen.

Vom Hauptquartier begab ich mich zum Kapudan-Pascha, der mich sogleich vorließ, obwohl ihm der Kapitän der Flotte, Ishakbey, gerade die Hühneraugen schnitt. Er spielte den Erstaunten über diesen unbegreiflichen, willkürlichen Befehl und meinte, er könne nur durch Lord Elgins Eifersucht auf Sir Sidney Smith bewirkt sein. Dies schien nicht unmöglich, da der Botschafter wider meinen Aufenthalt auf der Flotte und im Lager als eines, seitdem Österreich mit Frankreich im Frieden, nicht unverdächtigen, politischen Reisenden gewarnt habe. Ich nahm alles als bare Münze und bat nur um ein Wohlverhaltungszeugnis in einem Schreiben an meinem Chef, den Internuntius. Ich erhielt es (B. 11) noch am gleichen Abend und trat meine Rückreise noch vor Tagesanbruch nach Rosette an.

Mit Sonnenwende traf ich auf dem ›Tiger‹ ein und hatte nun Zeit genug, alle in dieser Angelegenheit nötigen privaten und offiziellen Schreiben zu verfassen. Am 1. Juli kam die Nachricht von der Kapitulation Kairos, und mein Entschluß, sobald die Nachricht offiziell bestätigt sei, den ›Tiger‹ zu verlassen und an Land zurückzukehren, war augenblicklich gefaßt.

Ich hielt es für richtig, diesen Entschluß dem General en chef mitzuteilen und ihm den Artikel meiner Verhaltungsbefehle, der mich ermächtigte, im erforderlichen Falle[101] einen österreichischen Konsularagenten zu ernennen, zuzusenden.

Selbst wenn General Hutchinson keine besonderen Befehle zur Verwehrung meiner Rückkehr erlassen haben sollte, bestand die Möglichkeit, daß der Befehlshaber von Rosette von meiner Verbannung aus dem Lager unterrichtet war und meine Reise bis zum Einlangen einer Weisung des Oberbefehlshabers hindern könnte. Um den zu begegnen, gab mir Sir Sidney ein Schreiben an den Kommandanten von Rosette, Oberst Montresor, mit, welches meine Mission nach Kairo beglaubigte. Am 6. Juli verließ ich den ›Tiger‹ begab mich nach Abukir und am folgenden Morgen zu Admiral Keith.

Ich hatte damit gerechnet, daß der Admiral mit dem Verbannungsbefehle nicht einverstanden sein werde, da er nicht von ihm ausgegangen, und meine Rechnung zeigte sich als richtig. Er äußerte sich unumwunden, daß ein englischer Befehlshaber kein Recht habe, einen österreichischen Reisenden aus Ägypten zu verbannen. Am folgenden Morgen schiffte ich mich auf einer Dscherme nach Rosette ein.

Oberst Montresor war Tags zuvor von Kairo angekommen. Er lud mich auf das freundlichste zum Speisen ein, es wäre ihm nie eingefallen, meiner Reise das geringste Hindernis in den Weg zu legen. Gleich nach Tisch setzte ich meine Fahrt in einer anderen Dscherme fort. Da diesmal günstiger Wind, traf ich schon am dritten Tage abends in Bulak, dem Hafen Kairos, ein. Der Nil war mit Dschermen, Booten, arabischen, türkischen und englischen Fahrzeugen aller Art belebt, der Nordwind sauste durch das Tackelwerk und der Fluß schlug Wellen. Am Morgen versuchte ich vergeblich ein Pferd oder Maultier zum Ritt nach Kairo zu bekommen, das abziehende französische und das einziehende englische Heer hatte alle Lasttiere in Anspruch genommen.

Für diesen Morgen war der Einmarsch der Engländer bestimmt, und überall herrschte Lärm und Aufregung. Ich ließ meinen Bedienten bei meinem Gepäck in der Dscherme zurück und machte mich zu Fuß nach Kairo auf, um noch, ehe mich vielleicht ein Offizier des Generalstabes aufspürte,[102] in das Haus des österreichischen Generalkonsuls Rosetti zu kommen, in dem ich mich wie in einer sicheren Burg auch gegen den Willen General Hutchinsons würde halten können. Um acht Uhr erreichte ich es nach vielen Fragen und mühsamen Umwegen. In ihm herrschte die größte Aufregung, kaum einer der hin und her laufenden Bedienten stand mir Rede. Der Hausherr, hieß es, könne jetzt niemanden sehen. Ich muß ihn aber sehen, war meine Antwort, und schließlich drang ich in ein Kabinett ein, in dem ein alter Herr auf und ab ging und seinen Leuten Befehle erteilte. Ich sagte ihm: ›Ich bin der kaiserliche Internuntiaturbeamte Hammer, von dessen Aufenthalt bei Sir Sidney Smith Sie sicher gehört haben, und der mit Aufträgen des Internuntius an Sie versehen ist. Für jetzt nur so viel, daß ich vorderhand Ihr Haus als Freistätte wider die Willkür General Hutchinsons anspreche, der mich aus seinem Lager abgeschafft hat.‹ ›General Hutchinson‹, antwortete er, ›wird gleich mit der ganzen Generalität hier sein, ich habe ihn eingeladen, das erste Frühstück bei mir zu nehmen.‹ Kaum hatte er ausgesprochen, als die Ankunft des Generals gemeldet wurde. Darauf hatte ich nicht gerechnet, mein Entschluß war aber augenblicklich gefaßt, ich sagte: ›Dann lassen Sie mich Hand in Hand mit Ihnen Ihren Gästen entgegengehen, ist es nötig, so stellen Sie mich als Internuntiaturbeamten vor.‹

Rosetti und ich, General Hutchinson und seine Begleitung traten gleichzeitig durch zwei verschiedene Türen in den Speisesaal. Ehe der General noch ein Wort mit Rosetti gewechselt, trat ich auf ihn zu und sagte: ›General, Sie sehen, ich halte Wort und bin nach Kairo gekommen, sobald es frei.‹ Die gewagte Anrede hatte guten Erfolg, General Hutchinson streckte mir seine Hand entgegen und wir schüttelten Hände, als wären wir die besten, ältesten Freunde.

Das Gefolge Hutchinsons bestand aus lauter Herren, die ich schon kannte, und wir schüttelten Hände. Der Tisch des Frühmahles war mit kalten und warmen Speisen bedeckt, vor jedem Gedeck stand eine Flasche Rum; Rosetti war der Überzeugung, daß die Engländer ihn regelmäßig trinken.[103] Dieser Irrtum rührte von den Franzosen her, die auch Lord Cornwallis, als er mit ihnen über den Frieden verhandelte, Rum zum Frühstück vorsetzten.

Nach dem Frühstück bezog General Hutchinson seine Wohnung in dem großen Hause Rosettis, und auch ich blieb sein Gast und verlebte nun sieben Wochen auf dem besten Fuße mit dem General. Er erklärte mir, daß er wider mein Bleiben und Reisen in Ägypten nicht das geringste einzuwenden habe, er mich vielmehr in allem unterstützen wolle; er habe mich aus politischen Gründen aus dem Lager entfernen müssen und sei dazu nicht vom Kapudan-Pascha bewogen worden, dieser habe sich sogar gegen meine Entfernung ausgesprochen.

Ich konnte also nicht mehr daran zweifeln, daß meine Verbannung die Folge einer Depesche Lord Elgins war. Sein Privatsekretär, Hamilton, erschien am Tage des Einmarsches der Engländer und hatte soeben einen Kurier Lord Elgins empfangen. Am folgenden Morgen berief mich der General und warnte mich, über die Armee zu korrespondieren. In meiner Korrespondenz mit Baron Herbert hatte ich nie über die Armee berichtet und konnte ihn daher versichern, daß er sowohl über die Vergangenheit als für die Zukunft dessen sicher sein könne.

Nun war ich endlich am Ziele meiner Reise und Sendung. Ihr vorzüglichster Gegenstand war die Untersuchung des Benehmens des Generalkonsuls während der französischen Besetzung und im Falle, daß er sich wirklich politischer Verfehlungen schuldig gemacht, die Ernennung eines provisorischen Agenten. Die Kunde war nach Konstantinopel gedrungen, daß Rosetti von Napoleon zu Verhandlungen mit Murad-Bey verwendet worden sei und vielleicht als Unterhändler den Frieden mit ihm abgeschlossen habe. Dies hatte ihn dem Internuntius, dem entschiedenen Feinde aller revolutionären Ideen und ihrer Verbreiter, verdächtig gemacht. Rosetti war sehr klug und hatte sich in den stürmischen Zeiten der Mamelukenherrschaft nicht nur als Generalkonsul Österreichs, sondern auch Rußlands, Preußens, Neapels und noch einiger Mächte auf seinem Posten und in großem Ansehen erhalten. Es war anzunehmen, daß er sich[104] keine politische Blöße gegeben hatte, daß, wenn auch der Schein wider ihn, eine nähere Untersuchung nur zu seinen Gunsten ausfallen würde. Diese delikate Untersuchung mußte ihm natürlich, solange nicht feste Gründe wider ihn vorlagen, verborgen bleiben.

Ich war gezwungen gewesen, General Hutchinson von meinem Auftrage Mitteilung zu machen, bat ihn aber um Geheimhaltung, die er versprach und strenge einhielt. Ich habe den General nicht nur seiner hohen Bildung, seines persönlichen Mutes und liebenswürdiger Eigenschaften, sondern auch seiner politischen Sicherheit und Verläßlichkeit wegen, sehr hoch schätzen gelernt.

Den Vollzug meines geheimen Auftrages der Untersuchung von Rosettis Benehmen während der französischen Herrschaft hatte ich schon an Bord des ›Tiger‹ begonnen, besonders als ich mit Tallien zusammentraf, und hatte durch zweckmäßige Fragen Nachrichten über die ägyptischen Zustände eingezogen. In Kairo und im Hause Rosettis hatte ich nun die beste Gelegenheit, mich über ihn und sein Benehmen zu unterrichten.

Meine Eigenschaft als wissenschaftlicher Reisender, der sich nicht nur für die alte Geschichte des Landes, sondern auch für die neueste lebhaftest interessierte, gab mir die beste Gelegenheit, mich bei Rosetti selbst über die Begebenheiten, die während der Sperre Ägyptens nur unvollkommen und einseitig von französischer Seite berichtet wurden, zu erkundigen. Schon am dritten Tage nach meiner Ankunft erzählte er mir in einer langen Unterredung die hauptsächlichsten politischen Ereignisse der letzten Zeit und besonders seine Friedensunterhandlungen mit Murad-Bey.

Diese Unterredung konnte von mir um so ungezwungener, von Rosetti um so aufrichtiger geführt werden, als mich, wie ich ihm sagte, General Hutchinson am Morgen ersucht hatte, über die Lage der Mameluken und ihre Umstände möglichst genaue Nachrichten einzuziehen und als Rosetti mit denselben immer durch große Geldgeschäfte zu tun hatte. Das Resultat dieser und folgender Unterredungen mit Rosetti selbst und aus allen über ihn eingeholten Erkundigungen berichtete ich dem Internuntius; es gipfelte in[105] dem Urteile, daß Rosetti, weder Franzosenfreund noch Anhänger der Revolution, sich während der Anwesenheit Napoleons und dann unter Klebérs und Menous Oberbefehl mit der größten Klugheit benommen hatte, daß er durch die Unterhandlung mit Murad-Bey nur seinen eigenen Kredit gehoben und es dadurch ermöglicht hatte, österreichischen und russischen Untertanen zu einer Zeit, da ihre Kaiser mit der Republik im Krieg, Schutz und Hilfe zu gewähren. Weit entfernt, in seinem Benehmen etwas Tadelnswertes finden zu können, mußte ich es als ein musterhaftes politisches loben, und mein Bericht an Baron Herbert schloß damit, daß ich ihm vorschlug, Rosetti zu einer Auszeichnung einzugeben.

Meine Zeiteinteilung paßte sich nun ganz der ägyptischen Sitte an. Das Frühmal wurde eine Stunde vor Mittag, das Abendessen eine Stunde vor Sonnenuntergang eingenommen. Zum Lesen und Studieren, womit ich in Rosette die Frühstunden zugebracht, hatte ich hier keine Zeit, die Menge beachtenswerter Dinge und die Zahl der zu besuchenden Personen war zu groß, auch waren in der Hitze des Juli und August nur die frühesten Stunden des Tages zu Geschäftsbesuchen geeignet; in ihnen besuchte ich, teils aus eigener Neugier, teils um den General die gewünschten Berichte zu erstatten, die einflußreichsten Beys der Mameluken, deren jeder besonderen Hof hielt. Manche hatte ich schon während meines Aufenthaltes in Jafa kennengelernt, andere waren Hasan Dschedawi, Osman-Bey Dschirdschawi, Mohammed-Bey Elfi, das heißt der ›Tausender‹, weil er wegen seiner Schönheit in seiner Jugend um tausend Zechinen gekauft worden war. Er rettete sich später aus dem Blutbade der Mameluken, ging nach England und erregte dort großes Aufsehen. Auch Taburdschi lernte ich kennen, der nach Murad-Beys Tod als der Oberste und Leiter an erkannt wurde.

Taburdschi schien allerdings am wenigsten zur Oberleitung der großen Interessen der Beye geeignet, in einem Augenblicke, wo es sich um ihre ganze künftige Existenz, um Sein oder Nichtsein handelte. Wenn ihm auch das Haus Murad-Bey die oberste Leitung zugewendet hatte, so hatte doch der alte Ibrahim durch seinen Reichtum und seine[106] Würde als Scheich-el-Beled den größten Einfluß, und so waren die beiden Unfähigsten an die Spitze der Geschäfte gestellt.

In Kairo hatte ich die lange Tracht des Efendi, in der ich in Rosette herumging, mit der eines Mameluken vertauscht. Den Kopf umwand ein Shawl, die Weste war oben offen, unten geschlossen, die Ärmel der kurzen Jacke flatterten über die Arme zurück, die Beinkleider aus rotem Tuch waren so weit, daß man in ihnen nicht zu Fuß gehen konnte, doch gaben sie, in den vorn und hinten hoch aufstehenden Sattel gepreßt, mit den beiden Steigbügeln zusammen dem im Sattel Sitzenden Festigkeit und Sicherheit.

So ritt ich schon am frühen Morgen mit dem auch im schärfsten Galopp neben dem Pferde herrennenden Sattelknecht Sais, um die Beys zu besuchen. Beim Absteigen übernahm der Sais das Pferd, hiebei, als auch beim Aufsitzen, drängten sich die Sais der anderen Besucher herzu, um für das Halten der Zügel und Hilfe beim Aufsitzen ein kleines Geschenk zu erhalten.

Nach den Besuchen bei den Beys stieg ich bei dem syrischen Priester Don Rafael ab, um mit ihm arabisch zu lesen, und kehrte dann zum Frühmal zurück. Nachdem am Nachmittag der Hausherr seine Siesta gehalten, besuchten ihn gewöhnlich Scheichs und andere Notabilitäten der Stadt, und ich fehlte bei diesen Besuchen nicht. Der unvergeßlichste von allen ist mir der erste, bei dem ich am zweiten Tage meines Aufenthaltes in Kairo anwesend war. Zwei angesehene Scheichs der Stadt hatten zur Rechten und Linken des Hausherrn auf dem Sofa Platz genommen. Nach der Begrüßung und nach dem Kaffee gaben sie die Veranlassung ihres Besuches, mit dem ebenso dunklen als poetischen Worte kund: ›Unsere Ehre ist gerettet.‹ Rosetti wünschte ihnen Glück. Dann saßen sie rauchend und die Perlen ihrer Rosenkränze rollend da, sagten noch einige gleichgültige Dinge und empfahlen sich. Ich fragte Rosetti, als sie gegangen, wer sie seien und worum es sich handle. Es waren Scheichs der Familie Bekri, die Oheime eines Mädchens, welches mit einem Franzosen gelebt hatte, sich aber nicht entschließen[107] konnte, mit ihm fortzuziehen. Die beiden hatten sie am Morgen erdrosselt und so die Ehre des Hauses gerettet.

Am 18. Juli stattete Rosetti seinen feierlichen Besuch als kaiserlicher Generalkonsul beim Großvezier ab, und ich begleitete ihn in der langen Kleidung des Dolmetsch mit dem Zobelkalpak auf dem Kopf. Der Generalkonsul saß auf einem Stuhle ohne Lehne, das ganze Gefolge mußte nach dem damals noch üblichen Zeremoniell auf dem Teppich kauern, mit der Schwere des Leibes auf den Haken der Füße ruhend, eine der unbequemsten und beschwerlichsten Stellungen für den, der sie nicht von Jugend auf gewohnt ist. Ich war nahe daran, in Ohnmacht zu fallen. Als der Großvezier es bemerkte, bat er mich aufzustehen.

Beim Fortgehen wurde Rosetti mit einem Pelze, ich mit einer Kerake bekleidet. Am Abend fand der feierliche Besuch General Hutchinsons beim Großvezier statt, von welchem er mit reichen Geschenken, Tabatieren, Uhren, Pelzen und Shawlen überhäuft zurückkam. Am 26. Juli verließ der General Kairo und begab sich nach Rosette, um von dort die letzten Unternehmungen des Feldzuges gegen Alexandrien zu leiten.

Der Hauptgrund des zweiwöchigen Aufenthaltes Hutchinsons in Kairo war die Beruhigung der Mameluken durch verbürgte Versicherungen des Großveziers und des Generals im Namen der Pforte. Nach der Vereinigung des britischen Lagers mit dem des Großveziers und dem der Mameluken hatte General Hutchinson Offiziere des Generalstabes an dies letztere geschickt, und der über die Ordnung und die Manieren der Mameluken – im Gegensatze zu den Türken – erstattete Bericht lautete sehr vorteilhaft.

In Kairo verwendete sich der General neuerlich für die Mameluken beim Großvezier, welche als Untertanen Steuern zu zahlen bereit waren, aber in Zukunft nicht, wie vormals von dem Pascha-Statthalter, in einer Art ehrenvollen Gefängnissen gehalten werden sollten. Alles dies war aber nur mündlich verhandelt worden, und es kam darüber keine verbindliche Urkunde zustande. (B. 12.)

Ich füge hier ein Schreiben des General Hutchinsons an den Großvezier (B. 13) und meinen Bericht an den Internuntius[108] bei (B. 14), dessen drei Nachschriften interessante Nachrichten enthalten über die Ankunft des indischen Heeres unter General Baird, über die Verletzung des dem Großvezier gegebenen Versprechens und über die aufgefundene Korrespondenz Morriers mit Lord Elgin, von der nur ein Teil den Franzosen in die Hand gefallen und veröffentlicht worden war. Der Fund war Hamilton ausgeliefert worden.

Um nicht nochmals auf die Mameluken zurückkommen zu müssen, füge ich noch das Dankschreiben derselben für eine brillantene Dose, die ihnen Sir Sidney vor seiner Abreise aus Ägypten zugesendet und einen kurzen Bericht über den trotz aller Versicherungen einen Monat später vom Kapudan-Pascha verübten scheußlichen Meuchelmord bei. (B. 15, 16.)

Ich schied von General Hutchinson in bester Freundschaft, nachdem wir zwei Wochen im gleichen Hause gewohnt, am gleichen Tische gegessen und ich ihn abends meistens auf seinen Spazierritten begleitet hatte.

Am letzten Juli unternahm ich mit einigen Offizieren und dem Unterkommissär Whiteman, einem jungen, von Gesundheit strotzenden Manne, meinen ersten Ausflug nach den Mumiengrüften in Saccara. Wir ritten dort in der größten Mittagshitze, die fast unerträglich schien. Die Offiziere ruhten unter Palmen aus, keinen von ihnen konnte ich bewegen, mit mir in die Katakomben zu kriechen und Ibismumien herauszuholen. Ich brachte ein Dutzend Krüge mit Ibismumien heraus, die jetzt im kaiserlichen Naturalienkabinett in Wien sind. Mit sinkender Nacht kamen wir wohlbehalten nach Kairo zurück, am folgenden Morgen erhielt ich die Nachricht, daß Whiteman infolge eines auf dem Ausfluge erhaltenen Sonnenstiches in der Nacht an Kinnsperre gestorben sei.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 98-109.
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