XXXV. Das Jahr 1848. Eröffnung der Akademie und Revolution.

[377] Ich hatte schriftlich und mündlich den Tag der Heiligen Drei Könige 1848 zur feierlichen Eröffnungssitzung vorgeschlagen, da es aber hierzu nun schon zu spät war, brachte ich Mariä Lichtmeß, schon des Namens des Festes wegen, als einen zur feierlichen Eröffnung einer Akademie der Wissenschaften besonders geeigneten Tag in Vorschlag. An diesem Tage wurde vormals das älteste Lichtfest der Perser gefeiert und daher erschien er mir von guter Vorbedeutung. Ich erwartete, daß dieser Vorschlag schon deshalb, weil er von mir ausging, Schwierigkeiten finden würde, aber unerwarteterweise ging er durch. Ich sprach den Erzherzog, der eben vom Fürsten Metternich gekommen war, er versicherte, denselben in der besten Stimmung sowohl in bezug[377] auf die Akademie als auf meine Person in betreff der Präfektenstelle getroffen zu haben, er wolle wegen beiden im gewünschten Sinne mit Erzherzog Ludwig sprechen und er sei auch für die Zensurfreiheit der Akademie, ebenso wie Graf Kolowrat. Ich nahm alles als bare Münze an, wiewohl mir manche Zweifel aufstiegen. Am folgenden Tage besprach ich mit Baumgartner, Ettingshausen Wolf die Wahl des Saales für die feierliche Eröffnungssitzung. Der Saal im Polytechnischen Institut war zu klein und konnte nicht geheizt werden. Wir beschlossen also, die Niederösterreichischen Stände um die Überlassung des neu hergerichteten stattlichen Saales zu bitten. Am gleichen Abend sprach ich im Salon des Fürsten Metternich den ständischen Marschall Graf Montecuccoli über das an ihn zu stellende Gesuch, für dessen Gewährung er sich verbürgte, und dann mit dem Freiherrn von Hügel über die Beschaffenheit der akademischen Uniform, die sowohl für den Fürsten wie für Hügel eine Hauptangelegenheit war. Hügel hatte schwarz mit goldener Stickerei vorgeschlagen, ebenso geschmackvoll wie würdig, dies wurde auch vom Fürsten beliebt.

In der Gesamtsitzung am 9. Januar machte Ettingshausen, ohne mir ein Wort vorher gesagt zu haben, den Antrag, daß der Präsident seine Eröffnungsrede der Zensur der Akademie vorlegen möge. Ebenso überrascht als beleidigt darüber, sagte ich, daß ich bereit sei, meine Rede jedem einzelnen Mitglied, ihm, Ettingshausen, an erster Stelle, zu lesen zu geben und gern kritische und stilistische Bemerkungen entgegennehme. Ich habe die Rede schon vor sechs Wochen Seiner Kaiserlichen Hoheit, dem Erzherzog-Kurator, und dem Fürsten Metternich vorgelegt, beide hatten nicht das geringste beanstandet. Ich wüßte also nicht, warum ich sie noch der Gesamt-Akademie vorlegen sollte. Die Sitzung verlief sehr stürmisch.

Die Hälfte der Mitglieder, darunter auch solche der mathematisch-naturhistorischen Klasse, sprachen sich für mich aus, von meiner Klasse besonders Grillparzer, der meinte, daß die Akademie dem Manne, den sie zum Präsidenten gewählt, doch auch das Vertrauen schenken müsse, daß er in seiner Rede nichts ihr Mißfälliges sagen werde, und daß diese[378] Zensur um so überflüssiger, als schon der Erzherzog-Kurator und Fürst Metternich die Rede gutgeheißen hätten. Bei der Abstimmung ergab sich Stimmengleicheit. Ich bemerkte, daß der Mailänder Astronom Carlini seine Stimme nicht abgegeben hatte und fragte ihn, ob jemals im Lombardischen Institute der Präsident eine Rede zur Beurteilung vorgelegt habe. Durch sein ›Nein‹ gab er meiner Ansicht den Ausschlag. Für den 24. Januar wurde die Ergänzungswahl bestimmt. Die mathematisch-naturhistorische Klasse hatte sich sehr zweckmäßig als Ausschuß zur vorläufigen Beratung der Fächer vereint, für welche noch keine Kräfte vorhanden waren. Ich machte meiner Klasse den Vorschlag, ein Gleiches zu tun, wurde aber darin überstimmt. Endlich wurde beschlossen, daß in der Wahlsitzung keine Debatte über das Verdienst des Kandidaten, sondern nur die Wahl stattfinden sollte. Ich bevorwortete die Eröffnung der Sitzung mit einigen Worten und wies besonders auf den Mangel eines Mitgliedes für die Sprachen Hinter-Asiens hin. Endlicher sah, daß die Wahl auf Pfizmaier fallen würde und sprach heftigst gegen ihn. Ich sagte: ›Sie wissen, daß auf Ihren eigenen Antrag in der letzten Sitzung beschlossen wurde, in der heutigen keine Debatte abzuführen.‹ Er erwiderte: ›Wenn Sie das Recht zu sprechen haben, lasse ich es mir auch nicht nehmen.‹ ›Der Präsident‹, sagte ich, ›hat nach der Geschäftsordnung nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, zu verhandelnde Gegenstände zu bevorworten, Sie aber haben das Wort nicht!‹ Er fuhr auf: ›Also ich soll schweigen, während Sie reden dürfen, dagegen protestiere ich mit meinem Austritt‹ – er nahm seinen Hut und ging fort, zu meinem großen Bedauern und zum Ärgernis der Klasse.

Am Lichtmeßtage feierte ich meinen akademischen Ehrentag in der glänzenden Versammlung im Landhaussaal. Alle in Wien anwesenden Erzherzoge, alle Minister waren zugegen, nur der Kaiser und Fürst Metternich fehlten, beide wurden aus Gesundheitsrücksichten vom Arzte zu Hause zurückgehalten. Die Sitzung wurde durch eine vom Freiherrn von Pratobevera aufgesetzte und vom Erzherzog Johann als Kurator gelesene Anrede eingeleitet, worauf meine[379] Rede und der Vortrag des Generalsekretärs über die Tätigkeit der Akademie seit den drei Monaten, in denen sie Sitzungen hielt, folgte. Die Stelle meiner Rede, daß die Arbeiten der Akademie keiner anderen Zensur unterliegen würden als ihrer eigenen, betonte ich besonders nachdrücklich und sah dabei auf Graf Sedlnitzky. Ich sah, daß er etwas dem neben ihm sitzenden Grafen Münch ins Ohr flüsterte und dieser ihm flüsternd erwiderte. Erst hinterher erfuhr ich, daß Graf Sedlnitzky, welcher erst am Tage der Sitzung von dieser Stelle Nachricht erhalten hatte, bei Fürst Metternich das Verbot, diese Stelle zu sprechen, durchgesetzt hatte. Der mit diesem Auftrage zu mir gesandte Hofrat war auch wirklich unterwegs, er kam aber zu spät, denn er traf erst im Saale ein, als ich schon gesprochen hatte. Alles war gut abgelaufen, und ich erhielt von allen Seiten Glückwünsche sowohl dazu, daß mir das durch zehn Jahre angestrebte Unternehmen endlich gelungen war als auch zu meiner Rede. Am gleichen Abend bekam ich die Nachricht, daß Graf Sedlnitzky in die Staatsdruckerei Auftrag geschickt habe, daß meine Rede nicht anders, als wie sie in der ›Wiener Zeitung‹ erscheinen würde, gedruckt werden dürfe. Hätte ich dies vermuten können, so würde ich den Druck der Rede, die vom Erzherzog, vom Fürsten Metternich und vom Grafen Münch gutgeheißen worden war, schon vor der Sitzung veranlaßt haben und hätte sie unter den Geladenen verteilen lassen. Vorläufig konnte ich nichts tun, als das Erscheinen der ›Wiener Zeitung‹ abwarten, in der auch wirklich die beiden Stellen, die von der Selbstzensur der Akademie sprachen, gestrichen waren.

Am 3. Februar empfing der Erzherzog-Kurator die gesamte Akademie mit den aus den Provinzen anwesenden Mitgliedern, und zwei Tage später verfügte ich mich abermals zum Erzherzog und wiederholte meine Erklärung, daß, wenn der Akademie nicht die Selbstzensur, wie versprochen, gestattet werden sollte, ich um meine Entlassung als Präsident und als Akademiker bitten würde. Am folgenden Tage wiederholte ich diese Erklärung dem Erzherzog Ludwig und dem Grafen Kolowrat. Jener äußerte sich über den Grafen Sedlnitzky in meinem Sinne, der Erzherzog aber nahm für[380] ihn Partei, denn er sah in ihm die beste Stütze seiner Regierung. Ich schrieb an den Fürsten Metternich und beschwerte mich über den Eingriff des Grafen Sedlnitzky, im gleichen Sinne schrieb ich eine Beschwerde an den Kammerpräsidenten und protestierte gegen den verstümmelten Abdruck. Allgemein wurde diese Eigenmächtigkeit des Polizeipräsidenten besprochen und getadelt. Und trotzdem machten meine Kollegen im Vorstande nicht mit mir gemeinsame Sache, sie traten sogar gegen mich auf und ergriffen die Feder gegen mich und für die Unterwerfung der Akademie unter die Zensur. Sie beschwerten sich über mich in einer Eingabe an den Kurator und gegen mich selbst in Briefen, welche nicht nur mich, sondern auch den Erzherzog-Kurator und Fürst Metternich der Lüge beschuldigten. (Vgl. B. 31–33 und Huber a.a.O. 74, 76 f.)

Am 3. April fanden auf der Aula die Wahlen nach Frankfurt statt, welche Endlicher, Schilling und Somaruga als Delegierte designierten, und es tauchte die Frage auf, ob nicht auch die Akademie Deputierte entsenden solle. Frankl und Ettingshausen hinterbrachten mir dies und sprachen sich dafür aus; wiewohl ich dagegen war, sagte ich ihnen die Einberufung einer allgemeinen Sitzung zur Entscheidung dieser Frage zu. Bei ihr berief ich mich auf das Beispiel anderer deutscher Akademien, die keine Deputierten entsendet hatten, und setzte so den Beschluß, auch keine zu wählen, gegen Schrötter, Ettingshausen, Wolf und Chmel durch. Danach brachten Ettingshausen und Schrötter Reformen der Akademie zur Sprache, sie meinten, die Statuten seien nicht mehr gültig, die Akademie solle sich durch den Austritt aller Mitglieder auflösen und selbst neu konstituieren. Auch diesem Vorschlag trat ich entgegen, die Akademie hatte gar kein Recht, die ihr gegebenen Statuten eigenmächtig zu ändern. Ebensowenig stand ihr das Recht zu, die Klassen zu erweitern und der mathematisch-naturhistorischen die Medizin, der philologisch-historischen Philosophie und Staatsökonomie einzuverleiben. Mit dem Prinzip war ich zwar einverstanden, sagte aber, daß wir erst die Allerhöchste Genehmigung zu solcher Änderung erbitten müßten. Die Mehrzahl gab meinen Vorstellungen kein Gehör[381] und beschloß, daß jede Klasse in der nächsten Sitzung sechs neue Mitglieder wählen solle. Ich ging daher zum Minister des Inneren, Freiherrn von Pillersdorf, und meldete ihm diese Eigenmächtigkeit und bat ihn um Unterstützung zur Aufrechterhaltung der gesetzmäßigen Ordnung. Er sagte mir: ›Unter den jetzigen Umständen müssen Sie den Herren ihren Willen lassen, obwohl Sie im Grunde recht haben.‹ Diese Antwort meinen Kollegen zu sagen, hütete ich mich, ich protestierte aber auch nicht weiter gegen das Recht der Statutenänderung und noch weniger gegen die Vornahme von Wahlen.

In Hainfeld erhielt ich einen Brief Ettingshausens, in dem er mir mitteilte, er habe wegen der Unterstellung der kaiserlichen Kabinette unter die Akademie mit den Kustoden gesprochen und diese seien ganz einverstanden damit, es handle sich also um Vorarbeiten, die bis zu meiner Rückkehr beendet sein könnten. Ich antwortete ihm, daß ich damit einverstanden sei, bei meiner Rückkehr könne sofort eine Gesamtsitzung einberufen werden, in der sowohl Reform wie auch diese Sache zur Sprache kommen könne. Darauf erhielt ich keine Antwort und hörte während meines Aufenthaltes in Hainfeld kein weiteres Wort von der Akademie, so daß ich nichts anderes annehmen konnte, als daß die in Wien gebliebenen Akademiker-Kustoden sich mit den Vorschlägen der wissenschaftlichen Aufsicht der Hofbibliothek und der Kabinette beschäftigten.

Am Morgen des 31. Oktober kam ich nach Wien zurück und speiste beim Fürsten Dietrichstein mit seinem Bruder, dem Obersthofmeister, mit dem ich zwar nicht auf dem Fuße der Freundschaft wie mit seinem Bruder, dem Fürsten, aber immer in freundlichem Verhältnis stand. Ich grüßte ihn, er wandte den Kopf ab, ich sprach ihn an, er antwortete nicht. ›Was haben Sie denn heute gegen mich, weil Sie mich so schnöde behandeln, ich habe Ihnen doch nichts zuleide getan?‹ ›Sie sind auch einer von jenen,‹ fuhr er mich an, ›die den Kaiser seines Eigentums berauben wollen.‹ Erstaunt fragte ich, wieso? ›Ja, Sie, denn Sie müssen ja die saubere Gesamtsitzung der Akademie einberufen haben, in welcher die Unterordnung der Hofbibliothek und[382] der Kabinette unter die Akademie zu verlangen beschlossen wurde, Sie müssen von den zwei Deputationen wissen, welche deshalb an den Kaiser und an Wessenberg abgesendet worden sind.‹ ›Aber ich weiß davon kein Wort!‹ ›Das kann ich nicht glauben!‹ ›Es ist unglaublich und dennoch wahr, ich weiß kein Wort davon, bei meiner Ehre, sprechen Sie doch!‹ Darauf erzählte mir Graf Dietrichstein, daß am 14. September eine Gesamtsitzung stattgefunden habe, in welcher die Akademie nicht nur die wissenschaftliche Oberaufsicht über die Hofbibliothek und die Kabinette, sondern auch die Verwaltung derselben und die Besetzung der Beamtenstellen begehrt habe, und zwar nicht nur für die in der Burg befindlichen Anstalten, sondern sogar für die Menagerie in Schönbrunn. Baumgartner, Ettingshausen und Wolf seien als Deputierte zum Kaiser und dann noch mit sieben anderen zum Freiherrn von Wessenberg, dem Ministerpräsidenten, gegangen. Mein Erstaunen und mein Unwille über diese Unregelmäßigkeit, welche Ettingshausen hinter meinem Rücken und ohne mein Wissen begangen hatte, war sehr groß, und doch konnte ich mich nach allem, was er sich schon mir gegenüber herausgenommen, darüber nicht wundern.

Am folgenden Tage fuhr ich eine halbe Stunde vor der für diesen Tag angesetzten Sitzung der philosophisch-historischen Klasse ins Polytechnische Institut, um den Generalsekretär unter vier Augen zur Rede zu stellen. Ich fand ihn nicht mehr allein, sondern in Gesellschaft Grillparzers. ›Wie haben Sie sich, Herr Generalsekretär, erlauben können, wider den ausdrücklichen Sinn der Statuten, welche nur dem Präsidenten die Einberufung außerordentlicher Gesamtsitzungen zuweisen, eine solche ohne mein Wissen und hinter meinem Rücken abzuhalten?‹ ›Sie waren nicht zugegen‹, antwortete er. ›Warum haben Sie mir nicht geschrieben, ich wäre, wenn es nötig gewesen wäre, sofort gekommen?‹ Darauf saugte Ettingshausen: ›Es war periculum in mora, eine Partie von Juden war im Begriff, die Verwaltung aller Kabinette an sich zu reißen.‹ ›Davon habe ich nichts gehört und glaube es auch nicht!‹ ›Wie konnten Sie,‹ fragte ich nochmals, ›dem Paragraph der Statuten zuwider, sich dies erlauben?‹ Ich zeigte ihm den Abschnitt. ›Hier steht,‹ sagte er, ›bloß der[383] Präsident beruft die Gesamtsitzungen‹ und nicht ›der Präsident allein.‹ ›Nach Ihrer Auslegung‹, sagte ich, ›könnte also auch der Aschenmann oder ein Milchweib eine Sitzung einberufen. Unter solchen Umständen bleibt mir allerdings nur mehr der Weg in die Öffentlichkeit zu meiner Beschwerde über. Ich werde über diese grobe Verletzung nicht beim Kurator in Frankfurt, sondern in der »Wiener Zeitung« mich vor der ganzen Welt beklagen.‹ ›Wenn Sie das tun,‹ sagte Ettingshausen, ›lege ich sogleich meine Sekretärstelle nieder.‹ Grillparzer sprach beruhigend und bat mich, es nicht zu tun, eine solche Veröffentlichung würde das Dasein der Akademie gefährden. Indessen kamen die Mitglieder zur Sitzung und ich schwieg. Am nächsten Morgen legte ich bei Baron Wessenberg feierlichen Protest gegen diese Sitzung und die in ihr gefaßten Beschlüsse ein, von der ich nicht unterrichtet war. ›Denken Sie sich den Unsinn,‹ sagte Wessenberg, ›da kamen deren zehn zu mir und verlangten sogar die Unterordnung des Geheimen Staatsarchivs. Selbstverständlich wird allen diesen Forderungen keine Folge gegeben.‹

Am Tage nach dem Einmarsch der Truppen unter Windisch-Graetz kam Ettingshausen zu mir und versicherte, daß jetzt von irgendwelchen Reformen der Akademie keine Rede sein könne. Ich sagte: ›Das meine ich auch, meine es um so mehr, als ich mit dem gedruckten Reformprojekt, über das ich nie meine Meinung abgab, nie einverstanden war. Sehen Sie lieber dazu, wie Ihr Schwager Schrötter, der bis zum letzten Augenblick für Messenhauser Pulver gemacht hat, sich aus der Schlinge zieht.‹ ›Der hat nichts zu fürchten,‹ sagte Ettingshausen, ›es ist schon wieder alles in Ordnung, er hat das Pulver absichtlich so schlecht gemacht, daß es zu nichts gut war.‹ Vielleicht war es wirklich so, nur war dies nach allgemeiner Ansicht nicht absichtlich, sondern aus Ungeschick geschehen. Übrigens wäre bei dieser Pulverfabrikation, die unter dem Saale der Akademie im Polytechnischen Institute vorgenommen wurde, dieser fast in die Luft gesprengt worden. Das Feuer schlug bei den Fenstern heraus und schwärzte die Mauern bis zur Höhe des ersten Stockes, allerdings ein Beweis für die Ungeschicklichkeit[384] des Verfertigers. Schrötter wurde vom Gouverneur von Wien, dem Freiherrn von Welden, zur Verantwortung gezogen und rettete sich mit der Versicherung, das Pulver absichtlich schlecht gemacht zu haben. Von der Klasse, deren Präsident sein Schwager Baumgartner war, ließ er sich tausend Gulden für eine wissenschaftliche Reise nach England votieren, um sich durch Abwesenheit allen weiteren Folgen zu entziehen.

In der nächsten Gesamtsitzung, als die Eingabe wegen der Unterordnung der Hofbibliothek und der Kabinette zur Sprache kam, sagte ich: ›Meine Herren, da die Sitzung am 14. September, worin dieser Beschluß gefaßt wurde, statutenwidrig, hinter meinem Rücken einberufen, nicht von mir sondern vom Herrn Vizepräsidenten geleitet wurde, kann ich auch diese nicht präsidieren.‹ Ich erhob mich und ging fort.

Es wurde, wie ich später erfuhr, viel hin und her geredet, nichts beschlossen und nur angeregt, daß sich der Herr Vizepräsident unter der Hand bei den Ministern erkundigen möge, ob das Begehren der Akademie Aussicht auf Erfolg hätte. –

Am Abend des 13. März 1848 hatte ich von der Abdankung Metternichs erfahren. Die Nacht war sehr unruhig, alle Fenster mußten beleuchtet werden.

Am nächsten Morgen hörte ich, die Schauflergasse sei abgesperrt, ohne Karte könne man nicht in die Staatskanzlei gelangen. Ich hatte noch keine, ging daher zu meinem Namensvetter, dem damaligen Hofdolmetsch und orientalischen Referenten, Herrn von Hammer, und passierte mit ihm und seiner Karte die Wachen. Ich hielt es für meine Pflicht, dem Fürsten noch einmal aufzuwarten, falls er, ehe er die Staatskanzlei verließ, seine Untergebenen zum Abschied empfangen wollte. Dies war nicht der Fall. Ich sprach mit dem Staatsrat Freiherrn von Lebzeltern und dem Hofrat Freiherrn von Werner, der gerade vom Fürsten kam und bleich und verstört aussah. ›Wissen Sie,‹ sagte ich, ›wer des Fürsten Metternich Unglück ist? Keiner als das vertrauteste seiner Werkzeuge, Sedlnitzky, der ihn in die größte Sicherheit gelullt hat.‹ ›Leider haben Sie recht‹, antwortete Werner.[385]

Eines gereicht dem Fürsten zur Ehre, trotz aller seiner Vergehen und Fehler, und darüber war nur eine Stimme, daß seine ganze Haltung und seine Kaltblütigkeit über alles Lob erhaben waren. Am Abend wurde er von den ständischen Abgeordneten Montecuccoli, Breuner und Schmerling aus der Konferenz beim Erzherzog Ludwig herausgerufen und vernahm aus ihrem Munde die Notwendigkeit seiner Abdankung zur Rettung der Monarchie. Würdevoll und ruhig gab er diese. Als am nächsten Morgen schon alle zum Fortgehen bereit waren und die Fürstin ihn bat, keinen Augenblick mehr zu verlieren, sagte er ruhig: ›Ich muß noch meine Memoires mitnehmen.‹ Er holte sie, und hoffentlich hat er seine Verbannung dazu verwendet, sie bis zu seinem Sturze fortzuführen, sie wären ein höchst wichtiges Werk für die Geschichte unserer Zeit.

Am 21. März erschien in der ›Wiener Zeitung‹ die Ernennung des neuen Ministeriums. An seiner Spitze stand Graf Kolowrat als provisorischer Ministerpräsident, Pillersdorf als Minister des Inneren, Taaffe für Justiz, Kübeck für Finanzen und Graf Ficquelmont für das Auswärtige. Diesen meinen neuen Chef kannte ich seit dreißig Jahren aus dem Salon der Gräfin Rzewuska.

Nun machte ich ihm, als sein Untergebener, meine Aufwartung in der Kanzlei und der Gräfin in ihrem Salon. Schon am 4. April trat Ficquelmont an die Stelle Kolowrats als Ministerpräsident. In diesen Monaten wechselten die Ministerien wie das Wetter. Am 5. April zog sich Erzherzog Ludwig von den Staatsgeschäften zurück, am 19. April dankte Kolowrat definitiv ab, am 20. April gab Taaffe das Justizministerium auf, am 22. April Baron Josika die Stelle des Siebenbürgischen Kanzlers und zugleich trat Baron Kübeck vom Finanzministerium ab. Graf Inzaghi und Graf Münch hatten noch im März ihre Entlassung erbeten und erhalten.

Hälfte April war Sir Stratford Canning, mein Freund aus der Zeit des Wiener Kongresses, angekommen und hatte mich besucht. Ich sah ihn in den drei Wochen seines Aufenthaltes fast täglich. Ich konnte ihm kein Geheimnis machen aus der Hoffnungs- und Trostlosigkeit unserer Zustände,[386] und er verbarg mir Englands Politik nicht, deren Interesse es sei, in Oberitalien Piemont durch die Lombardei zu vergrößern. Mit mir beklagte er den Mangel an Männern, die die Zügel der Regierung mit starker Hand zu führen fähig wären, ein Mangel, den er auch in Berlin gefunden zu haben behauptete. Am Abend des 3. Mai war Canning bei Ficquelmont in der Staatskanzlei, als man diesem eine große Katzenmusik brachte; es war ein großer Fehler von Ficquelmont, diesem zusammengelaufenen Gesindel seine Abdankung zu versprechen. Nach dem Abgange Ficquelmonts vertrat Lebzeltern provisorisch das Ministerium des Äußern.

Bald hernach wurde Doblhoff zum Minister des Handels und Baumgartner zu dem für öffentliche Arbeiten ernannt. Letzterer überließ der Akademie seinen Vizepräsidentengehalt zur Anschaffung von Instrumenten. Doblhoff übernahm später auch das Unterrichtsministerium provisorisch. Kurze Zeit darauf mußte Pillersdorf abdanken.

Während meines zweimonatigen Aufenthaltes in Hainfeld suchte ich mich soviel als möglich allen revolutionären Berührungen fernzuhalten. Von der Nationalgarde in Feldbach wurde ich um einen Geldbetrag angegangen und am Himmelfahrtstage wohnte ich der Fahnenweihe bei welche in Gegenwart des Grafen Wickenburg und seiner Gemahlin als Fahnenmutter stattfand. Die Einladung zum Mittagessen hatte ich abgelehnt. Später erfuhr ich, daß der Graf und die Gräfin beleidigende Reden von den roten Radikalen, besonders von Emperger, dem Hauptwühler in Graz, anhören mußten. Später fand er als Barrikadenverteidiger Wiens den verdienten Lohn in mehrjähriger Festungsarbeit.

Am 31. Oktober nach meiner Rückkehr nach Wien setzte ich mich eben an mein Pult, um einen Roman Dickens zu lesen, als ich zwei Kanonenkugeln durch die Kärntnerstraße pfeifen hörte. Ich hatte ganz vergessen, daß bei dem Haus, welches ich bewohnte, die Kärntnerstraße eine Biegung macht, so daß das Kärntnertor, über oder durch das geschossen wurde, gerade auf mein Haus sieht. Ich stand auf und zog mich ins Hofzimmer zurück. Kaum hatte ich[387] meinen Stuhl verlassen, als ein Geschoß in die Wohnung meines Schwagers, ober der meinen, fiel, dort zersprang und seinem Kutscher beide Arme abriß. Er starb in derselben Nacht. Gleich darauf schlugen zwei Kugeln bei mir ein, die eine zerstörte den Fensterstock und ging weiter, die andere schlug durch das Fenster meines Bibliothekszimmers und blieb nahe bei dem Sessel, den ich soeben verlassen hatte, liegen. Ich behielt sie als Andenken und stiftete sie als Schwerstein nach Hainfeld.

Seit dem März 1848 hatte jeder Monat des Jahres für Österreichs Schicksal höchst wichtige Begebenheiten gebracht, aber keine von ihnen kam so überraschend und unerwartet, als die Thronentsagung Kaiser Ferdinands I. und die Thronbesteigung des regierenden Kaisers. Zwar war in der ersten Zeit der Revolution wiederholt davon die Rede gewesen, als von dem einzigen Rettungsmittel der Monarchie, selbst von der Burg waren falsche Gerüchte darüber ausgegangen, aber nach der Einnahme Wiens durch Windisch-Graetz hatte niemand mehr daran geglaubt. Die große Maßregel wurde in tiefstem Geheimnis beraten, und selbst am Tage der Thronbesteigung waren nur die Mitglieder des Herrscherhauses, die unmittelbarsten Handlanger des neuen Kaisers, nämlich die Kaiserin, Erzherzog Franz Josef selbst, Erzherzogin Sophie und nur die drei Minister Wessenberg, Schwarzenberg und Stadion nebst den beiden Sekretären des Äußeren und Inneren, Hübner und Lackenbacher, in das große Staatsgeheimnis eingeweiht. Alle übrigen Mitglieder des Kaiserhauses, der Ministerien und Hofstaaten wurden davon ebenso freudig und hoffnungsvoll überrascht wie die ganze Monarchie.

Ich kannte diese drei Minister, wenn auch nicht so gut wie das frühere Triumvirat (Erzherzog Ludwig, Metternich und Kolowrat). Wessenberg traf ich schon beim Wiener Kongreß, er ist sicherlich viel höher gebildet als Fürst Schwarzenberg und Stadion. In seinen Reisebeschreibungen hat er sich als unterrichteter Statistiker und geistreicher Schriftsteller bewährt. Aber er war zu alt. Sein Geist war nicht geschwächt, aber physische Leiden lähmten oft seine Tätigkeit. Mehr als dreißig Jahre hatte er in Frankfurt gelebt[388] und dadurch stand er den inneren Verhältnissen der Monarchie zu ferne, als daß er mit der nötigen Sachkenntnis in alle Zweige der Verwaltung hätte eingreifen können.

Mehr als über Wessenberg ist über Graf Stadion zu sagen, der eine viel wichtigere und einflußreichere Rolle spielte. Auf ihn waren die Augen aller, die die Rettung Österreichs aus den Stürmen der Revolution hofften, auf ihn die Erwartungen der Gutgesinnten und Vernünftigen gerichtet, und dennoch ist es leider nur zu wahr, daß sein Austritt aus dem Ministerium der Monarchie zum Heil wurde, unter seiner Leitung wäre sie gewiß ihrer Auflösung entgegengegangen. Graf Stadion war einer der edelsten und liebenswürdigsten Menschen, unermüdlich in aufopfernder Tätigkeit und Arbeitsliebe; als Staatsmann entbehrte er des höheren, richtigen Blickes und der nötigen Voraussicht, besonders aber aller Menschenkenntnis. Selbst genialisch veranlagt, ließ er sich durch den Anflug von Genialität irreführen, die ihm als Bürgschaft für Talent, Gesinnung und Charakter galt.

Fürst Felix Schwarzenberg kannte ich, bevor er Minister wurde, nur vom Sehen. Der Rücktritt des Freiherrn von Wessenberg, der durch das Handbillett vom 21. November gebilligt worden war, ließ baldige große Änderungen vermuten. Sie ließen nicht lange auf sich warten. Am 3. Dezember wurde die Thronentsagung und die Thronbesteigung veröffentlicht, am 7. Dezember verkündete die ›Wiener Zeitung‹, daß Lebzeltern und Collenbach, bisher Staats- und Konferenzrat der Staatskanzlei, zur Ruhe gesetzt seien, und am 1. Januar wurde Freiherr von Werner Unterstaatssekretär im Ministerium des Auswärtigen. Ich erwähne von den vielen Veränderungen bloß diese, weil sie meinen zweiten Vorgesetzten in der Staatskanzlei betrifft. Mein erster Vorgesetzter, Fürst Schwarzenberg, empfing um Mitte Dezember die ganze Staatskanzlei. Die Anrede des Fürsten, die den wenigsten mundete, ging von dem Satze aus, daß man sich überall Fehler und Vernachlässigungen habe zu Schulden kommen lassen, und daß er Eifer im Dienst und strenge Pflichterfüllung erwarte. Nach dem Empfange blieb ich zurück, um dem Fürsten einige Worte allein zu sagen, und[389] zwar nicht als Hofrat der Staatskanzlei, sondern als Präsident der Akademie. In dieser Eigenschaft hatte ich bereits an ihn geschrieben. Die Akademie wünschte eine Deputation nach Prag und Olmütz zu senden, um dem neuen und dem vorigen Kaiser ihre Huldigung darzubringen. Bei den vielen Deputationen, die täglich von Wien nach Olmütz gingen, hielt ich dies für verlorene Mühe. Auch wurde der neue Kaiser in Bälde in Wien erwartet und der vorige hatte sich alle Deputationen verbeten. Fürst Schwarzenberg teilte meine Ansicht.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 377-390.
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